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Planetenroman

 

Band 22

 

Duell in Terrania

 

Intrigen in der Kosmischen Hanse – der Gegner agiert aus dem Dunkeln

 

Konrad Schaef

 

 

 

Seit ihrer Gründung hat sich die Kosmische Hanse der Menschheit als die mächtigste Wirtschaftsorganisation in der Milchstraße etabliert – aus genau diesem Grund ist ihre Macht vielen ein Dorn im Auge.

Homer G. Adams hat dank seiner relativen Unsterblichkeit über Jahrtausende hinweg die wirtschaftlichen Geschicke der Menschheit gesteuert. Anfang des 13. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung gerät er stark ins Kreuzfeuer der Kritik: Die Hanse nütze ihre Macht zur Ausbeutung, heißt es, sie sei zu stark und erdrücke die Konkurrenz mit unlauteren Mitteln.

Doch dies ist nur ein Ablenkungsmanöver. Auf einer Außenwelt schmieden Gegner der Hanse einen heimtückischen Plan gegen den Zellaktivatorträger – ihre Mittel stammen aus dem Arsenal eines überwunden geglaubten Feindes ...

Krise des Galaktikums!

 

Viele historische Abhandlungen zum 12. Jahrhundert Neuer Galaktischer Zeitrechnung zeigen uns ein eher einfaches Bild der seinerzeitigen Situation: Die Cantaro, der »Teufel in Terras Hallen«, sind besiegt – es kann nur noch aufwärtsgehen. Und es geht aufwärts: Die Schilderungen beschäftigen sich mit dem Wiederaufbau, dem Ausmerzen der letzten Überreste der Schreckensherrschaft, der neuen Einigung der Milchstraße.

Aber sind wir doch ehrlich: Es ist eine Zeit permanenter Unruhe, jene Epoche nach der Tyrannei der Cantaro. Nach den Erfahrungen mit Monos, der den Milchstraßenvölkern ihre Identität, ihren Stolz und damit auch ihr Selbstvertrauen zu rauben suchte, sehen viele Planeten ihr Heil in der Konzentration auf sich selbst, kapseln sich gegenüber dem Galaktikum ab, das diesen separatistischen Bestrebungen hilf- und entschlusslos gegenübersteht ...

Dem unvoreingenommenen Betrachter präsentiert sich das Galaktikum heute als Debattierklub ohne nennenswerten Einfluss auf die Geschicke der galaktischen Völkerfamilien. Trotz des verzweifelten Bemühens, sich neu zu konsolidieren, kann es mit den anstehenden Problemen nicht Schritt halten. Nur so lassen sich die dreisten Übergriffe der Topsider auf arkonidische und terranische Kolonialplaneten verstehen.

Vor allem die merkwürdigen Gebietsansprüche der Akonen im Bereich der terranischen Einflusssphäre – die vordergründig vom Großen Rat auf Sphinx nicht gebilligt werden, nichtsdestoweniger aber immer häufiger geschehen – geben Anlass für starke Konfrontationen zwischen der LFT und radikalen Akonengruppierungen. Konfrontationen, die bis zu Auseinandersetzungen mit Waffen eskalieren. Immer wieder entstehen so neue, punktuelle Krisenherde ...

(aus: »Abriss der Ökonomie und Politik in der Milchstraße« von Ryder Shephard. [Sonderdruck, Giznis City, Sol III]. September/Oktober 1200 NGZ)

Prolog

1204 NGZ, auf dem Planeten Manthor

 

Galva wusste weder, wie lange er gelaufen war, noch hatte er den Anbruch der Morgendämmerung bemerkt. Schließlich stürzte er erschöpft zwischen den Felsen in den Sand. Lange blieb er mit dem Gesicht nach unten liegen. Dann wälzte er sich schwer atmend auf den Rücken und starrte in den Morgenhimmel. Obwohl sich die strahlende, messingfarbene Scheibe bereits über den Horizont erhoben hatte, waren die beiden Monde Manthors noch deutlich sichtbar.

Das Brennen und Pulsieren in seiner Brust wurde stärker; die Reserven des hinter seinem linken Schulterblatt implantierten Medomoduls schienen aufgebracht. Von nun an musste er wohl oder übel mit den Schmerzen leben – falls er dies hier überhaupt lebend überstand.

Ob sie die Suche nach ihm aufgegeben hatten? Er befand sich seit mehr als zwanzig Stunden auf der Flucht; er musste weiter.

»Steh auf«, sagte er laut. »Steh auf, du Narr!«

Seine Stimme erschreckte ihn. Sie klang laut, viel lauter als die Geräusche des beginnenden Tages. Schwankend kam er auf die Füße. Seine Augen brannten, er blinzelte. Sein Blick wanderte über die Ebene zurück ...

»Oh, du verdammter Idiot«, murmelte er.

Er hatte im Wüstenboden eine deutlich sichtbare Spur hinterlassen. Sie reichte so weit zurück, wie er im grellen Morgenlicht sehen konnte. Und noch darüber hinaus. Bis dorthin nämlich, wo er den Bodenschweber zurückgelassen hatte, mit dem er aus dem Stützpunkt geflohen war; der Antrieb hatte letztlich seinen Geist aufgegeben und ihn gezwungen, die Flucht zu Fuß fortzusetzen.

Noch weiter hinten, dort, wo der Himmel mit der Linie des Horizontes verschmolz, lagen in den Trümmern der Station die Toten. Überwiegend junge Männer, ohne ausreichende Kampferfahrung, frisch von der Akademie. Unwissend wie Neugeborene – und mit dem gleichen Gesichtsausdruck waren sie auch gestorben: Renzo, Deezen, Shim, Tawn und wie sie alle hießen. Sie hatten immer ein wenig über ihn gespottet, hatten ihn für einen alten Mann gehalten, obwohl er erst hundertzehn war. Aber am Ende war es seine Erfahrung, die ihn dieses Fiasko zumindest vorläufig überleben ließ. Galva hätte weinen mögen; seine Augen brannten. Jedes Mal, wenn er an die jungen Kadetten dachte, hätte er am liebsten geschrien. Er fühlte sich leer, ausgebrannt.

Ein plötzlicher Windstoß hüllte ihn kurzzeitig in eine Staubwolke. Kleine Lichtblitze zuckten in seinem linken Augenwinkel. Er zwinkerte und schüttelte heftig den Kopf – ehe er erkannte, dass es sein Ortungsgerät war, das ihm eine Warnung zukommen ließ. Er rückte den schmalen, metallenen Reifen auf seinem Kopf zurecht.

»Piko«, murmelte er, »taktische Darstellung.«

Der stecknadelkopfgroße Gefechtsfeld-Scanner des Pikosyns projizierte ein Holo nur wenige Zentimeter vor seinem rechten Auge; die Reflexe spiegelten sich auf seiner Netzhaut. Die Zahlenkolonnen der Entfernungsangaben flimmerten über das virtuell erzeugte Display. Nun wusste er definitiv, dass sie ihn nach wie vor verfolgten. Neue Werte kamen. Galva las die exakte Entfernung zwischen ihm und seinen Verfolgern ab. Fünftausend Meter. Sie waren nahe, verdammt nahe.

»Visueller Modus!« Galvas Stimme kam nur krächzend aus der trockenen Kehle. Der Pikosyn justierte neu. Die karstige Ebene zoomte heran – und dann sah Galva die vier metallenen Käfer, die behände den jenseitigen, leicht geneigten Abhang herunterglitten und die Distanz zwischen ihm und ihnen immer mehr verringerten. Es handelte sich um eine mechanisierte Einheit. Für einen winzigen Augenblick wunderte er sich, weshalb sie nicht mit Gleitern nach ihm suchten, dann verschwendete er keinen weiteren Gedanken daran. Es war gleichgültig, womit sie ihn verfolgten – nur ein Wunder würde ihn noch retten können. Einziges Problem dabei: Wunder waren rar in diesem Abschnitt der Galaxis, ganz besonders aber auf dieser Welt.

»Lauf weiter, Dummkopf!«, befahl er sich selbst. Er zog eine Grimasse und machte sich erneut auf den Weg.

Natürlich würden sie wissen, dass er sich landeinwärts gewandt hatte, hinein in die von labyrinthischen Wadis, tiefen Schluchten und Schründen durchzogene Ebene, die dem Dschungel vorgelagert war. Ideales Versteck für alles, was sich zu verbergen suchte. Aber sie würden nicht aufgeben. Sie würden die Gegend nach ihm absuchen und so lange auf ihre Ortungsgeräte starren, bis sie ihn schließlich hatten.

Einmal stürzte er fast in ein Wadi. Für Sekunden stand er schwankend und mit wild rudernden Armen am steil abfallenden Rand des ausgetrockneten Flussbettes, als abstruse Karikatur einer Marionette, die mit unsichtbaren Schnüren kämpfte, in die sie sich verheddert hatte. Der Wind zerrte an ihm, drohte ihn hinauszustoßen in die Leere. Das Gewicht der schweren Waffe unter seiner rechten Schulter wollte ihn hinabziehen. Die Schlucht war tief genug, um ihm ein staubiges Grab zu bereiten.

Na, und wennschon, durchzuckte es ihn. Was ist eigentlich so schlimm am Sterben? Ob hier und jetzt oder später, was spielt das für eine Rolle?

Und doch – etwas hielt ihn davon ab, der lockenden Tiefe nachzugeben. Er wusste, dass die Notfallautomatik bei der Zerstörung des Stützpunktes einen Hilferuf abgesetzt hatte, der früher oder später von einem in der Nähe operierenden Schiff der Kosmischen Hanse, der LFT oder einer befreundeten Allianz aufgefangen werden würde. Er musste nur lange genug am Leben bleiben, um gefunden zu werden.

Rücklings fiel er auf sicheren Boden zurück.

Er schrie auf, als die gebrochenen Rippen glühende Pfeile durch seinen Körper schickten. Der Schmerz trübte seinen Blick. Mit großer Anstrengung kam er taumelnd auf die Füße und trottete weiter.

Die Sonne brannte jetzt sengend herab; die Helligkeit blendete Galva. Er war überrascht, als er sah, wie hoch der Himmelskörper gestiegen war. Wie es schien, hatte er sein Zeitgefühl völlig verloren. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas getrunken hatte, und so sah er sich nach etwas Trinkbarem um. Aber hier herrschte die Wüste uneingeschränkt. Felsen und Sand schienen zu brennen. Nirgendwo gab es Wasser in größeren Mengen. Nirgends gab es Schatten, nirgends Leben bis auf die handgroßen, spinnenbeinigen Sandläufer. Dieser Teil des Planeten war so lebensfeindlich wie das Innere eines Schmelzofens.

»Los, beweg dich! Sieh zu, dass du weiterkommst ...«

Trotz der Schmerzen in der Brust rannte er ein Stück, ging dann langsamer, marschierte durch ein Geröllfeld, wobei er nur auf harten Fels trat und sich für gerissen hielt, weil er so keine Spur hinterließ. Aber Individualtaster ließen sich so natürlich nicht täuschen. Er hatte keine Ahnung, wie weit er schon in dieses unwegsame Terrain eingedrungen war, aber er kannte die Hügelkette, die im gelben Dunst über dem nördlichen Horizont schwebte und diesen wüsten Landstrich abschloss. Dahinter begann der Dschungel Manthors.

»Was war bloß los?«, fragte Galva laut. »Wie haben sie es geschafft, uns zu entdecken?«

Er wusste es nicht.

Keiner von ihnen hatte geahnt, was auf sie zukam. Plötzlich ertönten die Alarmsignale, und die Akustikfelder im Innern der Station riefen sie auf, sich auf ihre Positionen zu begeben. Sie ließen alles stehen und liegen und rannten zu den Gefechtsstationen – aber es war im Grunde genommen schon zu spät. Irgendetwas hatte ihre Sensoren überlistet. Bevor sie bemerkten, in welchen Schwierigkeiten sie steckten, war auch schon alles vorüber. Der schwer bewaffnete Leichte Kreuzer der Akonen überrumpelte sie völlig; mit einem einzigen Feuerschlag setzte der konzentrierte Beschuss ihre Verteidigungsanlagen außer Gefecht. Wie hatte es nur geschehen können? In die Falle geraten – unglaublich.

Galvas fieberndes Gehirn hatte die Geschehnisse wieder und wieder analysiert, er war zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gelangt. Es konnte Verrat im Spiel gewesen sein. Nur – wer hatte sie verraten?

»Geh weiter, Penn«, ermahnte er sich. »Lauf, oder sie erwischen dich. Sie haben längst gemerkt, dass du als Einziger überlebt hast. Sie werden wie der Leibhaftige hinter dir her sein.«

Überlebt hatte er den Überfall, ja. Aber zu welchem Preis? Die Explosion eines Teils der Station hatte seine linke Seite in Kontakt mit einem Träger gebracht, der ihm mehrere Rippen brach. Trotzdem versuchte er alles Menschenmögliche, um das drohende Unheil von der Station und den jungen Kadetten abzuwenden. Erst als er feststellte, dass er der Einzige war, der noch kämpfte, sah er das Nutzlose seines Tuns ein. Es gelang ihm, im allgemeinen Tumult einen der Bodenschweber aus dem Hangar zu entwenden und damit zu fliehen ...

Keuchend und mit schmerzenden Lungen stapfte er die steile Flanke einer Düne empor. Er stolperte, fiel hin und schlug mit der falschen Seite auf. Das Gefühl, dass etwas in seiner Brust zerrissen sei, entlockte ihm einen gellenden Schmerzensschrei. Er keuchte und hustete. Warm sickerte es aus seinen Mundwinkeln. Er schmeckte Blut auf den Lippen. Eine der gebrochenen Rippen musste in die Lunge gedrungen sein. Galva zwang sich, aufzustehen. Der Boden schwankte unter ihm. Er taumelte, fing sich wieder und setzte seinen Aufstieg fort.

Als er den Kamm erreicht hatte, hockte er sich erschöpft in den Sand. Er blutete noch immer aus dem Mund. Furcht überkam ihn, als er sich fragte, wie lange es wohl dauern würde, bis er vor Schwäche endgültig das Bewusstsein verlieren würde. Er schloss die Augen – aber nur für Sekunden, dann riss er sie wieder auf, als der Motorenlärm an seine Ohren drang und der Scanner seines Pikosyns die Netzhaut mit elektromagnetischen Signalen bombardierte.

Zu seiner Überraschung musste er feststellen, dass seine Verfolger ihn eingeholt hatten, dass sie sich bereits auf der anderen Seite der Düne in der Tiefe eines ausgetrockneten Flussbettes befanden. In Galvas Leben hatte es immer wieder Zeiten gegeben, da er Angst empfunden hatte. Auch jetzt sollte er wohl Furcht empfinden, aber eigentlich war es ihm gleichgültig. Er wünschte sich nur, er könnte sich im Sand vergraben und verschwinden. Am liebsten hätte er sich wegteleportiert, falls er die Möglichkeit dazu gehabt hätte.

Ein großer Schatten fiel über ihn. Hatten sie nun doch noch zusätzlich einen Gleiter eingesetzt, um seiner habhaft zu werden? Nun denn, dachte er zutiefst erschöpft, das war's dann wohl ...

Er wälzte sich ergeben auf den Rücken und blickte auf. Mühsam nur klärte sich sein Blick – und dann begann er hysterisch zu kichern, als er erkannte, dass er letztlich doch noch einmal mit dem Leben davongekommen war: Die Insignien auf der Unterseite der Hülle des schweren Gleiters waren eindeutig ...

Kapitel 1

Terrania City, Erde, 12. September 1210 NGZ

 

Als der Kugelraumer in die Erdatmosphäre eintauchte, begann für sie eines der erregendsten und gefährlichsten Unternehmen seit Langem. Glücklicherweise wussten beide nicht, was sie erwartete. Hinter ihnen lagen zehn Tage Nichtstun an den Ophir-Stränden von Pontichos II – entsprechend gelaunt verfolgten sie die Landung auf dem Raumhafen. An die Unterredung mit Noa Lodon im HQ Hanse verschwendeten sie im Augenblick nicht allzu viele Gedanken.

Im verwaschenen Licht des frühen Morgens dockte die silberglänzende DICAPRIO auf dem ihr zugewiesenen Platz an. Die Polschleuse öffnete sich, und die Stimme des Kapitäns forderte die Fluggäste mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln auf, den Raumer zu verlassen und nichts zurückzulassen.

Die beiden Männer nahmen ihre Reisetaschen an sich und verließen das Raumschiff.

Der eine Mann war Pet Yulal. Der auf Plophos geborene Terraner war zweiundsechzig Jahre alt, also noch relativ jung, hundertfünfundachtzig Zentimeter groß, hager und Hanse-Spezialist. Er kleidete sich mit Vorliebe in Dunkelgrau und Schwarz. Um die schmalen Augen lag hin und wieder ein düsterer Zug, der von dem dunklen Dreitagebart noch verstärkt wurde. Meist jedoch blickten sie eine Spur ironisch – wie eben jetzt, als er die Fesseln einer jungen Frau betrachtete, die vor ihnen auf den vielgliedrigen Schwebebus zuging.

Der zweite Mann hieß Vernon Almod; er war ebenfalls Hanse-Spezialist und Yulals Partner.

Der Schwebebus nahm die Passagiere der DICAPRIO auf. Kurze Zeit später befanden sie sich im Hauptterminal des Verkehrsraumhafens Terrania.

Yulal zögerte kurz am Ende der auf die nächste Ebene führenden Schwebetreppe und musterte die quirlende Menge, die den weit gespannten Dom bevölkerte. Es herrschte ein babylonisches Sprachengewirr. Musik aus vielen Akustikfeldern verschmolz mit Durchsagen in Interkosmo und mehreren anderen galaktischen Sprachen. Der Hanse-Spezialist warf einen langen Blick über das scheinbar heillose Durcheinander der gewaltigen, lichterfüllten Halle, dann nickte er seinem Partner zu. Sie ließen sich von einer Schwebetreppe nach unten tragen, hinaus in den zentralen Verkehrskreisel.

Im Freien angelangt, lenkten sie ihre Schritte zu dem ersten in einer langen Reihe von Bodengleitern. Sie hätten zwischen einigen anderen Beförderungsmitteln wählen können, zogen aber ein City Cab vor, weil sie dadurch mehr von der Stadt sahen.

»Frei?«

Der Fahrer hob den Kopf von seiner Drei-D-Zeitung, in seinem Mundwinkel hing eine in gelbes Papier geschlagene Zigarette – ein wahrer Anachronismus, wie Pet Yulal aus eigener Erfahrung nur zu gut wusste. Er musterte die potenziellen Fahrgäste abschätzend und knurrte dann ebenfalls:

»Sieht ganz so aus, wie? Oder glaubt ihr, ich stehe zu meinem Vergnügen hier?«

Yulal bedauerte für einen Moment, nicht doch die Rapidbahn für die Fahrt zur Innenstadt genommen zu haben, dann schwang er sich ergeben seufzend in die leuchtend gelb lackierte Schale des Gleiters. Neben ihm ließ sich Almod in die Polster fallen; sein Lächeln verhieß nichts Gutes. Die Sitzfederung des schon etwas angejahrten Gefährts protestierte quietschend.

»Bist du sicher, dass das Vehikel die Belastung einer Fahrt verkraften wird?«, erkundigte sich Almod durch das offene Fenster sarkastisch bei dem Fahrer, der derweil draußen ihre Taschen verstaute.

Der Fahrer brummelte vor sich hin. Dann klemmte er sich wieder hinter das Steuer. Er steckte sich die Zigarette an und zog kräftig, bis der Tabak zu glimmen begann.

Almod rümpfte ostentativ die Nase und hüstelte nachhaltig. Im Fahrzeug begann es ungefähr so zu riechen, als würde man einen Vogel mitsamt den Federn braten.

»Phantastisches Aroma«, bemerkte er bissig. »Bist du ganz sicher, dass du kein Insektenvernichtungsmittel rauchst?«

»Bin mir verdammt sicher«, gab der Fahrer ungerührt zurück.

»Na, dann vorwärts!«, knurrte Almod und schlug ihm mit plumper Vertraulichkeit auf die Schulter. »Gib der Sardinenbüchse die Peitsche zu spüren, Mac!«

»Mac« startete die Maschine. Mit summendem Aggregat reihte er sich in den fließenden Verkehr ein. Dann schob er den Geschwindigkeitsregler ruckartig nach vorn. Die Andruckabsorber hatten auch schon mal bessere Tage gesehen; die abrupte Beschleunigung drückte die beiden Hanse-Spezialisten in die Polster. Mit einer Höllenfahrt schoss der Bodengleiter die lange Kehre hinunter, die ihn ins Zentrum führte. Schließlich reinigte der Sog des Fahrtwindes das Fahrzeuginnere von allen Gerüchen.

»Wohin?«

»Du kennst die Stadt?«

Der Pilot nahm kurz die Zigarette aus dem Mund und spuckte durch die offene Scheibe. »Will ich meinen.«

»Wie kann man nur eine Stadt von zweiundzwanzig Millionen Einwohnern und entsprechend vielen Gästen kennen?«, fragte sich Yulal laut.

»Reine Gewohnheit. Leb du mal zweiundsiebzig Jahre in diesem Kaff ... Wohin also?«

»Plejaden-Hotel.«

Der Pilot starrte im Rückspiegel Almod an, als hätte ihm dieser ein unmoralisches Angebot gemacht.

»Plejaden ...?«, vergewisserte er sich noch einmal und betrachtete abschätzend die etwas saloppe Kleidung der beiden Männer.

»Ja, ja. Genau dorthin, Mac!«, bestätigte der Hanse-Spezialist.

Der Fahrer konzentrierte sich darauf, die richtige Spur zu finden – offensichtlich funktionierte das computerunterstützte Verkehrsleitsystem in seiner Kunststoffschachtel auch nicht mehr so hundertprozentig –, schüttelte den Kopf, schwieg jedoch. Aber man merkte, dass es in ihm arbeitete.

Die beiden Hanse-Spezialisten machten es sich für die rund sechzig Kilometer lange Fahrt bequem und betrachteten das Panorama, das draußen vorbeihuschte.

Terrania City, in der Wüste Gobi gelegen, war die jüngste und zugleich größte und modernste Hauptstadt der Erde.

Bereits kurze Zeit nach der Ausrufung der Dritten Macht gegründet, bildete sie seitdem den geistigen und kulturellen Mittelpunkt des einstigen Solaren Imperiums und der jetzigen Liga Freier Terraner. In Terrania gab es die bedeutendsten Universitäten, Institute und Kliniken sowie die Raumakademien und die Administration der Regierung.

Die Stadt, zwischen dem Nan-Schan-Gebirgszug im Süden und dem Altaigebirge im Norden erbaut, war ursprünglich einmal für eine Bevölkerung von fünf Millionen ausgelegt. Nun aber, im 13. Jahrhundert NGZ, bedeckte sie fast schon die gesamte Khooloi Gobi, jene ehemalige trockene Beckenlandschaft in Zentralasien. Gigantische Verwaltungshochhäuser, riesige Versorgungseinrichtungen, hypermoderne Verkehrsmittel aller Art, gewaltige Büro- und Wohnmaschinen und die Wolken durchstoßenden Kathedralen ultramoderner Hotels nahmen die Menschenflut auf.

Die Fahrt ging über den Procyon-Damm, die Sirrah Road entlang, führte dann seitlich den Schimo-Hügel hoch und wandte sich dort nach Süden zum Tokugawa Drive.

»Ihr wisst schon, was ein Apartment für vierundzwanzig Stunden im Plejaden kostet, oder?«, fragte der Gleiterpilot nach einer Weile.

Yulal meinte leichthin: »Hmm, unter sechshundert Galax wird da kaum was zu haben sein, schätze ich. Aber was soll's?«

Er sah die starren Blicke des Piloten im breiten Holofeld des Rückspiegels und hörte, wie er verbittert murmelte: »Manche Leute haben zeitlebens Glück. Glück und nichts als Glück ...«

Der Hanse-Spezialist dachte an die Einsätze, die er allein oder zusammen mit anderen Agenten schon gemacht hatte, an die mannigfaltigen Gefahren und an die oftmals aussichtslosen Situationen an den Brennpunkten interstellarer Verwicklungen, und er nickte nachhaltig. »Du sagst es, Mac ...«

Dabei hatten sie gar nicht vor, im Plejaden abzusteigen; das Hotel lag nur in unmittelbarer Nachbarschaft des HQ Hanse, ihrem eigentlichen Ziel. Aber das musste er dem Fahrer ja nicht auf die Nase binden.

Das City Cab fegte die Zufahrt zu einer der vielen Brücken hoch, die den Edsen Gol überspannten – den Fluss, der in den Goshun-See mündete –, umrundete den in der ganzen Lokalen Gruppe bekannten Meidschi-Brunnen und folgte dann der Avenue Bester. Schließlich endete die Höllenfahrt. Der Gleiter stoppte mit wimmernden Absorbern vor dem Hôtel de Pléiades. Es waren keine zwanzig Minuten vergangen.

»Wir sind da«, sagte der Fahrer überflüssigerweise.

Wortlos stiegen die beiden Hanse-Spezialisten aus und warteten, bis der Pilot ihre Taschen aus dem Gepäckabteil wuchtete.

»Was macht's?«, erkundigte sich Yulal und zog seine Brieftasche.

Der Fahrer nannte grinsend den Preis.

»Billiger als ein Sarg«, stellte Almod mit matter Stimme fest.

Yulal ließ einen deutlich höheren Betrag abbuchen. Als der Pilot ihn erstaunt ansah, winkte er ab. »Behalt den Rest. Lass dich dafür als Raumpilot ausbilden.«

»Wieso?«, erkundigte sich der hagere, sonnenverbrannte Mann mit der obligatorischen ärmellosen Weste aus abgewetztem Sim-Leder. »War's nicht schnell genug?«

Die beiden Spezialisten warteten, bis das Gleitertaxi um die nächste Biegung verschwunden war. Dann sammelten sie ihr Gepäck auf und gingen zur nächsten Subway-Station.

 

Nur zwanzig Minuten später schritten Yulal und Almod durch einen Korridor in der zweiunddreißigsten Ebene des äußeren Ringes des kreisförmigen, acht Kilometer durchmessenden ehemaligen Imperium-Alpha, das jetzt die Bezeichnung HQ Hanse trug. Zwei verschiedene Sicherheitskontrollen hatten sie schon hinter sich; nach der dritten standen sie schließlich vor den Diensträumen Noa Lodons. Sie mussten eine weitere Kontrolle über sich ergehen lassen, ehe sie endlich das Vorzimmer Lodons betraten.

»Dr. Yulal. Vernon Almod!« Eine der Technikerinnen an einer Konsole links neben dem Eingang hob den Arm. »Der Chef möchte euch sehen. Im Besprechungsraum. Ihr könnt gleich rein.«

»Danke!« Pet berührte die Sensorleiste, wartete, bis die schwere Platte aus Sicherheitsglas zur Seite schwang. Dann traten beide Spezialisten hindurch.

Wie ein ins Riesenhafte vergrößertes futuristisches Kunstwerk schwebte als dreidimensionale Projektion die Sternkarte der Milchstraßenebene in dem mächtigen Holokubus an der Stirnseite des Raumes. Die Projektion war von den leuchtenden Linien eines Gradnetzes durchzogen, zwischen dem perlengroße Lichtpunkte in sattem Grün flimmerten. Jeder einzelne dieser Punkte bedeutete den Einsatzort eines der unzähligen Teams von Hanse-Spezialisten.

Noa Lodon, ein groß gewachsener, schlanker älterer Mann mit kurz geschorenem weißem Haar, saß hinter einem langen Tisch mit polierter Platte und studierte einen Computerausdruck. Die Papierfahnen raschelten leise im Zug der Klimaanlage. Die Fingerspitzen seiner linken Hand schlugen einen schnellen, harten Wirbel.

»Wie war der Urlaub?«, fragte er und legte die Folien zur Seite. Er zeigte auf die Sitzgruppe. »Setzt euch. Kaffee?«

Die beiden nickten und nahmen Platz.

Yulal machte eine vage Geste. »Zu kurz. Könnten wir nicht ...?«

Noa Lodon schüttelte den Kopf; in seinen Mundwinkeln stand ein winziges Lächeln.

»Servo«, sagte er in den Raum hinein. »Kaffee für uns ... Sekunde!« Er blickte die beiden Hanse-Spezialisten fragend an. »Was zu essen?«

»Nicht für mich«, erwiderte Yulal. Auch Almod verneinte.

»Also nur Kaffee, Servo.« Er wandte sich erneut den beiden zu. »Nichts da. Keine Chance, den Urlaub verlängert zu bekommen. Ich brauche jeden verfügbaren Agenten.«

»Dacht' ich's mir doch«, murmelte Vernon.

»Probleme?«, fragte Yulal.

Der Serviceroboter kam mit Kaffee.

Lodon wartete einen Augenblick, dann fuhr er fort: »Unser Problem ist das geplante Handelsabkommen zwischen Akon und unserer Regierung, vielmehr die in Kürze stattfindende Unterzeichnung der Rahmenverträge hier auf Terra. Ihr wisst darüber Bescheid?«

Almod nickte. »Wir verfolgen die Nachrichten ...«

Yulal präzisierte: »Wir sind im Bilde. Aber wo genau liegt das Problem?«

»Nun denn ... es gibt Anzeichen dafür, dass während seines Aufenthaltes in Terrania City ein Attentat auf Kytan ay Marunochy, den Handelsattaché des Großen Rates von Sphinx, geplant ist.«

Pet lehnte sich zurück und rieb sich die Stoppeln am Kinn. »Weiß man, wer dahintersteckt?«

»Noch nicht, aber manche Experten in der Administration tippen auf eine akonische Extremistengruppe.«

»Blödsinn!«, kommentierte Almod auf seine unnachahmliche Art. »Wie ich die akonische Mentalität kenne, wird jeder einzelne Bedienstete in Marunochys Stab ein verkapptes Mitglied des Energiekommandos sein. Ganz zu schweigen von unseren eigenen Schutzvorkehrungen. Es dürfte fast unmöglich sein, auch nur in die Nähe des Kytan zu kommen.«

Lodon zuckte die Achseln.

»Wie auch immer, wir sind davon unterrichtet, dass Extremisten die Absicht haben, den Kytan zu ermorden.« Der Sicherheitsberater legte eine kleine Pause ein. »Vielleicht gelingt es nicht. Aber ihr wisst ja selbst: Wie sehr auch jemand bewacht wird, gegen zu allem entschlossene Fanatiker, die bereit sind, das eigene Leben dem Ziel unterzuordnen, gibt es so gut wie keinen Schutz.«

»Aus welchen Kanälen stammen diese ... äh ... Informationen?«

Pet Yulal schüttelte sich eine Zigarette aus der Packung, drehte das Derivat zwischen den schmalen, schlanken Fingern und zündete es schließlich an. Gelassen lehnte er sich im Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und klopfte sich ein imaginäres Stäubchen von seiner teuren Hose.

Lodon musterte Yulal über den Rand des Bechers hinweg.

»Den üblichen.«