Nr. 493

 

Die Dimensionsfalle

 

Der Spuk in der FESTUNG

 

von H. G. Ewers

 

 

Die Herrschaft des Bösen über die Schwarze Galaxis ist längst aufgehoben. Der Zusammenbruch der dunklen Mächte begann damit, dass Duuhl Larx, der verrückte Neffe, durch die Schwarze Galaxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, dass die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis gebracht wurde und nicht zuletzt auch damit, dass Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten.

Dann löste die große Plejade den Lebensring um Ritiquian auf. Der Dunkle Oheim musste seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Neffen, die Statthalter des Dunklen Oheims, starben aus.

Doch das Schicksal der dunklen Mächte scheint damit noch nicht endgültig besiegelt zu sein. Der Dunkle Oheim traf jedenfalls einschneidende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusammenführte und mit ihnen startete.

Die Lage, die gegenwärtig auf Pthor und den anderen Dimensionsfahrstühlen herrscht, ist schwer überschaubar. An vielen Orten ereignen sich seltsame Dinge – so auch in der FESTUNG. Dort gerät Atlan in DIE DIMENSIONSFALLE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide gerät in eine Dimensionsfalle.

Razamon – Der Berserker glaubt, dass sein Ende nahe ist.

Sigurd – Der Odinssohn fliegt Erkundung.

Bördo – Sigurds Sohn.

Mondar – Ein ehemaliger Pirat.

1.

 

Kaum hatte ich den Saal der seufzenden Seelen betreten, als vor mir zischend eine bläuliche Stichflamme emporschoss. Die Finsternis verwandelte sich schlagartig in flackernde Helligkeit.

Ich hatte mich unwillkürlich geduckt. Nur dadurch entging ich dem wilden Angriff eines großen geflügelten Wesens, das von schräg oben auf mich herabstieß. Es verfehlte mich um wenige Zentimeter. Hinter mir schwang es sich mit hastigen, flatternden Flügelschlägen wieder empor.

Ich wich an die stählerne Wand neben dem Eingang zurück und lehnte mich an das kühle Metall. Die Stichflamme brannte unvermindert weiter. Ich sah, dass sie aus einem schalenförmigen Gefäß kam, das wenige Schritte vor mir auf dem Stahlboden stand. Das anhaltende zischende Geräusch ließ mich vermuten, dass die Flamme nicht durch Magie, sondern durch Zuführung eines brennbaren Gases am Leben erhalten wurde.

Das geflügelte Wesen kurvte indessen dicht unter der etwa acht Meter hohen Decke. Anscheinend bereitete es sich auf einen neuen Angriff vor. Zum ersten Mal vermochte ich es richtig zu sehen.

Es ähnelte verblüffend einem terranischen Uhu, nur dass es nicht den lautlosen Flug dieser Großeule besaß. Außerdem war der Kopf größer und nackt. Aus der dunkelbraunen faltigen Lederhaut wölbten sich an den Seiten zwei hühnereigroße Augen hervor. In jedem spiegelte sich die bläuliche Flamme. Der Schnabel war handspannengroß, gekrümmt und lief dolchartig spitz und scharf aus. Die Krallen der beiden Füße waren ebenfalls sehr groß und wirkten wie Dolche.

Das Wesen war zweifellos äußerst gefährlich, und da ich unbewaffnet war, überlegte ich, ob ich nicht lieber fliehen sollte. Wahrscheinlich hatte das Wesen nur angegriffen, weil es sein Territorium verteidigen zu müssen glaubte. Doch ich kam nicht zur Flucht. Das Wesen setzte zu schnell zum nächsten Angriff an. Ich wollte mich in Richtung Eingang zur Seite werfen, um dann schnell durch die Öffnung zu verschwinden. Doch das Wesen vereitelte meine Absicht, indem es sich im Sturzflug so herumschwang, dass es seitlich an der Öffnung vorbei auf mich herabstieß.

Ich hatte keine andere Wahl, als mich nach vorn zu werfen, mich einer Rolle vorwärts zu unterziehen und anschließend auf die dunkle Öffnung in der gegenüberliegenden Wand des Saales zuzulaufen, ohne zu wissen, was mich dahinter erwartete.

Hinter mir schrammten die Krallen des unheimlichen Wesens über die Stahlwand. Das beflügelte mich ungemein, und ich vergaß für einige Sekunden das Schwinden des Zeitklumpens an meinem linken Bein und vermochte die damit verbundene psychische Behinderung zu überwinden.

Dennoch erreichte das geflügelte Wesen die dunkle Öffnung fast gleichzeitig mit mir – und es hätte mich packen können, wenn es mir in die Dunkelheit hinein gefolgt wäre. Aus mir unerfindlichen Gründen schwenkte es jedoch scharf ab, streifte die Metallwand und stürzte zu Boden.

Ich bremste meinen Lauf ab, duckte mich und spähte in die Finsternis. Es beunruhigte mich, dass das Wesen mir nicht gefolgt war, obwohl ich dieser Tatsache wahrscheinlich mein Leben verdankte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es die Verfolgung grundlos abgebrochen hatte. Wenn seine Handlungsweise von einer hier irgendwo lauernden Gefahr bestimmt worden war, dann musste es angesichts der Wehrhaftigkeit dieses Wesens eine sehr große Gefahr sein.

Aber ich konnte nichts hören, und sehen konnte ich wegen der undurchdringlichen Finsternis auch nichts.

Ich trat zwei Schritte nach rechts und stieß mit der ausgestreckten Hand gegen eine geriffelte Metallwand. Langsam schlich ich vorwärts. Die Metallwand blieb. Ich befand mich demnach in einer Art Korridor.

Noch immer hörte ich nichts außer meinen eigenen Atemzügen. Aber ich glaubte, einen ganz schwachen Geruch nach Fäulnis wahrzunehmen.

Plötzlich wurde mir bewusst, dass es hier nicht völlig finster sein durfte, denn das grelle Licht der im Saal hochzischenden Flamme hätte auch in den Korridor fallen müssen.

Dennoch vermochte ich hier nicht die Hand vor Augen zu sehen. Etwas hielt das Licht der Flamme davon ab, in den Korridor zu dringen. Andererseits konnte ich die Flamme sehen, wenn ich zurückschaute. Das waren zwei Fakten, die sich gegenseitig ausschlossen. Folglich musste hier Magie im Spiel sein.

Weshalb war ich eigentlich in diesen mir bisher unbekannten Teil der FESTUNG hinabgestiegen? Ich wusste es nicht mehr.

Ich setzte meinen Weg fort – und plötzlich wurde die Finsternis von zahlreichen seifenblasenartigen Gebilden erhellt, die schwach glühend in einem großen und hohen Saal schwebten.

Und unter den leuchtenden Blasen lag das grässlichste Ungeheuer, das ich bisher gesehen hatte: ein mammutgroßer Berg aus grünlicher, sich schlangenähnlich windender Muskulatur, mit einem scheunentorgroßen Rachen, der allerdings zur Zeit geschlossen war und mit vier krallenbewehrten Tatzen, von denen jede so groß war wie die Platte eines runden Esstischs.

Ich blieb sofort stehen, bereit, bei jeder Bewegung des Ungeheuers die Flucht zu ergreifen. Aber das Ungeheuer schien fest zu schlafen. Es rührte sich nicht, und seine suppentellergroßen Augenlider waren geschlossen.

Mein Blick fiel auf die Öffnung in der gegenüberliegenden Wand der Halle. Sie schien ebenfalls in einen Korridor zu führen, und an seinem Ende glitzerte und gleißte etwas gleich einem kleinen Berg geschliffener Diamanten.

Vielleicht ein Schatz, der von dem Ungeheuer bewacht wurde?

Ich beschloss, das Risiko einzugehen, an dem schlafenden Ungeheuer vorbeizuschleichen.

Schritt für Schritt ging ich vorwärts. Das Ungeheuer rührte sich noch immer nicht. Ich erschauderte, als ich an der linken Tatze vorbeikam und die Krallen aus unmittelbarer Nähe betrachtete. Sie waren fast so lang wie Kurzschwerter und wahrscheinlich ebenso scharf.

Als ich an dem geschlossenen Rachen vorbeiging, sogen die darüber sitzenden behaarten Nüstern scharf die Luft ein. Erschrocken blieb ich stehen und spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Langsam blies das Ungeheuer die Luft wieder zwischen den wulstigen, hornhautbedeckten Lippen aus.

Und plötzlich öffneten sich die Augen.

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Alles in mir schrie förmlich danach, die Flucht zu ergreifen. Aber ich wusste, dass ich nicht weit kommen würde, wenn das Ungeheuer feindselig reagierte.

Doch es rührte sich nicht, obwohl ich deutlich erkannte, dass es mich ansah. Sekunden später öffnete sich der Rachen einen Spalt breit, dann stemmte die Kreatur sich hoch.

Das war zu viel für mich. Mit einem gellenden Schrei sprang ich in die Luft und rannte danach in Richtung der glitzernden Öffnung davon. Erst, als ich in einer Kammer stand und vor meinen Füßen zahllose aufgehäufte glitzernde Edelsteine sah, wusste ich, dass ich aus unerfindlichen Gründen mit dem Leben davongekommen war.

Im nächsten Augenblick rief eine dumpfe Stimme meinen Namen.

»Razamon!«

Ich erwachte schweißgebadet auf meinem Lager ...

 

*

 

Als ich hochfuhr und mit beiden Händen mein linkes Bein abtastete, brach mir der Schweiß noch mal aus, denn es gab keinen Zweifel mehr daran, dass mein Zeitklumpen endgültig verschwunden war.

Mein Hände zitterten; die Finger verkrampften sich umeinander. Ich fürchtete mich.

Dabei hatte ich den Zeitklumpen, der mir als Strafe wegen Verstoßes gegen die Gesetze der Herren der FESTUNG auferlegt worden war, in der Vergangenheit wieder und wieder verflucht. Er hatte mich dazu gezwungen, über viele tausend Jahre hinweg nicht zu altern, während um mich herum Generationen um Generationen geboren wurden, heranwuchsen, alterten und starben. Und ich hatte ruhelos über den Planeten Erde wandern müssen, unter immer neuen Namen und Tarnungen, damit meine Unsterblichkeit nicht offenbar wurde.

Wie oft hatte ich mich verzweifelt danach gesehnt, mein sinnloses Leben beenden zu dürfen. Aber es war eine Sache, sich als Unsterblicher nach dem Tode zu sehnen, und eine ganz andere, nach dem Verlust der Unsterblichkeit einem schnellen Altern und dem baldigen Tode ins Auge zu sehen.

Allmählich überwand ich die Todesfurcht. Das heißt, ich schickte sie in einen Winkel meines Unterbewusstseins und wappnete mein Bewusstsein mit Fatalismus.

Das Zittern meiner Hände hörte auf. Ich erhob mich und trat vor den Spiegel, den ich an einer Wand meiner Unterkunft befestigt hatte: der Kabine des Raumschiffs, das die riesige Pyramide der FESTUNG einst gewesen war.

Gefasst suchte ich nach Anzeichen der schnellen Alterung, die meiner Meinung nach in dem Augenblick eingesetzt haben musste, als der Zeitklumpen endgültig verschwunden war. Und ich fand sie: tiefe dunkle Ränder unter den Augen, eine durch zahlreiche Falten eingekerbte Oberlippe und eine graue ungesunde Haut – Boten des unerbittlich nahenden Todes.

Was würde Atlan sagen, wenn er mich so sah?

Plötzlich wusste ich, dass ich nicht hierbleiben konnte. Ich wollte nicht, dass mein bester Freund Zeuge meines Verfalls wurde, dass er mich umsorgte, während ich dahinsiechte und nicht nur mein Körper, sondern auch mein Geist mehr und mehr verfiel. Das war etwas, das ich mit mir allein abmachen wollte.

Ich dachte daran, dass draußen vor der FESTUNG zahlreiche Händler lagerten und dass viele von ihnen gute ausdauernde Reittiere besaßen. Eines dieser Tiere würde ich mir ausborgen und auf ihm davonreiten.

Aber da war noch etwas.

Die Erinnerung an meinen Albtraum stand so plastisch vor meinem geistigen Auge, dass ich nicht von ihr loskam. Ich war überzeugt davon, dass der Traum eine konkrete Beziehung zur Realität besaß.

Hastig kleidete ich mich an, während ich mir die Lage jener Räumlichkeiten vorzustellen versuchte, deren eine in meinem Traum der Saal der seufzenden Seelen gewesen war. Es musste sich um Räumlichkeiten handeln, die ich nie zuvor betreten hatte. Aber das war eigentlich nicht möglich, denn Atlan und ich hatten die große Pyramide bis in den letzten Winkel erforscht.

Wahrscheinlich würde ich den Saal nicht finden, weil es ihn gar nicht gab. Dennoch musste ich nach ihm suchen, da ich mir sonst später immer vorwerfen würde, diese Gelegenheit nicht wahrgenommen und etwas sehr Wichtiges versäumt zu haben.

Ich öffnete das Schott meiner Kabine, spähte vorsichtig hinaus und überzeugte mich davon, dass ich nicht beobachtet wurde. Dann eilte ich zum nächsten Verbindungsschacht und kletterte die schmale Metallleiter hinab ...

2.

 

Frohen Mutes lief ich die letzten Stiegen zu jenem Deck hinauf, auf dem Razamon in einer Kabine wohnte, die er sich nach seinem Geschmack eingerichtet hatte.

In den Taschen meiner Montur trug ich die Bruchstücke des Schlüssels, den Valschein zusammengesetzt hatte. Ich war überzeugt davon, dass der schwarze Kern von Pthor seine Macht verloren hatte, als ich den Schlüssel mit ihm in Berührung brachte. Jedenfalls war die bedrückende bösartige Ausstrahlung des Kerns erloschen.

Es beunruhigte mich nicht, dass dieser Schlüssel danach wieder in seine Einzelteile zerfallen war. Seine Aufgabe war erfüllt, und wahrscheinlich ließ er sich deshalb nicht wieder zusammensetzen.

Vor Razamons Unterkunft angekommen, schlug ich mit der Faust gegen das Schott. Nichts rührte sich.

Ich schlug mehrmals dagegen und rief:

»He, Razamon! Ich habe eine gute Nachricht! Öffne!«

Als auch darauf keine Reaktion erfolgte, legte ich die Hand auf das Thermoschloss. Das Schott öffnete sich lautlos. Ich sah, dass Razamons Lager zerwühlt war. Auch die Hygienezelle war leer. Also war mein Freund unterwegs.

Er konnte nicht weit sein, sonst hätte er eine schriftliche Nachricht hinterlassen. Ich wartete dennoch nicht auf seine Rückkehr, sondern stieg zu dem Deck hinauf, auf dem die Odinssöhne lebten.

Mit ihnen war seit einiger Zeit eine Wandlung vorgegangen. Sie lebten nicht mehr in den Tag hinein wie früher, hielten sich nicht länger für berechtigt, die Privilegien von Göttersöhnen zu beanspruchen, ohne zugleich Verantwortung zu übernehmen. Seit meiner Rückkehr hatten sie sich in Bescheidenheit geübt. Ich hatte sogar den Eindruck gewonnen, als versuchten sie in gewissem Maße, sich als Diener der Bewohner von Pthor zu fühlen statt als ihre Herren. Natürlich war ich froh über diese Entwicklung.

Vor dem Haupttor zu den Unterkünften der Odinssöhne angekommen, betätigte ich den schweren eisernen Klöppel, den Sigurd dort angebracht hatte.

Drei dröhnende Schläge hallten durch den Korridor.

Nur wenige Sekunden später öffnete sich das Tor. Sigurd blickte mir entgegen. Er trug lediglich seine mit Metallplatten beschlagene rote Hose und ein ärmelloses Hemd.

»Ah, Atlan!«, rief er lächelnd. »Tritt ein! Wir haben dich lange nicht gesehen.«

Ich befolgte die Aufforderung und trat in die Vorhalle. Sigurd schloss das Tor wieder und führte mich anschließend zu seiner Kabine. Als wir sie betraten, sah ich Bördo. Sigurds Sohn saß auf einem Schemel und las in einem Buch, das Informationen über die Völker Pthors enthielt.

Sein Gesicht strahlte, als er mich erkannte. Er sprang auf und lief auf mich zu.

»Ich sehe, du bist fleißig«, sagte ich nach der Begrüßung.

»Er soll etwas Vernünftiges lernen«, erklärte Sigurd. »Für ihn ist es noch nicht zu spät.«

»Das ist sehr klug«, lobte ich. »Aber auch für dich und deine Geschwister ist es noch nicht zu spät. Hat Razamon dir gesagt, wo er hinwollte, Sigurd?«

»Ich habe ihn seit gestern nicht gesehen«, erwiderte der Göttersohn.

»Aber ich!«, rief Bördo mit seiner hellen Knabenstimme. »Vor ungefähr einer halben Stunde begegnete ich ihm, wie er in einem Leiterschacht in die Tiefe der FESTUNG abstieg.«

»Setz dich, Atlan!«, sagte Sigurd. »Was darf ich dir anbieten? Ich habe gestern von einem Händler einen vorzüglichen Rotwein erstanden.«

Ich setzte mich lächelnd auf einen Stuhl.

»Ein Gläschen davon kann nicht schaden, Sigurd.«

Während er zwei Gläser holte und danach aus einer Literflasche dunkelroten Wein eingoss, berichtete ich ihm mit knappen Worten über meine Begegnung mit dem schwarzen Kern von Pthor und der Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, nachdem er Kontakt mit dem Schlüssel gehabt hatte.

Sigurds Gesicht verriet zu meiner Verwunderung nichts darüber, dass er über meinen Erfolg froh gewesen wäre, und nachdem wir angestoßen und den Wein gekostet hatten, sagte er:

»Auch ich habe Neuigkeiten, Atlan. Zwei Pthorer berichteten mir vor etwa zwei Stunden, dass in der Ebene von Kalmlech rätselhafte Dinge geschehen.«