Nr. 1299
Im Garten der ESTARTU
Im Zentrum des Dunklen Himmels – das Geheimnis einer Superintelligenz wird offenbar
von Ernst Vlcek
Nachdem sich die vielgepriesenen Wunder der Mächtigkeitsballung Estartu als eine Ansammlung von Schrecken und tödlichen Gefahren entpuppt haben, müssen die Vironauten im Sommer des Jahres 430 Neuer Galaktischer Zeitrechnung erkennen, dass sie auf falsche Versprechungen Stalkers hereingefallen sind. Was der Bote der Superintelligenz ESTARTU bei seinen Besuchen in der Menschheitsgalaxis verkündete, hat mit der Realität nicht viel zu tun.
Die vom Fernweh geplagten Menschen und Angehörige anderer galaktischer Völker, die sich im Bereich der zwölf Galaxien tummeln, müssen nun aber mitmachen. Längst sind Zigtausende von ihnen zu unfreiwilligen Rädchen in einer gewaltigen Maschinerie geworden, die von den Ewigen Kriegern gelenkt wird.
Widerstand regt sich allerdings, und das nicht erst seit einiger Zeit. Es gibt genügend Vironauten, die sich ihre Unabhängigkeit bewahren konnten und nun versuchen, die Pläne der Ewigen Krieger zu durchkreuzen. Zu ihnen gehören auch Reginald Bull und Irmina Kotschistowa.
Für den langjährigen Wegbegleiter Perry Rhodans und die Metabio-Gruppiererin hätte die Überraschung aber nun nicht größer sein können. Ausgerechnet in der Gorim-Station des Wasserplaneten Aquamarin begegnen die beiden Aktivatorträger Perry Rhodan. Der Unsterbliche, der von den Kosmokraten aus der Milchstraße verbannt worden ist, hat selbst eine Odyssee hinter sich.
Aber auch für andere Terraner beginnt eine Zeit der großen Überraschungen. In diesem Fall sind Roi Danton und Ronald Tekener gemeint.
Der Sohn Perry Rhodans und der Smiler kommen in gefährliche Erlebnisse IM GARTEN DER ESTARTU ...
Ijarkor – Der Ewige Krieger folgt dem Ruf der ESTARTU.
Roi Danton, Ronald Tekener und Veth Leburian – Zwei Terraner und ein Mlironer im Paradiesgarten der Superintelligenz.
Srolg und Bulsk – Zwei Animateure.
Aldruitanzaro – Ein »Unkraut« im Garten der ESTARTU.
Sie kreuzten schon seit Tagen im Bummelflug durch das psionische Netz des Dunklen Himmels, ohne dass sich etwas Entscheidendes getan hätte. Allmählich kam Langeweile auf.
»Wie weit sind wir von Boldar entfernt, Vi?«, erkundigte sich Roi Danton, der entspannt in einem Sessel saß und in das schwebende 3-D-Schach stierte.
»Im Moment sind es achthundertvierzig Lichtjahre, Entfernung steigend«, antwortete die sanfte weibliche Stimme von irgendwo aus dem Gemeinschaftsraum.
»Es waren schon mal über tausend Lichtjahre«, beschwerte sich der Siganese Luzian Bidpott, der mit seiner Gefährtin Susa Ail im Schneidersitz unter dem 3-D-Schach saß. Im Gegensatz zu Luzian wirkte Susa konzentriert und schien im Geist die nächsten Spielzüge durchzugehen.
»Weiter von Boldar entfernt heißt nicht unbedingt näher am Ziel«, gab Ronald Tekener zu bedenken. Er saß Roi gegenüber und betrachtete durch das Schach-Holo das Mienenspiel des Freundes. Neben ihm hockte seine Frau Jennifer. Er war sich ihrer Gegenwart bewusst und dachte bewundernd, dass sie selbst in dieser Stellung anmutig sein konnte; er an ihrer Stelle hätte eine weniger gute Figur gemacht; es hätte ausgesehen, als hocke er auf dem Topf. Der Gedanke belustigte ihn, und sein stetes Lächeln vertiefte sich um eine Nuance.
Das musste Veth Leburian aufgefallen sein, denn Tekener spürte plötzlich die Blicke des Mlironers auf sich ruhen. Als er jedoch in dessen Richtung sah, schloss der Humanoide die Augen. Er stand ganz im Hintergrund, leicht an die Wand gelehnt, und schien zu meditieren. Dabei war er voll gerüstet. Er hatte sich, seit sie vor fünf Tagen von Boldar aufgebrochen waren, noch nicht von seinem Rückentornister getrennt, so als rechne er jede Minute mit seinem Einsatz.
Demeter umwanderte lautlos den holographischen Schachwürfel, der nicht mit den traditionellen Figuren besetzt war. Auf ihr aller Wunsch hatte das Virenschiff BOSCYK die Figuren auf die Mächtigkeitsballung Estartu abgestimmt und die Spielregeln entsprechend variiert, letztere den Spielern jedoch nicht verraten. Nun grübelten sie seit 48 Stunden darüber, wie sie die Figur der ESTARTU in die Enge treiben konnten, wussten aber noch nicht einmal, nach welchen Regeln sich diese schützte.
ESTARTU war natürlich der König in diesem Schach. Die Königin wurde durch den Sotho ersetzt, der sich praktisch nach Belieben bewegen konnte. Aber ähnlich stark waren auch die beiden Animateure, die an Stelle der Springer getreten waren. Bei den Läufern handelte es sich um Ewige Krieger, die Türme waren zu Elfahdern geworden. So blieben nur noch die Gardisten, die sich aus allen möglichen ESTARTU-Völkern zusammensetzten, als Bauern. Die Vironauten hatten natürlich darauf bestanden, mit den weißen Figuren zu ziehen, die Gegenpartei hatte Schwarz. So weit, so gut. Aber die verzwickten Spielregeln erlaubten alles andere als Schwarzweißmalerei.
Demeter hatte das Kinn in die rechte Hand gestützt, die Linke hatte sie abgewinkelt, und darauf saß der Siganese Cornelius »Chip« Tantal. Er war wieder mal ungekämmt, und sie hatten ihn kurz zuvor damit gehänselt, dass er sich nur nicht kämmte, um größer zu wirken.
Das hatte eine Lawine von Siganesen-Witzen ausgelöst und die drei Siganesen dazu veranlasst, einige Terraner-Witze zum Besten zu geben – zwischendurch spielte man 3-D-Schach.
Und das alles am Vorabend der Begegnung mit einer Superintelligenz.
»Ich habe den Verdacht, Vi«, murmelte Demeter versonnen, »dass du die Spielregeln dauernd änderst, wie es dir gerade passt. Als wir vorhin einen deiner Animateure in die Enge trieben und er mit einem Rösselsprung nicht mehr ausgekommen wäre, hast du ihn einfach mit einem Sotholauf querfeldein in Sicherheit gebracht. Wenn das nicht gemogelt war, musst du die Spielregeln geändert haben.«
»Unrichtig«, warf Roi ein. »Wir haben uns mit Vi darauf geeinigt, dass die Fähigkeiten der Figuren zu variieren sind.«
»Stimmt«, sagte das Virenschiff.
Demeter warf ärgerlich die Arme in die Luft. Dabei vergaß sie ganz Chip, und hätte sich der Siganese nicht reaktionsschnell an ihrem Kragen festgehalten, wäre einer der grausamen Siganesen-Witze wahr geworden.
Demeter entschuldigte sich beim Mentor der BOSCYK und beschwerte sich im selben Atemzug darüber, dass man unmöglich ein Spiel mitmachen könne, dessen Regeln man erstens nicht kennt und die zweitens auch noch ständig verändert wurden.
»Das ist doch wie in der Realität«, sagte Veth Leburian aus dem Hintergrund. Er sagte es in Sothalk; er hatte von Srimavo zwar Interkosmo gelernt, zog aber die Kriegersprache vor. Alle sahen in seine Richtung. Der Mlironer lächelte in die Runde.
»Ihr begeht den Fehler, die Möglichkeiten eurer Virenschiffe zu überschätzen. Das war schon mit Sri so ...« Er brach ab, räusperte sich und fuhr mit etwas tieferer Stimme fort: »Da das Virenschiff die Stärke der Figuren und ihrer Kompetenzen selbst nicht genau abgrenzen kann, muss Vi die verschiedenen Möglichkeiten durchspielen, um zu sehen, was daraus wird. Die Spielregeln bestehen also aus verschiedenen Hochrechnungen, bei denen die Unbekannten variieren. Da das Verhältnis eines Sothos zu seinem Animateur immer noch nicht klar ist, wechselt auch die Stärke der Spielfiguren. Oder kann jemand von euch mit absoluter Sicherheit sagen, wer von beiden der Herr und wer der Diener ist?« Er versuchte Tekeners unergründliches Lächeln zu imitieren, und die schwarzen Punkte seines Gesichts schienen den schalkhaften Ausdruck zu verstärken. Er fügte hinzu: »Vielleicht ist die Position der ESTARTU-Figur gar nicht so stark, wie ihr glaubt. Traut euch doch endlich mal was!«
»Potztausend!«, entfuhr es Roi.
»Wenn du alles so klar siehst, warum ziehst du nicht mit, Veth?«, erkundigte sich Jennifer Thyron.
»Mir ist dieses Spiel zu infantil«, sagte der Mlironer. »Man lernt daraus nichts für die Realität. Und wenn, dann nur die Erkenntnis, dass man sich im Kreis bewegt. Man kann aus eigener Kraft nichts tun, um ESTARTU näherzukommen.«
»Wie der Hund, der dem eigenen Schwanz nachjagt und glaubt, einem Widersacher hinterherzuhecheln«, meinte Tekener weise und dem allgemeinen Gesprächsniveau durchaus angepasst.
»Bitte?«, fragte Veth Leburian verständnislos.
»Du kannst das auch auf einen Animateur übertragen, der seinem eigenen Knorpelschwanz nachjagt«, erklärte Tekener und dachte: Herrje, wie weit ist es mit uns gekommen!
Dabei hatte es gute Ansätze dafür gegeben, dass sich die Dinge rasch entwickelten.
ESTARTU hatte sich bereits dreimal telepathisch bei ihnen gemeldet, auf genau die Weise, wie es für eine Superintelligenz angemessen war. Auf eine Art und Weise, wie es vermutlich auch ES in dieser Situation getan hätte.
*
Es war vierundzwanzig Stunden nach dem Aufbruch von Boldar, jener Wüstenwelt mit dem ESTARTU-Tor, von wo aus die gewaltige Flotte des Sothos Tyg Ian in Richtung Milchstraße aufgebrochen war, da sich eine telepathische Stimme meldete.
Sie waren die ganze Zeit über im psionischen Netz gekreuzt. Die sternförmige SOMBATH des Kriegers Ijarkor hatte die Führung übernommen, und die LASHAT und die LOVELY BOSCYK hatten sich, zusammengekoppelt, angehängt.
Ijarkor hatte nur zweimal mit ihnen Verbindung aufgenommen. Im ersten Funkspruch hatte er sie davor gewarnt, den von der SOMBATH vorgegebenen Kurs zu verlassen, und ihnen versichert, dass sie auf eigene Faust nicht weit kommen würden.
Beim zweiten Kontakt hatte er ihnen befohlen, sich an Bord eines der Schiffe zu versammeln und nach Möglichkeit in einem Raum zusammenzubleiben. Jennifers Einwand, dass Terraner – und Siganesen in einem noch stärkeren Maße – zeitweise auf eine ungestörte Intimsphäre Wert legten, wollte der Ewige Krieger zuerst nicht gelten lassen. Erst als Jenny den Vergleich mit Upanishad-Schülern vorbrachte, die die Isolation für die innere Einkehr brauchten und sich zeitweise in den Dashid-Raum zurückziehen mussten, hatte Ijarkor nachgegeben, ohne darauf hinzuweisen, wie sehr der Vergleich letztlich hinkte.
Aber er stellte zwei Bedingungen.
»Erstens verlange ich, dass die Navigationssysteme beider Virenschiffe mit der SOMBATH gekoppelt werden. Wir nähern uns dem Herzen von Estartu, und ich kann euch keine Freiheiten mehr erlauben. Darum muss ich zweitens auch darauf bestehen, dass ich euch über die Beobachtungssysteme der Virenschiffe ständig im Auge behalten kann.«
»Außer wir ziehen uns in die Intimsphäre zurück!«, hatte Jenny eingeschränkt.
»Außer ihr zieht euch in die Intimsphäre zurück«, hatte Ijarkor nachgegeben. Die Unterhaltung hatte ohne Bildübertragung stattgefunden. Nach ihrer Beendigung hatte Roi zornig ausgerufen:
»Das ist die reine Schikane. Vermutlich steht Ijarkor so blöd da wie wir und entlädt durch diese Maßnahmen nur seinen Frust gegen uns.«
Kurz darauf meldete sich die telepathische Stimme.
Willkommen im Dunklen Himmel in diesem großen Sternenfeld, in dem die Verschmelzung der beiden Galaxien Absantha-Gom und Absantha-Shad begonnen hat, in dem die Superintelligenz ESTARTU ihren Sitz hat. ESTARTU sieht euch, ESTARTU ist von nun an immer in eurer Nähe. Ihr seid gewogen und geprüft und für würdig befunden worden, von ESTARTU empfangen zu werden. Diese Ehre wird nur wenigen zuteil. Nur Wesen mit der richtigen Geisteshaltung dürfen die verschiedenen Kontrollpunkte passieren. Ihr gehört zu den Auserwählten, die den nächsten Schritt zum Herzen der ESTARTU tun dürfen.
Nachdem sich die erste Überraschung gelegt hatte, begann das Rätselraten über den Urheber der telepathischen Nachricht. Hatte sich die Superintelligenz direkt an sie gewandt und von sich in der dritten Person gesprochen? Oder hatte einer ihrer Wächter oder Handlanger Kontakt mit ihnen aufgenommen?
»Ist das nicht egal?«, hatte Chip gemeint. »Hauptsache, die Sache kommt ins Rollen.«
Doch dem war nicht so. Erst weitere vierundzwanzig Stunden später hatte sich die telepathische Stimme erneut gemeldet, und auch diesmal war es nicht ganz klar, ob es sich bei dem Sender um ESTARTU selbst oder um einen Mittler handelte.
Ihr seid eurem Ziel nun um etliches näher gekommen. Auf eurem Weg musstet ihr viele Prüfungen über euch ergehen lassen, ohne dass ihr etwas davon merktet. Diese Prüfungen sind notwendig, damit wir erkennen, ob ihr die richtige Geisteshaltung habt, um ins Herz der Estartu vorgelassen zu werden. Und es ist immer wieder zu prüfen, ob diese Geisteshaltung auch echt ist ... Habt Geduld, ihr seid uns schon sehr nahe ...
»Alles nur ... Schmus, wie ihr Terraner sagen würdet«, hatte Veth Leburian ausgerufen, nachdem die telepathische Stimme verklungen war. Er sprach Sothalk, aber das Wort »Schmus« fügte er im Originalton ein. »Meine Einstellung zu ESTARTU ist alles andere als positiv, ich stehe unserer Superintelligenz sehr kritisch gegenüber. Und mit euch ist es nicht anders. Auch ihr habt allen Grund, an der Weisheit und Gerechtigkeit ESTARTUS zu zweifeln. Das kann aber nicht die ›richtige Geisteshaltung‹ sein. Das ist also eine bewusste Irreführung.«
»Mit ›richtige Geisteshaltung‹ muss nicht unbedingt gemeint sein, dass man ESTARTU kritiklos gegenübersteht«, hatte Ronald entgegnet. »Eine Superintelligenz mag sich unfehlbar fühlen, aber sie wird nicht so tief sinken anzunehmen, dass Wesen einer viel niedrigeren Entwicklungsstufe ihre Unfehlbarkeit erkennen. Diese Erfahrung haben wir schon mit den Kosmokraten gemacht, und ähnlich wird es mit ESTARTU sein.«
»Sri war nicht so ...«
»Sri ist keine Kosmokratin, verdammt noch mal!«
Es hätte nicht viel gefehlt, und das Thema Srimavo hätte einen Streit zwischen dem Mlironer und dem Terraner entzündet. Der Vorwurf war schon einmal ausgesprochen worden: »Wenn du solche Hochachtung vor Sri hattest, warum hast du sie dann bedenkenlos an die Ewigen Krieger verschachert?« Die Frage hing immer noch in der Luft, denn Veth Leburian hatte sich zu keiner Rechtfertigung bequemt.
Demeter hatte die schwelende Auseinandersetzung erstickt, indem sie das Gespräch geschickt auf ESTARTU brachte. Im weiteren Verlauf schlug das Virenschiff vor, ein Schaubild der Mächtigkeitsballung Estartu zu erstellen, und aus diesem Anschauungsmodell ging das eigenwillige 3-D-Schach hervor – wobei der Begriff »Schach« allerdings sehr großzügig auszulegen war.
Als sich die telepathische Stimme vierundzwanzig Stunden später wieder meldete, wurden durch den Inhalt der Botschaft die letzten Zweifel über den Urheber ausgeräumt.
Ihr seid mir schon ganz nahe, und ich muss euch zugute halten, dass ihr die richtige Geisteshaltung habt, auch wenn sie mir nicht unbedingt schmeichelt. Aber wenn ihr erst einmal Etustar erreicht habt, das Herz meiner Mächtigkeitsballung, dann werden wir gemeinsam die letzten Zweifel ausräumen. Bei intensiver geistiger Beschäftigung miteinander werde ich euch besser verstehen lernen, und ihr werdet von der Richtigkeit meiner Handlungsweise überzeugt werden.
»Wie? Mittels Gehirnwäsche?«, hatte Veth Leburian die telepathische Botschaft unterbrochen.
Zu ihrer aller Überraschung hatte ESTARTU geantwortet.
Ihr werdet die Bedeutung der MORPHOGENETISCHEN FELDER kennenlernen, die ein Bestandteil der psionischen sind.
Sie hatten es nicht erwarten können, bis die nächsten 24 Stunden um waren, denn nach dieser Reaktion der Superintelligenz hatten sie sich beim nächsten Kontakt Chancen auf einen ausführlicheren Dialog erhofft.
Aber ESTARTU meldete sich nicht mehr. Und so ging der fünfte Tag ihrer Irrfahrt durch das dichtgesponnene psionische Netz des Dunklen Himmels monoton seinem Ende zu.
»Was für ein Spiel ist das, das ESTARTU mit uns treibt?«, fragte Roi und starrte in den holographischen Schachwürfel, als könne er dort die Antwort finden. »Vielleicht wurden wir in dieses Labyrinth gelockt, damit wir nicht mehr herausfinden. Was meinst du, Veth? Wirst du nicht an die Orphischen Labyrinthe erinnert?«
Die Antwort des Mlironers bestand aus einem mitleidigen Lächeln. Er hatte es bisher vermieden, über die zweitausendjährige Verbannung in den Orphischen Labyrinthen zu sprechen. Gelegentlich machte er Anspielungen, mal hier eine Andeutung, ein andermal ein Hinweis, nichtssagend und vielbedeutend zugleich. Und in diesem Sinn war auch dieses mitleidige Lächeln beredt: Was wisst ihr schon ... Ihr habt ja keine Ahnung von dieser Hölle ...
Aber dann öffnete er den Mund, und es schien, dass er sich zum ersten Mal genauer über die Zeit seiner Verbannung äußern wollte.
Und dann passierte es – die Strafe folgte auf den Fuß.
*
Leburians Gesicht wurde schwarz. All die Pünktchen, die sich in den Poren seines Gesichts wie Parasiten festgesetzt hatten, gingen auf wie die Knospen von schwarzen Rosen. In einem einzigen eruptiven Zucken dehnten sie sich aus und vereinten sich miteinander. Die Schwärze verdrängte selbst das Ocker seiner Lippen, sie drang ihm in die Augen und verschlang deren Grün.
Sein Körper war zur Bewegungslosigkeit erstarrt, obwohl es schien, als wollten sich Sehnen und Muskeln anspannen und verkrampfen. Aber was in seinem Körper auch vorging, es vermochte nicht nach außen zu dringen, gerade so, als sei er in eine zweite, unsichtbare Haut gepresst, die ihn fest umschloss, eine transparente, stählerne Haut.
Alle schrien durcheinander, gaben sich einen Ruck in Leburians Richtung, zuckten wieder zurück. Die Siganesen umschwirrten ihn mit ihren Antigravs wie Insekten, wagten sich aber nicht an ihn heran. Keiner von ihnen hatte auch nur eine Ahnung von dem, was mit dem Mlironer geschah.
»He, Veth!«, schrie Roi. »Kannst du mich hören? Kannst du sprechen? Sag, was mit dir los ist!«
Der Mlironer wurde plötzlich von einer unsichtbaren Kraft erfasst und durchgeschüttelt. Sein Körper ging auf und nieder, und zwar so schnell, dass das Auge den Bewegungen kaum folgen konnte.
Tekener stand geduckt da.
»Vi, kannst du herausfinden, was mit ihm passiert?«, fragte er gepresst.