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Titel
Impressum
Wunder sind weiblich
Stille Nacht, Heilige Nacht
Die Weihnachtswahrheit
Wenn wir uns nur die Zeit nähmen und lernten zu sehen, würden wir voller Dankbarkeit feststellen, dass diese Welt voller kleiner Wunder ist. Und dass die Summe all dieser Wunder ein unglaubliches, großes Kunstwerk ist, das wir Leben nennen. Nun haben wir es uns aber nett eingerichtet, unser Leben. Zugestellt mit allerlei wichtigen und nützlichen Dingen, die uns den Blick auf das Wesentliche versperren. Es bedarf also schon eines großen Wunders, um sie wieder sehen zu können und an sie zu glauben. Dies hier ist die Geschichte von einem und ich weiß gar nicht so genau, wo ich anfangen soll.
Da ist so viel Glück in mir und mein derzeitiges Wohlgefühl vernebelt mir die Sicht auf die Dinge, wie sie ganz am Anfang waren. Trotzdem will ich versuchen, Ihnen meine Geschichte zu erzählen. Ab dem Moment, ab dem sich mein Leben änderte. Das Leben all der Anderen natürlich auch, aber vor allem das meine. Vielleicht werden Sie mir all das nicht glauben. Aber seien Sie versichert, so hat es sich wirklich zugetragen.
Ich saß am Schreibtisch und sinnierte über einen Text. Eine einfache Pressemitteilung, nichts Besonderes. Ich war Werbetexter in einer kleinen Agentur. Dort arbeitete ich schon seit einigen Jahren mit meinen Mitstreitern. In unserer stillen Verzweiflung gingen wir immer wieder an unser Tagwerk und hofften, den Lottospielern gleich, auf den ganz großen Gewinn. Doch statt auf einem Regenbogen der Sonne entgegen zu tanzen, kämpften wir jeden Monat aufs Neue gegen die Widrigkeiten eines engen Marktes. Ich will aber nicht klagen. Es ging uns eigentlich gut, auch wenn uns in den Tagen, als alles begann, der Spätherbst fest im Griff hatte. Alles war nur kalt und grau, Nässe zog in alle Poren und die kurzen Phasen der Helligkeit sorgten für ein wahres Maulwurfsleben, bei dem man nie etwas Licht sah. Zumindest nicht in der knappen Freizeit.
Um meinen Lebenslauf nicht mit weiteren Abbrüchen gut klingender Studiengänge zu dekorieren, bewarb ich mich als Texter – und siehe da, man stellte mich ein. Nun werden Sie sich bei all meinen Vorbildungen berechtigt fragen, was ich in meiner Profession Bahnbrechendes zu Wege gebracht habe.
Nun, kennen Sie »Aus Freude am Fahren« oder »Geiz ist geil«? Richtig gut, oder? Auch revolutionär, auf den Punkt genau und stilbildend. Sind aber beide nicht von mir. Auch für »Streben nach Vollendung« habe ich nichts beigetragen, auch wenn dieser Slogan meinem propagierten Stil im eigentlichen Sinne sehr nahe kommt. Dafür habe ich im letzten Jahr eine lokal vielfach gelobte Pressemitteilung über den Landesausscheid der Taubenzüchtervereine verfasst. Nicht zu vergessen die werbewirksame Kampagne für unseren Reifenhändler Karl Mothes, der nun mit »Mein Gummi macht Sie sicher!« deutliche Umsatzsteigerungen verzeichnet.
Ich kann also auf eine überaus erfolgreiche, kreative und fachlich kaum steigerbare Karriere zurückblicken. Die Aufgabe, die an jenem Tag vor mir lag, war auch langsam im Werden und Wachsen. Wenn Frau Lindig vom Tierfriedhof meinen herzzerreißenden Text zum einjährigen Firmenjubiläum erblickte, dann würde sie eine dicke Krokodilsträne verdrücken, ganz sicher.
Mitten in meine Überlegungen, wie ich das Leid einer sterbenden Katze möglichst episch mit den Vorteilen eines Eichenmaßsarges für Kleintiere verknüpfen könnte, vernahm ich das Läuten des Telefons.
»Trendsetter, Kreative Werbung, Fabula, guten Tag!«, meldete ich mich vorschriftsmäßig.
»Guten Tag!«, begrüßte mich eine tiefe Männerstimme. »Ich habe ein größeres Problem mit meiner derzeitigen Außendarstellung und bräuchte Ihre Hilfe.«
»Da sind Sie doch genau richtig bei uns. Was stellen Sie sich denn vor? Die gesamte Außendarstellung des Unternehmens, also einschließlich Überarbeitung von Corporate Design und Corporate Identity oder nur einen Teilbereich?« Ich flötete die Anglizismen heraus, als ob ich tatsächlich verstünde, was ich da sagte.
»Ja genau. Am besten alles. Ich muss mich einfach völlig neu präsentieren und positionieren.«
»Gut. Kann ich Ihnen dann noch ein paar Fragen zu Ihrer Firma stellen?«
»Ja natürlich. Was wollen Sie denn so wissen?«
»Nun. Wie lange sind Sie denn schon am Markt tätig und in welchem Bereich arbeiten Sie?«
»Och, wie lange?«
Er überlegte ein Stück und meldete sich mit seiner unglaublichen Stimme zurück:
»Ich würde sagen eine Ewigkeit. Und der Bereich ist wohl nach heutigem Verständnis die Unterhaltungsindustrie.«
»Ah ja. Und arbeiten Sie allein oder mit Angestellten?«
»Angestellte habe ich natürlich. Insgesamt sind es sechs. Und in der Saison auch noch ein paar Pauschalkräfte.«
Ich notierte alles auf unserem Formblatt und erinnerte mich auch an ein paar kleine Details, die ich immer mit erfragen sollte, falls ein neuer Kunde anrief.
»Gut. Gibt es auch einen Fuhrpark, auf dem Werbung angebracht werden müsste?«
»Ja, einen kleinen. Ich habe nur ein Fahrzeug.«
Alle übrigen Punkte auf meinem kleinen Formular hielt ich für reichlich überflüssig und zur Not auch im persönlichen Gespräch klärbar. Deshalb war mir daran gelegen, das Telefonat schnellstmöglich zu beenden, um mich wieder mit Frau Lindigs Katzen und deren sachgerechter letzter Zuneigungsbezeugung beschäftigen zu können.
»Wollen wir uns nicht am nächsten Montag zum Briefing in unserer Agentur gemeinsam mit meinen Kollegen treffen und alles Weitere besprechen?«, hörte ich mich engelsgleich in den Hörer säuseln.
»Gern. Ich wäre dann um zehn Uhr bei Ihnen«, brummte es am anderen Ende der Leitung, bevor er auflegte.
Ich notierte mir den Termin und widmete mich weiter meiner Arbeit. Es dauerte nur wenige Stunden. Die Sonne war längst untergegangen und die sterile Bürobeleuchtung wurde auf meinem Bildschirm in ihrer scheußlichsten Art und Weise reflektiert. Alle normalen Gehaltsempfänger, Familienväter und Kneipengänger waren längst zu Hause und bereiteten sich auf ihre abendlichen Verpflichtungen vor. Als Texter wartete man auf die Muse immer ohne festen Termin. Mal kam sie und mal ließ sie verdammt lange auf sich warten. Schließlich speicherte ich einen Text, für den ich ohne Zweifel den Pulitzer-Preis verdient hätte. Das artgerechte und würdevolle Beisetzen von Schoßhündchen und Perserkatzen einschließlich liebevoller Fürsorge um die Hinterbliebenen würde die Jury überzeugen.
Auf dem Nachhauseweg zu meiner Wohnung wurde mir wie fast jeden Tag bewusst, dass mich dort nur Einsamkeit und Langeweile erwarteten. Sicher, ich konnte ein Buch lesen, die Wohnung putzen, was sie bitter nötig hatte. Ich konnte in eine Kneipe gehen und mich volllaufen lassen. Es gab reichlich Möglichkeiten, mein kurzes Leben nach der Arbeit noch weiter zu verkürzen. Die eigentliche Erleuchtung hätte mein armes Leben auch durch eine Frau erfahren können. Ich hätte mich schon längst auf die Suche nach einer solchen begeben und sie dann mit meinem Dasein in all seinen Facetten beglücken können. Doch genau in diesem Punkt lag mein eigentliches Problem.
Ich wollte keine Frau. Ich hatte mit diesem Thema vorläufig abgeschlossen. Nicht begraben und vergessen, aber auf jeden Fall auf lange Sicht hin aufgeschoben. Nach meiner letzten Trennung wurde mir klar, dass das Leben mit einer Frau zur falschen Zeit nicht nur zu anstrengend, sondern auch nicht erfüllend war. Wog ich alle Vorteile, die der Kontakt mit einem weiblichen Wesen mit sich brachte, gegen die Nachteile auf, so war allein das schon eine wenig lohnende Angelegenheit.
Zudem konnten meine rudimentären Erinnerungen an die BWL-Vorlesungen im Zusammenhang mit den philosophischen Äußerungen Sokrates’ und meinen eigenen Erfahrungen zu keiner anderen Schlussfolgerung als der Verweigerung aller möglichen Beziehungen zu Frauen führen.
Um es mit aller mir möglichen textlichen Raffinesse und der Tragweite der Aussage gerecht werdenden Poesie zu sagen: Frauen – später gern!