Die liebevolle Kriegerin
Die liebevolle Kriegerin
DEBBIE FORD
Die liebevolle
KRIEGERIN
Stehe zu dir selbst,
entdecke deine Stärke,
wecke deinen Mut!
Mit einem Vorwort von Wayne Dyer
Aus dem Amerikanischen übersetzt
von Karin Weingart
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel
»Courage. Overcoming Fear and Igniting Self-Confidence«
bei HarperOne, einem Imprint von HarperCollins Publishers.
Integral Verlag
Integral ist ein Verlag der Verlagsgruppe Random House GmbH.
ISBN 978-3-641-10114-5
Erste Auflage 2012
Copyright © 2012 by Debbie Ford
Published by arrangement with HarperOne, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Integral Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle Rechte sind vorbehalten.
Redaktion: Diane Zilliges
Einbandgestaltung: Guter Punkt, München, unter Verwendung
einer Abbildung von © advent/shutterstock
Gesetzt aus der 11/15 Punkt Meridien
bei C. Schaber Datentechnik, Wels
Für die liebevollen Kriegerinnen
dieser Welt und all jene Frauen, die sich trauen,
ihren ganzen Mut zusammenzunehmen.
Und für meine bemerkenswerte Schwester
Arielle Ford, die mich mit ihrer Courage und ihrem
Selbstvertrauen stets inspiriert.
ungebunden
wir erfahren
vielleicht nie
was wir alles können
oder wie das licht uns umfängt
wenn wir außer atem sind
es ist ein zeichen für heilung
endlich wieder zu fühlen
ein wahrer durchbruch
kommt nur
aus dem schmerz des herzens
was wehtut
heilt
und erinnert uns daran
dass es nur um eines geht:
um neuanfang
und dann wieder einen neubeginn
wenn mich der ozean stranden lässt
vertraue ich auf den sand
dass er meine kanten glättet
mich aus der verleugnung befreit
und mir die wahrheit zeigt
während mut und selbstvertrauen
mein herz entzünden
zusammenziehen und sich ausdehnen
so kommt das licht hinein
und die stille
nach so viel um-sich-schlagen
kann der leib nun
sich den kummer aus den knochen wringen
wenn die freiheit hereinbricht
mögen die schatten verbleiben
kenne den sog deines strauchelns
wenn du das dunkel sezierst
und vergiss nicht
dass du immer die kraft hast
zu wählen
was du mit dir beginnst
die wolken legen die sicht frei
wenn du zum aufstieg bereit bist
jetzt ist die zeit
das wunder zu schauen
im moment seines entstehens
so
werde ich
wiedergeboren
und wir gehen zusammen
voll mut in den morgen
aus der tiefe der nacht
gemeinsam vereint
im eigenen licht
NANCY LEVIN, Autorin von Writing for My Life
Vorwort
Mit diesem aufschlussreichen Buch legt meine Freundin und Kollegin Debbie Ford den ebenso inspirierenden wie pragmatischen Entwurf eines mutigen Lebens vor. Kapitel für Kapitel hält sie uns dabei durch ihre unerschrockene Ehrlichkeit in Atem. Und sie lässt wirklich nichts aus. Hier erfahren Sie alles, was Sie je brauchen werden, um selbstbewusst und aufrecht durchs Leben gehen zu können.
Debbie berichtet, wie es ihr gelang, ihre Ängste zu überwinden und sich in eine starke liebevolle Kriegerin zu verwandeln. Dabei kämpft sie mit harten Bandagen und hält nichts zurück. Ich war angenehm überrascht, als ich feststellte, dass sich die Kämpfe, an denen sie uns teilnehmen lässt, direkt gegen ihren eigenen früheren Kleinmut richten.
Eigentlich habe ich Debbie nichts hinzuzufügen. Ihr Entwurf für eine couragierte Lebensführung ist einfach komplett. Wenn Sie ihn lesen und praktisch umsetzen, kann ich Ihnen versichern, dass Sie nach und nach immer besser in der Lage sein werden, allen Herausforderungen, mit denen das Leben Sie konfrontiert, stärker, selbstbewusster und – ja, auch das – mutiger zu begegnen.
Ich würde aber gern etwas darüber sagen, wie Debbie Ford dieses Konzept selbst anwendet. Als ich ihr Buch gelesen habe, war ich überrascht, mit welcher Entschiedenheit sie bereit war, jegliche Vorsicht beiseite zu lassen. Auf den folgenden Seiten lässt sie buchstäblich alles raus. Und sie legt dabei einen Mut an den Tag, den man selten findet, insbesondere unter Autor(inn)en, die so bekannt sind wie sie.
Schon seit Jahrzehnten sage ich meinen Zuhörern, dass sie bereit sein müssen, ihr Selbstbild zu verändern, wenn sie etwas Außergewöhnliches erreichen wollen. Und um das tun zu können, müssen sie begreifen, dass sich ihr Selbstbild aus all den Dingen zusammensetzt, die sie für wahr halten. Wenn ihre Existenz also gewöhnlich und banal ist und nicht von ihrer göttlichen Lebensaufgabe geleitet wird, sollten sie sich klarmachen, dass es ihre inneren Wahrheiten waren, die sie genau dorthin gebracht haben. Möchten Sie Ihr Leben auf eine höhere Ebene heben, stehen demnach auch Sie vor der Aufgabe, Ihr Selbstbild zu verändern. Und das bedeutet, dass Sie sich von dem lösen müssen, was Sie bislang für wahr gehalten haben.
Das setzt eine Art von Mut voraus, wie ihn nur die wenigsten aufbringen wollen oder können. Denn die Aussage »Was ich früher für unumstößlich wahr gehalten habe, hat sich als Irrtum herausgestellt« bedeutet nichts weniger als den Abschied von der eigenen Geschichte. Sie beinhaltet nicht nur eine Veränderung des Verhaltens, sondern auch das Eingeständnis, dass all die Dinge, die man früher für richtig gehalten hatte, Lügen waren – Lügen, die einen Lebensstil hervorbrachten, der praktisch immer in irgendeine Katastrophe führte. Dieses Sich-Lossagen von alten Lebenslügen und die Akzeptanz neuer Wahrheiten ist echte Courage, vor allem für eine so kompetente und bekannte Persönlichkeit wie die Autorin des Buches, das Sie gerade in der Hand halten. Aber genau das tut Debbie Ford hier. Und zwar hat sie nicht nur ihr eigenes Selbstbild verändert und neue Wahrheiten erkannt, sondern sie zeigt Ihnen auch auf brillante Weise, wie Sie ihrem Beispiel folgen können.
Debbie Fords Mut liegt in ihrer geradezu brutalen Ehrlichkeit. Von diesem Mut konnte ich mir vor nicht allzu langer Zeit am Omega Institute im Staate New York einen sehr persönlichen Eindruck verschaffen. Sowohl Debbie als auch mir hat das Leben die Chance gegeben, tief in uns zu gehen, uns mit unserem göttlichen höheren Selbst zu verbinden – dem Gott in uns – und die uns übertragene Aufgabe als spirituelle Lehrer zu erfüllen.
Als wir den mystischen Lehrer John of God, der aus Brasilien zu Besuch war, trafen und er göttlich geführte Heilsitzungen für uns abhielt, hatte Debbie die Hütte neben der, die ich mit meiner spirituellen Partnerin Mira teilte. Tag für Tag besuchten wir sie und standen neben ihrem Bett, während sie sich von ihrer »geistigen Operation« erholte. So wurden wir Zeugen des phänomenalen Mutes, den sie an den Tag legte, als ihr Körper, der seit Jahren von einem seltenen Krebs verwüstet wurde, die Eingriffe verarbeiten musste, die John of God für sie vorgenommen hatte.
Debbie hat sich nie beklagt; für jeden Moment ihres Lebens war sie dankbar, und obwohl es ihr ganz offensichtlich sehr schlecht ging, war sie nun bereit, über ihren langen Kampf mit diesem Krebs zu sprechen, den sie bislang verschwiegen hatte, weil sie die Meinungen und Projektionen der Leute fürchtete. Aber damit war nun Schluss. An die Stelle ihrer früheren Ängste trat die Liebe, eine neue himmlische Liebe, die aus ihrem Mut resultierte, einfach nur sie selbst zu sein und um ihre wahre Bedeutung zu wissen.
Da standen wir also an ihrem Bett und beobachteten, wie diese schöne Frau all das praktizierte, was sie in diesem Buch so klar und umfassend beschreibt – und was die alte Spruchweisheit schön zusammenfasst, die da lautet: »Die Angst klopfte an die Tür. Die Liebe öffnete, aber da war niemand.«
Nehmen Sie sich Debbies kluge Ratschläge zu Herzen. Trennen Sie sich von allen vermeintlichen Wahrheiten, die nichts als Selbsttäuschungen sind. Die eigentliche Wahrheit lautet: Gott ist in Ihnen. Sobald Sie diese Überzeugung leben, wird alles gut. Das ist wahrer Mut.
Ich liebe dieses Buch. Ich liebe die Art, wie es geschrieben ist. Vor allem aber liebe ich dich, Debbie Ford. Du bist eine Inspiration für mich.
Wayne Dyer
Dieser Brief ist für Sie, liebe Leserin!
Am 24. September 2010 ahnte ich noch nicht, was für eine grauenhafte Höllenfahrt mir bevorstand. Ich hielt mich für eine starke, mutige Frau, die über genügend Selbstvertrauen verfügte, um alles, womit sie es zu tun bekam, gut bewältigen zu können. In meinen Zwanzigern hatte ich erfolgreich eine Suchterkrankung bekämpft, in den Dreißigern eine herzzerreißende Scheidung durchgemacht und in den Vierzigern einen erschütternden Vertrauensbruch erlitten. All diese traumatischen Erfahrungen hatte ich nicht nur überlebt, sondern durfte sie auch nutzen, um andere Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Nun würden die Jahre zwischen fünfzig und sechzig ein Kinderspiel sein, dachte ich.
Alles fing damit an, dass ich tagelang darauf wartete, das Okay meines Arztes für einen Flug nach Istanbul zu erhalten. Ich hatte nämlich vor, ein paar Tage Urlaub zu machen, bevor ich mich auf eine Vortragsreise durch Europa begeben wollte. Dr. Paul Speckard gab mir allerdings keineswegs grünes Licht, ganz im Gegenteil. Der Arzt, der immer von mir sagte, ich hätte mehr Mut als Verstand, kündigte mir an, dass ich bei der Landung sofort ins Krankenhaus eingeliefert würde. Aber ich hatte mich fest mit meinen Freunden Leinia und Stephen verabredet, um gemeinsam mit ihnen eine Kreuzfahrt durch die Ägäis zu unternehmen, und danach warteten Lehrverpflichtungen in Kopenhagen und Holland. Die Vorstellung, mein Wort brechen zu müssen, machte mich todunglücklich.
Aus heutiger Sicht hätte mich die Sorge, die ich in den Augen des Arztes gelesen hatte, alarmieren müssen. Dem war aber nicht so. Ich hielt mich für unbesiegbar, glaubte fest daran, dass mir schon nichts passieren würde, und überhaupt … die anderen hatten ja keine Ahnung. Ich war doch nur wegen einer Lungenentzündung beim Arzt gewesen, bestimmt bloß eine hartnäckige Erkältung, reine Routine. Als er mich für weitere Untersuchungen ins Krankenhaus überwies, begriff ich den Ernst der Lage immer noch nicht. Sauer und angefressen über den ganzen Druck, den die Ärzte, aber auch meine Angehörigen auf mich ausübten, ließ ich mich schließlich widerwillig von meiner Mutter in die Klinik fahren, wo ich, wie es hieß, höchstens ein paar Tage bleiben sollte.
Nicht einmal vierundzwanzig Stunden später fand ich mich in einem OP-Saal wieder. Sie rammten mir Schläuche in den Körper und ließen mehr als drei Liter Flüssigkeit aus meinem Brustkorb abfließen.
Als ich nach dem Eingriff in meinem Krankenhausbett lag, wollte mir beim besten Willen nicht in den Kopf, dass etwas so Simples wie eine Erkältung ein solches Nachspiel hatte haben können. Keine Ahnung, warum mich die Hundertschaften von Ärzten und Ärztinnen, die kamen und meine Krankenakte studierten, alle mit dermaßen ernsten Mienen betrachteten. Und warum ging es mir immer schlechter, obwohl doch eigentlich alles besser werden müsste? Weshalb wurde ich von Tag zu Tag schwächer? Sollte es etwa an dem Umstand liegen, dass ich trotz meiner krampfhaften Versuche, es zu leugnen, zu verdrängen und zu unterdrücken, Krebs hatte?
2001 war bei mir ein riesengroßer Unterleibstumor diagnostiziert und entfernt worden. Er war zwar bösartig, hatte man mir damals gesagt, hätte sich allerdings »verkapselt«, was so viel heißen sollte wie: Nach der Operation würde der Krebs weg sein. Also musste ich mich nur jedes Jahr untersuchen lassen, um sicherzustellen, dass nicht wieder ein Tumor entstand. Dass das je der Fall sein könnte – auf die Idee wäre ich nie gekommen. Und für mich war dieses Geschwür, das ich mal gehabt hatte, auch nie Krebs, obwohl man mir das oft genug sagte. Wenn ich auf irgendwelchen Formularen bei Ärzten die Kästchen mit meinen Vorerkrankungen ankreuzen musste, ließ ich das »Krebs«-Kästchen immer leer.
Viereinhalb Jahre nach der damaligen OP musste ich wieder einmal zu einer Nachuntersuchung. Anschließend rief mich der Arzt an und sagte: »Heben Sie mal den linken Arm und tasten Sie Ihre Achselhöhle ab.« Er verkündete mir, ich hätte dort und an drei weiteren Körperstellen wieder einen Tumor, einen an der Milz und zwei im Unterleib. Ich konnte das nicht begreifen und spielte diese Geschwülste den wenigen Menschen gegenüber, mit denen ich überhaupt darüber sprach, herunter. Doch obwohl ich der Tatsache, dass ich Krebs hatte, wenig Bedeutung beimaß, suchte ich verschiedene Heiler auf. Mein Freund Deepak Chopra schickte mich zu Dr. Daniel Vicario, einem geradezu heiligen Onkologen, der mit mir betete, an dessen Behandlungspläne ich mich allerdings nicht hielt. Und die Medikamente, die er mir verschrieb, nahm ich auch nicht. In meiner Freizeit flog ich mit Deepak und Dr. David Simon nach Boston, um mit den Experten vom Dana-Farber Cancer Institute über diese äußerst merkwürdigen Tumore zu sprechen, die anscheinend allen ein Rätsel waren. Als mir weder die Äußerungen der Ärzte dort noch die Medikamente, die sie mir empfahlen, zusagten, begab ich mich auf eigene Faust ins MD Anderson, das andere führende Krebsinstitut. Das verließ ich dann aber auch schnell wieder, weil ich noch alle Haare hatte und weil ich mich nicht so krank fühlte wie die anderen Patienten und weil die herkömmlichen Chemotherapien bei mir eh nicht anschlagen würden.
Vom Kopf her wusste ich zwar, dass ich besorgt sein und dass meine Gesundheit Vorrang haben müsste, aber bis ins Gefühl ist mir das nicht vorgedrungen. So richtig begriff ich es nie.
Als kleines Kind hatte ich die unterschiedlichsten Wehwehchen und war eigentlich ständig krank. Weil ich im Vergleich zu meinen großen, starken, muskulösen Geschwistern so mager war und nicht einmal armselige vierzig Kilo auf die Waage brachte, wurde ich oft »Hänfling« genannt. Irgendwann in meinem zweiten Lebensjahrzehnt beschloss ich dann, nie wieder krank zu werden. Und so kam es, dass außer meiner Familie sowie einigen sehr engen Freunden und Kollegen niemand wusste, dass ich unter diesem seltenen Weichteilsarkom (Hämangioperizytom) litt – weil ich mich selbst weigerte, es zur Kenntnis zu nehmen. Ich hatte es komplett verdrängt, aber wirklich komplett. Im Laufe der Jahre trat es immer weiter in den Hintergrund.
Und jetzt teilten die Ärzte Julie, meiner Assistentin, die bei mir im Krankenhaus war, mit, dass sich die Flüssigkeit in meiner Brusthöhle sowie der Tumor an der Brustwand bereits durch die Rippen gefressen hatten, sodass mein einer Lungenflügel kollabiert war, was wiederum dazu geführt hatte, dass es überhaupt zu der Lungenentzündung kommen konnte. Sie vermochten sich diese Flüssigkeit, die sie abgelassen hatten, zwar nicht recht zu erklären, der vorherrschenden Theorie zufolge stammte sie jedoch von dem Tumor. Und so war ich wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus gekommen und musste wegen des Krebses bleiben. Weil mein Onkologe zu weit entfernt wohnte, um mich zu behandeln, empfahl mir Dan Bressler, ein anerkannter Internist und der Vater meines Sohnes Beau, dringend, mich dem smartesten Neuzugang der Klinik vorzustellen, der Onkologin Dr. Marin Xavier. Als ich sie traf, hatte ich sofort das Gefühl, dass sie intelligent, positiv eingestellt, sehr engagiert und bereit war, diesen Kampf mit mir zusammen durchzustehen. Sie versicherte mir, dass sie alles dafür tun würde, einen Angriffsplan gegen diese seltene und unheilbare Form von Krebs aufzustellen.
Gegen Ende meines Klinikaufenthaltes besuchte mich ein Vertreter der Palliativmedizin, die sich darauf konzentriert, das Leiden der Patienten zu lindern. Für ihn war ich dem Tod geweiht. Er kam überhaupt nur bei mir vorbei, wie er sagte, um alles Nötige für meine Überstellung in ein Hospiz vorzubereiten. Ich schaute ihn an, als hätte er sie nicht alle. Schließlich war ich nur wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus gekommen, und die brachte ich immer noch nicht in Zusammenhang mit dem Krebs. Der Blick, den ich meiner Assistentin zuwarf, war eindeutig: Der ist doch verrückt, oder? Worauf der Arzt meinte, er wüsste zwar, dass ich sehr an diesem ganzen Positiv-Denken hing, aber irgendjemand müsste mir ja schließlich reinen Wein einschenken. Er erkundigte sich, ob mein Sohn, mein schöner, wunderbarer Beau, schon Bescheid wisse und ob er bereit sei, mich gehen zu lassen. Denn seiner Meinung nach hätte ich höchstens noch zwei, drei Wochen, maximal einen Monat. Während er immer weiter redete und redete, hob ich plötzlich die Hand.
»Hören Sie«, sagte ich, »für mich ist dieses Gespräch jetzt beendet. Für wen halten Sie sich eigentlich, dass Sie mir sagen wollen, wie lange ich noch leben werde? Meinen Sie etwa, Sie sind Gott?«
Ich sei einfach nicht bereit, den Tatsachen ins Auge zu blicken, hielt er mir konsterniert entgegen. Und ich wiederholte, dass mir an einer Weiterführung des Gesprächs nichts lag.
Als er gegangen war, fragte ich Julie, die neben meinem Bett saß: »Muss ich wirklich sterben?« Das hat mir keiner gesagt, dachte ich bei mir. Dann rief ich meinen Exmann an und fragte auch ihn, ob er meine, dass ich sterben müsse. »Das müssen wir alle«, antwortete er, »die Frage ist nur: wann.« Als ich ihn dann fragte, ob er denn meine, dass es bei mir sehr bald der Fall sein würde, sagte er: »Nein.«
Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, bat ich Julie, die Telefonnummer von Dr. Xavier, meiner neuen Kampfgefährtin, für mich zu wählen. Auch ihr stellte ich die Frage: »Glauben Sie, dass ich bald sterben werde? Dieser Typ, der eben bei mir war, hat nämlich gesagt, ich müsste in ein Hospiz und mich schleunigst auf den Tod vorbereiten.«
»Kommt ja gar nicht in die Tüte«, gab Marin zurück.
Warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil mir endlich klar geworden ist, dass Verdrängen nichts bringt. Das Universum versuchte schon lange, mich dazu zu bringen, dass ich die Scheuklappen ablege und mich auf meine Gesundheit, mein Leben konzentriere.
Immer noch im Krankenhaus konnte ich vor lauter Schwäche und Erschöpfung kaum laufen. Ich war in den Körper meines zehn Jahre alten Selbst zurückgekehrt, abgesehen davon, dass ich diesmal nicht nur mager war, sondern auch total schlapp. Und das Einzige, was ich tun konnte, bestand darin, mich zu ergeben, loszulassen und auf Dr. Xavier zu hören. Ich weinte Sturzbäche.
Ich begriff einfach nicht, dass ich noch vor einem Monat top in Form war, und das, obwohl ich gewusst hatte, dass unablässig vier Tumore in mir wuchsen. Wie schnell sich alles verändert hatte! Als ich zwei Wochen später und neun Kilo leichter schließlich nach Hause durfte, verfiel ich in eine schwere Depression. Es gab Momente, in denen es mir egal war, ob ich weiterleben oder sterben würde. Zwar konnte ich mir nicht vorstellen, meinen Sohn allein zu lassen, abgesehen von Beau aber sah ich in gar nichts mehr einen Sinn. Es schien mir so, als hätte ich meine Mission erfüllt, der Welt etwas zurückzugeben, und könnte von Glück sagen, dass ich hatte acht Bücher schreiben, Hunderte Seminare und Zigtausenden von Menschen helfen dürfen.
Monatelang lag ich nur im Bett und versuchte, wieder zu Kräften zu kommen, dann versuchte ich es mit dem Gehen, damit, irgendeine Energiequelle aufzutun, neuen Lebenswillen zu finden. Und während ich so dalag, schälte sich die Person, als die ich mich gekannt hatte, Schicht für Schicht von mir ab. Die Dinge, die mich interessiert hatten, der bisherige Ablauf meiner Tage, meine Art zu leben überhaupt – all das fiel von mir ab. Ich brachte nicht einmal mehr die Kraft auf, mein iPhone in der Hand zu halten. Geschweige denn, ein Telefongespräch zu führen oder eine SMS zu versenden. Vorträge halten, Manuskripte schreiben, Treffen mit Freunden – gar nicht daran zu denken. Alles, was einmal so einfach war – über die Treppe mein Schlafzimmer zu erreichen beispielsweise –, stellte plötzlich eine gewaltige Herausforderung dar. Vorher hatte ich noch so krank sein können, die Kraft, einen Workshop abzuhalten, fand ich immer noch. Und jetzt, nur wenige Monate später, brachte ich die Energie dafür partout nicht mehr auf. Und es interessierte mich nicht einmal besonders.
Selbst mein Aussehen und mein Körper veränderten sich. Aufgrund der Medikamente, die ich nahm, neigte ich plötzlich zu Blutergüssen. Die Struktur meiner Haare war nicht mehr dieselbe. Ich bekam einen Blähbauch. Außerdem ein »Mondgesicht«. Das war überhaupt das Schlimmste – der Verlust meiner Schönheit, die Tatsache, dass mein innerer Zusammenbruch auch äußerlich zu sehen war. Im Spiegel erkannte ich mich selbst nicht mehr. Dinge, die ich einmal geliebt hatte, widerten mich plötzlich an. Und ich konnte mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, selbst für den Fall, dass man ein Mittel gegen diesen Krebs finden würde. Meine Welt bestand nur noch aus Einsamkeit und Isolation; von den meisten Menschen schottete ich mich ab, verheimlichte ihnen meine Krankheit. Alles an mir war geschwächt – mein Körper, mein Geist, meine Seele. Und auf meinen Willen kam es überhaupt nicht mehr an.
In diesem Zustand hatte ich nichts mehr von meiner üblichen Begeisterung für das Leben, sondern bestand praktisch nur noch aus Angst. Insbesondere nachts hörte ich sie brüllen. Ihre Stimme klang höchst alarmierend: »Wer braucht so was? Dein Leben lohnt nicht mehr. Du schaffst es eh nicht. Von den Medikamenten, die du nimmst, wird dir übel. Du bist einfach nicht stark genug. Dir kann nichts mehr helfen.« Die Erfahrungen mit Tumoren, die plötzlich auf wundersame Weise einfach verschwanden, von denen meine spirituellen Lehrerkollegen und -kolleginnen berichteten, würde ich nicht machen und nicht machen können.
Schließlich bat ich meine liebe Freundin Cheryl Richardson um Unterstützung. Wir beschlossen, dass sie mir positive Gedanken schicken würde, ohne dafür irgendeine Gegenleistung zu erwarten. Und so erhielt ich jeden Tag von ihr per SMS eine wunderbare Affirmation nebst Emoticon. Ich wurde ermutigt, positiv zu denken, mir alles Gute, das es in meinem Leben gab, aufzuschreiben, mich für das Vertrauen zu entscheiden.
Ich begann mich wie ein Chamäleon ständig zu verändern. An einem Tag war ich obenauf, am nächsten völlig down und am dritten irgendwo in der Mitte.
Wenn ich heute, anderthalb Jahre später, auf diese Zeit zurückblicke, ist mir klar, dass ich mich damals – anders, als das hier eben klang – für unglaublich mutig und tapfer gehalten hatte. Ich dachte, jederzeit aufstehen und alles abwenden zu können. Dabei war ich in Wirklichkeit gelähmt vor Angst, unfähig, das laute Geplapper in meinem Inneren oder auch die große Resignation, die von mir Besitz ergriffen hatte, abzuschütteln.
Allmählich sprach sich meine Krise auch im Kreis meiner Kolleginnen und Kollegen herum. Und bald schon spürte ich ihre Liebe und Freundlichkeit. Jeder dieser Menschen hatte mir eine Weisheit zu bieten, die ich dringend brauchte. Doch obwohl ich der Liebe begegnete, ließ ich mich immer noch von den Stimmen in meinem Kopf niederdrücken.
Nachdem ich meine Kraft wieder zurückgewonnen hatte, war ich in der Lage, auf einer I-Can-Do-It!-Konferenz, die vom Hay House organisiert wurde, einen Vortrag zu halten. Es war wunderbar.
Im Zuge dieser Tagung traf ich auch auf Wayne Dyer, der für mich zu diesem Zeitpunkt noch eher ein Bekannter als ein Freund war. Aber jemand, den wir beide gut kannten, empfahl mir, ihn anzusprechen. Also ging ich auf ihn zu, und Wayne schaute mich mit seinen liebevollen, heiligen Augen an. Er schenkte mir eine warmherzige, einfühlsame Umarmung und sagte: »Es gibt da etwas, was ich gern mit dir teilen würde.«
Wayne erzählte mir von seinen Erfahrungen mit John of God, einem kraftvollen Medium und Heiler aus Brasilien, und auch davon, wie es war, als sich sein Herz öffnete. An diesem besonderen Wochenende, an dem ich von Wayne Dyer und seinem heiligen Heiler berührt wurde, begann sich meine Haltung zu verändern. Von da an war ich nur noch auf Gesundung aus und suchte nicht mehr nach Gründen.
Mir wurde auch klar, dass mich der Mut verlassen hatte. Ich war einfach nicht mehr furchtlos, sondern steckte voller Ängste. Seit Jahren hatte ich anderen Lektionen über Selbstvertrauen, Stärke und Visionen erteilt, hatte Bücher darüber veröffentlicht und Menschen beigebracht, wie sie schwierige Zeiten überstehen können. Und da stand ich nun, mitten in meinem eigenen Kampf – und war unfähig, nach meinen eigenen Erkenntnissen zu leben.
Doch mithilfe des Wissens, an dem ich Sie in diesem Buch teilhaben lasse, gelang es mir schließlich, die Kontrolle wiederzuerlangen und etwas Wesentliches zu erkennen. Ich erkannte, dass ich nichts anderes getan hatte, als mich für die Angst zu entscheiden.
Mit dieser Wahrheit gab es viel für mich zu tun, und zwar sowohl im Innen als auch im Außen. Ich hatte so vieles zu lernen. Ohne jeden Zweifel war ich immer zu verbissen und viel zu schnell unterwegs gewesen. Und weil ich so wenig Respekt gegenüber meiner Gesundheit empfand, hatte ich alle Hinweisschilder überfahren und jede Mahnung, mir mehr Freizeit zu gönnen, ignoriert. Aber sogar wenn einmal eine Lücke in meinem Terminplaner war, füllte ich sie sofort mit neuen Projekten, was dazu führte, dass ich meine Bedürfnisse sowie meine Gesundheit nur noch mehr in den Hintergrund verbannte.
Eine der wichtigsten Lektionen, die mir in den fast zwölf Monaten, die ich im Bett lag, erteilt worden waren, bestand darin, Liebe anzunehmen. Dass es überall auf der Welt Menschen gab, die mich einfach nur liebten, die mich segneten und für mich beteten, veränderte mein ganzes Leben.
Ich hätte nie gedacht, dass jemand so viel weinen könnte, wie ich es in dieser Zeit getan hatte, aber es waren Freudentränen, die ich vergoss: Tränen der großen Freude über mein Erwachen. Endlich erkannte ich, wie sehr ich dichtgemacht hatte.
Mir wurde klar, dass ich es im Grunde immer allen hatte recht machen wollen, was ich nie von mir gedacht hätte, im Gegenteil. Also hörte ich auf, anderen meine Hilfe anzubieten, bevor ich mich um mich selbst gekümmert hatte. Ich erkannte, dass die ganzen Dinge, die ich seit Jahren gepredigt hatte, auch auf mich zutrafen. Wie ich in meinem ersten Buch geschrieben habe: »Befolgen Sie die Lektionen, die Sie anderen erteilen.« Diesen Prozess des Erwachens fand ich einfach wunderbar.
Bevor das alles geschah, konnte nur mein Lektor Gideon Weil auf die Idee kommen, mich zu bitten, ein Buch über Mut zu schreiben. Das wird ein Spaziergang, dachte ich, denn schließlich hatte ich zu diesem Thema einiges zu sagen. Was ich zu der Zeit aber nicht wusste: dass ich selbst eine ganz neue Art von Selbstvertrauen und Courage brauchen würde, um weiterzuleben.
Nachdem ich Gideon das Manuskript geschickt hatte, in dem die Krankheit mit keinem Wort erwähnt wurde, rief er mich an und fragte, ob ich offen genug sei, auch etwas über meinen Kampf gegen den Krebs zu schreiben. Da das Buch erst in einigen Monaten erscheinen sollte, stellte ich mir vor, dass es mir nicht schwerfallen würde, mich öffentlich über die Krankheit zu äußern, immerhin hatte ich ja endlich mit dem Verdrängen aufgehört.
Heute, anderthalb Jahre später, bin ich in der Lage zu erkennen, dass hinter meiner Krankheit ein göttlicher Plan stand. Ich sehe, dass mir der Umstand, zu Hause bleiben zu müssen und nicht genügend Energie zum Arbeiten zu haben, die Gelegenheit verschafft hatte, darüber nachzudenken, was mir eigentlich wirklich wichtig ist, was ich künftig tun möchte, auf welche Menschen ich Zeit und Energie verwenden will und welche Grenzen ich neu setzen muss. Von den meisten der Menschen, die früher meinem erweiterten inneren Kreis angehörten, habe ich mich gelöst, ich verlasse mich dafür umso mehr auf die wenigen, denen ich nach wie vor nahestehe. Ich habe gelernt, dass auch ich meine Kerze nicht von beiden Enden her abbrennen lassen kann. Darüber hinaus habe ich eines meiner wichtigsten Ziele erreicht: die beiden letzten Jahre vor dem College mit meinem Sohn Beau zu verbringen. Mir ist klar geworden, dass jede Entscheidung von Bedeutung ist: was ich esse, was ich sage, was ich denke, wem ich vertraue und an welchen Projekten ich arbeite. Selbst wo ich wohne ist von Bedeutung. Nachdem ich siebzehn Jahre in neun verschiedenen Häusern an einem Ort verbracht habe, den ich nicht mochte, bin ich endlich umgezogen. Dass ich den Zugang zu meiner inneren liebevollen Kriegerin gefunden habe, hat mir die Freiheit gegeben, Nein zu sagen: »Nein, das kann ich nicht.« Oder: »Nein, das tue ich nicht.« Und auch Vergebung ist von entscheidender Bedeutung, für jede(n) von uns.
Wenn ich meiner Intuition vertraue und mich auf die Stimme meines mutigen Selbst einschwinge, dann sagt sie mir: Das Wichtigste überhaupt ist, dass ich mich erstens um mich selbst, zweitens um meinen Sohn, drittens um den Rest meiner Familie sowie um meine Mitarbeiter(innen) kümmere und dann erst um alles andere.
Ich werde diesen Kampf gewinnen – Schritt für Schritt –, weil ich mich dafür entschieden habe. Wir alle sind viel, viel stärker, als wir es uns vorstellen können. Jede Entscheidung zählt.
Alles fängt mit dem Heute an. Und heute entscheide ich mich zu leben.
Debbie Ford