Ich möchte gern vielen meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen, die mich auf meinem Pfad, meiner Reise des Laufens, begleitet haben. Für ihre Fröhlichkeit, Unterstützung und Freundschaft: Tarah (Misty) Cech, Jon Pratt, Eric Cech, Nick Trautz, Barry Gruessner und Mike Sandrock. Für ihre Begleitung bei vielen wunderbaren Läufen: Kyle Schaffhauser, Ben Medrano, Justin Robbins, Josh Silberstein, Mark W haley, Christoph Schönherr, James Thorpe, Greg Wolk, Sean Raggett, Ralph Moosbrugger, Michael Fraund, Amy Conway, Glenn Austin und Alan Goldstein. Für ihre Körperarbeit: Craig Mollins, Jim Asher, Jim Pascucci, Wells Christie, Tom Pathe, Ron Thompson, Mariah Simonton, Elaine Wong und Peter Goodman. Für ihre Fürsorge: Dr. Mitchell Levy und Dr. Aaron Snyder. Für ihre Großzügigkeit: Michael und Jeanine Greenleaf, Nicolette de Hoop, Koos de Boer und Radhe Shyam Saraf. Für ihre Unterstützung: H. E. Namkha Drimed Rinpoche und der Ripa-Familie. Für ihre Dienste: den Dorje Kasung und den Dorje Kusung.
Mein Dank geht auch an Emily Hilburn Sell für ihre beständige Ermunterung und Unterstützung und an Reid Boates für seinen Enthusiasmus.
Aktuelle Informationen zu Sakyong Mipham und seinen Belehrungen unter www.sakyong.com.
Weitere Informationen zu Running with the Mind of Meditation unter www.runningmind.org.
Weitere Informationen über die Shambhala-Tradition des Kriegers unter www.shambhala.org.
Sakyong Mipham ist der geistige Führer von Shambhala, einer weltweiten Gemeinschaft von Meditations-Retreat-Zentren, die sich auf die Erkenntnis der grundlegenden Gutheit und der Verwirklichung einer erleuchteten Gesellschaft durch das Alltagsleben gründet. Er ist auch ein leidenschaftlicher Läufer, der neun Marathons absolviert hat. Die Zeitschrift Planet bezeichnete ihn als einen »globalen Visionär«. Er ist der Autor des Bestsellers Wie der weite Raum (Originaltitel Turning the Mind into an Ally) und des preisgekrönten Buchs Den Alltag erleuchten. Die vier buddhistischen Königswege (Originaltitel Ruling Your World). Sakyong Mipham gibt auf der ganzen Welt Belehrungen, wobei er sich seiner einzigartigen Mischung von östlichen und westlichen Sichtweisen bedient, um seinen Schülern und Schülerinnen in Nord- und Südamerika, Europa und Asien von Nutzen zu sein.
In einem Zeitraum von sechs Jahren bin ich neun Marathons und einen Halbmarathon gelaufen. In dieser Zeit habe ich viel über Laufwettbewerbe gelernt.
Der Toronto-Marathon war mein erster. Es war kalt, und mein Hauptziel bestand darin, es bis zum Ende zu schaffen. Es war eine herausfordernde und lohnenswerte Erfahrung für mich, denn ich war noch nie zuvor eine so lange Strecke gelaufen. Der nächste Marathon war der Big-Sur-Marathon, der an den Küstenhügeln von Kaliforniens Highway 1 entlangführt. Es war ein wunderschöner Tag, ich lief gut und absolvierte den Lauf in drei Stunden und einundzwanzig Minuten.
Der nachfolgende war der Edmonton-Centennial-Marathon – einer meiner besten. Ich musste ihn laufen, um mich für den Boston-Marathon zu qualifizieren, und lief ihn in einer Zeit von drei Stunden und neun Minuten. Danach lief ich den Miami-Halbmarathon als Training für den bevorstehenden Boston-Marathon. Dort durch eine so kenntnisreiche und begeisterte Menschenmenge zu laufen war eine erstaunliche Erfahrung.
Danach lief ich den New-York-City-Marathon, der durch alle fünf Stadtbezirke führt. Es war, als liefe man durch fünf verschiedene Länder. Als wir über die Brooklyn Bridge liefen, schrie jemand laut: »Was ist da los?« Und ein anderer antwortete: »Die Brücke ist ins Schwanken geraten!« Es ist die größte Belastung, der die Brücke im ganzen Jahr ausgesetzt ist. Als wir in die Fifth Avenue einbogen und das Getöse der Menge hörten, gab uns das ziemlichen Auftrieb.
Als Nächstes lief ich den Vermont-City-Marathon in Burlington, bei dem ungewöhnlich warmes Wetter herrschte. Im selben Jahr nahm ich auch am Chicago-Marathon teil, bei dem ich meine Bestzeit lief: drei Stunden und fünf Minuten. Im Jahr darauf lief ich den Chicago-Marathon noch einmal. Als wir am Thermometer vorbeikamen, zeigte es bereits fünfunddreißig Grad Celsius an. Wir konnten den Lauf beenden, aber dieser berüchtigte Marathon wurde nach dreieinhalb Stunden abgebrochen. Mein letzter Marathon fand im schönen Napa Valley statt.
Bei all diesen Laufwettbewerben lernte ich eine Menge. Sie waren für sich genommen auch insofern hilfreich, als sie mich auf mein Training konzentriert bleiben ließen. Bei den meisten Läufen konnte ich die zweite Streckenhälfte schneller laufen als die erste, also den sogenannten negativen Split machen. Obwohl die Energie bei Marathonläufen unglaublich hoch ist, versuchte ich, mich nicht davon mitreißen oder von meiner geplanten Laufstrategie abbringen zu lassen: erstens den Lauf zu beenden, zweitens den Lauf zu genießen und drittens eine gute Zeit zu laufen. Viele Leute, die kamen, um mich anzufeuern, waren noch nie zuvor bei einer solchen Laufveranstaltung dabei gewesen. In vielen Städten wurde ich von den lokalen Medien um Interviews gebeten. Die Leute schienen von einem marathonlaufenden tibetischen Lama fasziniert zu sein.
Bei all diesen Marathons lief ich für einen wohltätigen Zweck, weshalb es mir wichtig war, einen jeden bis zum Ende durchzuhalten. Als ich schließlich in beständig guter Form war, wollte ich einen Drei-Stunden-Marathon laufen. Doch im Allgemeinen ging es mir bei all diesen Läufen um eine größere Sache.
Wenn man an einem Marathon teilnimmt, macht die Vielfalt der Läufer deutlich, wie allgemein verbreitet das Laufen ist – man sieht Leute allen Alters und jeglicher Gestalt und Größe. Hingabe, Freude und Schmerz vereinen uns alle. Dafür, dass das Laufen ein Individualsport ist, erzeugt es eine machtvolle Synergie.
Quälerisch, muskelbebend,
Setze ich einen Fuß vor den andern.
Ich bin ein Läufer –
Eine größere Freude gibt es nicht in den drei Welten.
Wenn der Blitzschlag auf die Erde trifft,
Ist das der kosmische Schritt,
Dann werden Herz und Lungen in meine Hände gelegt.
Das Leben hängt vom Atmen und Fühlen ab.
Welch Elektrizität kommt hervor
Im Schweiß, den ich im Munde fühle,
Inspiration, die mich
Unglauben, Trägheit, Tagträumerei queren lässt.
Wenn ich atme, ziehen all diese Fallwinde
Als sich aufbauschende Wolken vorbei,
Geschaut von einem Boot, das lossegelte
Über die Wasser von Verwirrtheit, Sommer und Zeit.
Einzelheiten sind wichtig auf dieser irdischen Reise.
Ich schmecke den süßen Duft von Wasser mit seinen acht Qualitäten,
Und achte dieses Geschenk an meinen menschlichen Körper.
Ich schwelge darin, Zeit und Raum zu haben fürs Laufen unter den Göttern.
Wenn ich laufe, werde ich einer dieser Götter ohne Grenzen –
Reine Freude ist meine Wasserflasche.
Das höchste Elixier, mein Goo-ru 1, hält mich in Gang.
Diese unentbehrliche Inspiration schickt mich
Mit dem Trippel-Trappel von Drala-Füßen über den ganzen Planeten.
Welchen bhumi kann ich nicht erlangen?
Meine auf den Pfad gesetzten Füße schicken Wellen durchs Universum.
Und so atme ich beim Einatmen alles ein,
Was verwirrt, degeneriert und unglücklich ist.
Wenn ich ausatme, schnellt mein Knie in die Höhe,
Meine Achillesferse ist kraftvoll, unverletzlich.
So springe ich mit der Energie des Überraschungsmoments
In diese neue Dimension, die nur von der geschwinden Bewegung
von Herz, Füßen und Geist erblickt werden kann.
Möge diese unglaubliche Erfahrung von Bewegung
Die Quelle allen Glückes sein.
Sakyong Mipham
Singapur, 2005
Wir waren früh aufgestanden, um uns aus dem Kloster zu stehlen und noch vor Beginn der Zeremonien zu unserem morgendlichen Lauf zu kommen. Wir fuhren zu einem nahe gelegenen Stausee, stiegen aus und begannen mit unseren Dehn- und Streckübungen. Es war erst halb vier Uhr morgens, und der indische Frühnebel und die Kühle der Nacht hingen noch in der Luft. Alle waren ein wenig nervös und aufgeregt, weil wir eine neue Strecke laufen wollten.
Wir schlitterten eine Böschung hinab, fanden die Stelle, wo der Pfad seinen Anfang nahm, und begannen zu laufen. Meist war es ein langsames Joggen – zur einen Seite hin befand sich der Stausee, zur anderen offenes Grasland, an das sich ein Teakbaumwald anschloss. Obwohl keiner von uns zuvor viel geschlafen hatte, fühlten wir uns hellwach.
Während wir durch das grasbewachsene Gelände liefen, fragte mich mein Assistent Josh Silberstein: »Rinpoche, gibt es irgendetwas, worauf wir achten sollten?« – »Ja: Kobras, Leoparden, wilde Elefanten und, oh, gelegentlich taucht ein Rudel wilder Hunde auf«, so lautete meine umgehende Antwort. Josh lachte. »Nein, im Ernst, worauf sollten wir achten?« Dann sah er mein Gesicht und sagte: »Oh, du machst gar keine Witze.« – »Nicht darüber«, erwiderte ich. Und das veränderte für Josh augenblicklich die Natur seines Laufs.
Wir liefen durch meterbreite Senken und große Schmutzhaufen, die, wie wir bald merkten, die Spuren und Dunghaufen von Elefanten waren. Wir überquerten offene Weiten, die mich an die afrikanische Savanne erinnerten. Der Pfad führte in einen üppigen, dichtbestandenen Wald, Überreste der gewaltigen Teakwälder, die einst den Großteil des Subkontinents bedeckten. Gelegentlich sahen wir auch jemanden mit einem Korb auf dem Kopf dahinwandern.
Die frische Luft belebte unseren Körper, und die rhythmische Bewegung unserer Füße sorgte dafür, dass wir locker und entspannt waren. Wir blieben wachsam und waren uns unserer Umgebung ständig bewusst, was uns dabei half, im Augenblick präsent zu bleiben. Und obwohl wir nicht viele Worte verloren, war da zwischen uns die Kameradschaft einer ungesprochenen Sprache, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass wir lebten und gesund waren. Wir schätzten uns glücklich, dass wir laufen konnten. Das hier war kein gewöhnlicher Lauf: Wir trainierten für den Boston-Marathon, der zwei Monate später stattfinden sollte. Glücklicherweise begegneten uns nicht allzu viele wilde Tiere, während wir uns uns am indischen Dschungel erfreuten.
Als die Sonne aufging, kehrten wir ins Namdroling-Kloster zurück. An diesem in Südindien gelegenen Ort habe ich viel Zeit mit der Meditation und dem Studium buddhistischer Philosophie verbracht. Mein aktueller Aufenthalt galt dem Besuch meines spirituellen Lehrers S. H. Penor Rinpoche, um von ihm Belehrungen und Ermächtigungen zu erhalten. »Rinpoche«, ein tibetischer Ehrentitel für hohe Lamas, bedeutet »kostbarer Juwel«. In der tibetisch-buddhistischen Tradition muss man die Autorisierung und Übertragung durch einen Lehrer erhalten, bevor man sich auf einen spirituellen Pfad einlässt oder mit der Meditation beginnt. Das hält die spirituelle Linie rein. In diesem Fall erhielt ich Übertragungen der Mipham-Linie. Ich gelte als Wiedergeburt von Mipham dem Großen (1846–1912), einem der meistverehrten Lehrer, die Tibet hervorgebracht hat.
Ich habe immer wieder festgestellt, dass zwischen dem Laufen und dem Meditieren eine natürliche Beziehung besteht. Das Laufen kann Unterstützung für die Meditation sein, und Meditation kann das Laufen unterstützen. Das Laufen ist eine natürliche Form körperlicher Betätigung, da es ganz einfach eine Erweiterung des Gehens ist. Wenn wir laufen, stärken wir unser Herz, wir entlassen verbrauchte Atemluft aus dem Körper, beleben unser Nervensystem und erhöhen unsere aerobe Kapazität. Es verhilft uns zu einer positiven Einstellung. Es verlangt körperliche Anstrengung wie auch Ausdauer und gibt uns eine hilfreiche Methode zum Umgang mit Schmerz an die Hand. Es hilft uns, uns zu entspannen. Und vielen verschafft es das Gefühl von Freiheit. Meditation ist ein natürliches Üben des Geistes – sie bietet uns die Gelegenheit, uns zu stärken, zu kräftigen und zu reinigen. Durch die Meditation können wir uns mit jener lang vergessenen Gutheit verbinden, über die wir alle verfügen. Diese Gutheit in sich zu fühlen hat etwas sehr Kraftvolles: Wir empfinden im Innersten Selbstvertrauen und Mut.
Wie beim Laufen lassen wir auch bei der Meditation unsere alltäglichen Sorgen und Belange hinter uns – das Tagträumen, den Stress und das Planen. Wir werden sehr präsent. Wir treten ins Jetzt ein. Und dabei baut unser Geist Stärke auf. Unser Nervensystem entspannt sich allmählich. Wir entwickeln Wertschätzung und Gewahrsein. Unsere Intelligenz wird schärfer, und unser Gedächtnisvermögen nimmt zu. Wir sind imstande, die Welt aus mehreren Perspektiven zu sehen. Wir sitzen nicht länger im Käfig unseres emotionalen Auf und Ab. Liebe, Mitgefühl und andere positive Qualitäten werden uns leichter zugänglich. Wie beim Laufen fühlen wir uns am Ende der Meditation erfrischt, und das aus fast demselben Grund: Meditation ist eine natürliche, gesunde Aktivität.
Manchmal sagen die Leute: »Meine Meditation ist das Laufen.« Ich weiß zwar, was sie damit meinen, in Wahrheit aber ist Laufen Laufen, und Meditation ist Meditation. Deshalb wird beides auch verschieden benannt. Nicht minder unpräzise wäre es, wenn wir sagten: »Die Meditation ist meine Körperübung.« Ich habe einige fortgeschrittene Meditierende kennengelernt, die ihren meditativen Geist – diese Stärke und Entspannung – in ihren Körper mit seinen Kanälen, seinem Nervensystem und seinen Muskeln bringen können. Sie werden stark, widerstandsfähig, und sie strahlen. Wir haben sogar eine bestimmte Art der Meditation in Tibet, »Hitzemeditation« genannt, bei der die Yogis mit ihrer Geisteskraft die Körpertemperatur kontrollieren und monatelang bei Temperaturen unter null Grad nur mit einem Baumwolltuch bekleidet meditieren können. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie einen Marathon unter drei Stunden laufen könnten.
Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass wir durchs Laufen zur Erleuchtung gelangen, obwohl so manche es versucht haben. Es geht nicht um die Entscheidung, was besser ist: den Geist oder den Körper zu üben und zu schulen. Vielmehr gehen diese Aktivitäten Hand in Hand. Wir müssen beides tun, den Körper und den Geist üben und schulen. Der Körper ist seiner Natur nach Form und Substanz. Der Geist ist seiner Natur nach Bewusstsein. Weil Körper und Geist ihrer Natur nach unterschiedlich sind, ist das, was ihnen nutzt, ebenfalls seiner Natur nach unterschiedlich. Der Körper profitiert von Bewegung, der Geist von Ruhe und dem Stillsein. Wenn wir Geist und Körper das geben, was ihnen von Nutzen ist, entsteht eine natürliche Harmonie und Balance. Diese geeinte Herangehensweise macht uns glücklich, gesund und weise.
Schon in alter Zeit wusste man, dass die Menschen glücklicher sind, wenn der Geist flexibel und der Körper stark ist. Heutzutage haben wir es mit Bedingungen zu tun, die diese geistige und körperliche Balance angreifen. Wir schlafen jetzt weniger und sind daher oft müde. Wir sitzen sehr viel, fahren in Autos oder Bussen, um auf der Körperhaltung abträglichen Stühlen zu sitzen, die dann Rücken- und Kreislaufprobleme verursachen. Die Luftqualität in unserem Umfeld kann so schlecht sein, dass wir noch angespannter und müder werden.
Oft sind wir schon in dem Moment gestresst, wenn wir des Morgens aufwachen. Der Wecker klingelt – der kaum je ein Ersatz für die Sanftheit eines Sonnenaufgangs sein kann. E-mailen, Texte verfassen, am Computer arbeiten und fernsehen können zur Erschöpfung führen. Die meisten Menschen unterhalten sich nur selten ausführlich oder führen ihre Gespräche zu Ende, weil wir keine Zeit haben. Selbst unsere Nahrungsmittel werden ständig manipuliert und immer unnatürlicher.
Sowohl körperlich wie auch geistig laden wir uns mit alldem eine große Bürde auf. Um damit umgehen zu können, müssen wir uns um unser Wohlergehen kümmern. Da Körper und Geist aufs Innigste miteinander verbunden sind, kann sich die Entlastung des Körpers vom Stress durch sportliche Betätigung unmittelbar auf den Geist auswirken: Der Geist befasst sich nicht mehr mit dem Unbehagen des Körpers. Ist der Körper entspannt und elastisch, bedeutet das eine Angelegenheit weniger, mit der sich der Geist befassen muss. Der körperliche Akt des Laufens sorgt also allein schon dadurch für eine gewisse geistige Entspannung, und das umso mehr, je länger die Laufstrecke ist.
Als ich meinen ersten Workshop zum Thema »Meditation und Laufen« gab, war ich von der Zahl der Ultramarathonläufer beeindruckt, die daran teilnahmen. Während ich über deren Erfahrung nachdachte, erschien es mir plausibel: Wenn du eine Weile läufst, was findest du in deinem Inneren außer deinem Geist? Mit diesem Geist arbeitest du, indem du regelmäßig meditierst.
Das Laufen wirkt an der Peripherie von Gedanken, Belastungen und Sorgen oder auf einer oberflächlichen Gedankenebene. Die Meditation befasst sich nicht nur mit der Peripherie, sie dringt vielmehr vor bis zum Kern. Wir können uns den Pfad der Meditation auf einfache und unmittelbare Weise zunutze machen. Er hilft uns, wenn wir uns von einem anstrengenden Tag erholen möchten oder unseren Geist vor wichtigen Entscheidungen klar haben wollen. Oder er kann unser Verständnis von der Natur der Wirklichkeit erweitern und steigern, und zwar bis hin zur Erleuchtung.
Misty Cech ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben als Läufer, eine versierte Sportlerin und wohlbekannte Erscheinung in der Läufergemeinde von Boulder, Colorado. Meine erste Begegnung mit ihr fand Anfang des Jahres 2003 statt, als ich mich in Boulder aufhielt, um mein Buch Wie der weite Raum vorzustellen. Misty war mir als Trainerin sehr empfohlen worden, und deshalb hatte ich den Kontakt mit ihr aufgenommen.
Bei unserem ersten Treffen sagte sie: »Es ist so ein schöner Tag, warum versuchen wir’s nicht mal mit einem Lauf im Freien?« Zu jener Zeit war ich es gewohnt, sporadisch kurz auf dem Laufband zu laufen. Da Boulder über fünfzehnhundert Meter hoch liegt, ist es nicht der geeignetste Ort, um mit dem Laufen zu beginnen. Wir liefen um den Stausee herum. Misty lief leichtfüßig wie ein Reh, während ich versuchte, einfach nur mitzukommen und nicht schlappzumachen. Ich fühlte mich mehr wie ein junger Welpe, der bemüht ist, mit seiner Mutter Schritt zu halten. Misty redete in einem fort und sagte, sie fühle sich geehrt, mit mir zu laufen. Ich hingegen fragte mich die ganze Zeit, ob ich die Runde überhaupt durchstehen würde.
Dann merkte ich, dass Misty mich etwas fragen wollte. Und als wir uns gerade anschickten, einen großen Hügel hinaufzulaufen, sagte sie: »Rinpoche, ich habe nur eine Frage. Worin besteht der Unterschied zwischen Buddha und Jesus?« – »Meinst du, wir könnten erst einmal diesen Hügel hochkommen?«, fragte ich zurück. Das war der Anfang einer wunderbaren Beziehung.
Nachdem ich dann eine Weile gelaufen war, sagte Misty, ich müsse daran denken, »meine Basis aufzubauen«. Jon Pratt, ebenfalls ein Läufer, hatte schon das Gleiche angedeutet. Dieses Mantra verwirrte mich nun ein wenig. Ich wusste nur, dass es, was immer es auch bedeuten mochte, mit einer Menge Laufen verbunden sein würde.
Nachdem ich mir dann über einige Monate hinweg meine Basis aufgebaut hatte, verstand ich allmählich, wovon Jon und Misty sprachen. Wie sich herausstellte, ging es bei dieser »Basis« schlichtweg darum, genügend viel zu laufen, ohne es zu übertreiben, um so Knochen, Muskeln und Sehnen zu stärken. Dadurch erfuhr meine grundlegende Physiologie allmählich eine Kräftigung, und es wurde mir möglich, mit dem Laufen richtig umzugehen. Es ähnelt sehr den ersten Stufen der Meditation, bei denen wir uns auf den Aufbau von Kraft und Stärke konzentrieren.
Neugierig darauf, mehr über den Aufbauprozess der Basis zu erfahren, sprach ich mit meinem Osteopathen Peter Goodman darüber, der erstaunliche Kenntnisse über alles hat, was den Körper betrifft. Er ist auch Träger des schwarzen Gürtels dritten Grades im Taekwondo, und ich mache immer Witze darüber, dass er den Leuten erst die Knochen ausrenken und sie ihnen dann wieder einrenken kann.
Peter meinte, dass die Theorie, man solle zuerst eine Grundlage aufbauen, sinnvoll sei. Zum einen seien die Knochen nicht etwas Unveränderliches. Sie entwickeln sich ständig. Da sie von Blutgefäßen durchzogen sind, werden sie durch den Druck beim Laufen härter und widerstandsfähiger. Auch die Sehnen erfahren eine Konditionierung und werden robust, und die Muskeln werden stark.
Man sagte mir, der Aufbau einer solchen Basis dauere an die zwei Jahre. Das schien mir eine lange Zeit zu sein; ich war mir nicht einmal sicher, ob ich dann überhaupt noch laufen würde. Es dauerte aber tatsächlich zwei Jahre. Im Verlauf dieser Zeit gewöhnte sich mein Körper zuerst ans Laufen, und dann wurde er gut in diesem Sport. Der Aufbauprozess bestand darin, dass ich mir all die Teile meines Körpers zunutze machte, über die ich ja bereits seit eh und je verfügte – Lungen, Muskeln, Knochen und Sehnen –, dass ich sie für das Laufen trainierte und ihre Fähigkeiten allmählich steigerte.
Dieser Prozess, sich die inhärente Körperstruktur zunutze zu machen und sie durch regelmäßiges, wiederholtes Laufen zu kräftigen, ähnelt sehr dem Training und Entwickeln des Geistes in der Meditation. Das tibetische Wort für Meditation ist gom. Im Wesentlichen bedeutet es, sich an etwas zu gewöhnen, sich mit etwas vertraut zu machen. Meditation ist also ein Akt, bei dem wir unseren Geist mit dem vertraut machen, was er unserem Willen nach tun soll. Zu diesem Prozess gehört es, dass wir einfach die Qualitäten und Fähigkeiten, über die der Geist von Natur aus bereits verfügt, auf methodische Weise bündeln, fokussieren und so unsere Basis aufbauen.
Die »Knochen und Sehnen des Geistes« sind Achtsamkeit und Gewahrsein. Achtsamkeit ist die Stärke des Geistes und Gewahrsein seine Flexibilität. Ohne diese Fähigkeiten können wir nicht funktionieren. Ob wir ein Glas Wasser trinken oder uns unterhalten, wir nutzen Achtsamkeit und Gewahrsein.
Zur Erfüllung einer Funktion leistet der Geist nur das Nötigste, es sei denn, wir trainieren ihn. In dieser Hinsicht gleicht er dem Körper. Zum Beispiel sind unsere Muskeln und Knochen stark genug, um uns das Gehen zu ermöglichen – nicht aber das schnelle Rennen, wenn wir sie nicht dazu trainiert haben. Ohne entsprechende Kondition ermatten wir schon, wenn wir plötzlich losspurten müssen, um unsere Kinder aus einer Gefahrenzone herauszuholen oder um noch ein Flugzeug oder einen Bus zu erwischen.
Ähnlich hat unser Geist hinreichend Achtsamkeit und Gewahrsein entwickelt, um uns ohne Anstrengung die Fahrt zur Arbeit zu ermöglichen. Müssten wir aber ohne Navigationssystem quer durchs ganze Land fahren, wären wir wahrscheinlich ein wenig schwerfälliger und würden etwas umständlich unsere Routen planen. Wer ständig lange Fahrten unternimmt wie zum Beispiel die Trucker, ist da wesentlich routinierter.
Der Unterschied zwischen Geist und Körper ist in diesem Zusammenhang der, dass niemand von uns erstaunt ist, wenn wir losrennen, um den Bus noch zu erwischen, und uns dabei die Puste ausgeht. Kein Mensch würde sich etwa sagen: »Ich fasse es nicht, dass ich keine vierzig Stundenkilometer laufen kann!« Im Hinblick auf den Geist verhalten wir uns aber oft derart irrational. Wenn uns dann lange Arbeitsstunden, noch mehr E-Mails oder elterliche Pflichten zu viel werden, geben wir uns gereizt, bekommen schlechte Laune und werden unglücklich. Wir kommen gar nicht erst auf den Gedanken, dass unser Geist für die geforderten Aufgaben nicht in Form ist. Wir setzen uns noch mehr unter Druck, weil wir davon ausgehen, dass wir einfach in der Lage sein sollten, das alles zu handhaben. Es dürfte uns aber eigentlich nicht überraschen, wenn wir es nicht können, denn wir haben dann sicher keine Basis dafür geschaffen.
Da ich in einer Kultur der Meditation aufgewachsen bin, war sie für mich immer etwas Natürliches und Praktikables. Mein Vater, Chögyam Trungpa Rinpoche, war einer der größten Meditationsmeister, die Tibet je hervorgebracht hat. Meine Mutter war dort schon als junges Mädchen dafür bekannt, dass sie eine begabte Meditierende war. Ich wuchs mit machtvollen, intelligenten und charismatischen Menschen auf, die die Vorzüge der Meditation lehrten und die Notwendigkeit der Geistesschulung erläuterten. Für mich wurde Meditation etwas Normales, wie Wasser zu trinken oder einen Spaziergang zu machen. Ich wuchs mit dem Beweis auf, dass sie funktioniert und wirkt.
Im Westen gibt es keine allgemein verbreitete Meditationskultur, weshalb viele Menschen natürlich nicht damit vertraut sind. Für nicht wenige stellt die Meditation immer noch etwas sehr Mysteriöses oder Esoterisches dar. Doch mittlerweile ist sie bekannter geworden, und immer mehr Menschen aus dem westlichen Kulturkreis interessieren sich für sie, vor allem da Untersuchungen ihre Wirksamkeit bei der Stressreduzierung belegen.
Wenn wir zu meditieren lernen, ist es wichtig, die richtige Anleitung und persönliche Unterweisung zu bekommen. Körperhaltung, Einstellung, Hindernisse und Gegenmittel – all das verlangt eine gute Unterweisung. Daher will ich hier versuchen, einige grundlegende Fakten über die Meditation darzulegen und auch ein paar Märchen darüber zu entlarven, um Ihnen beim Aufbau Ihrer Basis behilflich zu sein.
Wie ich schon gesagt habe, ist Bewegung gut für den Körper und Stillsein gut für den Geist. Um ein ausgewogenes Leben führen zu können, müssen wir uns einerseits engagieren und aktiv sein, uns zu gegebener Zeit aber auch vertiefen und ruhen. Wenn wir aktiv sind – laufen, reden oder arbeiten –, ist der Geist überwiegend mit Vorgängen befasst, die vom sympathischen Nervensystem gesteuert werden. Wenn wir die Prozesse des sympathischen Nervensystems nicht mit denen des parasympathischen ausbalancieren, bei denen wir in die Tiefe gehen und Ruhe walten lassen, sind wir schließlich angespannt, nervös und emotional überempfindlich. Lange Phasen der Überreizung – wie zu viel Aktivität – beginnen sich negativ auf die Organe und den Blutkreislauf auszuwirken. Auf der geistigen Ebene werden wir stumpf oder abgespannt. Und, am wichtigsten, wir sind nicht mehr zu tieferen kontemplativen Gedanken fähig.
Im Aktivitätsmodus sind wir im Allgemeinen mit lange erprobten Gewohnheiten befasst, die sich nur schwer ändern lassen, wenn wir einmal in Fahrt sind und unser Alltag seinen Lauf genommen hat. Oft bedarf es erst eines massiven Einschnitts wie einer Tragödie oder eines gravierenden Wechsels der Lebensumstände, damit wir innehalten, unser Tempo drosseln, nachdenken und unser Interesse schließlich der Kultivierung eines stärker parasympathischen Modus zuwenden. Es ist unbeschreiblich wohltuend und förderlich, wenn wir wie bei der Meditation den Körper still halten und den Geist entspannen, zugleich aber fokussiert bleiben. Weil wir aber nicht an einen solchen kontemplativen Zustand gewöhnt sind, fühlen wir uns zunächst unbehaglich dabei. Wir haben Schwierigkeiten, unsere Gewohnheiten zu ändern.
Bei der Meditation wird diese Schwierigkeit erkannt, und genau das wird auch im Wesentlichen von ihr angegangen. Wenn wir meditieren lernen, werden wir als Erstes in die Technik des ruhigen Verweilens eingeführt, in eine Phase der Stille und Vertiefung. Wenn wir uns mit dieser Technik wohl fühlen, üben wir uns in tieferer Kontemplation, bei der wir darüber nachdenken, wie wir unser Leben führen wollen, und andere geistige Gewohnheiten zu kultivieren beginnen. Beim Meditieren schaffen wir neue Pfade für den Geist, das Gehirn und auch das Herz. So bauen wir eine Basis auf.
Wenn wir zu meditieren beginnen, sind wir ähnlich wie beim Laufen mit etwas befasst, was ganz anders ist als das, was wir je zuvor gemacht haben. Und deshalb sollten wir es vor allem am Anfang nicht übertreiben.