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Volker Surmann (Hrsg.)

MACHT SEX SPASS?

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Volker Surmann

1. Auflage November 2012

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2012

Cover: Markus Freise

E-Book-Ausgabe

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

ISBN: 978-3-944035-02-4

Inhalt

I. Sex – Kann ich das auch kriegen?

Martina Brandl: Ja, oh, oh, ja, ja ja!

Kersten Flenter: Zwei Malerinnen

Xóchil A. Schütz: Wie ich das Deckelchen geworden bin

Christian Ritter: Romeo must live

Sven Stickling: Die Ursel von der Venus

Micha-El Goehre: Auf der Suche nach Mr. Wrong

Sacha Brohm: Du willst also eine Nacht mit mir verbringen. Ein Ratgeber

II. … und wie fängt das an?

Jacinta Nandi: Die Aufklärung

Martin »Gotti« Gottschild: Mein erster Kuss

Dan Richter: Maria Peres

Ahne: Im langsamen Jahr

Benjamin Bäder: Möglicherweise ganz normaler Sex

Jess Jochimsen: Sex an der B 12

Volker Surmann: 39 Sekunden. Oder: Der blaue Junge

Georg Weisfeld: Das Jubiläum

III. Wie ist das dann so?

Sabrina Schauer: Toyboy

Peter Parkster: Stalingrad

Petra Brumshagen: Die Borowski

Paul Bokowski: Der Schwabe

Birgit Süß: Und dann gab es da Jean Pierre

Alexander Bach: Ficken wie ein Weltmeister

Volker Surmann: Sex zu ungewöhnlichen Temperaturen

IV. Ist das nicht ganz schön kompliziert?

Joey Juschka: Auf Bestellung

Mischa-Sarim Vérollet: Menschen, die Mitesser ausdrücken wollen. Bei mir.

Kathrin Passig: Alles halb so wild

Joachim Zawischa: Verkaufsoffener Sonntag

Karsten Lampe: Mein Penis

Volker Surmann: Unerwartetes Bekenntnis eines langweiligen Mannes

Kali Drische: LBD

Sarah Bosetti: Er und Sie

V. … und wenn jemand was mitkriegt?

Tilman Birr: Ich höre fickende Menschen

Thilo Bock: Es liegt was in der Luft

Andreas Weber: Action Andy und das Geheimnis der schreienden Katzenbabys

Isabella Renitente: Beim nächsten Mann wird alles anders

Heiko Werning: Zelten an der Müritz

Gerlis Zillgens: Nach(t)bar

VI. Brauche ich dazu etwa Fantasie?

Sebastian Lehmann: Freud

Jan Gympel: Zeit bis halb sechs

Sascha Delitzscher: Das Kuschelsex-Syndrom

Lea Streisand: Romanmädchen

Felix Jentsch: Der Arbeitsplatz

VII. Wozu ist Sex denn sonst noch gut?

Michael Jakob: Die K-Frage

Nico Walser: Intim mit dem Yoga-Mann

Robert Rescue: Ein Akt der Freundschaft

Andy Strauß: Streiten und Zeugen

Björn Högsdal: Quickies

Die Autorinnen & Autoren/bibliografische Notizen

Vorwort

Liebe ist die Antwort, aber während man auf sie wartet,

stellt der Sex ein paar ganz gute Fragen. (Woody Allen)

Liebe Leserin, lieber Leser!

Sex. Nur drei Buchstaben, die es im Scrabble auf runde zehn Punkte bringen, doch verbergen sich hinter ihnen große Fragen, die die Menschheit umtreiben, antreiben, manchmal auch vertreiben. Beim Sex geht es also immer irgendwie ums »Treiben«. Das können wir schon mal festhalten.

Vor vielen Jahren erfuhr ich selbst von diesem Sex und stellte mir die Fragen, die Sie vielleicht auch gerade bewegen, die wohl jeden Erdenbürger mal beschäftigen: Sex – Was ist das? Was soll das? Kann ich das auch kriegen? Und was habe ich dann davon?

Einige dieser Fragen beantwortet man sich in der Pubertät selbst durch unwürdige Experimente am lebenden Objekt. Andere Fragen überfallen einen in den ungünstigsten Momenten: Da lernt man gerade schnaufenderweise Schlafzimmerdecke, Kopfkissenbezug, Badematte oder das schwitzige Gesicht des Partners auswendig, und plötzlich öffnet sich ein Pop-up-Fenster der freiwilligen Selbstkontrolle und fragt: »Haben Sie eigentlich gerade Spaß? – Ja, nein, vielleicht, weiß nicht, oder wollen Sie die Anwendung beenden?«

Dieses Buch ist ein Aufklärungsbuch. Vierundvierzig Autorinnen und Autoren gehen der verbreiteten Auffassung nach, dass Sex Spaß mache. Anhand von sieben einfachen Fragestellungen werden Sie von ihnen an die Hand genommen und locker, unverkrampft und gelegentlich ein bisschen augenzwinkernd durch die Tücken menschlicher Sexualkontakte geleitet. Nach jedem Beitrag können Sie ankreuzen, welche Antwort auf die Grundfrage Sie favorisieren. Geben Sie jedem »Ja« drei Punkte, jedem »Nein« null Punkte, jedem »Vielleicht« zwei Punkte und jedem »Weiß nicht« einen Punkt und nutzen Sie nach der Lektüre diese kleine Auswertungshilfe:

Kategorie 1: 161 bis 180 Punkte: Sie haben keine Probleme. Sex macht Ihnen Spaß. Egal, was kommt, solange Sie kommen, und das tun Sie immer. Wahrscheinlich haben Sie bevorzugt Sex mit Pflanzen und/oder unbelebten Gegenständen.

Kategorie 2: 71 bis 160 Punkte: Sie haben eine gesunde Einstellung zum Sex. Meistens macht er Ihnen Spaß, manchmal auch nicht, und oft wissen Sie es nicht so genau, fühlen sich aber trotzdem hinterher besser. Sie sind die Zielgruppe dieses Buches, deswegen ist diese Kategorie auch unverhältnismäßig groß.

Kategorie 3: 21 bis 70 Punkte: Ihre Einstellung ist auch gesund, aber wahrscheinlich hat Ihnen das Buch nicht so gut gefallen wie Kategorie-2-Leser/-innen. Legen Sie es lieber weg und machen sich bewusst: In der Zeit, in der Sie eine negative Amazon-Rezension verfassen, könnten Sie ebenso gut umwerfenden Sex haben.

Kategorie 4: 0 bis 20 Punkte: Sie haben keinen Sex. Vielleicht bist du minderjährig, dann hättest du dieses Buch besser nie gelesen. Wenn Sie nicht minderjährig sind, kontrollieren Sie bitte, ob Sie dieses Buch wirklich gelesen haben. Wenn ja, rechnen Sie bitte noch einmal nach. Üben Sie Plus-Rechnen. Bleibt Ihr Ergebnis so, leben Sie wahrscheinlich mit einem Menschen der Kategorie 1 zusammen. Dann kaufen Sie ihm lieber einen unbelebten Gegenstand und verlassen ihn. Es wird ihm nicht auffallen.

Sie sehen: Dieses Buch ist pure Lebenshilfe! Danken Sie daher mit mir allen Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge sowie Jan Freunscht für seine wertvolle Hilfe bei Auswahl und Lektorat.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre und beim Sex immer runde zehn Punkte!

Volker Surmann
Berlin, Oktober 2012

I.
SEX – Kann ich das auch kriegen?

Martina Brandl

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Ja, oh, oh, ja, ja ja!

Es muss einmal mit dem Mythos aufgeräumt werden, dass Männer triebgesteuerte Wesen sind, die Tag und Nacht auf Gelegenheiten warten loszuvögeln. Den Ständer immer im Anschlag. Da kommt es mir gerade recht, dass ich endlich eine Anfrage bekomme, darüber etwas zu schreiben. Zwar lautet die Frage »Macht Sex Spaß?« und nicht »Bekommt die Autorin genug davon?«, aber Geduld, Geduld. Wir sind erst beim Vorspiel. Und auch gleich beim Sexverhinderer Nummer 1: Billige, anzügliche Anspielungen. Wirkt abschlaffend. Man sollte gar nicht über Sex reden. Je mehr man drüber redet, desto weniger hat man. Ich weiß, dass das kein grammatikalisch vollständiger Satz ist, aber mein Hirn arbeitet auch nicht vollständig. Große Teile davon sind rund um die Uhr mit Gedanken an Sex beschäftigt. Ich habe ein Männerhirn. Frauen muss man überreden. Männer sind bereit. Selbst wenn sie gerade dabei sind, ein Heilmittel gegen Krebs zu erfinden, werden sie sich ohne Umstände den weißen Laborkittel vom Leib reißen, wenn frau sich nackt auf ihr Mikroskop setzt. Weil sie nicht mehr klar denken können, sobald man ihnen einen Satz Brüste unter die Nase hält. Soweit die Zerrbilder der Traumfabrik und immer wieder öffentlich festgezurrten Klischees.

Meine Wirklichkeit sieht anders aus: Ich habe mein Dekolleté schon bei verschiedenen Gelegenheiten angeboten wie Schnittchen auf einer Vernissage. Nie hat einer der so angebaggerten Männer daraufhin gesagt: »Oh, was für schöne Brüste, darf ich die mal anfassen?«, sondern meistens: »Tut mir leid, aber ich musste einfach hingucken.« Und wenn man daraufhin ein anzügliches Lächeln aufsetzt und antwortet: »Das ist der Sinn der Sache!«, reiben sie sich nicht etwa die Hände und sagen lustvoll: »Na, was treiben wir dann noch hier?« Nein. Sowas tun Männer nur im Kino. Im wirklichen Leben werden sie verlegen, lächeln und wechseln das Thema. Nun denkt der gewitzte Leser vielleicht: »Die Alte hat bestimmt Schrumpeltitten, oder sie treibt sich auf den falschen Vernissagen rum.« Aber das stimmt nicht. Meine Titten sind stramm, formschön, neigen sich für mein Alter noch nicht zu weit Richtung Südpol und haben eine gute, handliche Größe: keine Erbsen, aber auch keine Melonen. Sie passen genau in eine mittelgroße Männerhand. Die linke ist etwas größer als die rechte. Es ist also für jeden etwas dabei. Was die Vernissagen angeht, so gebe ich zu, dass die steife Atmosphäre bei solchen Steh-Events nicht gerade aphrodisierend wirkt, aber ich habe dasselbe auch schon in Cocktailbars, auf Tanzflächen, am Sandstrand, in der Hotellobby, in der Wachholderheide und mit unterschiedlichen Körperteilen versucht.

Ich glaube, es liegt nicht an mir. Vielleicht war ich einfach nicht zur richtigen Zeit am richtigen Mann. Männer wollen nicht immer und überall. Manche wollen morgens, manche nur im Dunkeln. Und manche nicht mal zu Hause.

Das ist in Ordnung. Man soll mir nur nicht dauernd erzählen, es wäre anders. Sonst fange ich an, an meinen Titten zu zweifeln, und das sollte eine Frau niemals tun. Das lässt die Dinger nämlich schrumpfen und hinterlässt einen grauen Teint auf den ehemals rosigen Wangen. Deshalb mein Aufruf an die Leser dieser Zeilen: Wenn euch etwas gefällt, nicht nur den Daumen auf Facebook anklicken, sondern ruhig mal den Mund aufmachen: »Ich finde es schön, dass Sie mir jeden Morgen mit einem Lächeln die Brötchentüte über den Ladentisch reichen, und ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag!« oder »Ich mag das, hör nicht auf, mach weiter, ja, ja, oh ja!« oder eben auch mal »Übrigens, wenn ich das sagen darf, gnä’ Frau: Das ist ein wunderschönes Dekolleté, das Sie da haben!«.

Wenn jemand einen Schweinsbraten und dampfende Knödel vor mir auf den Tisch stellt, sage ich doch auch: »Hmm … das sieht ja lecker aus!« Auch wenn man gar keinen Hunger hat und es nur aus Höflichkeit geschieht. Manchmal kommt dann der Appetit beim Essen. Leider kann ein Mann jahrelang auf Sex verzichten, aber nicht aufs Essen. Daher habe ich schon überlegt, ob ich eine Art Übersprunghandlung provozieren kann, wenn ich mich zur nächsten Vernissage vorher mit Hähnchenfett einreibe. Um die eingangs gestellte Frage »Macht Sex Spaß?« zu beantworten, möchte ich noch hinzufügen: »Ja, aber bis man dahin kommt, ist es ein langer, fettiger Weg«. Oder vielmehr, um ehrlich zu sein: »Ich weiß es nicht«.

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Kersten Flenter

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Zwei Malerinnen

Es war Freitagnachmittag, ich saß am Rechner, tippte die Besprechung eines Romans und telefonierte nebenbei mit Sonja aus Leverkusen, als die E-Mail von Daniela aus Leipzig eintraf, die sich spontan für den morgigen Samstag ankündigte, um zwei Nächte bei mir zu schlafen. Das brachte mich in gewisse Schwierigkeiten, da ich am Sonntag zum ersten Mal seit sieben Wochen wieder Besuch von Stella aus Hamburg erwartete, die sich zwischenzeitig von mir getrennt hatte, da ich nicht so richtig von Ina aus Hannover lassen konnte, die ja immerhin noch meine Ehefrau war. Was würde Vanessa dazu sagen, die auf ihrem Weg von Berlin nach Ludwigshafen am Samstag ebenfalls bei mir zwischenstoppen wollte? Ich fühlte, es war Zeit, gewisse Entscheidungen nicht weiter hinauszuzögern. Also schaltete ich den Rechner aus, das Handy ab, zog den Telefonstecker aus der Wand und ging zu meinem Termin mit den beiden verrückten Malerinnen.

Die beiden verrückten Malerinnen waren professionelle Autodidaktinnen mit festen Halbtagsjobs, alleinerziehende Mütter und im besten Alter – undefinierbar. Beide waren redefreudig. Der Rest war unterschiedlich. Helen war nach Maßstäben bundesdeutscher Tageszeitungen, die für unter einem Euro zu erwerben sind, blonder, Agneta war nach meinen Maßstäben verrückter. Aber ich war nicht wegen meines Maßstabes hier.

Die beiden Malerinnen hatten mein Klaus-Kinski-Rezitationsprogramm besucht und mich spontan eingeladen, ihr Atelier zu besichtigen, in dem sie großformatige Ölgemälde zu Filmen von Kinski ausstellten, und sie gaben vor, die Chancen auf einen gemeinsamen Event mit Malerei und Literatur ausloten zu wollen.

»Prosecco?«, fragte Helen und stieß zufällig mit der Flasche auf ein Buch vor ihr auf dem Tisch. »Oh, kennst du das hier übrigens? Eine erotische Anthologie. Ups, da vorn ist ja noch meine Wichsvorlage drin.« Sie zeigte mir ein Foto von Robbie Williams mit freiem Oberkörper und lächelte süffisant. »Möchtest du mal unser Atelier sehen?«

»Ich dachte, ich wär gerade mittendrin?«

»Da gibt es noch ein paar Nebenräume«, erklärte Agneta. Die gab es.

»Und das hier ist unser kleiner Raum für dies und das«, zwinkerte mir Helen zu. Ich sah die Gänsefüßchen deutlich durch das Zimmer schweben. Der kleine Raum für dies und das beherbergte ein rotes Sofa und einen wandgroßen Spiegel. Agneta öffnete eine neue Flasche Prosecco. Ich ließ sie nachschenken. »Wie heißt das Bild hier?«, lenkte ich ab und deutete auf ein Acrylgemälde an der Wand. Es zeigte einen Mann, der irgendwie Til Schweiger erahnen ließ und mit dem Rücken zum Betrachter, nur mit einer Schürze bekleidet, an einer Spüle stand. »Eros und Küche«, sagte Helen. »Interessant«, log ich. Da lag etwas Unaussprechliches in der Luft, ich fühlte es deutlich in meinen nicht mehr ganz so robusten Lenden.

»Ich führ dann mal den Hund aus«, sagte Helen und ging mit dem Dalmatiner hinaus.

»Jetzt kannst du dich ausziehen«, erklärte mir Agneta, und ich zog mich aus. Während ich die FDP-Retroshorts und die Socken mit der blauen Elise drauf abstreifte, überdachte ich mein Frauenbild.

Ich war einundvierzig Jahre alt, konnte mir also hemmungslos eine ausgewachsene Mittlebenskrise zugestehen. Trotzdem gab ich mich vor neuen Bekanntschaften meistens für neununddreißig aus und gestand ihnen Minuten, Stunden, manchmal auch Wochen zu, um mich schön zu trinken. Die Frauen freilich, die mehrere Wochen dazu benötigten, trafen mich in der Regel in Phasen an, in denen ich selbst mindestens genauso lange durchgehend betrunken war, und entsprechend ausgeprägt niederschmetternd war in der Ernüchterung mein Unterscheidungsvermögen im Hinblick auf Liebe und Sex, schlechte Liebe und guten Sex oder gute Liebe und schlechten Sex zu beobachten. Wenn Sie den letzten Satz nicht verstanden haben, trösten Sie sich – Sie sind nicht allein.

Mittlerweile hatte mich Agneta unter Zuhilfenahme allerlei zufälliger Berührungen in die richtige Position gebracht, um ihr Modell zu stehen. Ich sah sie an und merkte, dass ich hier nicht beim Hausarzt war. »Wenn du dich unwohl fühlst, kann ich mich beim Malen auch ausziehen«, schlug Agneta vor. »Alles okay«, antwortete ich selbstbewusst, und um die unvermeidliche Erektion zu vermeiden, stellte ich mir das Schlafzimmer von Ronald Pofalla vor. Gleichzeitig beschloss ich, dass, wenn die Vorstellung von Ronald Pofallas Schlafzimmer nicht ausreichen sollte, ich mich sofort fragen würde, warum ich überhaupt auf die Idee gekommen war, mir Ronald Pofallas Schlafzimmer vorzustellen. Heiland, was war ich reflektiert. An eine Erektion war überhaupt nicht mehr zu denken, und das war auch gut so.

Agneta erwies sich während des Aktes als sehr professionell. Sie erklärte mir zwischen großflächig gezogenen Pinselstrichen, dass sie meine Nervosität gut kenne. Seit ihrem ersten gemeinsamen Kunstprojekt, der Modulation von Gipspimmeln, seien die beiden Malerinnen mit den mechanischen Komplikationen der männlichen Geschlechtsorgane durchaus vertraut, ich solle mir keine Sorgen machen. Schließlich sei das Ergebnis, das wisse ich doch sicher aus der Literatur, reine Fiktion, und auch Zwerge könnten, wie schon Karl Kraus absonderte, beim richtigen Stand der Sonne lange Schatten werfen. Die Kenntnis von Licht und Schatten, behauptete ich schlagfertig, sei für die Produktion von Kunst, egal in welcher Disziplin, unerlässlich, und manchmal strebten halt auch Zwerge nach der Sonne.

Agneta schaute von der Leinwand auf und kam mit ausgestrecktem Pinsel auf mich zu. Mir wurde bange. Ihr Blick verfinsterte sich. »Metaphern, mein lieber Freund«, sagte sie, »sind hier völlig fehl am Platze. Um Fiktion zu produzieren, brauche ich Authentizität!«

»Häh?!«, machte ich.

»Lass einfach los. Lass es geschehen! Benimm dich, als wäre dies ein ganz normaler Abend. Stell dir vor, du sitzt zu Hause vor dem Fernseher.«

»Das wäre aber nicht normal«, sagte ich.

»Dann stell dir eben etwas anderes vor.«

»Ronald Pofalla!!!«, schrie ich. In dem Moment kam Helen mit dem Dalmatiner herein. Agneta ergriff meinen Schwanz. »Sorry, ein Reflex«, entschuldigte sie sich.

»Kommt ihr voran?«, fragte Helen, als sie dem Hund den Napf gefüllt hatte und auf uns zukam. »Er ist ein wenig träge an Verstand, aber süß«, sagte Agneta. Ich fühlte mich benutzt.

»Ich glaube, ihr wollt nur vögeln«, schmollte ich.

»Falsch«, sagte Helen. »Wir wollen einfach ganz lustig und schmutzig ficken.«

»Warum habt ihr das nicht gleich gesagt?«, wunderte ich mich.

»Zieh dich an!«, befahl Helen.

»Wieso?«, entfuhr es Agneta mit kieksiger Stimme.

»Weil er sonst nichts zum Ausziehen hat. Ich möchte subtil erregt und verführt werden.«

»Helen, er ist ein Mann. Erwarte keine romantisch-erotischen Verrenkungen von ihm«, seufzte Agneta.

»Ich erwarte gar nichts außer einer kompletten Unterwerfung seinerseits unter meine Gelüste. Er ist zu unserem, nicht zu seinem Vergnügen hier.«

»Glaub ich dir nicht«, konterte Helen. »Du willst nicht im Ernst einen, der tut, was du willst.«

»Was meinst du, wozu ich mir den Dalmatiner angeschafft hab?«

Während die beiden weiter diskutierten, ging ich hinüber zum Til-Schweiger-Gemälde. Ich fühlte mich gleichzeitig benutzt und ausgeschlossen. Intensiv betrachtete ich die Küchenszene auf dem Bild. Angesichts der Schürze überkam mich eine leichte Demut. Sicher war der frühe Verlust meiner Mutter in der Kindheit die tiefere Ursache meiner neuen Unübersichtlichkeit in sexuellen Ausschweifungen. War es Zeit, sich umzuorientieren? Frauen waren wirklich schwierig. Das hatte mir schon mein Vater gesagt, damals am Lagerfeuer, über dem wir eine Dose Bohnen erhitzten, während meine Mutter sich mit den Stangen und Planen unseres Familienzeltes abplagte. Das ist lange her, aber ich erinnere mich noch gut an die Zeit, die guten alten Siebzigerjahre, als Ingrid Steeger die erotischste Frau der Welt war und Malerei sich auf das Abbild eines kleinen, unschuldigen Sees inmitten eines Tannenwaldes, selbstverständlich in einem Rahmen aus Nussbaumholz, beschränkte. Ich bin mir sicher, dass meine Eltern niemals Sex hatten, bis auf dieses eine, verdammte Mal.

»Ich finde, das Bild braucht einen Rahmen«, sagte ich. Daraufhin warfen mich die beiden Malerinnen raus. »Typisch Mann!«, rief mir Helen hinterher.

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Xóchil A. Schütz

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Wie ich das Deckelchen geworden bin

Man sagt ja so: Auf jedes Töpfchen passt ein Deckelchen. Ich will das Deckelchen sein. Aber weil man das eben so sagt, glaube ich auch, dass ich zum Heiraten geboren bin. Und zwar so schnell wie möglich.

Gestern war ich mit einem Freund in einer Kneipe. Da saßen drei Frauen und haben rumgegackert, um alle Männer im Raum auf sich aufmerksam zu machen. Das hat geklappt. Also setze ich mich nun in dieselbe Kneipe. Irgendwie bloß alleine. Meine Freundinnen finden das Konzept nicht so gut oder wollen gar nicht heiraten. Ich sitze an der Bar, vor meinem dritten Mojito, und hab noch nicht angefangen. Ich muss endlich testen, wie sich das anhört, wenn ich gackere.

Mist. Es klingt nicht wie ein junges Hühnchen. Eher wie ein Freilandhuhn, das Nitrofen gegessen hat. Ich fange an, schrill zu lachen. Alle gucken. Super! Das läuft doch gut an hier. Hm, aber die meisten Männer haben etwas Eigenartiges in ihrem Blick. – Wahrscheinlich gucken Männer so, wenn sie gerade ganz heiß werden. Ja, das muss es sein. Claudi hat mir auch erzählt, dass Theo sie auf eine besondere Art angucke, also bevor die beiden halt … – Ich gackere noch einmal fröhlich und bestelle einen doppelten Wodka. Wodka macht mich irgendwie selig, und das ist himmlisch.

Ja, jetzt bin ich so ganz himmlisch verführerisch. Jetzt werde ich mal ein bisschen auf die Theke gucken, so als wär’n die mir alle egal.

Ich glaube, es kommt grad keiner her, weil sie sich nicht einigen können, wer darf. Die haben bestimmt Angst vor einer Schlägerei. Pah! Sowas sind doch Weicheier! – Ach nee, die wissen, dass jetzt Damenwahl ist. Die Emanzipation hat also echt funktioniert.

Ich schau jetzt mal wieder hoch. Welchen soll ich denn nehmen? Irgendwie haben die alle verschwommene Gesichter. Also sie schwanken irgendwie alle hin und her. Na, die werden zu viel getrunken haben. Das kann ich dem Prinzen, den ich mit nach Hause nehme, ja abgewöhnen. Ich glaub, ich nehm den gleich neben mir. Der sieht irgendwie noch am klarsten aus. Ich proste dem mal zu und schau dem tief in die Augen.

»Na, kleiner Prinz, soll ich dich heut Nacht bekrönen?«

Also wenn ich nicht wüsste, dass der so guckt, weil er grade ganz heiß auf mich ist – ich würd ja denken, er sieht angewidert aus. Komisch, was sich der liebe Gott so ausgedacht hat für‘s Zusammenkommen der Menschen. Aber da kann mein Prinz ja gar nichts für, nein, gar nichts.

»Na du, da hab ich dir ganz die Sprache verschlagen, was du?«

Er guckt weg. Wahrscheinlich kann der einfach nicht glauben, dass ich ihn wirklich will. Ich werde ihm das noch mal besser zeigen müssen.

Ich gucke ihm zwischen die Beine.

Boah, sieht das gut aus.

Ich glaub, das sieht immer besser aus! Der muss ja einen mega… – Bestimmt einen halben Meter! Ich strecke meine Hand aus und fass da mal hin.

»Du Schlampe! Fass meinen Freund nicht an!«, kreischt plötzlich eine ganz schreckliche Stimme.

Was ist denn hier los? Streiten sich da welche? Na, das interessiert mich jetzt nicht. Ich will lieber mal ein bisschen streicheln. Dann glaubt mein Mann bestimmt auch, dass ich es ehrlich ernst meine.

»AUA! Aua. Du, du was schlägst du mir ins Gesicht, du doofe Sau?!«

Die Frau, die mich geschlagen hat, geht einfach mit meinem Prinzen weg!

»Das ist mein Mann!«, brülle ich ganz, ganz laut, aber die gehen einfach weg! Warum ist der jetzt weg? Ich bin doch sein Deckelchen!

Irgendwie trinke ich noch ein paar Wodka.

»Wo ist mein Töpfchen?«, sag ich zu der Frau hinter der Theke.

»Klo ist dahinten«, sagt sie.

Klo. Ach so. Gut … Da geh ich mal vorsichtig hin jetzt.

So. Da.

»Hallo Prinzchen«, sag ich zu dem Töpfchen und zieh mir ganz langsam das Kleidchen hoch. »Ich bin dein Krönchen! Jetzt werd ich dich bedeckeln!«

Und dann setz ich mich drauf auf meinen

Mann, und dann muss ich erst mal ein bisschen schlafen.

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Christian Ritter

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Romeo must live

Ab und an, nur so, um mich vom schlimmen Alltagsstress abzulenken, logge ich mich bei GayRomeo ein.

GayRomeo ist ein Dating-Portal, oder, für jeden verständlich ausgedrückt, so etwas wie eine Suchmaschine für Männer. Man kann eingeben, wie der Traummann so sein soll – Alter, Größe, Gewicht, Körperbau, Haarfarbe, Party Animal oder mehr so der häusliche, väterliche Typ etc. –, und ein paar Sekunden später hat man einige hundert passende Vorschläge auf dem Bildschirm. Mit denen kann man dann chatten oder sich verabreden oder ihnen sagen, dass die Bilder von ihren Autos, Haustieren oder Penissen in ihren Profilen ganz hübsch sind.

Einen Neuling kann die im Chat vorherrschende Fachsprache etwas verwirren. Steht da zum Beispiel »DWT sucht TV für das volle NS-Programm«, dann heißt das nicht etwa, dass ein Druckwellentechniker einen Fernseher sucht, um sich Nazi-Dokumentationen anzusehen, »DWT sucht TV für das volle NS-Programm« heißt vielmehr korrekt übersetzt »Damenwäscheträger sucht Transvestiten für das volle Natursekt-Programm«, in anderen Worten, um sich freudig gegenseitig anzupinkeln.

Zwischen den immer gleichen ersten Messages wie »Hi«, »Hi, wie geht’s?« und »Hi, wie geht’s? Grade geil?« ploppt manchmal auch Überraschendes auf.

Neulich war ich online und gerade im Gespräch mit einem Typen namens I-have-a-big-one, wir diskutierten über die Finanzkrise, da ploppte unversehens eine Message von einem User namens Bettvorleger auf. Inhalt: »Möchtest du auf mir rumlaufen?«

Und ich dachte: Warum? Und ich dachte weiter: Auf GayRomeo ist die Antwort auf die Frage »Warum?« eigentlich immer »Weil ich es geil finde«.

Ich schrieb ihm: »Warum?« Er schrieb zurück: »Weil ich es geil finde.«

Plopp. Reitstiefelgraf fragt, ob er meine Füße lecken darf.

Plopp. Lausbub56 lädt mich zu einer Spankingparty in seinem Keller ein.

Plopp. Pretty_Papa lädt mich zu einer Poppersparty in Potsdam ein.

Plopp. ToniG schickt mir ungebeten fünfzehn Bilder von seinem Penis.

Plopp. Schwoolio will, dass ich ihm Kochsalzlösung in seine Hoden injiziere.

Plopp. Bettvorleger fragt erneut, ob ich auf ihm rumlaufen möchte. Ich gebe ihm meine Adresse.

Er wird ohnehin nicht glauben, dass es meine echte Adresse ist, das ist einfachste umgekehrte Psychologie.

Plopp. Rotenburg_Reloaded fragt, ob wir zusammen kochen wollen.

Plopp. Bettvorleger schreibt, er glaube mir nicht, dass das meine echte Adresse sei. Aber er komme jetzt einfach mal vorbei. Dann ist Bettvorleger plötzlich offline. Ich bekomme Angst.

Zwanzig Minuten später ist er da. Bettvorleger ist höflich und gut gekleidet, aber er ist ziemlich alt, weit über vierzig, und sieht aus wie Franz Josef Wagner. Wer nun Franz Josef Wagner nicht kennt: Der sieht aus wie Gérard Depardieu in klein, nur noch versoffener und viel faltiger. Wenn man einem Kind die Aufgabe gäbe: »Mal eine besonders hässliche Hexe«, käme immer ein Bild dabei heraus, das Franz Josef Wagner ähnlich sähe.

Weil ich aber kein unhöflicher Mensch bin, bitte ich den Bettvorleger herein, biete ihm ein Heißgetränk an und verschwinde kurz in der Küche, um es zuzubereiten. Als ich mit zwei wohlig dampfenden Tassen zurückkehre, liegt er schon mit dem Bauch nach unten nackt auf dem Boden und sagt: »Ich bin dein Teppich.«

Weil ich es noch nie gemacht habe und doch etwas neugierig bin, laufe ich über ihn drüber. Fühlt sich gar nicht so schlecht an, wie eine Hüpfburg irgendwie. Am Rücken sinke ich leicht ein, verschütte den Kaffee ein wenig. Ihm gefällt das anscheinend, wie sein leises Freudenwinseln nahelegt.

Es klingelt. Ich lasse Teppich Teppich sein und schaue nach, wer da ist. Ein sehr großer, stämmiger Typ, etwas stark geschminkt und offensichtlich gebotoxt. Er sieht so aus, wie Frauke Ludowig aussehen würde, wenn sie ein Mann wäre. Ich frage nach seinem Begehr.

»Guten Tag, ich bin Herrke Ludowig. Wir haben uns mal bei GayRomeo kennengelernt, und du hast mir deine Adresse gegeben. Ich wollte deine Füße lecken und deine Wohnung putzen. Darf ich?« Erst will ich ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, dann bedenke ich den Zustand meiner Wohnung. Schon alles leicht verdreckt, bis auf den neuen Teppich. Ich bitte Herrke Ludowig herein. Wir vereinbaren, dass er mir zunächst zwanzig Minuten lang die Füße leckt, dabei seine Hose anbehält und hinterher die Wohnung ordentlich durchswiffert.

Herrke Ludowig bittet mich, Platz zu nehmen. Ich lege die Füße hoch und nehme mir eine Zeitschrift zur Hand. Herrke Ludowig beginnt, meine Füße zu lecken. Er macht das eigentlich ganz gut, es kitzelt ein wenig, ab und an stoppt er und sagt so was wie »Oh ja, geil, Füße«.

Gerade als er einmal besonders laut »Oh ja, geil! Füße!« schreit, klingelt es wieder an der Tür. Da sowohl ich als auch Herrke gerade beschäftigt sind, gebe ich dem Bettvorleger den Befehl zu öffnen. Er denkt nicht daran, sich dafür zu erheben, und robbt Richtung Eingang. Dort angekommen, reckt er den Arm nach oben, zieht an der Klinke und begibt sich sogleich wieder zurück in die Teppichposition. Die Tür schwingt auf. Der neue Besucher betritt die Wohnung.

»Guten Tag, ich komme von der Firma Vorwerk, ich würde Ihnen gern unser neustes Staubsaugermodell vorführen. Enorme Saugkraft! Ideal für widerspenstige Teppiche.«

»Geil«, sagt der Teppich.

»Ja gerne, machense mal«, sage ich.

Herrke Ludowig sagt gar nichts, seine Zunge verharrt seit Längerem zwischen meinem rechten Zeige- und Mittelzeh.

Ich befinde meine Füße ohnehin für ausreichend sauber geleckt und zeige Herrke Ludowig, wo der Wischmopp steht. Der Staubsaugervertreter schmeißt unterdessen sein Gerät an und führt als Erstes den Aufsatz für die Sofaritzen vor. Bettvorleger gefällt das.

Da nun alle irgendwie beschäftigt sind, komme ich mir in meiner Wohnung überflüssig vor. Ich lasse den dreien ihren Putzspaß, gehe nach draußen, laufe etwas durch die Gegend und frage mich schließlich, was ich eigentlich tun soll, so allein, bis die Wohnung auf Vordermann gebracht ist. Wird ja noch ein Stündchen dauern. Ich laufe ziellos weiter, und plötzlich kommt mir ein Straßenname eigentümlich bekannt vor. Ja, jetzt weiß ich wieder.

Ich suche Hausnummer 62, den vertrauten Namen am Klingelschild und läute. Es klackt in der Gegensprechanlage: »Ja bittchen?«

Ich räuspere mich und stelle mich vor: »Hallo, hier ist Writerboy29forever. Du hast mir bei GayRomeo mal deine Adresse gegeben … Ich hätte jetzt kurz Zeit, um ’ne halbe Stunde nackt auf dein Laufband zu gehen – und danach meinen Schweiß abzustreifen, damit du ihn trinken kannst.«

Der Türöffner surrt sofort. An der Wohnung werde ich freundlich begrüßt: »Aber zieh bitte die Schuhe aus, vorhin war jemand zum Putzen da.«

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Sven Stickling

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Die Ursel von der Venus

Den folgenden Text widme ich allen, die heute schon online waren, um dort nach ihrem Glück Ausschau zu halten. Es ist ein Text für alle Einsamen.

Da steht sie vor mir, die Ursel von der Venus, in ihrer Reizunterwäsche. Nein, Überreizunterwäsche. Konfektionsgröße 54. Ich kenne die Ursel eigentlich gar nicht, wir haben uns im Internet kennengelernt. Und wir haben uns für heute Nachmittag verabredet. Ein Blind Date, bei ihr, der Ursel mit ihren 90E-Körbchen. Mindestens 90E. Riesig sind die. So kleine große Kartoffelsäcke hat die Ursel da. Kartoffelsack-Ursel, denke ich. Oder Bauer-sucht-Frau-Ursel.

Im Internet sah die Ursel ganz anders aus. Da war sie hübsch, jung, sie hatte keine schiefen Zähne und keine Dauerwelle. Nein, im Internet sah die Ursel ganz fein aus. Neuer sah sie aus. Heißt ja auch Neu.de und nicht haekelursel.de. Nee, im Internet war sie ’ne richtig heiße Partie. Deshalb hab ich mich ja auch mit ihr verabredet. Gut, bei Ursels Hobbys hätte ich stutzig werden sollen: Pilawas Quiz, Zwei bei Kallwass und Rosamunde Pilcher, so ein Zeug halt.

Einen Moment stehen wir da und gucken uns einfach an. Dann sagt die Ursel, dass ihr kalt werde. Und das sehe ich, weil ich die Konturen ihrer harten Nippel sehen kann. Riesig sind die Dinger. Richtige Wolkenkratzer hat die Ursel da. Aber ich habe Angst vor Wolkenkratzern, weil da ja auch gerne mal Flugzeuge reinfliegen. Deshalb sage ich der Ursel auch, dass ich mir das alles noch einmal überlegen muss. Auch weil die Ursel in der Tür gar nicht aussieht wie die Ursel im Internet.

Wolkenkratzer-Ursel meint, dass wir die Äußerlichkeiten doch außen vor lassen könnten.

»Ich habe Rollos, die man runterlassen kann. Dann spielt Aussehen keine Rolle mehr. Es kommt doch vor allem aufs Fühlen an«, sagt sie.

»Aber Ursel«, sage ich. »Du fühlst dich im Dunkeln bestimmt genauso an, wie du aussiehst.«

Und Ursel sagt, dass sie sich im Dunkeln wirklich gut anfühle und dass ich sie doch jetzt nicht einfach so hängen lassen könne. Und ich sage der Ursel, dass das mit dem Hängenlassen schon ganz gut passe und dass ich keine Lust auf ’ne Hängepartie habe. Wenn, dann muss das ein Fest sein. Ein Wohlfühlfest. Ja, ein FestFest 2.0. Aber bei der Ursel ist nichts fest. Wackelpudding-Ursel, denke ich.

Irgendwie tut sie mir auch ganz schön leid, die Ursel. Wer im Internet andere Menschen kennenlernen muss, der tut mir leid. Deshalb tue ich mir auch selbst leid. Mein Leben ist momentan auch nicht gerade erste Sahne. Eher so zweite Sahne. Oder saure Sahne. Ja, brockige saure Sahne, so fühlt sich mein Leben gerade an.

Ob ich nicht wenigstens kurz reinkommen wolle, ganz unverbindlich auf einen Kaffee, will die Ursel wissen. Sie würde sich auch einen Bademantel überziehen. Hauptsache, sie sei nicht mehr so allein am Nachmittag, wenn nur Blödsinn im Fernsehen kommt.

Ist ja nur ein Kaffee, denke ich. Und die Ursel ist ja auch keine Perverse. Nur ein bisschen einsam ist sie. Also stimme ich zu, und fünf Minuten später sitzen wir in ihrer Küche. Sie trägt jetzt einen Bademantel, und ich frage sie, warum sie sich überhaupt im Internet mit fremden Männern verabrede. So etwas könne doch gefährlich sein. »Sehr gefährlich«, sage ich.

»Egal«, sagt die Ursel und verrät mir, und das tut sie ganz ehrlich, dass sie sich nichts sehnlicher wünsche, als mal wieder einen knackigen und frischen Kerl im Bett zu haben.

Und ich frage sie danach ebenso ehrlich, ob sie glaube, dass ein knackiger, frischer Kerl das Richtige für sie sei. Ob sie wirklich glaube, dass knackige, frische Kerle freiwillig ihre vermoderte Höhle besuchen wollen.

Nein, daran glaube sie selbst nicht, antwortet die Ursel und beginnt zu weinen.

Na toll, voll ins Fettnäpfchen getreten, denke ich und sage der Ursel, dass sie nicht weinen solle.