Hunter S. Thompson
Angst und Schrecken
in Las Vegas
Eine wilde Reise in das Herz
des Amerikanischen Traumes
Aus dem Amerikanischen
von Teja Schwaner
Wilhelm Heyne Verlag
Wir waren irgendwo bei Barstow am Rande der Wüste, als die Drogen zu wirken begannen. Ich weiß noch, daß ich so was sagte wie: »Mir hebt sich die Schädeldecke; vielleicht solltest du fahren . . .« Und plötzlich war ein schreckliches Getöse um uns herum, und der Himmel war voller Viecher, die aussahen wie riesige Fledermäuse, und sie alle stürzten herab auf uns, kreischend, wie ein Kamikaze-Angriff auf den Wagen, der mit hundert Meilen Geschwindigkeit und heruntergelassenem Verdeck nach Las Vegas fuhr. Und eine Stimme schrie: »Heiliger Jesus! Was sind das für gottverdammte Biester?«
Dann war es wieder still. Mein Anwalt hatte sich das Hemd ausgezogen und goß sich Bier auf die Brust, um den Bräunungsprozeß zu fördern. »Weswegen schreist du so rum, zum Teufel?« murrte er, mit geschlossenen Augen in die Sonne starrend. Er trug eine von diesen spanischen Sonnenbrillen, die um die Schläfen reichen. »Schon gut«, sagte ich. »Du bist jetzt mit Fahren dran.« Ich stieg in die Bremsen und manövrierte den Großen Roten Hai an den Rand der Landstraße. Keinen Zweck, die Fledermäuse zu erwähnen, dachte ich. Das arme Schwein wird sie bald genug selbst sehen.
Es war fast Mittag, und über hundert Meilen lagen noch vor uns. Harte Meilen. Sehr bald würden wir beide völlig weggetreten sein. Aber es gab kein Zurück, keine Zeit, sich auszuruhen. Wir mußten fahren bis zum Ende. Die Presse-Anmeldung für das fantastische Mint 400 war schon angelaufen, und wir mußten vor vier Uhr da sein, um in unsere schalldichte Suite einzuchecken. Ein schniekes Sport-Magazin in New York hatte für uns reserviert und außerdem für dieses riesige rote Chevy-Kabrio geblecht, das wir uns am Sunset Strip gemietet hatten . . . und ich war schließlich ein Profi-Journalist; also hatte ich die Verpflichtung, mit der Story rüberzukommen, was auch geschehen mochte.
Die Redakteure von der Sportzeitschrift hatten mir außerdem 300 Dollar in bar gegeben, und das meiste davon war schon für äußerst gefährliche Drogen ausgegeben. Der Kofferraum des Wagens sah aus wie ein mobiles Labor des Rauschgiftdezernats. Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbögen extrastarkes Acid, einen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Upper, Downer, Heuler, Lacher . . . sowie eine Flasche Tequila, eine Flasche Rum, einen Karton Budweiser, einen halben Liter unverdünnten Äther und zwei Dutzend Knick-und-Riech.
Den ganzen Kram hatten wir in der Nacht zuvor zusammengerafft, auf einer wilden Höllenfahrt durch den gesamten Los-Angeles-Bezirk; von Topanga bis Watts griffen wir uns alles, dessen wir habhaft werden konnten. Nicht, daß wir das ganze Zeug für den Trip wirklich brauchten, aber wenn man sich einmal darauf einläßt, eine ernsthafte Drogen-Sammlung anzulegen, neigt man eben dazu, extrem zu werden.
Echte Sorge machte mir nur der Äther. Nichts auf der Welt ist hilfloser und unverantwortlicher und entarteter als ein Mensch in den Klauen eines Äther-Rausches. Und ich wußte, daß wir sehr bald das verfluchte Zeug antesten würden. Wahrscheinlich schon an der nächsten Tankstelle. Fast alles andere hatten wir schon ausprobiert, und jetzt – ja, es war Zeit für eine ausgiebige Nase Äther. Und dann die nächsten hundert Meilen abreißen in schauderhaftem Stupor, sabbelnd wie Spastiker. Die einzige Möglichkeit, auf Äther noch einigermaßen durchzublicken: man muß eine Menge Knick-und-Riech weghauen – nicht alle auf einmal, sondern regelmäßig, gerade genug, um bei neunzig Meilen durch Barstow noch klar zu sehen.
»Mann, so reist sich’s richtig«, sagte mein Anwalt. Er lehnte sich vor, um das Radio voll aufzudrehen, summte den Rhythmus mit und brabbelte die Wörter: »One toke over the line, Sweet Jesus . . . One toke over the line . . .«
Ein Zug zuviel? Du armer Narr! Warte nur, bis du die gottverdammten Fledermäuse siehst. Ich konnte das Radio kaum hören . . . hing ganz außen auf meinem Sitz und rackerte mich mit dem Kassetten-Rekorder ab, aus dem in voller Lautstärke »Sympathy for the Devil« brüllte. Das war das einzige Band, das wir hatten, also spielten wir es ununterbrochen, immer wieder, als eine Art ausgedrehten Kontrapunkt zum Radio. Und auch,um unseren Rhythmus auf der Straße beizubehalten. Eine stete Fahrweise ist gut für den Benzinverbrauch – und auch wegen was anderem, das uns zu der Zeit wichtig schien. Ehrlich. Auf einem Trip wie diesem muß man vorsichtig sein mit dem Benzinverbrauch. Jede plötzliche Beschleunigung vermeiden, die einem das Blut in den Hinterkopf staucht.
Mein Anwalt sah den Tramper lange vor mir. »Komm, den Jungen nehmen wir ein Stück mit«, sagte er, und bevor ich irgendein Gegenargument loslassen konnte, hatte er schon angehalten, und dies bedauernswerte Okie-Bürschchen kam zum Wagen gerannt mit einem breiten Grinsen im Gesicht: »Hundsverdammt! Bin noch nie in ’nem Kabrio gefahren!«
»Tatsächlich?« sagte ich. »Na, dann wird’s wohl mal Zeit, oder?«
Das Bürschlein nickte beifällig, als wir losbrausten.
»Wir sind deine Freunde«, sagte mein Anwalt. »Wir sind nicht wie die anderen.«
Mein Gott, dachte ich, er ist ausgeflippt. »Keine solchen Sprüche mehr«, sagte ich scharf, »sonst setz’ ich dir die Blutegel an.« Er grinste, schien zu verstehen. Glücklicherweise war der Lärm im Wagen so schrecklich – Fahrtwind und Radio und Kassetten-Rekorder zusammen –, daß der Junge auf dem Rücksitz nicht ein Wort verstehen konnte, was wir sagten. Oder doch?
Wie lange können wir durchhalten? fragte ich mich. Wie lange, bis einer von uns zu tönen beginnt und den Jungen vollquasselt? Was wird er dann von uns denken? Dieselbe verlassene Wüste war die letzte bekannte Heimstatt der Manson-Familie. Wird er diese grimmige Assoziation haben, wenn mein Anwalt anfängt, herumzuschreien von Fledermäusen und riesigen Mantarochen, die sich auf den Wagen stürzen. Wenn ja – nun, dann müssen wir ihm eben den Kopf abhacken und ihn irgendwo begraben. Denn es ist wohl einmal klar, daß wir ihn nicht laufenlassen dürfen. Er wird uns sofort bei irgendeiner hinterwäldlerischen Nazi-Gesetzeshüter-Vertretung melden, und die werden uns aufspüren wie Bluthunde.
Jesus! Habe ich das gesagt? Oder nur gedacht? Hab’ ich gesprochen? Hörten sie mich? Ich warf einen Blick auf meinen Anwalt, aber er schien selbstvergessen – beobachtete die Straße, fuhr unseren Großen Roten Hai mit hundertundzehn oder so. Kein Ton ließ sich vom Rücksitz vernehmen.
Vielleicht sollte ich mich mal mit dem Jungen unterhalten, dachte ich. Vielleicht bleibt er ruhig, wenn ich die Sache erkläre.
Klar. Ich drehte mich auf dem Sitz herum und schenkte ihm ein Riesenlächeln . . . seine Schädelform bewundernd.
»Überhaupt«, sagte ich, »gibt es da etwas, das du wohl wissen solltest.«
Er starrte mich an, ohne mit den Wimpern zu zucken. Knirschte er mit den Zähnen?
»Kannst du mich hören?« rief ich.
Er nickte.
»Das ist gut«, sagte ich, »denn ich möchte, daß du etwas weißt: Wir sind auf dem Weg nach Las Vegas, um den Amerikanischen Traum zu finden.« Ich lächelte. »Darum haben wir auch diesen Wagen gemietet. Anders geht es nämlich nicht. Kannst du das kapieren?«
Er nickte wieder, aber seine Augen blickten nervös.
»Ich möchte, daß du den gesamten Hintergrund erfährst«, sagte ich. »Denn es handelt sich um eine schicksalsschwere Aufgabe – mit einem Beiklang äußerster persönlicher Gefahr . . . Teufel auch, ich hab’ ja ganz das Bier vergessen; willst du eins?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wie wär’s mit etwas Äther?« fragte ich.
»Was?«
»Schon gut. Kommen wir mal direkt auf den Kern der Sache. Also, hör zu, vor ungefähr vierundzwanzig Stunden saßen wir in der Polo Lounge des Beverly Hills Hotels – im Innenhof selbstverständlich –, und wir saßen da unter einer Palme, als dieser uniformierte Zwerg mit einem rosa Telefon zu mir kam und sagte: ›Dies muß der Anruf sein, auf den Sie schon die ganze Zeit gewartet haben, Sir.‹«
Ich lachte und riß eine Bierdose auf, daß der Schaum auf den Rücksitz spritzte, während ich weitersprach. »Und ahnst du das? Er hatte recht! Ich hatte den Anruf erwartet, aber ich wußte nicht, von wem er kommen würde. Kannst du mir noch folgen?«
Das Gesicht des Jungen war eine Maske purer Furcht und Verwirrung.
Ich blubberte weiter: »Ich möchte, daß du weißt, wer der Mann am Steuer ist. Mein Anwalt! Nicht irgendein Penner, den ich am Strip aufgelesen habe. Scheiße, sieh ihn dir an! Er sieht nicht aus wie du oder ich, stimmt’s? Das kommt, weil er ein Ausländer ist. Meiner Meinung nach ist er wahrscheinlich Samoaner. Aber das macht nichts, oder? Hast du etwa Vorurteile?«
»Um Himmels willen, nein!« platzte er heraus.
»Hab’ ich auch nicht erwartet«, sagte ich. »Trotz seiner Rasse ist dieser Mann für mich äußerst wertvoll.« Ich schielte zu meinem Anwalt, aber der war im Geist ganz woanders.
Ich drosch mit der Faust auf den Fahrersitz. »Das ist wichtig, gottverdammt! Das ist eine wahre Geschichte!« Der Wagen schleuderte unheilvoll, fing sich jedoch wieder. »Nimm deine Hände von meinem verdammten Nacken!« schrie mein Anwalt. Der Junge hinten sah aus, als sei er bereit, auf Teufelkommheraus aus dem Wagen zu springen.
Unsere Vibrations wurden böse – aber warum? Ich war verwirrt, frustriert. Kam denn keine Kommunikation in diesem Wagen zustande? Waren wir degeneriert zu tumben Tieren?
Schließlich war meine Geschichte wahr, daran zweifelte ich nicht. Und es war äußerst wichtig, meinte ich, daß die Bedeutung unserer Reise absolut klar war. Wir hatten tatsächlich da in der Polo Lounge gesessen – stundenlang – und Singapore Slings getrunken, mit Meskal nebenbei und einigen Bieren zum Nachspülen. Und als der Anruf kam, war ich bereit.
Der Zwerg näherte sich nur vorsichtig unserem Tisch, wie ich mich entsinne, und als er mir das rosa Telefon gab, sagte ich nichts, hörte nur zu. Dann legte ich auf und wandte mich meinem Anwalt zu. »Es war das Hauptquartier«, sagte ich. »Sie wollen, daß ich sofort nach Las Vegas fahre und Kontakt aufnehme mit einem portugiesischen Fotografen namens Lacerda. Er weiß die näheren Einzelheiten. Ich brauche nur meine Suite zu belegen, und er wird mich aufsuchen.«
Mein Anwalt sagte einen Augenblick gar nichts, dann schien er auf seinem Stuhl lebendig zu werden. »Gott in der Hölle!« rief er aus. »Ich glaube, ich erkenne den Plan! Das Ding riecht nach bösem Ärger!« Er stopfte sich sein Khaki-Unterhemd in den Bund seiner weißen Kunstseiden-Jeans und orderte neue Drinks. »Du wirst eine ganze Menge Rechtsberatung brauchen, bevor diese Sache durchgestanden ist«, sagte er. »Und mein erster Rat ist, daß du einen sehr schnellen Wagen ohne Verdeck mietest und für mindestens achtundvierzig Stunden aus LA verschwindest.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Damit ist mein Wochenende verdorben, denn ich muß dich natürlich begleiten – und wir müssen uns wappnen.«
»Warum auch nicht?« sagte ich. »Wenn eine solche Sache es überhaupt wert ist, dann ist sie es wert, richtig angepackt zu werden. Wir brauchen anständige Ausrüstung und obendrein eine Menge Kohle – hauptsächlich für Drogen und einen superempfindlichen Kassetten-Rekorder, denn schließlich müssen wir eine dauerhafte Aufzeichnung machen.«
»Um was für eine Geschichte geht es überhaupt?« fragte er.
»Das Mint 400«, sagte ich. »Es ist das höchstdotierte Querfeldein-Rennen für Motorräder und Dünen-Buggies in der Geschichte des organisierten Sports – ein fantastisches Spektakel zu Ehren eines fettwanstigen grossero namens Del Webb, dem das luxuriöse Mint Hotel im Herzen von Las Vegas gehört . . . so steht’s jedenfalls in der Presse-Erklärung, und mein Mann in New York hat’s mir gerade vorgelesen.«
»Gut denn«, sagte er, »als dein Anwalt rate ich dir, ein Motorrad zu kaufen. Wie kannst du sonst über eine solche Sache guten Gewissens berichten?«
»Absolut nicht«, stimmte ich zu. »Wie kommen wir an eine Vincent Black Shadow ran?«
»Was is’n das?«
»Ein fantastisches Motorrad«, sagte ich. »Das neue Modell hat wohl so ungefähr zweitausend Kubik-Inches, entwickelt zweihundert Brems-Pferdestärken bei viertausend Umdrehungen in der Minute auf einem Magnesiumrahmen mit zwei Schaumgummisitzen und einem Gesamt-Bordstein-Gewicht von exakt zweihundert Pfund.«
»Das klingt ungefähr richtig für den Job«, sagte er.
»Ist es auch«, versicherte ich ihm. »Das Scheißding hat keine gute Kurvenlage, aber ist die reine Hölle auf ’ner Geraden. Ist schneller als die F-111, bevor sie abhebt.«
»Abhebt?« sagte er. »Könn’n wir mit soviel Drehmoment fertig werden?«
»Absolut«, sagte ich. »Ich werd’ New York anrufen wegen Bargeld.«
Im New Yorker Büro hatte man noch nie von der Vincent Black Shadow gehört: Man verwies mich an das Büro in Los Angeles – es befindet sich in Beverly Hills, nur ein paar Blocks von der Polo Lounge entfernt –, aber als ich dort ankam, weigerte sich die Kohle-Dame, mir mehr als dreihundert Dollar in bar zu geben. Sie hätte schließlich keine Ahnung, wer ich sei, sagte sie, und inzwischen lief mir schon der Schweiß vom Körper. Mein Blut ist zu dick für Kalifornien: Mir ist es noch nie gelungen, mich in diesem Klima angemessen verständlich zu machen. Nicht in Schweiß gebadet . . . mit rollenden roten Augen und zitternden Händen.
Also nahm ich die dreihundert Dollar und ging. Mein Anwalt wartete in einer Bar um die Ecke. »Das haut nicht hin«, sagte er, »es sei denn, wir haben unbegrenzten Kredit.«
Den hätten wir, versicherte ich ihm. »Ihr Samoaner seid alle gleich«, informierte ich ihn. »Ihr habt einfach kein Vertrauen in die Wohlanständigkeit, auf die sich die Kultur des weißen Mannes gründet. Jesus, noch vor einer Stunde saßen wir in diesem stinkenden Polo-Puff, total abgebrannt und ein lahmes Wochenende vor Augen, da kommt ein Anruf von einem Wildfremden aus New York, der sagt mir, ich soll nach Las Vegas fahren und brauche mich um die Kosten nicht zu scheren – und dann schickt er mich in irgendein Büro in Beverly Hills, wo mir eine Wildfremde 300 $ in bar gibt, ohne zu fragen, wieso . . . ich sag’ dir, Mann, das ist der Amerikanische Traum in voller Fahrt! Wir wären doch bescheuert, wenn wir uns nicht auf diesen komischen Torpedo setzen und bis zum Ziel mitfahren.«
»In der Tat«, sagte er. »Wir müssen es machen.«
»Genau«, sagte ich. »Aber zuerst brauchen wir den Wagen. Und gleich danach das Koks. Und dann den Kassetten-Rekorder, für Spezial-Musik, und ein paar Acapulco-Hemden.« Ich war überzeugt, daß man auf einen Trip wie diesen nur gehen konnte, indem man sich ausstaffierte wie ein menschlicher Pfau und verrückt spielte, dann abdüste durch die Wüste und mit der Story rüberkam. Niemals die wesentliche Verantwortung aus den Augen verlieren.
Aber was war das für eine Geschichte? Niemand hatte es für nötig gehalten, davon zu sprechen. Also mußten wir sie auf eigene Faust ausbaldowern. Freie Marktwirtschaft. Der Amerikanische Traum. Horatio Alger auf Drogen ausgeflippt in Las Vegas. Tu’s sofort: reiner Gonzo-Journalismus.
Hinzu kam der sozio-psychische Faktor. Von Zeit zu Zeit, wenn das Leben kompliziert wird und die Hyänen dich einkreisen, dann gibt es nur eine Rettung: sich mit verruchten Chemikalien vollpumpen und wie ein toller Hund von Hollywood nach Las Vegas fahren. Um sich zu entspannen, sozusagen, im Mutterschoß der Wüstensonne. Einfach das Verdeck zurückgerollt und festgemacht, – das Gesicht mit weißer Sonnenmilch eingeschmiert und dann losgefahren mit Musik in voller Lautstärke und mindestens einem halben Liter Äther.
Die Drogen aufzutun, war kein Problem gewesen, aber den Wagen und den Kassetten-Rekorder um 18.30h an einem Freitag abend in Hollywood aufzureißen, war kein Leichtes. Ich hatte zwar schon einen Wagen, aber der war viel zu klein und zu langsam für eine Wüsten-Tour. Wir gingen in eine polynesische Bar, wo mein Anwalt siebzehn Telefonate erledigte, bevor er ein Kabrio mit angemessener PS-Zahl und der richtigen Farbe lokalisiert hatte.
Warten Sie«, hörte ich ihn ins Telefon sagen. »Wir sind in einer halben Stunde bei Ihnen, um den Handel abzuwickeln.« Dann eine Pause, und er schrie: »Was? Natürlich ist der Herr im Besitz einer Kreditkarte von einer angesehenen Gesellschaft! Ist Ihnen verdammt noch mal nicht klar, mit wem Sie es zu tun haben?«
»Laß dich von diesen Schweinen nicht anrotzen«, sagte ich, als er den Hörer auf die Gabel knallte. »Jetzt brauchen wir noch einen Stereo-Laden mit bestem Sortiment. Nichts Piffiges. Wir brauchen eines von diesen neuen belgischen Heliowatts mit Spezial-Richtmikrofon, um Gespräche in entgegenkommenden Autos abzuhören.«
Nach einigen weiteren Anrufen fanden wir genau das richtige Gerät in einem Laden, der ungefähr fünf Meilen entfernt war. Er hatte schon geschlossen, aber der Verkäufer versprach zu warten, wenn wir uns beeilten.Wir wurden jedoch unterwegs aufgehalten, weil direkt vor uns auf dem Sunset Boulevard ein Stingray einen Fußgänger totfuhr. Der Laden war geschlossen, als wir ankamen. Es waren zwar noch Leute drinnen, aber die weigerten sich, an die Doppel-Glastür zu kommen, bis wir kräftig dagegenschlugen und unsere Absicht deutlich machten.
Schließlich kamen zwei Verkäufer an die Tür und schwangen drohend Montiereisen. Durch einen winzigen Schlitz wurden wir uns handelseinig. Dann öffneten sie die Tür gerade weit genug, um das Gerät herauszureichen, bevor sie sie wieder zuschlugen und abschlossen. »Jetzt nehmt das Zeug und macht, daß ihr wegkommt«, rief einer durch den Schlitz.
Mein Anwalt hob die Faust gegen sie. »Wir kommen zurück«, schrie er. »Eines Tages schmeiß’ ich ’ne Bombe in diesen verfickten Laden! Ich hab’ ja deinen Namen auf dem Quittungszettel! Ich finde heraus, wo du wohnst, und dann steck’ ich dein Haus an!«
»Das gibt ihm was zum Nachdenken«, murmelte er, als wir wegfuhren. »Der Bursche ist sowieso ein paranoider Neurotiker. Die erkennt man auf den ersten Blick.«
Bei der Auto-Vermietung hatten wir wieder Ärger. Nachdem ich alle Papiere unterschrieben hatte, stieg ich in den Wagen und verlor beinahe die Kontrolle, als ich ihn zurücksetzte, um an die Tanksäule zu fahren. Der Angestellte war offensichtlich erschüttert.
»Sagt mal . . . äh . . . Freunde, ihr werdet doch vorsichtig sein mit dem Wagen, was?«
»Aber klar.«
»Aber um Gottes willen!« sagte er. »Sie sind gerade über die Beton-Abgrenzung gefahren und haben nicht mal Gas weggenommen! Fünfundvierzig im Rückwärtsgang! Beinahe hätten Sie die Tanksäule umgefahren!«
»Ist doch nichts passiert«, sagte ich. »So teste ich immer das Getriebe. Und die Hinterachse. Auf Belastbarkeit.«
Inzwischen war mein Anwalt damit beschäftigt, Rum und Eis aus dem Pinto auf den Rücksitz des Kabrios umzuladen. Der Leihwagen-Typ sah nervös zu.
»Sagt mal«, ließ er sich hören, »trinkt ihr Burschen etwa?«
»Ich nicht«, sagte ich.
»Machen Sie endlich den gottverdammten Tank voll«, fuhr ihn mein Anwalt an. »Wir haben’s verdammt eilig. Wir sind auf dem Weg nach Las Vegas zu einem Wüsten-Rennen.«
»Was?«
»Schon gut«, sagte ich. »Wir sind verantwortungsbewußte Leute.« Ich sah zu, wie er den Tankdeckel wieder festschraubte, haute einen niedrigen Gang rein, und dann zockelten wir auf die Hauptstraße.
»Wieder einer von diesen Deprimos«, sagte mein Anwalt. »Der ist wahrscheinlich ausgehakt von Speed.«
»Jäh, wir hätten ihm ein paar Rote geben sollen.«
»Solchem Schwein helfen auch keine Roten«, sagte er. »Zur Hölle mit ihm. Wir haben ’ne Menge Sachen zu erledigen, bevor wir auf die Meile gehen können.«
»Wär gut, wenn wir noch ein paar Soutanen auftreiben könnten«, sagte ich. »Die könnten uns in Las Vegas vielleicht nützlich sein.«
Aber es war kein Kostümverleih mehr offen, und uns war nicht danach, eine Kirche zu plündern. »Was soll’s auch?« sagte mein Anwalt. »Denk doch dran, daß viele Bullen bösartig fromme Katholiken sind. Stell dir vor, was die Hundesöhne mit uns machen, wenn sie uns vollgeturnt und in gestohlener Priesterkluft hopsnehmen. Jesus, die würden uns kastrieren!«
»Du hast recht«, sagte ich. »Und rauch die Pfeife um Himmels willen nicht an der Ampel. Denk dran, daß wir halb im Freien sitzen.«
Er nickte. »Wir brauchen eine große Wasserpfeife. Die können wir dann hier auf den Sitz stellen, daß sie keiner sieht. Wenn jemand uns beobachtet, denkt er, wir nehmen ’ne Sauerstoffdusche.«
Wir verbrachten den Rest der Nacht damit, unsere Sachen zusammenzukriegen und den Wagen zu packen. Dann aßen wir das Meskalin und gingen im Ozean schwimmen. Gegen Morgengrauen frühstückten wir in einer Kaffee-Bar in Malibu, fuhren dann vorsichtig durch die Stadt und packten endlich den nebelverhangenen Pasadena Freeway, Richtung Osten.
Noch immer geht mir die Bemerkung unseres Trampers durch den Kopf, er sei »noch nie zuvor in einem Kabrio gefahren«. Hier ist dies armselige Bürschlein: lebt in einer Welt von Kabrios, die überall auf den Landstraßen an ihm vorüberzischen, und er ist noch nicht mal in einem mitgefahren. Ich kam mir vor wie König Faruk. Ich fühlte mich versucht, meinen Anwalt anzuweisen, den nächsten Flughafen anzulaufen und dort einen ganz einfachen, allgemeingültigen Vertrag aufzusetzen, mit dem wir den Wagen diesem glücklosen Idioten schenkten. Einfach zu ihm sagen: »Hier, unterschreib das, und der Wagen gehört dir.« Ihm die Schlüssel geben und dann die Kreditkarte benutzen, um mit einem Jet abzudüsen an einen Ort wie Miami, und dort wieder ein riesiges kirschrotes Kabrio mieten für eine drogenselige, höchstgeschwinde Fahrt über das Wasser hinaus bis zur Endstation in Key West . . . und dort den Wagen eintauschen gegen ein Boot. Nur nicht anhalten, immer voran.
Aber diese Zwangsvorstellung verging mir schnell. Es hatte keinen Sinn, diesen harmlosen Jungen hinter Gitter zu schaffen – und außerdem hatte ich noch meine Pläne mit dem Wagen. Ich war schon geil darauf, mit dem Schlitten in Las Vegas rumzumotzen. Vielleicht ein kleines, aber entschlossenes Straßenrennen auf dem Strip: Rangefahren an die große Ampel direkt vorm Flamingo und dann in den Verkehr gebrüllt:
»Na los, ihr feigen Schlappschwänze! Ihr Hosenscheißer! Wenn diese gottverdammte Ampel auf Grün springt, dann werd’ ich auf die Tube drücken und jeden einzelnen schwachbrüstigen Rotzlümmel von euch von der Straße fegen!«
Genau! Diese Hundesöhne auf ihrem eigenen Pflaster herausfordern. Mit kreischenden Bremsen auf den Überweg zurasen, bockend und schleudernd mit ’ner Flasche Rum in der Hand und auf die Hupe gedrückt, um den Lärm der Musik zu übertönen . . . die glasigen Augen hinter winzigen, goldrandigen Rocker-Sonnengläsern irre weit aufgerissen, Humbug labernd . . . ein echt gefährlicher Trunkenbold, der nach Äther riecht und unheilbarer Psychose. Die Maschine hochgepeitscht, bis sie schauderhaft rappelt und wimmert, bis endlich die Ampel umspringt . . .
Wie oft bietet sich so eine Gelegenheit? Die Hundesöhne richtig in die Mangel nehmen, bis ihnen ihr Tick zum Hirn rausgequetscht ist. Alte Elefanten humpeln in die Berge, um zu sterben; alte Amerikaner begeben sich hinaus auf die Landstraße und fahren sich in riesigen Wagen zu Tode.
Aber unser Trip war etwas anderes. Er war die klassische Bestätigung aller richtigen und wahren und anständigen Eigenschaften unseres Nationalcharakters. Er war eine derbe, physische Ehrenbezeugung an die fantastischen Möglichkeiten, in diesem Lande zu leben – aber nur für diejenigen mit echtem Mumm. Und davon hatten wir überreichlich.
Mein Anwalt verstand diese Vorstellung trotz des natürlichen Handikaps seiner Abstammung, aber unser Tramper war nicht so einfach zu überzeugen. Er sagte zwar, er habe verstanden, aber ich konnte seinen Augen ansehen, daß es nicht stimmte. Er log mich an.
Plötzlich kam der Wagen von der Straße ab und schlitterte in den Kies, wo er stehenblieb. Ich wurde gegen das Armaturenbrett geschleudert. Mein Anwalt hing zusammengesunken über dem Lenkrad. »Was ist passiert?« rief ich. »Wir dürfen hier nicht halten. Wir sind im Fledermaus-Land.«
»Mein Herz«, keuchte er. »Wo ist die Medizin?«
»Oh«, sagte ich, »die Medizin, ja, die haben wir hier.« Ich kramte im Beutel nach den Knick-und-Riech. Der Junge schien vor Schreck erstarrt. »Keine Sorge«, sagte ich zu ihm. »Dieser Mann hat ein krankes Herz – Angina Pectoris. Aber wir haben ein Mittel dagegen. Ja, da hätten wir’s schon.« Ich pickte vier Knick-und-Riechs aus der Blechschachtel und gab zwei davon meinem Anwalt. Augenblicklich ließ er eins davon unter seiner Nase knacken, und ich tat dasselbe.
Er zog tief durch und ließ sich auf dem Sitz zurückfallen, wobei er direkt in die Sonne starrte. »Dreh die verfluchte Musik auf!« schrie er. »Mein Herz fühlt sich wie ’n Alligator!«
»Lautstärke! Rauschfilter! Bass! Wir müssen Bass haben!« Er verschränkte seine nackten Arme gegen den Himmel. »Was ist nur los mit uns? Sind wir gottverdammte alte Weiber?«
Ich drehte sowohl das Radio wie den Rekorder voll auf. »Du grindiger Hundesohn von einem Rechtsverdreher«, sagte ich. »Nimm dich in acht, was du sagst. Du sprichst mit einem promovierten Journalisten!«
Er lachte, daß er sich nicht mehr halten konnte. »Was zum Teufel machen wir hier draußen in der Wüste?« rief er. »Jemand muß die Polizei rufen! Wir brauchen Hilfe!«
»Kümmer dich nicht um dieses Schwein«, sagte ich zu dem Tramper. »Er verträgt die Medizin nicht. Eigentlich sind wir beide promovierte Journalisten, und wir befinden uns auf dem Weg nach Las Vegas, um die entscheidende Geschichte unserer Generation zu schreiben.« Und dann fing ich an zu lachen . . .
Mein Anwalt buckelte sich herum und sah den Tramper an. »Die Wahrheit ist«, sagte er, »wir fahren nach Las Vegas, um einen Heroin-Baron namens Savage Henry allezumachen. Ich kenne ihn seit Jahren, aber er hat uns reinlegen wollen – und du weißt, was das bedeutet, oder?«
Ich wollte ihn zum Schweigen bringen, aber wir konnten uns beide vor Lachen nicht halten. Was zum Teufel machten wir hier draußen in der Wüste, wenn wir beide kranke Herzen hatten?
»Savage Henry hat seinen Scheck eingelöst!« Mein Anwalt knurrte den Jungen auf dem Rücksitz an. »Wir werden ihm die Lungen rausreißen!«
»Und sie auffressen!« platzte ich heraus. »Der Hundesohn kommt uns damit nicht durch! Wohin sind wir in diesem Land gekommen, wenn ein Speichellecker wie der sich erlaubt, einen Doktor des Journalismus übers Ohr zu hauen?«
Niemand antwortete. Mein Anwalt knickte noch einen Riechers, und das Jungelchen kletterte vom Rücksitz, krabbelte über die Kofferraumhaube. »Danke fürs Mitnehmen«, brüllte er. »Vielen Dank. Ich mag euch, Leute. Macht euch keine Gedanken um mich.« Er landete mit den Füßen auf dem Asphalt, und dann rannte er los in Richtung Baker. Mitten in der Wüste, kein Baum weit und breit.
»Moment mal, warte doch!« rief ich ihm nach. »Komm doch zurück und hol dir ein Bier.« Aber anscheinend konnte er mich nicht hören. Die Musik war sehr laut, und er hatte ein ziemliches Tempo drauf, von uns wegzukommen.
»Endlich sind wir den los«, sagte mein Anwalt. »Da hatten wir uns aber einen echten Freak aufgehalst. Der Junge machte mich richtig nervös. Hast du seine Augen gesehen?« Er lachte noch immer. »Jesus«, sagte er, »das ist gute Medizin!«
Ich machte die Tür auf und rannte herum auf die Fahrerseite. »Rück rüber«, sagte ich, »jetzt fahr’ ich. Wir müssen aus Kalifornien raus, bevor das Bürschchen einen Bullen findet.«
»Scheiße, dazu braucht er Stunden«, sagte mein Anwalt. »Der ist doch hundert Meilen von jeder Zivilisation entfernt.«
»Genau wie wir«, sagte ich.
»Laß uns wenden und in die Polo Lounge zurückfahren«, sagte er. »Dort wird niemand nach uns suchen.«
Ich schenkte ihm keine Beachtung. »Mach die Tequilaflasche auf«, brüllte ich, als der Fahrtwind wieder laut wurde. Ich senkte den Bleifuß aufs Gaspedal, als wir auf die Landstraße schlitterten. Einen Augenblick später lehnte er sich mit einer Karte zu mir. »Vor uns liegt ein Ort namens Meskal Springs«, sagte er. »Als dein Anwalt rate ich dir, anzuhalten und ein Bad zu nehmen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist absolut notwendig, daß wir im Mint Hotel ankommen, bevor die Pressestelle dichtmacht«, sagte ich. »Sonst müssen wir vielleicht noch für unsere Suite selbst blechen.«
Er nickte. »Aber laß uns den Scheißdreck mit dem Amerikanischen Traum vergessen«, sagte er, »das einzig Wichtige ist der Große Samoanische Traum.« Er kramte in unserem Beutel. »Ich glaube, es ist Zeit, ein Löschblatt zu kauen«, sagte er. »Dies billige Meskalin wirkt schon lange nicht mehr, und ich weiß nicht, ob ich den Gestank von diesem gottverdammten Äther noch länger aushalte.«
»Mir gefällt er«, sagte ich. »Wir sollten ein Handtuch in dem Zeug einweichen und es beim Gaspedal auf den Boden legen, damit mir die Dämpfe den ganzen Weg bis Las Vegas in die Nase steigen.«
Er drehte die Kassette um. Aus dem Radio plärrte es: »Power to the People – Right On!« John Lennons politischer Song, zehn Jahre zu spät. »Der arme Narr hätte bleiben sollen, wo er herkam«, sagte mein Anwalt. »Rotzlümmel wie der sind nur im Weg, wenn sie versuchen, ernsthaft zu sein.«
»Wo wir gerade von ernsthaft reden«, sagte ich. »Ich glaube, es ist Zeit, daß wir was von dem Äther und dem Koks reinhauen.«
»Vergiß den Äther«, sagte er. »Den heben wir auf und weichen den Teppich in unserer Suite damit ein. Aber hier is’ was für dich. Deine Hälfte von dem Sunshine-Löschblatt. Kau sie durch wie ’n Bubble Gum.«
Ich nahm das Löschpapier und aß es. Mein Anwalt fummelte jetzt mit dem Salzstreuer herum, in dem das Kokain war. Öffnete ihn. Kippte was aus. Schrie und fuchtelte in der Luft herum, als unser kostbarer weißer Staub aufwirbelte und über die Wüsten-Straße fortgeweht wurde. Ein sehr teurer kleiner Wirbelwind, der da aus unserem Großen Roten Hai aufstieg. »Oh, Jesus!« jammerte er. »Hast du gesehen, was Gott uns angetan?«
»Gott hat damit nichts zu tun«, schrie ich ihn an. »Du warst es! Du bist ein verfickter Agent vom Rauschgift-Dezernat. Ich hab’ dein linkes Spiel von Anfang an durchschaut, du stinkendes Schwein!«
»Nimm dich ja in acht«, sagte er. Und plötzlich zielte er mit einer fetten schwarzen .375 Magnum auf mich. Einer von diesen kurzläufigen Colt Pythons mit konischem Zylinder. »Sind ’ne Menge Geier hier draußen«, sagte er. »Die haben deine Knochen sauber abgenagt, bevor es Morgen wird.«
»Du Hurensohn«, sagte ich. »Wenn wir in Las Vegas sind, mach’ ich Hackfleisch aus dir. Was meinst du, macht der Drogen-Bund mit uns, wenn ich mit einem samoanischen RD-Agenten auftauche?«
»Die legen uns beide um«, sagte er. »Savage Henry weiß, wer ich bin. Scheiße, ich bin dein Anwalt.« Er brach in wildes Gelächter aus. »Du bist randvoll mit Acid, du Arsch. Ein gottverdammtes Wunder muß geschehen, damit wir im Hotel sind und einchecken, bevor du dich in ein wildes Tier verwandelst. Kriegst du das in den Griff? Unter falschem Namen in ein Vegas-Hotel einchecken, den Kopf voll Acid, du Hochstapler?« Wieder lachte er, und dann hängte er seine Nase über den Salzstreuer, stocherte mit einem eng zusammengerollten Zwanzig-Dollar-Schein in den Koks-Resten.
»Wie lange haben wir noch?« fragte ich.
»Vielleicht noch eine halbe Stunde«, erwiderte er. »Als dein Anwalt rate ich dir, mit Höchstgeschwindigkeit zu fahren.«
Las Vegas lag schon vor uns. Ich sah die Silhouette der Hotels am Strip, die sich dräuend über dem blauen Bodendunst der Wüste erhob: das Sahara, das Landmark, das Americana und das furchteinflößende Thunderbird – ein Klumpen grauer Rechtecke in der Ferne, wie herauswachsend aus den Kakteen.
Dreißig Minuten. Es dürfte sehr knapp werden. Unser Ziel war der große Turm des Mint Hotels, mitten in der Stadt – und wenn wir nicht dort angekommen waren, bevor wir jede Selbstkontrolle verloren hatten, dann gab es da noch das Staatsgefängnis von Nevada, oben in Carson City. Ich war schon einmal dort gewesen, aber nur, um mich mit den Häftlingen zu unterhalten – und ich wollte nicht wieder hin, aus einem anderen Grund. Also blieb uns eigentlich keine Wahl: wir mußten durchhalten, uns einen Scheiß um das Acid kümmern. All das offizielle Bla-Bla mitmachen, den Wagen in die Hotel-Garage bringen, mit den Typen an der Rezeption verhandeln, mit dem Lift-Boy fertig werden, uns die Presse-Pässe abholen und ihren Erhalt quittieren – alles Humbug natürlich, absolut illegal, ein totaler Betrug, aber natürlich mußte es getan werden.
»TÖTE DEN KÖRPER
UND DER KOPF WIRD STERBEN«
Diese Zeile steht aus irgendeinem Grund in meinem Notizbuch. Vielleicht irgendein Zusammenhang mit Joe Frazier. Lebt der überhaupt noch? Kann der überhaupt noch sprechen? Ich habe den Kampf damals in Seattle miterlebt – furchtbar weggetreten, ungefähr vier Sitzreihen entfernt vom Gouverneur. Eine in jeder Beziehung sehr schmerzliche Erfahrung, der passende Abschluß der sechziger Jahre: Tim Leary ein Gefangener von Eldridge Cleaver in Algerien, Bob Dylan schnippelte Coupons in Greenwich Village, beide Kennedys ermordet von Mutanten, Owsley faltete Servietten auf Terminal Island und schließlich dann noch Cassius/Ali auf unfaßbare Weise von seinem Sockel geprügelt durch einen menschlichen »hamburger«, einen Mann am Rande des Todes. Joe Frazier blieb am Ende überlegen, wie Nixon, aus Gründen, die Leute wie ich sich weigerten zu verstehen – wenigstens nicht lauthals.
. . . Aber das war eine andere Epoche, ausgebrannt und lang vergangen, weit entfernt von den brutalen Realitäten dieses verrotteten Jahres des Herrn, 1971. Eine Menge hatte sich seither verändert. Und jetzt war ich in Las Vegas als der Motorsport-Korrespondent dieses feinen schnieken Magazins, das mich in diesem Großen Roten Hai hierhergeschickt hatte. Warum, wußte niemand. »Sehen Sie sich die Sache mal an«, sagten sie, »und dann reden wir weiter . . .«
Genau. Mal ansehen. Aber als wir schließlich im Mint Hotel ankamen, war mein Anwalt nicht in der Lage, die Anmelde-Prozedur stilvoll abzuwickeln. Wir waren gezwungen, mit all den anderen in einer Schlange anzustehen – was sich unter den Umständen als äußerst schwierig erwies. Ich sagte mir immer wieder: »Bleib ruhig, ganz gelassen, sag gar nichts . . . mach den Mund nur auf, wenn du gefragt wirst: Name, Stellung, im Auftrage welcher Zeitung, sonst nichts, vergiß diese schreckliche Droge, tu so, als sei nichts . . .«
Es ist unmöglich, das Grausen zu schildern, das mich überfiel, als ich schließlich vor die Rezeptions-Tante gedrängt wurde und zu brabbeln begann. All meine wohlgeübten Sätze zerfielen unter dem durchdringenden Blick der Frau. »Hallo zusammen«, sagte ich. »Mein Name ist. . . äh, Raoul Duke . . . ja, steht auf der Liste, sicherlich, Mahlzeiten auf Spesen, Stein der Weisen gefunden, totale Berichterstattung . . . warum nicht? Ich habe meinen Anwalt bei mir, und mir ist durchaus bewußt, daß sein Name nicht auf der Liste steht, aber wir müssen die Suite haben, ja, dieser Mann ist eigentlich mein Fahrer. Wir haben diesen Roten Hai ganz vom Strip hierher gefahren, und jetzt ist es Zeit für einen Wüsten-Nachtisch, oder? Ja. Prüfen Sie nur die Liste, dann werden Sie sehen. Keine Bange. Was läuft hier überhaupt? Wär das alles?«
Die Frau zuckte mit keiner Wimper. »Ihr Zimmer ist noch nicht fertig«, sagte sie. »Aber jemand erwartet Sie.«
»Nein!« rief ich. »Wieso? Wir haben doch noch gar nichts getan!« Meine Beine waren wie Gummi. Ich umklammerte den Tresen und fiel ihr entgegen. Sie hielt mir den Umschlag vor die Nase, aber ich verweigerte die Annahme. Das Gesicht der Frau veränderte sich: blies sich auf, pulsierte . . . schauderhaft grüne Unterkiefer und hervorstehende Fangzähne, das Antlitz einer Muräne! Tödliches Gift! Ich warf mich zurück, stieß gegen meinen Anwalt, der mich am Arm packte und nach dem Umschlag griff. »Ich kümmere mich schon darum«, sagte er zu der Muränen-Frau. »Dieser Mann hat ein schwaches Herz, aber ich habe reichlich Medikamente. Mein Name ist Doktor Gonzo. Richten Sie unsere Suite sofort. – Wir warten in der Bar.«
Die Frau zuckte mit den Achseln, als er mich wegführte. In einer Stadt voller konsequent Irrer wird ein Acid-Freak nicht mal beachtet. Wir kämpften uns durch die überfüllte Eingangshalle und fanden zwei Hocker an der Bar. Mein Anwalt bestellte zwei Cuba Libre mit Bier und Meskal dazu, dann öffnete er den Umschlag. »Wer ist Lacerda?« fragte er. »Der wartet in einem Zimmer im zwölften Stock auf uns.«
Ich konnte mich nicht entsinnen. Lacerda? Irgendwie kam mir der Name bekannt vor, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Schreckliche Sachen passierten um uns herum. Gleich neben mir nagte ein riesiges Reptil am Hals einer Frau, der Teppich war ein voll Blut gesogener Schwamm – unmöglich darauf zu gehen, man hatte bestimmt keinen Halt. »Bestell uns Golfschuhe«, flüsterte ich. »Sonst kommen wir hier nicht lebend weg. Siehst du, daß diese Eidechsen keine Schwierigkeiten haben, in diesem Modder rumzulaufen – aber nur deswegen, weil sie Klauen an den Füßen haben.«
»Eidechsen?« fragte er. »Wenn du meinst, wir sind jetzt übel dran, dann warte nur, bis du siehst, was in den Fahrstühlen los ist.« Er nahm seine brasilianische Sonnenbrille ab, und ich konnte erkennen, daß er geweint hatte. »Ich war gerade oben, um mir diesen Lacerda anzusehen«, sagte er. »Ich habe ihm gesagt, wir wüßten, was er im Schilde führt. Er sagt, er sei Fotograf, aber als ich Savage Henry erwähnt habe – na, da ist es passiert; er flippte aus. Ich konnte es seinen Augen ansehen. Er weiß, daß wir hinter ihm her sind.«
»Ahnt er, daß wir Magnums haben?« fragte ich.
»Nein. Aber ich hab’ ihm gesagt, daß wir ’ne Vincent Black Shadow haben. Da hat er vor Angst in die Hosen gemacht.«
»Gut«, sagte ich. »Aber was ist mit unserem Zimmer? Und den Golfschuhen? Wir stecken mitten in einem gottverdammten Reptilien-Zoo! Und jemand gibt diesen verflixten Viechern auch noch Schnaps! Es wird nicht lange dauern, dann zerfetzen sie uns. Jesus, sieh dir doch den Fußboden an! Hast du schon mal so viel Blut gesehen? Wie viele haben die schon umgebracht?« Ich zeigte auf eine Gruppe, die uns vom anderen Ende des Raumes her anzustarren schienen. »Heilige Scheiße, sieh dir die Bande da drüben an! Die haben uns gesehen!«
»Das ist der Pressetisch«, sagte er. »Da mußt du unterschreiben, damit wir unsere Beglaubigung kriegen. Scheiße, laß uns das erledigen. Du kümmerst dich darum, und ich besorg’ uns das Zimmer.«