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Das Buch

Ein Bombenattentat erschüttert die schwedische Öffentlichkeit: ein Anschlag auf das Olympiastadion, nur wenige Monate vor Eröffnung der Spiele. In den Trümmern findet die Polizei die Leiche von Christina Furhage, der Direktorin des Olympiakomitees. Annika Bengtzon, seit kurzem Chefin der Polizeiredaktion einer großen Zeitung, beginnt zu ermitteln, und ihre Recherchen fördern Unglaubliches zutage …

»Schweden hat einen neuen Exportschlager: Liza Marklund.«
Brigitte über Olympisches Feuer, Liza Marklunds ersten ­Annika-Bengtzon-Krimi

Die Autorin

Liza Marklund, geboren 1962 in Piteå, arbeitete als Journalistin für verschiedene Zeitungen und Fernsehsender, bevor sie mit der Krimiserie um Annika Bengtzon international eine gefeierte Bestsellerautorin wurde.
Weitere Informationen zur Autorin:
www.lizamarklund.se

Von Liza Marklund sind in unserem Hause bereits
erschienen:

Kalter Süden
Weißer Tod (HC-Ausgabe)

Liza Marklund

Olympisches Feuer

Kriminalroman

Aus dem Schwedischen
von Dagmar Mißfeldt

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:
www.ullstein-taschenbuch.de

Dieser Roman erschien erstmals
im Jahr 2000 auf Deutsch.

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie
etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder
Übertragung können zivil- oder strafrechtlich
verfolgt werden.

Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage März 2012
© für die deutsche Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2012
Alle Rechte an der Übertragung ins Deutsche
bei Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
© Liza Marklund 1998
Published by agreement with Salomonsson Agency
Titel der schwedischen Originalausgabe: Sprängaren
(Orduplagget, Stockholm)
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: Titelabbildung: © FinePic®
© Image Source/Corbis (Engel)
Satz und eBook LVD GmbH, Berlin

ISBN  978-3-8437-0280-5

Prolog

Die Frau, die bald sterben sollte, öffnete vorsichtig die Haustür und schaute sich geschwind um. Das Treppenhaus hinter ihr lag im Dunkeln, die Stufen hinab hatte sie kein Licht ­gemacht. Ihr heller Mantel schwebte geisterhaft vor dem ­dunklen Holz. Sie zögerte einen Moment, bevor sie einen Fuß auf den Bürgersteig setzte, als fühle sie sich beobachtet. Ihr Atem ging schnell, und für wenige Sekunden umgab der weiße Dunst sie wie ein Heiligenschein. Dann rückte sie den Schulterriemen ihrer Handtasche zurecht und umschloß den Griff ihrer Aktentasche fester. Sie zog die Schultern hoch und lief mit raschen, leisen Schritten in Richtung Götgatan. Es war bitterkalt, rauher Wind umwehte ihre dünnen Nylonstrümpfe. Sie wich einer vereisten Fläche aus und balancierte für einen Augenblick auf der Bordsteinkante. Dann eilte sie aus dem Schein der Straßenlaterne in die Dunkelheit. Kälte und Schatten hüllten sie ein; die Geräusche der Nacht erreichten sie nur gedämpft: das Surren einer Belüftungs­anlage, das Grölen einiger betrunkener Jugendlicher, eine Sirene in weiter Ferne.

Die Frau schritt schnell und zielstrebig voran. Sie strahlte Selbstsicherheit aus und verbreitete den Duft teuren Parfüms. Als plötzlich ihr Handy klingelte, hielt sie irritiert in der Bewegung inne, blieb stehen und schaute sich hastig um. Sie bückte sich, lehnte die Aktentasche gegen ihr rechtes Bein und begann, in ihrer Handtasche zu kramen. Verärgert und verwirrt zugleich, holte sie ihr Handy hervor und hielt es ans Ohr. Trotz Finsternis und Schatten bestand an ihrer Reaktion kein Zweifel: Die Verärgerung wich Verwunderung, um dann in Wut und schließlich in Angst umzuschlagen.

Am Ende des Gesprächs verharrte die Frau für wenige Sekunden mit dem Telefon in der Hand. Sie senkte den Kopf und schien nachzudenken. Ein Polizeiauto fuhr langsam vorbei, die Frau schaute zu dem Wagen auf, abwartend, starrte ihm nach. Sie unternahm nichts, um das Auto anzuhalten.

Offenbar hatte sie eine Entscheidung getroffen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging denselben Weg zurück, den sie gekommen war, vorbei an der dunklen Holztür in Richtung der Kreuzung Katarina Bangatan. Sie wartete, während ein Nachtbus vorüberfuhr, hob den Kopf und folgte mit ihren Blicken der Straße über den Vintertullstorget hinweg und weiter am Sickla-Kanal entlang. Hoch über dem Sickla-Kanal lag das Victoriastadion, wo in sieben Monaten die Olympischen Sommerspiele eröffnet werden sollten.

Als der Bus vorbeigefahren war, überquerte die Frau den Ringvägen und schritt die Katarina Bangatan entlang. Ihr ­Gesicht war ausdruckslos, das Tempo ihrer Schritte verriet, daß sie fror. Sie nahm die Fußgängerbrücke über den Hammarby-Kanal und gelangte durch das Multimediadorf auf das Olympiagelände. Mit kurzen und leicht ruckartigen ­Bewegungen eilte sie weiter zum Olympiastadion. Sie schlug den Weg am Wasser entlang ein, obwohl diese Strecke länger und kühler war. Der Wind, der vom Wasser des Saltsjön herüberwehte, war eiskalt, doch sie wollte nicht gesehen werden. Die Dunkelheit war undurchdringlich, und sie stolperte mehrmals.

Beim Gebäude mit der Post und der Apotheke bog sie zum Trainingsgelände ab und rannte die letzten Meter bis zur Arena. Als sie den Haupteingang erreicht hatte, war sie außer Atem und wütend. Sie zog das Tor auf und trat in die Finsternis.

»Sagen Sie, was Sie wollen, und machen Sie es kurz«, verkündete sie und schaute mit kalten Augen die Person an, die sich aus dem Schatten gelöst hatte.

Den erhobenen Hammer sah sie noch, Angst jedoch spürte sie nicht mehr.

Der erste Schlag traf ihr rechtes Auge.

Existenz

Gleich hinter dem Holzzaun war ein Ameisenhaufen von gigantischem Umfang. Als Kind hatte ich die Angewohnheit, ihn mit vollkommener Aufmerksamkeit zu studieren. Ich stand so dicht daneben, daß die Insekten unablässig über meine Beine krabbelten. Mitunter folgte ich einer einzelnen Ameise vom Gras bis hinunter zum Hof, über den Kiesweg hinweg und den Sandstreifen entlang bis zum Haufen. Dort nahm ich mir fest vor, das Insekt nicht aus den Augen zu verlieren, doch das gelang mir nie. Andere Ameisen forderten meine Aufmerksamkeit. Waren es zu viele, wurde mein Interesse in so zahllose Fraktionen gespalten, daß ich die Geduld verlor.

Manchmal legte ich ein Stück Zucker auf den Ameisenhaufen. Die Ameisen liebten mein Geschenk, und ich lächelte, während sie sich darüber ergossen und es mit sich in die Tiefe zogen. Im Herbst, wenn die Ameisen durch den Kälteeinbruch in ihren Bewegungen erlahmten, stocherte ich mit einem Stock im Haufen, um sie wieder zum Leben zu erwecken. Die Erwachsenen waren böse auf mich, wenn sie mein Treiben beobachteten. Sie sagten, ich sabotiere die Arbeit der Ameisen und zerstöre ihre Behausung. Bis heute ist mir dieses Gefühl der Schmähung in Erinnerung geblieben, ich wollte ihnen ja nichts Böses antun. Ich wollte mir nur ein wenig die Zeit vertreiben. Ich wollte die kleinen Tierchen lediglich etwas auf Trab bringen.

Mein Spiel mit den Ameisen verfolgte mich mit der Zeit bis in meine Träume. Meine Faszination für Insekten wandelte sich in unsagbare Angst vor ihrem Gekrabbel. Als erwachsener Mensch habe ich den Anblick von drei Insekten gleichzeitig, ganz gleich welcher Sorte, nicht mehr ertragen können. Sobald ich den Überblick über sie verloren habe, überkommt mich Panik. Die Phobie entstand in dem Augenblick, in dem ich die Ähnlichkeit zwischen mir und den kleinen Wesen erkannte.

Ich war jung und suchte nach der Antwort auf mein Leben, konstruierte Theorien und spielte sie in allen Variationen durch. Daß das Leben eine Laune sein sollte, paßte nicht in mein Weltbild. Etwas hatte mich erschaffen. Ich kam zu keiner Lösung, was dieses Etwas sein mochte: Zufall, Schicksal, Evolution oder womöglich Gott.

Daß das Leben sinnlos sein könnte, erschien mir hingegen wahrscheinlich, und dieser Gedanke erfüllte mich mit Trauer und Wut. Wenn unsere Zeit auf Erden keinen Sinn hatte, wäre unser Leben ein zynisches Experiment. Jemand hatte uns in die Welt gesetzt, um uns zu studieren, wie wir uns bekriegten, wie wir krochen, litten und uns abstrampelten. Bisweilen verteilte dieser Jemand nach dem Zufallsprinzip Belohnungen, wie ein Stück Zucker, das man auf einen Ameisenhaufen legt, und betrachtete unsere Freude und Verzweiflung mit derselben interessierten Gefühlskälte.

Mit den Jahren wurde ich zuversichtlicher. Schließlich erkannte ich, daß es keine Rolle spielt, ob es einen höheren Sinn im Leben gibt. Selbst wenn es einen gibt, so muß ich ihn nicht unbedingt ergründen. Gäbe es eine Antwort, dann hätte ich sie längst gefunden, weil ich sie aber nicht kenne, ist es zwecklos, weiter darüber zu grübeln.

Das hat mir eine gewisse Form von Frieden beschert.