DON JUAN ARCHIV WIEN
BIBLIOGRAPHICA
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Umschlagbild: Theaterzettel zu Johann Gottlieb Stefanie d. J.: Macbeth, oder: Das neue steinerne Gastmahl vom 5. November 1776 Österreichische Nationalbibliothek Sign. 773.043-D.The.
ERSCHLIESSUNG, DIGITALISIERUNG, FORSCHUNG
Mit freundlicher Unterstützung von
Lektorat: SABINE E. BRAUN, NORA GUMPENBERGER, INGE PRAXL (Wien, Österreich),
MARION LINHARDT (Bayreuth, Deutschland)
Layout: GABRIEL FISCHER (Wien, Österreich)
Druck und Bindung: WOGRANDL (Mattersburg, Österreich)
MATTHIAS J. PERNERSTORFER (Hg.): Theater – Zettel – Sammlungen.
Erschließung, Digitalisierung, Forschung.
Wien: HOLLITZER Wissenschaftsverlag 2012 (Bibliographica 1)
© HOLLITZER Wissenschaftsverlag, Wien 2012
HOLLITZER Wissenschaftsverlag
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Für den Inhalt der Beiträge sind die Autorinnen bzw. Autoren verantwortlich.
ISBN 978-3-99012-080-4 hbk
ISBN 978-3-99012-078-1 pdf
ISBN 978-3-99012-079-8 e-pub
Einleitung
MATTHIAS J. PERNERSTORFER
FORSCHUNG
Theaterzettel und Theateralmanache – Quellenkritische Anmerkungen
PAUL S. ULRICH
Zum Quellenwert der Theaterzettel von Burg- und Kärntnerthortheater. Ein Vergleich der Bestände der Österreichischen Nationalbibliothek und des Österreichischen Theatermuseums für die Jahre 1811 und 1856
SILVIA FREUDENTHALER
Theaterzettel – Über die Entdeckung einer minimalistischen Archivalie
GERTRUDE CEPL-KAUFMANN
FORSCHUNGSSEMINAR: THEATERZETTEL UND HISTORIOGRAFIE
Theaterzettel und Historiografie – Forschungsperspektiven aus der universitären Lehre
BIRGIT PETER
Medien von Flüchtigkeit. Theaterzettel als Spur theatraler Formen in Wien
MARKUS LEHNER
Orient im Theater – Theater im Orient. Eine Dokumentation komplexer Wechselbeziehungen. Über die Archivalie Theaterzettel
CAROLINE HERFERT
„Poetik“ des Theaterzettels – Eine Analyse grafischer Elemente
DOMINIK KEPCZYNSKI, EVA HANAUSKA, NADJA SAILER, TANITA MÜLLER, DOMINIQUE PIECH
DIGITALISIERUNG UND ERSCHLIESSUNG
Vom Suchen und Finden von Theaterzetteln. Über die unterschiedliche Erschließungssituation von Archiv-, Bibliotheks- und Museumsgut
MARGRET SCHILD
Katalogisierung und Erfassung von Theaterzetteln in bibliothekarischen Nachweissystemen
FRANZISKA VOSS
Von der Digitalisierung zur Digitalen Edition
JOHANNES H. STIGLER
Das „Theaterzettelprojekt“ der Staatsbibliothek zu Berlin
PAUL S. ULRICH
Die Theaterzettelsammlung der Lippischen Landesbibliothek Detmold. Bestand, Erschließung, Digitalisierung, Präsentation
JOACHIM EBERHARDT
Zur Erschließung und Digitalisierung von 10.000 Theaterzetteln an der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf – ein DFG-Projekt
THORSTEN LEMANSKI und RAINER WEBER
Erfurter Theaterzettel
ARNE LANGER
The Collection of Playbills in the A. A. Bakhrushin State Central Theatre Museum and Our Plans, Concerning the Digitalization of Playbills
KSENIA LAPINA
Hoftheater in Weimar. Die Theaterzettel des Weimarer Hoftheaters
AXEL SCHRÖTER
Die Theaterzettelsammlung der Wienbibliothek – Theaterzettel im Querschnitt der Zeit
FRANZ JOSEF GANGELMAYER
Das Programmarchiv des Österreichischen Theatermuseums
DANIELA FRANKE
„THEO – Theaterzettel Online“. Ein Digitalisierungskonzept am Beispiel von Wiener Theaterzetteln des 19. Jahrhunderts
CLAUDIA MAYERHOFER
BERICHTE ZUR WIENER THEATERZETTEL-INITIATIVE
11. Forschungsgespräch. Wiener Theaterzettel/Theaterrepertoire Wiens
SILVIA FREUDENTHALER
Theaterzettel-Exkursion
JANA-KATHARINA MENDE
12. Forschungsgespräch. Wiener Theaterzettel/Theatertopografie Wiens
JANA-KATHARINA MENDE
„Stellen wir das schnell online“. Bericht zur Tagung „Theater – Zettel – Sammlungen“
JANA-KATHARINA MENDE
14. Forschungsgespräch. Theaterzettel III – Systematische Erfassung
NORA GUMPENBERGER
ANHANG
Ortsregister
Personenregister
Stückeregister
Curricula Vitae
Mit dem Band Theater – Zettel – Sammlungen eröffnet das Don Juan Archiv Wien seine Reihe Bibliographica. Das vorliegende Buch ging aus einer seit 2010 laufenden Initiative zur Erschließung, Digitalisierung und Beforschung von Theaterzettelsammlungen in Wien hervor. Im Zuge dieser Initiative fand am 28. und 29. Juni 2011 in der Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus, in der auch eine kleine Ausstellung zum Thema zu sehen war, eine internationale Tagung unter demselben Titel statt. Die vorliegende Publikation enthält neben den meisten – zum Teil deutlich erweiterten – Vortragstexten auch eine Reihe von Beiträgen, die eigens für diesen Band verfasst worden sind. Unter den Aufsätzen finden sich theaterhistorische ebenso wie solche zu allgemeinen Voraussetzungen und zur konkreten Umsetzung von Theaterzettelprojekten. Das Ziel des Don Juan Archivs Wien ist es, damit eine Brücke zwischen Forschungs- und Eigentümerinstitutionen zu schlagen.
Überblickt man die aktuelle Forschungsdiskussion, so stellt sich die Frage, wie die mehrfach diagnostizierte Geringschätzung von Theaterzetteln mit der ebenfalls beobachteten „bis ins Obsessive betriebene[n] Sammelleidenschaft, die den Theaterzetteln geradezu anhaftet” (Gertrude CEPL-KAUFMANN, S. 53), zusammenpasst. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass Theaterzettel, weil sie ein theatrales Ereignis ankündigen und darüber berichten, eine zentrale Quelle für die Repertoireforschung darstellen und immer wieder Thema von Publikationen werden, wie die umfangreiche Bibliografie von Paul S. ULRICH (S. 20–26) deutlich macht.1 Wenn es sich um Theaterzettel zu berühmten Aufführungen handelt, werden sie überdies gern in Ausstellungen präsentiert und in Büchern abgebildet. Dabei ist nicht entscheidend, ob es sich um einen authentischen Theaterzettel handelt, wie das im Jahre 1887 dem verlorenen Original nachempfundene ‚Erinnerungsblatt‘ zur Uraufführung des Don Giovanni von Lorenzo DA PONTE und Wolfgang Amadé MOZART belegt (Abb. 1). Theaterzettel erfreuen sich also kontinuierlich einer beträchtlichen Beliebtheit, und in den vergangenen Jahren hat die Beschäftigung mit diesen Objekten noch an Intensität gewonnen, wie die in diesem Band dokumentierten Projekte anschaulich zeigen.
Wenn gleichzeitig zu bemerken ist, dass zu bestimmten Formen theatraler Unterhaltungskunst keine oder kaum Theaterzettel erhalten sind, so hängt das wohl nicht mit einer Geringschätzung dieses Mediums durch das zeitgenössische Publikum zusammen, sondern mit einer fehlenden Infrastruktur für das Sammeln und Bewahren dieser Objekte. Wandertruppen hatten in der Regel zwar Texte der von ihnen gespielten Stücke, doch legten sie keine Bibliotheken an. So sind ihre Theaterzettel heute ebenso verloren wie ihre Manuskripte, sofern sie nicht in die Hände eines Sammlers – wie etwa Ignaz Franz CASTELLI (1781–1862) – geraten sind. Erst die Etablierung stehender Häuser, die ihre Produktion nicht zuletzt durch Sammlungen ihrer gedruckten Ankündigungen festhielten, schuf die Voraussetzung für den Erhalt von Theaterzetteln. Andere Theaterformen mit weniger stabilen institutionellen Strukturen (Hetztheater, Zirkus, Feuerwerk etc.) boten weniger gute Voraussetzungen, doch sofern eine bestimmte Kontinuität gewährleistet war, haben sich auch für diese Genres Zettel erhalten: so ist etwa die Zahl der Feuerwerkszettel der über mehrere Jahrzehnte in Wien wirkenden Familie STUWER im Bestand der Wienbibliothek beachtlich (ein Beispiel ist auf S. 204–205 zu sehen).
Auch die materialreiche Studie von Paul S. ULRICH zur Produktion und Distribution von Theaterzetteln und Theateralmanachen (S. 3–26) des späten 18. und 19. Jahrhunderts legt nahe, dass Theaterzettel dem Publikum etwas wert waren und der Verkauf bzw. das Verteilen dieser Drucke gegen freiwillige Spenden für Souffleure und Zettelträger ein lukratives Geschäft darstellte.
ULRICH betont in seinen „quellenkritischen Anmerkungen” das Forschungspotenzial, das vor allem in lückenlosen Theaterzettelsammlungen steckt, da diese umfassendes Material für ein Verständnis der täglichen Praxis enthalten – etwa zur Anzahl der Stücke im Repertoire, zu Aufführungsfrequenzen und Probenzeiten. Aufgrund der wechselnden Engagements des Theaterpersonals wäre eine Verknüpfung der Informationen solcher Bestände besonders aufschlussreich.
Theateralmanache und -journale, auf die ULRICH ebenfalls eingeht, sind den Theaterzettelsammlungen in mehreren Punkten vergleichbar: Auch sie geben in der Regel eine Übersicht über das Personal, die (neu) aufgeführten Stücke, Aufführungsfrequenzen etc.; teilweise sind sie grafisch an die Theaterzettel angelehnt. Was das nicht-künstlerische Personal bzw. Zu- und Abgänge des künstlerischen Personals betrifft, bieten Theateralmanache und -journale mehr Informationen als Theaterzettel, und da sie nicht als Ankündigungen im Vorhinein, sondern zur Dokumentation wie zu Werbezwecken im Nachhinein gedruckt worden sind, ist ihre Zuverlässigkeit im Allgemeinen höher einzuschätzen.
Dem Quellenwert von Theaterzetteln gewidmet ist der Beitrag von Silvia FREUDENTHALER (S. 27–48). Anhand dreier Theaterzettelkonvolute von Hofburgund Kärntnerthortheater aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Österreichischen Theatermuseums nimmt sie einen detaillierten Vergleich der Jahre 1811 und 1856 vor. Die Ergebnisse zeigen, dass Repertoireforschung deutlich mehr ist als ein bloßes Abschreiben von Theaterzetteln, und führen die Notwendigkeit einer Kommentierung der angezeigten Bilder im Rahmen von Online-Präsentationen vor Augen.2
Gertrude CEPL-KAUFMANN hat durch Veranstaltungen und Publikationen im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projektes „Theaterzettel als Textsorte, Indikatoren kultureller Selbstpositionierung und Parameter kulturwissenschaftlicher Forschung“ entscheidende Anregungen für die Untersuchung von Theaterzetteln gegeben. Aus der gegenwärtigen Sammlungsund Erschließungssituation in Deutschland leitet sie die Forderung ab: „Ein Theaterzettelatlas muss her!“ (S. 53). Im Beitrag „Theaterzettel – Über die Entdeckung einer minimalistischen Archivalie“ (S. 49–62) berichtet sie über das Projekt und gibt eine Übersicht über wissenschaftlich relevante Fragestellungen, die sich anhand dieses Mediums beantworten lassen. Forschungspotenzial sieht sie vor allem in den Bereichen regionale Theater- und Kulturgeschichtsschreibung, Theaterzettel/theatrales Ereignis sowie Erinnerungskultur, wofür biografisch motivierte Theaterzettelsammlungen (wie in Abb. 2 und 3) aufschlussreich sind.
Am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien leitete Birgit PETER im Sommersemester 2011 ein Forschungsseminar zum Thema „Theaterzettel und Historiografie“. Drei Gruppen von Studierenden erhielten die Möglichkeit, im Rahmen der Tagung „Theater – Zettel – Sammlungen“ am 28. und 29. Juni 2011 ihre Arbeit vorzustellen, und in der Folge wählte PETER drei Beiträge für die Publikation in diesem Band aus.
Markus LEHNER (S. 68–74) interpretiert Theaterzettel als „Medien von Flüchtigkeit“. Seiner Beobachtung, die „Abwertung theatraler Formen in der Historiografie verläuft linear zu jener des Materials“ (S. 73), ist durchaus zuzustimmen.
Caroline HERFERT (S. 75–82) präsentiert ein Forschungsvorhaben, bei dem die Darstellung und Wahrnehmung des Fremden – von ‚Orient‘ wie ‚Okzident‘ – in den Unterhaltungs- und Theaterkulturen von Istanbul, London und Wien untersucht werden. Theaterzettel werden in die Untersuchung einbezogen, und es ist interessant, welchen Niederschlag die jeweiligen kulturellen Transfers in diesem Medium finden. Dominik KEPCZYNSKI, Eva HANAUSKA, Nadja SAILER, Tanita MÜLLER und Dominique PIECH (S. 83–91) präsentieren einen Analysebogen zur inhaltlichen Erschließung von Theaterzetteln, der als Diskussionsgrundlage für die Entwicklung eines standardisierten Vokabulars zur Beschreibung von Theaterzetteln dienen kann.
Seit einigen Jahren werden zahlreiche Projekte zur Erschließung und Digitalisierung von Theaterzetteln durchgeführt. Das Interesse gerade an diesen Beständen beruht auf der Einzigartigkeit jeder Theaterzettelsammlung und deren großem Wert für die regionale Theater- und Kulturgeschichte sowie der Notwendigkeit, diese Bestände zu schützen. Vor allem die aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden Theaterzettel sind (Zeitungen aus dieser Zeit vergleichbar) vom Zerfall bedroht.
Um eine einheitliche Erschließung von Theaterzetteln ist es im Moment jedoch noch schlecht bestellt. Je nachdem, welche Institution sie beherbergt und bearbeitet, werden die Objekte als Archiv-, Bibliotheks- oder Museumsgut behandelt. Margret SCHILD beschreibt in ihrem Beitrag die Konsequenzen der jeweiligen Organisationsform der Eigentümerinstitution für die Erschließung von Theaterzetteln (S. 95–109). Dazu gibt sie einen Überblick über die fachspezifischen Nachweise von Theaterzetteln in deutschen Theatersammlungen und dokumentiert den Bedarf an einer gemeinsamen, online zugänglichen und nachhaltig gesicherten Präsentation der Objekte.
Franziska VOSS betont in ihrem Aufsatz zur „Katalogisierung und Erfassung von Theaterzetteln in bibliothekarischen Nachweissystemen“ (S. 111–124), dass die bisher durchgeführten Digitalisierungsprojekte von Theaterzetteln in der Regel ‚Insellösungen‘ darstellen – eine Diagnose, die aufgrund der schlechten bibliothekarischen Erschließung dieser Objekte, des Fehlens etablierter Standards für deren Beschreibung sowie des mangelnden Datenaustauschs freilich nicht überraschend ist. Für künftige Projekte empfiehlt VOSS deshalb eine Konzeption, die sich an der beabsichtigten Nutzung orientiert, und einen intensiven Austausch mit anderen Vorhaben – das betrifft die Einholung und Freigabe von Informationen, die Einbindung in etablierte Nachweissysteme, die Präsenz in übergeordneten Web-Portalen sowie die Werbung für die eigene Sammlung.
Johannes H. STIGLER beschreibt die Entwicklung „Von der Digitalisierung zur Digitalen Edition“ (S. 125–134). Digitalisieren allein bedeutet noch kein gelungenes Digitalisierungsprojekt. Heutzutage geht es nicht mehr ‚nur‘ um eine nachhaltige Speicherung der Daten und die erleichterte Recherche im digitalisierten Bestand: digitale Archive sollen vielmehr die Grundlage für wissenschaftliche Arbeitsszenarien bieten. Voraussetzung dafür sind der Einsatz eines XML-basierten Datenformats und die Verwendung von etablierten Annotationssprachen. Gerade für Theaterzettel besteht jedoch auf diesem Gebiet noch erheblicher Forschungsbedarf.
Nach diesen allgemeinen Beiträgen folgen Texte zu konkreten Projekten.
An der Staatsbibliothek zu Berlin wurden 2009 ca. 16.000 Theaterzettel erschlossen. Darauf aufbauend bearbeitet Paul S. ULRICH, Spezialist für biografische Forschung zur Theatergeschichte, die Angaben zu Rollen und Besetzungen der Theaterzettel zahlreicher Bühnen.
Die Lippische Landesbibliothek Detmold, über die Joachim EBERHARDT berichtet (S. 143–156), besitzt mit ihren 1.500 Zetteln eine zwar kleine, doch im Verbund mit anderen Quellen zur regionalen Theatergeschichte aussagekräftige Sammlung. Schon 2004, als dergleichen Projekte noch keineswegs üblich waren, wurden an dieser Institution Lösungen für eine bibliothekarische Erschließung und Online-Präsentation von Theaterzetteln entwickelt.
An der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf läuft seit Februar 2012 ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziertes Projekt zur Erschließung von 10.000 Theaterzetteln. Thorsten LEMANSKI und Rainer WEBER skizzieren (S. 157–171) den geplanten Verlauf dieses Projektes, das sowohl durch die vorgenommene Tiefenerschließung als auch die hohe Qualität der Digitalisate neue Maßstäbe setzt.
Die Gesellschaft der Theater- und Musikfreunde Erfurt finanzierte in den Jahren 2008 und 2009 die Digitalisierung von etwa 14.000 Zetteln des Erfurter Stadttheaters, eine Initiative, die Arne LANGER (S. 173–176) vorstellt. Online verfügbar sind die Digitalisate leider nicht, doch können sie im Stadtarchiv Erfurt konsultiert werden. Eine besonders große Theaterzettelsammlung mit ca. 600.000 Objekten befindet sich im A. A. Bakhrushin State Central Theatre Museum in Moskau. Ksenia LAPINA beschreibt in ihrem Beitrag (S. 177–180) das Sammlungsprofil und geht auf die Maßnahmen zur Restaurierung ein, in deren Zuge 40.000 Theaterzettel digitalisiert werden sollen.
An der Erschließung und Digitalisierung der Theaterzettel des Weimarer Hoftheaters, über die Axel SCHRÖTER berichtet (S. 181–194), arbeiten die Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek Jena, das Thüringische Hauptstaatsarchiv Weimar sowie das Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena. Diese Kooperation hat für die Konzeption des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projektes entscheidende Konsequenzen. In die Aufarbeitung der bislang 25.000 digitalisierten Theaterzettel (geplant ist die Erfassung von mehr als 100.000 Objekten) fließen umfangreiche theaterhistorische Forschungen ein, sichtbar etwa an der Anreicherung der Metadaten mit Rezensionen.
Je nach Zeitpunkt des Projektbeginns, methodischer Ausrichtung und Finanzierung unterscheiden sich die Projekte bezüglich der Erschließungstiefe, der Qualität der Digitalisate sowie der ergänzenden Informationen. Das Spektrum der präsentierten Unternehmen reicht von privater ehrenamtlicher Tätigkeit (wie jener von Paul S. ULRICH) über Vorhaben, die durch interessierte lokale Organisationen finanziert werden (wie die Gesellschaft der Theater- und Musikfreunde Erfurt oder die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Lippischen Landesbibliothek e.V.), bishin zu Vorhaben, die von großen Förderinstitutionen (wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft) getragen sind. Die bearbeiteten Bestände umfassen zwischen 1.000 und 40.000 Objekte. Entweder handelt es sich um relativ kleine Sammlungen oder es wird – wie etwa in Düsseldorf, Berlin oder Moskau – nur ein bestimmtes Bestandssegment erschlossen und/oder digitalisiert.
Die daran anschließenden Beiträge sind Wiener Institutionen gewidmet. Franz J. GANGELMAYER bietet einen knappen Überblick über die Revisionsarbeiten zu den etwa 250.000 Theaterzettel umfassenden Beständen der Wienbibliothek im Rathaus und präsentiert die Objekte der im Rahmen der Tagung „Theater – Zettel – Sammlungen“ gezeigten Ausstellung „Theaterzettel im Querschnitt der Zeit“ (S. 195–222). Daniela FRANKE stellt das Programmarchiv des Österreichischen Theatermuseums vor (S. 223–257). Sie beginnt mit einer kurzen Geschichte der ursprünglich zur Österreichischen Nationalbibliothek, seit 2001 zum Kunsthistorischen Museum gehörigen Institution. Ein „Vereinfachter Auszug aus dem Verzeichnis der Wiener Spielstätten“, die mit dem Buchstaben A beginnen (S. 245–248), macht den Umfang dieser Sammlung deutlich, die 500.000 Objekte enthält. Darunter finden sich auch Besonderheiten wie Seidenzettel oder künstlerisch gestaltete Objekte. Digitalisiert werden Theaterzettel auf Nachfrage, eine verstärkte Erschließung und Online-Veröffentlichung wird jedoch angestrebt.
Ein Konzept für eine solche Online-Präsentation bietet der Beitrag „THEO – Theaterzettel online“ von Claudia MAYERHOFER (S. 259–302), in dem die Autorin die Ergebnisse eines im Rahmen des Universitätslehrgangs „Library and Information Studies (MSc)“ 2010/11 an der Österreichischen Nationalbibliothek durchgeführten Gruppenprojektes vorstellt. Anhand des Bestands von Theaterzetteln der Bibliothek des Österreichischen Theatermuseums wurde ein Probelauf unternommen, der eine Bestandserhebung, Tests zur Digitalisierung und Texterkennung sowie Untersuchungen zu Web 2.0-Applikationen umfasst. Für die Forschung hilfreich ist an dieser ausführlichen Darstellung nicht zuletzt die tabellarische Erschließung des untersuchten Bestands an Theaterzetteln (S. 296–301).
Um die Geschichte des Don-Juan-Stoffes bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts sowie die Rezeption des Don Giovanni schreiben zu können, widmet sich das Don Juan Archiv Wien u. a. intensiv der Repertoireforschung. In diesem Forschungsbereich geht es um das Sammeln, Digitalisieren, Kontrollieren und gegebenenfalls Ergänzen von bereits publizierten Spielplänen sowie um die Schaffung der Voraussetzungen für eine Online-Präsentation des Materials. Für die Verknüpfung dieser Forschungsdaten mit Digitalisaten der Quellen – gerade für die frühe Zeit spielen Theaterzettel eine zentrale Rolle – ist das Don Juan Archiv Wien auf eine Zusammenarbeit mit den Eigentümerinstitutionen angewiesen.
Zu diesem Zweck fanden auf Mitarbeiterebene mehrere Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen aus der Wienbibliothek im Rathaus und dem Österreichischen Theatermuseum über die Ziele der jeweiligen Institution beim Umgang mit den Theaterzettelbeständen statt. Das Interesse an einer Aufarbeitung der Theaterzettel war vorhanden, doch konkrete Vorhaben waren (noch) nicht geplant. Als die Österreichische Nationalbibliothek im Jänner 2010 rund 30.000 Theaterzettel im Rahmen von „ANNO – AustriaN Newspapers Online“ (http://anno.onb.ac.at/, Stichwort: Theaterzettel) im Internet zugänglich machte, wurde jedoch klar, dass die Zeit für eine gemeinsame Initiative günstig wäre. Die Direktorin der Wienbibliothek, Sylvia MATTL-WURM, der Leiter der zugehörigen Druckschriftensammlung, Alfred PFOSER, sowie der Direktor des Theatermuseums, Thomas TRABITSCH, stellten nun für einen Theaterzettelschwerpunkt Ressourcen bereit. Rasch bildete sich ein institutionenübergreifendes Team: Julia DANIELCZYK und Franz J. GANGELMAYER von der Wienbibliothek, Daniela FRANKE und Claudia MAYERHOFER vom Österreichischen Theatermuseum sowie Silvia FREUDENTHALER, Jana-Katharina MENDE und Matthias J. PERNERSTORFER vom Don Juan Archiv Wien. Im Vorfeld der internationalen Tagung „Theater – Zettel – Sammlungen“ fanden mehrere Veranstaltungen statt:
– das 11. Forschungsgespräch3 des Don Juan Archivs Wien zu „Wiener Theaterzettel/Theaterrepertoire Wiens“ bei Treventus Mechatronics am 10. Februar 2011 (Bericht von Silvia FREUDENTHALER, S. 305–309);
– eine „Theaterzettel-Exkursion“ in die Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, die Bibliothek des Österreichischen Theatermuseums und die Wienbibliothek im Rathaus am 17. März 2011 (Bericht von Jana-Katharina MENDE, S. 310–313);
– das 12. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs Wien zu „Wiener Theaterzettel/Theatertopographie Wiens“ im Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien am 19. Mai 2011 (Bericht von Jana-Katharina MENDE, S. 310–313);
– ein Digitalisierungsworkshop für Theaterzettel bei Treventus Mechatronics am 19. Mai 2011.4
Zusätzlich zu Mitarbeitenden der Eigentümerinstitutionen nahmen jeweils Forschende teil, die mit Theaterzetteln arbeiten und für die nicht so sehr die bibliothekarischen Aspekte im Umgang mit diesen Quellen im Vordergrund stehen als vielmehr deren Interpretation.
Am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien organisierte Birgit PETER im Sommersemester 2011 das bereits genannte Forschungsseminar zum Thema „Theaterzettel und Historiografie“. Dies hatte für die etwa 25 Studierenden den Nutzen, dass sie besseren Zugang als gewöhnlich zu den Quellen erlangten; Julia DANIELCZYK, Daniela FRANKE, Franz J. GANGELMAYER, Claudia MAYERHOFER und Matthias J. PERNERSTORFER hielten im Seminar Kurzreferate und standen für die Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
All diese Veranstaltungen förderten den Austausch auf fachlicher Ebene, was besonders bei Fragen der Lagerung und Erschließung von Bedeutung war, da sich hier teilweise ähnliche Fragen stell(t)en. Dies erhöhte das Bewusstsein, dass Theaterzettel weder nur Archiv-, Bibliotheks- oder Museumsgut noch allein theaterwissenschaftliche bzw. -historische Quellen sind. Zugleich wurde die Bedeutung der Arbeit an den Theaterzettelbeständen innerhalb der Institutionen durch die überinstitutionelle Kooperation unterstrichen. Die Frage, warum man sich mit Theaterzetteln auseinandersetzen bzw. weshalb man dafür Energie und Kosten aufwenden solle, wurde spätestens nach der Tagung „Theater – Zettel – Sammlungen“ am 29. und 30. Juni 2011 nicht mehr gestellt. Ein Tagungsbericht von Jana-Katharina MENDE erschien in den Fachzeitschriften Nestroyana 31/3–4 (2011), H., S. 200–203, und AKMB-News 17 (2011), S. 50–53, und ist in den vorliegenden Band aufgenommen (S. 318–321).
Franz J. GANGELMAYER von der Wienbibliothek im Rathaus hatte aus diesem Anlass eine kleine Ausstellung zum Thema vorbereitet, durch die es in den Folgewochen einige Führungen gab; auf der Informationshomepage www.w24.at erschien ein Bericht über die Theaterzettelaktivitäten der Wienbibliothek.
In der Folgezeit wurden die Arbeiten intensiv fortgesetzt: Claudia MAYERHOFER und ihre Projektgruppe brachten das Projekt „THEO – Theaterzettel online“ zum Abschluss, in der Wienbibliothek fanden umfangreiche Revisionsarbeiten statt. Franz J. GANGELMAYER erarbeitete im Zuge derselben ein Dokument zur Systematischen Erfassung der Theaterbestände der Druckschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus. Dieses wurde beim 14. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs Wien zur Diskussion gestellt (3. Februar 2012, Bericht von Nora GUMPENBERGER auf S. 322–324). Ergänzt um die Theaterzettel der weiteren Sammlungen der Wienbibliothek soll dieses Dokument in einem der folgenden Bände der Reihe Bibliographica publiziert werden.
Ein weiteres wichtiges Resultat der Theaterzettelinitiative ist der Austausch von Forschungsergebnissen: Hilde HAIDER-PREGLER und Birgit PETER stellten unpubliziertes Datenmaterial aus dem Forschungsprojekt „Österreichische Theatertopographie 1918–1938“ zur Verfügung, das 1998–2000 am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien durchgeführt worden war. Da sich die Namen und Adressen der Theater immer wieder änder(te)n und eine umfassende Theatertopographie der ‚Musik- und Theaterstadt‘ Wien nach wie vor ein Forschungsdesiderat ist, bietet diese Informationsquelle eine große Hilfe für die Erschließung von Theaterzetteln.
Zudem erarbeitete Marion LINHARDT die Datengrundlage für ‚Theaterlandkarten‘ des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts: Als Kooperation zwischen dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung und dem Don Juan Archiv Wien erscheinen im Historischen Atlas von Wien derartige Karten zu folgenden Zeitabschnitten:
Zusätzlich publiziert Gerhard MEISSL „Freizeitkarten” für die Jahre 1850, 1892, 1913 und 1937 (teilweise bereits gedruckt5), worin auch die Theater aufgenommen sind (Abb. 4). Diese Zusammenarbeit führte weiters dazu, dass Marion LINHARDTS Studie Kontrolle – Prestige – Vergnügen. Profile einer Sozialgeschichte des Wiener Theaters 1700–2010 (LiTheS Sonderband 3, Juli 2012) als Kooperation des For schungsschwerpunktes „LiTheS – Literatur- und Theatersoziologie” der Karl-Franzens-Universität Graz mit dem Don Juan Archiv Wien herausgegeben und mit Abbildungen von Theaterzetteln der Wienbibliothek im Rathaus ausgestattet werden konnte.6
Im Anschluss an die Tagung „Theater – Zettel – Sammlungen” hat Irmgard SIEBERT, Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken, den Verfasser eingeladen, im Rahmen der Herbstsitzung der AG Regionalbibliotheken (7. und 8. November 2011) in Hamburg über die Wiener Theaterzettelinitiative zu berichten. Ziel war es, durch die Vorstellung des Wiener Beispiels die Bemühungen um ein großangelegtes Projekt der Regionalbibliotheken zur gemeinsamen Erschließung und Digitalisierung von Theaterzettelsammlungen zu unterstützen.
Von einem solchen Projekt ist für die Bibliotheken viel zu erwarten: Eine derartige Vernetzung bedeutet für die konkrete Arbeit, dass auf Erfahrungen zahlreicher Institutionen zurückgegriffen werden kann und etwa bei der Identifizierung der beteiligten Personen eine Zusammenarbeit sowohl inhaltlich wie infrastrukturell möglich ist. Aufgrund der hohen Mobilität des Theaterpersonals selbst in Zeiten von stehenden Bühnen bringt dies eine merkbare Steigerung der Effizienz bei der Erschließung mit sich.
Noch größer wäre der Nutzen voraussichtlich für die Wissenschaft, denn eine zentrale Online-Präsentation sämtlicher Theaterzettel (des deutschsprachigen Raums) würde es sehr erleichtern, die Rezeptionsgeschichte von Stücken zu erforschen oder Schauspielerbiografien zu verfassen. Weiters böte ein solches Portal die Möglichkeit, das Repertoire einzelner Theater zu vergleichen und die Unterschiede nach Organisationsform, Trägerschaft und räumlichem Kontext auch quantitativ zu bestimmen.
Gleichzeitig erhöht eine solch umfassende Bereitstellung der Quellen die Notwendigkeit einer guten inhaltlichen Erschließung. Für das 18. Jahrhundert sind in Reinhart MEYERs Bibliographia Dramatica et Dramaticorum die Theaterzettel der wichtigen Bestände erschlossen – vielfach vollständig transkribiert; dieser Glücksfall ist darauf zurückzuführen, dass sich diese monumentale Bibliografie nicht darauf beschränkt, eine Geschichte der gedruckten Dramentexte zu schreiben, sondern zu Recht den Anspruch erhebt, eine Kommentierte Bibliographie der im ehemaligen deutschen Reichsgebiet gedruckten und gespielten Dramen des 18. Jahrhunderts nebst deren Übersetzungen und Bearbeitungen und ihrer Rezeption bis in die Gegenwart zu sein.7 Dieses reiche Material sollte für die Erschließung der Theaterzettel auf jeden Fall genutzt werden.
Für die Zeit nach 1800 liegt ein vergleichbares Werk nicht vor, und gleichzeitig erhöht sich die Zahl der erhaltenen Theaterzettel immens. Wenn man nun den Zeitaufwand von 20 Minuten Datenerfassung pro Theaterzettel, wie er für das Projekt der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf angegeben wird (S. 166), als Maßstab nimmt und auf die Erschließungsdauer von mehreren Millionen Theaterzetteln hochrechnet, wird sofort klar, dass bei solchen Mengen die manuelle Erfassung nicht finanzierbar ist und stattdessen eine (zumindest weitgehend) automatisierte Bearbeitung erfolgen muss.
Derzeit entwickeln das Computer Vision Laboratory vom Institut für Rechnergestützte Information der Technischen Universität Wien (Tamir HASSAN), die Arbeitsgruppe Digitalisierung und Elektronische Archivierung vom Institut für Germanistik der Universität Innsbruck (Günther MÜHLBERGER) und das Don Juan Archiv Wien (Matthias J. PERNERSTORFER) das Projekt „THESIS – Theaterzettel-Erschließung mit strukturierten Inhalten und Semantik. Automatisierte Verfahren zur textlichen, strukturellen und semantischen Erschließung digitalisierter Theaterzettel”. Ziel dieses Projektes ist es, durch Forschung auf den Gebieten der Bildverarbeitung und Strukturerkennung aktuelle, speziell auf historische Dokumente optimierte Methoden für die Zeichenerkennung und Weiterverarbeitung der Digitalisate zu entwickeln, sodass die inhaltliche Erschließung großer Mengen von Theaterzetteln bis zur Schauspielerebene mit sehr hoher Genauigkeit und deutlich reduziertem Personalaufwand erfolgen kann.
Diese Projekte stützen sich auf die Erfahrungen bereits durchgeführter Vorhaben. Sie sollen diese in größerem Umfang und unter Berücksichtigung der mittlerweile etablierten Standards weiterführen. Es bleibt zu hoffen, dass ihnen Glück beschieden ist und die Digitalisierung, Erschließung und Beforschung von Theaterzetteln so energisch wie in den vergangenen Jahren fortgesetzt werden kann.
Mein Dank gilt all jenen, welche die Wiener Theaterzettelinitiative ermöglicht haben und/oder daran aktiv beteiligt gewesen sind, den Vortragenden im Rahmen der Tagung „Theater – Zettel – Sammlungen” sowie den Autoren der Aufsätze dieses Bandes: Gertrude CEPL-KAUFMANN, Julia DANIELCZYK, Joachim EBERHARDT, Daniela FRANKE, Silvia FREUDENTHALER, Franz J. GANGELMAYER, Hilde HAIDERPREGLER, Eva HANAUSKA, Caroline HERFERT, Dominik KEPCZYNSKI, Arne LANGER, Ksenia LAPINA, Markus LEHNER, Thorsten LEMANSKI, Sylvia MATTL-WURM, Claudia MAYERHOFER, Gerhard MEISSL, Jana-Katharina MENDE, Tanita MÜLLER, Wolfgang NOVAK, Dominique PIECH, Birgit PETER, Alfred PFOSER, Nadja SAILER, Margret SCHILD, Axel SCHRÖTER, Johannes H. STIGLER, Thomas TRABITSCH, Stephan TRATTER, Paul S. ULRICH, Franziska VOSS, Rainer WEBER und H. E. WEIDINGER.
An der Produktion dieses Buches waren mehrere Kolleginnen und Kollegen beteiligt: Nora GUMPENBERGER, Marion LINHARDT und Inge PRAXL lektorierten den Text, Alison J. DUNLOP erstellte die Register und Gabriel FISCHER die Grafik. H. E. WEIDINGER befürwortete die Aufnahme des Bandes in die Reihe Bibliographica und begleitete seine Entstehung.
Folgenden Institutionen sei für den freundlicherweise genehmigten Abdruck von Abbildungen aus ihren Beständen gedankt: A. A. Bakhrushin State Central Theatre Museum, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg, Lippische Landesbibliothek Detmold, Österreichische Nationalbibliothek, Österreichisches Theatermuseum, Stadtarchiv Erfurt, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Wienbibliothek im Rathaus.
Matthias J. PERNERSTORFER
Sezzate, den 15. August 2012
1 Aus den zahlreichen Publikationen seien herausgegriffen: Carl HAGEMANN: Geschichte des Theaterzettels. Ein Beitrag zur Technik des deutschen Dramas. Diss., Universität Heidelberg 1901. – Münchner Theaterzettel 1807–1982. Altes Residenztheater – Nationaltheater – Prinzregenten-Theater – Odeon, hg. von Klaus SCHULTZ. Mit einem Vorwort von August EVERDING. München: Sauer 1982. – Braunschweiger Theaterzettel 1711–1911, hg. von Ralf EISINGER. Braunschweig: Literarische Vereinigung Braunschweig 1990 (= Bibliophile Schriften der Literarischen Vereinigung Braunschweig 37). – Eike PIES: Einem hocherfreuten Publikum wird heute präsentiret eine Kleine Chronik des Theaterzettels. Mit 29 Beispielen versetzt und vorgestellt von Eike PIES. Solingen: E. & U. Brockhaus 2000.
2 Ein Bewusstsein für die Notwendigkeit eines kritischen Umgangs mit der Quelle Theaterzettel ist von großer Bedeutung – ganz besonders in Zeiten des Internets: Um den Zettel einer bestimmten Vorstellung zu suchen resp. zu finden, ging man bislang in eine Bibliothek und erhielt, sofern man auf einen freundlichen Bibliothekar traf, Auskunft darüber, ob den Angaben auf diesem Zettel auch zu trauen sei oder ob man besser auf andere Quellen zurückgreifen solle. Vergleichbare quellenkritische Hinweise finden sich in digitalen Bibliotheken von Theaterzettelsammlungen kaum; dadurch können diese für wenig informierte Nutzer zur Fehlerquelle zu werden. Da sich aufgrund der leichten Verfügbarkeit der Theaterzettel keineswegs nur eingefleischte Repertoireforscher damit beschäftigen, ist dieses Risiko nicht zu unterschätzen.
3 Forschungsgespräche des Don Juan Archivs Wien sind informelle, kurzfristig organisierte Treffen, zu welchen Kolleginnen und Kollegen geladen werden, die zu ähnlichen Themen arbeiten oder sich ähnliche Forschungsfragen stellen. Zum Teil bleibt es bei einem einzigen Treffen zum Thema; im Optimalfall aber ergibt sich daraus ein kontinuierlicher Austausch.
4 Unabhängig von der Theaterzettelinitiative wurde von der Wienbibliothek im Rathaus am 24. März 2011 ein allgemeiner Digitalisierungsworkshop organisiert.
5 Wiener Stadt- und Landesarchiv, Verein für Geschichte der Stadt Wien, Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung (Hg.): Historischer Atlas von Wien. 14. Lieferung, Wien 2011, Karte 2.3.4/1-2: Verteilung von Kultur- und Freizeitstätten 1850, 1892.
6 Online unter http://lithes.uni-graz.at/lithes/beitraege_12_sonderbd_3/sonderband_3.pdf.
7 Reinhart MEYER: Bibliographia Dramatica et Dramaticorum. Kommentierte Bibliographie der im ehemaligen deutschen Reichsgebiet gedruckten und gespielten Dramen des 18. Jahrhunderts nebst deren Übersetzungen und Bearbeitungen und ihrer Rezeption bis in die Gegenwart. 1. Abteilung: Werkausgaben, Sammlungen, Reihen. Bd. 1–3. Tübingen: Niemeyer 1986, 2. Abteilung: Einzelausgaben. Bd. 1–34, Tübingen: Niemeyer (bzw. seit 2010: Berlin/New York: De Gruyter) 1993–2012. Zu den methodischen Implikationen der Struktur dieser Bibliografie siehe Reinhart MEYER: Schriften zur Theater- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, hg. von Matthias J. PERNERSTORFER. Wien: Hollitzer Wissenschaftsverlag 2012 (= Summa Summarum i), bes. S. 453–506.
Theaterzettel und -almanache hatten ihre große Zeit im 18. und 19. Jahrhundert. Es gab sie auch noch nach dem Ersten Weltkrieg, dennoch verloren sie zunehmend die Bedeutung, die sie davor besessen hatten. Der Grund dafür waren Änderungen im deutschsprachigen Theater nach 1918, die Auswirkungen auf die Tradition der Theaterzettel und der Theateralmanache hatten. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts erschienen die ersten Programmhefte, die viele Aufgaben des Theaterzettels übernahmen. Zudem wurden die öffentlich ausgehängten Zettel durch großformatige Plakate ersetzt, und die Verteilung der Zettel an einzelne Haushalte wurde eingestellt. Die zunehmende Übernahme des Theaterbetriebs durch die Kommunen sorgte für eine finanzielle Sicherheit der Theater, sodass sich diese immer mehr aus dem Bereich rein kommerzieller Unternehmen entfernten.
Die Bedeutung von Theaterzetteln und Theateralmanachen für die Forschung wird erst deutlich, wenn man sich mit der Praxis auseinandersetzt, für die sie hergestellt wurden.
Vorab ist festzustellen, dass nicht abzuschätzen ist, in wie vielen Orten im 19. Jahrhundert deutschsprachiges Theater gespielt wurde. Wenn man die Orte zählt, die in Theateralmanachen (u. a. Almanach für Freunde der Schauspielkunst – ab 1854 unter dem Titel Deutscher Bühnen-Almanach1, Almanach der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger2 und Ferdinand Roeders Theater-Kalender3) erwähnt werden, kommt man auf über 3.000 Orte.4 Nur einige dieser Orte hatten mehr als 40.000, die Mehrheit zwischen 1.000 und 10.000 Einwohner, d. h. die Anzahl der potenziellen Theatergänger war gering. Die Anzahl der Sitzplätze in den meisten Spielstätten lag zwischen 400 und 700, obwohl es auch Spielstätten mit über 1.500 Sitzplätzen gab. Um diese Plätze täglich oder zumindest fast täglich zu belegen, musste der Direktor regelmäßig neue Programme zeigen – ständig Wiederholungen zu bieten, hätte letztlich zum wirtschaftlichen Ruin geführt. Die größere Anzahl der Theatergesellschaften waren Privatunternehmen mit geringer oder keiner finanziellen Unterstützung der Städte, d. h. sie waren auf den Verkauf von Theaterkarten angewiesen und mussten mit anderen Unterhaltungsangeboten – Konzerten, Lesungen, Bällen, Gesellschaftsabenden – konkurrieren.5
Das Theaterpersonal und die Theatergesellschaften waren sehr mobil; höchstens das Theatergebäude – sofern es überhaupt ein Gebäude war – könnte man als stabil bezeichnen. Stücke wurden nicht en suite gespielt, sondern es gab ein sich täglich änderndes Angebot von Stücken, die selten – mit Ausnahme der kurzen Stücke – mehr als einmal in einer Saison gegeben wurden. Häufig bestand das Programm aus kürzeren Stücken, die in wechselnden Kombinationen wiederholt wurden. Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, dass sich die abendlichen Angebote unterschieden. Zusätzlich gab es konzertante, ebenso Tanz- bzw. gymnastische Darbietungen – zwischen den einzelnen Akten oder zusätzlich zu kürzeren Stücken.
Die verschiedenen lokalen6 zeitgenössischen gedruckten Quellen, die aktuelle Informationen über das Theater liefern, sind am besten zu verstehen, wenn man sie nach den Urhebern gruppiert.
1. Zeitungen7 bieten Informationen von unterschiedlichen Urhebern:
– Vorankündigungen, die von den Theaterdirektoren bezahlt wurden. Sie sind Ankündigungen und müssen nicht unbedingt mit dem tatsächlich Gespielten übereinstimmen;
– Anzeigen, die das Theater betreffen. Diese konnten vom Direktor in der Zeitung platziert werden, doch haben gelegentlich auch Souffleure über das Erscheinen ihres Theaterjournals Anzeigen in Auftrag gegeben;
– Kritiken, die nach einer Aufführung erschienen und in unterschiedlichem Umfang Auskunft darüber geben, was der Kritiker8 wahrgenommen hat. Da Wiederholungen von Stücken in einer Saison relativ selten waren, erschienen, obwohl nicht jede Aufführung rezensiert wurde, viel mehr Rezensionen über Aufführungen, als man es aus heutigen Zeitungen kennt. Wiederholungen von Aufführungen wurden meist nur dann rezensiert, wenn ein Gast darin auftrat;
– Berichte von Redakteuren der Zeitung. Diese haben unterschiedliche Qualität. Teilweise berichten sie über historische oder gegenwärtige Geschehnisse im Theater;
– Briefe bzw. Gedichte von Lesern, die einen Zusammenhang mit dem Theater aufweisen, z. B. Kritik am Theaterdirektor oder Huldigungen an Schauspieler. Der Leser musste für die Veröffentlichung bezahlen. Die Texte haben sehr subjektiven Wert; dafür vermitteln sie Einblicke, wie die Theaterwelt vom Publikum gesehen wurde.
2. Veröffentlichungen des Theaterdirektors9, die auf eigene Kosten10 erstellt11 und im Ort verteilt wurden.12 Wenn die Veröffentlichungen als Zettel gedruckt wurden, hängte sie der Zettelträger an von der Stadt festgelegten Standorten auf und verteilte sie an Privathaushalte.
– Saisonankündigungen wurden am Anfang der Saison auf Handzetteln veröffentlicht. Sie wurden verwendet, um die städtische Verwaltung über den Spielplan der Saison zu informieren und um die Einwohner zu animieren, Abonnements für mehrere Aufführungen zu günstigeren Preisen zu erwerben.
– Theaterzettel wurden meist am Tag vor einer Aufführung einseitig auf einem Blatt13 gedruckt.14 Sie lagen abends im Theater als Ankündigung der darauffolgenden Aufführung zum Mitnehmen aus15 und wurden am selben Tag oder am folgenden Morgen16 vom Zettelträger in der Stadt verteilt.17 Für Abonnenten der Theaterzettel18 wurden die Zettel vom Zettelträger ins Haus ge-bracht.19 Bei kurzfristigen Änderungen des Spielplans konnte es passieren, dass sogar ein zweiter Theaterzettel auf farbigem Papier zur Kennzeichnung dieser Änderung angefertigt und ebenfalls verteilt wurde.20
– Statistische Rückblicke wurden vorwiegend am Ende der Saison in größeren Städten, in denen die städtische Verwaltung finanziell am Theater beteiligt war, vom Direktor angefertigt, um eine Berichterstattung über seine Aktivitäten den Behörden gegenüber zu belegen. Diese Veröffentlichungen hatten unterschiedliche Formen – entweder als kleine Broschüre oder als Zettel. Es ist unwahrscheinlich, dass sie unter der Bevölkerung verteilt wurden.21
3. Veröffentlichungen des Souffleurs.22 Diese Veröffentlichungen wurden auf eigene Kosten von den Souffleuren erstellt. Sie wurden entweder vom Souffleur selbst oder vom Zettelträger in der Stadt verteilt, im Theater angeboten oder in der Wohnung des Souffleurs verkauft.
– Theateralmanache bzw. -journale waren fester Bestandteil des Theaterlebens im 19. Jahrhundert. Diese Veröffentlichungen enthielten eine Übersicht über das Personal, meist eine chronologische Auflistung der aufgeführten Stücke und häufig kurze Gedichte,23 Quodlibets aus erfolgreichen Aufführungen und Anekdoten. Es ist davon auszugehen, dass jeder Souffleur (entweder allein oder zusammen mit anderen Souffleuren, wenn das Theater mehr als einen Souffleur hatte) sich bemühte, am Ende der Saison24 bzw. zum neuen Jahr ein Journal anfertigen zu lassen, da dies eine zusätzliche Einnahmequelle darstellte.
– Selbst geschriebene Gedichte und andere Texte.
– Kopien von theaterbezogenen Texten. Besondere Couplets aus aufgeführten Stücken wurden vom Souffleur angefertigt und zum Verkauf angeboten.25
4. Veröffentlichungen des Zettelträgers. Der Zettelträger ließ gelegentlich Gedichte auf Zettel drucken, die er während seines Rundgangs zusätzlich verteilte. Ziel war es, Trinkgelder zu bekommen. Bei der ihm obliegenden Aufgabe, die gedruckten Theaterzettel täglich persönlich zu verteilen, konnte er oft Trinkgelder erwarten – auch wenn dies von seinen Auftraggebern nicht gewünscht war.26 Aufgabe des Zettelträgers war es, die Zettel an öffentlichen Orten anzubringen und sie an Privathaushalte zu verteilen. Unabhängig von den Theaterzetteln wurden auch andere Zettel durch offiziell zugelassene Zettelträger in den Städten verteilt. Offenbar war die Tätigkeit so lukrativ, dass die Zettelträger ihr Privileg sogar mit öffentlichen Anzeigen verteidigten, um sich gegen Missbrauch zu schützen.27
Die Quellen geben unterschiedliche Auskunft über die Zugehörigkeit der Zettelträger. Sehr oft scheint der Zettelträger vom Drucker selbst angestellt worden zu sein; umgekehrt tauchen Zettelträger stets in der Liste des Theaterpersonals auf – eindeutig als Mitglieder der Theatergesellschaft. Es ist möglich, dass sich Ende des 19. Jahrhunderts, als die Theaterdirektoren die Zuständigkeit für die Theaterzettel an die Druckereien abgaben, auch die Zugehörigkeit der Zettelträger änderte und diese nicht mehr Angestellte des Theaters waren. Sofern Zettelträger zum Stammpersonal des Theaters gehörten, übten sie häufig auch andere Tätigkeiten bei der Theatergesellschaft aus, z. B. sehr oft als Requisiteure, gelegentlich auch als Schauspieler.
Und doch verrät gerade der Theaterzettel in dem, was er bietet und beichtet, wie in dem, was er weise oder dummerweise verschweigt, vielfach eine deutlichere Charakteristik von dem Zus[t]and des betreffenden Theaters, wie sie kein böswilliger Rezensent, […] klarer berichten könnte. Der Theaterzettel in seiner Folge von Tag zu Tag, von Saison zu Saison, ist das curriculum vitae des Theaters, er ist das beste kritische Zeugnis für den Darsteller wie für den dramatischen Autor.28
Kurzum, Theaterzettel liefern „wichtige Indizien für das Selbstverständnis von Theater und Schauspielerstand im 18. und 19. Jahrhundert einschließlich der Verhaltensnormen der Gesellschaft“29. Theaterzettel sind Ankündigungen, d. h. sie sind als Absichtserklärungen einzustufen. Als Quellen für Aufführungen muss man dies immer berücksichtigen und sie durch andere Quellen (Kritiken, Theateralmanache, evtl. auch Tagebücher) verifizieren.30 Auf dem Theaterzettel stehen die Namen des Theaters bzw. der Spielort und ggf. die aufführende Gesellschaft, das Datum (nicht immer mit Jahr, oft mit dem Wochentag), die Titel der aufzuführenden Stücke, die Rollen mit den Besetzungen (bis zum Ende des 19. Jahrhunderts allerdings selten mit Vornamen31), Beginn und evtl. auch Ende der Vorstellung, Eintrittspreise sowie die Orte, wo Eintrittskarten zu erwerben sind, Angaben über Abonnements, Benefiz-Vorstellungen, Gäste, welches Stück am darauffolgenden Tag geplant war, welche Schauspieler krank32 bzw. beurlaubt waren, gelegentlich Ankündigungen des Direktors33 und Anzeigen.
Die Angaben auf den Theaterzetteln sind oft fehlerhaft. Nicht nur werden die Namen der Schauspieler und sogar der Verfasser der aufgeführten Stücke nicht immer richtig geschrieben, gelegentlich sind Rollen bzw. die Besetzung mancher Rollen nicht vermerkt.34 Zusätzliche Angaben sind nicht immer stimmig, z. B. wurde während der Gastspiele des Berliner Novitäten-Ensembles im Kurtheater in Berg bei Stuttgart im Jahre 1900 Der Probekandidat von Max DREYER