Nr. 517
Der Tod eines Magniden
Die Demonteure an Bord der SOL
von Hans Kneifel
Alles begann eigentlich im Dezember des Jahres 3586, als Perry Rhodan mit seinen Gefährten die SOL verließ und zur BASIS übersiedelte, nachdem er den Solgeborenen das Generationenschiff offiziell übergeben hatte.
Seit dieser Zeit, da die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört.
Im Jahr 3791 ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Und das ist auch dringend notwendig. Doch bevor er das an Bord herrschende Chaos beseitigen kann, gilt es erst, die SOL, die in einem Traktorstrahl gefangen ist, zu befreien.
Während Atlan sich mit ein paar Gefährten aus diesem Grund auf Mausefalle VII aufhält, dem Planeten, von dem das Unheil ausgeht, wird die SOL von Robotern geentert, die das Schiff in seine Bestandteile zerlegen wollen.
Bei diesen Aktionen kommt es zum TOD EINES MAGNIDEN ...
Chart Deccon – Der Kommandant der SOL ist hilflos.
Homer Gerigk – Ein Verräter an der SOL.
Billhard, Branka, Danyel und Lyss – Vier Pyrriden auf Monsterjagd.
Weicos – Ein Monster greift in die Geschehnisse ein.
Marris 3240 – Ein Roboter von Mausefalle VII.
Pechschwarze, kantige Granitblöcke durchstießen die Ebene aus weißem Sand. Der Himmel war von wolkenlosem Blau, die Kette der Hügel dahinter war vom rötlichen Gelb der Sonne überschüttet. Das Gelände strahlte in jedem Quadratmeter uralte Geschichte aus. Zwischen den Steinen wuchsen seltsam kantige Pflanzen von ungewöhnlichem Grün. Ein Windstoß wehte eine Staubwolke über die Blöcke und die Pflanzen. Sie hatte die Form einer weißen Brandungswelle. Aus dem breit heranrollenden Wirbel schwebte mit weit auseinandergebreiteten Schwingen ein Flugsaurier. Seine ledrige Haut glänzte mattschwarz. In dem regungslosen Himmel tauchte ein winziges, flimmerndes Lichtpünktchen auf. Es schien sich zu nähern und wurde größer. Der erbarmungslose Glanz der Sonne riss einen gewaltigen Reflex aus dem Ding, das in einer flachen Parabel auf die Anhäufung der schwarzen Felsbrocken zuzufallen schien.
Ein dumpfer, endlos nachhallender Donner tobte über das verlassene, einsame Land. Der Saurier kippte seine Flügel und ließ sich von der heißen Luft wieder aufwärts reißen. Aus dem blitzenden Punkt war, als er relativ nahe genug über den Hügeln schwebte, eine zweifache Kugel geworden. Sie taumelte hin und her, und plötzlich, als sie über der weißen Wüste stehen blieb, zeigte die Doppelkugel ihre richtige Gestalt.
Sie war hantelförmig; ein gedrungenes Mittelteil verband die beiden Kugeln miteinander.
Die Konstruktion sah aus wie die SOL.
Es war die SOL!
Chart Deccons Nerven bebten. Er glaubte einen ständigen Strom von prickelnder Energie zu spüren, der sich in seinen Körper ergoss. Der High Sideryt lag in tiefem Schlaf. Der Schlaf, voll von furchtbaren Träumen, war so abgrundtief, dass er mehr einer Bewusstlosigkeit glich. Chart Deccon stöhnte auf. Er schwankte hilflos in einer Traumphase, in der er die Illusion für die Wirklichkeit hielt.
Auf einem niedrigen Tisch aus schwarzem Holz, mit einer dunkelgrauen Platte aus Metall, stand ein Spezialakku. Von seinen Anschlüssen ringelten sich biegsame Spezialschläuche bis zu den Elektroden auf der Haut des wuchtigen Mannes. Wieder gab Chart Deccon ein würgendes, qualvolles Geräusch von sich – nur er wusste, welch schreckliches Schicksal der SOL er miterlebte.
Und auch die ständig wechselnden Bilder der einsamen Landschaft erschreckten ihn und verstärkten seine inneren Ängste, die zahllos waren wie die Kammern und Korridore des großen Schiffes.
Der Streik der Buhrlos schien für dieses Mal vorüber zu sein.
Sie hatten den Magniden und dem High Sideryt gefüllte Akkus mit eingesammeltem E-kick geliefert. Vorübergehend, für ganz kurze Zeit, herrschte außerhalb des Schiffes eine leidlich entspannte Lage. Zwar bewegten sich noch immer verschiedene kosmische Trümmer schneller oder langsamer an der SOL vorbei, drehten sich und taumelten, aber dem Schiff war noch nichts geschehen.
Auch innerhalb des Schiffes herrschte eine gewisse Lähmung. Es gab keine offenen Kämpfe und keine wütenden Auseinandersetzungen. Die Magniden, die in der Zentrale Dienst hatten, fassten ihre Eindrücke in einem einzigen Satz zusammen.
»Die Ruhe vor dem nächsten Sturm.«
Die Beleuchtungskörper in der Wohnzentrale waren auf den geringsten Leuchtwert heruntergeschaltet worden. Das düstere Mobiliar und die stumpf glänzenden Körper der Roboter ließen dadurch das Innere der Klause noch finsterer und bedrohlicher wirken. Nur die Bildschirme, die Monitore und die Interkome, nicht alle aktiviert, erzeugten die Illusion bewegter Lichtstrahlen.
Vor kurzer Zeit war Chart Deccon erschöpft in seinen schwarzen Sessel gefallen.
Er wollte sich nur kurz ausruhen und E-kick tanken. Aber dann hatte ihn die Müdigkeit übermannt.
Ein neuer Traum ließ ihn zitternd, nach Luft schnappend und schweißüberströmt auffahren. Er blinzelte und kam zu sich. Langsam stand er auf und blieb vor seinem Sitz stehen; der schwere Körper schaukelte in den Nachwirkungen des Traumes, noch immer in den Fesseln des Schlafes gefangen, hin und her.
Mit schmatzenden Lauten lösten sich die Sensoren der E-kick-Leitungen von der Haut des Riesen. Er blickte mit winzigen Augen, unter schweren Lidern und Tränensäcken verborgen, auf die Schirme. Da war nichts, was ihn beunruhigen sollte.
Er fühlte sich, nachdem er in schweigender Konzentration versucht hatte, die Mattigkeit aus dem Körper und seinem Verstand zu vertreiben, seltsam leicht, als er aufächzend die Stufen der Podeste herunterging.
Abermals wurde ihm bewusst, wie einsam er war, und in welch auswegloser Lage sich er und die SOLAG befanden.
Er wandte sich um, seine Schritte brachten ihn in die Nähe der halbautomatischen Kombüse.
Als er das schmale Schott erreicht hatte, für das seine Schultern zu breit schienen, riss es ihn herum.
ALARM!
Mit drei Sätzen in einer Schnelligkeit, die niemand dem golemhaften Körper zugetraut hätte, war er an dem breiten Kontrollpult. Die dicken, muskelstarrenden Finger fuhren auf die Tasten nieder. Die Monitore der Außenbeobachtung flammten auf.
Im zuckenden Rotlicht der Warnlampen, das Geräusch der Summer und Sirenen in den Ohren, die Augen starr auf das Geschehen geheftet, stand der High Sideryt da und wusste, dass die nächste Gefahr nach dem Schiff griff.
Er warf einen schnellen Blick auf die Digitalziffern der Bordzeituhr.
20.05.3791 ... 02.35.05 Uhr.
»Zentrale«, rief er dröhnend. »Sofort Alarm für die Kommandos. Alles, was Waffen hat, soll eingreifen!«
Hinter einigen großen Asteroiden und jenseits einer unerklärlichen Form aus durchlöchertem Schrott, der aus Metall und Glas bestand, waren kleine, fremdartige Raumschiffe hervorgeschossen. Sie hatten wie ein regelloser Schwarm gedrungener Insekten die Entfernung zwischen den als Ortungsschutz dienenden Verstecken und dem Schiff in so kurzer Zeit zurückgelegt, dass jeder Ansatz zur Gegenwehr sinnlos gewesen war. Die Raumschiffe beschleunigten und verzögerten mit abenteuerlichen Werten.
»Verstanden!«, kam es aus der Zentrale. Die Lautsprecher dröhnten. Chart stellte die Alarmsignale auf den leisest möglichen Wert ein. Die Magniden rannten aufgeregt hin und her und schalteten die Anordnungen und Befehle auf die einzelnen Schiffsbezirke um. Gebannt beobachtete Chart Deccon, wie der Schwarm sich, dicht entlang der Bordwände fliegend, verteilte.
Seine Hand krampfte sich um das Metallkästchen auf seiner Brust, als er erschüttert hervorstieß:
»Sie greifen alle drei Schiffsteile an!«
Ununterbrochen wechselte er von einer Linsengruppe zur anderen. Die Aufnahmegeräte befanden sich an allen denkbaren Stellen der Außenhülle, geschützt in kleinen Vertiefungen. Sie zeigten schonungslos, wie die ersten Schiffe andockten. Sie waren mit maschinenhafter Präzision gesteuert worden und saßen wie hässliche Warzen auf der Hülle der SZ-1, der SOL und der SZ-2.
»Mitten in der Nacht«, stieß Wajsto Kolsch hervor. »Sie sind schnell und zielstrebig, als wüssten sie genau, wo sie ansetzen müssen.«
Der muskulöse Magnide mit dem kurzgeschorenen Haar rief einigen Vystiden-Hauptleuten auf den Bildschirmen seine Befehle zu. Tatsächlich hatte der Angriff der Roboter das Schiff mitten in der ruhigeren Phase des Bordtags getroffen. Das bedeutete, dass unzählige Solaner naturgemäß schliefen. Die Korridore waren leer, die meisten Beleuchtungskörper auf weniger Leistung oder ganz ausgeschaltet.
»Schnell! Schickt die Bewaffneten!«, grollte die dunkle, heisere Stimme des High Sideryt auf.
Vom Alarm aus dem Schlaf oder aus den Beschäftigungen in der kargen Freizeit gerissen, kamen nacheinander alle Magniden in die Zentrale der SOL gehastet. Vier von ihnen hatten sich turnusmäßig vor den Geräten aufgehalten. Sowohl Kolsch und Arjana als auch Herts und Nurmer waren von dem blitzschnellen Angriff der Maschinen völlig überrascht worden. Aus keiner der Ortungsabteilungen war auch nur der geringste Hinweis eingetroffen. Die Schiffe der Roboter, vom Licht der Mausefalle-Sonne hart angestrahlt, warfen satte, tiefschwarze Schatten auf die Hülle der drei Schiffskörper.
Ein gewaltiger Strom von eckigen Robotern ergoss sich aus den kleinen, wendigen Schiffen, nachdem diese sich mit – offensichtlich – magnetischen Greifern oder Halterungen an der Hülle festgeklammert hatten. Unverzüglich und mit einer geradezu faszinierenden Präzision von ineinandergreifenden Aktionen fingen die Maschinen zu arbeiten an.
»Unglaublich!«, keuchte Chart Deccon.
Zuerst stellten die Maschinen über dem Gebiet der Hülle, auf dem sie sich befanden, einen Energieschirm her. Eine annähernd halbkugelige Energieschale wölbte sich hoch. An einer anderen Stelle, stets unweit der Schiffe, entstand eine zweite. Binnen weniger Minuten waren die drei Rumpfteile der SOL von den Schutzschirmen übersät. Sie leuchteten fahl in der sonnenabgewandten Seite und zeigten einen schwach spiegelnden Effekt auf den gegenüberliegenden Hemisphären.
Durch die Korridore rasten die ersten Kommandos der Bewaffneten. Vystiden und schwer gepanzerte Haematen kauerten auf den Schwebeplattformen und den Antigravplattformen. Einige Haematen hatten bereits Raumanzüge angezogen, die Helme aber noch nicht geschlossen. Es würde Kampf geben; wieder ging es um Zerstörungen und großen Schaden für das Schiff.
Unter den Schutzschirmen gingen die Roboter an die Arbeit. Meist waren sie kastenförmig und tappten auf vier kurzen, mehrgelenkigen Beinen über das Metall des Schiffes. Ihre Arme enthielten als Endglieder messerscharfe Werkzeuge und Sägen. Die Roboter, von denen die meisten durch unterschiedliche Farbbänder und -striche im unteren Drittel ihrer Körper gekennzeichnet waren, besaßen ihre Linsen und Sinnesorgane oberhalb der Ansatzpunkte ihrer starken Gelenke.
Die Roboter gingen, wie die Magniden erkennen konnten, geradezu »behutsam« vor. Sie rissen nicht etwa einfach Platten aus der Verbund-Zellen-Schichtung heraus, sondern trennten sie entlang von Nähten ab. Sie arbeiteten in rasendem Tempo und lösten Nieten ebenso wie Schrauben, Montagegriffe und ähnliche Unregelmäßigkeiten der sonst glatten Schale. Also verhinderten sie, dass durch ihre Tätigkeit die Luft aus dem Schiff entwich.
»Die Roboter von Mausefalle Sieben!«, dröhnte der High Sideryt. »Sie fangen an, die SOL zu demontieren!«
»Es war zu vermuten«, gab Gallatan Herts zurück. »Seit den Ereignissen um den Quader hätten wir damit rechnen müssen.«
»Ich kann mich nicht darüber freuen, wie schnell und technisch sauber die Maschinen arbeiten!«, gab Deccon zurück.
»Wir haben nicht genug Abwehrkräfte für die vielen Roboter!«, schrie Palo Bow. Sein Gesichtsausdruck war nicht mehr nur mürrisch, er wirkte, als ob er mit dem Schicksal der SOL abgeschlossen hätte.
»Das wird sich bald zeigen!«, knurrte Brooklyn starrsinnig.
Sie waren leicht in der Lage, das technische Problem dieser neuen und möglicherweise letzten Attacke zu verstehen. Der Planet besaß wahrscheinlich weitaus mehr als nur hunderttausend Roboter, mehr als eine Maschine pro SOL-Insasse. Zudem waren die Maschinen in der Lage, die Angriffe von Ferraten und Buhrlos, die über keinerlei schwere Waffen verfügten, mühelos abzuschlagen. Gewiss, die SOL war riesengroß, und es würde sehr lange dauern, bis die Maschinen sie auch nur teilweise demontiert hatten. Es sei denn, es würden vom Planeten noch mehr Roboter in ihren seltsam flinken Schiffen heraufgeschickt.
Begann jetzt der letzte Akt in der Geschichte der SOL?
»Atlan hat uns bisher nicht geholfen!«, stellte Deccon fest. »Er ist ein Gefangener des Planeten. Oder tot. Oder er hat uns hinters Licht geführt!«
Inzwischen hatten sich mehrere Kommandos in besonnener Eile formiert. Von der Zentrale wurden den SOLAG-Angehörigen die wichtigsten Ziele angewiesen. Die Mannschaften waren bis an die Zähne bewaffnet und scheuchten jeden aus den Korridoren zurück in die Quartiere, der sich auf ihrem Weg sehen ließ. Unaufhörlich brüllten ihre Stimmen auf und schilderten, was draußen geschah.
Lyta Kundurans Kopf zuckte in die Höhe, als der High Sideryt schrie:
»Hat einer von euch versucht, mit den Maschinen in Funkkontakt zu kommen?«
»Natürlich«, gab die Jüngste der Magniden aufgeregt zurück. »Ich versuche es ununterbrochen, seit ich hier bin.«
Die scheinbare Ruhe der Nachtphase war endgültig vorbei. Gruppen von Ahlnaten und Ferraten hasteten in die angegebenen Richtungen. Alle drei Teile der SOL waren betroffen; die Maschinen machten keinen Unterschied zwischen der SZ-1, der SOL oder der SZ-2.
»Was ist mit dem verdammten Funkverkehr?«, schrie Deccon.
Die Bilder wechselten auf den riesigen Schirmen. Inzwischen steuerte eine Automatik die Auswahl der Bildwinkel und der Richtungen, in die Kameras und Linsen starrten. Hinter den Raumschiffen, den Energieblasen und den umherwieselnden Robotern sahen die Magniden die kosmischen Trümmer und den Hintergrund der Sterne. Erbarmungslos und still strahlte das Zentralgestirn auf die Hälfte des Infernos.
»Ich versuche sämtliche Frequenzen!«, gab Lyta zurück. »Die Sender konzentrieren ihre Energie direkt auf die Schiffe und die Maschinen! Nichts!«
Ein Bild aus der Feuerleitzentrale der SOL blendete sich ein.
Ein Doppelstrahlengeschütz, das sich auf dem Ringwulst der SOL befand, richtete seine Zieloptik ein.
Es war offensichtlich der einzige Projektor, der mit einem Strahlschuss haarscharf an der Wölbung der SOL-Zelle-Zwei vorbei eines der feindlichen Raumschiffe und die Maschinen anvisieren konnte, ohne die Hülle des eigenen Schiffes zu verletzen.
Langsam wanderte das Ziel in die Gitter der Visierlinien ein. Ebenso langsam hob sich die Vergrößerung des Zielbildes den Betrachtern entgegen. Das Ziel klebte genau auf dem Terminator der SZ-2, halbiert durch die Linien von Licht und Schatten.
»Feuer!«, schrie Chart Deccon! »Zeigt es ihnen!«
Niemand achtete auf sein Brüllen. Der unbekannte Vystide, der in der Leitzentrale saß, löste die Energie aus. Nacheinander verließen lange Feuerstrahlen die Mündungen der beiden Projektoren, schlugen in den Schutzschirm der Roboter ein und in die Hülle des kleinen Schiffes. Glutwolken und explodierende Gasansammlungen breiteten sich aus, die Trümmer und Fetzen wirbelten umher. Einige Roboter wurden von den Energiestrahlen getroffen, die anderen lösten ihre Füße von der Unterlage und rannten in allen Richtungen auseinander. Aber schon näherte sich von der abgewandten Seite ein Schiff, dockte unmittelbar neben dem Geschütz an und öffnete seine Luken. Roboter quollen heraus.
Ein Schutzschirm warf sich über die Doppelwaffe.