Die drei ???® Kids
Band 35
Im Wilden Westen
Mit Illustrationen von Kim Schmidt
KOSMOS
Umschlag- und Innenillustrationen von Kim Schmidt, Dollerup
Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Grundlayout: Friedhelm Steinen-Broo, eStudio Calamar
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© 2009, 2012, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-13756-7
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Justus Jonas trug noch seinen Schlafanzug, als er müde die Veranda betrat. »Guten Morgen«, begrüßte ihn Tante Mathilda. »Setz dich, es gibt frische Brötchen und die erste selbst gekochte Kirschmarmelade in diesem Jahr.« Justus’ Augen leuchteten auf, denn Tante Mathilda war nicht nur berühmt für ihren Kirschkuchen. Hungrig tauchte er einen Löffel ins Glas. »Lecker, die Marmelade ist ja noch warm.« Onkel Titus blickte über den Rand seiner Zeitung. »Soso, trägt man neuerdings Schlafanzüge auch am Tag? Ich glaube, dann bin ich völlig aus der Mode. Mathilda, bring mir bitte mein Nachthemd mit den rosa Punkten!« Justus konnte darüber gar nicht lachen.
»Ha! Ha! Ha! Sehr witzig, Onkel Titus. Es sind Ferien, und hier auf der Veranda sieht mich doch sowieso keiner.« Tante Mathilda warf einen Blick zum Eingang des Schrottplatzgeländes. »Da wäre ich mir nicht so sicher. Wir bekommen anscheinend Kundschaft.« Onkel Titus musterte den Wagen, der jetzt mit hohem Tempo aufs Grundstück fuhr. Hinter dem Lenkrad saß ein Mann im dunklen Anzug. »Ach, herrje! Wisst ihr, wer das ist? Das ist unser Bürgermeister!« Erschrocken legte Justus den Löffel beiseite und rannte auf sein Zimmer. Wenig später kam er umgezogen zurück. Der Bürgermeister hatte inzwischen seinen Wagen unter dem großen Kirschbaum geparkt und saß auf Justus’ Stuhl. Tante Mathilda wischte sich die Hände an ihrer Schürze sauber. »Mister Plimsfield, darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?« Der Bürgermeister winkte ab. »Nein, bitte keine Umstände. Kaffee ist nicht gut für mein Herz, und ich habe schon genug Aufregung für heute. Ich will es kurz machen: Mister Jonas, ich brauche Ihre Hilfe.« Onkel Titus sah ihn verständnislos an. »Ich verstehe nicht. Warum soll ausgerechnet ich Ihnen helfen können?« Plimsfield griff in seine Westentasche und zog eine kleine Pillendose heraus. »Weil Sie der Einzige sind, der in Rocky Beach mit altem Schrott handelt. Und davon brauchen wir reichlich in der nächsten Zeit.« Onkel Titus musste schlucken, denn normalerweise wurde er wütend, wenn jemand Schrott zu seinem Schrott sagte. Für ihn waren das alles Wertstoffe. Doch diesmal verkniff er sich die Bemerkung. Der Bürgermeister nahm eine der Pillen und fuhr fort. »Das ist gegen mein Sodbrennen. Ich hab’s mit dem Magen und mit der Galle. Aber zurück zum Thema: Rocky Beach hat die einmalige Chance, Touristenattraktion Nummer eins in Kalifornien zu werden. Und diese Chance darf ich mir als Bürgermeister der Stadt nicht entgehen lassen.« Dann faltete er einen Brief auseinander. »Dieses Schreiben stammt von einer Filmproduktionsfirma aus Hollywood. Nebenbei gesagt, es ist eins der größten Filmstudios der Welt. Diese Leute planen, einen Western zu drehen. Sie verstehen: Cowboys, Indianer und jede Menge Schießereien. Und genau dafür suchen sie eine Stadt als Filmkulisse.« Jetzt mischte sich Justus ein. »Aber wird für solche Filme nicht immer extra eine Filmkulisse gebaut? Also aus Pappe?« Mister Plimsfield nahm noch eine seiner Pillen. »Jaja, normalerweise schon. Aber diesmal will der Regisseur eine echte Stadt – eben keine Häuserfassaden aus Pappe und Sperrholz. Alles soll echt wirken.« Tante Mathilda schüttelte den Kopf. »Was für ein Unsinn. Rocky Beach sieht doch nicht aus wie eine alte Westernstadt! Hier ist alles modern. Es gibt keinen Saloon und keine Pferdetränken auf den Straßen. Vielleicht sah das vor zweihundert Jahren einmal so aus.«
»Richtig, Misses Jonas. Genau das ist der springende Punkt. Rocky Beach muss sich verwandeln: Kutschen statt Autos, Pferdeställe statt Garagen und Revolver statt Handys. Denn die Stadt, die am meisten nach Westernstadt aussieht, bekommt den Zuschlag für den Filmdreh. Stellen Sie sich einmal vor, was das für eine Werbung für Rocky Beach wäre! Die ganze Welt wird die nächsten Jahre unsere Stadt besuchen wollen. Die Hotels werden ausgebucht sein, Souvenirläden werden eröffnen und Geld wird in die Stadtkasse fließen. Denken Sie an Disneyland!« Onkel Titus nahm das Schreiben in die Hand. »Nun ja, ich habe auf meinem Lagerplatz einiges aus der Zeit, als der Westen noch wild war. Meine Frau will zwar immer, dass ich es wegschmeiße, aber ich wusste, dass man alles noch einmal gebrauchen kann. Ich besitze sogar einen uralten Pferdewagen der damaligen freiwilligen Feuerwehr. Der hat einen Löschtank von über fünfhundert Litern und verfügt über eine Handpumpe. Und dann hab ich auch noch eine ganze Kiste mit alten Westernvideos in meinem Schuppen. Bonanza und alles Mögliche. Die werde ich aber bald wegschmeißen. Doch kommen wir zu einer ganz anderen Frage: Ich bin Geschäftsmann und muss wissen, was für mich dabei rausspringt. Auch im Wilden Westen war nichts umsonst.«
Der Bürgermeister ließ sich jetzt doch eine Tasse Kaffee einschenken. »Verstehe. Klar, Sie sollen auch etwas davon haben. Also, ich schlage Ihnen ein Geschäft vor: Wenn Rocky Beach den Wettbewerb gewinnt und den Zuschlag erhält, dann wird eine Straße nach Ihnen benannt.«
Onkel Titus schien von dem Vorschlag nicht besonders angetan zu sein. »Eine Titus-Jonas-Straße? Da würde sich wohl eher ein erfolgloser Schauspieler drüber freuen. Einen Kaufmann interessiert so etwas nicht.« Justus staunte, wie hartnäckig sein Onkel verhandelte. Nervös rührte der Bürgermeister in seiner Tasse. »Okay, lege ich noch eins drauf: Wenn wir gewinnen, brauchen Sie ein Jahr lang keine Steuern zu zahlen.« Onkel Titus strahlte: »Abgemacht! Das ist doch mal ein Wort. Wann soll ich anfangen?«
»Am besten sofort, Mister Jonas. Das Filmstudio hat allen teilnehmenden Städten genau drei Tage Zeit gegeben. Dann besichtigt ein Komitee die Westernstädte und entscheidet sich. Jede Sekunde zählt. Ich übertrage Ihnen die Leitung und die Organisation der ganzen Geschichte. Zusätzlich werde ich einige Handwerker mobilisieren, die Ihnen dabei helfen. Ich hoffe, ich kann mich auf Sie verlassen?«
»Klar, ein Jonas – ein Wort. Rocky Beach werden Sie nicht wiedererkennen.« Justus warf einen Blick auf das Schreiben. »Wissen Sie denn, welche Stadt noch bei dem Wettbewerb mitmachen will?«
»Ja, soviel ich weiß, sind noch vier andere Städte dabei: Santa Monica, Malibu, Santa Barbara und Topanga Beach. Ich kenne auch die betreffenden Bürgermeister. Wir haben eine harte Konkurrenz.« Onkel Titus lachte und reichte Mister Plimsfield die Hand. »Ach was! Konkurrenz belebt das Geschäft. Die werden sich einiges einfallen lassen müssen, um uns zu schlagen.«
»Sehr gut, Mister Jonas. So will ich Sie hören. Krempeln Sie die Stadt um, ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn’s Probleme gibt, melden Sie sich sofort bei mir im Rathaus. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, und danke für den Kaffee.«
Als der Bürgermeister vom Grundstück fuhr, schüttelte Tante Mathilda den Kopf. »Titus, worauf hast du dich da nur wieder eingelassen? Aber auf der anderen Seite: Ein Jahr lang keine Steuern klingt verlockend. Das Geld könnten wir gut gebrauchen.«
»Genau so ist es, Mathilda. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Justus, würden deine Freunde und du mir dabei helfen?«
»Na ja, Peter und Bob wären bestimmt dabei.«
»Sehr gut. Und es soll auch nicht umsonst sein. Wenn wir gewinnen, dann dürft ihr euch auf dem Schrottplatz etwas aussuchen. Versprochen ist versprochen.«
Justus hatte sich für diesen Tag mit seinen beiden Freunden in der Kaffeekanne verabredet. Es war ihr Geheimversteck außerhalb von Rocky Beach. Keine zehn Minuten später fuhr er mit seinem Rad die lange Küstenstraße entlang und bog schließlich in einen schmalen Seitenweg ab. Versteckt zwischen großen Büschen und dornigen Sträuchern stand die Kaffeekanne. Es war eigentlich ein leerer Wassertank für die alten Dampflokomotiven. Doch dieser wurde schon lange nicht mehr benutzt und war über die Jahre in Vergessenheit geraten. Eilig kletterte Justus die Stahlsprossen hoch und zwängte sich durch die enge Luke an der Unterseite des Tanks. Drinnen warteten schon seine Freunde. »Hi, Just«, begrüßte ihn Bob. »Hat Tante Mathilda endlich wieder neue Marmelade gekocht?« Justus sah ihn verwundert an. »Woher weißt du das?«
»Tja, für einen guten Detektiv eine der leichtesten Übungen: Du hast dir das Zeug bis an die Ohren geschmiert.« Peter musste lachen, und Justus wischte sich schnell die Marmeladenreste aus dem Gesicht. Dann berichtete er vom Besuch des Bürgermeisters. »Und wir haben nur drei Tage Zeit dafür. Was ist? Seid ihr dabei?« Bob Andrews streckte seinen Zeigefinger aus, als ob er einen Revolver in der Hand halten würde. »Na klar! Ich wollte schon immer ein Cowboy sein. Damals gab es keine Schule, keine Hausaufgaben und keine dummen Fragen. Wann fangen wir an?«
»Sofort. Onkel Titus ist schon ganz nervös. Auf uns wartet ein hartes Stück Arbeit.« Peter hingegen war noch nicht ganz überzeugt von der Idee. »Also ich hab mich eigentlich auf ein paar ruhige Wochen Ferien eingestellt. Am Strand liegen, surfen und Comics lesen.« Doch wie fast immer gab er klein bei und folgte seinen beiden Freunden. »Na schön, ich mach mit. Ich hoffe nur, dass wir nicht wieder in ein durchgeknalltes Detektivabenteuer geraten.«