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Inhaltsverzeichnis

Über die Autorin
Widmung
PROLOG
1 - Vierundzwanzig Jahre später
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EPILOG
DANKSAGUNG
Copyright

DANKSAGUNG

LETZTES JAHR FRAGTE MICH meine Freundin Dorothea Krusky, die Immobilienmaklerin ist, ob ich von einem Gesetz des Staates New Jersey wüsste, demzufolge ein Immobilienmakler gehalten ist, einen potenziellen Käufer darüber zu informieren, wenn auf dem in Frage stehenden Haus ein Stigma lastet, das dem Käufer unter Umständen psychologischen Schaden zufügen könnte. »Vielleicht könntest du daraus ein Buch machen«, schlug sie vor.

Hab acht auf meine Schritte ist das Ergebnis dieses Vorschlags. Danke, Dorothea.

Ebenso möchte ich all diesen wunderbaren Menschen danken, die von dem Augenblick an, an dem ich die Geschichte zu erzählen beginne, immer für mich da sind.

Michael Korda ist seit über drei Jahrzehnten mein Freund und Lektor par excellence. Cheflektor Chuck Adams ist seit zwölf Jahren der Dritte in unserem Team. Ich bin beiden dankbar für alles, was sie tun, um mich auf meinem Weg als Schriftstellerin zu begleiten.

Meine Literaturagenten Eugene Winick und Sam Pinkus sind treue Freunde, gute Kritiker und großartige Unterstützer. Ich liebe sie.

Dr. Ina Winick hat wieder ihr psychologisches Fachwissen eingebracht und mich während der Arbeit am Manuskript beraten.

Dr. James Cassidy hat meine vielen Fragen bezüglich der Behandlung eines traumatisierten Kindes und der Art und Weise, in der es Gefühlsregungen zeigt, beantwortet.

Lisl Cade, meine Pressereferentin und liebe Freundin, ist immer für mich da. Und wieder ziehe ich meinen Hut vor der Leistung der stellvertretenden Leiterin der Satzredaktion Gypsy da Silva. Herzlichen Dank auch an Satzredakteur Anthony Newfield.

Barbara A. Barisonek von der Turpin Real Estate Agency hat mir freundlicherweise ihre Zeit gewidmet, um mich mit der Geschichte von Mendham und den technischen Abläufen in einer Immobilienagentur vertraut zu machen.

Agnes Newton, Nadine Petry und Irene Clark sind ständige Begleiterinnen auf meinen literarischen Reisen. Ein besonderer Dank geht an Jennifer Roberts, Business Center Associate bei The Breakers, Palm Beach, Florida.

Zwei Bücher möchte ich erwähnen, die mir bei der Vertiefung meiner Kenntnisse über die Häuser und die Geschichte der Mendhams eine große Hilfe waren: Images of America: The Mendhams, von John W. Rae, und The Somerset Hills, New Jersey Country Homes von John K. Turpin und W. Barry Thomson, mit einer Einleitung von Mark Allen Hewit.

Immer wieder ist es eine besondere Freude, wenn die Geschichte zu Ende erzählt ist: Denn dann ist endlich Zeit zu feiern, mit allen Kindern und Enkelkindern, und natürlich mit »ihm«, meinem perfekten Ehemann John Conheeney.

Die Autorin

Mary Higgins Clark, geboren in New York, gilt als eine der erfolgreichsten und meistgelesenen Thrillerautorinnen der Welt. Ihre Bücher führen regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten an und haben allein in den USA eine Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren erzielt. Ihre große Stärke sind ausgefeilte und raffinierte Plots und die stimmige Psychologie ihrer Heldinnen. Viele ihrer Thriller wurden für das Fernsehen verfilmt. Die Autorin lebt und arbeitet in Saddle River, New Jersey.

EPILOG

SEIT ZWEI JAHREN LEBEN wir jetzt in diesem Haus. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschieden, hier zu bleiben. Für mich war es nicht mehr das Haus, in dem ich meine Mutter getötet hatte, sondern das Haus, in dem ich versucht hatte, ihr das Leben zu retten. Ich habe mein Können als Innenarchitektin eingesetzt, um die Vorstellungen meines Vaters in meinem Sinne zu vollenden. Es ist wirklich schön geworden, und jeden Tag gesellen sich neue glückliche Momente zu den glücklichen Erinnerungen, die ich aus früher Kindheit noch in mir trage.

Ted Cartwright akzeptierte einen Deal, den Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausgehandelt hatten. Er bekam dreißig Jahre für den Mord an Zach Willet, fünfzehn Jahre für den Mord an meinem Vater und zwölf Jahre dafür, dass er den Tod meiner Mutter verschuldet hatte, unter gleichzeitigem Vollzug aller Strafen. Teil der Abmachung war, dass er gestehen würde, in der bewussten Nacht mit der Absicht in unser Haus gekommen zu sein, meine Mutter zu töten.

Er hatte in diesem Haus gelebt, als er mit meiner Mutter verheiratet war, und er wusste daher, dass es ein Kellerfenster gab, das aus unerklärlichen Gründen nicht an die Alarmanlage angeschlossen war. So ist er in das Haus gelangt.

Er gab zu, dass er die Absicht gehabt hatte, meine Mutter im Schlaf zu überraschen und zu erdrosseln, und dass er mich, falls ich wach geworden wäre, ebenfalls getötet hätte.

Da er wusste, dass die bevorstehende Scheidung ihn zum Verdächtigen machen würde, rief er von unserem Kellertelefon aus bei sich zu Hause an und wartete dann eine Stunde, bevor er die Treppe hinaufstieg, um seinen Mordplan auszuführen. Der Polizei wollte er erzählen, dass meine Mutter ihn angerufen und gebeten hätte, am nächsten Tag zu ihr zu kommen, um über eine Versöhnung zu reden.

Doch diese geplante Erklärung für den Anruf wurde hinfällig, als ich wach wurde und sich die Ereignisse daraufhin überschlugen. Stattdessen hatte er bei meinem Prozess im Zeugenstand ausgesagt, meine Mutter hätte ihn spät am Abend angerufen und ihn gebeten, zu ihr zu kommen, während ich schliefe.

Als er im Erdgeschoss war, suchte Ted den neuen Code aus dem Adressbuch meiner Mutter heraus und stellte die Alarmanlage ab. Er entriegelte die hintere Eingangstür in der Absicht, es so aussehen zu lassen, als ob die Nachlässigkeit meiner Mutter es dem Täter erlaubt hätte, in das Haus einzudringen. Bei meinem Prozess sagte er später aus, meine Mutter hätte den Alarm abgeschaltet und die Hintertür entriegelt, weil sie auf ihn gewartet habe.

Weiterhin gab Ted an, der andere »Möbelpacker« sei ein gewisser Sonny Ingers gewesen, ein Bauarbeiter, der auf der Baustelle seiner Wohnsiedlung gearbeitet hätte. Die Identifizierung von Ingers wurde durch Rap Corrigans Beschreibung seines Muttermals und des teilweise fehlenden rechten Zeigefingers bestätigt. Nachdem es keine konkreten Anhaltspunkte gab, dass Ingers mit dem Mord an Zach etwas zu tun hatte, bekannte er sich vor Gericht schuldig für den Einbruch in Zachs Wohnung und bekam drei Jahre Gefängnis.

Ich glaube, als Ted in öffentlicher Verhandlung sein Geständnis ablegte und all diese Details vor dem Richter ausbreitete, haben sich viele Leute aus der Gemeinde geschämt, dass sie auf seine Geschichte hereingefallen waren und ein kleines Mädchen verurteilt hatten.

Gegen Henry Paley wurde nach Abschluss der Ermittlungen keinerlei Anklage wegen krimineller Vergehen erhoben. Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass Henrys Verschwörung mit Ted Cartwright sich allein darauf beschränkte, Georgette zu überreden, das Grundstück an der Route 24 zu verkaufen. Es gab keinerlei Hinweise darauf, dass er von den Mordplänen wusste oder gar darin verwickelt war.

Es wird viele, viele Jahre dauern, bis Robin Carpenter oder Alex Nolan aus dem Gefängnis entlassen werden, falls es überhaupt je dazu kommt. Beide sitzen lebenslange Freiheitsstrafen ab für den Mord an Georgette Grove und Charley Hatch, sowie für den versuchten Mord an Jack und mir.

Robin gab zu, diejenige gewesen zu sein, die Georgette Grove und ihren Halbbruder Charley Hatch erschoss. Aus der Handtasche von Georgette hatte sie ein Foto von Alex und Robin genommen, das Georgette in Robins Schreibtisch gefunden hatte. Sie hatte das Zeitungsfoto von mir in Georgettes Handtasche und das Foto meiner Mutter in Charley Hatchs Tasche gesteckt.

Unglaublich, wie viele Menschen in den ersten Wochen zu uns kamen, nachdem Jack und ich nur knapp dem Tod entronnen waren. Sie brachten uns kleine Aufmerksamkeiten und Blumen und ihre Freundschaft. Manche erzählten mir, dass ihre und meine Großmutter zusammen in die Schule gegangen seien. Ich fühle mich inzwischen sehr wohl hier. Meine Wurzeln sind hier. Ich habe ein Büro als Innenarchitektin in Mendham eröffnet, doch ich musste die Zahl meiner Kunden einschränken. Über mangelnde Beschäftigung kann ich mich nicht beklagen. Jack ist in der ersten Klasse, und er spielt so ziemlich bei jeder Mannschaft mit, die sich anbietet.

In den Wochen und Monaten nach der Verhaftung von Alex wurde meine Erleichterung über Teds Geständnis überschattet von der Trauer über Alex’ Betrug. Jeff war derjenige, der mir geholfen hat zu begreifen, dass der Alex, den ich zu kennen glaubte, niemals existiert hat.

Ich weiß nicht, wann genau mir bewusst wurde, dass ich mich in Jeff verliebt hatte. Ich glaube, er wusste bereits früher als ich, dass wir füreinander geschaffen waren.

Das ist auch ein Grund, warum ich zurzeit so viel um die Ohren habe. Mein Mann, Jeffrey MacKingsley, bereitet sich darauf vor, für das Amt des Gouverneurs zu kandidieren.

1

Vierundzwanzig Jahre später

ES IST UNFASSBAR, ABER ich stehe genau auf demselben Fleck, auf dem ich damals stand, als ich meine Mutter erschossen habe. Ich frage mich, ob ich dies wirklich erlebe, oder ob es nur zu einem Albtraum gehört. In der ersten Zeit nach dieser furchtbaren Nacht hatte ich andauernd Albträume. Einen großen Teil meiner Kindheit habe ich damit verbracht, Bilder von diesen Träumen für Dr. Moran zu malen, einen Psychologen in Kalifornien, wo ich nach dem Prozess gelebt habe. Dieses Zimmer kam in vielen dieser Zeichnungen vor.

Der Spiegel über dem offenen Kamin ist noch derselbe, den mein Vater ausgesucht hat, als er das Haus einrichten ließ. Er wurde in die Wand eingelassen und mit einem Rahmen versehen. Ich erblicke mein Spiegelbild darin. Mein Gesicht ist leichenblass. Meine Augen wirken nicht mehr dunkelblau, sondern schwarz, in ihnen scheinen sich alle schrecklichen Visionen zu spiegeln, die aus meiner Erinnerung auftauchen.

Die Augenfarbe habe ich von meinem Vater geerbt. Die Augen meiner Mutter waren heller, saphirblau, sie passten perfekt zu ihren goldblonden Haaren. Ich selbst wäre aschblond, wenn meine Haare noch ihre natürliche Farbe hätten. Ich lasse sie jedoch dunkler färben, seitdem ich vor sechzehn Jahren an die Ostküste zurückgekehrt bin, um die Hochschule für Design in Manhattan zu besuchen. Außerdem bin ich zehn Zentimeter größer als meine Mutter. Trotzdem, mit zunehmendem Alter werde ich ihr äußerlich in vielerlei Hinsicht immer ähnlicher, und ich bemühe mich, diese Ähnlichkeit so weit wie möglich zu kaschieren. Ich habe immer mit der Angst gelebt, jemand könnte zu mir sagen: »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor …« Damals war das Bild meiner Mutter durch alle Medien gegangen, und gelegentlich taucht es immer noch auf, wenn die Geschichte um ihren Tod wieder aufgewärmt wird. Wenn also jemand zu mir sagt, ich käme ihm bekannt vor, weiß ich, dass es ihr Bild ist, das er im Kopf hat. Ich dagegen, Celia Foster Nolan, ehemals Liza Barton, jenes Kind, das von der Boulevardpresse »Little Lizzie Borden« getauft wurde, würde wohl kaum als das pausbäckige Mädchen mit den goldenen Locken wiedererkannt werden, das damals von der Anklage des vorsätzlichen Mordes an seiner Mutter sowie des Mordversuchs an seinem Stiefvater freigesprochen – wenn auch nicht entlastet – worden war.

Mein zweiter Ehemann, Alex Nolan, und ich sind jetzt seit einem halben Jahr verheiratet. Wir wollten heute eigentlich mit meinem vierjährigen Sohn Jack zu einem Reitturnier in Peapack, einer vornehmen Ortschaft im Norden New Jerseys, aber auf einmal ist Alex Richtung Mendham gefahren, einer benachbarten Stadt. Erst dann hat er mir verraten, dass er eine wunderbare Überraschung zu meinem Geburtstag habe, und ist in die Straße eingebogen, die zu diesem Haus führt. Alex hat den Wagen geparkt, und wir sind eingetreten.

Jack zieht mich an der Hand, aber ich bleibe wie angewurzelt stehen. Er ist voller Tatendrang und möchte, wie die meisten Vierjährigen, alles erkunden. Ich lasse ihn los, und im Nu läuft er aus dem Zimmer und rennt den Flur entlang.

Alex steht hinter mir. Ohne ihn anzusehen, spüre ich seine Aufregung. Er glaubt, dass er ein wunderschönes Zuhause für uns gefunden hat, und seine Großzügigkeit geht so weit, dass er es allein auf meinen Namen überschrieben hat, es soll sein Geburtstagsgeschenk sein. »Ich kümmere mich um Jack, Schatz«, beruhigt er mich. »Sieh du dich in Ruhe um und mach dir schon mal Gedanken, wie du alles einrichten willst.«

Als er das Zimmer verlassen hat, höre ich ihn rufen: »Geh nicht die Treppe runter, Jack. Erst müssen wir Mommy das Haus zeigen.«

»Ihr Mann hat mir gesagt, dass Sie Innenarchitektin sind«, meldet sich jetzt Henry Paley, der Makler, zu Wort. »Dieses Haus ist immer in sehr gutem Zustand gehalten worden, aber natürlich hat jede Frau den Wunsch, ihrem Heim ihren eigenen Stempel aufzudrücken, umso mehr, wenn es ihr Beruf ist.«

Noch bringe ich es nicht über mich zu antworten und blicke ihn wortlos an. Ein eher schmächtiger Mann um die sechzig, mit ausgedünntem, grauem Haar, korrekt gekleidet in einem dunkelblauen Nadelstreifenanzug. Natürlich erwartet er, dass ich mich begeistert zeige über das wundervolle Geburtstagsgeschenk, das mir mein Mann gemacht hat.

»Wie Ihr Mann Ihnen vielleicht gesagt hat, war ich selbst nicht mit dem Verkauf befasst«, erklärt Paley. »Meine Chefin, Georgette Grove, war gerade dabei, Ihrem Mann verschiedene Objekte in der Umgebung zu zeigen, als er im Vorbeifahren das Schild ›Zu verkaufen‹ auf dem Rasen entdeckte. Offenbar hat er sich sofort in das Haus verliebt. Nun, es handelt sich ja auch um ein architektonisches Schmuckstück, und außerdem steht es auf vier Hektar Grund in bester Lage, in einer der gefragtesten Gemeinden.«

Ich weiß, dass es ein Schmuckstück ist. Mein Vater war der Architekt, nach dessen Plänen das baufällige Herrenhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert restauriert und in ein bezauberndes und geräumiges Wohnhaus verwandelt wurde. Mein Blick fällt an Paley vorbei auf den offenen Kamin. Mutter und Daddy haben die Einfassung in Frankreich gefunden, in einem Schloss, das abgerissen werden sollte. Daddy hat mir damals die Bedeutung der einzelnen Ornamente erklärt, all diese Putten und Pinienzapfen und Weintrauben …

Ted, er drückt Mutter gegen die Wand …

Mutter schluchzt …

Ich richte die Waffe auf ihn. Daddys Waffe …

Lass meine Mutter los …

Bitte sehr! …

Ted reißt Mutter herum und schleudert sie gegen mich …

Mutter schaut mich mit entsetzten Augen an …

Der Schuss löst sich …

Lizzie Borden mit dem Beile …

»Ist Ihnen nicht gut, Mrs. Nolan?«, fragt Henry Paley.

»Doch, doch, natürlich«, bringe ich mit Mühe heraus. Meine Zunge fühlt sich taub an, unfähig, die Worte zu bilden. Gedanken an Larry, meinen ersten Ehemann, schwirren mir durch den Kopf, der mich hoch und heilig hatte schwören lassen, keiner Menschenseele je die Wahrheit über mich zu verraten, nicht einmal meinem zukünftigen Ehemann, falls ich noch einmal heiraten sollte. In diesem Augenblick nehme ich Larry übel, mir dieses Versprechen abgerungen zu haben. Er war so verständnisvoll, so einfühlsam gewesen, als ich ihm vor der Hochzeit die ganze Geschichte erzählt hatte, aber am Ende hat auch er mich enttäuscht. Er schämte sich meiner Vergangenheit, er befürchtete, dass sie eine Belastung für die Zukunft unseres Sohnes sein könnte. Diese Befürchtung hat dazu geführt, dass ich jetzt hier stehe.

Die Lüge hat bereits einen Keil zwischen Alex und mich getrieben. Wir spüren es beide. Er redet davon, bald Kinder haben zu wollen, und ich frage mich, was er davon halten würde, wenn er wüsste, dass Little Lizzie Borden ihre Mutter sein würde.

Es ist vierundzwanzig Jahre her, aber solche Erinnerungen verblassen kaum. Wird irgendwer in der Stadt mich wiedererkennen? Vermutlich nicht. Ich war zwar einverstanden, in diese Gegend zu ziehen, aber ich habe mich nicht einverstanden erklärt, in diese Stadt oder gar in dieses Haus zurückzukehren. Ich kann hier nicht wohnen. Ich kann es einfach nicht.

Um Paleys neugierigen Blicken zu entkommen, gehe ich auf den Kamin zu und tue so, als ob ich ihn genauer betrachtete.

»Wunderbare Arbeit, nicht wahr?«, bemerkt Paley. In seiner leicht fistelnden Stimme klingt die professionelle Begeisterung des Immobilienmaklers durch.

»Ja.«

»Das Schlafzimmer ist sehr geräumig, und es besitzt zwei getrennte, edel ausgestattete Badezimmer.« Er öffnet die Tür zum Schlafzimmer und schaut mich erwartungsvoll an. Widerwillig folge ich ihm.

Die Erinnerungen brechen über mich herein. Die Morgen an den Wochenenden in diesem Zimmer. Ich durfte zu Mutter und Daddy ins Bett schlüpfen. Daddy brachte Kaffee für Mutter und heiße Schokolade für mich ans Bett.

Ihr großes Bett mit dem plüschigen Kopfteil ist natürlich nicht mehr da. Die früher in pfirsichfarbenem Ton gehaltenen Wände sind jetzt dunkelgrün gestrichen. Als ich einen Blick aus dem Fenster werfe, sehe ich, dass der Fächerahorn, den Daddy vor langer Zeit gepflanzt hat, inzwischen zu einem üppigen und wunderschönen Baum herangewachsen ist.

Tränen steigen mir in die Augen. Ich möchte am liebsten davonrennen. Wenn es sein muss, werde ich mein Versprechen brechen und Alex die Wahrheit über mich erzählen. Ich bin nicht Celia Foster, geborene Kellogg, die Tochter von Kathleen und Martin Kellogg aus Santa Barbara in Kalifornien. Ich bin Liza Barton, geboren in dieser Stadt und als Kind von einem Richter widerstrebend freigesprochen von der Anklage des Mordes und versuchten Mordes.

»Mom, Mom!« Ich höre die Stimme meines Sohnes und seine Schritte, die auf dem teppichlosen Parkett hallen. Er stürmt ins Zimmer, ein Energiebündel, klein und kräftig und quicklebendig, und mein Herz macht einen Sprung. Nachts schleiche ich mich manchmal in sein Zimmer und lausche auf das Geräusch seiner gleichmäßigen Atemzüge. Er interessiert sich nicht für das, was vor langer Zeit geschehen ist. Es genügt ihm, wenn ich zur Stelle bin, wenn er nach mir ruft.

Er läuft auf mich zu, und ich beuge mich hinunter und fange ihn in meinen Armen auf. Jack hat die hellbraunen Haare und die hohe Stirn von Larry geerbt. Seine wunderschönen blauen Augen sind die meiner Mutter, obwohl Larry auch blaue Augen hatte. Ganz zum Schluss, kurz bevor er das Bewusstsein verlor, hatte Larry geflüstert, er wolle nicht, dass Jack mit den alten Geschichten über mich konfrontiert würde, wenn er auf die Schule käme. Noch heute schmecke ich die Bitterkeit, die mich überkam, als ich mir eingestehen musste, dass sein Vater sich für mich schämte.

Ted Cartwright beteuert, dass seine Frau ihn um Versöhnung gebeten hat …

Ein psychiatrisches Gutachten bestätigt, dass die zehnjährige Liza Barton seelisch reif genug war, um einen vorsätzlichen Mord zu begehen …

Hatte Larry das Recht, mir dieses Schweigen aufzuerlegen? In diesem Augenblick weiß ich es nicht mehr mit Gewissheit. Ich küsse Jack auf den Kopf.

»Ich finde es ganz, ganz toll hier«, erzählt er aufgeregt.

Alex betritt das Schlafzimmer. Er hat diese Überraschung für mich so sorgfältig vorbereitet. Als wir die Auffahrt erreichten, sah ich, dass sie mit Geburtstagsballons geschmückt worden war, die in der Augustbrise hin und her schwankten – alle mit meinem Namen und der Aufschrift »Happy Birthday« versehen. Aber die überbordende Freude, mit der er mir die Schlüssel und die Besitzurkunde für das Haus überreicht hat, ist verschwunden. Er kennt mich zu gut. Er weiß, dass ich mich nicht freue. Er ist enttäuscht und verletzt, und das ist nur zu verständlich.

»Als ich den Leuten im Büro davon erzählt habe, haben einige Frauen eingewendet, egal wie schön das Haus sei, sie selbst würden doch lieber die Möglichkeit haben, bei der Auswahl ein Wörtchen mitzureden«, sagt er ernüchtert.

Und sie haben Recht, denke ich, während ich ihn ansehe, seine rötlich-braunen Haare und seine braunen Augen. Groß gewachsen und breitschultrig strahlt Alex eine Stärke aus, die ihn sehr attraktiv macht. Jack ist ganz verrückt nach ihm. Jetzt windet er sich aus meinen Armen und umklammert Alex’ Bein.

Mein Mann und mein Sohn.

Und mein Haus.

2

DIE IMMOBILIENAGENTUR GROVE befand sich an der East Main Street in Mendham, einer der attraktiveren Gemeinden New Jerseys. Georgette Grove parkte ihren Wagen vor dem Eingang und stieg aus. Es war ungewöhnlich kühl an diesem Augusttag, und die schweren Wolken sahen bedrohlich nach Regen aus. Ihr kurzärmeliges Leinenkostüm war für das Wetter nicht warm genug, und sie lief mit raschen Schritten bis zur Eingangstür.

Georgette war eine gut aussehende, gertenschlanke Frau, zweiundsechzig Jahre alt, mit kurzen, gewellten, stahlgrauen Haaren, braunen Augen und einem markanten Kinn. Im Moment kämpfte sie mit widerstreitenden Gefühlen. Sie war erleichtert, wie glatt der Vertragsabschluss bei dem Haus gelaufen war, dessen Verkauf sie soeben vermittelt hatte. Es ging um eines der kleineren Häuser in der Stadt, sein Preis erreichte gerade eben einen siebenstelligen Betrag, aber obwohl sie sich die Provision mit einem anderen Makler teilen musste, war der Scheck, den sie in der Tasche trug, für sie das reinste Manna. Er verschaffte ihr eine kleine Reserve für die kommenden Monate, bis sie den nächsten Abschluss an Land ziehen könnte.

Bis jetzt war es ein katastrophales Jahr gewesen, dessen einziger Lichtblick der Verkauf des Hauses an der Old Mill Lane an Alex Nolan war. Das hatte ihr ermöglicht, einige überfällige Rechnungen zu begleichen. Sie wäre an diesem Morgen sehr gern dabei gewesen, als Nolan seiner Frau das Haus zeigen wollte. Ich hoffe nur, dass sie Überraschungen mag, dachte Georgette zum hundertsten Mal. Sie machte sich Sorgen, weil seine Idee ganz schön riskant war. Sie hatte versucht, ihn vor dem Haus zu warnen, vor seiner Geschichte, aber Nolan schien das überhaupt nicht zu kümmern. Und er hatte das Haus allein auf seine Frau übertragen lassen. Daher befürchtete Georgette, dass die Nolans, falls es seiner Frau nicht gefiel, den Kaufvertrag für ungültig erklären lassen könnten.

In New Jersey schrieb das Gesetz vor, einen interessierten Käufer ausdrücklich darauf hinzuweisen, wenn es sich bei dem Haus um ein so genanntes stigmatisiertes Objekt handelte, wenn ihm also durch irgendwelche Umstände etwas anhaftete, was auf psychologischer Ebene Widerwillen oder Ängste auslösen könnte. Nachdem manche Leute nicht in einem Haus wohnen wollten, in dem ein Verbrechen verübt worden war oder in dem sich jemand umgebracht hatte, war der Makler gehalten, einen möglichen Käufer auf eine eventuell vorhandene derartige Geschichte aufmerksam zu machen. Laut Gesetz musste der Makler sogar darüber Auskunft geben, wenn es von einem Haus hieß, dass es darin spuke.

Ich habe ja versucht, Alex Nolan darauf hinzuweisen, dass es ein tragisches Ereignis in dem Haus an der Old Mill Lane gegeben hat, dachte Georgette, als sie die Tür zum Empfangsraum ihres Büros öffnete. Aber er hatte sie nicht ausreden lassen und gesagt, seine Familie habe früher ein zweihundert Jahre altes Haus auf Cape Cod gemietet, und ihr würden die Haare zu Berge stehen, wenn sie die Geschichten über einige Menschen, die dort gelebt hätten, hören würde. Aber das hier ist etwas anderes, dachte Georgette. Ich hätte ihm sagen müssen, dass die Leute hier das Haus Little Lizzie’s Place nennen.

Sie fragte sich, ob Nolan wegen der Überraschung nicht doch nervös geworden war. Im letzten Augenblick hatte er sie gebeten, persönlich anwesend zu sein, wenn sie das Haus besichtigen würden, aber Georgette hatte ihren anderen Termin nicht mehr verschieben können. Stattdessen hatte sie Henry Paley vorgeschickt, um die Nolans zu begrüßen und etwaige Fragen von Mrs. Nolan zu beantworten. Henry war von der Idee nicht besonders angetan gewesen. Am Ende hatte sie sich gezwungen gesehen, ihn in etwas schärferem Ton zu ermahnen, nicht nur dort anwesend zu sein, sondern es auch nicht zu versäumen, die vielen Vorzüge des Hauses und des Grundstücks gebührend hervorzuheben.

Auf Nolans Wunsch hin war die Auffahrt mit Ballons geschmückt worden, alle mit der Aufschrift »Happy Birthday, Celia«. Am Vordach über dem Eingang war eine Festdekoration aus Pappmaché angebracht worden, und außerdem hatte er darum gebeten, Champagner, eine Geburtstagstorte, Gläser, Geschirr, Silberbesteck und Geburtstagsservietten bereitzustellen.

Als Georgette auf das Fehlen jeglicher Möbel im Haus hingewiesen und sich erboten hatte, einen Klapptisch und Stühle mitzubringen, war Nolan beinahe ärgerlich geworden. Er war sofort in ein nahe gelegenes Möbelgeschäft gefahren und hatte einen teuren Verandatisch mit Stühlen bestellt und den Verkäufer instruiert, die Sachen im Esszimmer aufzustellen. »Wenn wir einziehen, werden wir sie auf die Terrasse stellen, und wenn sie Celia nicht gefallen, stiften wir sie einem Wohltätigkeitsverein«, hatte er dazu bemerkt.

Fünftausend Dollar für Terrassenmöbel, und er will sie mal eben verschenken, hatte Georgette im Stillen gedacht, aber ihr war klar, dass er es ernst gemeint hatte. Gestern Nachmittag hatte er angerufen und sie gebeten, dafür zu sorgen, dass im Hauptgeschoss in jedem Zimmer ein Dutzend Rosen stünden, auch im großen Schlafzimmer. »Rosen sind Celias Lieblingsblumen«, hatte er erklärt. »Als wir geheiratet haben, habe ich ihr versprochen, dass sie nie ohne Rosen sein würde.«

Er ist reich. Er sieht gut aus. Er ist charmant. Und er ist seiner Ehefrau treu ergeben, dachte Georgette, während sie den Empfangsraum betrat und sich automatisch umblickte, ob vielleicht Kunden warteten. Wenn ich so an die Ehen denke, die ich kenne, dann muss ich sagen, sie hat wirklich das große Los gezogen.

Aber wie wird sie reagieren, wenn sie erst die Geschichte dieses Hauses erfährt?

Georgette versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Sie besaß ein angeborenes Talent zum Verkaufen, daher war sie schnell von den Anfängen als Sekretärin und Teilzeit-Immobilienmaklerin bis zu dem Punkt aufgestiegen, an dem sie ihre eigene Firma gegründet hatte. Auf ihren Empfangsraum war sie besonders stolz. Robin Carpenter, ihre Sekretärin und Rezeptionistin, saß an einem antiken Mahagonischreibtisch rechts vom Eingang. Auf der linken Seite befand sich eine in hellen Farbtönen gehaltene Sitzgruppe, bestehend aus einem Sofa und Sesseln, die um einen Couchtisch gruppiert waren.

Dort pflegten Georgette oder Henry Videokassetten mit Aufnahmen der angebotenen Objekte zu zeigen, während die Kunden an einer Tasse Kaffee nippten, oder auch, am frühen Abend, an einem Glas Wein. Die Aufnahmen waren mit großer Sorgfalt gemacht und zeigten sämtliche Details, sowohl des Innern als auch des Äußeren sowie der näheren Umgebung.

»Es kostet sehr viel Zeit, diese Videobänder herzustellen«, pflegte Georgette ihren Kunden zu erklären, »aber im Endeffekt spare ich sehr viel Zeit, weil ich auf diese Weise Ihre Vorlieben und Abneigungen herausfinde und eine sehr gute Vorstellung davon bekomme, wonach Sie suchen.«

Man muss sie dazu bringen, sich das Haus zu wünschen, bevor sie überhaupt einen Fuß hineingesetzt haben – das war Georgettes Verkaufsstrategie. Zwanzig Jahre lang hatte es funktioniert, aber in den letzten fünf Jahren war es schwieriger geworden, weil immer mehr große Immobilienagenturen in der Gegend eröffnet hatten, deren jung-dynamische Makler sich um jedes zum Verkauf anstehende Objekt rissen.

Außer Robin war niemand im Empfangsraum zu sehen. »Wie ist es gelaufen?«, fragte sie Georgette.

»Alles glatt, dem Himmel sei Dank. Ist Henry zurück?«

»Nein, ich nehme an, dass er immer noch Champagner mit den Nolans trinkt. Ich kann es immer noch nicht fassen. Ein klasse Typ schenkt seiner Frau ein klasse Haus zu ihrem vierunddreißigsten Geburtstag. Ich bin genau im selben Alter. Unglaublich, was diese Frau für ein Glück hat. Wissen Sie zufällig, ob Alex Nolan noch einen Bruder hat?«, seufzte Robin. »Andrerseits – es ist wohl ziemlich unwahrscheinlich, dass es zwei solche Männer auf der Welt gibt«, fügte sie hinzu.

»Wollen wir hoffen, dass Celia Nolan immer noch glücklich und zufrieden ist, wenn sich die Überraschung gelegt hat und sie von der Geschichte dieses Hauses erfährt«, erwiderte Georgette nervös. »Sonst sitzen wir da und haben ein echtes Problem.«

Robin wusste genau, was sie meinte. Sie war klein, zierlich und sehr hübsch, mit einem herzförmigen Gesicht und einer Schwäche für kleinmädchenhafte Kleider, und auf den ersten Blick konnte man meinen, sie sei eine dieser typischen dämlichen Blondinen. Genau das hatte auch Georgette zunächst gedacht, als sie sich vor einem Jahr für den Job beworben hatte. Doch bereits nach den ersten fünf Minuten hatte sie nicht nur ihre Meinung geändert, sondern auch Robin vom Fleck weg eingestellt und ihr Gehalt etwas höher angesetzt als ursprünglich geplant. Mittlerweile stand Robin kurz davor, ihre eigene Lizenz zu erwerben, und Georgette freute sich auf die Aussicht, sie als Maklerin zu beschäftigen. Henry war einfach sein Geld nicht mehr wert.

»Sie haben wirklich versucht, den Mann über die Geschichte des Hauses aufzuklären. Das kann ich bezeugen, Georgette.«

»Wenigstens etwas«, sagte Georgette, die sich anschickte, den Flur hinunter zu ihrem Büro im hinteren Teil des Gebäudes zu gehen. Doch dann wandte sie sich abrupt um und baute sich vor der jüngeren Frau auf. »Ich habe nur ein einziges Mal versucht, mit Alex Nolan über den Hintergrund des Hauses zu sprechen, Robin«, sagte sie mit Nachdruck. »Und das war, als ich allein mit ihm im Auto saß und wir unterwegs waren, um uns das Murray-Haus an der Moselle Road anzusehen. Sie können also gar nicht mitbekommen haben, dass ich die Sache angesprochen habe.«

»Ich bin sicher, dass Sie es irgendwann erwähnt haben, als Alex Nolan hier war«, beharrte Robin.

»Ich habe es ihm gegenüber nur einmal erwähnt, und das war im Auto. Hier im Büro habe ich kein Wort darüber verloren. Robin, Sie tun weder mir noch sich selbst einen Gefallen, wenn Sie einen Kunden belügen«, sagte Georgette scharf. »Bitte, merken Sie sich das.«

Die Eingangstür ging auf. Sie drehten sich beide um und erblickten Henry Paley, der den Empfangsraum betrat. »Und, wie ist es gelaufen?«, fragte Georgette mit einem kaum verhüllten ängstlichen Unterton.

»Ich würde sagen, Mrs. Nolan hat sich die größte Mühe gegeben, so zu tun, als ob sie über die Geburtstagsüberraschung ihres Mannes entzückt sei«, antwortete Paley. »Ich glaube, ihn hat sie überzeugen können. Mich allerdings nicht.«

»Warum nicht?«, erwiderte Robin prompt, bevor Georgette die Frage stellen konnte.

Henry Paleys gesamte Mimik war die eines Mannes, der einen Auftrag erledigt hatte, der in seinen Augen von vornherein zum Scheitern verurteilt war. »Das frage ich mich selbst«, sagte er. »Vielleicht war sie einfach nur überwältigt.« Er blickte zu Georgette. Offensichtlich war er bemüht, nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, er habe ihre Sache schlecht vertreten. »Georgette«, sagte er entschuldigend, »ich schwöre Ihnen, als ich Mrs. Nolan die Wohnräume gezeigt habe, musste ich andauernd an dieses Kind denken, das damals im Wohnzimmer auf seine Mutter und seinen Stiefvater geschossen hat. Ist das nicht merkwürdig?«

»Henry, wir haben dieses Haus in den letzten vierundzwanzig Jahren dreimal verkauft, und Sie waren bei mindestens zwei von diesen Verkäufen beteiligt. Noch nie habe ich von Ihnen etwas Derartiges gehört«, protestierte Georgette verärgert.

»Ich habe auch noch nie dieses komische Gefühl gehabt. Vielleicht kam es durch diese dämlichen Blumen, die ihr Mann bestellt hat. Als ob man in einer Aussegnungshalle wäre, genau derselbe Duft. Als ich heute im Wohnzimmer von Little Lizzie’s Place stand, hat es mich mit voller Wucht getroffen. Und ich habe das Gefühl, dass es Celia Nolan ähnlich ergangen ist.«

Zu spät bemerkte Henry, dass er den verbotenen Namen für das Haus an der Old Mill Lane gebraucht hatte. »Entschuldigung, Georgette«, murmelte er, als er an ihr vorbeiging.

»Sie haben allen Grund dazu«, entgegnete Georgette aufgebracht. »Langsam kann ich mir vorstellen, was für einen Eindruck Sie Mrs. Nolan von dem Haus vermittelt haben.«

»Vielleicht sollten Sie doch noch auf mein Angebot von vorhin zurückkommen, wonach ich bezeugen kann, dass Sie Alex Nolan über alles aufgeklärt haben, Georgette«, schlug Robin vor. In ihrer Stimme lag ein Anflug von Sarkasmus.

3

»ABER CEIL, ES IST doch genau das, was wir vorhatten. Höchstens, dass alles ein bisschen schneller geht. Es passt doch gut, wenn Jack gleich in Mendham in den Kindergarten kommt. Und das letzte halbe Jahr in deiner Wohnung war schon ziemlich eng, und du wolltest auch nicht in meine Wohnung in der Innenstadt umziehen.«

Es war der Tag nach meinem Geburtstag, der Tag, der auf die große Überraschung folgte. Wir saßen beim Frühstück in meiner Wohnung. Vor sechs Jahren hatte ich den Auftrag bekommen, sie für Larry einzurichten, der dann mein erster Ehemann wurde. Jack hatte hastig ein Glas Saft und eine Schüssel Cornflakes verschlungen und war hoffentlich dabei, sich für die Tagesstätte anzuziehen.

Ich glaube, dass ich die ganze Nacht kein Auge zugemacht hatte. Ich hatte wach im Bett gelegen, meine Schulter leicht an Alex geschmiegt, und hatte ins Dunkel gestarrt. Unablässig waren die Erinnerungen aufgetaucht, ohne Ende. Jetzt saß ich am Esstisch, in einen weiß-blauen Morgenmantel aus Leinen gehüllt, die Haare zu einem Knoten geschlungen, nippte an meinem Kaffee und versuchte, ruhig und gelassen zu wirken. Mir gegenüber, wie immer tadellos gekleidet in dunkelblauem Anzug, weißem Hemd und blau-rot gemusterter Krawatte, verschlang Alex seine Scheibe Toast und stürzte seinen Becher Kaffee hinunter, wie er es jeden Morgen tat.

Ich hatte gesagt, ich fände das Haus zwar sehr schön, aber ich wolle es erst völlig neu herrichten lassen, bevor wir dort einziehen könnten, doch dieser Vorschlag war bei Alex auf wenig Gegenliebe gestoßen. »Ceil, ich weiß, es war wahrscheinlich reiner Wahnsinn, das Haus zu kaufen, ohne dich zu fragen, aber es war genau die Art von Haus, die uns beiden vorgeschwebt hat. Mit der Gegend warst du einverstanden. Wir haben von Peapack oder Basking Ridge gesprochen, und Mendham ist nur ein paar Minuten von beiden entfernt. Es ist eine vornehme Stadt, man ist relativ schnell in New York, und abgesehen davon, dass ich sowieso für die Firma nach New Jersey gehe, hat es den zusätzlichen Vorteil, dass ich die Möglichkeit habe, am frühen Morgen auszureiten. Der Central Park ist auf die Dauer einfach nicht das Wahre. Und ich möchte dir unbedingt das Reiten beibringen. Du hast gesagt, dass du gern Unterricht nehmen würdest.«

Ich musterte meinen Mann. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas zugleich Reumütiges und Bittendes. Er hatte Recht. Diese Wohnung war wirklich zu klein für uns drei. Alex hat auf vieles verzichtet, als wir geheiratet haben. In seiner weitläufigen Wohnung in SoHo hatte er ein großes Arbeitszimmer, in dem nicht nur Platz für seine aufwendige Anlage, sondern sogar für einen Flügel gewesen war. Jetzt war der Flügel eingelagert. Alex hat eine natürliche Begabung für Musik, das Klavierspielen war für ihn mehr als nur Zeitvertreib. Ich weiß, dass ihm dieses Vergnügen sehr abgeht. Er hat hart gearbeitet, um all das zu erreichen, was er heute hat. Obwohl er ein entfernter Cousin meines verstorbenen Mannes ist, der aus einer wohlhabenden Familie stammte, gehörte Alex immer zur »armen Verwandtschaft«. Ich weiß, wie stolz er darauf ist, sich dieses neue Haus leisten zu können.

»Du hast doch gesagt, dass du wieder als Innenarchitektin arbeiten willst«, erinnerte mich Alex. »Wenn wir uns erst ein bisschen eingelebt haben, werden sich dafür viele Möglichkeiten ergeben, gerade in einer Stadt wie Mendham. Hier gibt es Geld genug, und es werden viele große Häuser gebaut. Bitte, überleg es dir, Ceil. Lass es uns einfach versuchen, mir zuliebe. Du hast ein Angebot von deinen Nachbarn, die diese Wohnung zu einem profitablen Preis übernehmen würden. Das weißt du.«

Er ging um den Tisch und umarmte mich. »Bitte.«

Ich hatte nicht gehört, dass Jack eingetreten war. »Ich mag das Haus auch, Mom«, stimmte er mit ein. »Alex will mir ein Pony kaufen, wenn wir dort einziehen.«

Ich blickte auf meinen Mann und auf meinen Sohn. »Sieht so aus, als ob wir demnächst umziehen«, sagte ich und versuchte zu lächeln. Alex braucht dringend mehr Platz, dachte ich. Er ist begeistert von der Aussicht, in der Nähe des Reitclubs zu wohnen. Später werde ich immer noch ein anderes Haus in einer der anderen Ortschaften finden können. Es wird nicht so schwierig sein, ihn dazu zu bringen, noch einmal umzuziehen. Schließlich hat er zugegeben, dass es ein Fehler gewesen war, das Haus ohne meine Einwilligung zu kaufen.

Knapp einen Monat später fuhren die Umzugslaster von der Fifth Avenue Nr. 895 los und bewegten sich auf den Lincoln Tunnel zu. Ihr Ziel war die Old Mill Lane Nr. 1, Mendham, New Jersey.

4

DIE AUGEN VOR NEUGIER aufgerissen, stand die vierundfünfzigjährige Marcella Williams an ihrem Wohnzimmerfenster und beobachtete, wie der große Umzugslaster langsam an ihrem Haus vorbeikroch. Vor zwanzig Minuten hatte sie Georgette Groves silberfarbenen BMW den Hügel heraufkommen sehen. Georgette war die Maklerin, die das Haus verkauft hatte. Marcella war sicher, dass der Mercedes, der kurze Zeit später auftauchte, ihren neuen Nachbarn gehörte. Sie hatte gehört, dass sie sofort einziehen wollten, weil ihr vierjähriger Sohn in den Kindergarten kommen sollte. Sie war gespannt, wie sie wohl sein würden.

Bis jetzt waren die Leute nie allzu lange in dem Haus geblieben, ging ihr durch den Kopf, und das war auch kein Wunder. Keiner hat es gern, wenn sein Haus allgemein unter dem Namen Little Lizzie’s Place bekannt ist. Jane Salzman ist die erste Käuferin gewesen, als es nach der furchtbaren Geschichte mit Liza Barton verkauft wurde. Jane hat es damals zu einem sagenhaft günstigen Preis bekommen. Sie hat immer behauptet, in dem Haus herrsche eine gruselige Stimmung, aber sie hat sich ja auch viel mit Parapsychologie beschäftigt, die von Marcella als blühender Unsinn betrachtet wurde. Aber keine Frage, die Tatsache, dass das Haus immer nur Little Lizzie’s Place genannt wurde, ging auf die Dauer allen Bewohnern auf die Nerven, und der Halloween-Streich im vergangenen Jahr hat auch den letzten Besitzern, Mark und Louise Harriman, den Rest gegeben. Louise ist richtig ausgerastet, als sie die Schrift auf ihrem Rasen und die lebensgroße Puppe mit der Pistole in der Hand unter ihrem Vordach entdeckt hat. Sie und Mark wollten sowieso im nächsten Jahr nach Florida umziehen, daher haben sie einfach den Termin vorgezogen. Im Februar sind sie ausgezogen, und seitdem steht das Haus leer.

Diese Gedanken führten Marcella zu der Frage, was wohl aus Liza Barton geworden war. Marcella hatte schon dort gewohnt, als sich die Tragödie ereignete, und sie konnte sich noch gut an die zehnjährige Liza mit ihren blonden Locken, dem runden Puppengesicht und ihrer ruhigen, frühreifen Art erinnern. Ganz sicher war sie ein kluges Kind, entsann sich Marcella, aber die Art, wie sie die Leute mit prüfendem Blick anschaute, auch die Erwachsenen, war schon ungewöhnlich. Eigentlich habe ich es ganz gern, wenn Kinder sich auch wie Kinder benehmen. Ich habe mir große Mühe gegeben, nach dem Tod von Will Barton besonders nett zu Audrey und Liza zu sein. Und ich habe mich gefreut, als Audrey und Ted Cartwright geheiratet haben. Ich sagte damals zu Liza, dass es doch aufregend für sie sein müsse, einen neuen Vater zu bekommen, und ich werde nie vergessen, wie mich die kleine Göre daraufhin anblickte und sagte: »Ich habe keinen neuen Vater bekommen. Meine Mutter hat einen neuen Ehemann, das ist alles.«

Das habe ich alles vor Gericht erzählt, erinnerte sich Marcella mit einiger Befriedigung. Und ich habe ihnen auch erzählt, dass ich dabei gewesen bin, als Ted den ganzen persönlichen Kram aus Will Bartons Arbeitszimmer in Kartons geräumt und in die Garage gestellt hat. Liza hat ihn angebrüllt und die ganze Zeit versucht, die Kartons in ihr Zimmer zu schleppen. Sie hat sich nicht die geringste Mühe gegeben, auf Ted zuzugehen. Sie hat es ihrer Mutter so schwer gemacht. Und es war klar, dass Audrey verrückt nach Ted war.

Zumindest am Anfang war sie verrückt nach ihm, dachte Marcella, sich in Gedanken korrigierend, während sie beobachtete, wie ein zweiter Laster den Hügel heraufgefahren kam. Wer weiß schon, was sich da alles abgespielt hat. Jedenfalls hat Audrey der Ehe nicht viel Zeit gelassen, sich zu entwickeln, und dieses richterliche Kontaktverbot, das sie gegen Ted erwirkt hat, war absolut unnötig. Ich habe Ted geglaubt, als er unter Eid ausgesagt hat, Audrey habe ihn an jenem Abend angerufen und gebeten, zu ihr zu kommen.

Ted ist immer so dankbar für meine Unterstützung gewesen, erinnerte sich Marcella. Meine Aussage hat ihm eine Menge genützt bei der Klage, die er gegen Liza eingereicht hat. Und ich finde, dass der arme Kerl ein Schmerzensgeld verdient gehabt hätte. Es ist ziemlich unangenehm, sich mit einem zerschmetterten Knie durchs Leben zu schlagen. Er hinkt immer noch. Es ist überhaupt ein Wunder, dass er an jenem Abend nicht getötet wurde.

Als Ted nach der Schießerei aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war er ein paar Städte weiter nach Bernardsville gezogen. Mittlerweile gehörte er zu den größeren Bauunternehmern in New Jersey, das Logo seiner Firma war häufig auf Schildern in neuen Einkaufszentren oder an den Landstraßen zu sehen. In jüngster Zeit hatte er sich darauf verlegt, auf die grassierende Fitnesswelle aufzuspringen und im ganzen Staat neue Studios zu eröffnen; außerdem baute er Anlagen mit Eigentumswohnungen in Madison.

Im Lauf der Jahre waren sich Marcella und er bei verschiedenen Gelegenheiten über den Weg gelaufen. Das letzte Mal war gerade erst einen Monat her. Ted hatte nie wieder geheiratet, aber er hatte eine ganze Reihe von Freundinnen verschlissen, und wie man hörte, war die letzte Beziehung erst vor kurzem auseinander gebrochen. Er hat immer behauptet, Audrey sei die Liebe seines Lebens gewesen und er sei nie über diesen Verlust hinweggekommen. Aber er sah noch verdammt gut aus, und er hatte beim letzten Mal sogar gemeint, sie könnten sich doch irgendwann treffen. Vielleicht interessiert es ihn, dass neue Leute in das Haus einziehen.

Marcella gestand sich ein, dass sie seit ihrer letzten zufälligen Begegnung mit Ted nach einem Vorwand gesucht hatte, um ihn anzurufen. Beim letzten Halloween, als irgendwelche Jugendliche mit weißer Farbe VORSICHT! LITTLE LIZZIE’S PLACE auf den Rasen geschmiert haben, wurde Ted von den Zeitungen gebeten, einen Kommentar dazu abzugeben.

Ich frage mich, ob diese Bengel auch dem neuen Eigentümer so einen Streich spielen werden. Jedenfalls ist sicher, dass sich die Zeitungen wieder an Ted wenden würden, falls es noch mal einen Unfug in dieser Art gäbe. Vielleicht sollte ich ihm Bescheid sagen, dass das Haus den Besitzer gewechselt hat.

Zufrieden, dass sie einen Vorwand gefunden hatte, Ted Cartwright anzurufen, ging Marcella zum Telefon. Sie durchquerte ihr großräumiges Wohnzimmer und lächelte kurz und zustimmend ihrem Ebenbild im Spiegel zu. Ihrem wohlgeformten Körper sah man das tägliche Pflichtprogramm an Fitnessübungen an. Ihre starre blonde Haarmähne rahmte ein weich gezeichnetes Gesicht, gestrafft von mehreren kürzlich durchgeführten Botox-Behandlungen. Sie war sich bewusst, dass der neue Lidstrich und die Wimperntusche ihre braunen Augen vorteilhaft betonten.

Von Victor Williams, dem Ehemann, von dem sie vor zehn Jahren geschieden wurde, stammte ein hämischer Ausspruch, der überall zitiert wurde, demzufolge Marcella mit offenen Augen und dem Telefonhörer am Ohr schlafe, weil sie Angst habe, sie könne verpassen, wenn wieder einmal jemand in den Schmutz gezogen werde.

Marcella rief die Auskunft an und erhielt die Nummer von Ted Cartwrights Büro. Nach den nervtötenden Anweisungen, für diese Funktion die Eins, für jene die Zwei und für eine weitere die Drei zu wählen, gelangte sie schließlich an seinen Anrufbeantworter. Er hat wirklich eine sympathische Stimme, dachte sie, während sie seinem aufgezeichneten Spruch lauschte.

Dann sagte sie mit deutlich kokettem Einschlag in der Stimme: »Ted, Marcella Williams am Apparat. Vielleicht interessiert es Sie ja zu erfahren, dass Ihr früheres Haus wieder den Besitzer gewechselt hat und dass die neuen Eigentümer heute einziehen. Gerade eben sind zwei Möbelwagen an meinem Haus vorbeigefahren.«

Das Geräusch einer Polizeisirene unterbrach sie. Nur wenige Augenblicke später sah sie, wie ein Streifenwagen an ihrem Fenster vorbeibrauste. Oh, da drüben scheint es bereits ein Problem zu geben, dachte sie mit einem wohligen Schaudern. »Ted, ich rufe später noch mal an«, sagte sie atemlos. »Die Polizei ist gerade zu Ihrem alten Haus unterwegs. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.«