Straße des Grauens
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-13685-0
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
»Sommerschule!« Ohne eine Begrüßung stürmte Peter Shaw in die Zentrale der drei ???, schleuderte seinen Rucksack in die Ecke und warf die Tür mit solcher Wucht zu, dass der alte Campinganhänger erzitterte. Dann ließ er sich in einen Sessel fallen. Bob Andrews sah überrascht von der Akte auf, die er gerade in einen Ordner heften wollte. »Dann fällt unsere Zelttour an der Küste wohl ins Wasser?«
»Du hast es erfasst«, sagte Peter erbost. »Ich bin in Mathe und Geschichte durchgefallen.«
Justus Jonas räusperte sich. »Wie kann man überhaupt in Geschichte durchfallen? Das ist doch nun wirklich ein reines Lernfach.«
»Genau das wird mein Vater heute Abend auch fragen«, entgegnete Peter. »Und dann gibt es wieder eine ewig lange Predigt, dass ich mich in der Schule mehr anstrengen soll.«
»Du wirst es überleben«, meinte Bob aufmunternd.
Peter stieß seinen Schulrucksack mit der Fußspitze von sich. »Ehrlich gesagt habe ich gar keine Lust auf den ganzen Kram. Ich würde am liebsten von jetzt auf gleich erwachsen sein und mich nicht mehr mit Schularbeiten, Sommerkursen und dem ganzen Zeugs herumschlagen.«
»Dann würden dir im nächsten Schuljahr aber kulturelle Höhepunkte wie die Krönung zum Homecoming King, der Prom-Ball und die endlose Rede bei der Abschlussfeier entgehen«, sagte Justus mit unverhohlener Ironie in der Stimme.
»Abgesehen davon sehe ich hier nirgendwo eine gute Fee, die dir diesen Wunsch erfüllt, Zweiter. Also nimm es, wie es ist«, fasste Bob grinsend zusammen.
Peter warf ihm einen bösen Blick zu. »Gib es doch zu: Du bist froh, dass unsere Zelttour ins Wasser fällt! So hast du den Sommer für Beach-Partys, Rockkonzerte und Dates mit zehntausenden Mädchen frei.«
Bob wollte gerade protestieren, als das Telefon klingelte.
Justus griff nach dem Hörer und nahm ab: »Justus Jonas von den drei Detektiven.«
Bob wandte sich wieder den Akten zu und Peter vergrub sich mit verschränkten Armen in seinen Sessel. Justus hingegen setzte sich auf, als hätte ihm jemand einen spitzen Gegenstand in den Rücken gebohrt. Der Erste Detektiv tastete nach dem Verstärker. Hastig drückte er den Knopf für den Lautsprecher. Es knackte, dann konnte man die Stimme des Anrufers in der Zentrale hören: »Wenn ihr also wollt, dass Kommissar Reynolds noch ein paar nette Jahre als Pensionär erleben kann, solltet ihr euch besser an meine Regeln halten!«
Bob ließ vor Schreck beinahe den Ordner fallen, den er gerade in der Hand hielt.
»Ja, Sir!«, sagte Justus mit heiserer Stimme. »Aber was genau wollen …«
»Hör mir einfach zu!«, unterbrach ihn der Anrufer barsch. »Ich gehe stark davon aus, dass ihr an Reynolds Wohlergehen interessiert seid.«
»Natürlich, Sir! Und …«
»Still! Hör zu, was ich dir sage. Ich gebe dir und deinen beiden Detektiv-Kollegen die einmalige Chance, ihn zu befreien. Aber dafür müsst ihr mich finden. Ich werde euch dafür genau das wissen lassen, was ihr wissen müsst!«
Die drei ??? tauschten verwirrte Blicke. Peter formte mit dem Mund ein stummes »Was?!?«.
»Wie in jedem richtigen Spiel gibt es auch bei mir feste Regeln. Verstoßt ihr dagegen, habt ihr verloren. Das wäre dann übrigens sehr schade für den guten alten Reynolds.« Der Anrufer machte eine kurze, aber wirkungsvolle Pause. Dann fuhr er fort: »Aber nun zum Wesentlichen! Regel Nummer eins lautet: keine Polizei. Unter keinen Umständen nehmt ihr Kontakt zur Polizei auf – nicht zu Inspektor Cotta und auch nicht zu seinen Kollegen. Das Gleiche gilt für Sheriffs, Marshalls oder gar FBI-Beamte. Ordnungshüter aller Art sind also kategorisch ausgeschlossen.«
»Okay, Sir«, murmelte Justus.
»Regel Nummer zwei: Ihr haltet eure Freunde und eure Eltern aus der Sache heraus. Das bedeutet, dass ihr sie nicht auf mein Spiel ansprecht, ihnen keine Nachrichten schickt und sie von unterwegs nicht anruft.«
»Ja, Sir«, brachte Justus heiser hervor.
»Und natürlich gilt das nicht nur für Eltern, sondern auch für Onkel und Tanten, Justus Jonas!«
Der Erste Detektiv sparte sich eine Antwort. Er hatte die Kiefer aufeinandergepresst und die linke Hand zu einer Faust geballt.
»Regel Nummer drei: Ihr folgt bedingungslos meinen Anweisungen. Wenn ich euch einen Hinweis gebe, geht ihr ihm nach. Egal, wann er kommt und wohin er euch führt.«
Noch immer schwieg Justus. Den Anrufer schien das nicht zu stören. »Und schließlich noch Regel Nummer vier: Nutzt alle eure detektivischen Möglichkeiten – und die Gegenstände, die ich euch zukommen lasse. Wenn ihr mich schnappt, habt ihr gewonnen. Wenn nicht … nun, das könnt ihr euch ja ausmalen. Ich hoffe, ihr habt Fantasie!«
Der Erste Detektiv sog scharf die Luft ein.
»Dann hat das Spiel hiermit offiziell begonnen. Meine Name ist Mitch Palmer. Ihr werdet von mir hören.«
Es knackte in der Leitung, dann verriet ein schnelles Tuten, dass der Anrufer die Verbindung unterbrochen hatte.
Justus jedoch legte nicht auf. Er hielt den Hörer in der Hand, gerade so, als wartete er auf eine weitere Botschaft.
Auch Bob und Peter schienen einen Augenblick zu benötigen, um das Gehörte zu verdauen. Ex-Kommissar Samuel Reynolds war für die drei ??? ein guter Freund geworden. Nach seiner Pensionierung hatte er den Kontakt gehalten und den Jungen sogar schon bei einem Fall geholfen. Umgekehrt hatte auch Reynolds die drei ??? schon mit Ermittlungen beauftragt.
»Das eben war doch ein Scherz, oder?«, fragte Peter fassungslos.
»Ich hoffe doch sehr!«, meinte Bob benommen.
»Zuerst müssen wir herausfinden, ob der Anrufer überhaupt die Wahrheit gesagt hat«, überlegte Justus laut. Endlich legte er den Hörer auf und das Tuten verstummte. »Immerhin könnte es sein, dass Kommissar Reynolds sich gar nicht in seiner Gewalt befindet.«
»Dann rufen wir Reynolds doch einfach an!«, schlug Peter vor.
»Das dürfte schwierig sein«, warf der dritte Detektiv ein. »Soweit ich weiß, ist er seit letzter Woche verreist. Und ich habe keine Ahnung, wohin.«
»Na und?«, erwiderte Peter ungehalten. »Man muss ihn doch irgendwie erreichen können!«
»Wie denn? Wir haben doch nur seine Festnetznummer.«
»Zufälligerweise sind wir Detektive«, sagte Peter ungeduldig. »Wir könnten versuchen, die Nummer seiner Nachbarn herauszufinden und dort anzurufen. Irgendjemandem muss er doch erzählt haben, wo er sich aufhält. Falls er in einem Hotel ist, können wir die Nummer herausfinden und dann dort anrufen.«
»Aber wenn Reynolds tatsächlich entführt wurde, könnten wir ihn mit unseren Nachforschungen erst recht in Gefahr bringen!«, entgegnete Bob.
»Wieso das denn?«, sagte Peter ungehalten. »Dieser Entführer hat uns vier Regeln genannt. Keine davon lautet: ›Nachforschungen sind verboten.‹ Oder?«
»Das stimmt«, gab Bob zu.
Auf Justus’ Stirn zeichnete sich eine steile Falte ab. »Also, ich weiß nicht, wie es euch geht. Aber ich brauche mehr Informationen, bevor ich eine Entscheidung treffen kann. Wenn der Anrufer die Wahrheit gesagt hat, haben wir es mit einer äußerst heiklen Angelegenheit zu tun!«
»Immerhin hat der Anrufer seinen Namen genannt – falls er dabei nicht gelogen hat.«
»Stimmt! Mitch Palmer.«
»Dann würde ich vorschlagen, dass wir versuchen, Kommissar Reynolds’ Entführung zu verifizieren. Gleichzeitig sollten wir mehr über diesen Mitch Palmer herausfinden. Das hat er uns ja ganz definitiv nicht verboten.« Der Erste Detektiv schaltete den Computer ein. »Vielleicht ist der Name sogar der erste Hinweis.«
»Gut, dann mache ich die Recherche. Ich könnte auch nachher ins Zeitungsarchiv fahren«, bot Bob an. »Falls Mitch Palmer ein bekannter Verbrecher ist, sollte dort doch etwas zu finden sein.«
»Juuuuuuuustus!«, hallte die Stimme von Tante Mathilda über den Schrottplatz.
»Auch das noch!« Justus blickte finster drein. »Ich habe jetzt nun wirklich nicht den Nerv, alte Öfen zu schrubben oder ausgestopfte Vögel abzustauben.«
»Juuuuuuuuuustus!«
»Ich bin gleich wieder da. Hoffentlich gelingt es mir, Tante Mathilda eine gute Ausrede zu servieren!« Justus warf seinen Freunden einen letzten, zerknirschten Blick zu und trat dann durch das »Kalte Tor«, einen der Geheimgänge der Zentrale, ins Freie. Die gleißende kalifornische Sommersonne blendete den Ersten Detektiv. Es war das perfekte Wetter für eine mehrtägige Radtour mit Zelt. Gestern noch hatten sich die drei ??? eine Route entlang der Küste ausgesucht. Doch jetzt lagen ihre Ferienpläne in unerreichbarer Ferne.
»Da bist du ja endlich!«, begrüßte Tante Mathilda ihren Neffen. Sie hatte ein Klemmbrett mit einer Checkliste in der Hand und ihren strengsten Feldwebelblick aufgesetzt. Das sah nach einer langen und harten Arbeitseinheit aus! Mrs Jonas war nie um Ideen verlegen, wie sie die drei ??? sinnvoll beschäftigen konnte. Jungen waren in ihren Augen wie gemacht dafür, Altwaren zu schleppen, Geräte zu reparieren oder Möbel aufzuarbeiten.
»Peter, Bob und ich haben da gerade eine ganz wichtige Sache am Laufen. Aber ich kann dir dazu leider nichts sagen«, setzte Justus an. Doch Tante Mathilda lächelte. »Du hast Post!«
Sie drehte sich um und griff nach einem rechteckigen Paket, das sie neben einem Blech mit großen Schokoladenkeksen abgestellt hatte. »Das ist für euch abgegeben worden.«
»Aber die Post war doch schon heute Vormittag da!«, wunderte sich der Erste Detektiv.
»Jemand muss es auf der Veranda abgestellt haben. Also was ist? Nimmst du es mir jetzt ab?« Sie drückte ihrem Neffen das Paket in die Arme. »Und noch etwas!«
»Was denn?« Justus betrachtete den Karton. Es stand kein Absender drauf, nur drei große Fragezeichen.
»Wir bekommen morgen eine große Fuhre mit antiken Möbeln. Da brauchen wir auf jeden Fall eure Hilfe beim Abladen.«
»Verstanden.«
»Warte!«
Justus drehte sich noch einmal zu seiner Tante um.
»Die Kekse sind für euch! Quasi als Vorleistung für eure Arbeit.«
Justus bedankte sich bei seiner Tante, dass sie das Päckchen angenommen hatte, und eilte zurück zu seinen Freunden. Die saßen mittlerweile beide vor dem Computer.
»Habt ihr schon etwas herausgefunden?«, fragte er, als er ins Halbdunkel der Zentrale trat.
»Dieser Mitch Palmer ist tatsächlich ein gesuchter Verbrecher!«, sagte Bob, als Justus zu ihnen trat. »Aber es gibt nicht gerade viele Informationen über ihn.«
»Hier ist von einem Banküberfall die Rede.« Peter deutete auf den Bildschirm. »Und er ist wohl auch schon in ein paar Museen eingebrochen. Aber die Artikel sind alle sehr kurz. Man erfährt kaum etwas über Palmer und seine Methoden.«
»Beinahe so, als wäre da etwas, was man nicht wissen darf.«
»So kommen wir nicht weiter. Ich sollte so schnell wie möglich zur Los Angeles Post fahren«, schlug Bob erneut vor. »Palmer hat uns ja nicht verboten, seine Identität zu überprüfen. Vielleicht weiß mein Vater mehr über ihn. Er ist heute in der Redaktion.«
»Ich halte es tatsächlich für eine gute Idee, das Zeitungsarchiv zu bemühen«, gab Justus zurück, während er das rechteckige Paket und die Kekse auf den Schreibtisch stellte. »Allerdings solltest du deinen Vater nicht einweihen. Erinnere dich an Regel Nummer zwei: keine Eltern!«
»Armer Kommissar Reynolds!« Peter sah auf. »Was ist das?«, fragte er und zeigte auf den Schreibtisch.
»Das wurde eben für uns abgegeben – von einem Boten!«
»Ich meinte die Kekse. Sind die für uns?«
»Wie kannst du in dieser Situation nur ans Essen denken, Zweiter?« Justus sah seinen Freund vorwurfsvoll an. »Selbst ich könnte jetzt nichts hinunterbekommen! Abgesehen davon frage ich mich, ob das hier die Gegenstände sind, die uns Mitch Palmer zukommen lassen wollte.«
»Schon gut.« Der Zweite Detektiv hob eilig die Hände. »Packen wir das geheimnisvolle Paket da aus!«
Justus zog sich Handschuhe an. »Wir werden den Karton später noch auf Fingerabdrücke untersuchen, daher fasst ihn bitte nicht überall an.« Vorsichtig öffnete er den Deckel.
»Und?« Peter versuchte, an Justus’ Händen vorbei ins Innere des Kartons zu spähen.
»Das sind ja Führerscheine!« Justus griff in das Paket und holte drei gelbliche Plastikkarten heraus.
»Wozu das denn?«, fragte Bob. »Wir haben doch selbst welche.«
Justus hielt ihm eine der Karten hin. Darauf war ein Foto des dritten Detektivs abgebildet.
»Das Foto stammt ursprünglich aus einem Artikel über unser Detektivtrio!«, sagte Bob verblüfft. »Jetzt sieht es aus wie ein Passbild. Und meine Adresse ist falsch. Sehr merkwürdig.«
»Schau mal auf dein Geburtsdatum!«, empfahl Justus.
»Was soll damit sein? Das ist im Gegensatz zur Adresse doch richtig«, gab der dritte Detektiv zurück.
»Du guckst zu oberflächlich, Dritter. Tag und Monat entsprechen den Tatsachen, aber nicht die Jahreszahl!«
Bob stutzte. »Jetzt, wo du es sagst! Laut dem Ding wäre ich schon einundzwanzig Jahre alt!«
Justus nickte. »Und damit bereits seit drei Jahren volljährig und wahlberechtigt.«
»Alt genug, um legal Alkohol zu trinken.«
»Ganz abgesehen davon, dass man mit diesem Führerschein jede DVD mit Altersbeschränkung ausleihen kann«, fügte Peter hinzu. »Zum Beispiel Horrorfilme.«
»Was auch immer.« Justus warf einen Blick auf die übrigen zwei Führerscheine. »Bei denen hier ist es genauso. Geburtstag und Monat stimmen, aber das Jahr wurde so verändert, dass auch Peter und ich damit schon einundzwanzig sind.«
»Schön, man hat also meinen Wunsch erhört«, sagte Peter verunsichert. »Damit sind wir quasi erwachsen, ohne dafür einen Tag älter geworden zu sein, und ich kann mir endlich ganz legal ›Die Rückkehr der Kettensägenzombies‹ ansehen. Aber warum haben wir die Führerscheine bekommen? Die werden ja wohl kaum eine Aufforderung dazu sein, in die nächste Bar zu fahren und ein paar Tequilas zu kippen, oder?«
Justus antwortete ihm nicht. Stattdessen griff er erneut in das Paket, schlug eine Luftpolsterfolie um und zog einen länglichen schwarzen Gegenstand heraus. Bob riss die Augen auf.
»Ach du verdammte … Nein … das war da jetzt nicht wirklich … also … Das ist jetzt wirklich … Ich glaub, ich spinne!« Peter starrte fassungslos auf die Pistole, die in Justus’ Händen lag.
»Auch davon haben wir drei Stück bekommen.« Der Erste Detektiv legte zwei der Waffen nebeneinander auf den Schreibtisch. Die dritte drehte er langsam in den Händen.
»Das ist mir jetzt eine Spur zu abgedreht!«, protestierte Peter. »Erst ruft jemand an und behauptet, dass er Kommissar Reynolds entführt hat, dann sollen wir bei einem merkwürdigen Spiel mitmachen und jetzt schickt uns jemand falsche Ausweise und Waffen!«
»Sind es vielleicht nur Attrappen? Oder Schreckschusspistolen?«
»Nein, das Ding hier ist eine echte Pistole!« Vorsichtig zog Justus das Magazin aus dem Handgriff. »Und diese Waffen dienen nicht nur der optischen Abschreckung. Sie sind geladen!«
»Dann pass bloß auf!« Peter rückte zur Seite. »Nicht, dass du aus Versehen abdrückst!«
»Was soll das nur alles?« Bob blickte ratlos in den Karton. Am Boden lagen noch ein länglicher Umschlag und eine CD in einer unbeschrifteten Plastikhülle.
»Reichst du mir die mal rüber?« Justus legte die Waffe weg und streckte Bob die freie Hand hin.
»Moment, Just! Also die können wir doch nicht einfach so benutzen!«, rief Peter, als Justus die CD aus der Hülle nahm und ohne Zögern zum Computer ging. »Da könnten Viren drauf sein. Das müsstest du ja nun wirklich wissen!«
»Ich habe heute früh erst wieder eine Datensicherung auf einer externen Platte gemacht. Und der Virenscanner ist auch auf dem neuesten Stand. Also keine Sorge.« Justus bewegte die Maus und klickte etwas an. Daraufhin öffnete sich ein Player. Eine Videoaufnahme wurde abgespielt. Man sah einen schlecht ausgeleuchteten Raum, vermutlich den Heizungskeller eines alten Hauses. Die Bildqualität ließ zu wünschen übrig. Aber das Wichtigste war deutlich zu sehen: Kommissar Reynolds saß gefesselt auf einem Stuhl. Er hatte Dreckflecken auf dem Hemd und seine Haare standen ihm wirr von Kopf ab. Geknebelt hatte man ihn allerdings nicht. Kommissar Reynolds war damit beschäftigt, den Kameramann wüst zu beschimpfen. Normalerweise hätte Peter eine Bemerkung darüber fallen lassen, dass er ihrem Freund solche Worte nicht zugetraut hatte, doch dafür war die Lage zu ernst.
»Na los, zeig mir schon dein Gesicht, du !« Der Kommissar ruckelte wütend an seinen Fesseln. Mehr sah man von ihm nicht, da die Los Angeles Post ins Bild gehalten wurde. Einige Sekunden lang füllte sie den Bildschirm aus, dann folgte ein Schwarzbild.
»Mitch Palmer hat also tatsächlich Kommissar Reynolds entführt!« Bob war der Erste, der die Sprache wiederfand.
»Vielleicht ist es eine ältere Aufnahme?«, überlegte Peter.
»Nein, die Zeitung, die gezeigt wurde, war von gestern!«, sagte Justus, der sich gerade ein Standbild anschaute.
Peter packte das Telefon. »Egal was der Idiot sagt, ich rufe jetzt bei Cotta an. Der Fall ist ja wohl eine Nummer zu groß für uns!«
»Untersteh dich!« Bob versuchte, seinem Freund den Hörer zu entwinden. »Wenn Palmer das herausfindet, ist Reynolds geliefert!«
»Eventuell blufft er nur«, warf Peter ein. »Wie soll er denn überhaupt herausfinden, dass wir mit Cotta sprechen?«
Durch Wanzen?, schrieb Bob statt einer mündlichen Antwort auf einen Zettel. Oder er hat Kontakte ins Präsidium? Oder er beobachtet uns? Denk nur an unseren Fall mit diesem Mr Grey. Der Mafiaboss hat uns doch auch tagelang ausspioniert!
Justus legte einen Finger an die Lippen und nickte. Dann gab er seinen Kollegen ein Zeichen, die Zentrale abzusuchen. Darin waren die drei Detektive inzwischen sehr routiniert. Innerhalb von einer halben Stunde hatten sie alles auf den Kopf gestellt, jedoch nichts gefunden.
»Wir können also offen reden«, sagte Bob schließlich.
Peter ging erneut zum Telefon. »Dann können wir auch im Präsidium anrufen!«
»Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass Palmer davon erfährt, ist das Risiko zu hoch«, beschloss Justus. »Wir wissen nicht, über was für Möglichkeiten er verfügt. Dass hier in der Zentrale keine Wanzen sind, heißt nicht, dass er uns nicht anderweitig ausspioniert. Er könnte sogar direkte Kontakte zur Polizei haben.«
»Also sollten wir uns zuerst einmal um die Recherche kümmern«, sagte Bob unruhig.
»Genau, du fährst am besten auf direktem Weg zur Los Angeles Post.«
»Nicht so schnell! Kollegen, da ist doch noch etwas im Paket!« Peter deutete auf den Brief.
»Stimmt!« Justus öffnete vorsichtig den Umschlag. Darin lag ein Foto von einem Mann, der vor einem blühenden Busch stand. Außerdem enthielt der Umschlag noch einen einfachen weißen Notizzettel mit einem Datum und einer Uhrzeit.
»Na, das ist ja wirklich sehr aufschlussreich«, meinte Peter.
Justus drehte das Bild. Auf der Rückseite stand in Schreibschrift: Möge die Jagd beginnen. Mit den besten Grüßen, Mitch.
»Das muss Palmer sein«, mutmaßte Bob. Er beugte sich vor. »Der Mann sieht ziemlich durchschnittlich aus. Der Mantel und der Schnauzbart sind etwas unmodisch.«
»Und die goldene Uhr ist auch nicht gerade der letzte Schrei«, pflichtete Peter ihm bei. »Genauso wenig wie der hässliche Herrenring und die Brille.«
»Es geht hier nicht um ein Foto aus einem Modemagazin«, warf Justus ein. »Es geht darum, welche Schlüsse wir aus diesem Bild ziehen können.«