1. Einleitung
2. Perspektivierung / Vorgehen
3. Soziokulturelle Dimension
3.1 Die Kulturkritik am Walkman
3.2. Hosokawa Der Walkman-Effekt
3.2.1. Das Wirkungs-Ereignis
3.2.2 Die integrative Funktion des Walkman
3.2.3 Kritik
3.3 Michael Bull Sound Moves: The Dialectic of 'mediated isolation'
3.3.1 These: Der iPod isoliert
3.3.2 Antithese: Der iPod schafft Verbindungen
3.3.3 Synthese: Verbindung durch Isolation
3.3.4 Kritik
3.4 Zwischenfazit: Zwischen affirmativer und isolierender Distanz
4. Technische Dimension
4.1 Der iPod als materielle Kultur
4.2 Technikgeschichte: Die iPod-Generationen
4.3 iPod touch und iPhone
4.4 Applikationen
4.5 Archivierungskonzepte / Playlist-Generatoren
4.5.1 iTunes
4.5.2 Last.fm
4.5.3 mufin / Globalmusic2one
4.6 Zwischenfazit: Gemeinschaft durch Individualisierung
5. Ästhetische Dimension
5.1 Mobiler Hörmodus
5.2 Der mobile Hörer als Typ musikalischen Verhaltens
5.3 „Verdorbenes Gehört?“ Mobiles Hören zwischen Werk- und Wirkungsästhetik
5.4 Es schläft ein Lied in allen Dingen: Die Aisthetik Gernot Böhmes
5.4.1 Mobiles Hören und die Schaffung von Atmosphären
5.5 Sabine Sanios 'erweiterte' Ästhetik der Klangkunst
5.5.1 Und die Welt hebt an zu singen: Walkman-Effekt und Klangkunst
5.5.2 Die Performanz der ästhetischen Erfahrung
5.6 Zwischenfazit – Die ästhetische Qualität des Hörens
6. Schluss
Literaturverzeichnis
Anhang
mufin-Benutzeroberfläche. Visualisierung der Musiksammlung (Kreise) und algorithmisch generierte Playlist („Sternzeichen“)
Danja Ulrich
Mobile Musik. Die mobile iPod-Hörkultur und ihre gesellschaftlichen und ästhetischen Konsequenzen
ISBN: 978-3-8428-1798-2
Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012
Covermotiv: © Johannes Ernst
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„Es müsste einfach immer Musik da sein, bei allem was du machst“ sagt Floyd 1998 im Film Absolute Giganten. Was damals als romantische Idee erscheint, ist knapp neun Jahre später Alltagsphänomen westlicher Kulturen. 2007 verkündet Apple den Verkauf des 100-millionsten iPod.1 Mobilisierter Musikkonsum ist angesichts dieser hohen Verkaufszahlen kein sub- oder jugendkulturelles Phänomen mehr, sondern avanciert vielmehr zu einem dominanten Hörmodus unserer Zeit.
Doch nicht nur das Musikhören unterwegs, auch der mobile Zugriff auf Internet und persönliche mediale Inhalte, sowie die Möglichkeit jederzeit und an jedem Ort Gespräche über das Telefon zu führen, entwickeln sich zu festen kulturellen Werten.2 Technologien wie iPod, iPhone oder iPad sind dabei Ausdruck eines aktuellen weltumspannenden Mobilisierungsprozesses, bei dem vormals stationäre technische Artefakte zu mobilen Alltagsbegleitern avancieren. Analog zu dieser Entwicklung wird in der Literatur von einer „mobilen Revolution“3 oder gar vom Ausbruch eines „nomadischen Zeitalters“4 gesprochen. Der französische Philosoph und Medienkritiker Paul Virilio spricht vom „Zeitalter der allgemeinen Mobilmachung.“5 In dieser Ära des Nomadentums wird der Mensch nicht mehr heimatlos umherstreifen, sondern mit Hilfe von Medien bereits überall zuhause sein.6 Virilio prophezeit in diesem Sinne eine Zeit des „bewohnbaren Verkehrs“.7 Reinhard Olschanski weist darauf hin, dass die Mobilisierung von Technik weit reichende soziale Folgen haben wird, die bis in den Alltag stoßen.8 Auch Ulrich Dolata und Raymund Werle sprechen von „neuartigen Beziehungsmustern zwischen Mensch und Technik, die unsere Lebensweisen und Konsummuster beeinflussen.“9
Doch welche Folgen sind es, die mit der Nutzung mobiler Technologien für die Gesellschaft und den Alltag einhergehen? Welche sozialen und kulturellen Konsequenzen hat die Popularität einer Technologie wie der iPod oder eines internetfähigen Smartphones? Welche Folgen hat Mobilität für die Musik und ihre Rezeption?
Da es sich beim Musikhören über den iPod um ein kulturelles Phänomen handelt, das sich durch Mobilität und Personalisierung des Musikhörens auszeichnet, impliziert diese Art der Rezeption die Schaffung eines selbstbestimmten „auditiven Territoriums“10 im öffentlichen Raum. Als 1979 der Walkman und damit die neuartige auditive 'Isolation' des Hörers in den öffentlichen Raum trat, wurden kritische Stimmen laut, die den Walkman als Anzeichen einer sich atomisierenden Gesellschaft deuteten.11 Die Möglichkeit etwas 'Privates' in der Öffentlichkeit zu machen provozierte – schien der Walkman-Hörer doch das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv im öffentlichen Raum zu stören.
Wie aber sah dieses Verhältnis vor Einführung des Walkman aus? Welche Vorstellung existierte von 'Privatsphäre' und 'Öffentlichkeit und welche Rolle spielten Medientechnologien dabei?
Traditionell wurde mit 'privat' an erster Stelle das eigene Heim oder die Familie assoziiert; 'öffentlich' dagegen mit 'von Zuhause weg' oder 'Ort unter Fremden'.12 Nicola Green und Leslie Haddon weisen darauf hin, dass sich die Bedeutung von 'öffentlich' und 'privat' über die Zeit hinweg mit der Einführung zahlreicher Technologien gewandelt hat.13 Horst Pöttker begreift Öffentlichkeit daher nicht mehr als Ort, sondern als ein Modus der gesellschaftlichen Kommunikation, die sich durch Barrierefreiheit zu Informationen auszeichnet, die über die Belange des Einzelnen hinausgehen.14 Damit besteht also auch ein Unterschied zwischen 'Öffentlichkeit' und 'öffentlicher Raum'.
Der öffentliche Raum stellt ein von Menschen erschaffenes Gebiet dar, das sowohl Straßen, Gebäude als auch Funktionsbauten wie Bahnhöfe oder Flugzeuge impliziert.15 Dazu zählen öffentliche Verkehrsmittel und Verwaltungsgebäude, da es sich auch hier um Orte handelt, die grundsätzlich für jede Person frei zugänglich sind. Der öffentliche Raum grenzt sich sowohl vom privaten Raum, als auch vom Arbeits- und Freizeitraum ab. Charakteristisch für den öffentlichen Raum ist, dass er überwiegend funktional genutzt wird und sich ihm ein bestimmter Grad alltäglichen Lebens abspielt.16 'Charisma', wie Max Weber den Begriff umdeutet, kann dabei als Antonym zum Alltag verstanden werden. Weber schreibt:
Alltag bezeichnet den Bereich der materiellen Bedarfsdeckung, des gewohnten und des plan- und zielgerichteten Handelns. Charisma hingegen bezeichnet den Bereich des Ideell-Kulturellen, in dem der Mensch sein Leben als sinn- und bedeutungsvoll erfährt, also den Bereich des affektuellen und des wertrationalen Handelns.17
Demnach kann Alltag auch synonym zu Begriffen wie traditionell, eingelebt oder gewohnt und Charisma als wirtschaftsfremd oder umgestaltend verstanden werden.18 Durch Bildungs- und Freizeiteinrichtungen wie Parks oder Schwimmbäder, besitzt der öffentliche Raum neben den Funktionsräumen auch charismatische Orte.
Kulturgeschichtlich war der öffentliche Raum schon immer geprägt von alltäglichen Strukturen, generierte jedoch als Informations- und Kommunikationsort – im Sinne der antiken Agora19 – viele charismatische Erfahrungen.20 Durch Industrialisierung und Verstädterung unterlag der öffentliche Raum einem Bedeutungswandel, wobei vor allem die einsetzende Verbreitung und Popularität von Medien wie Radio, Telefon oder Fernsehen eine entscheidende Rolle spielten.21 Es kam zu einer Domestizierung,22 bei der die Menschen begannen, Medien in ihre Lebensform, in ihren Alltag und in ihren Haushalt zu integrieren.23 Die Alltagstechnisierung wurde dabei als Zeichen des Wohlstandes gedeutet, da der vormals notwendige Gang in den öffentlichen Raum oder das kollektive Rezipieren von Medien wegfiel.24 Mediennutzung wurde zunehmend etwas intimes und privates.25 Dieser Umstand hatte zur Folge, dass Medienkonsum nicht mehr an eine kollektive Öffentlichkeit geknüpft war, sondern fortan privat und singulär erfolgen konnte.26
Analog zu dieser Entwicklung wurden kritische Stimmen aus Philosophie und Soziologie laut, die in der Domestizierung der Medien und der Technisierung des Alltags den Verlust charismatischer Erfahrungen im öffentlichen Raum diagnostizierten.27 Vilém Flusser machte in diesem Sinne darauf aufmerksam, dass elektronische Medien den öffentlichen Platz als Umschlagort für Informationen und als Versammlungsort für politischen und gesellschaftlichen Austausch ersetzt und nach Hause geholt hätten.28 Dabei kritisierten diese Autoren den vermeintlichen Bedeutungsverlust des Menschen als Kommunikationspartner, dessen Rolle von den Medien abgelöst würde. Virilio schreibt: „[...] das öffentliche Bild hat heute den öffentlichen Raum abgelöst, in dem soziale Kommunikation stattfand; die Funktion von Straße und Marktplatz haben jetzt Bildschirme und elektronische Anzeigen übernommen.“29
Während öffentlicher Raum und das 'Prinzip der Öffentlichkeit' vormals – im Sinne der Agora – zusammenfielen, wird ihr Dichotomisierungsprozess und die Domestizierung von Medien mit einem „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“30 assoziiert. Dies zieht jedoch gleichzeitig die Annahme mit sich, dass die „Nomadisierung“31 von Technologien – durch die Mediennutzung eben wieder verstärkt im öffentlichen Raum stattfindet – ein Transformationspotential bezüglich einer Rehabilitation des öffentlichen Raums besitzen könnte. Welcher Bedeutungswandel für die Öffentlichkeit mit den mobilen Technologien einhergeht und wie sich das öffentliche soziale Miteinander durch diese neu strukturiert, soll als Grundfrage der vorliegenden Studie immer wieder aufgegriffen werden. Durch diese Rückgriffe, wird es möglich, das Kernthema der vorliegenden Arbeit in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu perspektivieren. Dabei steht auch die Frage zur Diskussion, ob durch die Mobilisierung von Technologien charismatische Erfahrungen im öffentlichen Raum wieder zunehmen können.
Um den Einfluss der Mobilität auf die Musik und ihre Rezeption zu skizzieren, wird der Frage nachgegangen, wie Musik über den iPod eigentlich wahrgenommen wird. Welche Spezifika lassen sich bei der personalisierten und mobilen Musikrezeption im öffentlichen Raum ausmachen? Inwiefern unterscheidet sich mobiles von immobilem Musikhören? Welche Rolle nimmt die unmittelbare Umwelt bei der körperlich aktiven Musikrezeption ein? Kommt es zwischen Umwelt und Musik zu Interferenzen? Wie wird das mobile Hören im musikästhetischen Diskurs bewertet und führt Musikhören unterwegs zu einer Ästhetisierung des Alltags oder zu einer 'Veralltäglichung' von Musik?
Bei der Betrachtung des bisherigen Forschungsstandes zeigt sich, dass das Phänomen der mobilen Hörkultur musikwissenschaftlich bisher kaum betrachtet wurde. Das mag daran liegen, dass der Einsatz von mobiler Musik heutzutage mit einer gewissen Routine verbunden ist, somit also einen Gegenstand des Alltags repräsentiert. Sabine Sanio macht darauf aufmerksam, dass gerade Alltäglichkeit von der klassischen Musikwissenschaft eher als problematisch eingeschätzt wird, da die historische Distanz zum kulturellen Phänomen lange Zeit grundlegendes Paradigma für eine objektive Beurteilung eines Gegenstandes für die Geisteswissenschaften war.32
Ausführlicher wurde das Phänomen mobilisierter Musik in Form von Walkman oder iPod dagegen von Kulturwissenschaftlern, Psychologen oder Soziologen aufgearbeitet. Mit Blick auf diesen Forschungsstand wird deutlich, dass sich die bisherigen Arbeiten hauptsächlich mit dem mobilen Hörer und seiner Beziehung zu seiner unmittelbaren Umwelt auseinandergesetzt haben. Im Sinne der Cultural Studies wurde dabei der Fokus häufig auf den Umgang mit dem Artefakt in der Praxis und die daraus resultierenden Bedeutungszuschreibungen gelegt, wobei der spezifischen Materialität des Artefakts – Walkman oder iPod – keine Relevanz beigemessen wurde. Da es sich beim iPod, auch im Unterschied zum Walkman, jedoch um eine höher entwickelte Technologie handelt, erscheint es sinnvoll mit einer näheren Betrachtung des Artefakts den kulturwissenschaftlichen Ansatz zu ergänzen. Durch Zuhilfenahme von kulturwissenschaftlichen, soziologischen, ethnographischen, techniksoziologischen, philosophischen aber auch medien- und musikwissenschaftlichen Blickweisen auf das Phänomen soll ein homogenes Bild der iPod-Kultur gezeichnet werden.
Bei der Betrachtung der mobilen iPod-Kultur wird deutlich, dass ein methodischer Zugang zu dem Phänomen über das musikalische Material nicht möglich ist. Zum einen weil Musikhören durch die Kopfhörer als ein personalisierter, singulärer Akt vorliegt – Musik also im eigentlichen Sinne gar nicht ertönt – zum anderen weil der iPod über eine immense Speicherkapazität verfügt, die Platz bietet für eine Vielzahl unterschiedlicher musikalischer Genres. Während Wahrnehmungstechnologien oft mit einer spezifischen Musikkultur oder Musikstil korrelieren, scheint der iPod – auch hinsichtlich der hohen Verkaufszahlen – mit keinem bestimmten Genre oder Musikkultur in Beziehung zu stehen.33 Es erscheint sinnvoller beim iPod weniger von einer Musikkultur, als vielmehr von einer Hörkultur auszugehen, um einen Zugang zum Phänomen zu finden. Anstatt von der Musik ausgehend Rückschlüsse auf Hörer und Funktion der Musik zu ziehen, sollten somit alternative Aspekte der Kultur anvisiert werden. Dabei stellt sich die Frage auf welche Art und Weise zugehört wird und welche Funktion das Gehörte für den Hörer besitzt. Dabei bietet es sich an, über das hörende Subjekt, die Technologie und die Hörsituation Anknüpfungspunkte zu dem Phänomen zu finden, die wiederum Schlussfolgerungen für die mobile Musik und ihre ästhetischen Kategorien zulassen.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich daher in drei zentrale Bereiche, die sich dem Thema jeweils aus einer anderen Perspektive nähern. Im Sinne einer soziokulturellen, einer technischen und einer ästhetischen Fragestellung wird sowohl die Beziehung zwischen Hörer und seiner Umwelt, zwischen Hörer und der Technologie, als auch das Verhältnis zwischen Hörer und der Musik untersucht. Bei diesen unterschiedlichen Fokussierungen spannt sich ein Netz aus Prozessen, Akteuren und wechselseitigen Einflüssen, die schlussendlich ein differenziertes Gesamtbild ergeben sollen.
Bei der ersten Perspektive auf die mobile iPod-Kultur steht die Skizzierung des mobilen Hörers entlang einer sozialen Dimension im Fokus, mit dem Ziel Konturen zu definieren und anschließend zu diskutieren. Die soziokulturelle Dimension stützt sich auf eine Auswahl bereits vorhandener Literatur über den Walkman resp. iPod und behandelt mit Hilfe eines rezeptionsanalytischen Vergleiches die Frage, auf welche Art und Weise das Artefakt genutzt und welche Bedeutung ihm im Kontext seines Umgangs zugeschrieben wird. Ausgehend von der Kulturkritik am Walkman in den 1980er Jahren werden mit Shuhei Hosokawa und Michael Bull zwei weitere Positionen unter der Fragestellung herangezogen, ob sich diese von den kulturpessimistischen Einschätzungen entfernen oder diese bestätigen. Dabei werden Walkman und iPod zunächst als identisches kulturelles Phänomen verstanden, bei dem privates Musikhören im öffentlichem Raum stattfindet.
In der technischen Dimension der iPod-Hörkultur wird zwischen beiden Technologien stark differenziert und die entsprechenden Unterschiede herausgearbeitet. Dies ist nötig, um die erarbeiteten Thesen des ersten Kapitels mit der technischen Weiterentwicklung der iPod-Modelle unter Aspekten der Plausibilität, Aktualität und technischer Umsetzung zu perspektivieren. Wobei hier angenommen werden kann, dass „Handlungsmöglichkeiten, sozioökonomische Strukturen und Institutionen […] durch die Eigenheiten bereits etablierter oder neuer Techniken mitgeprägt“ werden.34 Das bedeutet, dass soziokultureller Wandel stark abhängig ist von technischen Innovationen. Dabei wird der iPod nicht als 'Blackbox', als neutrales Artefakt eingestuft – wie es die Betrachtungsweise der kulturwissenschaftlichen Ansätze Hosokawas und Bulls impliziert – sondern vielmehr wird davon ausgegangen, dass in der technischen Struktur – als Hard- und Software – bestimmte Aktionsradien und folglich kulturelle Praktiken eingeschrieben sind. Zu diesem Zweck wird ein Blick auf die technische Weiterentwicklung des iPod gerichtet, wobei der Fokus auf der Materialität35 des Artefakts und der Frage liegt, welche technischen Strukturen die Technologie hinsichtlich intersubjektiver Kommunikation und sozialer Vernetzung bereitstellt. Zu untersuchen ist daher die materielle bzw. immaterielle Beschaffenheit der Technik als Initiator neuer kultureller Praktiken. Da dies auch impliziert, dass technische Strukturen kulturelle Praktiken des Hörens bedingen, werden darüber hinaus Archivierungskonzepte der Musik untersucht, die anschließend Rückschlüsse auf den mobilen Hörmodus zulassen sollen.
Bezüglich einer Perspektivierung der mobilen Musikrezeption innerhalb des musikwissenschaftlichen Diskurses wird zusätzlich eine ästhetische Dimension eröffnet. Dieser dritte Fokus wird dabei die bisherigen Ergebnisse an traditionelle ästhetische Überlegungen der Musikrezeption anschließen. Dabei gilt es zu klären, ob eventuelle Transformationsprozesse zu beobachten sind, die wiederum Ansätze für alternative und neue ästhetische Theorien notwendig machen.
Die soziokulturelle Perspektivierung der mobilen Hörkultur legt ihren Betrachtungsschwerpunkt auf den aktiven Nutzer des iPod, den Hörer. Da der iPod über eine Schnittstelle zu einem Computer oder stationärer Musikanlage verfügt, also auch einen immobilen Hörmodus impliziert, soll darauf hingewiesen sein, dass sich der vorliegende Abschnitt explizit auf den iPod als mobile Abspieltechnologie und dem zu Folge auch in erster Linie auf den mobilen Hörer im öffentlichen Raum bezieht. Das kulturelle Phänomen der mobilen iPod-Musikrezeption ist charakterisiert durch die Verwendung von Kopfhören. Diese ermöglichen zum einen eine personalisierte Musikrezeption, weisen aber durch ihren praktischen Einsatz im öffentlichen Raum darüber hinaus auch die Besonderheit auf, dass eine Trennung zwischen individueller und kollektiver Lautsphäre stattfindet, die ostentativ nach außen getragen wird. Die Möglichkeit Auditives von einer Kollektivwahrnehmung abzutrennen, war mit Erscheinen des ersten Walkman ein neuartiges Phänomen, welches in den 1980er Jahren in Deutschland zu unterschiedlichen Beurteilungen und kulturkritischen Diskussionen führte. Das Bild, das Wissenschaft und Feuilleton vom mobilem Hörer damals skizzierten, soll durch eine vergleichende Rezeptionsanalyse von Shuhei Hosokawas Arbeit Der Walkman-Effekt36 und Michael Bulls Sound Moves. iPod Culture and Urban Experience37 erweitert und kritisch betrachtet werden.
Mit Markteinführung des Walkman entbrannten in der BRD heftige gesellschafts-, jugend- und kulturkritische Diskussionen über psychologische, soziale und physiologische Gefahren dieser Technologie.38 Allesamt unterstellten sie dem Walkman-Hörer Anfang 1980 Isolation, Narzissmus, Autismus und Teilhabe am kulturellen Niedergang.39 Es fand überwiegend eine Pathologisierung des Hörers statt, bei dem das Musikhören im öffentlichen Raum als Zeichen der Angst vor der „unerträglichen Stille“40 oder als Sucht gedeutet wurde: „Der Hunger des Ohres wird durch Wiederholungen gestopft, wie der Raucher durch die stete Wiederholung des gleichen Vorgangs Sucht befriedigt (…).“41 Noch Anfang der neunziger Jahre sprachen Musikwissenschaftler von der „Musikdroge auf Knopfdruck“, der Sucht- und „Seuchen-Funktion“ des Walkman.42
Dabei brach die Kritik vor allem aufgrund der als negativ erscheinenden Technisierung des Menschen und seiner qua Technik transformierten Begegnung mit der Umwelt aus. Volker Grasnow diagnostizierte 1985 in seinem programmatisch betitelten Buch Der autistische Walkman, dass die Technologie das Verhältnis von 'öffentlich' und 'privat' grundlegend verändere, da „für die 'Öffentlichkeit' konstitutive Tätigkeiten wie Hören, Sehen, Sich-bewegen auseinandergenommen und 'technotronisch' neu zusammen gesetzt“ würden.43 Im Abschnitt „Diskothek und Walkman“ in einem Handwörterbuch der Musikpsychologie aus dem Jahre 1985 wird auf die „extreme[n] Ausprägung“ der „im Grunde widersinnige[n] Möglichkeit, inmitten anderer Menschen mit sich selbst und seiner Musik allein zu sein“ hingewiesen.44 Wobei der Walkman-Hörer „physisch präsent und psychisch entrückt einsam durch die Masse irrt.“45
„Was in einem Raum vorgeht, müssen eben alle hören, die in ihm sind, und daß der Eine es aufnimmt, nimmt es dem Anderen nicht fort“46 beschreibt Georg Simmel den vor Auftauchen des Walkman vorherrschenden Verhaltenskodex im öffentlichen Raum. Viele deutsche Bundesbürger sahen durch die unbekannte öffentlich inszenierte akustische Abschirmung diesen Kodex verletzt – wurde doch ein bisher unbekanntes Körper- und Raumkonzept in den öffentlichen Raum getragen.47 Das technisch ermöglichte personalisierte Hören von Musik wurde dabei als Entgegenkommen eines „neuen Sozialisationstyps“ gewertet,48 welcher sich primär durch Eskapismus und Narzissmus auszeichnet:
Es gibt natürlich auch eine Art, mit Musik umzugehen, bei der Sie recht haben, daß es sich dabei um Eskapismus handelt. Nehmen wir einmal das Beispiel „Walkman“, (...) hier wird ein Geräuschteppich direkt auf meine Ohren gelegt, der sich zwischen mich und meine sonstige Realität schiebt, so daß der Effekt in einer ungeheuren Abschwächung aller anderen Umweltreize besteht (…).49