Hanser Berlin eBook
Eine Vielzahl von Sünden
Aus dem Amerikanischen
von Frank Heibert
Hanser Berlin
Die Originalausgabe erschien 2000
unter dem Titel A Multitude of Sins bei Alfred A. Knopf, New York.
ISBN 978-3-446-24244-9
© Richard Ford 2000
Alle Rechte der deutschen Ausgabe
© Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag München 2012
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Kristina
Aussicht
Gute Zeiten
Ruf
Wiedersehen
Welpe
Krippe
Unter dem Radar
Revier
Nachsicht
Abgrund
Es geschah damals, als meine Ehe noch glücklich war.
Wir wohnten in einer großen Stadt im Nordosten. Es war Winter, Februar. Der kälteste Monat. Ich versuchte natürlich immer noch zu schreiben, meine Frau arbeitete als Übersetzerin für einen kleinen Verlag, der auf tschechische Wissenschaftstexte spezialisiert war. Wir waren zehn Jahre verheiratet und glaubten noch an die seltsame, erheiternde Illusion, wir hätten die schlimmsten Prüfungen des Lebens hinter uns.
Unsere Mietwohnung lag in der alten Industriegegend am Südende der Stadt, der Wohnbereich war ein einziger großer leerer Raum mit hohen Fenstern zu beiden Seiten, praktisch ohne elektrisches Licht. Alles natürliches Licht. Ein berühmter Theaterregisseur der Avantgarde hatte vor uns hier gewohnt und auch seine stachligen, nihilistischen Stücke aufgeführt, die Wände waren daher schwarz gestrichen, und an der einen gab es eine Reihe Klappstühle für sein kleines launisches Publikum. Unser Bett stand in einer dunklen Ecke, hinter ein paar hohen Kulissen aus schwarzer Leinwand, mit denen wir für etwas Intimsphäre sorgen wollten, dabei gab es niemanden, vor dem wir sie hätten schützen müssen.
Jeden Abend, wenn meine Frau von der Arbeit nach Hause kam, gingen wir hinaus auf die kalten, glänzenden Straßen, um in irgendeinem Restaurant zu essen. Danach saßen wir noch eine Stunde in einer Bar und tranken Kaffee oder Brandy, diskutierten die Übersetzungen, an denen meine Frau gerade arbeitete, und (zum Glück) nie meine Texte, an denen ich schon längst scheiterte.
Man muss es wohl kaum sagen: Wir wollten die Rückkehr in die Wohnung möglichst lange hinauszögern. Es gab nämlich nicht nur praktisch kein Licht dort, der Hausbesitzer drehte außerdem jeden Abend um sieben die Heizung ab, und bis zehn Uhr war es sogar in unserem, dem obersten Stockwerk zu kalt, um sich woanders aufzuhalten als im Bett, unter Bergen von Decken, so dass man sich kaum rühren konnte. Meine Frau hatte damals lange Arbeitstage und war immer übermüdet. Manchmal geschah es zwar, dass wir etwas angetrunken nach Hause kamen und uns im Dunkeln liebten, unter den Decken, aber meistens kippte sie völlig erschöpft ins Bett und schnarchte, noch bevor ich neben sie geschlüpft war.
Und so kam es, dass ich in jenem Winter an vielen Abenden in dem kalten, großen, beinahe leeren Raum saß, wach, oftmals hellwach von dem starken Kaffee, den wir getrunken hatten. Und oft schlenderte ich einfach von Fenster zu Fenster, starrte in die Nacht hinaus, nach unten auf die leer gefegte Straße oder nach oben in den gespenstischen Himmel, der vom schimmernden Widerschein der Stadt mit ihren Gebäuden leuchtete, Gebäuden, die ich gar nicht sehen konnte. Oft hatte ich eine oder gar zwei Decken um die Schultern geschlungen und trug die groben dicken Socken, die ich noch aus meiner Jungenzeit hatte.
Und in so einer kalten Nacht passierte es, dass ich durch die Fenster auf der Rückseite der Wohnung, die auf eine schmale Durchfahrt und eine dahinter liegende Fläche hinausgingen, wo eine Kabelfabrik abgerissen worden war, was den Blick auf die Häuser der Parallelstraße freigab – dass ich in einer lang gezogenen, gelb erleuchteten Wohnung die Gestalt einer Frau erblickte, die sich langsam auszog, offenbar ohne einen Gedanken an die Welt da draußen hinter ihrer Fensterscheibe.
Wegen der Entfernung konnte ich sie nicht richtig sehen, schon gar nicht deutlich erkennen, nur dass sie von kleiner Statur war und vermutlich dünn, mit kurz geschnittenem dunklem Haar – eine in jeder Weise zierliche Frau. Das gelbe Licht in ihrem Zimmer schien zu lodern und tauchte ihre Haut in glänzende Bronze, ihre Bewegungen erschienen durch das Fenster stilisiert und etwas unwirklich, wie die Bewegungen einer Silhouette oder in einem alten Kinofilm.
Und ich, der ich allein in der sinnesfeindlichen Dunkelheit saß, in Decken gewickelt, die auch meinen Kopf umhüllten wie ein großer Schal, während meine Frau nur wenige Schritte entfernt schlief – ich war von diesem Anblick wie entrückt. Zuerst ging ich näher an die Scheibe heran, nah genug, um sie kalt an meiner Wange zu spüren. Doch dann beschlich mich das Gefühl, ich könnte trotz der großen Entfernung bemerkt werden, und ich zog mich weiter ins Zimmer zurück. Irgendwann ging ich in die Schlafecke und knipste die kleine Lampe aus, die meine Frau neben unser Bett gestellt hatte, so dass mich die Dunkelheit nunmehr vollkommen verbarg. Und ein paar Minuten später holte ich aus einer Schublade das silberne Opernglas, das der Theaterregisseur zurückgelassen hatte, nahm es mit ans Fenster und beobachtete die Frau über den dunklen Raum hinweg aus meinem eigenen dunklen Raum heraus.
Ich weiß nicht, was ich alles dachte. Keine Frage, dass ich erregt war. Keine Frage, dass mir die Heimlichkeit, aus dem Dunkel herauszuspähen, einen besonderen Kitzel verschaffte. Keine Frage, dass mir gerade das Ungehörige daran gefiel, wo meine Frau direkt neben mir lag und schlief und keine Ahnung von dem hatte, was ich tat. Möglicherweise mochte ich sogar die Kälte, die mich umgab, so allgegenwärtig wie die Nacht selbst, vielleicht hatte ich gar das Gefühl, der Anblick der Frau – die ich als jung einschätzte, als entweder unvorsichtig oder wenig schamhaft – stärkte mich irgendwie, umgäbe mich mit einer Isolierschicht, und die ganze Welt stünde still, vollkommen in dem Bild zweier Pole aufgehoben, die mein Blick miteinander verband. Inzwischen weiß ich, dass all das mit meinem bevorstehenden Scheitern zusammenhing.
Sonst geschah nichts. Ich blieb jedoch in den kommenden Nächten immer wach, um die Fremde zu beobachten, und ließ meine Frau erschöpft einschlafen. Eine Woche lang erschien die andere Frau allabendlich an ihrem Fenster und entkleidete sich langsam in ihrem Zimmer (das ich mir nie vorzustellen versuchte, an der Wand hinter ihr hing allerdings eine Zeichnung, die nach einem springenden Hirsch aussah). Sobald ihre Kleider abgelegt waren, ihre knochigen Schultern, die kleinen Brüste und dünnen Beine und Rippen und der unauffällige, leicht gerundete Bauch entblößt, bewegte sich die Frau eine Zeit lang im Zimmer umher, von Fenster zu Fenster im Bronzelicht, und vollführte etwas, das mir wie ein langsamer ritueller Tanz vorkam oder vielleicht ein theatralischer Bewegungsablauf, Aufrichten und Bücken und Armausstrecken, Nackenkrümmen, während die Hände anmutige, federnde Gesten machten, die ich nicht verstand, ich versuchte es auch gar nicht, so gebannt war ich von ihrer Nacktheit und dem gelegentlichen Anblick des dunklen Haarbüschels zwischen ihren Beinen. Es war die reine Erregung und Heimlichkeit und Ungehörigkeit, sonst eigentlich nichts.
Eine Woche lang tat ich das, wie gesagt, und dann hörte ich damit auf. Einfach so, eines Abends, als ich, wieder einmal in Decken gewickelt, mit meinem Opernglas ans Fenster trat und das eingeschaltete Licht über den leeren Raum hinweg betrachtete. Eine Weile sah ich niemanden. Und dann drehte ich mich um, ohne einen bestimmten Grund, und legte mich ins Bett zu meiner Frau, die unter ihren Decken warm war und nach Brandy, Schweiß und Schlaf roch, und ich schlief selber ein und kam nie mehr auf den Gedanken, durch dieses Fenster zu starren.
Eines Nachmittags jedoch, eine Woche nachdem ich aufgehört hatte, die Frau durchs Fenster zu beobachten, stand ich frustriert und in sinnloser Verzweiflung von meinem Schreibtisch auf und stapfte hinaus in das Winterlicht, an der Reihe schicker Geschäfte entlang, wo die alten Häuser gerade zu Kleiderläden und erfolgreichen Kunstgalerien umgestylt wurden. Ich ging bis zum Fluss, auf dem sich große graue Eisschollen ineinander schoben. Und weiter in das Universitätsviertel, fast bis dorthin, wo meine Frau gerade arbeitete. Dann, es wurde bereits dunkel, machte ich mich auf den Rückweg in meine Straße, das Gesicht hart vor Kälte, die Schultern steif, die Hände ohne Handschuhe erstarrt und rot. Als ich um eine Ecke bog, eine Abkürzung zu meinem Block einschlagend, fiel mir plötzlich das Haus auf, das ich tagelang ausgespäht hatte. Es hatte irgendetwas an sich, das keinen Zweifel daran ließ, obwohl ich noch nie mit Bewusstsein daran vorbeigegangen war oder es auch nur bei Tageslicht gesehen hatte. Und genau in diesem Augenblick stand dort, die große Haustür aufschließend, die Frau, die ich in jenen wenigen Nächten beobachtet, von der ich mir Vergnügen und sicher auch heimlichen Trost geholt hatte. Natürlich erkannte ich ihr Gesicht – klein und rund und, wie ich sah, unbewegt. Zu meiner Verblüffung, nicht aber traurigen Enttäuschung war sie alt. Vielleicht siebzig oder noch älter. Eine Chinesin, gekleidet in dünne schwarze Hosen und eine dünne schwarze Jacke, in der sie bestimmt so fror wie ich. Eiskalt muss ihr gewesen sein. Plastiktüten voller Lebensmittel hingen an ihren Armen, einige hielt sie in der Hand. Als ich stehen blieb und sie ansah, wandte sie sich um und musterte mich, am Fuß der Treppe, mit einem Ausdruck, den ich im Nachhinein nur als Gleichgültigkeit bezeichnen kann, vielleicht war auch ein Hauch Bedrohtheit dabei. Schließlich war sie alt. Ich hätte plötzlich das Bedürfnis verspüren können, ihr etwas zu tun, und es wäre ein Leichtes gewesen. Aber natürlich dachte ich gar nicht daran. Sie drehte sich wieder zur Tür um und steckte, sichtlich hastig, den Schlüssel ins Schloss. Noch einmal warf sie mir einen Blick zu, als ich hörte, wie der Riegel weit zurückschnellte. Ich sagte nichts, sah sie auch nicht mehr an. Ich wollte nicht, dass sie darauf kam, was mir durch den Kopf ging, und ebenso wenig auf das, was mir nicht durch den Kopf ging. Also setzte ich meinen Weg fort, fühlte mich seltsam, aber keineswegs überraschend betrogen, ging einfach weiter die Straße entlang zu meinem eigenen Zimmer, meinen eigenen Türen, damals, als mein Leben in seinen ersten, langen Zyklus der Not eintrat.
Von dort, wo er auf der befahrenen Sheridan Road an einer roten Ampel hielt, beobachtete Wales, wie eine Frau im Schnee hinfiel. Plötzlich den Tritt verloren auf dem rutschigen, unebenen Haufen, den die Schneepflüge am Fußgängerüberweg hinterlassen hatten. Wahrscheinlich alt, dachte Wales, obwohl es dunkel war und er ihr Gesicht gar nicht gesehen hatte, nur ihren Sturz – hintenüber. Sie trug einen langen grauen Herrenmantel und Stiefel und eine ins Gesicht gezogene Strickmütze. Oder sie trank, klar, überlegte er und beobachtete sie durch seine salzgesprenkelte Windschutzscheibe, während er weiter wartete. Sie konnte auch jünger sein. Jünger und Trinkerin.
Wales war unterwegs zum Drake, um die Nacht mit einer Frau namens Jena zu verbringen, einer verheirateten Frau, deren Mann ein enormes Vermögen mit Immobilien gemacht hatte. Jena hatte sich für eine Woche eine Suite im Drake genommen – um dort zu malen. Sie war vierzig. Sie hatte die Erlaubnis ihres Mannes. Sie – sie und Wales – trafen sich jetzt schon fünf Nächte in Folge. Er wünschte sich, es könnte weitergehen.
Wales hatte vierzehn Jahre lang im Ausland gearbeitet, für verschiedene Auftraggeber geschrieben – in Barcelona, Stockholm, Berlin. Immer auf Englisch. Vor einiger Zeit war ihm aufgegangen, dass er inzwischen zu lange fort war, den Kontakt zum amerikanischen Alltag verloren hatte. Doch dann rief ihn ein jahrelanger Freund an, ein Reporter, den er aus London kannte, und sagte, komm zurück, komm nach Hause, komm nach Chicago, halt ein Seminar darüber, was genau es heißt, James Wales zu sein. Nur zwei Tage die Woche, ein paar Monate lang, dann zurück nach Berlin. »Die Literatur des Eigentlichen«, hatte sein Freund, der Professor geworden war, gesagt und gelacht. Und es war wirklich lustig. So lustig wie Hegel ungefähr. Keiner der Studenten nahm es allzu ernst.
Die Frau, die hingefallen war – alt, jung, betrunken, nüchtern, er wusste es nicht genau –, hatte sich jetzt wieder aufgerappelt und legte aus irgendeinem Grund eine Hand auf ihren Kopf, als wäre es windig. Vor ihr rauschte der Verkehr die Sheridan Road hoch, beschleunigende Geschwindigkeit hinter Scheinwerfern. Hohe Wohnblocks aus den Sechzigern – eine lange Reihe, alle mit schöner Aussicht – trennten die Straße vom See. Es war Anfang März. Wintrig.
Die Ampel für Wales’ Spur blieb auf Rot, doch die entgegenkommenden Autos bogen jetzt vor ihm in zügiger Folge auf die Ardmore Street ab. Die Frau, die hingefallen war und sich eine Hand auf den Kopf gelegt hatte, wählte diesen Moment, um die Hauptverkehrsstraße zu betreten. Aus irgendeinem glücklichen Zufall heraus bremste der Fahrer auf der am nächsten gelegenen Spur, der am Bürgersteig, und kam für sie zum Stehen. Allerdings bemerkte die Frau das gar nicht, spürte nicht, dass sie sich mit zwei, vielleicht drei unklugen Schritten in Gefahr gebracht hatte. Wer weiß, was sich in dem Kopf abspielt, dachte Wales und beobachtete sie weiter. Eben gerade hatte sie noch im Schnee gelegen. Und kurz davor war alles in Ordnung gewesen.
Die Autos bogen weiter eilig in die Ardmore Street ab. Und die Fahrer genau dieser Wagen – auf der mittleren Abbiegespur – konnten die Frau nicht sehen, die unsicher immer weiter auf die Straße hinausging. Obwohl es schien, als sehe sie sie sehr wohl, denn sie streckte dieselbe Hand, die vorher ihren Kopf berührt hatte, mit einer abwehrenden Geste den Autos entgegen, als erwarte sie, dass sie anhielten, wenn sie ihre Fahrspur betrat. Eines dieser Autos, ein dunkler Van, der einem kleinen Raumschiff ähnelte (und der, dachte Wales, viel zu schnell fuhr, schneller als vernünftig jedenfalls, bei diesem Wetter), eines dieser zu schnell fahrenden Autos traf die Frau mit voller Wucht, prallte direkt in ihre Seite, als würde sie von einem Boot gerammt, kein Gedanke an Bremsen, und dadurch wurde sie nicht etwa in die Luft oder unter die Räder oder auf die nichtexistente Motorhaube geschleudert, sondern flog zur Seite und auf die Straße – und in einer Sekunde verwandelte sich eine alte, junge, womöglich betrunkene, womöglich nüchterne Frau in einem grauen Herrenmantel in eine Ansammlung ausgewählter Überreste auf dem gefrorenen Asphalt.
Tot, dachte Wales – keine anderthalb Meter von der Stelle, an der er und seine Spur nun flott vorbeizufahren begannen, da die Ampel auf Grün gesprungen war und von weiter hinten Hupen einsetzte. In seinem Seitenspiegel sah er den reglosen Körper der Frau auf der Straße (da war er schon einen halben Block vom Schauplatz entfernt). Die Straße war in beiden Richtungen verstopft, immer mehr Hupen blökten. Er sah, dass der Van, mit leuchtend roten Schlusslichtern, stehen geblieben war, eine Gestalt stürmte auf die Straße und fuchtelte wie wild herum. Menschen rannten von der Bushaltestelle herbei, aus den Wohnhäusern. Auf dieser Seite brach der Verkehr völlig zusammen.
Er dachte daran stehen zu bleiben, aber das würde auch keinem helfen, dachte Wales, wieder einen halben Block weiter. Eine Ansammlung undeutlich erkennbarer Menschen stand auf der Fahrbahn und starrte zu Boden. Er konnte die Frau nicht sehen. Aber niemand kniete sich hin, um ihr zu helfen – das war ein sicheres Zeichen. Sein Herz schlug plötzlich rasend schnell. Kalter Schweiß stieg ihm in den Nacken, in dem warmen Auto. Mit einem Mal zitterte er panisch. Es ist immer schlimm zu sterben, wenn man es nicht will. Das war das Motto eines Mannes namens Peter Swayzee gewesen, den er in Spanien kennen gelernt hatte – ein Fotograf, ein dummer Mensch, mittlerweile gestorben, zerschossen, als er über ein Scharmützel in Ostafrika berichtete, an einem Ort, wo Journalisten darauf zählten, beschützt zu werden. Er selbst hatte so etwas nie gemacht – über einen Krieg oder ein Scharmützel oder einen Schusswechsel an der Grenze oder überhaupt eine Schießerei berichtet. Er hatte kein Bedürfnis danach. Es war leichtsinnig. Er zog die Dinge vor, die nicht Krieg waren. Kultur. Und er war in Chicago jetzt.
Beim Abbiegen nach Süden auf den Outer Drive am See entlang ging Wales noch einmal in Gedanken durch, was an dem Tod, den er gerade mit angesehen hatte, bemerkenswert erschien. Irgendetwas in ihm musste sich offenbar auflösen, er brauchte das Gefühl einer Erleichterung. Es war immer wichtig, seine eigenen Reaktionen zu katalogisieren.
Zuallererst: dass sie tot war; wie sicher er sich dessen war; wie nichts Geringeres denkbar schien. Das hatte nichts mit Moral zu tun. Ihr wurde von anderen geholfen, falls sie etwa doch nicht tot war. Er hatte Leuten früher auch schon geholfen – einmal, in der U-Bahn in Berlin, als die Kurden im Berufsverkehr Plastiksprengstoff gezündet hatten. Man konnte vor lauter Rauch in dem Bahnhof überhaupt nichts sehen, und er brachte Leute nach draußen, führte sie an der Hand nach oben auf die sonnige Straße.
Sodann natürlich – und vielleicht hatte das sehr wohl etwas mit Moral zu tun: Die Frau hatte ihn berührt, als er sie zum ersten Mal sah, als sie in den Schnee fiel, fast sanft, dann aufstand und sich berappelte, es schaffte, ihre Hand ordentlich auf den Kopf zu legen. Die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Da hatte sie mitten in ihrem Leben gestanden, es absolut im Griff gehabt, selbst darüber erstaunt. Und dann – vor seinen Augen – drei Schritte, vielleicht vier, und alles war vorbei. Im Geist nahm er das auseinander: zuerst, als wäre keines der Ereignisse unvermeidlich gewesen. Und dann, als wäre alles unvermeidlich gewesen und hätte sich stetig weiterentwickelt. In seinem Arbeitsfeld konnte keiner solche Überlegungen gebrauchen. In seinem Arbeitsfeld war das Eigentliche alles, das Tatsächliche.
Der See lag zur Linken, dunkel wie Petroleum und unsichtbar jenseits der grellen Fahrspuren des nordwärts rauschenden Pendlerverkehrs. Freitagabend. Weiter vor ihm beleuchtete das Stadtzentrum die tief hängenden Wolken, die Umhüllungen der hohen Gebäude, deren höchste Spitzen verschwunden waren und den Himmel von innen entzündeten. Das eigentliche Zittern, bemerkte er, hatte gar nicht so lange angehalten. Doch was blieb, war einfach eine Art Verwirrung – recht vertraut –, als hätte er diesen Menschen, den er nicht mal kannte, unbedingt für tot erklären müssen, um dadurch etwas klarzustellen, was aber gar nicht gelungen war. Natürlich konnte sein Gefühl auch bloße Vorfreude sein.
Das Drake wimmelte um sechs Uhr nachmittags nur so von Leuten – selbst in der unteren Arkade bei den teuren Läden und dem Restaurant im nachgemachten Cape-Cod-Stil. Er und Jena hatten dort an ihrem ersten Abend gegessen, begeistert darüber, zusammen zu sein. Wales nahm jeden Abend den Hintereingang und verließ das Gebäude auch jeden Morgen auf diesem Weg. Falls Jenas Mann einen Detektiv engagiert hatte, um ihn zu erwischen, dann würde der Detektiv, beschloss er, den Vordereingang bewachen. Er war nicht besonders gut im Betrügen, das wusste er. Betrügen war sehr amerikanisch.
Überall in der unteren Lobby waren Männer im Anzug und ihre Frauen in geblümten Kleidern unterwegs, hetzten hierhin und dorthin und trugen Namensschilder mit der Aufschrift DIE GROSSEN ZEHN. Er wollte an alldem vorbei. Doch ein Mann schien ihn zu erkennen, als er sich gerade durch die überfüllte Arkade auf die Fahrstühle zuschlängelte.
»Hey!«, sagte der Mann. »Wales.« Er pflügte sich durch die Menge, ein massiger, specknackiger, lächelnder Mann in einem glänzenden blauen Anzug. Ein ehemaliger Sportler, natürlich. Auf seinem weißen Plastik-Namensschild stand Jim, darunter Präsident. »Kommen Sie zu unserer Cocktailparty?«
»Ich weiß nicht. Nein.« Wales lächelte. Überall waren Leute, und sie machten zu viel Lärm. Paare tröpfelten in einen großen hell erleuchteten Bankettsaal mit lauter Klaviermusik und Gelächter.
Er war diesem Mann schon begegnet, diesem Jim. Aber das war das Einzige, woran er sich erinnerte, ohne sich wirklich daran zu erinnern. Bei einem Uni-Essen möglicherweise. Und jetzt war er wieder da, im Weg. Chicago war groß, aber nicht groß genug. Es war auf eine kleine Weise groß.
»Ja, also, Sie sind eingeladen«, sagte der Mann Jim jovial und rückte näher.
»Danke«, sagte Wales. »Gut. Ja.« Sie hatten sich nicht die Hand gegeben. Keiner wollte den anderen allzu lange aufhalten.
»Ich meine, haben Sie ein besseres Angebot, Wales?«, sagte der Mann namens Jim. Seine Haut war zu weiß, zu dick entlang der kräftigen Kinnlinie.
»Tja«, sagte Wales. »Ich weiß nicht.« Er hätte fast gesagt, »kommt drauf an«, ließ es aber. Er fühlte sich hier äußerst auffällig.
»Haben Sie die Tickets bekommen, die ich Ihnen geschickt habe?«, sagte Jim laut.
»Natürlich.« Er wusste nicht, wovon dieser Jim redete. Aber er sagte: »Hab ich. Danke.«
»Ja, man kann sich auf mich ebenso verlassen wie auf mein Wort, oder?« Der Mann brüllte gegen den stetig zunehmenden Lärm der Menschenmenge an.
Wales spähte zu den Fahrstühlen hinüber. Polierte Messingtüren, die sich langsam öffneten, langsam schlossen. Blassgrüne Dreiecke – aufwärts. Blassrote Dreiecke – abwärts. Ein schwacher, verführerischer Gongton. »Danke für die Tickets.« Er wollte dem Mann die Hand schütteln, um ihn loszuwerden.
»Sagen Sie Franklin einen schönen Gruß«, sagte der Mann, als meinte er das sarkastisch. Wenn er lächelte, sahen seine großen ungewöhnlichen Kinnbacken aus wie bei Mussolini. Franklin, überlegte Wales. Wer war Franklin? Er konnte sich an keinen von der Uni namens Franklin erinnern. Er fühlte sich betrunken, obwohl er nichts getrunken hatte. Noch vor einer Stunde hatte er unterrichtet. Eingesperrt in einen getäfelten Raum voller Studenten.
Bing … bing … bing. Fahrstühle fuhren los.
»O ja«, sagte Wales, »mach ich«, und lächelte ein drittes Mal.
»Also«, sagte Jim, »dann halten Sie die Ohren steif.« Seine Vorderzähne waren allesamt falsch.
Jim wanderte in die Menge, die jetzt rascher in den Bankettsaal strömte. Genau in diesem Augenblick roch Wales eine Zigarre, voll und dicht und durchdringend. Er musste an die Paris Bar in Berlin denken. Etwas an dem Rauch und diesem Bernstein-Messing-Arkadenlicht war fast so wie dort. Eines Abends war er mal mit einer Freundin hingegangen, auf einen Drink und um Kondome zu kaufen. Beim Gang aufs Herrenklo hatte er festgestellt, dass der Kondomautomat neben den Urinalen stand, die unablässig benutzt wurden. Und irgendwie – wahrscheinlich aus Nervosität, aus Vorfreude – irgendwie hatte er sein Fünfmarkstück fallen lassen. Und weil er damals tatsächlich getrunken hatte und die Kondome kaufen wollte, unbedingt kaufen wollte, war er neben einem gerade pinkelnden Mann in die Hocke gegangen und hatte die störrische Münze von den Fliesen zwischen den Füßen des breitbeinig dastehenden Fremden aufgeklaubt. Der Mann lächelte ihn unbekümmert an, als würde so etwas ständig passieren. »Offenbar hab ich heute die Fallsucht«, sagte Wales auf Englisch und befingerte die harte Silbermünze, die kein bisschen feucht geworden war. Und dann fing er an zu lachen, sich laut auszuschütten vor Lachen. Auf der gesamten Herrentoilette konnte unmöglich jemand das englische Wort für »Fallsucht« kennen. Das war urkomisch. Ein typisches Sprachproblem.
»Viel Glück, mein Freund«, sagte der Mann auf Deutsch, zog seinen Reißverschluss hoch und schaute sich zufrieden um.
»Ja, ja. Der beste Glück. Natürlich«, erwiderte Wales und warf die Münze in den Automaten.
»Jetzt werden es alle erfahren«, sagte seine Freundin, als sie aus dem Lokal in die warme Sommernacht auf der Kantstraße traten. Sie lachte darüber. Sie kannte alle Leute dort.
»Das juckt doch bestimmt keinen«, sagte Wales.
»Nee, natürlich nicht. Kein Stück. Das ist alles vollkommen albern.«
Jena hatte ihm den Schlüssel gegeben, eine knackfrische weiße Karte, die, wenn man sie in einen Schlitz einführte, ein winziges grünes Licht auslöste, das wiederum ein leises Klicken hervorrief, worauf sich die Tür öffnete. Zimmer 839.
»Oh, ich hab mich so nach dir gesehnt«, sagte Jena warm, mit tieferer Stimme als sonst. Er konnte sie nicht richtig erkennen. Im Zimmer war es dunkel, bis auf eine Kerze, die Jena neben ihre Staffelei gestellt hatte, in den Schatten beim Fenster. Die Suite war lang und L-förmig und endete mit einem kleinen Podest vor den hohen Fenstern, die einen Ausblick auf den Drive boten. Der begehrte Nordblick. Der teure Blick. Das Bett stand am anderen Ende, wo kein Licht war, nur der Radiowecker, der 6:05 anzeigte. Ein gutes, geräumiges amerikanisches Zimmer, dachte Wales. So viel angenehmer als Europa. Man hätte ein ganzes Leben in so einem Zimmer verbringen können, und es wäre ein hervorragendes Leben gewesen.
Jena saß in einem der beiden Lehnsessel, die sie an die Fenster gestellt hatte. Sie hatte die Autos unten auf dem Drive beobachtet. Sie streckte ihren Arm nach hinten, um seine Hand zu ergreifen. Sie war unwiderstehlich. Attraktiver als irgendwer sonst. »Bist du nicht zu spät?«, sagte sie. »Du fühlst dich viel zu spät an.«
»Zu viel Verkehr«, sagte Wales.
Sie wandte ihm den Kopf zu. Er beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, und roch ihren schwachen Zitrusatem.
Jena hatte die Heizung hochgedreht. Ihr war immer kalt. Sie war zu dünn, dachte er, dünner, als sie angezogen aussah – eine kleine dunkelhaarige Frau mit dünnen Armen, nicht gerade hübsch in jedem Licht, aber hübsch – ihr Gesicht etwas spitz, ihre weichen lächelnden Lippen etwas zu schmal. Und doch war da so viel Reiz – eine Anmutung von Verwegenheit an ihr. Sie war geistreich, unvorhersehbar, dachte fast die ganze Zeit an sich, lachte an den falschen Stellen. Sie war reich und verheiratet und hatte Kinder, und so hatte sie vielleicht, dachte Wales, wenig Erfahrungen mit der Welt gemacht, nicht genug, um zu wissen, was man besser unterließ, und daher war sie nur sie selbst – eine Eigenschaft, die ebenfalls großen Reiz für ihn hatte.
Wales war eingeladen worden, um einen Vortrag zu halten, der seinen Aufenthalt an der Universität rechtfertigte. Und er hatte beschlossen, etwas über den Tod von Prinzessin Diana als Ereignis in der englischen Presse zu machen. Unter dem Titel »Ein Fall von verfehlter Eigentlichkeit«. So etwas, sagte er, war am einfachsten für den Berichterstatter: man erfand die Emotionen einfach, erfand ihre Abfolge, erfand, was wichtig war. Das war üblich in England. Er hatte Henry James zitiert: »Schreiben erzeugt Wichtigkeit.« Das war nicht ganz dasselbe wie Journalismus, gab er zu.
Jena hatte den Vortrag »als eine Ortsansässige« besucht, sie war von ihrem Vorort seeaufwärts in die Stadt gefahren. Nachher hatte sie ihn auf ein Glas eingeladen. In der Bar redeten sie lange darüber, dass Amerika die Welt aus dem Griff verliere; über das globale Bedürfnis nach mehr Gefühlen; über den immer stärker werdenden Eindruck von globaler Trauer; über den amüsanten Zufall seines Nachnamens – Wales. Sie war zierlich, geradeaus, provozierend, blieb selten lange bei einem Thema, lachte zu oft – das Lachen einer Frau, fand er, die Misstrauen gewöhnt war. Aber er hatte auch gedacht: Wo bist du denn hergekommen? Wo kann ich dich wiederfinden? Anfangs hatte sie gewirkt, als sei sie ihrer selbst nicht sicher – aber nicht schüchtern, schüchtern war sie nicht im Geringsten: sie lebte abgeschirmt, ohne Verpflichtungen, sorglos, was es ihr ermöglichte, unsicher zu wirken und dadurch gewagt. Das gefiel ihm auch. Es war spannend. Natürlich wusste er, wenn Frauen zu Vorträgen gingen, dann, weil sie etwas wollten – durchaus auch etwas Unschuldiges –, aber irgendetwas immer. Das war vor zwei Wochen gewesen. Als sie die Bar verließen, griff sie nach seinem Arm und sagte: »Wir werden uns beeilen müssen, wenn wir irgendwas zusammen vorhaben. Du bleibst ja nicht lange.« Sie hatten eigentlich nicht davon gesprochen, dass sie etwas zusammen vorhätten. Aber er würde tatsächlich nicht lange bleiben.
»Dann beeilen wir uns halt«, sagte er. Das hatten sie getan.
»Du hast eiskalte Hände.« Jena nahm seine Hände. Er mochte sie wirklich sehr.
Er kniete sich hin und legte beide Arme um sie und hielt sie, so dass seine Wange an ihrem Haar lag. Sie trug ein kleines schwarzes Chanel-Kleid, das ihren Hals zeigte, und dort küsste er sie, dann küsste er sie ins Haar, das sich trocken auf seinem Mund anfühlte. Er konnte sich riechen. Säuerlich. Er sollte ein Bad nehmen, dachte er. Das wäre eine Wohltat.
»Ich habe in der Lobby einen Mann getroffen, der mich kannte«, sagte er. »Er fragte mich nach einem Franklin. Ich wusste nicht, wer das sein sollte.«
»Er hat dich wahrscheinlich mit jemand anderem verwechselt«, sagte Jena leise, ihr Gesicht an seinem.
»Kann sein.« Vielleicht war es so, nur hatte ihn der Mann mit Wales angeredet. O Gott, merkte er, das waren ja genau die tristen Kleinigkeiten, die man seiner Frau erzählte, wenn man sich nichts mehr zu sagen hatte. Unwichtige Kleinigkeiten. Er hatte keine Frau.
In jeder der fünf gemeinsamen Nächte im Drake hatte Jena, kaum dass er da war, darauf bestanden, sexuell sofort zur Sache zu kommen, als wäre dieser Akt eine Bestätigung von ihrer beider Existenz und alles andere müsste gefälligst warten; ihre Zeit miteinander war ernsthaft, drängend und schmolz schnell dahin. Jetzt wünschte er sich diesen Akt sehr, er war erregt, aber auch etwas aufgelöst. Immerhin hatte er heute Abend einen Todesfall miterlebt. Der Tod hätte jeden aufgelöst.
Nur, was Jena gar nicht mochte, war Schwäche. Egal wo. Deshalb wollte er nicht aufgelöst wirken. Sie war eine Frau, die gern die Fäden in der Hand behielt, sich zugleich aber auch aus dem Gleichgewicht bringen lassen wollte, gebannt, als wäre das Rätselhafte eine Form interessanter Intelligenz. Daher musste er für sie derjenige sein, der die Fäden in der Hand hatte, der sogar abseitig, dunkel und möglichst rätselhaft wirkte – alles, nur nicht schwach. Das war ihre Traumwelt.
Und doch war Abseitigkeit eine solche Last. Wen kümmerte es letzten Endes, ob man sich offenbarte oder nicht? Man tat es doch sowieso, ob man wollte oder nicht. Er begriff, dass er ihr bei alldem die interessantere Rolle überließ. Das war eine Art von Großzügigkeit. Schließlich gab es für sie nichts Realeres als das, was sie wollte.
»Ich würde gern reden«, sagte Jena. »Können wir erst ein bisschen reden?«
»Das hatte ich gehofft«, sagte Wales. Das klang dunkel genug. Vielleicht würde er ihr von der Frau erzählen, die vor seinen Augen auf der Ardmore Street umgekommen war.
»Komm, setz dich in den Sessel neben mir.« Sie schaute auf und lächelte. »Wir können die Lichter anschauen und reden. Ich habe dich vermisst.«
Ihm war egal, was er mit ihr machte; der Abend konnte auf ganz verschiedene Weise gut werden. Es würde sich schon ergeben, dass sie miteinander schliefen. Später würden sie auf die breite, erleuchtete Avenue hinaustreten, in die Kälte und den Wind, und irgendwo etwas essen. Das würde ihm mehr als reichen.
Er saß zwischen ihr und ihrem Arbeitstisch, auf dem sich Bürsten, Becher mit Wasser und Terpentin, Pigmenttuben, Bleistifte, Radiergummis, Filzlappen, Rasierklingen und eine Vase mit drei Hyazinthen drängten. Er hatte ihre Bilder schon gesehen – vergrößerte Schwarzweißfotografien von einem Mann und einer Frau, Fotos aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Leute waren adrett gekleidet und standen im Vorgarten eines kleinen Holzhauses auf dem offenen Feld, so wie es aussah. Das waren ihre Eltern. Jena hatte auf diese Fotos gemalt, dem Mann und der Frau rote oder blaue oder grüne Schatten um die Konturen gegeben, ihre Gesichter verschmiert, ihnen ein entstelltes und hässliches, aber nicht komisches Aussehen gegeben. Es sollte eine Serie davon geben. Sie waren deprimierend, fand Wales – unnötig. »Bacon hat so was natürlich zuerst gemacht«, hatte Jena selbstbewusst verkündet. »Seine hat er nicht ausgestellt. Aber ich werde meine ausstellen.«
Sie nahm einen langen roten Kaschmirpullover von der Sessellehne und streifte ihn über ihr Kleid. Bei der Fensterscheibe war die Luft eisig. Es war erregend, hier zu sein, als stünden sie am Rand, bereit zum Sprung.
Acht Etagen unter ihnen strömten Autos über den Drive – Scheinwerfer und Schlusslichter –, die üppigen Apartments entlang der Gold Coast prächtig und gelb erleuchtet, allerdings abschreckend und unbelebt. Der rosa Schimmer des Schriftzugs vom Hotel nahm der tiefen Nachtluft darüber ihre Farbe. Der See selbst war ein lichtloser Abgrund. Seen waren öde, fand Wales. Ohne Drama. Er war nicht weit vom Meer aufgewachsen, das nie eine Enttäuschung war, nie Kompromisse machte.
»Der See hat etwas Wunderbares, nicht wahr?«, sagte Jena und lehnte sich an die Scheibe. Winzige Partikel Feuchtigkeit segelten durch die getönte Luft dahinter.
»Ich finde ihn immer enttäuschend.«
»O nein«, sagte Jena zärtlich und wandte ihm ihr Lächeln zu. »Ich liebe den See. Er ist so tröstlich. So umgrenzt. Und Chicago liebe ich auch.« Sie drehte sich wieder zurück und presste die Nase an die Fensterscheibe. Sie war glücklich.
»Worüber sollen wir sprechen?«, sagte Wales.
»Meine Familie«, sagte Jena. »Ist das okay?«
»Ich werde mal eine Ausnahme machen.«
»Ich meine meine Eltern«, sagte sie, »nicht meinen Mann oder meine Töchter.« Jena war seit zwanzig Jahren verheiratet, ihre beiden Kinder allerdings waren jung. Eine war zehn, das wusste er noch, die andere sechs oder so. Sie mochte ihren reichen Ehemann, der sie ermutigte, alles zu tun, was sie wollte. Flugstunden nehmen. Ganze Sommer allein auf Ibiza verbringen. An Berufstätigkeit nicht mal denken. Männer kennen lernen. Sie musste nur mit ihm verheiratet bleiben – das war die Abmachung. Er war älter – in Wales’ Alter. Das war zufrieden stellend. Nur perfekt eben nicht.
Sie legte zehn schlanke Fingerspitzen an das kalte Fensterglas und hielt sie dort wie auf Klaviertasten, dann sah sie ihn wieder an und lächelte. »Wo sind deine Eltern?«, fragte sie. Das hatte sie schon zweimal gefragt und zweimal vergessen.
»Rhode Island«, sagte Wales. »Mein Vater ist vierundachtzig. Meine Mutter hat, na ja …« Ihm war es egal, das zu sagen, aber er zögerte trotzdem. »Meine Mutter hat Alzheimer.«
»Würde sie dich erkennen?«
»Ja, schon, wenn sie könnte, nehme ich an«, sagte Wales.
»Kann sie es?«
»Nein.«
»Und haben sie weitere Sprösslinge?« Danach hatte sie noch nicht gefragt. Sie wählte oft ungewöhnliche Wörter. Sprösslinge. Interaktion. Netzwerk. Bund. Wörter, die ihre Freunde benutzten.
»Eine Schwester. Sie ist älter. In Arizona. Wir sind uns nicht nahe. Ich mag sie nicht besonders.«
»Hmmm.« Jena zog ihre Finger weg, ganz wenig nur, und legte sie dann wieder aufs Glas. Ihre Beine waren übereinander geschlagen. Sie hatte nichts an den Beinen und nichts an den Füßen, bestimmt war ihr kalt. Sie fragte nur aus Höflichkeit. »Meine Eltern waren im Wesentlichen sprachlos«, sagte sie und atmete matt aus. »Sie wuchsen so arm in Süd-Ohio auf – wo sowieso keiner was zu erzählen hatte –, dass sie nicht wussten, was man alles sagen können musste, damit die Welt funktionierte.« Sie nickte sich selbst zustimmend zu. »Meine Mutter zum Beispiel. Sie ging nicht auf einen zu und sagte: Guten Tag, ich heiße Mary Burns. Sondern sie fing einfach an zu reden und platzte gleich mit dem heraus, worum es ihr ging. Dann starrte sie einen an. Und wenn man überrascht war, nahm sie es einem übel.«
Jena schien ihren Blick auf den geschmolzenen Strom der Autos unten zu konzentrieren. Das war ihre Geschichte, dachte Wales; die eine Geschichte aus ihrer Vergangenheit, über die sie nicht hinwegkam, die vollkommen belanglose Geschichte, die sie aus voller Überzeugung für all ihre größeren Niederlagen mitverantwortlich machte: warum sie den geheiratet hatte, den sie geheiratet hatte. Warum sie als Künstlerin nicht mehr Erfolg hatte. Er hatte seine eigene erlebt, vor vielen Jahren: 1958, ein bedeckter Tag über der Bucht von Narragansett, mit seinem Vater in einem kleinen Boot. Ein Angelausflug. Sein Vater hatte ihm gestanden, dass er in eine halb-portugiesische Frau unten in Westerly verliebt war – von der seine Mutter und Schwester nie gehört hatten. Die Geschichte hing jahrelang in seinem Kopf fest, obwohl er sie wieder vergessen hatte, bis vorhin.
Trotzdem waren diese Dinge unwichtig. Man stellte sich die Vergangenheit vor, man erinnerte sich nicht. Man konnte sie sich einfach etwas anders vorstellen. Das würde er ihr sagen, und außerdem, dass sie eine wunderbare Frau war. Und dass sonst nichts zählte.
»Ist das okay?«, sagte Jena und zog ihre Pulloverärmel hoch bis über ihre schmalen Ellbogen. Ihr dunkles Haar glänzte im flackernden Kerzenschein. Das Zimmer spiegelte sich schief in dem hohen Fenster. »Ich kann die Vorstellung nicht ertragen, dich zu langweilen.«
»Nein«, sagte Wales. »Überhaupt nicht.«
»Okay, also mein Vater«, erzählte sie sofort weiter. »Er konnte nicht in ein Restaurant gehen und nach einem Tisch fragen. Er stand einfach da. Dann zentimeterweise vorwärts, in der Erwartung, dass, wer immer dort was zu sagen hatte, seine Wünsche schon verstehen würde – als könnte seine Anwesenheit dort nur eines bedeuten, nämlich das, was er wünschte.« Jena schüttelte den Kopf, hauchte das Glas an und schien kurz über den Dunst nachzudenken, den ihr Atem hinterließ. »So merkwürdig«, sagte sie. »Sie waren wie Einwanderer. Bloß dass sie keine waren. Wahrscheinlich ist das eine Form der Arroganz.«
»Ist das alles?«, fragte Wales.
»Ja.« Sie schaute ihn an und blinzelte.
»Es kommt mir nicht besonders wichtig vor«, sagte er.
»Es ist nur der Grund, weshalb sie keinen Erfolg im Leben hatten«, sagte Jena ruhig. »Sonst nichts.«
»Aber bedeutet dir das sehr viel?« Er war überrascht, dass sie darüber hatte reden wollen. Es wirkte so intim und so belanglos.
»Sie sind meine Eltern«, sagte sie.
»Mögen sie dich?«
»Natürlich. Ich bin reich. Sie behandeln mich wie eine Königin. Deshalb bin ich Malerin geworden«, sagte Jena. »Sie haben ihre Pflicht, die Welt verantwortungsvoll zu regeln, nicht erfüllt. Deshalb muss ich Dinge mit meinem Malen ausdrücken – weil sie es nicht getan haben.«
Vielleicht lag es an der vielen Zeit, die man mit Kindern verbrachte, dachte er, und aus Nichts etwas machte, vielleicht lag es daran, dass man am Ende alles nur noch verzerrt wahrnahm. »Aber stört es dich?«, fragte er.
»Nein«, sagte Jena. »Ich würde sie auch gern in einem Roman verarbeiten. Glaubst du, sie wären glaubwürdig in einem Roman?« Sie hoffte, einen Roman zu schreiben. Jedes Mittel, sich auszudrücken, interessierte sie.
»Ganz sicher«, sagte er. Und er dachte: Wie schwierig konnte es schon sein, einen Roman zu schreiben? Das taten so viele. Er mochte Romane, denn sie beschäftigten sich mit dem Unvergleichbaren, mit den Dingen, die sich anders nicht ausdrücken ließen. Was er tat, war so sehr das Gegenteil. Er beschäftigte sich mit Dingen, die geschahen. Mit dem verpackten Reichstag. Der Beerdigung einer falschen Prinzessin. Verfehlte Eigentlichkeiten, und seine Reaktionen sollten das wieder gutmachen.
Jemand klopfte laut an die Tür am Ende des kurzen dunklen Flurs und öffnete sie dann. Er hatte vergessen abzuschließen.
»Das Zimmermädchen?«, sagte die helle Stimme einer jungen Frau. Ein gelber Lichtstreifen drang vom Korridor ins Zimmer.
»Nein!«, sagte Jena laut, ihr Gesicht, so nah an seinem, sah verblüfft und schlagartig unhübsch aus. Ihr Mund konnte erstaunlich grausam wirken, obwohl sie gar nicht besonders grausam war, zuminest hatte er bislang davon nichts bemerkt. »Kein Zimmermädchen.«
»Das Zimmermädchen?«, wiederholte die Stimme fröhlich. »Würden Sie gern Ihr Bett aufgeschlagen sein?«
»Nein!«, rief Jena. »Nicht. Nicht Bett aufgeschlagen.«
»Okay. Danke schön.« Die Tür klickte zu.
Jena saß einen Moment lang auf ihrem Sessel im Kerzenschein und wirkte sehr verärgert. Ihre Hände waren ineinander gepresst, ihr Mund bildete einen schmalen Strich. Er konnte spüren, wie ihr Herz strenge, beharrliche Schläge schlug. Er hatte gedacht, nahe liegend genug, dass es ihr Mann war. Das musste ihr genauso gegangen sein. Und irgendwann würde das natürlich auch passieren, wenn es schon lange nicht mehr darauf ankam. »Würden Sie gern Ihr Bett aufgeschlagen sein«, sagte sie trübe.
Er schaute sich in dem verdunkelten Zimmer um. Eine hohe Standuhr aus Holz und Messing mit einem unbewegten Messingpendel an der Wand. Ein hübscher Dekorationskamin mit Sims. Ein goldgerahmter Druck, Caravaggio, Die Berufung des Heiligen Michael. Er hatte das Bild im Louvre gesehen. Ein Glas Wein wäre jetzt schön, dachte er. Er sah sich nach einer Flasche auf einem Tisch um, sah aber keine. Jenas Kleider waren alle weggeräumt, als lebte sie schon seit Monaten hier, und so mochte sie die Dinge auch: aufgeräumte Flächen, eine Aura der Dauerhaftigkeit, als hätte alles, sie selbst eingeschlossen, eine lange Geschichte. Das war ihre Art der Liebenswürdigkeit: die Dinge solide und verlässlich erscheinen zu lassen.
»Hast du jemals jemanden umgebracht?«, fragte sie.
»Nein«, sagte Wales. Sie sah ihn gern als Spion, nicht als Journalisten. Auf diese Weise machte sie ihn rätselhaft und brachte sich aus dem Gleichgewicht. Sie hatte sich wenig danach erkundigt, was er eigentlich machte. Zu Anfang, als sie einen trinken gegangen waren, hatte sie sich interessiert gezeigt. Danach nicht mehr.
»Würdest du es tun?«
»Nein«, sagte Wales. »Hattest du jemand Bestimmtes im Auge?« Er merkte, er trug immer noch sein Jackett und seinen Schlips.
»Nein«, sagte Jena und lächelte und riss die Augen auf, als wäre es ein Scherz gewesen.
Zum zweiten Mal in einer Stunde dachte er an den Tod der Frau, den er auf der Ardmore Street mit angesehen hatte, an den Verlauf dieser Ereignisse bis zu ihrem Ende. So viele Möglichkeiten, so viele Chancen auf einen besseren Ausgang waren in dieser Zeitlupe eingefangen. Das sollte einem doch ermöglichen, das Ende von Ereignissen zu sehen, bevor es dazu kam, um einen schlechten Ausgang zu verhindern. Was sich auch auf Liebesaffären übertragen ließ.
»Das ist überraschend«, sagte Jena. »Aber das liegt daran, dass du Journalist bist. Wenn du ein echter Schriftsteller wärst, wärst du anders.«
Sie lächelte ihn wieder an, und er erhaschte das winzige, abgelegene Gefühl, dass er sie lieben könnte, auf diese Weise zu dem Rätsel vordringen, obwohl die Gelegenheit dafür bald vorbei war. Doch ihre Bereitschaft, das Falsche zu sagen, zu prahlen – das gefiel ihm. Sie war nicht gezeichnet von Erfahrung, sondern befreit durch einen Mangel daran.
»Was machst du in Europa?«, sagte sie.
»Ich schau mir Dinge an und schreibe dann darüber. Sonst nichts.«
»Bist du berühmt?«
»Journalisten werden nicht berühmt«, sagte er. »Wir machen andere berühmt.« Sie hatte keine Ahnung von Journalisten. Auch das gefiel ihm.
»Eines Tages musst du mir erzählen, was das Merkwürdigste ist, das du je gesehen und dann beschrieben hast. Das wüsste ich gerne.«
»Eines Tages mache ich das«, sagte Wales. »Versprochen.«
Der Liebesakt war ereignisreich. Zuerst war sie fast vertändelt, dabei allerdings mäkelig, irgendwie theatralisch, alles wirkte beinahe etwas routiniert. Und dann mit der Zeit – eigentlich gleichzeitig – versunken, zielstrebig, freigebig, so, als wäre nichts vorher festgeschrieben und alles Neuland, egal, was sie machten. Sie konnte das Neue mit großer Natürlichkeit entdecken, und ihn berührte die Erfahrung, dass etwas Neues mit jemand anderem möglich war: dass man sich seiner selbst bewusst wurde, dadurch in sich selbst versinken konnte und dann noch eine ganze Zeit weitermachen. Er sträubte sich gegen nichts, verzichtete auf nichts und verlor die ganze Zeit nicht die Nähe zu ihr. Genau das wollte er.
Und als es vorüber war, hatte er lange keine Worte. Sie schlief bei eingeschalteter Lampe auf dem Nachttisch, eine Hand über den Augen. Und er dachte: Wo in meinem Leben ist mir das abhanden gekommen? Wie soll ich das behalten? Und dann: Gar nicht. Das ist nicht zum Behalten. Man nimmt es, wenn es einem gegeben wird.
Die Uhr neben der Lampe zeigte 9:19 an. Wales konnte das Lösemittel und die Hyazinthen auf ihrem Arbeitstisch riechen, scharfe, trübe Düfte, die durch den warmen Raum schwebten. Draußen waren Stimmen auf dem Korridor zu hören. Zweimal klingelte ein Telefon. Er duschte, ging dann ans Fenster, während sie schlief, und betrachtete das übermalte Foto, die zwei Menschen, ihre entstellten lächelnden Gesichter des Mittleren Westens. Sie muss sie hassen. Dann erinnerte er sich an die Bacons im Tate. Die Agonie der Affen.
Und dann wollte er an etwas anderes denken, nämlich an den Tag der Beerdigung in London. Es war eine Erleichterung, daran zu denken. Der balsamweiche Samstag, der schier endlose Sommer. Er hatte den Zug genommen, von Freunden außerhalb Oxfords kommend. Der Bahnhof – Paddington – war leer, die langen, widerhallenden Bahnsteige zum Schweigen gebracht in dem wässrigen Licht, und auf den Straßen draußen dasselbe. Während die Revolverpresse ihre riesigen Monumentalschlagzeilen brachte. WIR TRAUERN! WIR LEIDEN! SIE WEINEN! LEB WOHL.
Im Russell Hotel blieb er auf seinem Zimmer und schaute sich alles im Fernsehen an. Es war sowieso ein TV-Event – seine Reaktionen ergaben die Story. Über den Bildschirm kamen der Leichenzug, die Berge von Blumen und Kränzen, die Soldaten, die Totenbahre, die Queen, der Prince. Der grässliche Bruder. Die Jungen mit den perfekten großen Zähnen und dem zu weißen Augenweiß. Durchs offene Fenster hörte er, mit einem Windstoß hereingeweht, wie jemand sagte – eine Frau, vermutlich im Nebenzimmer, vorm Fernseher genau wie er –, »So was wird doch nie wieder passieren, oder?«, sagte sie, »das kannste nich oft sagen, oder? Total einzigartig, ja? Na ja, nich sie natürlich. Die war nich einzigartig. Die war ’ne Nudde. Ja, okay, vielleicht nich ’ne Nudde. Aber weißt schon.«
In Amerika war es fünf Uhr morgens. Er fragte sich, ob wohl jemand wach war und vorm Fernseher saß.
Und seine Reaktionen auf all das: Wie seltsam, eine königliche Familie zu haben. Sie war nie eine Schönheit. Was hat das alles gekostet? Tod durch Autounfall ist immer eine Spur trivial. Die Leute haben den Leichenwagen beklatscht. Was schreibt man in ein Kondolenzbuch? Eigentlich bemitleiden sie sich ja selber. Wie werden sie sich in einem Monat fühlen? In einem Jahr? Wir machen alles größer, um zu erkennen, ob wir richtig liegen. Irgendjemand – und das war es, was er letzten Endes aufschrieb, die Crux, die Literatur der verfehlten Eigentlichkeit – irgendjemand muss uns sagen, was wichtig ist, weil wir es nicht mehr wissen.
Am nächsten Tag erfuhr er, dass die Frau seines Freundes in Oxford gestorben war. Ein Aneurysma. Urplötzlich. Ganz schnell und schmerzlos. Nur, keiner konnte Blumen schicken. Alle Blumen waren schon vergeben, was das Ganze furchtbar zu verstärken schien. »Wir Engländer. Wir haben wohl etwas über uns gelernt, nicht wahr, James?«, sagte sein Freund bitter, als sie vor dem Bahnhof von Oxford in seinem Auto saßen und auf die Ankunft weiterer Freunde warteten. Zu der anderen Beerdigung. Der realeren.
»Was denn?«, fragte Wales.
»Dass wir genauso dumm sind wie alle anderen. Genauso dumm wie ihr. Das ist uns nämlich alles neu, weißt du. Das wussten wir eigentlich gar nicht, bis jetzt.«
Warum ihm all das wieder einfiel, konnte er nicht sagen. Normalerweise passierte das nicht, wenn er über irgendetwas geschrieben hatte. Allerdings war ihm der Vortrag zum Thema »Verfehlte Eigentlichkeit: wie wir die Bedeutung der Dinge entdecken, die wir sehen« leicht gefallen. Darin hatte er die Geschichte, wie die Frau seines Freundes starb, zum Zweck des Kontrasts noch einmal erzählt. Und dann war Jena auf der Bildfläche erschienen, und sie hatten angefangen, sich zu beeilen.