Einleitung
1 Begriffsbestimmungen
1.1 Alkaloide
1.2 Opium
1.3 Opiate und Opioide:
1.4 Opiat-Rezeptoren (=spezifische Bindungsstellen für Opioide im ZNS)
1.5 Sucht
1.6 Abhängigkeit (nach ICD10)
1.7 Entzugserscheinungen
1.8 Kreuztoleranz
1.9 Substitution
2 Historischer Überblick
2.1 Opiate und Entwicklung des Konsumverhaltens
2.1.1 Die Geschichte des Opiums
2.1.2 Von der Entwicklung des Morphiums zum Morphinismus
2.1.3 Das Heroin kommt auf den Markt
2.2 Die gesellschaftliche Kontroverse
2.2.1 Internationale Abkommen und nationale Gesetzgebung
2.2.2 Der Heroinschwarzmarkt
2.2.3 Die Entwicklung der Drogenszene in der Bundesrepublik Deutschland
2.2.4 Die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten in der BRD
2.2.5 Therapie statt Strafe
2.2.6 Die Entwicklung der Heroinszene der 80er Jahre bis heute
3 Substitution
3.1 Substitution - Rahmenbedingungen und Stoffe
3.1.1 Das „Verstärkungs- und Ausweichmittel“ Rohypnol®
3.1.2 Substitution im Graubereich der Gesetzgebung
3.1.3 Dr. Grimm und die gesellschaftliche Kontroverse um die Substitution von Heroinabhängigen
3.2 Der Wandel von der Abstinenz- zur Substitutions-„behandlung“
3.3 Methadon
3.3.1 Das Methadon: ein synthetisches Opiat
3.3.2 Nebenwirkungen des Methadons
3.3.3 Toleranz, Überdosierung und Abhängigkeit
3.3.4 Methadon und Schwangerschaft
3.3.5 Die Anfänge der Substitution mit Methadon
3.4 Aktuelle Substitutionspraxis
3.4.1 Gesetzlich relevante Rahmenbedingungen
3.4.2 Veränderungen in der Substitutionsbehandlung
4 Substitution aus der Klientensicht
4.1 Wissenschaftliche Forschungsergebnisse und Nebenwirkungen
4.2 Negative Aspekte zur psychischen Situation der Methadon- Klienten
4.3 Die Problematik des Beigebrauchs im Zusammenhang mit psychischen Störungen während der Metadon-Substitution
4.4 Die „soziale Kontrolle“
5 Alternative Vorstellungen
5.1 Das Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger
5.2 Ausblick für die Substitutionspraxis
6 Konsequenzen für die soziale Arbeit
6.1 Akzeptierende Drogenarbeit
6.2 Soziale Begleitung bei einer Substitution durch Heroin
Literaturverzeichnis
Anhang
Der Autor:
Gerhard Haller, geb. 1957 in Göttingen, dort in einer Ärztefamilie aufgewachsen, absolvierte in Berlin ein Fachhochschulstudium zum Dipl. Sozialarbeiter/-pädagogen. In seiner Jugend interessierte er sich für die damalige 68er-Protestbewegung, alternative Lebensweisen und die gesellschaftlichen Aussteiger. Unter anderem aufgrund langjähriger eigener Erfahrungen als Suchtabhängiger, entschied er sich 1997 für das Studium der Sozialpädagogik, insbesondere für den Schwerpunkt „Gesundheit“.
Gerhard Haller
Vom Morphin zur Substitution
Die historische und gesellschaftliche Kontroverse zur Substitution Opiatabhängiger
ISBN: 978-3-8428-1705-0
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
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Das Ziel dieses Buches ist eine Auseinandersetzung mit der historischen und gesellschaftlichen Kontroverse um die Substitution von Opiatabhängigen. In chronologischer Reihenfolge werden in dieser Studie die historischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge beschrieben, in denen Opioide konsumiert wurden. Dabei soll der Einfluss politischer, kultureller und gesellschaftlicher Interessen auf den Umgang mit den Opiaten und den Konsumenten untersucht werden.
Im jeweiligen historischen Kontext kam es immer wieder zu gesellschaftlichen Prozessen der Ausgrenzung, Kriminalisierung und/oder Pathologisierung von süchtigen Menschen.
Die Drogenpolitik, verstanden als ‚politischer Umgang mit dem Drogenproblem’, die Gesetzgebung und die wirtschaftlichen Interessen die sich auf dem Schwarzmarkt und in der „legalen“ Wirtschaft, bzw. Pharmazie niederschlagen, bestimm(t)en die gesellschaftliche Kontroverse um eine Substitution der Opiatabhängigen. Im Laufe der Geschichte hat es eine lange Reihe von verschiedenen Opioiden gegeben, die sich auf dem Markt ablösten, um das Suchtproblem (in Bezug auf Opiate) auf chemischen Wege zu lösen. Ebenso wurden Substitutionsmittel eingesetzt, die anschließend oft wieder aus der Verfügung genommen und damit „illegal“ wie auch interessant für den Schwarzmarkt wurden.
Nach Schätzungen wurden im Jahr 2001 bereits 30– 50% der Heroinabhängigen in Deutschland substituiert. Die Gesamtzahl der mit Methadon substituierten Patienten stieg von 1000 im Jahr 1991 auf geschätzte 40 bis 45.000 im Jahr 2001. Dabei zeigt sich eine stark steigende Tendenz: von 2000 bis 2001 kamen ca. 10.000 Methadon-Patienten hinzu.1. Die Zahl der mit Codein/Dihydrocodein bzw. mit Buprenorphin (Subutex®) substituierten Patienten wurde im Jahre 2001 mit 4000 bzw. 700 veranschlagt.
Meiner Ansicht nach hat sich parallel zum „Abstinenzparadigma“ ein „Substitutionsparadigma“ mit Methadon als Mittel der Wahl etabliert, was die Ursachen der Sucht und das Leiden der Süchtigen nicht beheben kann. Ohne mich gegen die Ermöglichung von Methadon als Substitutionsmittel aussprechen zu wollen, habe ich mich in dieser Untersuchung mit den Auswirkungen der Methadonbehandlung auf die Heroinabhängigen kritisch auseinandergesetzt.
Zunächst sollen einige Begriffsbestimmungen vorgenommen werden, die das weitere Verständnis der behandelten Themen vereinfachen sollen (Kap.1); dann wird ein historischer Überblick über die Opiate, die Entwicklung des Konsumverhaltens und die Entwicklung der gesellschaftlichen Kontroverse um den Umgang mit Opiatabhängigen vorgenommen (Kap. 2). Es schließt sich eine Beschreibung des gesellschaftlichen Wandels weg vom sog. Abstinenzparadigma bis zur heutigen Methadon-Substitutionsbehandlung an (Kap. 3). Schließlich sollen anhand eigener Thesen, Interviewaussagen und wissenschaftlicher Forschungsergebnisse die aktuellen Probleme von Methadon-Patienten verdeutlicht werden (Kap. 4). Als eine mögliche Alternative wird das Modellprojekt zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger vorgestellt (Kap. 5). Abschließend werden Konsequenzen für die soziale Arbeit im Hinblick auf eine akzeptierende Drogenhilfe erörtert (Kap. 6). Im Buch verwertete Interviews sind im Anhang zu finden.
Nachstehend werden einige Begriffsbestimmungen vorgenommen, die dem Leser ein besseres Verständnis der weiteren Darstellungen ermöglichen sollen.
Alkaloide sind überwiegend kompliziert strukturierte basische Pflanzenstoffe, die Stickstoff meist heterocyclisch gebunden enthalten. Sie haben ausgeprägt spezifische und starke physiologische Wirkungen. Da diese uneinheitlich sind, können sie physiologisch und pharmakologisch nicht klassifiziert werden. Die Einteilung erfolgt nach chemischen Gesichtspunkten. Die isolierten bzw. synthetisch gewonnenen Alkaloidbasen und –salze werden als Arzneistoffe vielfältig verwendet. Alkaloide sind sehr stark wirksame Stoffe. Viele Alkaloide beeinflussen besonders das Nervensystem. Einige gehören zu den Suchtmitteln, wie das Morphin und das Cocain. Alkaloide kommen im Pflanzenreich verbreitet vor, zahlreich in Pflanzen der Familien Mohngewächse, Hahnenfußgewächse, Krappgewächse, Hundsgiftgewächse, Liliengewächse und Strychnosgewächse. Die in einer Pflanze vorrangig enthaltenen Alkaloide werden als Hauptalkaloide bezeichnet, die übrigen, oft chemisch ähnlich gebauten, als Nebenalkaloide.2
Opium heißt der getrocknete Milchsaft von Kapseln des Schlafmohns, welcher prinzipiell überall in subtropischen und gemäßigten Zonen gedeiht. Das Naturprodukt Opium enthält mehr als 20 verschiedene Alkaloide.
Ein Hauptalkaloid ist Morphin, mit einer Quantität von zehn bis zwölf Prozent. Andere Alkaloide sind Narkotin (5-6%), Codein (0,15-1%), Papaverin (0,1-0,4%), sowie Narcein, Thebain, Laudanosin, Xanthalin, Noscapin. Die narkotisierende, schmerzstillende Wirkung geht nur von Morphin, Codein und Thebain aus. Der Opiatrausch wird hauptsächlich vom Morphin verursacht. Die anderen Wirkstoffe (Alkaloide) können die Morphinwirkung allerdings steigern oder auch schwächen.3
Der Begriff „Opiate bezeichnete ursprünglich alle natürlichen Alkaloide des Opiums und die davon abgeleiteten halbsynthetischen Derivate. Später wurden dann vollsynthetische Substanzen mit einem dem Morphin vergleichbaren Wirkungsspektrum entwickelt.
Unter dem Begriff „Opioide“ werden alle natürlichen und synthetischen Medikamente mit morphinartigen Eigenschaften zusammengefasst. Heute werden die Begriffe „Opiate“ und „Opioide“ häufig synonym verwendet
Synthetische Opioide, die als Morphinersatz in Frage kommen: Phethidin, Fentanyl, Sulfentanyl (=Methadon) 4
Es gibt zahllose Opiat-Rezeptoren in unterschiedlicher Konzentrationsdichte in verschiedenen Bereichen des Gehirns und im zentralen Nervensystem. Stark wirkende Opioide haben eine stärkere Affinität zu den Rezeptoren als schwach wirkende Substanzen. Im Gehirn und vor allem in den Synapsen zwischen den Neuronen befinden sich zudem zahllose Rezeptoren für verschiedene Neurotransmitter und andere Stoffe, die die Reizübertragung auf unterschiedliche Weise beeinflussen oder abwandeln. Es ist häufig untersucht worden, auf welche Art und Weise die Weiterleitung von Reizen durch Opioide über eine Verbindung mit den Opiat-Rezeptoren beeinflusst wird. Im Allgemeinen üben Opioide eine hemmende Wirkung auf die Reizübertragung in den Bereichen aus, in denen sich ihre Rezeptoren befinden.5
Im deutschen Sprachgebrauch wird das Wort „Sucht“ einerseits von „suchen“, andererseits von seiner geschichtlichen Bedeutung im Sinne von „siechen“ (=krank) abgeleitet. Nach dem 16. Jahrhundert trat das Wort immer häufiger im Zusammenhang mit einer Krankheit auf, um ein spezielles Symptom zu beschreiben. So ist es u.a. als Sammelbegriff für fiebrige Krankheiten und für Auszehrungen des Körpers („Schwindsucht“) verwendet worden. Im weiteren Sinne bezeichnete das Wort auch sittliche, seelische bzw. geistige Krankheiten. Im Laufe der Zeit hat sich der Suchtbegriff erweitert. Er wurde auch für übersteigerte Verhaltensweisen (z.B. Rachsucht) und für „die übertriebene Liebe zum übermäßigen Trinken bis zum Rausch“(„Trunksucht“) eingesetzt. Trunk- und Opiatsüchtige wurden und werden moralisch verurteilt; Nach dieser bis heute allgemein gültigen Meinung ist die „Sucht“ auf eine Willenschwäche, z.T. auch genetische Disposition zurückzuführen.6.
Neben der umgangssprachlichen Verwendung des Wortes „Sucht“ für Krankheiten, bezieht sich die Erklärung der „klassischen Sucht“ auf eine Droge. Im zwanzigsten Jahrhundert kam dabei der Zwangscharakter der chronischen Krankheit in den Blickpunkt. Erst wurde der Alkoholismus, dann auch die Opiatsucht als Krankheit offiziell anerkannt. Seit Mitte der 80er Jahre lässt sich von einer „Inflation des Suchtbegriffes“ sprechen. So entstand ein Bewusstsein für „neue Süchte“, wie Spielsucht, Arbeitssucht, Fernsehsucht, Kaufsucht oder Sexsucht.7
In einer ersten international verbindlichen Kodifizierung (1952) durch die World Health Organisation (WHO) heißt es:
„Sucht (drug addiction) ist ein Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, der durch die wiederholte Einnahme einer (natürlichen oder synthetischen) Droge hervorgerufen wird. Ihre Charakteristika sind (1) ein überwältigendes Verlangen oder Bedürfnis (zwanghafter Art), die Drogeneinnahme fortzusetzen und sich diese mit allen Mitteln zu verschaffen; (2) eine Tendenz zur Dosissteigerung; (3) eine psychische (psychologische) und allgemein eine physische Abhängigkeit von den Drogenwirkungen; (4) zerstörerische Wirkungen auf das Individuum und die Gesellschaft.“8
Der Suchtbegriff von 1952 war zu eng an den Opiaten orientiert. Die WHO-Definitionen waren und sind eine Synthese wissenschaftlicher Ansätze zur terminologischen Klärung mit den Anforderungen der internationalen Suchtstoffabkommen. „Da immer mehr Substanzen deren strengen Kontrollen unterworfen wurden, musste der Suchtbegriff immer weiter und notwendigerweise auch immer vager gefasst werden.“9
Die Definitionsproblematik suchtrelevanter Begriffe hat sich bis heute fortgesetzt und äußert sich in einer allgemeinen „Begriffsverwirrung“. Der Verzicht auf eine inhaltliche Abgrenzung der Stoffe, die in die internationalen Kontrollabkommen aufgenommen werden sollen, lässt eine Kontrolle je nach Interessenlage offen:
„Es werden immer mehr Substanzen in die internationalen Abkommen zur Suchtstoffkontrolle aufgenommen, ohne dass deren Vergleichbarkeit im Hinblick auf das Suchtpotential nachgewiesen wird. Dieser Tatsache der nahezu beliebigen Ausdehnung der Anzahl kontrollierter Stoffe haben sich die Definitionsbemühungen der WHO und der Mitgliedsstaaten der Suchtstoff-Kontroll-Abkommen anzupassen.“10
1964 wurde auf den Terminus der Sucht verzichtet. Als Rahmenbegriff löste „Drogenabhängigkeit“ (=drug dependence) die älteren Begriffe „Sucht“ (=addiction) und „Gewöhnung“ (=habituation) ab.
„Der Begriff der Sucht ist heute allerdings unklarer denn je. Relative Klarheit besteht bestenfalls dann, wenn man ihn auf schwere Formen körperlicher Abhängigkeit begrenzt“.11
„In der letzten Fassung der ICD (Internationale Klassifikation der psychischen Störungen), der 10. Ausgabe der WHO von 1993, ist Abhängigkeit zu diagnostizieren, wenn 3 oder mehr der folgenden Kriterien zutreffen:
Werden Opiate wie Heroin regelmäßig konsumiert, entsteht sowohl eine psychische, als auch eine körperliche Abhängigkeit. Um die anfängliche Wirkung des Heroins zu verspüren, muss die Dosis gesteigert werden. Bei Absetzen der Droge treten Entzugserscheinungen auf.
Im ICD 10 werden zur Handhabung einer operationalen Diagnostik in Kapitel V (F) Kriterien für Psychische und Verhaltensstörungen beschrieben. Im Abschnitt F 1 werden Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen eingegrenzt. Durch die 3. Stelle werden die verursachenden Substanzen kodiert, z.B. F10 Störungen durch Alkohol, F11 Störungen durch Opioide oder F19 Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen. Die klinischen Erscheinungsbilder werden durch die 4. Stelle kodiert und können allen psychotropen Substanzen zugeordnet werden, allerdings nur, wenn diese für eine Substanzgruppe auch relevant sind, z.B. F1x.0 akute Intoxikation; F1x.1 schädlicher Gebrauch; F1x.2 Abhängigkeitssyndrom; F1x.3 Entzugssyndrom; F1x.5 psychotische Störung. Mit der 5. Und 6. Stelle können die klinischen Zustandsbilder näher bezeichnet werden. So kann z.B. die Diagnose Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) weiter differenziert werden z.B. F1x.20 gegenwärtig abstinent; F1x.22 gegenwärtige Teilnahme an einem ärztlich überwachten Ersatzdrogenprogramm (z.B. Methadon, Nikotinkaugummi oder Pflaster); F1x.24 gegenwärtiger Substanzgebrauch (aktive Abhängigkeit) und dieser durch F1x.240 ohne-, und durch F1x.241 mit körperliche(n) Symptome(n). Die Hauptdiagnose soll möglichst nach der Substanz (-klasse) erfolgen, die zu dem gegenwärtigen klinischen Syndrom hauptsächlich beigetragen hat oder dies verursacht hat. Wenn weitere Substanzen oder Substanzklassen klinische Erscheinungsbilder (F1x.0-F1x.9) verursacht haben, soll eine Zusatzdiagnose kodiert werden. Die Kategorie sollte dann verwendet werden, wenn nicht zu klären ist, welche Substanz am meisten zur vorliegenden Störung beiträgt, oder auch, wenn Art und Menge der verwendeten Substanzen nicht zu identifizieren sind (Polytoxikomanie).13
Diese werden von Heroinabhängigen „Affe“ und „Turkey“ genannt.
1 bei Entzug von Morphin und Heroin:
2 beim Entzug von Methadon:
„Die Vermeidung von Entzugserscheinungen ist u.a. ein Grund für fortgesetzten Gebrauch von Opioiden. Die Ausbildung körperlicher Abhängigkeit und die Entzugserscheinungen sind die Folge davon, dass sich bei längerem Konsum dieser Stoffe Toleranz gegenüber ihrer Wirkung entwickelt.„15
Der Entzug wird bei Seefelder: „Opium - Eine Kulturgeschichte“ plastisch geschildert: „Etwa zwölf Stunden nach der letzten Dosis Morphium oder Heroin beginnt der Süchtige unruhig zu werden. Ein Schwächegefühl überkommt ihn, er gähnt, erschauert und schwitzt gleichzeitig, während ihm eine wässerige Flüssigkeit aus den Augen und durch die Nase rinnt, was ihm vorkommt, als „liefe heißes Wasser den Mund empor“. Für ein paar Stunden fällt er, sich ruhelos wälzend, in einen abnormen Schlaf, den die Süchtigen als „Gierschlaf“ bezeichnen. Beim Erwachen, etwa 18 bis 24 Stunden nach Einnehmen der letzten Dosis, betritt er die tieferen Regionen seiner „persönlichen“ Hölle. Das Gähnen kann so heftig werden, dass er sich die Kiefer verrenkt. Aus der Nase fließt dünner Schleim, die Augen tränen stark, die Därme beginnen mit unerhörter Gewalt zu arbeiten. Die Magenwände ziehen sich ruckweise stark zusammen und verursachen explosives Erbrechen, wobei auch Blut mit austritt. So gewaltig sind die Kontraktionen der Eingeweide, dass der Leib außen ganz geriffelt und knotig aussieht, als seien unter der Haut Schlangen in einen Kampf verwickelt. Die starken Leibschmerzen steigern sich rapid. Der Darm wird immerfort entleert, so dass es bis zu 60 wässerigen Stuhlentleerungen am Tag kommen kann.“16
Der Konsum eines Opiats führt zu Kreuzabhängigkeit und Kreuztoleranz gegenüber anderen Opioiden. „Das bedeutet, dass Toleranz gegenüber den Wirkungen des einen Opiats gleichzeitig Toleranz gegenüber den Wirkungen eines anderen Opiats zur Folge hat und dass die Entzugserscheinungen nach Absetzen des einen Opiats in gewissem Sinne durch ein anderes Opioid bekämpft werden können.“17