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PETER A. LEVINE

VOM TRAUMA

BEFREIEN

Wie Sie seelische
und körperliche Blockaden

lösen

Aus dem Amerikanischen von Judith Jahn

Kösel

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Titel der Originalausgabe: »Healing Trauma. A Pioneering Program for Restoring the Wisdom of Your Body« erschienen bei Sounds True, Inc., Boulder, CO

Copyright © 2005 Peter A. Levine

Copyright © 2007 für die deutsche Ausgabe Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Elisabeth Petersen, München

Umschlagmotiv: Masterfile, Andrew Olney

ISBN 978-3-641-09851-3
V002

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter

www.koesel.de

Wichtiger Hinweis

FÜR DIE HEILUNG IHRER TRAUMATA steht Ihnen eine angemessene Unterstützung zu. Die Übungsserien, die in diesem Buch vorgestellt werden, sind keine Psychotherapie und stellen auch keinen Ersatz für eine solche dar. Wenn sich Trauma-Symptome zeigen, müssen Sie unter Umständen kompetente professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Sollten Sie sich dafür entscheiden, diese Übungen allein durchzuführen, und stellen dabei körperliche oder emotionale Reaktionen fest, die Sie nicht bewältigen können, empfehlen wir Ihnen, fachliche Unterstützung aufzusuchen. Autor oder Verlag können für evtl. auftretende Schwierigkeiten keine Haftung übernehmen.

Auf der Webseite www.somatic-experiencing.de finden Sie eine weltweite Liste von Therapeutinnen und Therapeuten, die in der Methode des Somatic Experiencing® nach Peter A. Levine ausgebildet sind.

Danksagungen

ALS ERSTES MÖCHTE ICH den vielen Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, für ihren Mut danken und für das Privileg, sie auf ihren Wegen zu begleiten. Ich schulde insbesondere den Kindern und Babys Dank, die mich mit ihrer wunderbaren Unschuld und ihrem aufstrebenden Geist beehrten. Durch ihr »einfaches« Spiel erhellten sie mir die Weisheit des Organismus, heil und ganz zu werden.

Ich danke meinen Eltern Morris und Helen für das Geschenk des Lebens, welches das Gefährt für den Ausdruck meiner Arbeit ist, und für ihre unablässige und eindeutige Unterstützung von beiden Seiten der physischen Ebene. Ich danke dem Dingo-Hund Pouncer, der mich in die Welt der Tiere eingeführt hat und mein ständiger Begleiter war und der im Alter von siebzehn Jahren freudig sein letztes Kaninchen jagte; danke, dass du mir die vitale Freude des körperlichen Lebens gezeigt hast.

Ich danke meinen zahlreichen verblüffend talentierten StudentInnen – und KollegInnen – für ihre Unterstützung und dafür, dass sie mich herausgefordert haben; meine Wertschätzung gilt vor allem den engagierten Somatic-Experiencing®-LehrerInnen, die diese Arbeit unablässig in die Welt hineintragen.

Besonderer Dank gilt meiner lieben Freundin Maggie Kline für ihre großzügige Hilfe und Unterstützung dieses und weiterer Projekte. Als Nächstes möchte ich Maureen Harrington meinen Dank für ihre Hilfe aussprechen. Ich danke auch Mitchell Clute sowie Alice Feinstein und dem gesamten Produktionsteam von Sounds True für ihre Kreativität und Professionalität. Und schließlich bin ich Tami Simon für ihre Vision und ihre anhaltende Unterstützung dankbar, die in diesem Buch beschriebenen Ideen und Werkzeuge zu verbreiten.

Zum Schluss danke ich dem Schicksal, der Bestimmung, der Synchronisation oder sogar reinem Glück und Zufall für meinen ungewöhnlichen Lebens- und Arbeitsweg. Ich hatte die Gelegenheit und die Ehre, so ergreifende und reiche Erfahrungen mit vielen meiner KlientInnen, StudentInnen und KollegInnen in diesen vielen so kurzen Jahren zu teilen.

Peter A. Levine

Einführung: Ein Tiger zeigt den Weg

Wenn du hervorbringst, was in dir ist,

wird das, was in dir ist, dich retten. Wenn du nicht hervorbringst,
was in dir ist, wird das, was in dir ist, dich zerstören.

Gnostisches Evangelium

ICH HABE MICH IN DEN LETZTEN 35 JAHREN mit der Erforschung von Stress und Trauma beschäftigt und Menschen dabei unterstützt, sich von deren Folgen zu erholen. Häufig werde ich gefragt, wie ich mit einem so problematischen Thema wie Trauma arbeiten kann, ohne auszubrennen oder depressiv zu werden. Ich kann dazu sagen, dass es sich in meinem Leben als eine zutiefst stärkende und erbauliche Erfahrung erwiesen hat, die Transformation mitzuerleben, die bei Menschen erfolgt, wenn sie ihr Trauma meistern. Wie kann das sein?

Lassen Sie mich zunächst ein wenig von mir selbst erzählen. Meine Karriere als Wissenschaftler begann Mitte der 60er-Jahre in Kalifornien, in dem radikalen Umfeld der Universität Berkeley, Kalifornien. Während ich die Auswirkungen von gehäuftem Stress auf das Nervensystem erforschte, begann ich zu vermuten, dass die meisten Organismen über eine angeborene Fähigkeit verfügen, sich von bedrohlichen und stressreichen Ereignissen wieder zu erholen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keinerlei Kenntnisse von psychologischen Traumata – dieser Begriff sollte in seiner modernen Form noch weitere 15 Jahre nicht definiert sein.

Ich experimentierte mit unterschiedlichen Stressreduktionstechniken, die von der »neuen« Idee einer Verbindung zwischen Geist und Körper Gebrauch machten. Während dieser frühen Forschungstätigkeit trug sich ein ungewöhnliches Ereignis zu, das die Richtung meiner Arbeit für immer verändern sollte. Ein Psychiater, der meine Forschungstätigkeit zum Thema Stress kannte, bat mich um die Übernahme einer Patientin, die an zahlreichen »psychosomatischen« Störungen wie Migräne, prämenstruellem Syndrom, chronischen Schmerzen, Müdigkeit sowie schweren Panikattacken litt. Der Psychiater war der Ansicht, dass es für diese Patientin gut wäre, entspannen zu lernen.

Als ich mit der Patientin (nennen wir sie Nancy) zu arbeiten begann, lockerte sie sich anfangs. Plötzlich wurde sie ohne Vorwarnung von Panik ergriffen. Erschrocken und ohne die geringste Ahnung, was ich tun sollte, tauchte vor meinem geistigen Auge das flüchtige Bild eines Tigers auf, der zum Angriff bereit war. Es wirkte traumähnlich und ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, woher es gekommen war.

»Nancy, ein Tiger kommt auf Sie zu!«, platzte ich ohne nachzudenken heraus. »Laufen Sie und fliehen Sie zu den Felsen dort. Laufen Sie um Ihr Leben!« Zu meiner Überraschung begann Nancys Körper, sich zu schütteln und zu zittern. Ihre Wangen röteten sich, während sie heftig zu schwitzen anfing. Nach einigen Minuten nahm sie ein paar tiefe, spontane Atemzüge. Diese Reaktion, die für uns beide beängstigend war, lief fast eine Stunde lang in Wellen über sie hinweg. Als sie zu Ende war, erlebte Nancy eine tiefe Ruhe und sagte, sie fühle sich wie »von warmen, prickelnden Wellen« getragen.

Nancy berichtete, dass sie während dieser Stunde mentale Bilder vor sich gesehen hatte, die zeigten, wie sie im Alter von vier Jahren zur Verabreichung einer Äthernarkose für eine Mandeloperation festgehalten wurde. Die Angst zu ersticken, die sie als Kind erlebt hatte – und die sie während ihrer Sitzung bei mir erinnerte und wieder aufsuchte –, war furchtbar. Als Kind hatte sie sich überwältigt und hilflos gefühlt. Nach dieser einen Sitzung bei mir trat eine auffallende Besserung ihrer sämtlichen entkräftenden Symptome ein und sie kam mit ihrem Leben wieder zurecht.

Dieses Erlebnis mit Nancy veränderte den Lauf meines Lebens. Letztendlich eröffnete es mir bei meiner laufenden Forschung neue Zugänge zur Natur von Stress und Trauma, es vertiefte mein Verständnis dafür, auf welche Weise ein Trauma auf den Körper einwirkt, und führte zu einer ganz neuen Behandlungsform für die kräftezehrenden Folgeerscheinungen, die so viele negative und zerstörerische Formen annehmen können.

Die Auswirkungen eines ungelösten Traumas sind mitunter verheerend. Sie können unsere Gewohnheiten und unsere Lebenseinstellung beeinflussen, zu Suchterkrankungen führen und uns schlechte Entscheidungen treffen lassen. Sie können unser Familienleben und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen belasten. Sie können Auslöser für konkrete körperliche Schmerzen, Symptome und Erkrankungen sein. Und sie können zu zahlreichen selbstzerstörerischen Verhaltensweisen führen. Aber ein Trauma muss keine lebenslängliche Freiheitsstrafe sein.

Ich habe auf der Grundlage meiner Forschungstätigkeit und meiner klinischen Arbeit eine Methode entwickelt, die mit Körperübungen und mentalen Übungen dazu beiträgt, den Körper und den Geist von den schwächenden Auswirkungen eines Traumas zu befreien. In den vergangenen 30 Jahren habe ich bei buchstäblich Tausenden von Menschen miterlebt, wie sich ihr Leben veränderte, während sie sich von traumatischen Erlebnissen erholten.

Dieses Programm zur Trauma-Heilung in 12 Schritten möchte ich in dem vorliegenden Buch mit Ihnen teilen. Wenn Sie das Programm durchführen, beginnt Ihr Heilungsprozess bereits am ersten Tag. Wenn Sie weitermachen und das Programm in den kommenden Wochen und Monaten kontinuierlich anwenden, dürften Sie schrittweise einen Heilungsprozess erleben, der Sie dabei unterstützt, Ihren Körper und Ihre Gedanken von den hemmenden Auswirkungen einer traumatischen Erfahrung zu befreien.

Es wird Ihnen helfen, die Wirkungsweise des Programms zu verstehen, wenn Sie bereits mehr darüber wissen, was ein Trauma ist, auf welche Weise es in den Körper gelangt und wie es die zahlreichen Symptome verursacht. In einem kurzen Überblick in den Eingangskapiteln dieses Buches sage ich Ihnen, was Sie wissen müssen, um dieses Programm zu verstehen – wie und warum es funktioniert.

Es ist wichtig, dass Sie den gesamten Einführungstext lesen, ehe Sie mit den Übungen beginnen. Wenn Sie wissen, was ein Trauma ist und welche Folgen es haben kann, werden die Übungen mit viel höherer Wahrscheinlichkeit eine stark positive Wirkung auf Ihr ungelöstes Trauma zeigen.

In meinem Bestseller Sprache ohne Worte: Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurückführt, gehe ich noch viel detaillierter auf meine Forschungstätigkeit und die Physiologie des Traumas ein. Wenn Sie mehr über die Theorie und persönliche Fallbeispiele nachlesen wollen oder ausführlicher an den wissenschaftlichen Hintergründen interessiert sind, die das Funktionieren des Programms erklären, empfehle ich Ihnen jenes Buch. Es enthält auch etliche inspirierende Geschichten über Menschen, die bedeutsame Heilungserfahrungen mit ihren vergangenen Traumata gemacht haben. Ich versichere Ihnen jedoch, dass Sie in dem vorliegenden Buch all die Informationen vorfinden werden, die Sie brauchen, damit das 12-Schritte-Trauma-Heilungsprogramm für Sie wirksam wird.

Ich möchte noch etwas mit Ihnen teilen, ehe wir beginnen

In nahezu jeder spirituellen Überlieferung wird Leiden als ein Tor zum Erwachen angesehen. In der westlichen Tradition lässt sich diese Verbindung in der biblischen Geschichte von Hiob und ebenso in der dunklen Nacht der Seele in der mittelalterlichen Mystik erkennen. Die transformierende Kraft des Leidens findet ihren vielleicht klarsten Ausdruck in den Vier Edlen Wahrheiten, für die Buddha eintritt. Obwohl Leiden und Trauma nicht identisch sind, können die Erkenntnisse Buddhas zur Natur des Leidens einen mächtigen Spiegel darstellen, wenn Sie die Auswirkungen von traumatischen Erfahrungen in Ihrem Leben erforschen. Die Grundzüge der Lehre Buddhas bieten uns eine Anleitung zur Heilung von traumatischen Erfahrungen und zur Wiedererlangung eines Gefühls von Ganzheit in unserem Leben.

Mit der ersten der Vier Edlen Wahrheiten lehrt Buddha seine Schüler, dass Leiden ein Teil des Menschseins ist. Wenn wir uns nur darum bemühen, herausfordernde, schmerzhafte Erfahrungen zu vermeiden, gibt es keine Möglichkeit, einen Heilungsprozess in Gang zu bringen. Es ist vielmehr so, dass Verleugnung gerade die Bedingungen schafft, die unnötiges Leiden fördern und verlängern.

Die zweite der Vier Edlen Wahrheiten besagt, dass wir herausfinden müssen, warum wir leiden. Wir müssen den Mut aufbringen, unser Leiden tiefgründig, klar und entschlossen anzusehen. Wir gehen oft stillschweigend davon aus, dass all unser Leiden auf Ereignisse aus der Vergangenheit zurückgeht. In Wirklichkeit rührt unser Leiden jedoch nicht von den Ereignissen her, die das Trauma ursprünglich ausgelöst haben, sondern davon, wie wir mit den Auswirkungen umgehen, die das vergangene Ereignis in der Gegenwart für uns hat.

In der Dritten Edlen Wahrheit erklärt Buddha, dass Leiden transformiert und geheilt werden kann. Diese Aussage kann denjenigen von uns, die ein Trauma erlitten haben, einen ganz erheblichen Vertrauensvorschuss abverlangen, aber wir sind dazu fähig, uns von einem Trauma wieder zu erholen. Während ich Menschen dabei begleitet habe, von ihrem Trauma zu gesunden, hat die Erfahrung mich gelehrt, dass diese Fähigkeit zur Heilung angeboren ist.

Die Vierte Edle Wahrheit erklärt, dass wir einen passenden Weg finden müssen, nachdem wir die Ursache unseres Leidens erkannt haben. Ich bin überzeugt davon, dass die von mir entwickelten Übungen, die Sie in dem 12-Schritte-Programm zur Trauma-Heilung kennenlernen werden, ein Weg sein können, der Sie aus Ihrem Leiden hinausführt und der Ihnen dabei hilft, die einfachen Wunder des Lebens wieder zurückzuerobern.

Was ist ein Trauma?

EIN TRAUMA IST DIE AM MEISTEN VERMIEDENE, ignorierte, verleugnete, missverstandene und unbehandelte Ursache menschlichen Leidens. Wenn ich das Wort Trauma verwende, meine ich an dieser Stelle die oft entkräftenden Symptome, an denen viele Menschen nach einer Erfahrung leiden, die sie als lebensbedrohlich oder überwältigend wahrgenommen haben. In letzter Zeit wird die Bezeichnung Trauma gern als Schlagwort anstelle von Alltagsstress verwendet, wie zum Beispiel »Ich hatte einen traumatischen Arbeitstag«. Diese Verwendung ist jedoch völlig irreführend. Es stimmt zwar, dass traumatische Erfahrungen immer mit starkem Stress einhergehen, es ist jedoch nicht der Fall, dass jedes aufreibende Ereignis eine traumatisierende Wirkung hat.

Jeder Mensch reagiert anders

Wenn es zu einer traumatischen Situation kommt, gleicht kein Mensch genau dem anderen. Was dem einen langfristig die Gesundheit gefährdet, kann dem anderen als Aufmunterung dienen. An den zahlreichen Reaktionsmöglichkeiten auf Bedrohung sind viele Faktoren beteiligt. Es kommt auf das Erbgut an, auf die Trauma-Vergangenheit eines Menschen, sogar seine familiäre Dynamik spielt eine Rolle. Es ist außerordentlich wichtig, diesen Unterschieden Rechnung zu tragen. Bestimmte Arten von Erfahrungen in der frühen Kindheit können unsere Fähigkeit, mit der Welt zurechtzukommen und in ihr anwesend zu sein, gravierend schwächen. Schon allein dieses Wissen kann dazu beitragen, dass wir sowohl uns selbst als auch anderen Menschen mitfühlend und unterstützend begegnen, anstatt sie barsch zu verurteilen.

Im Zusammenhang mit dem Thema Trauma ist meine vielleicht wichtigste Erkenntnis, dass Menschen und insbesondere Kinder von Ereignissen überwältigt werden können, die wir üblicherweise als normal und alltäglich ansehen. Bis vor kurzem war unser Verständnis von dem, was ein Trauma ist, auf Soldaten beschränkt, die an einer Kriegsneurose leiden, auf Opfer von schwerem Missbrauch oder Gewalt und auf Menschen, die katastrophale Unfälle und Verletzungen erlitten haben. Diese eingeschränkte Sichtweise bewegt sich fernab von den Tatsachen.

Es ist erwiesen, dass eine Serie von scheinbar harmlosen Missgeschicken langfristig eine schädigende Auswirkung auf einen Menschen haben kann. Ein Trauma muss nicht von einer größeren Katastrophe herrühren. Zu den verbreiteten Auslösern gehören:

Selbst ein Fahrradsturz kann ein Kind unter bestimmten Umständen überwältigen. Wir werden solche Bedingungen an späterer Stelle diskutieren. Für den Augenblick möchte ich einfach nur sagen, dass fast alle von uns entweder direkt oder indirekt irgendeine Art von Trauma erlitten haben.

Deshalb bin ich der aufrichtigen Überzeugung, dass nahezu jede und jeder von der Durchführung des 12-Schritte-Programms zur Trauma-Heilung profitieren kann, das Sie in diesem Buch finden.

Menschen fragen mich häufig nach einer Definition für den Begriff Trauma. Das ist selbst nach 30 Jahren immer noch eine Herausforderung. Meiner Erfahrung nach erfolgt eine Traumatisierung, wenn unsere Fähigkeit, mit einer als bedrohlich wahrgenommenen Situation umzugehen, auf irgendeine Weise überlastet ist. Dieses Unvermögen, angemessen zu reagieren, kann uns sowohl offensichtlich als auch subtil beeinflussen.

Tatsächlich kann ein Trauma Auswirkungen auf uns haben, die jahrelang nicht in Erscheinung treten. Ein traumatisierter Kriegsveteran, der jedes Mal zur Seite springt, wenn ein Fahrzeug eine Fehlzündung hat, reagiert eindeutig auf Gewehrschüsse, die er in der Vergangenheit erlebt hat. Bricht einem Menschen, der gefoltert und eingesperrt wurde, in einem überfüllten Lift kalter Schweiß aus, so ist es ebenfalls einfach, die Verbindung zu erkennen. Viele oder sogar die meisten von uns zeigen jedoch subtilere Reaktionen, wenn sie von einer Anzahl weniger dramatischer Ereignisse überwältigt worden sind.

Bei einem Trauma geht es kurz gesagt um den Verlust der Verbindung: zu uns selbst, zu unserem Körper, zu unseren Familien, zu anderen Menschen und zu der uns umgebenden Welt. Dieser Verlust der Verbindung ist oft schwer zu erkennen, weil er nicht mit einem Mal passiert. Er kann sich langsam einstellen, allmählich, und mitunter passen wir uns an diese subtilen Veränderungen an, ohne sie überhaupt zu bemerken. Das sind die versteckten Auswirkungen eines Traumas, die die meisten von uns in sich tragen. Möglicherweise spüren wir einfach nur, dass wir uns nicht so gut fühlen, ohne uns jemals ganz im Klaren darüber zu sein, was da eigentlich abläuft; dass nämlich unser Selbstwertgefühl, unser Selbstvertrauen, unser Wohlbefinden und unsere Verbindung zum Leben nach und nach unterspült werden.

Unsere Wahlmöglichkeiten schränken sich ein, weil wir bestimmte Gefühle, Menschen, Situationen und Orte meiden. Das Ergebnis dieser allmählichen Freiheitsbegrenzung ist der Verlust von Vitalität und Kraft für die Erfüllung unserer Träume.

Eine neue Sichtweise zum Thema Heilung

Im Bereich der psychiatrischen Medizin wurde die Entscheidung getroffen, viele der Langzeitfolgen von Traumata als eine unheilbare Krankheit anzusehen, die nur geringfügig durch Medikamente oder Verhaltenssteuerung beeinflusst werden kann. Ich sehe das nicht so. Obwohl Medikamente zu bestimmten Zeiten wirklich hilfreich sein können, sind sie – für sich allein – ein unzulängliches Mittel.

Nach mehr als drei Jahrzehnten der Beschäftigung mit dem Thema Trauma bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass Menschen die angeborene Fähigkeit besitzen, ein Trauma zu besiegen. Ich bin überzeugt davon, dass ein Trauma heilbar ist und dass der Heilungsprozess ein Katalysator für tief greifendes Erwachen sein kann – ein Türöffner für emotionale und echte spirituelle Transformation. Ich habe kaum einen Zweifel daran, dass wir als Individuen, Familien, Gemeinschaften und sogar Nationen die Fähigkeit haben zu lernen, wie wir heil werden und viel von dem Schaden verhindern können, der durch ein Trauma verursacht wird. Wenn wir sie nutzen, werden wir unsere Fähigkeiten erheblich erweitern, sowohl individuelle als auch kollektive Träume zu verwirklichen.