Michele Jaffe
Wer schön sein will, muss sterben
Psychothriller
Aus dem Amerikanischen von Astrid Gravert
Fischer e-books
Umschlagabbildung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich, Dominic Wilhelm
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel
›Rosebush‹ bei Razorbill, New York
© Michele Jaffe 2010
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Veröffentlicht als E-Book 2012.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402396-0
Für Heather, Lila und Elle Vandenberghe
–
Ich bin froh, dass es Euch gibt
Das Bild ist grausam und dennoch schön.
Es ist kurz vor Tagesanbruch, genau der Moment, in dem die Welt zweifarbig erscheint und alles in ein blaugraues Licht getaucht ist. Die Straßenlaternen sind aus, die Straße erscheint nur noch als graues Band. Im Hintergrund, verschwommen, die schattigen Umrisse großer Häuser, mit dunklen Streifen vom Regen. Im Vordergrund, leicht rechts, im blaugrauen Gras, steht ein zauberhafter Rosenstrauch. Fast märchenhaft, wie eine verwandelte Hexe, die die knotigen Finger gen Himmel reckt. Mitten darin liegt ein Mädchen.
Fetzen ihres Tüllrocks hängen in den Zweigen, flattern im Morgenwind wie zarte Fähnchen. Ein Dekokaninchen, eine Ente, gefolgt von fünf winzigen Küken, und ein Eichhörnchen, das Flöte spielt, halten still bei ihr Wache. Eines ihrer Beine ist angewinkelt, das andere ragt aus dem Strauch heraus, ein Plateauschuh baumelt daran. Aschenputtel, nach dem traurigen Ende des Balls. Ihre linke Hand ist unter ihrem Körper verborgen, die rechte, mit einem Freundschaftsring am Zeigefinger, greift nach oben, wie um die einzelne tiefrote Rose zu pflücken, die über ihr hängt – der einzige Farbfleck im Bild. Ihr hübsches Gesicht ist fast gänzlich mit dunklen Haaren bedeckt. Ihr Körper ist mit üblen, klaffenden Wunden übersät, und dunkelrotes Blut sickert aus einer tiefen Wunde an ihrem Kopf. Ihre Lippen sind leicht geöffnet, als wollte sie gerade etwas sagen.
Aber wenn man ihre Augen sieht, weiß man, dass es unmöglich ist. Sie sind weit aufgerissen, die Pupillen ganz geweitet. Und leer.
Es sieht aus wie eines der Fotos, die ich für meine Serie ›Tote Prinzessinnen‹ gemacht habe, mit zwei entscheidenden Unterschieden:
Das Mädchen auf dem Foto hätte tot sein sollen. Und: Ich habe das Foto nicht gemacht.
Denn ich bin es. Ich bin das Mädchen.
Die Polizei hat das Foto gemacht, nachdem Mrs Doyle sie angerufen und berichtet hatte, dass sie eine Leiche in ihrem Vorgarten in der Dove Street gefunden hätte. Sie trafen drei Minuten nach dem Anruf ein. Es dauerte fünf Minuten, um meine Atmung zu stabilisieren, und zweiunddreißig Minuten, um mich aus dem Strauch zu befreien.
Als ich aufwachte, konnte ich mich nicht daran erinnern, wie ich dort hingekommen war oder was dazu geführt hatte, aber das ist anscheinend normal. Alles, an was ich mich erinnern konnte, waren Schmerzen und der Gedanke, gib nicht auf!
Aber langsam kamen Bruchstücke zurück. Eine Intensivstation ist ein guter Ort, um gründlich nachzudenken – oder ein schlechter, je nachdem, über was man nachdenkt. Ich starre auf das Foto in meiner Hand und versuche, mich selbst als Objekt zu betrachten, einen weiteren Hinweis zu finden. In den vergangenen drei Tagen ist das Puzzle immer vollständiger geworden, und ich bin mir nicht sicher, ob mir das Bild gefällt, das entsteht.
»Hallo Prinzessin«, ertönt eine fröhliche Stimme von meiner Zimmertür her.
Ich blicke auf und sehe einen unbekannten Mann in OP-Kleidung hereinkommen. Ich vermisse Loretta.
Loretta ist die Schwester auf der Intensivstation, an sie bin ich gewöhnt. Sie hatte Dienst, als ich zum ersten Mal die Augen öffnete, und obwohl ich nur drei Tage auf der Intensivstation war, kam es mir vor, als würden sie und ich uns schon gut kennen. Die Intensivstation hat ihre eigene Zeitrechnung und lässt ungewöhnliche Beziehungen entstehen.
»Ach das – das ist Intensivstationszeit«, hatte Loretta mir erklärt.
»Intensivstationszeit?«
»Ist es nicht so, dass man sagt, dass Hunde in einem Jahr eigentlich um sieben Jahre altern? So ist es auch auf der Intensivstation: Jede Minute kommt einem wie eine Stunde vor. Entweder schleicht hier die Zeit, oder sie fliegt vorbei. Und glaub mir, Schätzchen, es ist besser für dich, wenn sie schleicht. Zeitsprünge bedeuten nie etwas Gutes.«
Der Neue sagt jetzt: »Ich heiße Ruben. Und so wie dein Zimmer aussieht, bist du die kleine Miss Beliebt.«
Ruben, wiederhole ich und merke mir den Namen. Loretta tratscht gerne, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie irgendetwas über ihn erzählt hat.
Er berührt den riesigen Strauß roter Rosen. »Der muss echt teuer gewesen sein. So einen spendablen Freund hätte ich auch gerne.«
»Die Blumen sind nicht von meinem Freund«, sage ich.
»Wow, dann machst du wohl was richtig. Und was ist mit diesem kleinen Kerlchen hier?« Er nimmt den Teddybären, der ein Muskelshirt mit der Aufschrift Werd schnell wieder gesund trägt. »Irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob der von einem Freund oder einem Feind ist.«
»Ich auch nicht«, antworte ich und während Ruben sich den Rest der Genesungsgeschenke ansieht, mit denen mein Zimmer übersät ist, denke ich darüber nach, dass das wohl in mehr als einer Hinsicht zutrifft. Deshalb höre ich nur halb zu, als er mich nach der Karte mit den kleinen Hunden von David fragt und nach dem Luftballonstrauß von Nikki mit der Karte, auf der Cheers steht.
Jetzt steht Ruben vor einem herzförmigen Kranz aus Rosen, flankiert von einer kleinen Figur und einer Puppe. »Und was ist das hier alles? Von Deinem heimlichen Verehrer«, liest er eine der Karten laut. »Das Ganze?« Er deutet darauf. Ich nicke. »Also, Moment mal – du hast einen Freund, einen Freund, der keiner ist, und einen heimlichen Verehrer.« Er sieht mich an und schüttelt den Kopf. »Kein Wunder, dass jemand versucht hat, dich zu überfahren.«
Er hat recht. Ich habe viele Geschenke, weil ich irgendwie – unerklärlicherweise – beliebt bin. Und die meisten der Wir vermissen Dich- und Werd schnell gesund-Grüße sind Lügen – eben weil ich sehr beliebt bin.
Das ist die Ironie. Die grausame Lektion, die ich gelernt habe. In Filmen lieben alle die Prinzessin, aber im wirklichen Leben ist das anders. Beliebtheit ist kein zweischneidiges Schwert; es hat nur eine Schneide – töten oder getötet werden. Der Platz an der Spitze der sozialen Pyramide ist begrenzt und sobald du sie erreicht hast, gibt es nur noch eine Richtung, in die du gehen kannst, und genügend Leute, die dich dorthin stoßen wollen.
Ich weiß jetzt, wer versucht hat, mich zu töten, aber ich will es einfach nicht glauben. Jeder Teil von mir sucht nach einer anderen Lösung, nach anderen möglichen Erklärungen, denn die Wahrheit ist zu schrecklich. Alle Hinweise, die ich brauchte, um es herauszufinden, lagen die ganze Zeit direkt vor mir, aber ich habe mich absichtlich blind gestellt. Wie in diesem kurzen Moment beim Fotografieren, wenn man den Bildausschnitt auswählt und das, was vorher verschwommen war, plötzlich und wie von Geisterhand scharf gestellt wird. Nur wollte ich es in diesem Fall nicht sehen.
»Ich komme gleich wieder und sehe noch mal nach dir, Prinzessin«, sagt Ruben.
Ich könnte versuchen, ihn aufzuhalten, aber es würde nichts ändern. Der Killer kann mich überall und jederzeit erwischen.
Mein Blick schweift wieder zu dem Foto von mir im Rosenstrauch, und alles ist vollkommen klar. Es gibt nur eine Person, die das getan haben könnte. Eine Person, auf die alles hindeutet. Der Drink. Die zugeschlagene Tür. Der Kuss. Das Auto. Der Ring.
Die Augen.
Ich habe die Worte an der Wand gesehen. Ich weiß, was als Nächstes kommt.
Vom Zimmereingang her ertönt eine männliche Stimme: »Hi Jane.«
Es ist schwer zu sprechen, wenn man geküsst wird. Diese Erfahrung habe ich zum ersten Mal mit Liam Marsh gemacht, als ich in der neunten Klasse war. Nun, in der elften Klasse, erlebte ich es wieder und zwar mit meinem Freund David Tisch vor der Livingston Senior Highschool, genau um Viertel vor drei am Donnerstag vor dem Memorial-Day-Wochenende.
Ich hatte für den Abend eine Überraschung geplant. Und sosehr ich auch den Geschmack von Davids Küssen – Minzkaugummi und Pot – mochte und die Art, wie er mit seiner Zunge meine Lippen liebkoste, während er meine Schultern mit seinen großen Händen hielt, hatte diesmal ich etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen.
Deshalb entzog ich mich ihm. Er öffnete halb die Augen, langsam, und sah mich an. »Was ist los, Süße?«
»Ich hab dir doch gesagt, dass ich es mir für heute Abend aufhebe.«
»Richtig. Für die Überraschung.« Er drehte eine Strähne meines langen dunklen Haares zwischen seinen Fingern. »Aber du brauchst echt nicht so einen Akt daraus zu machen. Mir würde es reichen, wenn alles einfach so wäre wie immer.« Er massierte jetzt meinen Nacken, fast etwas zu fest. Er war sich nicht bewusst, wie stark seine Hände vom vielen Schlagzeugspielen waren. »Warum müssen wir den ganzen Weg hinaus zum Strand fahren, um auf so eine dämliche Party zu gehen?«
»Es lohnt sich«, sagte ich und warf ihm einen Blick zu, von dem ich hoffte, dass er sexy und süß zugleich war. »Ich verspreche es.«
Er schüttelte den Kopf, schien aber eher amüsiert als verärgert. »Du und deine Pläne.«
Es hatte fast die ganze vergangene Woche ununterbrochen geregnet, aber der Tag heute war klar und schön, so strahlend, dass die weißen Verzierungen auf der Backsteinfront des Hauptgebäudes schimmerten. Die große Ulme über uns bewegte sich leicht im Wind, die Blätter in saftigem Frühlingsgrün, deren Schatten um uns herum tanzten. Es war ein Tag, ein Augenblick, in dem alles möglich war.
Die Zwölftklässler hatten vor, das lange Wochenende noch zu verlängern und den Freitag blauzumachen, und selbstverständlich würden wir Elftklässler uns solidarisch verhalten. Also war jeder, der was auf sich hielt, an diesem Abend auf dem Weg zu Jocelyn Gunters Party in Deal, am Strand von Jersey.
Die Sonne betonte die goldenen Strähnen in Davids braun gelockten Haaren, die sein Gesicht einrahmten und ihn wie eine Mischung aus Jesus und Jim Morrison aussehen ließen, ein Vergleich, der ihm gefallen würde, das weiß ich.
David nahm mein Kinn in die Hand, hob es an und blickte mir über den Rand seiner Brille in die Augen. »Hey, wo bist du, Süße?«
»Genau hier«, sagte ich und streifte ihn leicht mit meiner Hüfte.
Aber die Wahrheit war, dass ich nicht zugehört hatte. Nicht weil ich ausweichen wollte, wie meine Mutter sagen würde. Nein, ich dachte daran, wie ich dieses Bild einfangen würde, wie es durch meine Kameralinse aussehen würde, und wünschte fast, David hätte seine Tasche nicht abgestellt, denn die schräge Schulterhaltung hätte das Bild interessanter gemacht. Ich bin Fotografin – ich kann nicht verhindern, dass meine Gedanken darum kreisen, wie die Dinge von außen aussehen.
Außerdem, wenn ich hätte ausweichen wollen, hätte ich dann extra ein besonderes Abendessen organisiert, um darüber zu reden?
»Es wird höchste Zeit, dass wir auf unseren Campingtrip gehen, Babe«, sagte er mit einem trägen Lächeln. Ich sah mein Spiegelbild in seinen Brillengläsern, ein verzerrtes, verschwommenes Bild. »Nur du und ich und die Natur. Keine anderen Leute, keine Ablenkung, keine …«
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Lippen. Er fasste es als Zustimmung auf, nicht als Wunsch, das Thema zu wechseln. »Behalte den Gedanken bis heute Abend«, sagte ich.
Er seufzte und strich mir eine lose Haarsträhne hinter mein rechtes Ohr. »Du kleine Verführerin. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch beherrschen kann, wenn du in der Nähe bist. Ich geh jetzt wohl besser mal.«
Er lachte, grinste mich albern an, sagte »Bleib locker« (seine Art, sich zu verabschieden) und ging.
Ich mochte die Art, wie er sich bewegte, ruhig und entspannt, seine Finger trommelten auf sein Bein. Er begrüßte Dom, den Gitarristen der Band, mit Highfive und legte den Arm um Chelsea, ihre Leadsängerin. Ich wäre vielleicht ein bisschen eifersüchtig gewesen, wenn er sich nicht in dem Moment umgedreht, mir über ihre Schulter ein Lächeln zugeworfen und ein Peace-Zeichen gemacht hätte.
Gott, hatte ich Glück.
Er verschwand in der Menge. Ich drehte mich um und entdeckte Langley und Kate in Langleys fünfeinhalb Monate jungem roten BMW-Cabrio. Ich wollte gerade hinübergehen, als ich Ollie bemerkte, der an der Beifahrertür lehnte. Vielleicht sollte ich doch noch schnell ein paar Fotos von der Fassade der Schule machen, dachte ich. Das Licht war wirklich perfekt, und es würde kaum jemals …
»Jelly Bean«, sagte Langley, als ich nach meiner Kamera griff. Sie winkte mir zu. »Los, komm, wir haben noch viel vor.« Ich schob die Kamera wieder in meine Tasche und machte mich auf den Weg zum Auto. Während ich hinüberging, glitten Ollies olivgrüne Augen über mich.
Oliver »Ollie« Montero war Davids bester Freund und sein völliges Gegenteil. Während David T-Shirts mit der Aufschrift James Brown liebt euch alle und Chucks trug, bevorzugte Ollie Hemden mit Button-Down-Kragen und Gucci-Loafer. David mochte mich, Ollie nicht. In seiner Gegenwart fühlte ich mich unsicher und unwohl. So als hätte er Filet Mignon bestellt, aber nur einen Burger bekommen.
Jetzt verstellte er mir den Zugang zu meinem Platz auf Langleys Rücksitz. »Kommst du heute Abend zu Joss’ Party?«, fragte ich, um wenigstens irgendetwas zu sagen. Ich hatte immer das Gefühl, dass Ollie mein Unwohlsein wie ein Hund riechen konnte und Spaß daran hatte.
Er sah mich zwei Sekunden länger an als nötig. »Ich bin noch nie zu Livingston-Highschool-Partys gegangen, warum sollte ich ausgerechnet jetzt damit anfangen?« Gerüchten zufolge ging Ollie nur mit Mädchen von den vornehmen Schulen in New York City wie Chapin und Spence aus, Mädchen, deren Nachnamen fast so lang waren wie die Reihe von Nullen auf ihren Bankkonten.
»Darf man fragen, mit wem du heute Abend ausgehst, Mr Montero?«, fragte Kate vom Beifahrersitz, wobei sie Ollie zuckersüß anlächelte und mit den Wimpern klimperte. Sie gab ihre Scarlet O’Hara-Vorstellung, eine ihrer besten, normalerweise mit einer subtilen Spitze am Ende. »Blair? Muffy? Brent?«
Anders als ich hatte Kate kein Problem im Umgang mit Ollie. Mit grauen Augen unter superlangen Wimpern und den welligen goldbraunen Haaren sah Kate einfach nur umwerfend aus. Sie leitete die Theatergruppe der Livingston High und bekam seit ihrem ersten Tag auf dem Campus jede Hauptrolle. Sie hatte außerdem das, was meine Mutter, eine Politikberaterin, sehnsüchtig als das perfekte Verhalten einer Politiker-Ehefrau beschrieb: jemanden so anzusehen, als würde sie alles interessieren, was er sagte, als wäre er der Einzige im Raum, mit dem sie sprechen wollte. Ihr Kleidungsstil war unkonventionell, sie war nie in Eile, schien sich nie um irgendetwas zu kümmern und sah trotzdem immer perfekt aus, nicht verschmiert, nicht angeschlagen und nie vollgekrümelt mit dem Kuchen, den sie immer noch schnell vor dem Unterricht verschlang. Anders als ich, die Unordnung und Krümel jeglicher Art förmlich anzog.
Kate hatte auch eine wilde Seite, die ich aber gerade meiner Mutter gegenüber nicht anpries. Sie zeigte sich auf der Bühne, in ihrem Lachen und wenn sie Auto fuhr.
Deshalb haben wir Langley zu unserer Fahrerin bestimmt.
Langley sah aus wie jemand, um den die Wikinger kämpfen würden: Haare glänzend wie Eis, Augen so blau wie das Nordpolarmeer, Haut wie gemeißelter Alabaster und ein Mund, den immer ein schelmisches Lächeln zu umspielen schien. Der Eindruck stimmte zum Teil, zum anderen rührte er von der verblassten Narbe, die über ihrer rechten Wange verlief. Langley war klein und zierlich, wirkte aber viel größer und gehörte zu den Menschen, die einen Raum ausfüllen, wenn sie ihn betreten. Ihre Lieblingsfarbe war Rot, so wie ihr Auto und die Baskenmütze, der Pullover, der Rock und die Ankle Boots, die sie trug.
Ollie legte seinen Ellenbogen auf die glänzende rote Tür des BMWs und hob die Hände in gespielter Bestürzung. »Wenn einer von euch Mädels mit mir ausgehen würde, müsste ich mich nicht so weit weg von zu Hause herumtreiben.«
»Ich glaube nicht, dass eine von uns auf das steht, was du zu bieten hast«, gab Langley zurück.
»Was ist das?«, fragte Ollie. »Charme? Charisma?«
»Sackratten?«, antwortete Kate, immer noch zuckersüß.
»Immer ein Vergnügen, sich mit dir zu unterhalten, Ollie«, fügte Langley hinzu und startete den Motor. »Aber jetzt beweg deinen Ralph-Lauren-bedeckten Arsch, damit Jane einsteigen kann.«
»Du lässt nach, Engel. Es ist John Varvatos.«
Langley zog eine Augenbraue hoch und sah ihn an. »Du lässt nach, wenn du denkst, dass mich das interessiert.«
Ollie lachte, sagte: »Eins zu null für dich«, und schlenderte hinüber zu einem dunkelblauen Mercedes mit Fahrer, der am Straßenrand auf ihn wartete.
Ich stieg ein, und wir begrüßten uns wie immer mit einem Pinkie: Als Zeichen unserer Freundschaft hakten wir uns dabei kurz mit unseren kleinen Fingern ein. Langley begann: »Okay, ihr Hübschen, lasst uns …«, aber sie unterbrach sich und sah Kate an. Sie seufzte.
»Du weißt, was du zu tun hast.«
»Nein.« Kate schüttelte den Kopf und machte große Augen. »Dafür hat der liebe Gott doch die Windschutzscheibe erfunden.«
»Damit du mit dem Kopf durchkrachen kannst?«, fragte Langley. »Schnall dich an!«
Kate seufzte. »So wie du fährst, ist das ja wohl kaum nötig.«
»Es ist ganz einfach.« Langley hielt einen Finger hoch. »Die erste Regel von ›Langley Motors‹ ist: Widersprich Langley nicht. Die zweite Regel von ›Langley Motors‹ ist: Widersprich Langley nicht. Die dritte Regel …«
»Lässt du mich grad einen Stift rausholen, damit ich es aufschreiben kann?« Fünf Armreifen klimperten an Kates Handgelenk, als sie den Sicherheitsgurt über die Kunstfellweste zog, die sie über einem baumwollenen Minikleid trug. »Es ist echt traurig, dass du mich so herumkommandieren musst, obwohl ich doch wirklich keine andere Wahl hatte.«
»Doch, du hattest die Wahl: Nämlich nicht mit dem zweiten Mercedes, den deine Eltern dir dieses Jahr gekauft haben, in die Front des Ladens von Madame Yong zu rasen. Es gibt nämlich so was wie einen Lieferservice, weißt du.«
»Das ist echt großartig«, sagte Kate und klatschte mit gespielter Begeisterung in die Hände. »Ich wusste gar nicht, dass du meinen Vater so gut nachmachen kannst. Los, mach weiter! Bitte!«
Langley schüttelte den Kopf. Ihre blauen Augen wanderten zu mir im Rückspiegel. »Jane?«
»Ich bin angeschnallt, Ma’am«, versicherte ich ihr und salutierte flüchtig, während ich am Sicherheitsgurt zog, der quer über mein zerknittertes T-Shirt lief.
»Arschkriecherin«, sagte Kate und verdrehte die Augen.
»Nein, nur eine gesetzestreue Bürgerin«, gab ich zurück.
Langley fuhr fort: »Also der Plan ist folgender: Wir fahren zu mir, um die Kostüme zu holen, dann …«
Das Klingeln meines Handys unterbrach sie. Ich warf einen Blick aufs Display und zuckte innerlich zusammen, als ich dieselbe Nummer zum zweiten Mal an diesem Tag sah, und leitete den Anruf zur Mailbox. Langley mochte es nicht, wenn sie unterbrochen wurde, und ich wollte ohnehin nicht mit demjenigen sprechen, der da anrief. »Sorry. Red weiter.«
»Wenn wir die Kostüme haben, ziehen wir uns bei Kate am Strand um und gehen dann zu Fuß rüber zur Party. Dann brauchen wir uns wegen des Heimfahrens keine Sorgen zu machen. Joss will, dass alle ihre Autoschlüssel an der Tür abgeben, und ich will nicht, dass irgendjemand mein Baby anfasst.«
Hinter uns hupte es laut. Als ich mich umdrehte, sah ich Nicky di Savoia, die sich aus dem Fenster ihres zitronengelben Karmann Ghias lehnte. Nicky war Davids Ex-Freundin und nicht gerade ein großer Fan von mir. Ich winkte.
Sie grinste spöttisch. »Könntet ihr dämlichen Bitches bitte woanders über Lipgloss diskutieren?«
»Um eine zu kennen, muss man selbst eine sein«, rief Langley freundlich. Nicky hupte weiter, aber Langley ignorierte sie. Sie knöpfte sorgfältig ihre roten Lederhandschuhe zu, setzte den Blinker und fuhr betont langsam aus der Einfahrt …
Nicky raste an uns vorbei und zeigte uns den Mittelfinger.
»Tsts, so fährt man aber nicht«, war Langleys Kommentar. »DJ Kate, würdest du so freundlich sein?«
Kate schaltete die Anlage ein und Blondies Stimme ertönte. Während ›Heat of Glass‹ aus den Lautsprechern dröhnte, schloss ich die Augen und stellte mir vor, wie wir aussehen mussten. In Gedanken wählte ich einen Bildausschnitt. Die zwei Mädels mit den Haaren in verschiedenen Blondtönen vorne, ich mit meinen dunklen Haaren hinten auf dem cremefarbenen Lederrücksitz des roten Cabrios, blauer Himmel und grüne Bäume verschwommen im Hintergrund. Es war ein perfektes Bild, der perfekte Schnappschuss von drei beliebten Mädchen auf dem Weg in ein cooles Wochenende. Ich war glücklich, glücklicher, als ich mich jemals gefühlt hatte, soweit ich mich erinnern konnte. Ich wünschte, ich könnte den Moment einfach für immer festhalten, klick, um mir zu beweisen, dass er Wirklichkeit war.
Denn ich hatte noch Mühe, mich auf dem Schnappschuss zu sehen. Kate Valenti und Langley Winterman standen an der Spitze der sozialen Pyramide. Selbst nach zwei Jahren konnte ich kaum glauben, dass wir drei befreundet waren. Beliebt zu sein war nicht selbstverständlich für mich. Ich hatte daran gearbeitet. Und dafür bezahlt.
Es begann in dem Sommer, bevor ich in die Highschool kam. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem ich meiner besten Freundin Bonnie in Illinois von meinem Plan erzählte.
Meine Familie war in das Haus neben ihr gezogen, als wir beide sieben waren, und Bonnie und ich waren die besten Freundinnen gewesen, seitdem meine Schildkröte Amerigo Vespucci durch ein Loch im Zaun geschlüpft war und ihre Katze Rolo entdeckt hatte. Wie der Mann, nach dem sie benannt war, war Amerigo ein unermüdlicher Forscher, der sich immer wieder allein und furchtlos aufmachte, obwohl er so klein war, dass er auf meinen Handteller passte. Er verschwand für ein oder zwei Tage, und wenn er wiederkam, schleifte er Blätter unbekannten Ursprungs mit sich oder hatte seltsame Flecken auf dem Panzer. Ich bewunderte seinen Mut und seine Abenteuerlust, auch wenn sie mir ein Rätsel waren.
Amerigo und Rolo wurden schnell Freunde, ebenso wie Bonnie und ich. Bald waren wir unzertrennlich. Wir planten aufwendige Beerdigungen für die toten Mäuse, die Rolo anschleppte, machten unsere eigene Radiosendung, blieben lange draußen, während wir lasen und kicherten, dann lasen und lästerten und später ausführlich über Jungs redeten.
Wir hatten nicht viel Glück mit Jungs. Deshalb beschloss ich in dem Sommer vor der neunten Klasse, von dem Geld, das ich während dieses Sommers mit Porträtfotos von Haustieren verdient hatte, nach Chicago zu fahren. Dort wollte ich mir die Haare schneiden lassen und Make-up und neue Klamotten kaufen.
Bonnie sparte das ganze Geld, das sie im Sommer als Junior-Rettungsschwimmerin verdient hatte, für die von der Schule angebotene Frühlingsreise nach Spanien. Sie hielt mich für verrückt. »Es ist völlig in Ordnung, wie du aussiehst. Willst du etwa zu den Tussen gehören?«
Tussen nannte Bonnie alle Mädchen in unserer Klasse, die die meiste Zeit auf dem Klo zu verbringen schienen, entweder um ihr Make-up aufzufrischen oder um zu heulen. »Oder beides gleichzeitig«, bemerkte sie. »Was wiederum zeigt, wie dumm sie sind.«
Aber ich wusste, dass das nur Gerede von ihr war. »Es ist ein neues Schuljahr und eine neue Schule«, versuchte ich zu erklären. »Wir können uns neu erfinden. Willst du nicht beliebt sein?«
»Warum?«
Weil Beliebtsein bedeutete, akzeptiert zu werden. Dazuzugehören. Niemals alleine zu sein. Weil es das war, was jeder wollte.
»Ich nicht«, sagte Bonnie bestimmt. »Ich bin nicht wild auf die Mädchentoilette.«
»Willst du sterben, ohne geküsst worden zu sein?«
»Du glaubst, wenn du beliebt bist, wirst du geküsst? Na dann viel Glück, Traumtänzerin.«
Aber es war so. Meine Verwandlung wirkte. Leute, die vorher nie mit mir gesprochen hatten, sagten auf einmal auf dem Flur »Hallo« zu mir, und ich schaffte es, zurückzugrüßen. Und einmal kam eine Gruppe beliebter Zehntklässler beim Mittagessen an meinen Tisch und setzte sich zu mir. Ich bekam vor lauter Angst, mich beim Essen zu blamieren, nichts runter, aber es hatte sich gelohnt. Ich ergatterte für Bonnie und mich eine Einladung zur Party des beliebtesten Zwölftklässlers. Bonnie wollte zuerst nicht hingehen, aber ich überredete sie – okay, ich flehte sie an, und schließlich gab sie nach.
Auf der Party küsste mich Liam Marsh und wie Dornröschen wurde ich zum Leben erweckt – zum sozialen Leben. Als seine Freundin erfreute ich mich großer Beliebtheit. Deshalb war ich am Boden zerstört, als meine Mutter sechs Monate später verkündete, dass wir nach New Jersey ziehen würden, damit sie einen Bürgermeisterwahlkampf führen und sich einen Namen machen konnte »in der politischen Landschaft der Ostküste«. Nicht nur weil ich beliebt war – zu dem Zeitpunkt bedeutete mir Liam alles, er war der Einzige, auf den ich mich verlassen konnte. Wir verabschiedeten uns voneinander, ich weinte. Er sagte mir, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen, wir würden immer zusammen sein.
In der Nacht vor dem ersten Schultag in New Jersey teilte mir Liam per SMS mit, dass er nur noch mit mir befreundet sein wollte. Ich nahm eine Flasche Wodka, die ich in der Küche fand – Liam hatte mich mit Wodka bekannt gemacht, so wie er mich mit all seinen Freunden bekannt gemacht hatte – und eine Schere mit ins Badezimmer. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, ging es mir schlecht, aber nicht so schlecht, wie ich aussah. Ich hatte meinen Pony abgeschnitten, und es war nur eine peinlich vorstehende Fransenreihe übrig geblieben. Niemand will an seinem ersten Tag in einer neuen Schule so aussehen, aber mir war es egal. Oder zumindest redete ich mir das ein.
Livingston High war kleiner als meine alte Schule, aber verworrener und irgendwie unheimlich. Ich brachte das Mittagessen alleine hinter mich, vermied es, dabei irgendjemanden anzusehen, bis es zur vierten Stunde klingelte. Als ich aufstand, um zu gehen, blieb ich mit meiner Strumpfhose an einer unebenen Stelle des Cafeteriatisches hängen, und ich bekam zwei riesige Laufmaschen an meinem rechten Bein. Perfekt.
Draußen auf dem Flur sah ich Mädchen Arm in Arm vorbeigehen, Paare schlenderten vorbei, die Jungs blickten cool geradeaus, während ihre Freundinnen an ihren Halsbeugen schnupperten. So war ich auch einmal gewesen. Mir wurde klar, dass ich fast das ganze neunte Schuljahr mit Liams Arm um meine Schultern verbracht hatte, seinen nach irischem Frühling riechenden Hals an meiner Wange. Bei dem Gedanken, dass ich das nie wieder erleben würde, drehte sich mir der Magen um. Ich fühlte mich leicht, substanzlos, fast so als würde ich gar nicht existieren. Ich war daran gewöhnt, zu ihm aufzusehen, mich an ihn zu wenden, um zu entscheiden, was als Nächstes kam, was wir tun wollten. Wir. Ich sehnte mich nach dem Wir, hasste mein Ich. Ich war einsam und ungebunden und verlassen und ungeliebt. Nicht liebenswert.
Mir war, als würde ich krank werden.
Es klingelte wiederholt zur vierten Stunde, aber ich konnte einfach nicht hingehen. Deshalb tat ich das Einzige, was mir einfiel: Ich ging auf die Mädchentoilette und schloss mich in einer Kabine ein.
Ich hatte ungefähr eine Minute auf dem Toilettendeckel gesessen, als ich bemerkte, dass jemand anders direkt neben mir genau dasselbe tat. Nur hörte es sich an, als würde sie hyperventilieren.
»Bist du okay?«, fragte ich.
Jemand hielt erschrocken die Luft an. »Ich wusste nicht, dass jemand hier ist.«
»Ist ja auch keiner.«
»Hm, aber du bist hier? Du bist doch jemand?«
»Nicht hier.« Ich wollte es eigentlich zu mir selbst sagen, aber es rutschte mir heraus. Es war ein Fehler, vor dem mir graute: das Falsche zu sagen und unsicher zu wirken.
Nebenan scharrten Füße an der Tür und eine gebräunte Hand mit zwei goldenen Ringen, die zu einem mit grauem Kaschmirstrick bekleideten Arm gehörte, erschien über der Kabine. Es folgte ein perfekt oval geformter Kopf mit lockiger Mähne in der Farbe guten Brandys, gekonnt wuschelig zurückgesteckt, wie es nur die Leute im Fernsehen hinbekommen, und die von Natur aus umwerfend Gutaussehenden. Die Art Mädchen, die nicht mal merken, dass sie beliebt sind, weil sie es immer gewesen sind. Ich hatte sie an dem Tag schon im Englischunterricht bemerkt, umringt von einer Gruppe anderer Mädchen, die alle lautstark um ihre Aufmerksamkeit stritten. Sie trug eine graue Tunika mit einem verzierten Ledergürtel, den ich in der Septemberausgabe der Vogue meiner Mutter gesehen hatte.
»Ich heiße Kate?«, sagte sie, fast, als wäre es eine Frage. Inzwischen weiß ich, dass sie die Dinge immer so ausdrückt. Sie streckte mir ihre Hand entgegen. »Wer bist du?«
Ich stand von der Toilette auf und schüttelte sie. »Ich heiße Jane. Wir haben zusammen Englisch.«
»Wirklich?« Ihre Augen wanderten zur Decke, als versuchte sie, eine Erinnerung herbeizurufen. »Ich kann mich grad nicht erinnern …«
»Ich bin gerade erst her…«, ich unterbrach mich, denn die Lippen des Mädchens begannen zu zittern, und sie blinzelte, als müsste sie gleich weinen. »Alles okay mit dir?«
Plötzlich begann sie zu weinen. Ohne nachzudenken, legte ich meine Hand auf die ihre, um sie zu trösten.
Sie erstarrte und atmete tief ein. Ich zog mich zurück. »Tut mir leid. Ich wollte nicht …«
Sie klopfte auf die Tränen auf ihrem Gesicht. »Nein, mir tut es leid. Das war unpassend.« Sie blinzelte. »Ich komm jetzt runter« – sie deutete mit den Fingern zum Boden – »und geh dann?«
»Ja. Ich auch.«
Wir stiegen beide von den Toiletten. Ich langte hinüber und drückte die Spültaste, obwohl ich nichts gemacht hatte, und kam mir im nächsten Moment schrecklich blöd vor, denn was, wenn sie wirklich dachte, dass ich etwas gemacht hatte? Und ich hätte die ganze Zeit da gesessen? Genau so was machen Versager.
Ich öffnete die Tür, ging hinaus und stellte mich neben sie ans Waschbecken. Zumindest konnte ich so tun, als wäre mir Hygiene wichtig. Während ich mir die Hände wusch, dachte ich, dass Bonnie vielleicht doch recht gehabt hatte, was Beliebtheit betraf. Vielleicht spielte sich alles hauptsächlich auf der Toilette ab, vielleicht …
»Ich glaube, sie sind jetzt sauber?«, sagte Kate und deutete mit dem Kopf auf meine Hände. Sie war ungefähr dreißig Zentimeter größer als ich, obwohl ihre braunen kniehohen Stiefel ganz flach waren.
»Oh, stimmt. Ich wollte nur …«
Und dann brach sie wieder in Tränen aus. Nur diesmal warf sie sich in meine Arme. Ich umarmte sie, und sie ließ es zu. Sie weinte einige Minuten, dann ließ das Beben ihres Körpers nach.
Sie trat zurück. Plötzlich erschien mir meine Aufmachung – das marineblaue Sweatkleid mit Puffärmeln, Strumpfhose und knöchelhohe Stiefel, die ich heute Morgen beim Anziehen noch cool fand –, übertrieben und altmodisch. Als ich von meinem Gesicht – blass, oval, blaue Augen, rosa Lippen, dunkle Schatten unter den Augen vom Wodka und die missglückte Reihe dunkler Ponystoppeln – zu ihrem sah – perfekt, obwohl sie gerade geheult hatte –, erfasste mich eine Welle von Panik und Unsicherheit. Es machte die Sache nicht besser, dass sie sagte: »Warum bist du nicht gegangen?«
Diesmal war es bestimmt eine Frage und keine freundliche. Ihre Augen blitzten, und ihr Gesicht war angespannt. »Ich meine, ich wollte nicht, dass irgendjemand mich so sieht?«
Ihr veränderter Tonfall überraschte mich. »Ich hab dir doch gesagt, ich bin ein Niemand«, versuchte ich, einen Witz zu machen.
Blitzartig verwandelte sich ihre Härte in Verwirrung. Sie blickte mich nicht mehr im Spiegel an, sondern drehte sich um und sah mir mit gerunzelter Stirn direkt ins Gesicht. »Warum bist du so nett zu mir?«
»Weil du traurig bist?«
Sie wandte sich wieder zum Spiegel. »Du meinst schwach.« Sie griff nach einem Papiertuch und begann, die Tränen auf ihren Wangen zu trocknen. Eigentlich war es eher so, als versuchte sie, sie auszuradieren.
»Nein, wohl eher traurig.«
Sie rieb weiter und wich meinen Blicken aus. »Egal, jedenfalls danke?«
»Wofür? Ich bin sicher, du hättest dasselbe für mich getan.«
Sie warf das Papiertuch in den Mülleimer und prüfte ihr Spiegelbild genau. Sie hatte vielleicht perfekt symmetrische Gesichtszüge und war eine Modelschönheit, aber als sie sich selbst betrachtete, hatte sie einen Gesichtsausdruck, als würde sie auf Abfall blicken.
»Ganz ehrlich, wahrscheinlich nicht?« Jetzt lächelte sie, aber betrübt. Als sie wieder sprach, verfiel sie in einen gedehnten Südstaatenakzent, harsch und abgehackt: »Ich bin eine verwöhnte Zicke, die ein perfektes Leben hat, aber dafür nicht mal dankbar ist und nur an sich selbst denkt. Zumindest würde mein Vater es so ausdrücken.«
Es war das erste Mal, dass ich mit Kates erstaunlicher Fähigkeit, andere nachzuahmen, Bekanntschaft machte, und es war beunruhigend. Gefangen zwischen meiner Irritation und der Wut, die in ihren Worten lag, wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich weiß nicht, wie lange ich noch so dumm dagestanden und nervös an meinen kurzen, dunklen Ponyfransen genestelt hätte, wenn nicht plötzlich die Toilettentür aufgestoßen worden wäre.
Ein blondes Mädchen platzte mit der Selbstsicherheit derjenigen herein, die immer beliebt gewesen war. Mit engen Shorts aus einer Art Spitze-auf-Brokat-Stoff, einem Pullover mit Rüschen, Plateauschuhen und den dichten hellblonden Haaren, die mit zwei Satinschleifen zu zwei tiefen Zöpfen gebunden waren, sah sie eher aus, als wollte sie auf den Laufsteg als ins Klassenzimmer. Sie sah mich nicht einmal an, stürzte nur zu Kate, legte die Hand mütterlich auf ihre Wange und sagte: »Bist du okay, Kit Kat?«
Die Kate, die sich ihrer Freundin zuwandte, hatte nichts mit dem aufgelösten Mädchen zu tun, das ich gerade erlebt hatte. Sie lächelte, als wäre sie amüsiert über die Sorge der anderen und sagte: »Ja, Mutter Langley, mir geht’s gut. Ich hatte nur Krämpfe.«
Das Mädchen namens Langley lehnte sich zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Willst du Pommes dazu?«
Kate runzelte die Stirn. »Pommes wozu?«
»Dem Whopper, den du gerade bestellt hast.«
Kate machte große Augen und sah überrascht aus. Ich konnte mir nicht helfen, ich begann zu lachen. Langley sah mich an. »Mir gefällt ein dankbares Publikum. Wer bist du?«
»Das ist Jane«, sagte Kate zu ihr. »Sie ist neu hier? Sie hat mir was gegen die Schmerzen gegeben.« Sie zwinkerte mir zu.
Langley legte den Kopf auf eine Seite und sah mich einen Moment prüfend an, als wäre ich ein Präparat auf dem Objektträger, das sie genauestens untersuchen müsste. Dann nickte sie, als wäre sie zu einem Ergebnis gekommen. »Ganz ehrlich: Du bist süß, aber die Ponyfransen sind ein bisschen zu extrem. Echt jetzt, hast du das selbst gemacht?«
Ich nickte. »Mein Freund zu Hause, da wo ich herkomme, hat mit mir Schluss gemacht.« Ich konnte nicht glauben, dass ich das zugegeben hatte. Wie mitleiderregend sah ich wohl aus?
Sie kam rüber und versuchte, die Ponyfransen auf eine Seite zu schieben. »Ja, das geht echt gar nicht. Aber deine Strumpfhose, die ist cool.« Sie trat zurück und sah mich noch einmal abschätzend an. »Hat einer von euch einen Stift?«
Ich fischte einen aus meiner Tasche und gab ihn ihr. Sie stieß ihn sofort in ihre schwarze Spitzenstrumpfhose und begann sie zu zerreißen.
Ich war geschockt. »Was machst du denn da?«
»Einer für alle …«, sagte Langley.
»… und alle für einen«, beendete Kate und lächelte ihre Freundin, nicht mich, an. Es war, als würden sie eine geheime Botschaft austauschen.
Eine Botschaft, die ich erst ein wenig später verstand. Nachdem Langley eine zweite Laufmasche in ihre Strumpfhose gerissen hatte, sagte sie: »Okay, ich glaube, wir können jetzt damit debütieren.« Kate und Langley nahmen jede einen meiner Arme, und zusammen verließen wir die Toilette.
»Pass auf, was passiert«, sagte Langley, als wir den Flur entlangmarschierten. »Wir sorgen jetzt dafür, dass das Schuljahr für dich gerettet ist.«
Sie stellten mich Elsa vor, dem dritten Mitglied der drei Musketiere, wie sie sich nannten. Denn was immer sie taten, jede musste folgen. Und es stimmte. Am Ende des Schultages hatten fünf andere Mädchen Laufmaschen in den Strumpfhosen, am nächsten Tag dann die meisten Zehntklässler, dreiviertel der Elftklässler und sogar eine Handvoll Zwölftklässler. Vier Mädchen hatten ihre Ponys mit Nagelscheren abgeschnitten.
Ich war angekommen. Was auch immer die Musketiere gerade guthießen – Sonnenbrillen zum Unterricht tragen, bis die Lehrer es verboten, Bonbonketten tragen, rote Nagellackkleckse auf den Knien der Jeans haben, weil ich versucht hatte, während des Mittagessens Langleys Nägel zu lackieren und es total verbockte –, jeder andere tat es auch. Und ich war dabei. Ich würde nie wieder einsam sein.
Schon nach wenigen Wochen war ich nur noch mit Langley, Kate und Elsa zusammen.
Und dann kam der Morgen, an dem Elsa vom Hausmeister auf dem Dach der Schule gefunden wurde mit nichts an, außer Söckchen. Danach verschwand sie für einen Monat, um in einer Spezialklinik in Aspen zu »entspannen«. Als sie zurückkam, hatte ich offiziell ihren Platz eingenommen als eine der Drei Musketiere. »Weil es nur drei sein können«, hatte Langley erklärt.
»Und wir haben dich ausgesucht«, beendete Kate grinsend den Satz.
»Außerdem braucht Elsa bei den vielen Stimmen in ihrem Kopf bestimmt nicht noch mehr Freunde«, fügte Langley mit gedämpfter Stimme hinzu.
Wir machten einen Pinkie. Als ich unsere drei Arme sah, alle mit zusammen passenden, lederbesetzten Armbändern, war ich zu glücklich und zu ängstlich, es zu zerstören, um danach zu fragen, wie ich zu dem Glück gekommen war.
Nachdem ich von Kate und Langley angenommen worden war, fühlte ich mich endlich wohl in Livingston. Jedenfalls bis Joe Garcetti, Eigentümer der Baufirma Garcetti, bei einer der Veranstaltungen, die meine Mutter im Rathaus organisiert hatte, auftauchte. Er stellte ihrem Kandidaten eine Frage, die ihn in Verlegenheit brachte, hinterließ dadurch bei ihr den Eindruck, dass er sich auskannte, und führte sie dann zum Essen aus.
Es war nicht so, dass ich ihn nicht mochte. Aber ich hatte so ein Gefühl, dass ich ihm nicht trauen konnte. Dass er an unsauberen Geschäften beteiligt war.
»Welche Baufirma bekommt Anrufe um Mitternacht?«, wollte ich von meiner Mutter wissen.
Sie legte gerade Lippenstift auf und hielt nicht einmal inne. »Die, die Projekte in Dubai hat.«
Nichts, was ich sagte, hielt sie davon ab, sich zu verloben und in das dreihundert Quadratmeter große, brandneue Haus zu ziehen – mit Steinfußböden, die »direkt aus Italien eingeflogen« worden waren, und Deckenstuck so breit wie mein Kopf –, das Joe »Château« nannte. Er rieb sich die Hände, als er uns das erste Mal herumführte, und mir brannte sich das Bild meiner Mutter als eine Art Göttinnenopfer ein.
Aber es war ihre Wahl, und sie schien versessen darauf, es durchzuziehen.
Tatsächlich hatte meine Mutter heute Morgen beim Frühstück in der Küche im »provenzalischen Bauernhausstil« gesagt: »Wie wär’s, wenn wir drei, also Annie, du und ich, jetzt am Wochenende zusammen Mittagessen gehen? Also, nachdem ihr eure Brautjungfernkleider bekommen habt?«
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«
Sie seufzte und versuchte, nicht verärgert auszusehen, aber ich sah die Wut in ihren Augen. »Warum versuchst du nicht, Joe zu mögen? Annie liebt ihn.«
»Annie ist erst sieben, und ihre beste Freundin ist eine Barbie, die ihrer Ansicht nach transsexuell ist. Deshalb bin ich mir nicht sicher, was ihren Geschmack angeht. Es ist mir egal, dass du heiratest, ich denke nur, du willst es vielleicht mit Würde tun, anstatt dich lächerlich zu machen. Hast du eine Vorstellung, wie lächerlich du bei einer feierlichen Hochzeit aussehen wirst?«
»Wenn du deine Meinung dazu nicht änderst, werde ich dich in die Zeremonie nicht mit einbeziehen.«
»Super. Das wäre gut! Bezieh mich am besten in gar nichts ein.«
Ich stapfte aus der Küche und stolperte fast über Annie, die irgendein Spiel direkt hinter der Esszimmertür spielte. Sie hielt die Ohren zu und summte. Ich hielt an und sagte ihren Namen, aber sie reagierte nicht.
Verdammt. Bei ihrem Anblick verpuffte meine Wut, und als ich wieder nach unten ging, war ich sogar bereit, mich zu entschuldigen. Wenn meine Mutter sich lächerlich machen wollte, indem sie eine große Hochzeitsfeier veranstaltete, konnte sie das tun. Und ich könnte ihr die nächsten Jahre in einer Therapie Vorwürfe machen. Joe war vielleicht nicht meine erste Wahl, aber wenn er meine Mutter glücklich machte, sollte es wohl so sein.
Ich hatte fast die Küche erreicht, als ich hörte, wie meine Mutter und Joe sich unterhielten. Ihre Stimmen hallten durch die Natursteine.
Er sagte: »Ich wünschte, ich könnte etwas tun. Ich kann es nicht ertragen, dich so unglücklich zu sehen, Rosie.«
»Lass nur, Joe. Es ist eine harte Zeit für sie. Und wenn sie Hausarrest bekommt, kriegt sie einen Wutanfall. Ich lass sie lieber mit ihren Freunden gehen.«
Kates Stimme riss mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität des cremefarbenen Lederbezugs von Langleys Rücksitz. Kate hatte ihre seidige honigblonde Mähne um eine Hand gewickelt und eingedreht, damit sie mich ansehen konnte. Die langen Locken, die ihr Gesicht umspielten, fingen das Sonnenlicht ein, so dass es aussah, als hätte sie einen goldenen Heiligenschein. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fragte sie: »Hattest du Ärger mit deiner Mutter wegen heute Abend?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich musste nicht mal eine der Ausreden benutzen, die wir uns ausgedacht haben, um über Nacht zu bleiben. Ich bin ihr nicht wichtig genug, dass sie mir Hausarrest aufbrummt, geschweige denn, dass es sie interessiert, wo ich hingehe.«
Ich schluckte schwer, schluckte einen Kloß hinunter, der sich unerklärlicherweise in meinem Hals gebildet hatte. Als wir noch in Illinois gewohnt hatten, war meine Mutter geradezu tyrannisch gewesen, hatte immer wissen wollen, wo ich war, mit wem, bis wann. Bevor …
Es spielt keine Rolle, rief ich mir in Erinnerung. Das gehörte der Vergangenheit an. Jetzt wollte sie nichts mehr über mein Leben wissen. Nichts über mich. Wir schwiegen uns meistens an, während es unter der Oberfläche brodelte. Und die gelegentlichen Ausbrüche ließen das Schweigen nur umso angenehmer erscheinen.
Langley schüttelte verwundert ihren platinblonden Kopf. »Meine Großeltern verlangen von mir einen so genauen Bericht darüber, wo ich überall hingehe, dass ich schon überlege, ob ich nicht einen Privatdetektiv engagiere, der mir folgt und einen Bericht verfasst. Du hast echt Glück.«
»Absolut«, stimmte ich zu.
Warum hörte ich in mir drinnen dann ein großes ABER?
Mein Handy klingelte in meiner Tasche. Mit meinem abgebrochenen roten Daumennagel leitete ich den Anrufer schnell wieder zur Mailbox weiter.
Aber nicht schnell genug. »Da ist aber jemand gefragt heute«, sagte Langley und fing mit ihren hellblauen Augen im Rückspiegel meinen Blick ein. »Wer ist es?«
»Unbekannte Nummer«, log ich und fühlte, wie ich rot wurde.
»Ich glaube, Jane hat ein Geheimnis«, sagte Langley mit Singsangstimme zu Kate.
»Nein, wirklich, es ist wahrscheinlich nur irgendein Typ von der Telefongesellschaft.« Ich wusste nicht einmal genau, warum ich log. Ich meine, Langley mochte Scott nicht, weil sie meinte, seine Absichten in Bezug auf mich seien »schmutziger« Natur, aber es wäre ihr egal, wenn er anrief. Ich glaube, in Wahrheit fühlte ich mich ein bisschen schuldig, dass ich ihm auf diese Art aus dem Weg ging. Aber bei den wenigen Malen, die wir in letzter Zeit Kontakt hatten, war da ein Unbehagen gewesen, das ich nicht erklären konnte, und ich hatte keine Lust, mich damit zu befassen.
Ich brauchte auch nicht länger darüber nachzudenken, denn in dem Moment stellte Langley die Musik leiser, und wir bogen in die Einfahrt ein, die zum Haus der Wintermans führte.
Wenn das monströse Ding, das Joe gebaut hatte, ein Château war, dann war das Haus, in dem Langley mit ihren Großeltern lebte, ein Palast, aber ein richtiger.
Mr und Mrs Lawrence Winterman waren führende Persönlichkeiten der gesellschaftlichen und wohltätigen Kreise New Jerseys und machten mir irgendwie Angst. Ich konnte mir deshalb auch nicht vorstellen, wie es sein musste, in dem riesigen Haus mit dem grau-weiß uniformierten Personal zu leben. Aber Langley hatte Maman und Papo, wie sie ihre Großmutter und ihren Großvater nannte, um den Finger gewickelt, und sie liebten sie abgöttisch.
Mrs Winterman war gerade in der eichengetäfelten Eingangshalle, als wir hereinkamen. Den schmalen, geraden Rücken im strengen Blazer der Tür zugewandt, beobachtete sie eines der uniformierten Hausmädchen dabei, wie sie eine Blumenvase zurechtrückte. Ihre Hosenanzüge hatten keine Ähnlichkeit mit den blauen aus Polyester mit Dauerfalten, die meine Großmutter und ihre Freundinnen unten in Boca Raton trugen.
»Nein, Ivanka, ich sagte nach links.« Sie gestikulierte ungeduldig mit der Hand, an deren Ringfinger ein wuchtiger Smaragdring steckte. »Ich kann immer noch die Kamera sehen. Ich möchte, dass sie verdeckt ist.«
»Ich bin da, Maman«, verkündete Langley, ging zu ihrer Großmutter und bot ihr eine Wange zum Kuss. »Wir gehen nur kurz in mein Zimmer, um meinen Schlafanzug zu holen. Wir übernachten heute alle bei Kate, ich hab’s letzte Woche im Kalender eingetragen.«
»Das stimmt, Liebes, sehr gut.« Mrs Winterman legte die Hand mit dem Smaragdring auf Langleys Arm. »Siehst du noch nach deinem Großvater, bevor du gehst? Und achte bitte besonders auf die neue Krankenschwester. Ich glaube, sie stiehlt seine Medikamente.«
»Natürlich, Maman.«
In letzter Zeit hatte Mrs Winterman wegen ihrer Überängstlichkeit eine Vorliebe für Sicherheitsmaßnahmen entwickelt, so dass das Haus »mehr einem Gefängnis als einem Schloss« glich, wie Langley sich ausdrückte. »Wo die Wachen Oscar-de-la-Renta-Anzüge und speziell kreiertes Creed-Parfüm tragen«, fügte sie hinzu.
»Seht ihr?«, flüsterte Langley jetzt, als wir ihren knöchelhohen Stiefeln aus rotem Wildleder die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer folgten. »Verrückt.«
Langleys Zimmer war so ordentlich und unpersönlich wie ein Hotelzimmer und passte irgendwie zu ihr. Die Wände waren cremefarben, die Möbel entweder cremefarben oder blau, und die einzigen persönlichen Dinge waren Pokale und Schleifen vom Reiten und Fotos von Freunden auf der Kommode. Da war eins von uns dreien, verkleidet als sexy Astronauten an Halloween, ein anderes von uns als freche Pfadfinderinnen beim Cookie-Verkaufen, wir als heiße Ninjas – ich weiß nicht mehr zu welchem Anlass. Langley liebte Kostüme und Verkleiden. Sie plante meistens alles, und Kate und ich fügten uns fast immer.
»Ist das ein neues Foto von Alex?«, fragte ich und griff nach einem der Bilderrahmen, um es genauer betrachten zu können. Alex war der superheiße österreichische Prinz oder Graf oder was auch immer, mit dem sie seit letztem Sommer ging. Sie hatten sich bei einer Reitveranstaltung getroffen während des exklusiven Sommerkurses in Schottland, an dem Langley teilgenommen hatte. Auf diesem Bild hatte er kein Hemd an, trug nur eine gestrickte Skimütze, lange Unterhosen und Stiefel, offenbar war er mitten in einer Schneeballschlacht. Es sah ein bisschen kalt aus, kein Hemd zu tragen, aber es war nicht zu leugnen, dass er echt heiß aussah. Wir waren ihm noch nicht begegnet – er würde zu ihrer achtzehnten Geburtstagsparty nächsten Monat kommen –, aber Langley schien ihn tatsächlich zu mögen.
»Fass es nicht an!«, kreischte sie, während sie ihre rote Baskenmütze aus dem Schrank hervorholte. »Es ist …« Sie wurde rot.
Ich stellte es hin und trat einen Schritt zurück. »Was?«
»Ähm … Ich mache einen Liebeszauber damit«, sagte sie zögernd und kam jetzt mit drei Taschen und zwei Schuhkartons an. Sie stapelte sie sorgfältig neben einem Stuhl. »Es ist peinlich. Und dumm.« Sie fuhr sich mit der Hand an die Stirn. »Gott, ich kann nicht glauben, dass ich es zugebe.«
Kate kicherte. »Du machst einen Liebeszauber? Du? Miss Pragmatisch?«
Langley schlug ihr leicht auf den Arm. »Hör auf. Ivanka hat mir davon erzählt, und ich wollte sie nicht verletzen und …«
Kate nickte ernsthaft. »Klar.«
Langley wandte sich an mich. »Du nimmst einfach ein Haar von ihm und etwas Salz und lässt es da liegen, und es bewirkt, dass er sich in dich verliebt und es auch bleibt. Nicht wie du, Kate, mit deinem Voodoo.«
Kate lag lässig auf dem Bett, ein Bein untergeschlagen, das andere auf dem Boden. Die Arme hatte sie um einen Plüschhund gelegt. »Es war kein Voodoo, es war Wicca, und es hat funktioniert? Ich bekam die Rolle der Stella in dem Stück? Funktioniert dein« – sie zeichnete Anführungszeichen in die Luft – »Liebeszauber?«
Langley blickte trübsinnig in Richtung des Telefons. »Heute nicht.« Dann änderte sich ihre Stimmung. Sie hielt ein Paar blau-silberne Seidenbrokat-Plateausandalen hoch. »Jelly Bean, die passen perfekt zu deinem Kostüm. Du musst sie heute Abend anziehen.«