Maßmenschen
Von Ampère und Becquerel bis Watt und Weber
Wer den internationalen Maßeinheiten den Namen gab
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Vollständig überarbeitete und wesentlich erweiterte Neuausgabe 2003
4. Auflage 2008
Copyright © 2003/8 by oesch verlag/kontra punkt, Zürich
Satz: Oesch Verlag
EPUB-ISBN 978-3-0350-4006-7
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Inhalt
Vorwort: Zu diesem Buch
König Heinrichs Nasenspitze
Ein Streifzug durch die Geschichte des Meßwesens
Ein findiger Wirrkopf
André Marie Ampère (1775–1836), Mitbegründer der Elektrodynamik
Er brachte ein Weltbild ins Wanken
Antoine Henri Becquerel (1852–1908), Entdecker der natürlichen Radioaktivität
Siedendheiß und bitterkalt
Die Temperaturskala des Anders Celsius (1701–1744)
Forschung am seidenen Faden
Charles Augustin de Coulomb (1736–1806) und das Grundgesetz der Elektrostatik
Ein genialer Autodidakt
Michael Faraday (1791–1867), Pionier der Elektrizität
Strahlen statt Skalpell
Louis Harold Gray (1905–1965), Vater der Radiobiologie
Der amerikanische Nationalheld
Joseph Henry (1797–1878), Entdecker der elektromagnetischen Selbstinduktion
Schnelle Wellen
Heinrich Hertz (1857–1894), Wegbereiter von Radio und Fernsehen
Physik im Sudhaus
James Prescott Joule (1818–1889) und das mechanische Wärmeäquivalent
Universalgenie und Lebemann
Lord Kelvin (1824–1907) und der absolute Nullpunkt
Der letzte Magier der Physik
Sir Isaac Newton (1643–1727) und die Himmelsbahnen
Ein Leben voller Widerstände
Georg Simon Ohm (1789–1854) und die elektrischen Ströme
Das Experiment auf dem Puy de Dôme
Blaise Pascal (1623–1662), Entdecker der Atmosphäre
Mit goldenen Löffeln zum Erfolg
Werner von Siemens (1816–1892), Begründer der Starkstromtechnik
Der Strahlenpapst
Rolf Maximilian Sievert (1896–1966), Pionier der Röntgentechnik
Zuckende Blitze im Madison Square Garden
Nikola Tesla (1856–1943), »Dichter der Elektrotechnik«
Der erste Kraftwerksbetreiber
Alessandro Graf Volta (1745–1827) und die elektrische Batterie
Der eiserne Engel
James Watt (1736–1819), Erfinder der Dampfmaschine
Mikkelmann kömmt
Wilhelm Eduard Weber (1804–1891), der erste Telegraphist
Anhang
Gesetzliche Einheiten im Meßwesen, die den Namen verdienter Wissenschaftler tragen
Vorsätze und Vorsatzzeichen zur Bezeichnung von dezimalen Vielfachen und Teilen von Einheiten
Die »pensionierten Maßmenschen«
Wie mißt man Erdbeben, Lärm und Traubensaft? Die Namensgeber von SI-fremden Einheiten
Alte Maßeinheiten im deutschen Sprachraum
Literaturhinweise
Personen- und Sachregister
Wir kennen sie schon lange, täglich verwenden wir ihre Namen. Das 220-Volt-Netz, die 100-Watt-Glühbirne, die 16-A-Sicherung, eine Taktfrequenz von 800 MHz, das sind für die meisten Zeitgenossen wohlvertraute Begriffe. Doch was wissen wir über die Menschen, die sich hinter diesen technischen Bezeichnungen verbergen? Wer war Graf Volta, wo hat Mister Watt gelebt, welche Erfindung verdanken wir Monsieur Ampère? Wer erinnert sich aus dem Physikunterricht noch an die Namen Hertz, Kelvin, Coulomb und Tesla? Und warum wurde die gute alte Kalorie durch die schwer aussprechbare Maßeinheit »Joule« ersetzt?
Dieses Buch beschreibt das Leben und Wirken von 19 Physikern, Ingenieuren und Erfindern, die bedeutende Beiträge für den Siegeszug der Technik geleistet haben. Bei der Festlegung der Maßeinheiten hat man ihre Verdienste gewürdigt, indem wichtige Einheiten nach ihren Namen benannt wurden. So erhielten sie posthum ein Denkmal der besonderen Art.
Das Internationale System der Maßeinheiten (SI-Einheiten) wurde in den Jahren 1969 bis 1985 von Wissenschaftlern und Experten der führenden Industriestaaten erarbeitet. Es ist inzwischen in fast allen Ländern der Erde gesetzlich eingeführt. Für die Weltwirtschaft hat das neue Maßeinheitensystem eine enorme Bedeutung. Die Verständigung in Wissenschaft, Technik und Handel auf dem Gebiet des Meßwesens ist damit über alle Grenzen hinweg erheblich vereinfacht. Die komplizierten Umrechnungen entfallen. Prüfgeräte, Prüfmethoden und Normen wurden vereinheitlicht, Handelshemmnisse beseitigt. Was die Maßeinheiten angeht, spricht man heute rund um den Erdball dieselbe Sprache.
Dieses Buch soll an die großen Pioniere der Technik erinnern und den von ihren Namen abgeleiteten technischen Begriffen einen menschlichen Hintergrund verleihen. Vor den Augen des Lesers entfaltet sich ein buntes Kaleidoskop denkwürdiger Ereignisse der Technikgeschichte. Er erlebt die Anfänge der Elektrizität und der Fernmeldetechnik, er erfährt, durch welche Zufälle die Radioaktivität entdeckt wurde und was zur Erfindung der Dampfmaschine geführt hat. Die Bewunderung für die Erfindungsgabe der Technikpioniere mischt sich mit dem Staunen über ihre Phantasie und Genialität.
Das Buch enthält im Anhang Kurzbiographien früherer Namensgeber von Maßeinheiten, beispielsweise von Marie Curie, Carl Friedrich Gauß und Evangelista Torricelli, ferner Informationen über die Namensgeber SI-fremder, aber häufig verwendeter Maßeinheiten: die bekannten Oechsle-Grade, die Erdbebenskala nach Richter, die Skala der Windgeschwindigkeit nach Beaufort usw. Für geschichtsinteressierte Leser, Historiker und Heimatforscher dürfte das ausführliche Verzeichnis alter Maßeinheiten aus dem deutschsprachigen Raum von besonderem Interesse sein.
Den Lesern dieses Geschichtenbuches wünsche ich Bereicherung, Erkenntnisgewinn und Lesevergnügen.
Ernst Schwenk
Das vorliegende Werk ist eine vollständig überarbeitete und erheblich erweiterte Neuauflage des 1993 bei dtv erschienenen Buches Mein Name ist Becquerel. Das Buch wurde 1995 vom »Deutschen Verband Technisch-Wissenschaftlicher Vereine« (DVT) mit dem DVT-Preis »Technik und Öffentlichkeit« ausgezeichnet.
Wann lernte der Mensch das Messen? Vielleicht noch vor dem Sprechen. Im Kampf ums Überleben konnte der Homo erectus nur bestehen, wenn er die Wassertiefe des Flusses, die Höhe des Felsens, die Entfernung des Wildes richtig einzuschätzen wußte. Der Mensch mußte lernen, seine eigene Körperkraft an der Kraft seines Feindes zu messen, er mußte die Zeit taxieren können, die ihm nach der Jagd noch verblieb, um vor Einbruch der Dunkelheit sein Lager zu erreichen.
Daumenbreite, Schrittweite und Handspanne
Solange die Menschen der Vorzeit nur für ihren eigenen Bedarf jagten, fischten oder Früchte sammelten, bestand für sie kein Anlaß, sich über Begriffe wie Länge und Zeit, Gewicht und Volumen zu verständigen. Erst als der Mensch zu tauschen und zu handeln begann, gewannen definierte Maße und Gewichtseinheiten an Bedeutung. Eine Übereinkunft zwischen Käufer und Verkäufer über die zugrunde gelegte Maßeinheit war eine unumgängliche Voraussetzung für den friedlichen Warenaustausch. Was lag näher, als den Maßstab zu benutzen, den man immer bei sich trug, nämlich die Maße des eigenen Körpers? Die Breite des Daumens, die Länge des Schritts, die Handspanne, das waren gemeinverständliche Einheiten des Längenmaßes. Was zwei Hände an Getreidekörnern fassen konnten, bildete die Grundlage für das Volumenmaß. Die Sumerer und Chaldäer sprachen bereits vor Jahrtausenden von Daumenbreite (Zoll) und Armspanne, sie kannten die Maßeinheiten Tagwerk, Becher und Eimer. Die ägyptische Hieroglyphe für die Einheit »Elle« war der abgewinkelte Unterarm. 180 Getreidekörner, genau abgezählt, waren die Grundeinheit für das Gewicht. Gut ausgebildet war auch das Meßwesen der Römer. Ihr System der Längenmaße reichte von der Meile (milia = 1000 Doppelschritte) über Stadie, Schritt, Fuß bis zur Fingerlänge. Von den holländischen Kolonisten stammt die Gewichtseinheit »Karat« für Gold und Edelsteine. Ein Karat entsprach dem Gewicht eines Samenkorns vom Johannisbrotbaum.
Daß eine Maßeinheit für jedermann verständlich war, bedeutete noch lange nicht, daß sie auch von allen anerkannt wurde. Wollte der kleinwüchsige Tuchhändler dem großgewachsenen Kunden zehn Ellen Stoff verkaufen, kam es fast zwangsläufig zum Streit. Wessen Elle sollte gelten? Nur einer konnte das entscheiden: der Souverän des Landes. Und dieser wählte natürlich diejenigen Maßeinheiten, die ihm am nächsten lagen, nämlich die seines eigenen Körpers. Um das Jahr 800 war der königliche Fuß Karls des Großen das Längenmaß, nach dem sich seine Untertanen zu richten hatten. In weiser Voraussicht, daß er eines Tages sein »Urmaß« mit ins Grab nehmen würde, bestimmte König Heinrich I. von Sachsen um das Jahr 900 die Länge seines goldenen Zepters als Standard für die sächsische Elle. Aber das war die Ausnahme. Sein Namensvetter, König Heinrich I. von England, ging wieder von seinen eigenen Körpermaßen aus: Im Jahr 1101 befahl er seinen Höflingen, die Entfernung zwischen seiner Nasenspitze und dem Daumennagel bei ausgestrecktem rechtem Arm »exakt« zu vermessen. Die Länge dieser »Meßrute« ist noch heute in den angelsächsischen Ländern gültig und dort weit beliebter als das Meter. Es ist das Yard (1 yd = 0,9144 m).
Jedem Ländchen sein eigen Quentchen
In anderen Ländern herrschte weniger Traditionsbewußtsein. Wenn die Landesfürsten wechselten, änderten sich meist auch die Einheitsmaße. In deutschen Landen war die Verwirrung wohl am größten. Hier hatte fast jede Stadt, jede Grafschaft, jeder Marktflecken seine eigenen Maße und Gewichte, also »jedes Ländchen sein eigen Quentchen« (1 Quentchen = ca. 1,66 g). Kaufleute und Zünfte sahen in dem lokalen Maß- und Gewichtssystem keineswegs immer einen Nachteil, so waren sie vor auswärtiger Konkurrenz besser geschützt. »Das rechte Maß« – also das in der betreffenden Stadt anzuwendende – wurde im Rathaus aufbewahrt, für den Fall, daß Streitereien vor Gericht zu schlichten waren. Noch heute ist an der Außenmauer vieler Rathäuser die für die Tuchhändler gültige Elle eingemauert, ein Eisenstab von 57 bis 69 cm Länge.
Manchmal diente das Maßsystem auch dazu, die Kalkulation etwas freundlicher zu gestalten: Indem man die Elle etwas kürzer, die Pfunde etwas leichter machte, konnte man die Teuerung elegant verschleiern. Das hatte zur Folge, daß auf dem Gebiet des Meßwesens bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ein heilloses Durcheinander herrschte. Um 1800 gab es in dem kleinen Herzogtum Baden nicht weniger als 112 verschiedene Ellen, 92 Flächenmaße, 65 Holzmaße, 163 Getreidemaße, 123 Oehme und Eimer, 63 Schenkmaße und 80 verschiedenwertige Pfunde. Kleinstaaterei und Eigenbrötelei wurden für den grenzüberschreitenden Handel zum unüberwindlichen Hindernis.
Der mühsame Siegeszug des Meters
Eine Reform des Meßwesens war längst überfällig, als 1789 die Französische Revolution ausbrach. Zu den feudalen Hinterlassenschaften gehörten auch die am Körper des französischen Königs abgenommenen Maßeinheiten toise (Armspanne, Klafter), pied (Fuß) und pouce (Daumen, Zoll). Mit solchen Relikten der verhaßten Monarchie wollten die Jakobiner nun gründlich aufräumen. Künftig sollte die Erdkugel das Maß aller Dinge sein. Auf die unvergängliche, maßstabile Erde, den gemeinsamen Wohnsitz aller Menschen, würden sich die Völker wohl am ehesten einigen können, so hofften die Revolutionäre.
Die Französische Akademie der Wissenschaften bekam von der Nationalversammlung den Auftrag, ein neues, weltweit anwendbares Maßsystem auszuarbeiten. Ein Jahr später legten die Gelehrten ihr Gutachten vor: Der zehnmillionste Teil des Erdmeridianquadranten zwischen Nordpol und Äquator sollte die Grundeinheit des neuen Maßsystems sein und die Bezeichnung »Meter« erhalten (abgeleitet vom griechischen Wort metron, das Maß). Noch wichtiger: Alle Vielfache und Teile des Meters sollten künftig in Zehnerschritten, also dezimal, gebildet werden. Das war die Geburt des metrisch-dezimalen Systems.
Die bedeutendsten Astronomen Frankreichs, Jean Baptiste Delambre, Mitglied des neuerrichteten Bureau des longitudes, und Pierre François Méchain, Direktor des Pariser Observatoriums, begannen am 17. Juni 1792 den durch das Observatorium von Paris verlaufenden Meridian auf der Strecke zwischen Dünkirchen und Barcelona mit ihren Theodoliten zu vermessen. Ein mühsames und gefährliches Unterfangen. Die Expeditionsteilnehmer hatten nicht nur zahlreiche bürokratische Hindernisse zu überwinden und große Strapazen zu erdulden, mehrfach landeten sie wegen Spionageverdachts im Kerker. Die Vermessung wurde erst nach sieben Jahren zum Abschluß gebracht. Am 22. Juni 1799 präsentierte eine internationale Kommission von Experten, die mit ihrem Namen für die Richtigkeit der Messungen bürgten, der Französischen Nationalversammlung das Ergebnis. Auf einem purpurroten Samtkissen trug der Zeremonienmeister einen Stab von x-förmigem Querschnitt aus funkelndem Platin feierlich in die erlauchte Versammlung. »Bürger von Frankreich, erhebt Euch, hier ist das neue Längennormal, das Urmeter! Seine Größe beträgt 3 Fuß, 11 296 Teilstriche der Toisen du Pérou. Ein neues Zeitalter beginnt! A tous les temps, à tous les peuples!« Seit diesem Tag wird das »für alle Zeiten, für alle Völker« gültige metrische Urmaß streng bewacht in einem acht Meter tiefen Felsentresor unter dem Landschloß von Breteuil bei Paris, am Rande des Parks von Sèvres, aufbewahrt.
Ein Volksaufstand erzwingt die Abschaffung des Meters
Hatten die französischen Behörden geglaubt, die Welt würde sich nun jubelnd auf das neue, von Menschenwillkür unabhängige, unveränderliche und so viel einfachere französische Maßsystem stürzen, so täuschten sie sich. Nicht einmal ihr eigenes Volk wollte vom metrischen System etwas wissen. Obwohl das Parlament per Dekret die sofortige Einführung des Meters verordnete und jeden mit Strafe bedrohte, der es wagen sollte, seine Waren weiterhin nach den alten royalistischen Maßen anzubieten, scherten sich Frankreichs Bürger einen Teufel darum. Unbeirrt verwendeten sie weiter ihre liebgewonnenen Maße toise, pied und livre. Als die Behörden das metrische Maßsystem mit Gewalt durchsetzen wollten, weitete sich die Ablehnung zum Volksaufstand aus. Napoleon mußte seinem Volk den Gebrauch der alten Einheiten wieder gestatten. Sein Nachfolger Ludwig XVIII. sah sich sogar gezwungen, die metrische Messung bei Strafe zu verbieten. Erst im Jahr 1840 konnte sich das neue Maßsystem in Frankreich endgültig durchsetzen.
Auch andere Staaten hatten ihre Probleme, das metrische System einzuführen. Als erstes Land stellten im Jahr 1816 die Niederlande um, es folgten Panama und Chile. In der Schweiz wurde das neue System 1868 legalisiert, in Österreich-Ungarn 1871. Im folgenden Jahr ersetzten auch die Deutschen ihre unzähligen landestypischen Maße durch das Meter als Längen- und das Gramm als Gewichtseinheit. Noch länger zögerten andere Länder: Die Sowjetunion folgte 1919, Japan fünf Jahre später, Ägypten und Indien erst nach dem Zweiten Weltkrieg und Kuba 1961. Am schwersten taten sich die angelsächsischen Länder. England hat erst am 1.1.2002 auf das metrische System umgestellt. In den Vereinigten Staaten haben sich die metrischen Maßeinheiten zwar in der Wissenschaft inzwischen weitgehend durchgesetzt. Im Privatleben mag sich der Durchschnittsamerikaner jedoch von den altgewohnten Maßen inch, foot, mile und gallon nur höchst ungern trennen, er empfindet das metrische Maßsystem schlicht als »unamerican«.
Das Büro im Park von Saint-Cloud
Mit der Industrialisierung vollzog sich in Europa und Amerika ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein epochaler Wandel in Wirtschaft und Technik. Die Dampfmaschine nahm dem Menschen die Schwerarbeit ab, Telegraf und Telefon erlaubten die Kommunikation über weite Entfernungen, die Elektrizität hielt Einzug in die meisten Haushalte. Physik und Chemie, Mathematik und die Ingenieurwissenschaften begannen das hergebrachte Weltbild radikal zu verändern. Die weltweite technische Zusammenarbeit verlangte zwingend eine internationale Übereinkunft auf dem Gebiet des Meßwesens. Nicht nur die auf dem metrischen System beruhenden Längen-, Flächen- und Volumenmaße – daraus abgeleitet die Maßeinheiten des Gewichts und der Masse – mußten in allen Industriestaaten vereinheitlicht werden. Neue Gebiete, vor allem das der Elektrizität, erforderten die Festlegung zusätzlicher Maßeinheiten.
Ein erster großer Schritt in Richtung auf ein international gültiges System der Maßeinheiten war die im Jahr 1875 abgeschlossene »Meterkonvention«, an der sich zunächst siebzehn Staaten beteiligten. Sie hatte das Ziel, »die internationale Einigung und die Vervollkommnung des metrischen Systems zu sichern«. In dem Vertrag verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten zur Einrichtung und Unterhaltung eines wissenschaftlichen Institutes, des Internationalen Büros für Maß und Gewicht (BIPM). Bis heute befindet sich dieses Büro im Park von Saint-Cloud bei Paris. Mit Argusaugen wacht es über die Einheitlichkeit der physikalischen Maßeinheiten und bereitet die alle vier Jahre stattfindende Generalkonferenz des Internationalen Komitees für Maß und Gewicht (CGPM) vor.
Das Ende der Pferdestärke
Das Büro im Park von Saint-Cloud hat zwei wichtige Aufgaben. Einmal soll es die moderne Version des metrischen Systems, das Internationale Einheitensystem, weiterentwickeln. Zum anderen muß es die zahlreichen alten, nichtgesetzlichen Maßeinheiten dahin befördern, wo sie hingehören: in die Rumpelkammer des Meßwesens. Elle und Rute, der Scheffel und die Postmeile sind längst schon dort gelandet, und niemand weint ihnen eine Träne nach. Die Gewichtsmaße Pfund und Zentner sind im Handel nicht mehr gestattet. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die (bisher noch erlaubten, eher verwirrenden) Doppelbezeichnungen wegfallen, zum Beispiel die Angabe »263 kJ / 63 kcal« in den Nährwerttabellen. Kaum ein Autobesitzer wird sich bei der Angabe der Motorleistung »55 KW / 75 PS« im Kraftfahrzeugbrief beide Zahlenwerte merken und den Umrechnungsfaktor 1 PS = 735,49875 W schon gar nicht. Warum auch sollte er die Stärke des Automotors mit der Stärke eines Pferdes vergleichen? James Watt hatte seinerzeit die Bezeichnung »Pferdestärke« doch nur deshalb gewählt, weil seine ersten Dampfmaschinen die Zugpferde in den Kohlengruben ersetzen sollten.
Das BIPM hat weiter die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die lokalen und länderspezifischen Einheiten durch Maßeinheiten ersetzt werden, die in allen Staaten der Erde in gleicher Weise verstanden und angewendet werden. Auf der 10. Generalkonferenz des CGPM im Jahr 1954 legten die Vertreter aller 40 Staaten, die bis zu diesem Zeitpunkt der Konvention beigetreten waren, zunächst sieben SI-Basiseinheiten fest, nämlich
Zwischen 1969 und 1983 einigten sich die Experten dann auf etwa 20 »abgeleitete SI-Einheiten«, wie z. B. Frequenz, Druck, Wärmemenge und elektrischen Leitwert. Die meisten abgeleiteten Einheiten wurden nach dem Nestor des jeweiligen Fachgebiets benannt. Damit führte man eine alte Tradition fort. Bereits 1893 hatte der Internationale Elektrikerkongreß in Chicago beschlossen, den Maßeinheiten des elektrischen Widerstands, der Stromstärke und der Spannung die Namen der großen Pioniere Ohm, Ampère und Volta zu verleihen. Diese Namensgebung hat sich bis heute erhalten, auch wenn ihre Definition bzw. Bedeutung inzwischen mehrfach verändert werden mußte.
Nach der Umsetzung der internationalen Vereinbarungen auf dem Gebiet des Meßwesens in das jeweilige Landesrecht gilt in den europäischen Ländern die internationale Norm ISO 1000, in Deutschland und einigen anderen Ländern beschreibt die Deutsche Industrie Norm DIN 1301 die heute gültigen Maßeinheiten.
»Das neue Maß« wurde zur Grundlage des internationalen, metrischen, dezimalen Maßsystems. Nahezu alle Staaten der Welt verwenden heute das Système International d’Unités. In der Praxis hat sich dafür ein von der jeweiligen Landessprache unabhängiges Kurzzeichen durchgesetzt: SI. Der große Vorteil dieses Systems: Sämtliche Umrechnungsfaktoren fallen weg. Alle abgeleiteten Einheiten sind mit den Basiseinheiten ausschließlich über Multiplikation und Division verbunden.
Damit hat die jahrhundertelange Suche nach einem weltweit einheitlichen System ein glückliches Ende gefunden. Das chaotische Durcheinander bei den Maßeinheiten ist beendet. Das einst von den französischen Revolutionären erträumte Ziel eines »für alle Zeiten, für alle Völker« gültigen Längenmaßes namens »Meter« ist nicht nur erreicht, sondern weit übertroffen. Heute mißt alle Welt alles, was meßbar ist, mit den gleichen Maßen.
Immer wenn in der Welt eine Sicherung durchbrennt, wird seiner gedacht. Für wieviel Ampere war der Stromkreis abgesichert? Aber kaum einer fragt heute noch, woher dieser terminus electrotechnicus kommt und wer der Maßeinheit Ampere den Namen gegeben hat.
Der Blick zurück auf das Leben des fast vergessenen Namengebers führt in eine dunkle Periode der Geschichte. In der Jugendzeit von André Marie Ampère waren in Europa noch die Monarchen an der Macht. Es herrschte Willkür und Feudalismus, die Menschen waren bettelarm, dauernd wurde irgendwo Krieg geführt. Dunkel war es aber auch nächtens auf den Straßen, in den Zimmern der Bürgerhäuser. Das trübe Licht der Ölfunzeln gehörte bereits zum gehobenen Wohnkomfort. Elektrizität war nur das, »was die Froschschenkel zum Zucken bringt«. Ampère sollte einen wichtigen Beitrag dafür liefern, daß 100 Jahre später die elektrische Kraft Maschinen antrieb und Glühbirnen zum Leuchten brachte.
Wer war der Mensch, nach dem heute die Maßeinheit der elektrischen Stromstärke benannt ist?
Die SI-Einheit Ampere
Ampere ist die Basiseinheit der elektrischen Stromstärke.
Definition: Das Ampere (A) ist die Stärke eines zeitlich unveränderlichen elektrischen Stromes, der, durch zwei im Vakuum parallel im Abstand 1 Meter angeordnete, geradlinige, unendlich lange Leiter von vernachlässigbar kleinem, kreisförmigem Querschnitt fließend, zwischen diesen Leitern je 1 Meter Leiterlänge die Kraft 2 x10–7 Newton hervorrufen würde.
Anmerkung: Das auf dem Personennamen liegende Akzentzeichen è fällt bei der SI-Einheit weg. Gelegentlich wird zur Vermeidung von Verwechslungen auch die Abkürzung »Amp« anstelle des Zeichens A verwendet.
Als Sohn des wohlhabenden Seidenhändlers Jean-Jacques Ampère kam André Marie am 22. Januar 1775 in Lyon zur Welt. Als der Junge sieben Jahre alt war, zog die Familie in ihren luxuriös eingerichteten Landsitz im Bergdörfchen Poleymieux. Weil es in der Umgebung keine Schule gab, kümmerte sich der Vater um die Bildung des Sohnes. Er unterrichtete ihn in Sachkunde, Philosophie und Religion. Lesen und Schreiben brachte sich der intelligente Junge selbst bei. Bereits mit zwölf Jahren lernte er die Gesetze der Algebra aus eigener Initiative. Unermüdlich las er alle wissenschaftlichen Bücher, die ihm in die Hände kamen. Einen besonders nachhaltigen Eindruck machte auf ihn die fünfunddreißigbändige Enzyklopädie von Diderot, in der alle damals bekannten Wissensgebiete in Wort und Bild ausführlich beschrieben waren. Noch im Alter kannte er ganze Kapitel dieses Werkes auswendig.
Mit dreizehn Jahren verblüffte André Marie die Académie de Lyon mit einem Lösungsvorschlag für die Quadratur des Kreises. An diesem Problem hatten sich schon ganze Generationen von Mathematikern die Zähne ausgebissen. Zwar stellte sich Andrés Lösung später nach eingehender Prüfung als unrichtig heraus, doch hier zeigte sich schon, aus welchem Holz dieser Junge geschnitzt war. Die lateinische Sprache erlernte er in wenigen Wochen ohne fremde Hilfe. Weil der 14jährige Schwierigkeiten mit der Integration partieller Differentialgleichungen hatte, nahm er Privatunterricht an der Universität von Lyon. Nebenbei belegte er Vorlesungen in Physik und Biologie und entwarf eine Universalsprache auf logischer Basis, ein Vorläufer des Esperanto.
Tod auf dem Schafott
So schien der Lebensweg des jungen André Marie eigentlich schon vorgezeichnet: Er würde die Universität besuchen und später ein stiller Gelehrter werden, der sein Leben zwischen dicken Büchern und verstaubten Herbarien verbringt. Doch das Schicksal wollte es anders. Die Funken der französischen Revolution sprangen auch nach Lyon über. Vater Ampère setzte sich in der ehrenamtlichen Funktion eines Friedensrichters für die königstreuen Girondisten ein und sorgte dafür, daß dem Führer der aufständischen Jakobiner der Prozeß gemacht wurde. Doch plötzlich waren es die Jakobiner, die in Lyon die Macht übernahmen. Der angesehene Seidenhändler wurde verhaftet, vor das Revolutionstribunal gezerrt und nach kurzem Prozeß auf dem Schafott hingerichtet.
Der 18jährige Sohn erlitt einen schweren Schock. In der Trauer um seinen Vater verfiel André in völlige Apathie. Ein ganzes Jahr lang las er keine einzige Zeile mehr, statt dessen spielte er stundenlang wie ein Kleinkind im Sand. Erst durch die Lektüre der Oden von Horaz wurden seine Lebensgeister wieder geweckt – und durch die Liebe zu einem Mädchen aus dem Nachbardorf, das er beim Blumenpflücken getroffen hatte. Drei Jahre warb er um seine Julie, er besang sie in italienischen Versen und widmete ihr seine schwärmerischen Tagebuchnotizen. Doch Julie Caron, Tochter aus gutem Hause, durfte ihn nicht erhören, solange sich der junge Mann nicht zu geregelter Arbeit aufraffen konnte. Erst als Ampère die Stelle eines Privatlehrers für Mathematik übernahm, durfte Hochzeit gefeiert werden. Ein Jahr später wurde ein Sohn geboren. Die glücklichen Eltern gaben ihm den Namen des hingerichteten Großvaters: Jean-Jacques.
Feuersglut im Herzen
Schon ein Jahr später – Ampère war inzwischen Professor für Physik an der Zentralschule in Bourg-en-Bresse geworden – starb die junge Frau an Tuberkulose. Verzweifelt und mutlos wollte der erst 28jährige André aus dem Leben scheiden oder in ferne Länder auswandern. Auf gutes Zureden der Familie nahm er schließlich die Stelle eines répetiteur an der Ecole Polytechnique in Paris an, die erbärmlich schlecht bezahlt war. Diese Arbeit füllte ihn bei weitem nicht aus, doch ließ sie ihm wenigstens Zeit, sich mit Fragen der Philosophie und der Religion zu befassen. Auch von ungelösten Problemen aus den Fachgebieten Biologie und Chemie, aus der Astronomie und Psychologie wurde er wochenlang gefesselt. Immer wieder überwältigt von neuen Ideen, aber unfähig, sich auf eine Sache ganz zu konzentrieren, ließ er sich von einem Thema zum anderen treiben. Nächtelang brütete er über einer mathematischen Formel, stundenlang erklärte er andern das Weltsystem. Freunde sagten von ihm, er habe stets »eine Feuersglut im Herzen« gehabt. Ein Biograph beschrieb Ampères Naturell so: »Sein gewaltiger Geist war wie ein bewegtes Meer, plötzlich türmten sich die Wellen empor, schwimmende Korken und Sandkörner wurden gen Himmel geschleudert …«
Wenig erfreulich gestaltete sich das Privatleben. Eine zweite Ehe, im Jahr 1806 mit der lebenslustigen, etwas liederlichen Jeanne Potot geschlossen, erwies sich als Katastrophe. Nach wenigen Jahren war er wieder allein. Die Aufgabe, für den Sohn aus erster und die Tochter aus zweiter Ehe zu sorgen, überforderte den grüblerischen und in praktischen Dingen völlig hilflosen Gelehrten. Mutter und Schwester kamen nach Paris und übernahmen die Haushaltsführung.
Zerstreuter Professor
Mit der Ernennung zum Generalinspekteur der Universität Paris im Jahr 1808 waren wenigstens die drängenden materiellen Sorgen behoben. Die mit dem hohen Amt verbundenen Verpflichtungen erfüllte der zerstreute Professor mehr schlecht als recht. Seinem Wesen entsprechend beschäftigte er sich mit Dutzenden von Fragestellungen gleichzeitig: mit dem ungelösten Problem des Parallelenaxioms, mit der Anwendung der Variationsrechnung in der Mechanik, mit der Integration partieller Differentialrechnungen. Arbeiten über die Atomistik, den Bau der Kristalle, die Theorie der Gase und das Boyle-Mariottesche Gesetz schlossen sich an. Mit dem englischen Chemiker Sir Humphry Davy (1778–1829) führte er jahrelang einen Briefwechsel über die chemische Natur der Halogene Chlor, Fluor und Jod und ihre Einordnung in eine homologe Reihe. Eine Zeitlang verschrieb er sich der spekulativen Philosophie, in der Hoffnung, auf diesem Wege schwierige naturwissenschaftliche Probleme besser lösen zu können. Die Vielzahl seiner Interessen und der wenig effektive Arbeitsstil verhinderten zunächst, daß er in irgendeiner Disziplin herausragende Leistungen erzielen konnte.
Dies sollte sich mit einem Schlage ändern. Im Juli des Jahres 1820 erfuhr Ampère beiläufig von der Beobachtung des dänischen Physikers Hans Christian Ørsted (1777–1851), daß eine Magnetnadel durch einen stromdurchflossenen Leiter abgelenkt wird. Dieses nebensächliche, von anderen Physikern bis dahin kaum beachtete Phänomen faszinierte den versponnenen Gelehrten so sehr, daß er alle anderen Arbeitsgebiete vernachlässigte und sich nur noch mit einer Frage beschäftigte: Welche Wechselwirkung besteht zwischen Magnetismus und elektrischem Strom? Er machte Hunderte von Versuchen, um ganz sicher zu sein. In größter Hast – diesmal wollte er endlich der erste sein, der eine wissenschaftliche Neuigkeit verbreitete – schrieb er zwei Aufsätze, die sich mit der bewegten Elektrizität als Quelle der magnetischen Wirkungen befaßten. In einem Vortrag vor der Französischen Akademie der Wissenschaften berichtete Ampère am 25. September 1820 über die Wechselwirkung zweier stromdurchflossener Leiter: Gleichgerichtete Ströme ziehen sich an, entgegengesetzt gerichtete stoßen sich ab. Er zeigte, daß sich eine stromdurchflossene Drahtspule wie ein Stabmagnet verhält, und bewies damit, daß die bewegte Elektrizität den Magnetismus erzeugt. Ampère stellte zum erstenmal einen Zusammenhang her zwischen zwei physikalischen Erscheinungen, die man bis dahin für völlig unabhängig gehalten hatte.
Den Elektromagnetismus erforscht
Volle sieben Jahre hielt ihn dieses Phänomen gefangen. In dieser Zeit entwickelte der Wissenschaftler, dem Elektrizität und Magnetismus bis dahin ziemlich fremd gewesen waren, ein völlig neues und bedeutendes Teilgebiet der Physik: das theoretisch und experimentell abgesicherte Gebäude des Elektromagnetismus.
In diesen sieben fruchtbaren Jahren stellte Ampère eine Fülle von Theorien auf, so die Hypothese der »Ampèreschen Molekularströme«, wonach jedes Molekül von ringförmigen Strömen umgeben sein sollte, deren mikroskopisch kleine Wirkungen sich zum makroskopischen Magnetismus addieren. Diese Annahme war zunächst sehr umstritten. Mehr als hundert Jahre später war jedoch der Beweis erbracht, daß Ampères Vorstellungen prinzipiell richtig waren: Der Ferromagnetismus setzt sich aus den Spinmomenten der Elektronen zusammen. Große Bedeutung gewann ein von Ampère entwickeltes Meßinstrument, bei dem eine frei beweglich angebrachte Magnetnadel die Stromstärke anzeigte. Es wurde später in verbesserter Form als Galvanometer bezeichnet und ist noch heute eines der wichtigsten Meßinstrumente der Elektrotechnik.
In seinem großen, abschließenden Werk Über die mathematische Theorie elektrodynamischer Erscheinungen, allein aus dem Experiment abgeleitet entwickelte André Marie Ampère 1826 eine umfassende Theorie der elektrischen Erscheinungen. Hier formulierte er erstmals die noch heute gültigen Begriffe »Strom« und »Spannung«, hier beschrieb er die Wirkungsweise des Galvanometers und des Elektromagneten. In Anspielung auf Newtons Grundlagenwerk über die Mechanik Principia erhielt Ampères Werk später den Ehrentitel Principia der Elektrodynamik.
Die gequälte Seele
In den letzten Jahren seines Lebens kehrte der unruhige Geist zu seinen alten Gewohnheiten zurück. Sein Arbeitsstil wurde wieder unsystematisch. Von plötzlichen Eingebungen gepackt, wechselte Ampère sprunghaft von einer Fragestellung zur anderen. Unter dem Eindruck von Emanuel Kants Kategorienlehre Kritik der reinen Vernunft setzte er sich mit er kenntnistheoretischen Betrachtungen auseinander. Ein Zeitgenosse charakterisierte den wunderlichen Gelehrten so: »Leidenschaftlich in seinen Überzeugungen und Zweifeln, bietet Ampère stets das Bild einer mystischen und gequälten Seele.« Immer weniger gelang es ihm, sich seinen Mitmenschen verständlich zu machen. Darüber verfiel er in tiefe Melancholie. Mehr und mehr wurde der liebenswürdige, sensible und poetisch veranlagte Gelehrte zur Zielscheibe des Gespötts. Zahlreiche Anekdoten ranken sich um seine Zerstreutheit. Man amüsierte sich darüber, daß Ampère im Feuereifer seines Vortrags vor der Französischen Akademie den direkt vor ihm sitzenden Kaiser Napoleon nicht erkannt und ihn keines Grußes gewürdigt hatte. Der Kaiser nahm es ihm nicht übel, sondern lud den berühmten Gelehrten für den nächsten Tag zum Mittagessen ein. Napoleon wartete umsonst: Über seiner Arbeit hatte Ampère die Verabredung vergessen.