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Nr. 734

 

Asche der Zeit

 

Kreuzfahrt durch Manam-Turu

 

von H. G. Ewers

 

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Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide unvermutet in die Galaxis Manam-Turu gelangt. Das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und der neue Begleiter des Arkoniden ist Chipol, der junge Daila. In den sieben Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte.

Doch Atlan ist längst nicht zufrieden mit dem bisher Erreichten. Das gilt auch für Mrothyr, und so haben die beiden mit der »Mission Zyrph« einen neuen Anlauf genommen.

Indessen setzen Anima, Goman-Largo und Neithadl-Off, die drei so ungleichen Persönlichkeiten, die ein seltsames Schicksal zusammengeführt hat, ihre Suche nach Atlan fort. Bei ihrer Kreuzfahrt durch Manam-Turu durchstöbern sie gewissermaßen die ASCHE DER ZEIT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Anima, Goman-Largo und Neithadl-Off – Die Raum-Zeit-Reisenden bei den Piraten der KOKAHU.

Eltaso – Ein Gesandter Gurays.

Hatchiss – Kapitän der KOKAHU.

Sukiss – Stellvertreter des Kapitäns.

Qumpoh – Eine Kämpferin von Pechel.

1.

 

Die Piraten in der Steuerzentrale der KOKAHU schrien, grunzten, gackerten und quietschten erschrocken auf, je nachdem, wie ihre Organe zur Lauterzeugung beschaffen waren.

Goman-Largo blieb still, obwohl auch er beunruhigt war, denn vor einer Sekunde hatten sämtliche positronischen Systeme des Schiffes angefangen verrückt zu spielen. Die Ortung zeigte mindestens dreißig Massekonzentrationen im Umkreis von wenigen Lichtjahren an, dazu sieben Strahlungsquellen, die nur große und hochaktive Sonnen sein konnten.

Das alles wäre an sich noch kein Grund zu besonderer Beunruhigung gewesen.

Beunruhigend oder beängstigend wurde die Sache nur dadurch, dass sich das alles ereignete, während das Piratenschiff sich auf einer Linearraumetappe befand, wo das alles gar nicht passieren konnte.

Jedenfalls nicht dann, wenn die bekannten Naturgesetze ihre Gültigkeit behielten.

»Sofort stoppen!«, schrie Eltaso, der Kontakter.

Er überschritt damit eindeutig seine Kompetenzen, wie Goman-Largo sogleich an den Reaktionen der übrigen Piraten in der Steuerzentrale erkannte.

»Das wäre das Verkehrteste, was wir tun könnten«, erklärte Lubmo Ti Sukom, der Astrogator und Stellvertreter des Kapitäns, der einem rasierten Ursinen mit holzgeschnitzter, grell bemalter Clownsmaske glich und ein Nescharer wie der Kapitän war. »Wir müssen im Gegenteil mit aller Kraft beschleunigen, sonst kommen wir aus der 5-D-Mulde niemals hinaus.«

»Eine 5-D-Mulde?«, grunzte Tscha-Nom, der Funker, der ein Tukar war und einem ondulierten Langhaarschwein ähnelte.

»Unmöglich!«, begehrte Eltaso auf, während er sich unter dem lautlosen Feuerwerk duckte, das aus den Ortungsschirmen brach und über die Datensichtschirme tobte. »Wenn Sukiss es sagt, stimmt es auch!«, gackerte der »Feuerorgelmann« Furror, ein Savatse, dessen Anblick die Vorstellung einer Kreuzung zwischen Riesenkröte und Huhn weckte, wenn man über die betreffenden Erinnerungsgehalte verfügte.

»Aber dann ...!«, brach es aus Tscha-Nom heraus.

»Es ist die Lithragische Synklinale«, stellte Kapitän Hurgiss Fa Hatcher, genannt Hatchiss, mit unbezweifelbarer Autorität fest und nahm einige Schaltungen vor.

Neithadl-Off trippelte auf ihren sechs stabförmigen Gliedmaßen zu ihrem Variosessel, der sich für sie zu einer Art Wanne verformt hatte, rutschte hinein und hielt sich mit den Vordergliedmaßen am Geländer fest, während aus ihrer vorderen Schmalseite die feuerrot gewordenen Sensorstäbchen herauszufallen drohten.

»Und was ist die Lithragische Synklinale, wenn ich fragen darf?«, pfiff sie aufgebracht. Sie brauchte ihr Universalgerät nicht zur Verständigung anzuwenden, da sie und ihre beiden Gefährten inzwischen die von den Piraten verwendete Sprache beherrschten.

»Eine Schwerkraftmulde, in die ein geheimnisvolles Sonnensystem eingebettet ist«, antwortete Sukiss, wie Lubmo Ti Sukom sich nennen ließ.

»Es handelt sich um eine Legende«, wandte Eltaso ein. »Niemand hat bisher die grüne Sonne Xachel und ihren Planeten Nubal gesehen.«

Hatchiss lachte tief und dröhnend.

»Woher wissen wir dann, dass es sich um eine grüne Sonne handelt und dass sie nur einen einzigen Planeten hat?«, entgegnete er. »Es ist nur schon sehr lange her, dass jemand, der die Welt der Eloranischen Schätze sah, aus der Lithragischen Synklinale ins normale Raum-Zeit-Kontinuum zurückkehrte.«

»Eloranische Schätze!«, pfiff Neithadl-Off erregt. »Das klingt verlockend. Fast so verlockend wie damals ›Zeitgruft von Xissas‹. Können wir nicht einen kleinen Abstecher nach Nubal machen, Kapitän?«

»Wir müssen Atlan finden und nicht eine Welt, die vielleicht gar nicht wirklich existiert«, erklärte Anima.

Goman-Largo stemmte seinen Körper, der nur aus Knochen, Muskeln und Sehnen zu bestehen schien, hoch und bewegte sich zielstrebig über den schwankenden Boden der Zentrale zum Platz des Kapitäns.

Dort hielt er sich an der Rückenlehne von Hatchiss' Sessel fest und blickte auf die Orterschirme, die schon wieder etwas anderes zeigten. Sieben ringförmige Massekonzentrationen schienen die KOKAHU in weitem Abstand zu umgeben. Zwischen ihnen pulsierten blutrote gezackte Linien, die schlecht verheilten Schnittwunden glichen: Raumbrüche, wenn Gomans Deutung zutraf.

»Haben wir eine Chance, aus der Synklinale hinauszukommen, Hatchiss?«, wandte sich der Tigganoi an den Piraten.

»Eine sehr geringe«, antwortete Hatchiss und brummte ungehalten, als eine Computerauswertung der Ortungsdaten sich als pure Makulatur erwies. »Wahrscheinlich verschwinden in jedem Jahr mindestens dreißig Raumschiffe in der Lithragischen Synklinale – spurlos und ohne Chance auf Wiederkehr. Die Berichte über die Welt der Eloranischen Schätze sind weit über tausend Jahre alt.«

»Und wahrscheinlich entsprechend entstellt«, meinte Neithadl-Off. Die Parazeit-Historikerin zeigte einen bemerkenswerten Eifer, seit sie etwas von Schätzen gehört hatte. »Ich möchte wetten, dass es im Grunde genommen ganz einfach ist, nach Nubal zu kommen.«

»Wenn ich alle Systeme desaktiviere, dürfte das geschehen«, erwiderte der Kapitän. »Nur würden wir bei der Ankunft nicht mehr leben.«

»Mein Großonkel, der berühmte Hyperultrahochfrequenz-Ingenieur, hat mir einmal berichtet, wie er mit seinem Schiff eine Raum-Zeit-Synklinale tangierte«, erzählte Neithadl-Off. »Er erklärte, dass er dazu einen Winkel von fünfzehn Grad wählte. Das Resultat war, dass er mit seinem Forschungsschiff Kurven beschrieb, die ihn exakt zum tiefsten Punkt der Synklinale führten. Von dort kommt man relativ leicht wieder fort, sagte er mir.«

»Unsinn!«, schimpfte Eltaso.

»Wenn der Großonkel darüber berichten konnte, ist es kein Unsinn«, erklärte Hatchiss.

»Deshalb ist es auch ganz ungefährlich für uns, den Planeten Nubal aufzusuchen«, hieb die Parazeit-Historikerin in die gleiche Kerbe.

»Das denke ich auch«, sagte der Kapitän und wandte sich an seine Mannschaft. »Was meint ihr dazu, ihr Gesindel?«

»Fliegen wir nach Nubal!«, rief Sukiss mit dröhnender Stimme. Aber seine Zustimmung erfolgte schon fast aufgrund eines Naturgesetzes. Da er und Hatchiss Nescharer waren, hielten sie stets wie Pech und Schwefel zusammen.

»Bist du sicher, dass du einen Großonkel hattest, der ein solches Wagnis lebend überstand?«, erkundigte sich Goman-Largo skeptisch bei Neithadl-Off, denn er wusste wie kaum jemand anderer, wie dicht Wahrheit und Unwahrheit bei der Vigpanderin beisammenlagen.

»Natürlich bin ich sicher«, entrüstete sich Neithadl-Off. Jedenfalls beinahe sicher!, fügte sie in Gedanken hinzu.

Der Tigganoi musterte sie argwöhnisch. Aber da die Vigpanderinnen (und wahrscheinlich auch Vigpander) kein Gesicht hatten, ließen sich ihre Gedanken auch nicht an Gesichtern ablesen.

»Ich hoffe, du weißt, was du riskierst«, sagte er auf Interkosmo, das die Piraten nicht beherrschten.

»Wer ist dafür?«, brummte der Kapitän.

Zustimmend rissen alle in der Zentrale Anwesenden ihre Laserwaffen aus den Halftern und hielten sie mit den Mündungen nach oben – sogar Eltaso.

»Dadurch verpassen wir zwar möglicherweise diesen Arkoniden«, meinte Eltaso. »Aber wenn wir dadurch reich werden, ist das ein geringer Preis.«

»Und Atlan treffen wir eben woanders«, gackerte Furror.

Goman-Largo sah Anima fragend an.

»Du sagst gar nichts mehr dazu?«, erkundigte er sich.

Anima lächelte in einer Art, als schwebten ihre Gedanken in »höheren« Regionen.

»Wenn wir die Lithragische Synklinale erforschen, könnte das später meinem Ritter ganz bestimmt nützen«, erklärte sie sanft. »Das rechtfertigt eine Verzögerung unseres Zusammentreffens mit ihm.«

Der Tigganoi sagte nichts mehr. Außerdem waren ihre und seine Argumente sowieso unwesentlich. Die Barquass-Piraten hatten ihre Entscheidung bereits getroffen, und niemand würde sie dazu bewegen können, sie noch einmal zu überdenken.

Hatchiss und Sukiss stellten gemeinsam einige Berechnungen an, dann veränderte der Kapitän die Geschwindigkeit des Schiffes. Auf den Bildschirmen der Außenbeobachtung wallten schleierartige Leuchterscheinungen.

Die KOKAHU wurde von hyperenergetischen Zentrifugalkräften erfasst und auf eine Zwischenraumbahn gezwungen, die sie entweder ins Verderben führte oder einer glänzenden Verheißung entgegen.

 

*

 

Goman-Largo lehnte sich entspannt in seinem Variosessel zurück und ließ die Ereignisse vor seinem geistigen Auge Revue passieren, die ihn hierher in die Galaxis Manam-Turu und auf das Piratenschiff KOKAHU geführt hatten.

Er war ein Tigganoi, der vor unbekannter Zeit – wahrscheinlich vor Hunderttausenden von Jahren – auf der Zeitschule von Rhuf zum Spezialisten der Zeit ausgebildet worden war.

Irgendwann danach war er von Agenten des Ordens der Zeitchirurgen gefangengenommen und in den Stasiskerker der Zeitgruft von Xissas verbannt worden. Während der Stasis hatte er viele seiner Erinnerungen verloren, darunter auch die Erinnerung an seinen ursprünglichen Auftrag.

Er wusste nur noch, dass dieser Auftrag mit dem Orden der Zeitchirurgen zu tun hatte und dass seine Ausbildung ihn dazu befähigte, den Orden und seine Machenschaften zu bekämpfen. Dazu war er unter anderem auf Rhuf zum Modulmann gemacht worden, d.h., ihm waren so genannte Module in seinen ursprünglichen Körper gepfropft worden, winzige Funktionseinheiten, denen spezielle Fähigkeiten genotronisch aufgeprägt waren, Fähigkeiten, die er größtenteils nicht kannte, die ihm aber bei Bedarf zur Verfügung standen.

Vor kurzem erst hatte Neithadl-Off ihn aus der Zeitgruft von Xissas befreit, und obwohl die Wächter dieser Zeitgruft uralte und verheerende Waffensysteme gegen sie einsetzten, war ihnen die Flucht gelungen.

Doch es war eine Odyssee durch Raum und Zeit gewesen. Irgendwann und irgendwo war dann ihr entmaterialisiertes Raumschiff mit dem entmaterialisierten Raumschiff Animas kollidiert. Beide Schiffe wurden dadurch materiell stabil und stürzten in den Normalraum zurück.

In einen Normalraum allerdings, der sich als kosmische Absonderlichkeit entpuppte, denn es gab dort nur eine Ansammlung von fünf Sonnen – und alle Sterneninseln und andere Phänomene des Universums waren so weit von dort entfernt, dass sie mit dem bloßen Auge gar nicht und mit hochempfindlichen Radioteleskopen nur als verwaschene Lichtflecken zu sehen waren.

Dennoch existierte dort ein Sternenreich, wenn auch ein nur kleines und unbedeutendes: das Reich der Phyloser.

Der Modulmann und Neithadl-Off merkten es jedoch zu spät, denn nach ihrem Rücksturz in den Normalraum hatten sie sich der Angriffe Animas zu erwehren, die sie für Beauftragte des Erleuchteten von Alkordoom hielt und die Kollision als Angriff eingestuft hatte.

Bei dem Kampf im Weltraum wurden beide Schiffe so schwer beschädigt, dass sie unbrauchbar waren. Die Kontrahenten wären verloren gewesen, wenn nicht wenig später eine Forschungsexpedition der Phyloser aufgetaucht wäre. Die Phyloser nahmen sie allerdings erst einmal gefangen und handelten sich damit eine Revolution ein, weil das Auftauchen anderer Intelligenzen das Weltbild dieses bis dato total isolierten Volkes zerstörte.

Glücklicherweise und nicht ohne tätige Mithilfe der ehemaligen Kontrahenten siegten die fortschrittlichen Kräfte. Anima, Neithadl-Off und Goman-Largo wurden nicht klammheimlich beseitigt, sondern ins Reich der Phyloser gebracht.

Freilich immer noch als Gefangene. Den Grund dafür erfuhren sie, als sie dem neuen Imperator des kleinen Sternenreichs gegenüberstanden. Krell-Nepethet sah zwar infolge einer perfekten Maskierung aus wie ein Phyloser, aber er war keiner, sondern ein Hepather – und er hatte sich mit einer Zeit-Transfer-Kapsel vor dem Orden der Zeitchirurgen ins Reich der Phyloser geflüchtet und sich dort sicher geglaubt.

Das merkten unsere ehemaligen Feinde und jetzigen Freunde allerdings erst später. Es gelang ihnen jedoch, dem ihnen zugedachten Ende zu entgehen. Krell-Nepethet kam dabei um.

Unsere Freunde aber wurden von der neuen Regierung des phylosischen Imperiums dafür »eingespannt«, so schnell wie möglich einen Überlichtantrieb zu entwickeln. Bei den experimentellen Versuchsarbeiten daran explodierte eine Anlage – und die drei Freunde gerieten erneut in Ungnade.

Als sie sich dem Urteil auf Preet, einem der beiden Monde des Planeten Phylos, stellen sollten, kam ein Angriff aufständischer Kolonisten dazwischen. Preet wurde schwer erschüttert. Als Folge davon lösten die geheimen Einrichtungen des toten Hepathers eine Reihe von Ereignissen aus, durch die unsere Freunde gezwungen worden waren, sich dem Transmitter Krell-Nepethets anzuvertrauen.

Sie landeten in seiner uralten Zeit-Transfer-Kapsel, in der eine Sicherheitsschaltung angesprochen hatte, durch deren Wirken sie zwischen den Zeiten hin und her pendelten, bis sie auf dem Planeten Mohenn strandeten.

Auf Mohenn gerieten sie in einen Konflikt zwischen zwei Eingeborenenvölkern. Sie konnten ihn auflösen und entlarvten dabei einen Zeitreisenden, der auf Mohenn gestrandet war und sich ihre Zeit-Transfer-Kapsel anzueignen versuchte. Dabei entdeckten sie, dass es auch auf Mohenn eine Zeitgruft gab.

Bei ihren Versuchen damit wären sie beinahe für immer zwischen den Zeiten verlorengegangen, denn sie gerieten in den Sog eines Black Holes, durch das vor unbekannter Zeit ein Planet gestürzt war, auf dem eine weitere Zeitgruft existierte.

Kaum gerettet, setzten sie ihre Versuche fort. Ein Einhorn von Mohenn, wo diese Wesen existierten, die wahre Sprachgenies waren und über eine besondere Art von Intelligenz verfügten, begleitete sie. Es war männlich und hieß Nussel.