Band 4
Herausgegeben
von
Eiko Jürgens und Jutta Standop
Umschlag: Regina Herrmann, Esslingen
Gedruckt auf umweltfreundlichem Papier (chlor- und säurefrei hergestellt).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ›http://dnb.d-nb.de‹ abrufbar.
ISBN: 978-3-8340-0353-9
Schneider Verlag Hohengehren, Wilhelmstr. 13, D-73666 Baltmannsweiler
Homepage: www.paedagogik.de
E-Book: 978-3-8340-3004-7 (2012)
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© Schneider Verlag Hohengehren, 73666 Baltmannsweiler 2008 Printed in Germany – Druck: Hofmann, Schorndorf
Vorwort der Herausgeber
Fächer und Lernbereiche
1 |
Lernbereich Sprache |
1.1 |
Lesenlernen – Schreibenlernen |
|
(Ingrid Schmid-Barkow) |
1.2 |
Texte schreiben (Schriftliche Kommunikation) |
|
(Swantje Weinhold) |
1.3 |
Rechtschreiben |
|
(Heinz Risel) |
1.4 |
Reflexion über Sprache |
|
(Huneke, Hans-Werner) |
1.5 |
Mündliche Komunikation |
|
(Uta M. Quasthoff) |
1.6 |
Fremdsprachliches Lernen |
|
(Heiner Böttger) |
2 |
Lernbereich Mathematik |
2.1 |
Arithmetik und Sachrechnen |
|
(Christoph Selter) |
2.2 |
Geometrie: Würfelnetze |
|
(Bernd Wollring) |
3 |
Welterkundung/Sachunterricht |
|
(Astrid Kaiser) |
4 |
Musisch-ästhetische Erziehung |
4.1 |
Musik |
|
(Rudolf Nykrin) |
4.2 |
Kunst |
|
(Manfred Kiesel) |
4.3 |
Werken und Gestalten |
|
(Helga Wöhl) |
5 |
Bewegung, Spiel und Sport |
|
(Christa Kleindienst-Cachay/Dietrich Kurz/Petra Vogel) |
6 |
Religion, Ethik und Philosophie |
6.1 |
Religionsunterricht |
|
(Lothar Kuld) |
6.2 |
Ethik und Philosophie |
|
(Kerstin Michalik) |
Übergreifende Aufgabenfelder
7 |
Gesundheit |
|
(Sabine Artlieb) |
8 |
Liebe, Körperlichkeit und Sexualität |
|
(Christa Wanzeck-Sielert) |
9 |
Lebenswerte Welt: Umwelt- und Verkehrserziehung |
|
(Lars Kreft) |
10 |
Für den Menschen: Widerstandsfähigkeit/Leben in widersprüchlichen Welten |
|
(Armin Bernhard) |
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Als Hans Rudolf Becher und Jürgen Bennack im Jahr 1993 das Taschenbuch Grundschule aus der Taufe hoben, konnten sie noch nicht ahnen, dass dies der Beginn einer langen Erfolgsgeschichte sein sollte. Im Jahr 1997 kam Eiko Jürgens als weiterer Herausgeber hinzu und es entstanden die dritte und vierte Auflage.
Nachdem zuerst Hans Rudolf Becher und dann Jürgen Bennack aus Altersgründen ausschieden, stellte sich die Frage, wie es mit demTaschenbuch Grundschule weitergehen sollte. Von vornherein geklärt war allerdings die Entscheidung, das Erreichte zu bewahren und darauf aufbauend offen für neue Wege zu sein, um einerseits auf den tiefgreifenden Wandel der gesellschaftlichen Entwicklungsgeschichte, von dem in nahezu allen Bereichen auch die Grundschule als Lern- und Lebensraum betroffen ist, mit konstruktiven Lösungen zu reagieren. Andererseits um dem kontinuierlich fortgeschrittenen Prozess der Weiterentwicklung der Grundschulpädagogik angemessen Rechnung zu tragen.
Unter der Herausgeberschaft von Jutta Standop und Eiko Jürgens entstand ein neuartiges Konzept, das sich in vier Schwerpunkte unterteilt: I. Grundschule als Institution; II. Das Grundschulkind; III. Grundlegung von Bildung; IV. Fachliche und überfachliche Gestaltungsbereiche.
Dieses Vorgehen bedeutete gegenüber den vorigen Ausgaben nicht nur eine erhebliche Ausweitung des gespannten Themenbogens, sondern vor allem eine Neubestimmung des gesamten Gegenstandsbereichs derzeitiger und künftiger Grundschulpädagogik. Um zu wissenschaftlich fundierten Klärungen und praktischen Orientierungen zu gelangen, wird nun in vier Bänden, von denen jeder einzelne einer zentralen Perspektive innerhalb einer umfassenden Systematisierung des Gegenstandsfeldes gewidmet ist, der Entwicklungsstand zu den wichtigsten Grundfragen der Grundschulpädagogik forschungsorientiert, überblicksartig und praxisrelevant dargelegt.
Das vorliegende Taschenbuch zeichnet sich damit durch den Versuch aus, die traditionellen Facetten der Grundschulpädagogik um neue Fragestellungen erweitert zu haben, auch um zu belegen, dass es bei Veränderungen in der Grundschule nicht einfach um die übliche Anpassung geht, sondern vielmehr Herausforderungen auf diese Institution zukommen, die grundlegende Neuorientierungen erfordern. Der Umgang mit der Kinderarmut zählt fraglos an erster Stelle dazu, ebenso Tendenzen zur Früheinschulung und der Ausbau von Ganztagsschulen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Mit dieser Grundstruktur wendet sich das Taschenbuch an einen breiten Kreis von Leserinnen und Lesern. Besonders an Studierende und Lehrende an den Universitäten und Hochschulen, den Referendarinnen und Referendaren in der 2. Ausbildungsphase wie ihren Ausbilderinnen und Ausbildern. Selbstverständlich auch an die in der Schulpraxis Tätigen, den Lehrenden in der Fortbildung und den in der Bildungspolitik Engagierten. Wir hoffen und sind zugleich davon überzeugt, dass diese neue Ausgabe des Taschenbuchs Grundschule einen wichtigen Beitrag dazu leistet, den Anforderungen, die an den Grundschullehrerberuf gestellt werden, kompetent und verantwortungsbewusst gerecht werden zu können.
Abschließend gilt es den Personen Dank zu sagen, die das Taschenbuch ermöglicht haben. Zum einen geht unser Dank an die Autorinnen und Autoren für ihre Bereitschaft, mit ihrem Sachverstand das Werk zustande gebracht zu haben. Ebenso ist dem Verlag zu danken, dass er dem Projekt von Anfang an sehr zugetan war. Doch unseren größten Dank verdient die Projektkoordinatorin Frau Anke Wadewitz, der es mit großem Engagement gelungen ist, trotz der großen Zahl von über 80 Autorinnen und Autoren nie den Überblick zu verlieren, und der die Aufgabe zufiel, sämtliche Korrekturarbeit zu leisten. Danken wollen wir auch Frau Martina Blomeier, der Sekretärin unserer Arbeitsgruppe, die in der Schlussphase die Fertigstellung tatkräftig unterstützte.
Bielefeld |
Eiko Jürgens |
Jutta Standop |
Inhaltsverzeichnis
1 Lesenlernen und Schreibenlernen als zentrales Aufgabenfeld der Grundschule
2 Methoden und Methodenstreit – heute nur noch historisch?
3 Zum Sachgegenstand der Schriftsprache
3.1 Logographie und Phonographie
3.2 Das Schriftsystem der deutschen Sprache
4 Die Lernerperspektive des schriftsprachlichen Anfangsunterrichts
4.1 Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs
4.2 Modell des Schriftspracherwerbs
4.3 Konzeptionen des schriftsprachlichen Anfangsunterrichts
a) Fibellehrgänge
b) Spracherfahrungsansatz
c) Lesen durch Schreiben
d) Silbenanalytische Methode
5 Perspektiven
Literatur
Befragt man Kinder im Vorschulalter, wozu man in die Schule gehe, wird man wie seit jeher als Antwort erhalten „damit man lesen und schreiben lernt“. Lesen und Schreiben sind in unserer – noch immer – schriftbasierten Wissenskultur die elementaren Fertigkeiten, durch die man sich die Welt erschließen lernt.
Während früher in erster Linie von „Erstlesen“ bzw. „Erstleseunterricht“ die Rede war – das Schreibenlernen war dem nachgeordnet und primär eine Sache der feinmotorischen Übung und der Reproduktion vorgegebener Formen, spricht man heute vom Schriftspracherwerb. Damit wird verdeutlicht, dass es hier nicht um das Erlernen von „Techniken“ geht, sondern – in Analogie zum Spracherwerb – um die Aneignung der Sprache in ihrer schriftlichen Form. Dabei beinhaltet der Begriff sowohl die rezeptive Modalität des Lesens als auch die produktive des Schreibens, die interagierend erworben werden.
Der schriftsprachliche Anfangsunterricht war und ist eine Domäne der Grundschulpädagogik, ihr spezifisch sprachlicher Inhalt – die Struktur der geschriebenen Sprache und ihr Verhältnis zur gesprochenen Sprache – wiederum ist ein sprachwissenschaftlich zu fundierender Unterrichtsgegenstand und steht somit im Fokus der Sprachdidaktik.
Die Geschichte der Erstlesedidaktik ist vor allem eine „Methodengeschichte“ (Gümbel 1989).
Im 15. und 16. Jahrhundert entstanden die ersten Schulen, in denen Lesen und Schreiben muttersprachlich, d. h. in deutscher Sprache gelehrt wurde, bis dahin war die Schriftsprache als Latein den Gelehrten und dem Klerus vorbehalten. Leseschulen und Schreibschulen existierten zunächst nebeneinander, die Schreibschulen führten künftige Kaufleute und Gewerbetreibende in die Kunst des Briefeschreibens ein, die Leseschule war für die religiöse Unterweisung zuständig.
Die Schulmeister brauchten für ihren Beruf keine besondere Ausbildung und ihre Lehrmethode bestand und erschöpfte sich darin, ihren Schülern das ABC zu vermitteln.
Nach dem Auswendiglernen des Alphabets wurden die Buchstaben zu Silben verbunden und auf diese Weise schließlich Wörter erlesen. Wendeten wir diese Prozedur auf das Wort Vater an, ginge das Erlesen folgendermaßen vor sich (Gümbel 1989):
Vau – a – das heißt – Va
te – e – er – das heißt – ter
Vau – a – te – e – er – das heißt Vater.
Diese Technik sollte dann von den Schülern direkt auf das Entziffern von Texten der Bibel und des Katechismus angewendet werden können.
Diese nach heutiger Einschätzung wenig Erfolg versprechende Buchstabiermethode wurde bis ins 19. Jahrhundert beibehalten, obwohl Ickelsamer bereits 1527 eine phonologisch fundierte Lautiermethode entwickelte, die auf den phonetischen Merkmalen der zu repräsentierenden Laute basierte und nicht auf die irreführenden Buchstabennamen zurückgriff.
Leider unterlag aber auch schon Ickelsamer der Versuchung, Sprachlaute an Naturlaute zu knüpfen (z. B.: „das 1 wie der ochs lüllet“). Dieses Bemühen, die Laute mit „Sinn“ auszustatten – als Sinnlautmethode bekannt – erschwerte den Schülern ähnlich wie die oben skizzierte Buchstabiermethode die Lautsynthese: das Wort Maus über den Brummbär (m), das tut weh (au) und die zischende Schlange (s) zu erschließen, ist Schülern eher noch weniger plausibel zu machen als em – a – u – es zu „Maus“ zu verbinden.
Neben diesen einzelheitlich ausgerichteten Verfahren des Buchstabierens und Lautierens gab es schon ab dem 18. Jahrhundert Ansätze des ganzheitlichen Lehrens, die in einer zunächst ganzheitlichen Abbildung von Begriffen und der anschließende Auflösung in Einzelbestandteile die „natürliche“ Zugangsweise des Erkennens und Verstehens sahen. Artur und Erwin Kern führten die Ganzheitsmethode ab 1930 zu ihrem Höhepunkt. Von kleinen Texten aus, die viele Wortwiederholungen enthielten, wurden einzelne Wörter zunächst optisch, dann akustisch analysiert, bevor die Schüler an das Erlesen unbekannter Wörter herangeführt wurden. Die Ganzheitsmethode legte den Schwerpunkt auf die Sinnentnahme und betonte damit den semantischen Aspekt des Lesens. Die Schüler wurden angehalten, beim Lesen eine Sinnerwartung aufzubauen, was zwar das sinnentnehmende Lesen fördert, aber auch zu einer Ratestrategie führen kann und einer differenzierten Einsicht in den Aufbau der Schriftsprache entgegen wirkt – mit unliebsamen Folgen v. a. für die Rechtschreibentwicklung.
Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern der synthetischen (einzelheitlichen) und der analytischen (Ganzheits-)Methode, bis sich die Einsicht durchsetzte, dass das Lesen sowohl lautsynthetisierende als auch lautanalytische Prozesse umfasst und sich in den Leselernwerken die methodenintegrierenden Verfahren durchsetzten.
Dafür wurde ab den 80er Jahren die Fibel als Medium des schriftsprachlichen Anfangsunterrichts in Frage gestellt. Mit den abwertenden Termini „Fibeldadaismus“ und „Fibeltrott“ wurde das restringierte Sprachangebot und das gleichschrittige Vorgehen der Fibellehrgänge kritisiert, in denen die individuellen Lernwege und Lösungsstrategien der Kinder keine Berücksichtigung fanden.
Die kommunikative Wende in der Deutschdidaktik und eine konstruktivistische Sicht des Lernens verlangten eine Öffnung des Unterrichts, die den Kindern einerseits die Schrift als Kommunikationsmittel erschloss und andererseits den Erwerb der Schriftsprache in selbstbestimmten Lernaktivitäten vorsah. Der Erwerb der Schrift wurde nicht länger als Summe zu erlernender Teilleistungen betrachtet, die als optische, akustische Wahrnehmungsprozesse und feinmotorischer Koordinationsleistungen zu definieren waren. Lesen- und Schreibenlernen wurde als Denkentwicklung, der Erwerb der Schrift als kognitiver Problemlöseprozess begriffen.
Offene Lernkonzepte wie der Spracherfahrungsansatz und das Konzept Lesen durch Schreiben stehen momentan dem silbenbasierten Ansatz des Schriftspracherwerbs und den nach wie vor fibelorientierten Unterrichtskonzepten gegenüber. So wird die Didaktik des schriftsprachlichen Anfangsunterrichts gegenwärtig bestimmt durch das Spannungsverhältnis zwischen einer verstärkt sachstrukturellen Orientierung, die sich auf den linguistischen Gegenstand der Schriftsprache bezieht, und einer aneignungsbezogenen Zentrierung auf entwicklungspsychologische und kognitivistische Aspekte der Lernerperspektive.
Um die Logik und Funktionsweise unseres Schriftsystems besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Schriftgeschichte und auf andere Schriftsysteme. So kann man erkennen, dass unsere Art und Weise Sprache zu verschriften nicht die einzig mögliche ist, Sprache auf Papier (oder ein anderes Material) zu bannen und dass die Schriftsprache nicht einfach ein Abbild der gesprochenen Sprache ist.
Nach Haarmann (1991) gilt es grundsätzlich zwei große Kategorien von Schriftsystemen zu unterscheiden: die Logographie und die Phonographie.
Schriftsysteme, die man als Bilderschrift bezeichnen könnte, wie die Keilschrift oder das Chinesische sind logographische Schriften.
Die Logographie orientiert sich an der Wortbedeutung, wobei ein Schriftzeichen für ein Wort steht. Dadurch unterscheiden sich logographische Schriften von anderen bildlichen Darstellungen, bei denen der Bezug zur Sprache nicht festgelegt ist.
Verschiedene Formen der Logographie sind:
– Piktogramme (diese bilden das bezeichnete Ding direkt – bildhaft, ikonisch – ab)
– Ideogramme (zwischen dem Bild und dem Bezeichneten gibt es keine direkte Beziehung, aber eine natürliche assoziative Verbindung. Beispiele: altsumerisch „Fuß“ für gehen, im Ägyptischen für dieselbe Bedeutung „zwei laufenden Beine“, oder schon etwas willkürlicher im Chinesischen „zwei Frauen“ für Zank. Die Zeichen sind konventionalisiert und kulturspezifisch.)
– Abstrakte Symbole (spätere Keilschrift, moderne chinesische Schriftzeichen, oder logographische Zeichen in unserer Schrift: §, %, &, +, =)
Die Phonographie hingegen orientiert sich an der Lautstruktur der zu schreibenden Wörter.
Phonographische Schriftsysteme sind jünger, sie haben sich später entwickelt.
Die Hinwendung zur lautlichen Struktur der Sprache war für die Entwicklung der Schrift und für die Ausbildung der sprachlichen Grammatik folgenreich, denn durch die Abbildung von Lautstrukturen werden lautliche Einheiten sichtbar gemacht. Durch diese Visualisierung werden sie auch auditiv bewusster wahrgenommen, so dass durch die Schrift eine Vorstellung von den lautlichen Segmenten der Sprache aufgebaut werden kann; die Folge ist, dass wir Sprache durch den Filter der Schrift hören.
Lautabbildung in der Schrift (Phonographie) ist auf verschiedene Weise möglich, die Wiedergabe der kleinsten lautlichen Segmente mit Hilfe des Alphabets ist davon nur die genaueste und ausgefeilteste Methode. Andere Sprachsysteme verwenden zur Abbildung von Lautstrukturen Silben- oder Segmentalschriften.
Verschiedene Formen der Phonographie sind:
– Segmentalschrift (Wiedergabe des Konsonantengerüsts von Wörtern, geeignet für semitische Sprachen, die wenige Vokale enthalten, z. B. hebräisch)
– Silbenschriften (alte Form: Linear B auf Kreta; heutige Silbenschriften Katakana und Hiragana im Japanischen)
– Alphabetschriften (Buchstabenschriften)
Hier wurden der Segmentalschrift, die aus einem anderen Sprachsystem übernommen wurde, der besseren Lesbarkeit willen Vokalzeichen hinzugefügt. Das lateinische Alphabet wurde von den Römern in ganz Europa verbreitet. Geschriebene Sprache war bis ins Mittelalter in Europa lateinische Sprache, erst mit der Reformation setzte sich vermehrt die Schreibung deutscher Sprache durch – natürlich auf der Grundlage des lateinischen Alphabets, das zur Abbildung der deutschen Lautstrukturen allerdings nur bedingt tauglich ist.
Das deutsche Schriftsystem gehört zu den phonographischen, genauer gesagt zu den alphabetischen, wodurch sich die Schreibung deutscher Wörter aber nicht gänzlich erklärt, wie sich im Folgenden zeigen wird.
Das Schriftsystem des Deutschen wird im Wesentlichen durch zwei Prinzipien bestimmt:
das Lautprinzip und das Stammprinzip.
Das Lautprinzip bezieht sich auf die phonographische Komponente unserer Schrift, die mit Hilfe des alphabetischen Inventars die Laute, aus denen die Wörter bestehen, abbildet. Die Buchstaben lassen sich nicht auf die realisierten Laute (Phone) beziehen, sondern korrespondieren mit abstrakten lautlichen Einheiten des Sprachsystems: den Phonemen. Daher sprechen wir auch vom phonologischen oder phonematischen Prinzip. Andererseits beziehen sich Phoneme nicht auf Buchstaben, sondern auf abstrakte Einheiten des Schriftsystems: die Grapheme, die wiederum aus mehreren Buchstaben bestehen können, so gilt z. B. ‹ff› als ein Graphem, das das Phonem /f/ repräsentiert.
Den 26 Buchstaben aus dem lateinischen Alphabet stehen ca. 40 Phoneme der deutschen Sprache gegenüber. Zwischen Buchstaben und Lauten besteht also keine 1 : 1 Relation; für manche Buchstaben des Alphabets gibt es keine lautliche Entsprechung, die nicht auch durch andere Buchstaben ausgedrückt werden könnte (z. B. das c, v, x, y), für andere Laute des Deutschen „fehlen“ wiederum eigene Buchstabenzeichen (z. B. für das Phonem /Σ/, das durch das dreigliedrige Graphem ‹sch›, das aus 3 einzelnen Buchstabenzeichen besteht, bezeichnet wird).
Die Regeln der Graphem-Phonem-Korrespondenzen sind also komplex.
Eine besondere Schwierigkeit ist die Kennzeichnung der Vokalqualität, da es jeweils nur ein Vokalzeichen für unterschiedliche Vokalphoneme gibt, besonders „vieldeutig“ ist das ‹e›, das für die Phoneme /e/, /≅/, und /E/ benutzt wird.
Im Stammprinzip zeigt sich die bedeutungsabbildende Komponente der Schrift, wie wir sie in den logographischen Schriftsystemen kennengelernt haben. In der deutschen Orthographie bezieht sich die Bedeutungsschreibung nicht auf Wörter, sondern auf Morpheme als die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache, deshalb spricht man auch vom morphematischen bzw. morphologischen Prinzip der Rechtschreibung.
Das morphologische Prinzip besagt, dass sprachliche Zeichen, die Bedeutungen abbilden (= Morpheme), möglichst immer gleich geschrieben werden, was als Morphemkonstanz bezeichnet wird.
Beispiel: das Stamm-Morphem König unterliegt in den folgenden 3 Wortformen jeweils drei unterschiedlichen Ausspracheregeln, wird aber immer gleich geschrieben:
Das Morphemprinzip hat Auswirkungen auf orthographische Besonderheiten bei der Auslautverhärtung, der Lautverschmelzung an Morphemgrenzen und bei Ableitungen mit Umlautbildung.
Lesen und Schreibenlernen beginnt schon lange vor Schuleintritt und äußert sich in Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs, die sich als Literalitätserfahrungen und Formen von Sprachbewusstheit definieren lassen.
Beginnende Lesefähigkeit zeigt sich bereits, wenn z. B. ein Dreijähriges aus dem Langnese-Fähnchen am Kiosk erschließt, dass es hier Eis zu kaufen gibt. Die Informationsentnahme aus visuellen Zeichen ist ein Indiz für die Ausbildung von Symbolverständnis. Auch für die Tätigkeit des Lesens beginnen sich Kinder früh zu interessieren. Sie ahmen Erwachsene nach, tun so, als ob sie lesen. Kinder bilden also schon früh eine Vorstellung davon aus, was lesen bedeutet, wenn sie in einem schriftnahen und literal geprägten Umfeld aufwachsen.
Dem Lesen als der rezeptiven Seite des Schriftgebrauchs steht das Schreiben als produktive Seite gegenüber. Auch das Schreiben übt für Kleinkinder als Tätigkeit einen großen Reiz aus, der zum Nachahmen auffordert. Häufig sind solche frühen Schreibaktivitäten in einen funktionalen Kontext von Spielhandlungen eingebettet wie Scheck ausstellen, Hausaufgaben machen oder Rechnungen schreiben. Am Anfang geschieht dies in Kritzelschrift, später verwenden Kinder Buchstaben aus dem alphabetischen Inventar, aus willkürlich angeordneten Zeichen entwickelt sich eine lineare Anordnung von links nach rechts. Im Vorschulalter kann der eigene Name meistens schon korrekt in Großbuchstaben reproduziert werden.
Auch die Auseinandersetzung mit der lautlichen Struktur der Sprache beginnt nicht erst mit dem Schriftsprachunterricht, sondern vollzieht sich schon im Kleinkindalter auf spielerische Weise. Im Vorschulalter entwickeln Kinder Vorlieben für Reimspielereien aller Art (z. B. Neckverse), stellen Lautähnlichkeiten fest und betätigen sich auf andere Weise metasprachlich, indem sie über Bedeutungsaspekte von Wörtern nachdenken und Fragen stellen. Bei diesen metasprachlichen Aktivitäten wird die Sprache aus ihrem kommunikativen und referentiellen Kontext herausgelöst (dekontextualisiert). Die Fähigkeit zur Dekontextualisierung ist eine Voraussetzung für den Schriftspracherwerb, da Kinder hier lernen müssen, vom Inhaltsaspekt sprachlicher Einheiten zu abstrahieren und sich auf die formale v. a. lautliche Struktur von Wörtern einzulassen (z. B. dass bei Hund vorne eine /h/ ist, und nicht die Schnauze). Damit geht die Ausbildung sprachanalytischer Fertigkeiten einher. Kinder lernen aus dem lautlichen Kontinuum der gesprochenen Sprache Elemente auszugliedern, zunächst auf der Ebene der Silben und Reime (phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne), bevor sie – meist erst durch die Unterstützung des visuellen Mediums der Schrift – auch mit den lautlichen Segmenten auf der Phonemebene umgehen lernen, was einer phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne entspricht.
Es hat sich gezeigt, dass Kinder bei der Einschulung über sehr heterogene Voraussetzungen verfügen, weshalb verstärkt über kompensatorische Angebote zur Literalität und zur Förderung der phonologischen Bewusstheit in vorschulischen Einrichtungen nachgedacht wird.
Mit dem Stufenmodell des Schriftspracherwerbs legte Uta Frith 1986 ein Modell vor, das seitdem als Raster zur Beschreibung von Entwicklungsverläufen und entwicklungsbedingten Phänomen des Schriftspracherwerbs benutzt wird. Auch wenn verschiedene Autoren eine Modifikation der Termini und eine Ausdifferenzierung in der Phaseneinteilung vorgenommen haben, besteht doch weitgehend Konsens darüber, dass der Entwicklungsverlauf des Schriftspracherwerbs auf diese Weise sinnvoll modelliert werden kann. Das Modell von Uta Frith geht von drei Strategien aus, die in 3 bzw. 6 Stufen oder Phasen typischerweise beim Lesen und Schreiben angewendet werden.
Erste Phase: logographemische (oder auch logographische) Strategie
Diese bezieht sich auf das unmittelbare Erkennen bekannter Wörter und Sätze. Strategien des visuellen Gedächtnisses, die das Kind schon längst benutzt und ausgearbeitet hat, werden nun auf Geschriebenes angewendet. Dabei spielen hervorstechende visuelle Details eine wichtige Rolle, Kinder orientieren sich dabei häufig am Anfangsbuchstaben und lassen den Rest des Wortes unanalysiert, was zu typischen „Lesefehlern“ führt. Das Kind erkennt zuerst die Bedeutung des Wortes und ordnet ihm im nachgehenden Schritt eine phonologische Form zu, die wohl der Bedeutung entspricht, aber nicht unbedingt der graphematisch niedergelegten Form (z. B. „Mama“ statt Mutter).
Logographemisches Schreiben geschieht durch Abrufen visueller Gedächtnisbilder, unbekannte Wörter können mit dieser Strategie nicht verschriftet werden.
Zweite Phase: alphabetische (oder auch phonographische Strategie)
Das Kind lernt in dieser Phase, gehörte Laute in Buchstaben umzusetzen. Es muss erkennen, dass sich gesprochene Wörter aus einzelnen Lautbestandteilen zusammensetzen (phonologische Bewusstheit). Außerdem muss es das Sequenzprinzip erfassen, das die zeitliche Abfolge der Lautbestandteile in eine Graphemfolge von links nach rechts umsetzt.
Anfänger, die nach dieser Strategie verfahren, bilden beim Lesen oft eine lautliche Vorform, indem sie die einzelnen Buchstaben mit Lauten verknüpfen und diese isoliert sprechen, erst in einem „zweiten Anlauf“ gelingt die Bedeutungsentnahme, wenn die so gewonnene phonologische Form mit einer semantischen Einheit im Gedächtnis verbunden werden kann.
Mit dieser alphabetischen Strategie können Pseudowörter oder unbekannte Wörter einer Fremdsprache „erlesen“ werden, ohne dass deren Bedeutung entschlüsselt wird.
Mit Hilfe der alphabetischen Strategie können aber auch beliebige Wörter verschriftet werden, was diese Strategie für das Schreiben besonders reizvoll macht und didaktisch in dem Ansatz „Lesen durch Schreiben“ mit der Anlauttabelle nutzbar gemacht wird.
Uta Frith geht davon aus, dass die Modalität des Schreibens für die Ausbildung der alphabetischen Strategie leitend ist, während die logographemische Strategie für das Schreiben beschränkt tauglich ist und eher als Lesestrategie genutzt wird.
Dritte Phase: orthographische Strategie
Diese Strategie ist nach Uta Frith eine Synthese der beiden vorangegangenen, sie vereinigt „das Beste“ von beiden: die holistische Zugriffsweise der logographemischen und die analytische Verarbeitung von Einzelzeichen der alphabetischen Strategie verbinden sich zu einer effektiven, kombinierten Strategie.
Hier dürfte das Lesen wieder die Führung übernehmen. Da die alphabetische Strategie des Laut-für-Laut-Lesens zeitraubend und ineffektiv ist, werden Wörter von geübten Lesern automatisch in größere Einheiten wie Silben, Morpheme oder häufig vorkommende Buchstabensequenzen analysiert und einfache Wörter sofort erkannt, ohne den Umweg über die phonologische Rekodierung zu nehmen. Bei schwierigen, unbekannten Wörtern greift der geübte Leser wieder auf die alphabetische Strategie zurück.
Beim Schreiben werden jetzt zunehmend orthographische Regelhaftigkeiten berücksichtigt, phonetische Schreibungen („wie man spricht“) treten in den Hintergrund, dabei konstruieren sich Kinder die Regeln auf der Grundlage ihrer schriftsprachlichen Erfahrungen selbst, so dass es auch zu Übergeneralisierungen kommen kann (z. B. „vertig“ für fertig).
Es besteht Konsens darüber, dass im schriftsprachlichen Anfangsunterricht die alphabetische Strategie sicher ausgebildet werden sollte, da sie die Basis für die weitere Ausbildung der Lese- und Schreibfertigkeiten ist. Umstrittener ist, welche Rolle die logographische Strategie spielen sollte, welche einem ganzheitlichen Zugriff entsprechen würde. Die Konzeptionen des schriftsprachlichen Anfangsunterrichts tragen den modellhaft beschriebenen Strategien jedenfalls in unterschiedlichem Maße Rechnung.
a) Die Pattsituation, die sich aus dem „Methodenstreit“ ergeben hatte, führte zur Entwicklung methodenintegrierter Fibellehrgänge, die in der Regel analytisch-synthetisch gekennzeichnet sind. Von einfach strukturierten Wörtern ausgehend, die von Anfang an durchgegliedert werden, erfolgt ein systematischer Aufbau des Graphembestands und Sichtwortschatzes mit Übungsangeboten zur auditiven und artikulatorischen Analyse und Diskrimination von Lautgestalten und zur visuellen und graphomotorischen Erfassung graphematischer Einheiten. Häufig wird dieser systematische Lehrgang ergänzt durch Angebote zum freien Schreiben, oft unterstützt durch eine Anlauttabelle. Das Angebot an Fibellehrwerken ist unüberschaubar und lässt sich nicht unter ein gemeinsames Etikett fassen, die Anteile der synthetischen bzw. ganzheitlichen Zugriffsweise lässt sich am Steilheitsgrad des Fibelwortschatzes bzw. an der Stringenz des Aufbaus ablesen und zeigt unterschiedliche Gewichtungen der beiden Faktoren.
b) Der Spracherfahrungsansatz, ein in den USA als „whole language approach“ entwickeltes Verfahren, geht von der Annahme aus, dass Kinder sich in einem natürlichen Lernprozess die Schriftsprache selbständig und eigenaktiv aneignen, wenn in einer schriftanregenden Umgebung die entsprechenden Lernreize bereitgestellt werden. Dazu gehören der Umgang mit Kinderliteratur, eine spielerische Beschäftigung mit den Strukturen der Sprache, ein verlockendes Angebot an Schreibmaterialien, die Schaffung von Schreibanlässen, und vor allem ein Unterrichtskonzept, das von den Interessen und Ausgangslagen der einzelnen Kinder geleitet wird. Mit ihrer „didaktischen Landkarte“ haben Brügelmann und Brinkmann (2001) ein solch offenes Konzept des schriftsprachlichen Anfangsunterrichts vorstrukturiert. Den Spracherfahrungsansatz zu praktizieren erfordert eine hohe fachliche Qualifikation und didaktische Kompetenz auf Seiten der Lehrerin.
c) Auf die Selbststeuerung des Kindes setzt auch Jürgen Reichen mit seinem Ansatz „Lesen durch Schreiben“. Dessen wichtigstes Werkzeug ist die Buchstabentabelle. Die Buchstabentabelle enthält bildlich dargestellte Wörter, deren Anlaute mit den entsprechenden Buchstaben in Verbindung gebracht werden müssen, auf diese Weise erschließen sich die Kinder selbsttätig die Graphem-Phonem-Beziehungen und erschreiben sich ihre eigenen Wörter und Texte und entdecken, dass sie die Prinzipien der Lautanalyse und Lautsynthese auch rezeptiv zum Lesen anwenden können. Da bei der strikten Umsetzung dieser Methode auf Leseübungen und Instruktion durch die Lehrerin verzichtet werden soll, neigen die Kinder lange zu phonetischen Verschriftungen, da ihnen ein visuell aufgebautes oder von außen gesteuertes Korrektiv abgeht.
d) Ein Roll-back zu mehr Lenkung und Instruktion stellt die silbenanalytische Methode von Röber-Siekmeyer dar. Diese „Häuschenmethode“ ist silbenphonologisch begründet und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Phoneme unserer Sprache fiktive Einheiten sind, während die „natürliche“ Artikulationseinheit die Silbe ist. Es werden sukzessiv vier Silbentypen analytisch erarbeitet, zur Veranschaulichung werden die Buchstaben der Silben in Zimmer von „Häuschen“ und in „Garagen“ eingeordnet. Dieses Vorgehen ist in erster Linie an der Struktur des Sachgegenstands ausgerichtet und erfordert ein differenziertes linguistisches Fachwissen auf Seiten der Lehrerin.
Die Frage nach dem „besten“ Unterrichtskonzept für den schriftsprachlichen Anfangsunterricht wird in vergleichenden empirischen Untersuchungen zu beantworten versucht. Bisher zeigt sich, dass zu unterschiedlichen Messzeitpunkten Klassen mit unterschiedlichen Lernkonzepten „die Nase vorn haben“. Ein eigenaktives Erschreiben und Experimentieren mit der Anlauttabelle scheint in der Frühphase durchaus förderlich für die Lernentwicklung zu sein, während sich im weiteren Verlauf Instruktionen zu den orthographischen Strukturen positiv auf die Schreibfähigkeit auswirken. Frühere Untersuchungen zeigen, dass sich Leistungsunterschiede bis zum Ende der Grundschule nivellieren.
Wichtiger als die Frage nach der „richtigen“ Methode ist die frühzeitige Beobachtung individueller Lernentwicklungen. Dazu sind Verfahren wie z.B. die Lernbeobachtung von Dehn und die Hamburger Schreibprobe von May geeignete und erprobte Diagnoseverfahren. Prävention von Lese- Rechtschreibschwierigkeiten und von funktionalem Analphabetismus kann nur im Anfangsunterricht geleistet werden. Bei ungünstigen Verläufen ist ein frühzeitiges Förderangebot notwendig, dessen „Methode“ sich dem individuellen Entwicklungsstand und Lernbedürfnis des Kindes anzupassen hat und nicht umgekehrt.
Brügelmann, H./Brinkmann, E. (2001): Die Schrift erfinden. Lengwil: Faude.
Dehn, M. (2006): Zeit für die Schrift I. Lesen lernen und Schreiben können. Berlin: Cornelsen Verlag Scriptor.
Duden. (2005): Die Grammatik. Duden Band 4. Mannheim: Dudenverlag.
Eisenberg, P. (1998): Grundriss der deutschen Grammatik, Bd. 1: Das Wort. Stuttgart: Metzler, 286–340.
Frith, U. (1986): Psychologische Aspekte des orthographischen Wissens. Entwicklung und Entwicklungsstörung. In: Augst, G. (Hrsg.): New Trends in Graphemics and Orthography. Berlin und New York: de Gruyter, 218–233.
Gümbel, R. (1989): Erstleseunterricht. Entwicklungen – Tendenzen – Erfahrungen. 3. aktual. Aufl. Frankfurt a.M.: Scriptor.
Günther, H. (1995): Die Schrift als Modell der Lautsprache. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST) Heft 51, 15–31.
Günther, K.-B. (1986): Ein Stufenmodell der Entwicklung kindlicher Lese- und Schreibstrategien. In: Brügelmann, H. (Hrsg.): ABC und Schriftsprache. Konstanz: Faude, 32–54.
Haarmann, H. (1991): Universalgeschichte der Schrift. 2. durchges. Aufl. Frankfurt und New York: Campus.
May, P. (ab 1994): Hamburger Schreibprobe für Klasse 1–9. Hamburg: Verlag für pädagogische Medien.
Reichen, J. (2001): Hannah hat Kino im Kopf. Die Reichen-Methode ‘Lesen durch Schreiben’ und ihre Hintergründe für Lehrerinnen, Studierende und Eltern. Hamburg und Zürich: Heinevetter u. a..
Röber-Siekmeyer, Ch. (2004): Schrifterwerb. In: Knapp, K. (Hrsg.): Angewandte Linguistik. Ein Lehrbuch. Paderborn: Schöningh, 5–25.
Schründer-Lenzen, A. (2004): Schriftspracherwerb und Unterricht. Bausteine professionellen Handlungswissens. Opladen: Leske + Budrich.
Valtin, R. (2003): Methoden des basalen Lese- und Schreibunterrichts. In: Bredel, Ursula u. a. (Hrsg.): Didaktik der deutschen Sprache, Bd. 2. Paderborn: Schöningh, 760–771.
Weinhold, S. (2006): Entwicklungsverläufe im Lesen- und Schreibenlernen in Abhängigkeit didaktischer Konzepte. Eine Longitudinalstudie in Klasse 1–4. In: Weinhold, S. (Hrsg.): Schriftspracherwerb empirisch. Konzepte – Diagnostik – Entwicklung. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 120–151.
Inhaltsverzeichnis
1 Zum Lerngegenstand
2 Mündlichkeit und Schriftlichkeit
3 Schreibprozess und Schreibprodukte
4 Schreibentwicklung und Schreibstrategien
5 Schreibunterricht
5.1 Schreibanlässe und -aufgaben
5.2 Unterstützung von Formulierungsprozessen
5.3 Verfahren zur Überarbeitung von Texten
5.4 Textschreiben und Rechtschreiben
5.5 Beurteilung und Bewertung
Literatur
„Ich schreibe“; „Wie schreibt man das?“; „Ich kann schon schreiben“; „Das muss ich mir aufschreiben“; „Schreib mir mal“; „Schreib es dir von der Seele“; „Bitte in Druckschrift schreiben“: Wird über das „Schreiben“ gesprochen, muss entschieden werden, wovon jeweils genau die Rede ist, denn mit dem Begriff werden unterschiedliche Handlungen und Funktionen gekennzeichnet. Es wird geschrieben, um Wissen zu konservieren und/oder es zu transportieren; um sich psychisch zu entlasten, um Erkenntnisse zu gewinnen etc. Der Begriff umfasst damit das Konzipieren und Produzieren von Texten (engl. composition), die Schreibtechnik zur Produktion von Schrift und die Rechtschreibung, also das Einhalten von Normen und Konventionen als Serviceleistung für den Leser.
In diesem Sinne bedeutet Schreibenlernen – vor, neben und vor allem in der Schule – also diese verschiedenen Dimensionen kennen zu lernen und sich in ihnen zunehmend sicher zu bewegen. Wie und wann dies in den institutionellen Lehr-Lernprozessen der Grundschule am besten angebahnt, unterstützt und automatisiert werden kann, wird zu jeder Zeit in der Theorie und Praxis des Sprachunterrichts kontrovers diskutiert. Sollen die „ABC-Schützen“ zunächst nur die technologische Dimension des Schreibens kennen lernen, also das Schreiben als Handwerk erlernen, bevor sie eigene Texte schreiben? Oder ist es wirkungsvoller, sie die Schrift durch die Produktion schriftsprachlicher Handlungen erwerben zu lassen (ähnlich dem Sprechenlernen durch das Sprechen)? Entlang derartiger didaktischer Erwägungen haben sich in Theorien und Rahmenrichtlinien, und nun Bildungsstandards und Kerncurricula Begriffe herausgebildet, die mal mehr die Wichtigkeit einer der Dimensionen betonen, mal deren Verbundenheit bzw. ihr Nach- oder Nebeneinander postulieren. Es ist die Rede von „Erstschreiben“, „Schreiben lernen“, „Schriftspracherwerb“, „Texte verfassen“, „Entwicklung von Schreib/Textkompetenz“, „Erwerb von Schriftlichkeit“
Wenn im Folgenden vom „Schreiben“ und „Schreibenlernen“ die Rede ist, dann geht es in erster Linie um die Produktion von Texten und die Entwicklung von Textschreib-Kompetenz (zum Erwerb der motorischen Schreibfähigkeit und der Rechtschreibkompetenz vgl. die Beiträge von Schmid-Barkow und Risel i.d.B.). Dieser Teil des Lernbereiches Schreiben ist insofern von besonderer Bedeutung, weil es zur Teilhabe an unserer mehr denn je schriftgeprägten Gesellschaft darauf ankommt, inhaltlich gut strukturierte und sprachlich angemessene Texte für unterschiedlich kommunikative Zwecke produzieren zu können. Soll das gelingen, müssen die verschiedenen Dimensionen des Schreibens – für ein übergeordnetes Handlungsziel – zusammenlaufen. Ludwig (1995, 281) hat dafür den Begriff des „integrierten Schreibens“ geprägt, das er vom „nicht-integrierten Schreiben“ wie etwa dem Schreiben nach Diktat abgrenzt.
Integriertes Schreiben zu lernen gehört vor allem zu den Inhalten des Deutschunterrichts, aber auch in anderen Fächern ist das Schreiben und die Auseinandersetzung mit Geschriebenem entscheidend für die Aneignung von Fach-Wissen und das Entwickeln von Methodenkompetenzen. In diesem Sinne folgert Ossner (2006, 98): „Schriftlichkeitserziehung ist also mehr als alles andere ein Unterrichtsprinzip“.
Um verstehen zu können, was Grundschulkinder, also Schreibanfänger leisten und daher lernen müssen, wenn sie Texte schreiben wollen, werden im Folgenden zunächst Merkmale von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Schreibprozess und Schreibprodukt gekennzeichnet. Wie sich Schreibkompetenz entwickelt und wie sich die Entwicklung von Schreibkompetenz in der Schule unterstützen lässt, ist Gegenstand der Abschnitte 4 und 5.
Bestimmend für die mündliche Kommunikationssituation ist der Umstand, dass sich Sprecher und Hörer normalerweise in einer gemeinsamen Situation befinden; sie sind ‘face-to-face’. Kennzeichnend für die mündliche Sprachproduktion sind die zeitliche mithin flüchtige Ausdehnung von Schall im Raum und die vergleichsweise schnelle Sprachlautproduktion. Alle weiteren Merkmale der Mündlichkeit leiten sich daraus ab. Da sich Sprecher und Hörer sehen und hören, können sie:
• den gemeinsamen Wahrnehmungsraum (außersprachlicher Kontext) nutzen, um in ihm auf Dinge, Orte und Zeiten zu verweisen;
• mit Worten, aber auch mit Mimik, Gestik und Prosodie das zum Ausdruck bringen, was sie mitteilen wollen;
• die Reaktion des Anderen direkt im Anschluss an das Gesagte erkennen oder erfahren und entsprechend reagieren;
• kommunizieren, ohne die einzelnen Beitrage lange planen zu müssen, da sie jederzeit ergänzen oder korrigieren können;
• rasch zwischen Sprecher- und Hörerrolle wechseln;
Die sprachliche Struktur des Gesprochenen ist u. a. eher gekennzeichnet durch einfache Syntax, Redundanzen, abgebrochene Sätze.
In der schriftlichen Kommunikation dagegen befinden sich die Aktanten – hier Schreiber und Leser – nicht in einer gemeinsamen Situation. Ehlich hat dies als „Zerdehnung des Kommunikationsgeschehens“ (Ehlich 1994) gekennzeichnet, denn das Schreiben eines Textes und das Lesen dieses Textes finden normalerweise zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten statt. Zusammengenommen mit der Eigenschaft der schriftlichen Sprachproduktion, sich im Unterschied zum Schall allmählich und dauerhaft im Raum auszubreiten, ergeben sich daraus zahlreiche Konsequenzen für das Gelingen schriftlicher Kommunikation. Der Schreiber muss
• mit Worten erst einen gemeinsamen Wahrnehmungsraum (sprachlich/textuellen Kontext) schaffen, in dem sich Schreiber und Leser dann bewegen können;
• allein mit Worten zum Ausdruck bringen, was er mitteilen möchte; also auch Mimik, Gestik und Prosodie durch Sprache ersetzen. Das erfordert einen großen und differenzierten Wortschatz und die Fähigkeit eine komplexe Syntax zu nutzen; es müssen meist längere, komplexe Sätze gebildet werden, um ein Höchstmaß an Explizitheit zu gewährleisten.
• die Reaktion des Lesers antizipieren, also selbst entscheiden, was der Andere wie erfahren möchte und muss, um bestimmte Zusammenhänge verstehen zu können;
Die „Situation der schriftlichen Sprache“ fordert daher vom Schreiber eine „doppelte Abstraktion, die von der lautlichen Seite der Sprache und die vom Gesprächspartner“ (Wygotski 1969, 225).
Die hier vorgenommene Gegenüberstellung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit darf nur prototypisch verstanden werden, da deren Übergänge fließend sind. Das wird deutlich sobald man versucht, verschiedene Textsorten einer der beiden Seiten zuzuordnen. Zwar lässt sich problemlos bestimmen, ob etwas geschrieben oder gesprochen wurde – Koch und Oesterreicher (1996) haben dafür den Begriff der medialen Mündlichkeit bzw. Schriftlichkeit geprägt. Ob aber Merkmale der mündlichen Komunikationssituation dominieren oder eher der schriftlichen, wie stark ein Gespräch oder ein Text daher geplant ist, welche Satzstrukturen dominieren etc. hängt von dem jeweiligen Zusammenspiel von Kommunikationssituation, kommunikativer Absicht, Beziehung der Akteure und Textsorte ab und lässt sich daher nur als mehr oder weniger bestimmen. Koch/Oesterreicher sprechen hier von dem Grad konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit.
Wie Schreiber den konzeptionellen Anforderungen im Textproduktionsprozess nachkommen und welche Merkmale des Schreibprozesses sich daraus ergeben, untersucht die Schreibprozessforschung. Ausgehend von einem Modell, das Hayes und Flower (1980; ergänzt und modifiziert zuletzt Hayes 1996) vorgelegt haben (mittlerweile wird es als „Urmodell“ bezeichnet; zu weiteren Modellen vgl. umfassend Sieber 2003), hat die Schreibprozessforschung herausgefunden, dass Textproduktion aus verschiedenen Komponenten und Teilprozessen besteht. Die wesentlichen Komponenten sind das Aufgabenumfeld, in dem auch die motivationalen Voraussetzungen verortet sind, das Langzeitgedächtnis und der eigentliche Schreibprozess. Dieser gliedert sich in die Teilprozesse „Planen“, „Formulieren“ und „Überarbeiten“, welche von einem sog. Monitor koordiniert werden. Hinzu kommen der entstehende Text selbst sowie der Einfluss von verschiedenen Schreibwerkzeugen und möglichen Ko-Produzenten. Neben diesem Ergebnis, das auch deutlich macht, dass Texte zu produzieren nicht einfach bedeutet, Gesagtes oder Gedachtes in Geschriebenes zu übersetzen, sind die Erkenntnisse über die Beziehung der Teilprozesse untereinander bedeutsam. Ludwig (1983) kennzeichnet sie als: sukzessiv, rekursiv, interaktiv, itterativ, multilevel. Kurz gesagt kommt damit zum Ausdruck, dass die Teilprozesse nicht einfach geordnet nacheinander ablaufen, sondern auch durch- und nebeneinander. Sie wiederholen sich, bedingen sich wechselseitig, werden abgebrochen und wieder aufgenommen – jeder, der längere Texte schreibt, kennt das.
Um trotz dieser Dynamik und gewissen Chaotik verständliche und gut strukturierte Texte schreiben zu können, braucht der Textproduzent so etwas wie eine kognitive Koordinationsinstanz (den Monitor), die immer wieder plant, koordiniert und entscheidet, was, wann, wie, warum geschrieben werden soll, welche Teilprozesse also in welchem Umfang und in welcher Reihenfolge ablaufen müssen. Mit Bildern vom „Schreiber als Jongleur“ (Hayes/Flower 1980) oder „Dirigent“ (Baer u. a. 1995) wurde dieser komplexe Vorgang, der das Schreiben als konzeptionelle Tätigkeit kennzeichnet, verschiedentlich zur Anschauung gebracht. Für diese Arbeit am Konzept ist die schriftliche Sprachproduktion selbst gut geeignet, denn im Geschriebenen tritt der Gedanke dem Schreiber gegenüber. Er kann ihn ohne den zeitlichen Druck, den es in einem Gespräch gibt, überdenken, verändern oder verwerfen.
Das Produkt des konzeptionellen und medialen Schreibprozesses ist idealiter ein kohärenter Text, also einer, der sinnvoll gegliedert und sprachlich angemessen all das enthält, was nötig ist, um zu verstehen, was der Schreiber sagen wollte. Was aber genau ist nötig, was muss (an welcher Stelle) geschrieben werden, was kann vorausgesetzt oder erschlossen werden, um den „roten Faden“ zu erkennen und was ist in welchem Text eigentlich sprachlich angemessen? Die Antwort ist: es kommt darauf an! Darauf nämlich, wer der Schreiber ist, welchen kommunikativen Zweck er hat und wer der Adressat ist. (Von diesen drei Größen hängt es ab, wie ein Text konzipiert sein muss, um seinen Zweck zu erfüllen.) Nussbaumer (1993) hat zur Definition des Begriffes „Text“ daher eine – gerade für didaktische Zusammenhänge – sinnvolle Unterscheidung von Text 0 (der Text im Kopf des Produzenten), Text 1 (der Text auf dem Papier) und Text 2 (der Text im Kopf des Rezipienten) vorgenommen. Er verdeutlicht damit, dass ein Text nicht allein aus sich heraus Textualität gewährleistet, sondern die „Mitarbeit“ des Lesers bzw. die Zusammenarbeit von Schreiber und Leser benötigt.
Im Hinblick auf Schreiblernprozesse lässt sich dieser Gedanke folgendermaßen didaktisch verwerten: Nussbaumer appelliert an den (werdenden) Schreiber, den Text 1 inhaltlich und strukturell möglichst immer mehr so zu gestalten, dass er große Ähnlichkeit mit Text 0 hat und dem Leser ermöglicht einen Text 2 zu bilden, der Text 1 nahe kommt. Der Appell an den Leser (meist die Lehrerin) lautet v. a. kooperativ zu sein. Das bedeutet
1. dem Schreiber zugute zu halten, dass er sich bemüht hat, möglicht verständlich und strukturiert zu formulieren.
2. die Texte von Schreiblernern daher erst einmal genauso zu lesen wie alle anderen Texte auch und nicht als – noch zu verbessernde – Lernertexte.
3. dabei zu beachten, dass es einen Unterschied zwischen Text 0 und 1 gibt, und daher nicht einfach von einer defizitären Oberflächen- und/oder Tiefenstruktur des Textes auf dem Papier auf einen defizitären Text im Kopf des Schreibers zu schließen.
4. Schreiblernern beizubringen, wie sie in ihren Texten 1 Kohäsion und Kohärenz stiftende sprachliche Mittel so einsetzen können, dass ein möglichst hoher Grad an Textualität entsteht.
Eine Hilfestellung, das zu lernen, bieten Textsorten. Unabhängig davon, ob sie besser als Textarten, -typen, -muster oder -formen bezeichnet werden sollten, kann man sie „als bewährte Verfahren zur Bewältigung wiederkehrender Kommunikationsanlässe verstehen; sie stellen gewissermaßen schriftsprachliche Handlungsmuster für die Bearbeitung spezifischer Zwecke der zerdehnten Kommunikation bereit. Ihre sprachliche Form ist nicht beliebig, sondern durch den kommunikativen Zweck bestimmt, ohne dadurch determiniert zu sein“ (Becker-Mrotzek/Böttcher 2006, 18). „Damit entlasten sie den Schreiber, der nun beispielsweise die Anordnung und Abfolge nicht selbständig erfinden muss, sondern sich an solchen bewährten Ordnungen orientieren kann“ (Ossner 2006, 104).
diedie