Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
1 Theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema sexueller Missbrauch
1.1 Begriffsdefinition und Eingrenzung
1.2 Aktuelle Zahlen, Dunkelziffern und Statistik aus Deutschland
1.3 Kindliches Verhalten als verschlüsselte Hinweise auf Missbrauch
1.3.1 Physische Symptome
1.3.2 Psychische Reaktionen auf sexuellen Missbrauch
1.4 Warum so viele Kinder schweigen und Pädagogen nichts bemerken
2 Niederschwellige Krisenintervention am Beispiel Kinderschutzzentrum
2.1 Das Kinderschutzzentrum in Oldenburg
2.2 Mitarbeiter
2.3 Arbeitsansatz
3 Entwicklung, Durchführung und Auswertung des Experteninterviews
3.1 Begründung zur Auswahl der Methode, des Interviewpartners und dessen Expertenrolle
3.2 Vorbereitungen
3.3 Leitfaden zur Durchführung des Interviews
3.4 Postscript
3.5 Transcript
3.6 Analyse des Experteninterviews
4 Entwicklung eines Leitfadens zur Erkennung von sexuellem Missbrauch und zur Krisenintervention für Pädagogen des Elementarbereichs
4.1 Begriffsdefinition und Intention
4.2 Rechtliche Grundlagen nach § 8a des Kinder- und Jugendhilfegesetztes
4.3 Leitfaden zur Erkennung von sexuellem Missbrauch und zur Krisenintervention für Pädagogen des Elementarbereichs
4.3.1 Vorgehen bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch innerhalb der Familie
4.3.2 Deutung und Umgang mit Symptomen
4.3.3 Gesprächsführung mit dem Kind
4.3.4 Beratung im Team und Hinzuziehen einer pädagogischen Fachkraft
4.3.5 Umgang mit den Eltern und Vermittlung von Hilfsangeboten
4.3.6 Zusammenarbeit mit dem Jugendamt
5 Konsequenzen für das pädagogische Arbeiten
5.1 Schlussfolgerungen für Pädagogen des Elementarbereichs
5.2 Resümees
Quellenverzeichnis
Anhang
Niederschrift des Experteninterviews
1. Leitthema: Das Kinderschutzzentrum Oldenburg
I: Können Sie am Anfang kurz sagen, wie das Kinderschutzzentrum arbeitet? Ganz kurz nur und welche Ziele es hat?
R: Wir sind eine Fachberatungsstelle für die Bereiche sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und Misshandlung und häusliche Gewalt für Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre. Und das sind eben die Schwerpunkte, also nicht nur sexueller Missbrauch, so wie Wildwasser, die haben ja nur den Bereich sexueller Missbrauch bei Mädchen und jungen Frauen. Wir haben also auch den Bereich Vernachlässigung und Misshandlung, der ja auch im Kita-Bereich vorkommt. Es geht ja um den Kita- und sogar noch vor dem Kindergarten der der Krippenbereich. Und da haben wir natürlich nicht so viel mit zu tun, also mit den Kindern selbst, weil diese ja häufig noch im vorsprachlichen Bereich sind. Also Kinder tauchen hier so ab drei Jahren auf, frühestens. Wir beraten natürlich aber auch Erzieherinnen oder Eltern, die kleinere Kinder haben. Und wir machen natürlich auch Beratung für die Eltern, wir beziehen aber auch die Kinder mit ein. Wir machen Fachberatung für Erzieherinnen, Lehrerinnen oder sonstige Betreuungspersonen. Es können auch manchmal Familienhelferinnen sein, die halt mit diesem Thema zu tun haben. Das sind so die Schwerpunkte.
I: Gibt es bestimmte Ziele, die Sie haben in Ihrer Arbeit, oder Leitlinien?
R: Ja. Wir haben als Leitbild dieses: vertrauen, schützen, stärken. Wir heißen ja auch Vertrauensstelle Benjamin. Die Idee ist schon auch erstmal eine Stärkung , also auch einen Schutz herzustellen, dass keine aktuellen Übergriffe mehr sind; da möglichst viel Schutz herzustellen. Wir hatten auch eine Zeit lang eine Wohngruppe, die haben wir leider nicht mehr. Aber es gibt ja auch eine Inobhutnahme in Oldenburg und drum herum. Also dass die Kinder erstmal Vertrauen gewinnen, dass die sich öffnen, dass man sie schützen kann und dann aber auch - wir haben noch einen präventiven Bereich, wo dann auch eine Stärkung der Kinder stattfindet. Wir haben auch ein Grundschulprogramm, wo wir in die Grundschulen gehen und mit der dritten Klasse, mit den Schülern der der dritten Klasse, dann über fünf Wochen so ein Programm in der Schule machen.
Bei dem die Kinder gestärkt werden können auch gerade im Bereich Übergriffe; sich zu wehren oder sich schnell Hilfe zu holen.
I: Wie viele Mitarbeiter arbeiten hier?
R: In der Beratungsstelle sind wir zu viert, aber alles Teilzeitstellen. Also keine vollen Stellen. Präventionsbereich eine Stelle, eine Leitungsstelle und eine Verwaltungskraft.
I: Sind das die Mitarbeiter, die auch im Internet aufgeführt sind?
R: Ja. Hier haben wir noch ein Heft, da sind die auch drin. Das verändert sich manchmal auch ein bisschen. Das sind hier schon wieder andere. Die aktuell im Internet drinnen sind, die sind das.
2. Leitthema: Sexueller Missbrauch an Kindern
I: Wie würden Sie selbst den Begriff sexueller Missbrauch definieren?
R: Also wir definieren ihn schon. Es gibt ja unterschiedliche Definitionen. Es gibt ja eine ganz enge Definition, die sagt, es gibt nur einen Missbrauch, wenn es wirklich um Anfassen auch ging, also "hands on", also mit Anfassen oder mit Penetration. Wir haben einen weiteren Begriff, also für uns ist auch Missbrauch, wenn Kinder gegen ihren Willen pornographisches Material anschauen müssen, oder wenn jemand sich vor ihnen entblößt. Das gehört für uns auch schon in diesen Bereich sexueller Missbrauch. Und es muss immer ein Machtgefälle da sein, also das jemand Mächtigeres, es kann auch gleichaltrig sein und trotzdem ein Machtgefälle da sein, das ist etwas gegen den Willen des anderen, oder das da eine Machtposition ausgenutzt wird. Das ist für uns so die etwas weitere Definition, und wir haben mit allen Bereichen hier zu tun. Also auch mit massiven Übergriffen, wo es auch um Geschlechtsverkehr geht, aber eben auch um die Varianten im Internet, wo Kinder oder Jugendliche da angemacht werden, was auch schon eine Form von sexuellem Übergriff ist.
I: Sind Ihnen Zahlen bekannt von Missbrauch in Deutschland oder speziell in Oldenburg?
R: Es gibt immer noch die Regel, dass so jedes, wenn man die weite Definition nimmt, dass so jedes fünfte Mädchen und jeder zehnte Junge Missbrauchserfahrungen hat. Es gibt ja immer eine offizielle Statistik und es gibt eine hohe Dunkelziffer. Die aktuellsten Zahlen für Niedersachsen und Oldenburg habe ich nicht, aber die müsste man in der Polizeistatistik rauskriegen können. Aber so die grobe Richtung; immer noch etwas mehr Mädchen als Jungen betroffen.
I: Sie sagten schon, dass Verhältnis Junge/Mädchen ist so, dass mehr Mädchen betroffen sind. Wie ist das denn mit den Familienangehörigen und Außenstehenden als Täter? Können Sie das bejahen, dass sexueller Missbrauch eher in der Familie geschieht als durch Außenstehende, also durch Fremde?
R: Sagen wir mal: Erweitertes Umfeld. Also nicht nur familiär, sondern auch Schule, Verein, Kirche. Also Bekanntenkreis. Wenn ich das mitnehme, dann habe ich 75% in diesem Bereich, also 3/4 in diesem Bereich und 1/4 sind fremde Personen. Das ist der geringere Teil. Aber es ist nicht nur innerfamiliär, es gehört der erweiterte Kreis dazu.
I: Hat sich in der Vorgehensweise der Täter in den letzten Jahren etwas verändert?
R: Es gibt einen Bereich, den man sagen kann, der sich entscheidend verändert hat, das ist das Internet. Also sonst hat sich da, denke ich, nicht viel verändert. Aber dieser Bereich, Zugriff über die ganzen Foren, wo sich Kinder treffen. Man kann ungefähr davon ausgehen, dass in diesen Foren wie Knuddelz.de, was ein typisches Kinderforum oder Jugendlichenforum ist, mindestens 1/3 Erwachsene sind, die sich als Kinder ausgeben und versuchen, in Kontakt mit Kindern zu kommen. Das ist eine neue Komponente, die auch zunimmt.
I: Welche Symptome zeigen missbrauchte Kinder?
R: Man ist von einer Liste weggegangen. Früher gab es eine Liste: Die haben das und das. Das Problem ist, dass alles, was die haben, auch andere Ursachen haben könnte. Deswegen nimmt man nicht mehr so eine Liste. Es gibt natürlich auch Fälle, in denen es wirklich Verletzungen gibt, einschlägige, nur die muss man sehr schnell diagnostizieren, weil es sehr schnell auch wieder verheilt. Und man muss eine Gesamtschau machen. Man kann jetzt nicht sagen, wenn ein Kind jetzt einnässt, ist Missbrauch da. Das wäre nicht korrekt, weil so was auch durch Trennung der Eltern passieren kann. Aber es kann natürlich auch in Zusammenhang mit Missbrauch stehen, dass ein Kind einnässt und einkotet, um sich einfach unattraktiv zu machen. Da gibt es ganz viele Sachen, wo man drauf achten muss. Also bei Missbrauch ist es schwierig zu sagen, das und das und das ist es. Da gibt es mehrere Sachen, die da zusammen kommen müssen und man muss gucken, gibt es noch andere Gründe. Das ist schwierig. Deswegen hat man diese Listen nicht mehr und nimmt sie in den neueren Publikationen auch nicht mehr her.
I: Woran liegt es, dass sexueller Missbrauch so oft unentdeckt bleibt und dass Pädagogen nichts davon bemerken?
R: Das ist natürlich so, dass das ein hohes Tabuthema ist, auch für Kinder, hoch schambesetzt, dass sie das sehr lange erstmal für sich behalten und das auch von den Angehörigen, also Erziehungspersonen oder auch Umfeld. Man sagt immer: So ein Kind äußert sich siebenmal, ehe das jemand wirklich wahrnimmt. Das heißt also auch, dass, wenn ein Kind nicht eindeutig sagt, der und der hat das mit mir gemacht, sondern eher so verdeckte Hinweise gibt, ist es häufig auch schwierig, diese zu deuten.
I: Ich habe in meiner Arbeit die Theorie aufgestellt, dass Pädagogen zu schlecht ausgebildet sind in dem Bereich. Würden Sie das bejahen, oder eher nicht?
R: Es ist unterschiedlich. Es ist im Moment ja so, dass durch diesen Paragraphen 8a, wo sie ja auch in den Kindergärten, also alle die im Kita-Bereich, Krippe und Hort tätig sind, müssen ja das Kindeswohl sozusagen im Blick haben. Das heißt, in Oldenburg sind inzwischen alle Erzieherinnen geschult. Also da ist schon eine Sensibilisierung da, wobei ich glaube, dass gerade im Kindergarten und Kitabereich und Krippenbereich für die normalen Gruppen viel zu wenig Zeit da ist, um das zu besprechen, um sich auch eine Fachkraft hinzuzuholen. Das haben eigentlich nur die Integrationsgruppen, die haben da Vorbereitungszeit, die etwas größer ist. Die anderen haben kaum Zeit vor- und nachzubereiten. Das denke ich, ist nicht fair und da denke ich, mangelt es dann schon ein bisschen. Aber ich glaube, dass das Wissen schon im Moment durch diesen Paragraphen 8a, wo es um Kindeswohlgefährdung in allen Bereichen geht, also sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und Misshandlung, in Oldenburg wesentlich sensibler ist. Es gibt aber auch Bereiche, so ein bisschen weiter außerhalb, die haben da noch nicht so viel von gehört. Das ist unterschiedlich.
3 Leitthema: Verhalten in der pädagogischen Praxis
I: Dann würde ich gerne zum dritten Thema kommen: Was ist konkret zu tun bei Missbrauchsverdacht? Also wenn ich als Erzieherin in einer Gruppe arbeite und ich habe den Verdacht, dass ein Kind sexuell missbraucht wird. Was muss ich tun?
R: Da gibt es in Oldenburg ganz klare Leitlinien, was Sie tun müssen. Und Sie müssen das mit Ihrer Leitung besprechen. Das ist leitungspflichtig. Das heißt, Sie müssen, mit Ihren Auffälligkeiten, oder wenn das Kind was äußert, dass mit Ihrer Kollegin besprechen und Sie müssen das dann mit der Leitung besprechen und zusammen eine Fallbesprechung machen und prüfen, sind unsere Sorgen da berechtigt? Habe ich nur die Wahrnehmung, oder sehen die anderen das ähnlich? Dann eventuell, wenn es notwendig ist, eine Fachkraft, eine insoweit erfahrene Fachkraft. Hier in Oldenburg gibt es einen Pool, wo man dann nachsehen kann, wen man nimmt. Als insoweit erfahrene Fachkraft sind wir vom Kinderschutzzentrum auch dabei. Das Thema nochmal von außen beleuchten lassen. Dann müssen Sie schauen- und das ist das Heisse beim Thema Missbrauch- Sie müssen dann ja auf Hilfen hinwirken, dass diese Kindeswohlgefährdung nicht weiterbesteht. Und wenn der Verdacht besteht, dass die Eltern missbrauchen, wäre es ja eine Gefährdung des Kindes, wenn ich das dann mit den Eltern bespreche. Dann muss ich schauen, wenn die Anhaltspunkte sehr gewichtig sind, dass ich das mit dem Jugendamt auch ohne Beteiligung der Eltern interveniere. Das ist die Ausnahme. Ansonsten muss ich also quasi erstmal auf die Erziehungsberechtigten einwirken und prüfen, ob die Hilfen annehmen, ob die in die Beratungsstelle gehen, ob die sich Hilfe vom Jugendamt holen. Aber beim sexuellen Missbrauch muss ich aufpassen. Für mich ist immer wichtig: Gibt es in der Familie eine Vertrauensperson, mit der man das Thema besprechen könnte? Wenn ich das Gefühl habe, Mutter und Vater hängen da beide mit drinnen, dann wird es schwierig. Dann muss ich so viele Fakten sammeln, dass ich zusammen mit dem Jugendamt da reingehen kann und eventuell das Kind rausnehmen kann. Es gibt hier von der Beratungsstelle Delmenhorst so einen schönen Handlungsplan: "Vorgehensweise und Zusammenarbeit bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch."
I: Also würden Sie sagen, bei sexuellem Missbrauch generell die Eltern nicht miteinbeziehen?
R: Man muss schauen, ob man nicht das Kind dadurch mehr gefährdet. Nicht generell. Man muss prüfen: Gibt es eine Person, kann ich das vielleicht mit der Mutter besprechen? Oder Oma. Ist die zuverlässig? Ich muss ja irgendwie, wenn das Kind Andeutungen macht herausfinden, was dran ist, oder ob ich nur den Verdacht aus einem Verhalten heraus habe.
I: Und sehen Sie Erzieher in der Lage dies zu entscheiden, ob die Eltern mit einbezogen werden sollen?
R: Nein! Die müssen sich Fachberatung holen. Eigentlich bei denen in soweit erfahrenen Fachkräften, die dafür vorgesehen sind.
I: Ich habe in mancher Literatur gefunden, dass als zweiter Schritt sofort die Eltern hinzuzuziehen seien, bevor die externe Fachkraft kommt.