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Nr. 313

 

Koy, der Trommler

 

Jagd im Auftrag der Herren von Pthor

 

von H. G. Ewers

 

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Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, dass die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist.

Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt und nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wieder aufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis.

Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letzten Auftauchen von Atlantis oder Pthor auf die Erde verbannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzigen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Leiter der Invasion ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen.

Und so landen Atlan und Razamon an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und der Schrecken. Das Ziel der beiden Männer, zu denen sich inzwischen der Fenriswolf gesellt hat, ist, die Herren der FESTUNG, die Beherrscher von Pthor, aufzuspüren und schachmatt zu setzen, auf dass der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse.

Atlans und Razamons bisherige Aktivitäten auf Pthor haben ihrerseits die Herren der FESTUNG alarmiert. Die mysteriösen Herrscher sind es auch, die einen Jäger auf die beiden Eindringlinge ansetzen.

Dieser Jäger ist KOY, DER TROMMLER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Koy der Trommler – Jäger der Herren der FESTUNG.

Amshun – Koys Pflegevater, ein Pfister.

Dagrissa – Koys Mutter, eine Androidin.

Ursinda, Andrakhon, Stygor und Chamody – Mitglieder der Familie Knyr.

Unaufhörlich rollt das Endlose dem Grundlosen entgegen.

Viktor Hugo

 

1.

 

»Du hast das Licht gesehen?«, fragte Mmu.

Koy musterte den Missgriff im ungewissen Schein einer Tranfunzel. Im Ruinensektor des Ghettos westlich von Aghmonth gab es weder elektrisches Licht noch magische Lampen. Hier hausten die Missgriffe, Androiden, bei deren Herstellung unterschiedliche schwerwiegende Fehler gemacht worden waren, unter erbärmlichsten Bedingungen.

Mmu war einer von ihnen. Er besaß eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Kelotten, war aber etwas kleiner, und sein Gesicht wurde nicht vom Niederschlag einer Körperausdünstung bedeckt wie das eines Kelotten. Mmu hatte nur kurze Beinstummel, die in großen Plattfüßen endeten, mit denen er sich watschelnd fortbewegte. Dafür waren seine Arme so lang, dass er sich beim Gehen auf die Ellbogen stützen konnte. Allerdings hatten sich an diesen Armen kaum Muskeln entwickelt, so dass es bereits Mmus ganze Kraft kostete, sie auch nur auf halbe Körperhöhe zu heben.

Das Skurrilste an Mmu aber war sein diskusförmiger Kopf, der mit bläulich fluoreszierender Haut überzogen war und auf einem extrem kurzen stangenförmigen Hals saß. Außer einem schmutzigen Lendentuch besaß Mmu keinerlei Kleidung.

»Ich habe das Licht gesehen, und es rief mich zur Jagd auf Fremde, die von Terra nach Pthor gekommen sein sollen«, antwortete Koy. »Aber bevor ich aufbreche, wollte ich mit dir reden, Mmu, denn in meinem Kopf gehen in letzter Zeit seltsame Dinge vor – und du hast mir schon manches Mal geholfen, wenn ich Probleme hatte.«

Mmu drehte den scheibenförmigen Kopf so, dass er seinen Besucher mit dem Auge der linken Gesichtshälfte ansah. Theoretisch sollte mit einem einzelnen Auge kein räumliches Sehen möglich sein, aber da Mmu um die Dreidimensionalität seiner Umwelt wusste, verarbeitete sein Gehirn die optischen Wahrnehmungen so, dass sich in seinem Sehzentrum räumliche Abbilder formten.

Der Missgriff kannte Koy schon, seit er bei seinem Pflegevater, einem Pfister namens Amshun, lebte, und er wusste mehr über Koy als dieser ahnte. Koy war kein Pfister, was schon sein Aussehen verriet. Bei einer Körpergröße von 1,60 Metern war Koy ungewöhnlich korpulent, aber diese Korpulenz kam nicht von Gewebeaufschwemmungen oder von Verfettungen, sondern von festen Muskelpaketen und -strängen. Zu der untersetzten Gestalt passten die kurzen, aber ebenfalls sehr muskulösen Arme und Beine. Auf dem gedrungenen Hals saß ein beinahe kugelförmiger Kopf mit einem braunhäutigen Gesicht voller Runzeln, aus dem zwei freundliche, weit auseinanderstehende schwarze Augen schauten. Das silbergraue Haupthaar war so kurz geschoren, dass es fast wie ein Pelz aussah. Ein silbergrauer Oberlippenbart verdeckte die Lippen, so dass nur die Unterlippe beim Sprechen zu sehen war.

Das Seltsamste an Koy aber waren die beiden etwa handspannenlangen hornförmigen Fühler, die dunkelblau aus der Stirn ragten und wie prall gefüllte Blutgefäße aussahen. Am oberen Ende der Broins, wie Koy sie nannte, saßen kugelförmige, etwa drei Zentimeter durchmessende Verdickungen.

Die Kleidung Koys bestand aus einer orangeroten Kunststoffhose und einem Kunststoffpullover von hellblauer Färbung, der bis zu den Hüften reichte. Auf dem Brustteil des Pullovers war in einem 15 Zentimeter durchmessenden weißen Kreis ein schwarzer Januskopf eingestickt. An einem breiten schwarzen Kunststoffgürtel trug Koy eine große schwarze Gesäßtasche. Auch seine schwarzen Stiefel bestanden aus Kunststoff.

Mmu drehte seinem Besucher wieder die vordere Schmalseite seines Kopfes zu.

»Fremde von draußen?«, fragte er. Beim Sprechen dehnte sich das untere Achtel seiner Gesichtsschmalseite, so dass sich ein schmaler Mund öffnete. »Dann müssen sie über einen starken Zauber verfügen, denn jeder Unbefugte, der sich Pthor nähert, verliert sein Ziel aus den Gedanken. Sieh dich vor, Koy, wenn du ihnen begegnest!«

Koy schlug die kugelförmigen Enden seiner Broins spielerisch gegeneinander und beobachtete, wie Mmus Kopfhaut sich verdunkelte.

»Keine Angst, ich trommle niemals, wenn Freunde dabei sind«, versicherte er. »Aber wenn ich trommle, ist jeder Feind schon so gut wie tot, denn ich bin Koy, der Trommler. Ich werde die Eindringlinge stellen und töten, wie die Herren der FESTUNG mir befohlen haben.«

Mmu drehte seinen Kopf mehrmals von einer Seite zur anderen, dann erwiderte er zögernd:

»Ich weiß, dein Zauber ist stark, Koy, aber es gibt immer einen stärkeren Zauber. Außerdem ...« Er schwieg, und es schien, als sei er über das, was er hatte sagen wollen, erschrocken.

»Was außerdem?«, bohrte Koy hartnäckig.

»Nichts, Koy«, sagte Mmu. »Ich bin nur ein Missgriff und habe kein Recht, demjenigen vorzugreifen, der dir stets ein guter, wenn auch nicht leiblicher Vater gewesen ist. Frage Amshun nach Kergho und Dagrissa. Vielleicht erzählt er dir eine Geschichte, die dich vieles in einem anderen Licht sehen lassen könnte.«

»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte Koy zögernd, »aber ich werde Amshun fragen. Aber kannst du die seltsamen Dinge deuten, die seit kurzer Zeit in meinem Kopf herumspuken?«

»Was sind das für seltsame Dinge?«, erkundigte sich Mmu.

»Es sind Träume«, erklärte Koy. »Träume von Göttern, die zu mir von einer weiten Reise durch unbekannte Dimensionen reden – und Träume von einem lichten Tor, das irgendwo auf uns alle wartet. Ich kann mir nicht erklären, was das bedeuten soll, aber es beunruhigt mich auf nie gekannte Weise.«

Mmu wandte seinem Besucher abwechselnd die linke und die rechte Gesichtshälfte zu, dann zeigte er ihm wieder die Schmalseite seines Kopfes und sagte:

»Ich glaube, du stehst vor einer Wende deines Lebens, Koy, aber ich weiß nicht, ob es eine Wende zum Guten oder zum Bösen sein wird. Diejenigen, die dir als Götter erschienen, sind wahrscheinlich Wesen, die dir in irgendeiner Weise überlegen sind – und es scheint, als wollten sie dich zu etwas überreden. Warte!«

Mmu drehte sich um und watschelte zur Rückseite des Gemäuers, in dem er lebte. Er schob mit dem Kopf einen staubigen Vorhang zur Seite, griff mit einer Hand in eine Nische und kehrte mit einer silbernen flachen Dose zurück.

»Das ist mein Mandala«, erklärte er und hielt seinem Besucher die Dose hin. »Etwas, das seit Äonen auf Pthor existiert, aber nur noch ein Schatten des Ursprünglichen ist. Immerhin kann es dir helfen. Wenn du nicht weißt, wie du dich entscheiden sollst, drehe den Deckel der Dose nach rechts.«

Koy nahm die Silberdose und wog sie prüfend in der Hand. Sie war fast zu leicht für massives Silber. Auf dem Deckel erblickte Koy rätselhafte Ornamente.

»Was ist darin, Mmu?«, fragte er unsicher.

»Etwas Unaussprechliches, Koy«, antwortete Mmu. »Geh jetzt, Koy! Ich brauche Ruhe, denn ich bin ein Missgriff und habe nur wenig Kraft. Ich wünsche dir, dass du immer das Rechte tun wirst.«

Immer noch unsicher, öffnete Koy die schwarze Gesäßtasche, schob das Mandala hinein und verschloss sie wieder. Aber er begriff, dass der Missgriff ihm einen Gegenstand gegeben hatte, der ihm selbst sehr viel bedeutete.

»Ich danke dir, Mmu«, sagte er, dann drehte er sich um und verließ das Gemäuer.

 

*

 

Als er ins Freie kam, stieg soeben die Sonne über den Horizont – eine Sonne, die nicht die Heimatsonne Koys war, denn Pthor besaß keine eigene Sonne.

Koy der Trommler kniff die Augen zusammen, dann kletterte er auf eine Ruine, von der eine Mauerwand so zerbröckelt war, dass man wie auf Stufen hinaufsteigen konnte. Von dort oben spähte er über das Meer der fremden Welt hinaus, auf der Pthor materialisiert war. Er konnte nicht weit sehen, denn in geringer Entfernung von der Küste Pthors lag eine Nebelwand. Dieser Nebel wich nur selten, wenn Pthor sich auf einem Planeten befand.

Und wenn Pthor sich einmal nicht auf einem Planeten befand ...! Koy dachte den Gedanken nicht zu Ende.

Er schloss die Augen und hatte mit einemmal das Gefühl, als schwankte das Mauerwerk unter seinen Füßen. Koy wusste, dass er sich das nur einbildete; dennoch zitterte er plötzlich. Plötzlich glaubte er, ein schwaches Donnern zu hören, das allmählich immer stärker wurde.

Koy wusste, was das bedeutete. Es waren die Geräusche, die schon zahllosen Welten den Untergang gebracht hatten. Bald hatte sich das Donnern in ein Tosen gesteigert, dann klang es wie das näher und näher kommende Donnern einer riesigen Tierherde, die voller Panik über eine Ebene jagt.

Echos aus längst vergangenen Zeiten!, durchfuhr es Koy.

Als die Schallwellen Koys Trommelfelle zu zerreißen drohten, sank er mit einem erstickten Schrei auf die Knie. Seine Broins begannen zu zittern, bis die Kugelenden gegeneinander schlugen. Koy merkte es nicht einmal.

Erst die Entsetzensschreie anderer Lebewesen rissen ihn in die Realität zurück. Erschrocken merkte er, dass er drauf und dran war, die psionischen Impulse, die beim Gegeneinanderschlagen seiner Broinkugeln entstanden, zu steigern und dadurch andere Lebewesen zu gefährden. In den Straßen des Ruinensektors tauchten wankende Albtraumgestalten auf, schrien und hoben die Hände in Koys Richtung.

Koy riss sich gewaltsam zusammen und stellte die Bewegungen seiner Broins ein. Während die fremde Sonne rot über die Nebelbank stieg, kletterte Koy von der Mauer und machte sich, noch halbbenommen, auf den Heimweg. Er beachtete die über die halb von Schutt bedeckten Straßen wankenden Missgriffe nicht und blieb erst stehen, als er das kleine Ghetto erreicht hatte, in dem er lebte.

Vor ihm überquerten drei Pfisters die Straße. Es waren zwei männliche und ein weibliches Wesen. Fast sahen sie aus wie stachelbewehrte Kugeln, denn sie hatten ihre Arme unter den dunklen Stacheln verborgen, die ihre kugelförmigen Körper bedeckten. Die Pfisters wandten ihm ihre stumpfnasigen, breitflächigen Gesichter nur kurz zu, dann konzentrierten sie sich wieder auf das Gespräch, das sie miteinander führten. Ihre schwarzhäutigen Füße patschten laut über die quadratischen Steinplatten der Straße, in die undefinierbare Symbole eingemeißelt waren.

Da Koy in die gleiche Gasse einbiegen musste, in die die Pfisters gingen, fing er einige Fetzen ihres Gesprächs auf. Daraus erkannte er, dass die drei Pfisters sich im Dienst befanden. Sie waren von den Kelotten zum Westtor des Ghettos bestellt worden, um einen Missgriff in Empfang zu nehmen.

Als Koy aus westlicher Richtung ein lautes Zischen und Brausen hörte, wusste er, dass die Arbeit in dem Fabrikkomplex begonnen hatte, in dem die Kelotten mit Hilfe magischer Kräfte aus simplem Rohmaterial Androiden aller möglichen Arten züchteten sowie chemische Waffen erzeugten, die zur Bekämpfung der Lebewesen dienten, die es wagten, sich gegen Pthor zu stellen, wenn es auf ihrer Welt materialisiert war.

Bald darauf brachte der vom Land zum Meer wehende Wind trübe, nach allen möglichen Chemikalien riechende Luft mit sich. Die Giftschwaden waren ausreichend verdünnt, so dass sie den seit vielen Generationen an sie gewöhnten Pfisters nichts ausmachten, aber Koy litt immer wieder unter ihnen.

Das war einer der Gründe, warum er froh darüber war, auf die Jagd gehen zu können.

Er schritt schneller aus, um den Turmbau zu erreichen, in dem er mit seinem Pflegevater Amshun lebte. Normalerweise lebten die Pfisters in Großfamilien in den selbstgebauten Nestern, die überall in dem uralten Stadtteil verstreut waren und einen Durchmesser bis zu zehn Metern erreichten.

Amshun bildete eine seltene Ausnahme. Nicht nur, dass er für sich allein lebte – denn Koy war ja kein Pfister –, sondern er bewohnte außerdem ein Nest, das sich stark von den anderen Pfisternestern unterschied. Erstens war es in einem Gebäude untergebracht und nicht auf oder neben einem, und zweitens war es kein echtes Nest, sondern bestand nur aus einer Geflechtverkleidung der Wände in dem Turmbau der alten Stadtmauer.

Schon von weitem sah Koy unter dem Torbogen neben dem Turm zwei Kelotten stehen, hochgewachsene, bleiche Gesellen mit haarlosen Schädeln und verkrusteten Gesichtern. Sie trugen die übliche Kleidung der Kelotten: transparente, enganliegende Schutzanzüge, dazu kapuzenähnliche Kopfhauben. In Aghmonth gab es ungefähr 10.000 Kelotten. Sie lebten fast nur ihrer Arbeit und gingen keine familiären Bindungen ein. Acht alte Wissenschaftler bestimmten über ihre Arbeit und über ihr Leben.

Zwischen den beiden Kelotten sah Koy eine Gestalt stehen, die zur Hälfte einem Kelotten und zur anderen Hälfte einem hundeähnlichen Wesen glich. Es war mit zwei Silberketten an die Handgelenke der Kelotten gefesselt und machte einen erbarmungswürdigen Eindruck.

Koy wusste sogleich, dass es sich um einen neuen Missgriff handelte, wie in Aghmonth die Fehlresultate von Neuzüchtungen bezeichnet wurden. Die Kelotten waren sehr experimentierfreudig, was sie nicht nur dazu befähigte, alle möglichen Arten hochwertiger Spezialandroiden sozusagen in Maßarbeit herzustellen, sondern was auch immer wieder zu Fehlschlägen führte. Solche Missgriffe pflegten sich die Kelotten vom Hals zu schaffen, indem sie sie den Pfisters, den »Sozialarbeitern« von Aghmonth, übergaben.

Als die drei Pfisters die beiden Kelotten und den bedauernswerten Missgriff erreichten, lösten die Kelotten die Fesseln und stießen das bedauernswerte Geschöpf vorwärts. Es taumelte, dann wollte es sich abwenden und fliehen. Doch die Pfisters hielten seine Arme fest und sprachen beruhigend auf es ein. Schließlich gab es seinen Widerstand auf und ließ sich ins Ghetto führen.

Unterdessen hatte Koy den Turmbau erreicht. Er brauchte keine Tür zu öffnen, denn es gab keine. Wahrscheinlich war sie aus Holz gewesen und längst vermodert. Nur die rostzerfressenen Angeln hingen noch im bröckelnden Mauerwerk.

Irgendwann, dachte Koy, muss sich Amshun woanders ein Nest einrichten, wenn ihm das Gemäuer nicht über dem Kopf zusammenfallen soll.

Er betrat den modrig riechenden Flur und stieg die ausgetretenen Steinstufen hinauf. Oben befand sich ein geräumiges Turmzimmer mit Schießscharten in den Wänden. Die Wände allerdings waren von einem Geflecht aus dürren Zweigen, trockenem Laub und Gräsern bedeckt und erweckten für einen flüchtigen Betrachter den Eindruck, sich in einem echten Nest zu befinden.

»Da bist du ja endlich, Koy!«, sagte eine dunkle Stimme in knurrendem Pthora vom anderen Ende des Turmzimmers, und ein Pfister mit graumelierten Stacheln erhob sich von einem Lager aus Zweigen und Laub, über das eine Decke gebreitet war. »Wo warst du so lange? Es ist nicht ratsam, so lange zu zögern, wenn der Ruf zur Jagd an dich ergangen ist.«

»Ich war bei Mmu«, erwiderte Koy und spürte, wie er vor gespannter Erwartung zitterte. »Mmu meinte, ich soll dich nach Kergho und Dagrissa fragen.«

 

*

 

Die kleinen Augen Amshuns blickten mit einemmal erschrocken aus dem breiten schwarzhäutigen Gesicht.

»Mmu hatte kein Recht, dir das zu sagen!«, stieß er hervor. »Es ist besser, wenn du nichts über die alte Geschichte weißt, Koy.«

»Über welche alte Geschichte?«, fragte Koy.

»Über die Geschichte deiner Herkunft«, antwortete Amshun.

Eine ganze Weile schwieg Koy, denn er fühlte sich innerlich so aufgewühlt, dass er kein Wort hervorbrachte. Schon immer hatte er versucht zu erfahren, woher er kam und wer seine Eltern waren, aber sowohl Amshun als auch andere Pfisters waren seinen entsprechenden Fragen stets ausweichend begegnet. Und Amshun hatte ihn mit soviel Liebe erzogen, dass Koy nie versucht hatte, ihn zu einer Auskunft zu zwingen. Auch diesmal beabsichtigte er das nicht, aber er war entschlossen, eine befriedigende Antwort zu bekommen.

»Ich muss es wissen, Amshun«, sagte er. »Ich spüre, dass ich vor einer entscheidenden Wende in meinem Leben stehe, und ich werde nicht eher aufbrechen, als bis du mir alles erzählt hast, was du über meine Herkunft weißt.«

»Du darfst deinen Aufbruch nicht noch länger verzögern, Koy!«, erwiderte Amshun besorgt. »Die Herren der FESTUNG könnten es erfahren und zornig werden – und ihr Zorn ist stark wie der Zorn der Götter.«

Koy setzte sich auf ein zweites Lager.

»Ich kann nicht gehen, ohne zu wissen, woher ich kam«, erklärte er entschieden. »Mag der Zorn der Götter über mich kommen, wenn du mir verschweigst, was ich wissen muss.«

»Das ertrüge ich nicht«, jammerte Amshun. »Du bist für mich wie ein leiblicher Sohn, Koy, deshalb darfst du nicht zulassen, dass die Herren der FESTUNG dir etwas antun.«

»Ich will es ja nicht zulassen, aber du zwingst mich dazu«, erwiderte Koy.

»Du erpresst mich!«, stellte Amshun vorwurfsvoll fest.