Marko M. Feingold
Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh
ISBN 978-3-7013-1196-5
eISBN 978-3-7013-6196-0
© 2012 OTTO MÜLLER VERLAG, SALZBURG–WIEN
Unveränderte Neuausgabe
Alle Rechte vorbehalten
Satz: Media Design: Rizner.at, Salzburg
Druck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan
Marko M. Feingold
Wer einmal gestorben ist,
dem tut nichts mehr weh
Eine Überlebensgeschichte
Herausgegeben und mit einem Nachwort von
Birgit Kirchmayr und Albert Lichtblau
OTTO MÜLLER VERLAG
Inhalt
Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh
Bilder
Nachwort
Weiterführende Literatur zur Geschichte der Juden in Salzburg
Weiterführende Literatur über das KZ-Buchenwald
Glossar
Ich war immer der Max
Namensverwirrungen
Mir gefällt der Name Feingold, denn er läßt sich leicht schreiben. Nur in den Jahren, als ich in Italien lebte, war das sehr schwierig. Wir bekamen unsere Post immer poste restante, also postlagernd. Und am Postamt hieß es dann: »Come, come – wie, wie?« Da war der Postbeamte schon mit dem Kopf beim Schalter draußen! Ich hab’ dann gesagt: »Fe-In-gold!« Nur so haben die Italiener den Namen verstanden, weil es im Italienischen kein »ei« gibt. Am besten war es, einen Ausweis zu zeigen, dann fanden sie die Post am ehesten.
Als Kind hieß ich einige Zeit lang nicht Feingold, sondern Fuchs. Meine Eltern waren ursprünglich nicht standesamtlich verheiratet, also wurde ich unter dem Namen meiner Mutter geboren – die hieß Fuchs. Mein Geburtsschein ist aber interessanterweise auf Feingold ausgestellt. Irgendwann in den zwanziger Jahren muß der Vater mit diesen verschiedenen Nachnamen aufgeräumt haben. Aber eigentlich galt ich sowieso von Anfang an überall als Feingold, nur in der Schule sind sie draufgekommen, daß da was nicht stimmt und ich den Namen meiner Mutter tragen müßte. So stand für kurze Zeit auf meinen Schulzeugnissen der Name Fuchs. Der Vater brachte das dann in Ordnung, wahrscheinlich durch Vorlage anderer Papiere, und »Fuchs« wurde auf »Feingold« geändert. Ob das dem Meldeamt mitgeteilt wurde, weiß ich nicht. Man hatte andere Sorgen zu dieser Zeit.
Als Kind rief man mich Max, im Geburtsschein steht aber Marko. Marko mit »k«, das kommt aus dem Slowenischen. Den Vornamen bekam ich nach einem Onkel meiner Mutter. In der Schule hieß ich offiziell Markus, zeitweise Max. Auf dem Meldezettel steht beim ersten Eintrag Markus Fuchs, bei der nächsten Eintragung bin ich schon der Max Feingold!
Zu dem Marko gibt es aber noch eine Geschichte: Es dürfte jetzt circa dreißig Jahre her sein – ich hatte noch die Firma in Salzburg –, da gab es einen Austausch der Personalausweise. Ich hatte bei der Salzburger Polizeidirektion einen neuen Personalausweis beantragt und die Formulare und Fotos abgegeben, die dazu notwendig waren. Dann rief mich ein Herr von dort an, der mich sehr gut kannte: »Herr Feingold, das mit Ihrem Vornamen haut nicht hin.« Sag’ ich: »Was haut da nicht hin?« – »Ich hab’ unseren gerichtlich beeideten Dolmetscher gefragt, und der sagt, der Name in Ihrem Geburtsausweis läßt sich nicht übersetzen. Ich muß >Marko< eintragen.« – Sag’ ich: »Na, wie stellen Sie sich das jetzt vor? Meine Firma heißt >Wiener Mode, Inhaber Max Feingold<.« – Sagt er: »Na ja, Sie können ja Ihren Vornamen formell auf Max ändern lassen.« – »Na, und was kost’ denn das?« – Hat er mir damals gesagt: »Viertausend Schilling.« – Hab’ ich gesagt: »Das ist mir der >Max< nicht wert!«
So habe ich keine Namensänderung vornehmen lassen und bin bei Marko geblieben. Nun entstand folgende Kuriosität: Viele Vertreter kamen in mein Geschäft: »Wo ist Ihr Bruder?« Die kannten mich unter Max und haben nun den Bruder Marko gesucht. Meine Firma hieß nämlich dann »Wiener Mode – Max Feingold, Inhaber Marko Feingold«. Auch meine Unterschrift lautet seither Marko M. Feingold – Marko Max! Für mich hat das aber nie eine Rolle gespielt. Ich war immer der Max und bin bei Max geblieben.
Ein sehr würdiger alter Herr mit grauem Bart
Der Großvater
Mein Großvater väterlicherseits hieß Israel Peissach Straschny. Auf seinem Grabstein steht »Geboren 1854 in Starzawa, Galizien«, aber laut den Akten der Kultusgemeinde ist er in Unim, Bezirk Kiew, Rußland, geboren. Dazu würde ich sagen: polnische Verhältnisse! Wenn man irgendwohin kam, sagte man zum Beamten: »Schreiben Sie hin, geboren in Star-zawa.« – »Wie schreibt man das?« – »Kiew«.
Mein Großvater kam aus einer bäuerlichen Familie, widme te sich aber nach der Jahrhundertwende dem Eisenbahnbau. Im Sommer arbeitete er als Aufseher auf Baustellen, im Winter war die Familie in Wien. Es war eine deutschsprachige Familie, und die Deutsch sprechenden Juden zog es immer in die Hauptstadt. Der Großvater sprach Jiddisch, aber schon mit einem guten Deutsch gemischt.
Er war ein sehr würdiger alter Herr mit grauem Bart und sehr religiös. Meine zwei Brüder und ich bekamen vom Großvater Religionsunterricht. Ein paarmal in der Woche mußten wir zu ihm gehen, und er weihte uns in die Religion ein. Gelernt haben wir von ihm – wie es üblich ist im Judentum – die Religion, das Beten, das Lesen der hebräischen Buchstaben. Meine Brüder hatten etwas mehr davon als ich, weil ich der Jüngste war und am wenigsten von dem behielt, was er uns beibrachte. Ich war ja erst sieben Jahre alt, als er starb.
Zur Trauersitzung wurde für uns Kinder ein Brett auf zwei Stühle gelegt, dort mußten wir sitzen. Wir durften nur mit Socken gehen, nicht mit Schuhen. Der Leichnam lag am Boden aufgebahrt, und es wurden Gebete verrichtet. An die Leich’ – das Begräbnis – kann ich mich gut erinnern: Ein oder zwei Tage nach der Trauersitzung wurde der Leichnam von der Wohnung in der Salzachstraße abgeholt. Vorne wurde der Leichenwagen von zwei Pferden gezogen, dem gingen wir hinterher. Zurück nahmen wir einen anderen, längeren Weg, weil das bei Juden so üblich ist: Man soll nicht den selben Weg zurückgehen, den man mit dem Leichenwagen gegangen ist.
Die »Patriarchin« der Familie
Meine Großmutter Gittel Skurmann
Von meiner leiblichen Großmutter, der ersten Frau meines Großvaters, weiß ich so gut wie nichts. Sie muß in sehr jungen Jahren verstorben sein, kurz nachdem sie die Kinder bekam. Die Großmutter war die zweite Frau des Großvaters, Gittel Skurmann.
Sie war die »Patriarchin«, die Respektsperson der ganzen Familie. Niemand hätte es gewagt, ein beleidigendes Wort ihr gegenüber auszusprechen, oder eines, das man nicht ganz verantworten konnte. Die Hochachtung vor den Großeltern wurde bei uns sehr gepflegt. Die Großmutter war eine Autorität und wurde in allen Familienangelegenheiten gehört. Man fragte um ihre Meinung – es ist nicht gesagt, daß man sich dann daran hielt –, aber man fragte, das war gang und gäbe. So respektierte man die Autorität und ließ sich trotzdem nicht dadurch einengen. Die Großmutter war sehr religiös und hätte es zum Beispiel nicht gerne gesehen, daß wir am Samstag Straßenbahn fahren. Für uns war das aber selbstverständlich, und sie mußte es ja nicht wissen!
Sie trug auch noch den Scheitl. Wenn sich das Kopftuch verschob, das sie zu Hause trug, konnte man die kurz geschnittenen Haare sehen, vier bis fünf Zentimeter Länge, damit der »Hut«, eine Perücke, draufpaßte. Damals konnte man diese Perücken, die man im Judentum »Scheitl« nennt, sofort erkennen. Sie waren fast plüschartig, nicht so wie die Perücken heute.
Auch nach dem Tod meines Großvaters blieb die Großmutter das Oberhaupt der Familie. Die alten Leute werden im Judentum in Ehren gehalten. Sie werden nicht abgeschoben, sondern bleiben in der Familie. Weil die Großmutter keine Pension hatte, mußte sie von ihren Kindern erhalten werden. Aber am meisten unterstützte sie mein Vater, obwohl er gar nicht aus dieser Ehe hervorgegangen war. Nach dem Tod des Großvaters wohnte die Großmutter zunächst mit ihrer Tochter Sali und ihrem Sohn Adolf zusammen. Adolf zog dann aus, Sali hat geheiratet, ist aber mit ihrem Mann und den Kindern in der Wohnung der Großmutter geblieben.
Am Samstagnachmittag gab es immer den Sabbatbesuch bei uns zu Hause. Das war ein Familientreffen mit sämtlichen Tanten, Onkeln und natürlich auch der Großmutter. Sie wohnte in der Salzachstraße und wir in der Lassallestraße, da konnte sie leicht zu Fuß gehen. Sie war ja so religiös, sie wäre am Samstag nie mit der Straßenbahn gefahren! Als junger Mann war ich nicht so begeistert, daß die Mischpoche immer am Samstagnachmittag kam und ich daheim bleiben mußte und nicht weggehen konnte. Mich hätte der Prater viel mehr interessiert als solche Familientreffen.
Als ich 1938 wegging, wohnte die Großmutter noch in der Salzachstraße, und ich vermute, daß sie dann später in irgendeinem jüdischen Altenheim landete. Die einzigen Familienangehörigen, die noch in Wien waren, Tante Sali und deren Familie, gingen ja nach Frankreich – und die Großmutter muß schon über achtzig Jahre gewesen sein und hätte nicht allein leben können. Später erzählte man mir, sie sei im 42er Jahr ums Leben gekommen, und ich nahm deshalb immer an, sie sei aus dem Altersheim heraus vergast worden, denn 1942 hatten die Massendeportationen begonnen. Von der Kultusgemeinde erfuhr ich dann aber, daß sie schon am 19. Dezember 1941 gestorben ist, in der Miesbachgasse in der Leopoldstadt.
In der ganzen Mischpoche herrschte eine furchtbare Namensverwirrung
Die Verwandtschaft
Mein Vater stammte aus einer bäuerlichen Familie. Juden heirateten damals nur rituell, und so galten die Kinder amtlich als außerehelich. Deshalb trug mein Vater den Namen seiner Mutter, Feingold. Überhaupt herrschte in der ganzen Mischpoche eine furchtbare Namensverwirrung. Das muß man sich vorstellen: Die erste Frau des Großvaters hieß Feingold, deshalb hießen auch ihre Kinder Feingold. Dann kam die nächste Frau meines Großvaters, die ja Skurmann hieß, dazu noch vom Großvater die Namen Rabinovich und Straschny. Nachdem die Familie dann nach Wien übersiedelt war, legte sich jedes Kind auf einen Namen fest. Mein Vater blieb bei dem Namen seiner Mutter. Von ihr hatte er eine Schwester, Frieda Feingold, und dann hatte er noch Halbgeschwister von der zweiten Frau meines Großvaters, der Gittel Skurmann, meine Onkel Adolf, Max und Leo und die Tanten Sali, Clara, Emma und Sophie.
Von zwei Schwestern meines Vaters, Emma und Sophie, weiß ich wenig. Sie lebten in Polen, das war zu weit entfernt von uns. Was aus ihnen geworden ist, ist mir nicht bekannt. Der einzige Überlebende dieses Familienzweigs ist ein Sohn von Emma, mein Cousin Max, der heute in Tel Aviv lebt.
Künstlerpech
Tante Frieda
Tante Frieda tauchte nur alle paar Jahre bei uns auf. Sie war eine sehr fesche, große Frau mit einem guten Wiener Schmäh, mit dem sie sich durch die Welt brachte. Leider hatte sie kein Glück mit den Männern! Doch 1930 hätte sie beinahe ihr Glück gemacht, als sie in Italien einen reichen Schiffskapitän mit einem Schloß in Bozen kennenlernte. Er war ein sehr vermögender italienischer Aristokrat und nebenbei Schiffsoffizier bei der Marine. Aber wenige Tage vor der Hochzeit ist er plötzlich einem Herzschlag erlegen. Künstlerpech! Sie arbeitete dann als »Reisende«, als Vertreterin, und erschien nur hin und wieder bei uns, allerdings immer in einer guten Auf -machung.
Nach 1932, 1933 bin ich ihr nicht mehr begegnet, sodaß ich keine Ahnung habe, wo sie verblieben ist. Ich weiß zwar noch, daß ihr erster Mann in Stein an der Donau gestorben ist – nicht im Ort, im Gefängnis! Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, weshalb er verurteilt wurde. Tante Frieda hatte eine Tochter mit ihm, dann heiratete sie ein zweites Mal und hatte noch eine Tochter. Die Töchter habe ich irgendwann im 38er Jahr noch einmal zu sehen bekommen, aber von da an hörte ich nichts mehr von ihnen. Ich kann mich nicht einmal mehr an die Namen erinnern, nach ihnen zu suchen, wäre hoffnungslos.
Wie wird man verrückt? Langsam.
Onkel Adolf
Onkel Adolf stammte aus der Ehe meines Großvaters mit Gittel Skurmann. Er wohnte in Wien bei der Großmutter, hielt sich aber immer von den Familiennachmittagen fern, die bei uns stattfanden.
Er war sehr tüchtig und baute sich in Wien Mitte der zwanziger Jahre eine sogenannte Ratentour auf, das heißt, er verkaufte Waren auf Raten. Er traf mit verschiedenen Händlern eine Vereinbarung: »Ich schick’ dir Kunden. Die kommen mit einem Ausfolgeschein von mir, und ich bezahl’ dir das hinterher.« Der Verkäufer wußte dann gleich, daß er diesem Kunden einen erhöhten Preis nennen konnte. Der Kunde bezahlte so aber trotzdem nicht viel mehr, als wenn er die Ware normal in einem Detailgeschäft gekauft hätte. Der Großhandel war ja um dreißig bis fünfzig Prozent billiger als der Detailhandel. Außerdem wußte der Ratenkunde, er kriegt was Gutes, es kostet etwas mehr, dafür kann er es wöchentlich abzahlen. In Wien gab es viele solche Händler. Die verdienten ganz gut daran, und den Kunden, die ja meistens Arbeiter waren und jede Woche nur fünf Schilling bezahlen konnten, war es auch recht. Für die ganze Familie wurde so eingekauft. Wenn der Winter kam, brauchte man einen Anzug, für die Frau einen Mantel, für die Kinder Schuhe – und das Geld konnte man wöchentlich »abstottern«, wie man das so schön nannte. Die Ratentour, die sich Adolf aufbaute, ging bis 1932 sehr gut.
1932 nahm er dann mit einem Mal den Weg in die Vergangenheit. Er fuhr nach Rußland, um herauszufinden, wo unsere Ahnen herkamen. Nach seiner Rückkehr, 1933, traf ich ihn einmal in der Stadt, und er erzählte mir folgendes: Die Ahnen väterlicherseits seien alle eines unnatürlichen Todes gestorben! Wie weit zurück er das erforscht hat, kann ich nicht sagen, aber es ist ihm irgendwie ins Hirn gestiegen. Ich denke mir, daß er zumindest etwas ganz Seltsames erfahren haben muß, denn danach hatte er einen richtigen Tick.
Wie wird man verrückt? Langsam. Die Familie sah das aber anders: Er hatte ein Mädchen kennengelernt und sie dann nicht geheiratet, und das war nun Gottes Strafe, weil er sie stehen hatte lassen! Adolf hörte auf zu arbeiten, seine Schwägerin ging für sein Ratengeschäft kassieren. Ich traf ihn noch einmal 1938 in Krakau, da war er ziemlich verwirrt. Wie er ums Leben gekommen ist, kann ich nicht sagen. Wir hatten keinen Kontakt mehr.
… des öfteren »neger«
Onkel Max und Tante Tilly
Ein weiterer Halbbruder meines Vaters war Max Skurmann. Er führte in Wien in der Erdbergstraße ein großes Lebensmittelgeschäft. Verheiratet war er mit Tante Tilly, sie hatten zwei Kinder, Paul und Bert. Sie waren Samstagnachmittag oft bei uns zu Besuch. Max ist in späteren Jahren, das muß ich zugeben, ein bißchen versumpft. Tilly und er waren Spieler, Roulette und Kartenspiel. Damals gab es schon das Spielcasino in Baden bei Wien, wo sie des öfteren »neger« wurden – trotz bester »Tips«! So gerieten sie immer wieder in Not, man half ihnen aber immer von Neuem. Man läßt in jüdischen Familien niemanden fallen, auch wenn er ein Spieler ist. Aber es war ein Faß ohne Boden, wenn man ihnen Geld gab, verspielten sie es sofort wieder. Ich erinnere mich noch an ein Foto von dem Lebensmittelgeschäft in der Erdbergstraße – so groß wie ein Warenhaus! Das haben sie verloren. Sie machten dann ein kleineres auf, das verluderten und verspielten sie aber genauso. Selbst aus der Wohnung flogen sie am Ende hinaus – also furchtbare Zustände! Bei einer unserer letzten Begegnungen 1938 in Wien hielt mich Tante Tilly vor dem Kaffeehaus auf, in das ich damals öfters ging. Sie erzählte mir, daß sie und die zwei Buben seit zwei Tagen nichts mehr gegessen hätten.
Es gelang ihnen dann, nach Kuba zu gehen. Wie sie das Geld zusammenbekommen haben, weiß ich nicht. Von Kuba sind sie nach New York weitergefahren. Dort begann Max mit einer Hot-dog-Bude und machte dann mehrere solche Hütten auf. Koschere Würstel haben sie da sicher nicht verkauft. Aber sie hatten eine Spezialität: etwas, das man in Amerika gerne ißt und das die Juden auch gut zubereiten können, nämlich faschierte Laberln! Es war ein gutes Geschäft, Max verdiente gut damit, und sie wurden dann amerikanische Staatsbürger.
Der Fisch im Lavoir
Onkel Leo
Onkel Leo Skurmann lebte in Warschau und hatte dort ein Lebensmittelgeschäft. Er kam nie nach Wien, und der Kontakt war nur brieflich. Sein Lebensmittelgeschäft lag am Stadtrand von Warschau, vis-à-vis eines Spitals. 1938 landete ich als Emigrant in Warschau und wohnte eine ganz kurze Zeit mit meinem Vater bei ihm. Leos Wohnung war sehr klein. Er wohnte in einem Haus, das nach russischem Vorbild gebaut war. Klo und Wasserleitung befanden sich nicht im Haus, sondern in einem eigenen Gebäude draußen im Hof. Aber wenn man pinkeln muß, und es hat Minusgrade, wer geht da gerne hinaus? Deshalb stand für diese Zwecke in der Wohnung ein Lavoir. Nun war das ein religiöser Haushalt, und bei Juden ist es üblich, Freitagabends für den Samstag einen Fisch vorzubereiten. Eines Tages rief mich mein Vater: »Schau, wo der Fisch schwimmt!« Er schwamm im Lavoir!
An solche Sachen kann ich mich erinnern. So ging Leo in die Familiengeschichte ein, mit dem Fisch im Lavoir! Das war 1938. Leo und seine Familie sind dann vermutlich im Warschauer Ghetto umgekommen.
Sie hat Auschwitz nicht überlebt
Tante Sali
Die Schwester meines Vaters, Sali, war eine sehr fesche Frau! Sie lebte in Wien, zusammen mit ihrem Mann Benno Schaffer. Der wurde oft von jungen Burschen am Haustor abgepaßt, die von ihm ein Autogramm haben wollten. Damals gab es nämlich in Wien einen internationalen Fußballer, der auch Schaffer hieß.
Benno fuhr jedes Jahr für ein paar Monate nach Vorochta, ein Kurort in Polen, wo auch seine Angehörigen lebten. Er war lungenkrank und wurde deshalb immer wieder im Sommer dorthin eingeladen. Sali lebte mit ihm und ihren zwei Kindern in der Wohnung der Großmutter. 1938 flohen sie über Belgien nach Frankreich. Dort wurden sie verhaftet und in ein französisches Internierungslager gebracht. Salis Mann wurde krank und starb im Lager. Die Tante, Erika und Paul wurden nach Auschwitz deportiert. Nur Paul überlebte.
Fünf Schilling für Schlittschuhe
Tante Clara
Eine weitere Schwester meines Vaters war Clara Skurmann, verheiratete Schwarz. Ihr Mann hatte in Wien in der Kleinen Mohrengasse eine gutgehende koschere Fleischerei. Im Judentum gilt die Fleischhauerei als niederer Berufsstand. Clara war zuerst als Angestellte dort, später heirateten sie dann. Ich ging oft dorthin und stellte mich zur Tante neben die Kasse. Sie wußte immer gleich, daß ich etwas wollte. Einmal wollte ich Schlittschuhe, und weil wir zu Hause doch viele Kinder waren und mein Vater sich schwer tat, all unsere Wünsche zu erfüllen, ging ich halt wieder zur Fleischhauerei. Da stand ich dann ganz armselig neben der Kasse. Solange ihr Mann gleich daneben auf der Fleischbank Fleisch hackte, konnte mir die Tante natürlich nichts geben. Aber wenn er nach hinten zum Kühlschrank ging, kam der herrliche Moment, wo ich fünf Schilling bekam!
Nach 1938 flüchtete Clara mit ihrem Mann nach Kuba, das war damals buchstäblich eine Rettungsinsel, ähnlich wie Shanghai. Auch sie gingen von Kuba aus nach New York. In Long Beach kaufte Claras Mann schließlich ein sehr schönes Haus. Er war wirklich ein fleißiger Mensch. Man kann sich bei uns kaum vorstellen, daß einer acht Stunden arbeitet und dann zu einem anderen Fleischhauer geht und noch einmal acht Stunden arbeitet! Und er hat das jahrelang gemacht.
Als er im 56er Jahr bei uns zu Besuch war, machten wir einen Ausflug zum Gosausee. Das hätten wir nicht tun dürfen, er war nämlich zuckerkrank und hätte nicht so hoch hinauf dürfen. Der Ausflug bekam ihm zunächst ganz gut, und als wir dann ein schönes Foto gemacht hatten, sagte er: »Ich möcht’ einen Schnaps.« Er ging zu einer Schnapsbude, nahm einen Schnaps, legte das Geld hin, stürzte den Schnaps hinunter, stellte das Glas hin, fiel um und war tot. Wir versuchten zuerst einen Arzt anzurufen, es war aber keiner aufzutreiben. Also mußte ich die Leiche fahren. Ich hatte damals zum ersten Mal ein Auto mit Liegesitzen, und der einzige, den ich je damit liegend transportiert habe, war der Onkel. Im nächsten Ort sagte mir der Arzt: »Da ist nichts zu machen. Aber Sie werden Schwierigkeiten kriegen. Sie können doch nicht einfach so mit einer Leiche spazierenfahren.«
Dann fuhr ich nach Salzburg weiter, ins Unfallkrankenhaus. Ich ging zu einem Primar, den ich kannte, und sagte ihm: »Ich hab’ da eine komische Geschichte. Bei der Einfahrt nach Salzburg ist mir der Onkel im Wagen verstorben. Was soll man da machen?« – Sagt er: »Ach, das ist ganz einfach, Herr Feingold, hinein damit.« Er rief zwei Pfleger, die schnappten die Leiche und transportierten sie weg. Auf einmal sah ich, wie er in der Portierloge zum Telefon ging und bei der Polizei anrief. Tatsächlich kam am nächsten Tag die Polizei und befragte Tante Clara. Wir haben das dann so arrangiert, daß er mir quasi unter der Hand direkt vor dem Unfallkrankenhaus verstorben ist.
Alles ein bißchen trauriger und komplizierter
Die Verwandtschaft mütterlicherseits
Mit den Verwandten meiner Mutter fängt alles ein bißchen trauriger und komplizierter an. Der Großvater hieß Nathan Fuchs. Er soll einige Zeit lang irgendwo Bürgermeister gewesen sein. Meine Mutter hatte noch zwei Geschwister, eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder. Sie alle hatten ein sehr schlechtes Verhältnis zu ihrer Stiefmutter und wurden so schon früh aus dem Haus getrieben.
Der Bruder meiner Mutter, Moritz Boretz, wurde von seinen Schwestern finanziell unterstützt. Auf diese Weise konnte er das Gymnasium besuchen und wurde Professor in Sambor, einer Kleinstadt ungefähr siebzig Kilometer von Lemberg entfernt. Er war dort eine anerkannte Persönlichkeit. Zwischen 1925 und 1935 kam er oft nach Wien. Er war magenkrank, und in solchen Fällen kam man damals nach Wien, um geheilt zu werden.
Tante Esther war Witwe nach einem gewissen Tuchfeld, von dem sie eine Fleischbank geerbt hatte. Später heiratete sie ein zweites Mal und führte in Lemberg auf einem Markt eine Fleischbude. Mir war sie deshalb ein Begriff, weil sie uns Kindern immer Geldgeschenke geschickt hat. So was ist eine liebevolle Tante, das prägt sich einem Kind ein.
Ich habe nie etwas davon gehört, was aus den Geschwistern meiner Mutter in der Nazizeit geworden ist.
Ins gelobte Land: Amerika
Tante Manja
Meine Mutter hatte noch eine Stiefschwester von der zweiten Frau ihres Vaters. Sie hieß eigentlich Maria, aber im Jiddischen wird daraus Manja, und später in Amerika nannte sie sich Mary. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs ist uns Manja sozusagen zugewachsen, sie muß 18 oder 19 Jahre alt gewesen sein. Damals wollten viele aus Polen heraus, und wenn man in Wien Verwandte hatte, ging das leichter. Als ihre Eltern verstorben waren und sie ganz alleine in Polen zurückgeblieben war, erinnerte sie sich an ihre Stiefschwester, meine Mutter. Sie kam zu uns nach Wien und blieb bis 1924. Meiner Mutter war das recht, weil auch für sie damit ein persönlicher Vorteil verbunden war: Sie stand schließlich mit vier kleinen Kindern da, das jüngste erst ein oder zwei Jahre alt. Vier Kinder und eine Frau allein, da konnte man schon ganz gut jemanden brauchen! Manja half der Mutter, gemeinsam führten sie den Haushalt, gemeinsam waren wir Kinder in ihrer Obhut. Wir sind sehr gut mit ihr ausgekommen, sie war keine Strenge.
Wir wohnten damals in der Stuwerstraße. Die Wohnung war sehr klein, wir hatten nur zwei Zimmer. Wir schliefen mit der Tante in einem Zimmer, und wenn ein Bub elf Jahre alt ist und mit der Tante zusammen im Zimmer schläft, kraxelt er halt gern bei ihr herum! Ich war ein frühreifer Junge und mußte natürlich alles inspizieren. Ob das damals mein Aufklärungsunterricht war? Das könnte man schon so sagen – ich hab’ mich selbst aufgeklärt.
Manja ging dann nach Amerika, weil sich meine Mutter an etwas erinnerte: »Du hast noch einen Onkel in Amerika!« Das muß ein Bruder von Manjas Mutter gewesen sein. Ich weiß nicht, wie sie ihn ausfindig machten, aber kurze Zeit später fing jedenfalls ein Briefwechsel an. Dann dauerte es noch von 1920 bis 1924, bis Manja nach Amerika ging. Es gibt ein sehr schönes Foto, da war sie noch bei uns, das muß um 1922 gewesen sein, wir alle im Fiaker in der Hauptallee, vier Kinder, Vater, Mutter und die Tante.
Der amerikanische Onkel schickte Manja die Fahrkarten und die Schiffskarten. Ich kann mich noch erinnern, wie wir sie zum Zug begleiteten. Sie fuhr nach Hamburg und von dort mit dem Schiff nach Amerika. In Österreich hätte es für sie keine Zukunft gegeben. Auch wenn meine Mutter ihre Unterstützung bei uns vier Kindern nötig brauchte, half sie ihr doch, diesen Onkel in Amerika zu finden, und schuf ihr damit eine Existenzmöglichkeit. Amerika galt damals als das gelobte Land, wo man Millionär werden konnte mit nichts. Im großen und ganzen hat Manja es eigentlich gut erwischt. Allerdings nicht ohne Arbeit, sondern mit viel Arbeit, wie wir von ihr hörten. Die ersten zwei, drei Jahre arbeitete sie in einer Näherei und mußte den überwiegenden Teil des Geldes dem Onkel geben. Der hat sie, wie das so üblich war, wenn man Verwandte von irgendwo holt, zuerst einmal ein paar Jahre ausgenützt. Sie fing an mit zwei Dollar in der Woche, davon nahm er ihr einen Dollar weg für Kost und Quartier. Als sie dann schon fünf Dollar verdiente, nahm er ihr vier! Sie litt sehr unter seiner Fuchtel.
Aber sie hatte noch andere entfernte Verwandte drüben, die sehr gut zu ihr waren und ihr zu einer baldigen Heirat verhalfen. Ihr Mann füllte jeden Montag einen Lastwagen voll Waren und fuhr hinaus zu den Bauern. Er verkaufte, was die Bauern eben gerade brauchten. Es wurde eine gute Ehe, sie bekamen eine Tochter und verdienten gut.
Für uns war Tante Manja später oft sehr hilfreich, denn wir hatten zwischendurch auch schlechte Zeiten. Da kamen oftmals zwei Dollar von ihr. Es gab aber Schwierigkeiten mit den Geldsendungen, wegen der Devisenverordnungen. Die Dollar wurden uns deshalb nicht per Post geschickt. In der Zirkusgasse gab es eine Frau, die in Wien auszahlte, was in Amerika eingezahlt wurde. Ich bin oft mit meiner Mutter dort hingegangen, um die zwei Dollar von Manja zu holen. Zwei Dollar! Das war ein Vermögen damals.
Nach 1945 habe ich Manja wiedergefunden. Ein Bekannter, der Ende 1945 nach Amerika ging, machte sich erbötig, für mich ein Inserat in der deutschsprachigen Emigrantenzeitung Aufbau unterzubringen. Daraufhin bekam ich einen sehr schönen Brief von der Tante Manja, die mittlerweile in New Jersey lebte. Ich antwortete darauf, aber dann herrschte einige Jahre lang Schweigen. Ich schrieb unzählige Briefe, bekam aber keine Antworten – einige kamen zurück, möglicherweise waren sie falsch adressiert. Erst viele Jahre später erklärten mir die amerikanischen Verwandten das lange Schweigen: Sie waren so erschüttert gewesen, daß von der ganzen Familie nur ich als einziger am Leben geblieben war.
1963 reiste ich das erste Mal zu meinen Verwandten nach Amerika. Vorher mußte ich ihnen ein Foto von mir schicken. Ich war damals schon fünfzig Jahre, und so schickte ich ein älteres Foto, auf dem ich noch jünger und schöner war! Ich kam in New York vom Schiff herunter und schaute mich um, es standen eine Menge Leute da, um ihre Verwandten abzuholen. Ich suchte nach der Tante, da rief plötzlich ein kleines Weiberl: »Maxi!«
Ich war elf Jahre alt, als Tante Manja wegging – in meiner Erinnerung war sie natürlich groß! Und in Wirklichkeit war sie so eine kleine Person! Sie war die einzige von allen Verwandten, die mich noch erkannte, dabei war sie ja schon 1924 von uns weggegangen. Die anderen, Tante Clara zum Beispiel, hatten mich immerhin noch 1938 gesehen, als Fünfundzwanzigjährigen.
Eine richtige jiddische Mame
Meine Mutter
Meine Mutter war eine geborene Fuchs und wuchs im galizischen Lemberg auf. Ihre Mutter starb verhältnismäßig jung, und ihr Vater, Nathan, heiratete ein zweites Mal. Weil ihre Stiefmutter sie nicht haben wollte, mußte meine Mutter schon mit achtzehn oder zwanzig Jahren aus dem Haus, und kurze Zeit später ist auch ihr Vater verstorben. Angeblich ist er vergiftet worden, denn da gab es so eine Geschichte: Eine Katze hätte das aufgeschleckt, was er erbrochen hatte, und sei auch verendet. Eine makabre Geschichte, aber so erzählte man sich.
Meine Mutter verließ also früh ihr Elternhaus. Meinen Vater muß sie noch in Lemberg geheiratet haben. Das dürfte so knapp nach der Jahrhundertwende gewesen sein. Wie sich die zwei kennengelernt haben, weiß ich leider nicht, so neugierig waren wir als Kinder nicht. Ich kann mich nur erinnern, wenn der Vater bös’ war, hat er immer gesagt: »Na ja, kein Wunder, hab’ ich geheiratet Nussen Fuchs’ Tochter!« Das war offensichtlich eine Herabsetzung, aber ich weiß nicht genau in welchem Sinne.
Sie war eine richtige jiddische Mame, eine Frau mit sehr viel Einfühlungsvermögen, eine Frau, die ihr Leben für die Kinder opferte. In der Kindererziehung war sie der nachgiebige Teil. Es ist ja meistens so: Ein Elternteil ist streng, und der andere ist mild. Der Vater war sehr streng – streng und gerecht. Man konnte mit allem zu ihm kommen, aber frech oder respektlos zu sein, brachte einem eine Tracht Prügel ein. Die Mutter war immer milde und hat Verschiedenes gedeckt, was wir begangen haben, sodaß es dem Vater nicht zu Ohren kam. Wenn wir etwas wollten, gingen wir zur Mutter, sie sollte es dem Vater sagen, damit ihm nicht gleich die Hand ausrutschte. Als mein Vater später als Vertreter auf Reisen ging, drohte sie uns unter der Woche immer: »Wart, wenn der Vater kommt, das sag’ ich ihm!« Dann kamen wir einen Tag vorher zu ihr und versprachen, daß so etwas nie wieder vorkommen würde. Wie ein Bub halt so ist.
Eine Ausbildung hatte die Mutter nicht. Das war damals für Jüdinnen, auch für Töchter aus besseren Familien, nicht üblich. Sie sollten nur im Haushalt versiert sein, denn sie würden eh heiraten – das war der damalige Standpunkt. Meine Mutter und ihre Schwester haben schwer gearbeitet, um ihrem Bruder das Studium zu ermöglichen. Das ist immer wieder erwähnt worden: »Wie haben wir uns geplagt, damit wir dem Bruder hinaufhelfen.«
Dafür brachte ihr Bruder später immer Geschenke mit, sooft er nach Wien kam. Das waren Geldgeschenke, denn Geld brauchte meine Mutter immer! Wir hatten immer ein Loch in der Haushaltskassa.
Der Vater gab der Mutter jede Woche hundertfünfzig Schilling. Aber selten, sehr selten kam sie damit aus. Meistens sagte sie schon am Donnerstag: »Für den kommenden Samstag kann ich nichts vorbereiten. Ich habe kein Geld.« – »Was?« – Da konnte der Vater wild werden! Und meine Mutter: »Ja, aber das sind Kinder, sie essen soviel, man kann sie doch nicht hungrig herumlaufen lassen!« – Heute verstehe ich meine Mutter. Der Vater legte einen Maßstab an, der nicht gerechtfertigt war. Erstens hatten wir einen rituellen Haushalt und einen Haushalt, wo man gern jeden Tag Fleisch aß. Und koscheres Fleisch war gut dreimal so teuer wie anderes. Wenn schon kein Fleisch, dann zumindest Geflügel, Hendl, Gansl, Enten, das war ganz selbstverständlich. Aber koscheres Fleisch kaufte man nicht einfach am Markt, sondern nur in einer Fleischhauerei, wo die rituelle Schächtung durchgeführt wurde. Das kostete alles eine Kleinigkeit mehr. Mit hundertfünfzig Schilling wäre die Mutter unter normalen Umständen zurechtgekommen, aber der rituelle Haushalt verschlang bestimmt zwei Drittel des Haushaltsgeldes.
Mein Vater wurde oft sehr wütend. Wir hatten in der Nachbarschaft ein Lehrerehepaar, das damals vielleicht zweihundert Schilling im Monat verdiente. Das hielt er ihr immer vor: »Das Ehepaar, zwei Kinder haben sie, man geht in die Oper, man geht ins Theater, man fährt auf Urlaub. Das geht sich immer aus. Wieso kommst du mit hundertfünfzig Schilling in der Woche nicht zurecht?« – Dafür ist bei uns aber in großen Töpfen gekocht worden. Selbst die Bettler wußten das! Wir wohnten in Wien in einem Haus, wo die Küchenfenster zum Gang hinausgingen und man einen Teller hinausreichen konnte. Dort bekamen die Bettler ihr Essen.
Eine Zeitlang hatten wir einen jungen Studenten, der uns Kindern Englisch beibringen sollte. Der hatte immer so einen Hunger, wenn er kam! Wenn meine Mutter wußte, der Englischlehrer kommt, wurde der Topf noch größer. Der aß einmal drei Teller Beuschel und vierzehn Knödel dazu – und bei uns hat man keine kleinen Knödel gemacht!
Dementsprechend wurde eingekauft, und das Geld reichte hinten und vorne nicht. Hatten wir ein Dienstmädchen, mußte sie natürlich mitgehen, um die schweren Körbe nach Haus zu tragen. Meine Mutter kaufte mit den Augen ein, ohne Maß! Sie kaufte das Beste vom Besten und kochte reichhaltig. Wenn alle daheim waren, waren wir sechs, sieben, acht Personen beim Essen, und mein Vater brachte dazu oft noch Gäste mit. Man mußte deswegen aber nie die Portionen verkleinern! Wir hatten immer genug, und für die Bettler war auch noch was da. So ist das Geld draufgegangen. Die Streitigkeiten darüber kamen vor allem später, als wir Kinder schon etwas größer waren – vielleicht weil unsere Mägen größer geworden waren, wir mehr verschlingen konnten, und die Mutter dadurch noch mehr verbrauchte. Da gab es jede Woche oder zumindest einmal im Monat einen häuslichen Streit zwischen den Eltern.
Meine Mutter war immer darauf bedacht, den Haushalt in Schwung zu halten. Es mußte immer alles blitzblank sauber sein. Ihr ganzer Stolz war, wenn wir an einem Feiertag alle bei Tisch saßen mit sauberen Hemden und sauberem Gewand und es nichts gab, das in Unordnung war, sei es schlecht gebügelt oder sonst irgendwas.
Wenn Waschtag war, durfte man die Mutter überhaupt nicht anreden. Damals gab es Hauswäscherinnen, die jeden Tag in einem anderen Haus Wäsche wuschen. Die Wäsche wurde am Vortag eingeweicht und am nächsten Tag gewaschen. Für diese Wäscherin mußte man natürlich was Kräftiges kochen. Die bekam zuerst ein kräftiges Frühstück und dann eine Zehn-Uhr-Jause und ein Mittagessen, ohne das ging es nicht bei meiner Mutter. Das war ihre Befriedigung, wenn im Haushalt alles in Ordnung war. Für etwas anderes als die Wirtschaft, die Kinder, den Haushalt interessierte sie sich nicht.
Nur in der Sommerfrische war vierzehn Tage Ruhe, da wurde auch nie gekocht. Bestenfalls daß man, wenn die Zeiten einmal ein bißchen schlechter waren, das Frühstück und das Nachtmahl selber machte. Aber zumindest zum Mittagessen ist man immer ausgegangen. Zeitweise hatten wir sogar Vollpension. Die zwei Wochen waren eine richtige Erholung für die Mutter. Sie ging mit uns in den Kurparks spazieren und zu Mittag in ein Restaurant. In Bad Vöslau, in Baden, in Sauerbrunn, in all diesen Sommerfrischeorten gab es ja rituelle Restaurants. Aber das kostete natürlich auch eine Kleinigkeit mehr, versteht sich.
Mhm, eine Spezialität! Gefülltes Hälsl, Pidsche, Borschtsch, Lokschen
Der koschere Haushalt meiner Mutter
Mutters Küche war hervorragend, es gab alle möglichen Spezialitäten. Mein Vater war ja früher beim Eisenbahnbau beschäftigt, und wenn da im Sommer an den verschiedenen Baustellen gearbeitet wurde, hatte meine Mutter immer eine von den Frauen der Arbeiter als Zuhilfe, die auch dies oder jenes bei uns kochte. So kamen unglaublich viele Speisen aus Rumänien, aus der Ukraine, aus Polen, aus der Slowakei, aus Italien zusammen, und das ist der Grund, warum so viele verschiedene Speisen aus der österreichisch-ungarischen Monarchie bei uns auf den Tisch kamen.
Am Samstagnachmittag, wenn bei uns die Verwandtschaft zusammenkam, ging es nur ums Essen. Ich nannte das immer den Hausfrauennachmittag, weil die Damen herum saßen und man nichts hörte als: »Wie machst du denn das, und wie machst du denn das, und wie machst du denn das?« Es wurde nur vom Kochen gesprochen, man bekam beinahe wieder Hunger vom Zuhören.
An welche Gerichte erinnere ich mich noch? Zum Beispiel an ein »Gefülltes Hälsl«. Das war zumeist der Hals von einer Gans, der mit einer Masse aus Rindsfett, faschiertem Fleisch, Grammeln aus dem Ganslfett, Leberstücken und ein bißchen Mehl gefüllt und dann vernäht wurde. Meistens wurde der Hals mit einem Ganslbraten mitgebraten und ließ sich dann in Scheiben schneiden wie eine Wurst. Das schmeckte dann sehr gut, wenn die Haut so richtig knusprig war – eine einmalige Spezialität!
Bei Juden wurde ja vor dem Krieg sehr viel Gans gegessen. In jeder Küche gab es ein Kistl mit einer Stopfgans. Wenn man eine Gans stopfte, bis sie zehn, zwölf Kilo wog, waren davon fünf Kilo Fett. Das Ganslfett war natürlich schwer, aber es gab sonst kein Fett, mit dem man in der rituellen Küche hätte kochen können.
Dann gab es ein Gericht, das hieß »Pidsche«. Man konnte es aus Kalbsknochen machen, aber bei uns wurde vorwiegend junges Geflügel wie Enten, Gänse oder Hühner verwendet. Die Kleinteile wurden in einer Sauce mit ziemlich viel Essig, Eiern und Knoblauch gekocht, dann kam das Fleisch dazu. Das wurde dann eine pikante Suppe, wie ein gestrecktes Gulasch mit sehr viel Saft. Dazu aß man getoastetes Weißbrot, das am besten mit Knoblauch eingerieben wurde. Man sagte damals unter Juden, daß man durch den Knoblauch sehr viel Licht spart. Speziell am Samstag darf ja keine Lampe aufgedreht werden – und mit dem vielen Knoblauch braucht man kein Licht machen, weil man einander auch ohne Licht finden kann!
Von »Borschtsch« hört man heute wieder viel, aber obwohl ich ihn schon in zwanzig Varianten gegessen habe, fand ich noch keinen wie den, den wir damals zu Hause bekamen. Da gab es einmal den Rote-Rüben-Borschtsch, dann den Rote-Rüben-Borschtsch mit Wadschunkenfleisch, Knochen und Knoblauch. Da konnte man vierzehn Tag mit niemandem reden und mußte den Leuten aus dem Weg gehen, soviel Knoblauch war drin! Wenn ich heute irgendwo bin, wo Borschtsch angeboten wird, bin ich immer enttäuscht, weil mir der Knoblauch fehlt.
Jüdische rituelle Kost ist sehr kompliziert zu kochen, deshalb sind die Jüdinnen so an die Küche gebunden. Wenn ein Haushalt zu führen ist mit mehreren Kindern und einem Mann, da ist die Frau voll beschäftigt mit dem Kochen. Sie kann ja nicht einfach zum Greißler gehen und irgendeine Konserve oder ein Gemüse kaufen. Alles muß eigenhändig gemacht werden. Und dann erst die Zubereitung von koscherem Fleisch und die Vorbereitungen für einen religiösen Sabbat!
Borschtsch war eine Speise, die man vor einem großen Feiertag bekam, denn da hatte die Hausfrau soviel zu tun und mußte für den nächsten Tag oder gar für zwei Tage vorkochen. So machte sie für die Kinder, wenn sie aus der Schule kamen, nur diesen Borschtsch mit ein bißchen Fleischeinlage und gestampfte Kartoffeln mit einer Bratensauce dazu – das war das Mittagessen. Es gab auch noch den Eier-borschtsch und einen aus Sauerampfer, der auch kalt gegessen werden konnte. Alle diese Varianten in der Zubereitung hatte meine Mutter von den Frauen beim Eisenbahnbau gelernt.
Ich erinnere mich auch an viele Nudelgerichte. Wir kennen heute die Nudelgerichte aus Italien, aber Nudeln waren damals typisch jüdische Speisen, man nennt sie auf Jiddisch »Lokschen«, weil sie so lang sind. Lokschen, gekocht, ein paar Eier hineingesprudelt, sehr viel Salz und Pfeffer, in ein Reindl zum Ausbacken! Dann schneidet man das wie heiße Tortenscheiben – eine Delikatesse!
Während der Osterzeit wurde immer Kartoffelbrot gebacken, weil man da kein normales Brot mit Sauerteig essen durfte. Dafür wurden rohe Kartoffeln zerrieben, Salz, Pfeffer, Eier und ein bißchen Fett dazugegeben und herausgebacken. Das paßte sehr gut zu einem Rostbraten oder anderen Speisen mit Saucen. Dieses Kartoffelbrot hieß »Bulbenik«, das kommt aus dem Polnischen. »Bulbes« ist jiddisch-polnisch für Kartoffeln.
Süßspeisen gab es bei uns natürlich auch, und eine Spezialität meiner Mutter war zum Beispiel ihre Nußtorte. Außerdem erinnere ich mich an eine Art Pudding, der im Dampf gemacht wurde, an Lebkuchen mit viel Honig und natürlich an die Strudel. Es muß im Jahr 1917 gewesen sein, da bereitete meine Mutter einmal einen Apfelstrudel zu – aber mit einem Öl, das stark nach Petroleum schmeckte. Kein Witz! Ich weiß nicht, was dieses Öl damals hatte, es war jedenfalls furchtbar. Aber gegessen haben wir den Strudel! In der Not frißt man alles, es war ja Krieg. Sooft ich heute einen Apfelstrudel esse, muß ich im ersten Moment zweimal schlucken, damit ich sicher bin, daß er nicht mit Petroleum gemacht ist!
Wenn ich an die Speisen meiner Mutter denke, läuft mir heute noch das Wasser im Munde zusammen, und ich fahre in der Weltgeschichte herum, um sie irgendwo zu kriegen. Niemand hat mehr eine Ahnung davon. Ab und zu höre ich: »Ja, ja, da kann ich mich schon erinnern. Aber das macht man heute nicht mehr.« – Hin und wieder fällt es mir ein, irgend etwas von den Spezialitäten meiner Mutter selbst zu machen. Aber es schmeckt mir nur, wenn ich einen sehr großen Hunger habe! Ich habe es von ihr einfach anders in Erinnerung.
Er sprach Russisch, Polnisch, Ukrainisch, Slowenisch, Slowakisch, Ungarisch
Mein Vater
Mein Vater kam aus einer bäuerlichen Familie in der Ukraine. Sie betrieben eine kleine Landwirtschaft. Er hat uns oft geschildert, wie er mit seinem jüngeren Bruder in den Frühjahrsmonaten hinaus aufs Feld mußte, und daß man den Leuten als Jause aufs Feld immer ein Stück Brot und einen Hering mitgab. Es war aber so eisig kalt, daß der Hering schon gefroren war, bis sie zum Essen kamen. Da konnte man nur mehr an dem Hering lutschen.
Mit zwanzig Jahren ungefähr verließ mein Vater sein Elternhaus. Einen Beruf hatte er nicht erlernt. Als Kind wird er wohl den sogenannten Cheder besucht haben, also die jüdische Thoraschule. Als junger Mann arbeitete er auf dem Feld, und dann ging er zum Eisenbahnbau. Man konnte damals beim Eisenbahnbau in der österreichisch-ungarischen Monarchie sehr gut unterkommen. Sonst war es für Juden damals sehr schwierig, irgendwo eine Beschäftigung zu finden. Da mein Vater viele lokale Sprachen sprach, avancierte er beim Eisenbahnbau sehr schnell zum Aufseher. Er sprach Russisch, Polnisch, Ukrainisch, Slowenisch, Slowakisch, Ungarisch, also all diese Sprachen, die durch die Arbeiter im Baulager zusammenkamen. Er lernte das bei der Arbeit, und er konnte sich wohl gut mit den Arbeitern verständigen. Sie kamen gerne zu ihm, und er vertrat ihre Sache bei der Obrigkeit. Außerdem hielt er immer die Termine ein. So wurde er nach einiger Zeit zum Vorarbeiter, obwohl er ursprünglich nur ein einfacher Arbeiter war. Ohne entsprechende Schulung beförderte man ihn zum Bauassistenten. Später, etwa um die Jahrhundertwende, wies man ihm dann sogar eigene Baustellen zum Vermessen und zum Bauen zu, und er hatte dann jedes Jahr während der Sommermonate seine eigenen Arbeitstrupps. Mein Vater mußte seinen Bautrupp immer selbst zusammenstellen. Es waren jedes Mal dieselben Leute, alles Arbeiter oder Bauern, die das als Zweitberuf machten. Der Bahnbau war ja Saisonarbeit. Von März, wenn die Schneeschmelze begann, bis in den Oktober oder November hinein konnte man arbeiten. Im Winter beschäftigte man sich mit Gelegenheitsarbeiten oder man zehrte von dem, was man im Sommer verdient hatte. Arbeitslosenunterstützung gab es damals noch nicht, und Sozialfürsorge leider auch nicht. Das waren sehr bittere Zeiten.
In der Nähe der Baustellen, wo die Strecken gebaut wurden, waren Baracken aufgestellt. Damals kamen die Arbeiter mit ihrer ganzen Familie zum Bau. Und auch in unserer Familie sind jene Kinder, die im Sommer zur Welt kamen, an der Arbeitsstätte des Vaters geboren, und die anderen in Wien. In den Wintermonaten lebte die Familie nämlich immer in Wien.
Der Vater arbeitete bis 1914 bei verschiedenen Firmen, die Eisenbahnstrecken bauten, unter anderem bei einer Firma mit Sitz in Budapest, die es heute noch gibt, Orenstein & Koppel. Stammsitz der Familie war aber schon vor dem Ersten Weltkrieg Wien. Der Antisemitismus war in der Ukraine schon seit 1880 sehr stark, deshalb waren auch die Eltern meines Vaters nach Wien übersiedelt.
Diese Geldentwertung, diese Inflation!
Die »Geschäfte« des Vaters in der Nachkriegszeit
1914 wurde mein Vater zur österreichisch-ungarischen Armee eingezogen, 1918 kam er aus dem Krieg zurück. Er war irgendwo am Isonzo stationiert, aber ich weiß nicht einmal, welche Funktion er hatte, er hat nicht vom Krieg erzählt. Das war damals ähnlich wie heute – die alten Kämpfer erzählen nichts, höchstens Heldentaten. Meine Erinnerungen an den Vater aus der Kriegszeit sind sehr spärlich. Ich kann mich nur an seine Uniform erinnern: Schuhe, Gamaschen, Breecheshosen. Meine Erinnerung an ihn beginnt eigentlich erst nach dem Krieg, nach seiner Rückkehr.
In der Nachkriegszeit wollte kein Mensch eine Arbeit übernehmen, für die er nur den vorgeschriebenen Lohn bekam. So ein Lohn war überhaupt nichts wert, denn man arbeitete einen Monat, bekam sein Gehalt – und konnte sich dafür dann vielleicht gerade noch zwei Brote kaufen. Diese Geldentwertung, diese Inflation! Nur von verbotenen Geschäften konnte man leben, ehrlich wäre man verhungert. Unser Haupteinkommen bis 1920 war die Hamsterei. Einmal fuhr ich mit meinem Vater hamstern. Wir fuhren nach Kitzbühel und gingen irgendwo vis-à-vis des Bahnhofs einen Hang hinauf, dort kannte der Vater einen Bauern. Wir hatten einen Sperrholzkoffer mit, den füllte der Bauer mit Fleisch an. Fleisch, das wir selber gar nicht essen durften, weil es ja nicht koscher war! Mit dem vollen Koffer fuhren wir dann zurück. Der Zug war überfüllt wie alle Hamstererzüge. Der Vater setzte mich auf den Koffer. Die Gendarmerie patrouillierte durch den Zug, wo sie etwas Verdächtiges sahen, kassierten sie es gleich. Aber mich ließ man schlafen, und der Koffer wurde übersehen. Früh am Morgen traf der Zug in Bischofshofen ein, dort hatten wir einen längeren Aufenthalt. Ich bekam meinen ersten echten Kaffee! Denn das, was wir in Wien hatten, war auch in den ersten Nachkriegsjahren nur so ein schwarzes Zeug, ein Gemisch aus Malz und Feigenkaffee, das zu Würfeln gepreßt wurde. Aber in Bischofshofen tranken wir Bohnenkaffee.
Das war also meine Hamsterfahrt. Tirol war zwar weit weg von Wien, aber das spielte keine Rolle. In der Nähe von Wien war doch schon alles abgegrast, da hätte kein Bauer mehr etwas hergegeben, selbst wenn er noch etwas gehabt hätte.
Mein Vater schmuggelte auch Seide. Wir halfen ihm dabei, die Seide um den Körper zu wickeln. Da er groß, aber nicht korpulent war, vertrug es seine Größe ohne weiteres. Man konnte gut einen ganzen Ballen Seidenstoff um ihn wickeln, ohne daß er besonders dick aussah. Dann kam das Gewand darüber, und so fuhr er nach Polen, lieferte den Ballen Seide ab, und kam dann mit etwas anderem zurück. Erwischt worden ist er nie. Er war sehr geschickt.
Ab 1920 fing er dann mit illegalen Geldgeschäften an, noch bevor die Krone vom Schilling ersetzt wurde. Die Leute hatten ja kofferweise Geld, aber es war nichts mehr wert. Der Vater beteiligte sich an illegalen Börsengeschäften, man handelte da mit Geld, mit Aktien, mit Devisen.
Wie das genau funktionierte, weiß ich nicht, aber ich transportierte einmal Geld! Damals war ich vielleicht sieben Jahre alt. Man stopfte mir die Schultasche mit dem Geld voll, und ich mußte damit zwei Gassen weiter zum Partner meines Vaters gehen. Wenn ein Erwachsener mit einem so großen Packl gegangen wäre, hätte möglicherweise jemand hineinschauen wollen, aber bei einem Kind tat das keiner. Also schickten sie mich. Vorher wurde mir noch eingeschärft: »Halt dich ja nicht auf, du gehst dort hin, und sonst gar nichts, nur hingehen, der weiß dort schon alles.« Möglicherweise gingen sie mir sogar nach, damit ich ja die Schultasche an der richtigen Adresse ablieferte. Ich war zwar erst sieben Jahre alt, aber ich wußte genau, daß das nichts Erlaubtes war.
Mein Vater war sicher nicht glücklich mit diesen illegalen Geschäften und hätte sich wohl andere gewünscht, aber dazu bestand einfach keine Möglichkeit. Man konnte damals nur von solchen Geschäften leben, so ist das nach jedem Krieg. Es war ganz normal für diese Zeit, möchte ich sagen.
Jedenfalls machte der Vater mit seinen Geschäften sehr viel Geld. Als die Nachkriegsanleihen ausgegeben wurden, muß er ein Vermögen besessen haben. Die Regierung hat einem für diese Anleihen ja das Blaue vom Himmel versprochen! Also verkaufte er alles, was er besaß, machte alles zu Geld und zeichnete Nachkriegsanleihen. Und einen Tag später besaß er nur noch Häuslpapier, weil alle Anleihen wertlos geworden waren.
1922 legalisierte er dann seine Schwarzgeschäfte mit den Valuten. Er trat mit Banken in Verbindung und begann mit regulären Geldgeschäften. An der Universität bekam er einen Raum zur Verfügung gestellt, wo er Geldwechsel durchführen konnte. Das waren Wechselstuben nur für Studenten. Er arbeitete meistens mit Privatbanken zusammen, die bei ihm die Valuten zu einem höheren Kurs übernahmen, sodaß er den Studenten das Entsprechende geben konnte und sich das Geschäft auch für ihn rentierte.