Inhalt
Einleitung
Ein neuer alter Traum –
die Renaissance des Glücks
Was die Wirtschaft blind macht –
die Verabsolutierung des homo oeconomicus
Wie sich die Wirtschaft neu erfinden kann –
die Erkenntnisse der Glücksforschung
Worin die Chancen der Zukunft liegen –
menschengerechtes Wirtschaften
Warum es auf uns selbst ankommt –
die Macht gesellschaftlicher Leitbilder
Nachwort
Anhang
Die meisten Menschen streben nach Zufriedenheit. Sie wollen, dass es ihnen gut geht, dass ihr Leben gelingt, dass sie glücklich sind. Aber was fördert Glück und was sorgt für Zufriedenheit?
Bei der Beantwortung solcher Fragen greifen Menschen gerne auf einfache, aber vermeintlich wahre »Geschichten« zurück, an denen sie sich in einer zunehmend komplexen Welt orientieren können. Auch die Wirtschaft hält eine populäre Geschichte bereit, in der es allerdings nicht um »Glück« oder »Zufriedenheit« geht, sondern um den Begriff des »Wohlergehens« (well-being). Das zu erreichen, scheint recht einfach zu sein: Größeres Vermögen und höheres Einkommen schaffen die Möglichkeit, mehr zu konsumieren, und dies steigert das persönliche Wohlergehen.
Diese Geschichte ist wohl fest in das kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt. Denn überall auf der Welt streben Menschen nach mehr Einkommen und einem höheren Konsumniveau, weil sie dies für ein größeres Wohlergehen als zentral ansehen. Der Ökonom John Maynard Keynes hat offenbar mit seiner Einschätzung recht gehabt: »Die Ideen der Ökonomen und Philosophen, seien sie richtig oder falsch, sind mächtiger, als man im Allgemeinen glaubt. Um die Wahrheit zu sagen, es gibt nichts anderes, das die Welt beherrscht.«1› Hinweis
Und diese Geschichte erklärt auch weitgehend, warum die Wirtschaftspolitik so stark darauf aus ist, das Bruttoinlandsprodukt, d. h. die Summe der mit Geld bewerteten produzierten Güter, zu steigern. Wenn der Gesamtkuchen der erwirtschafteten Leistung insgesamt wachse, so die Vorstellung, könne man die Zuwächse verteilen und das Vermögen von niemandem würde dadurch verringert. Denn alle möchten mehr haben oder zumindest das, was sie haben, behalten. Einer solchen Verteilungsregel könne doch jeder und jede zustimmen, lautet die Begründung. Aber entspricht diese Geschichte wirklich unserer Einschätzung und alltäglichen Erfahrung?
Stellen Sie sich folgendes Gedankenexperiment vor: Sie haben die Wahl, sich für eine von zwei möglichen Welten zu entscheiden.
Vorausgesetzt, die Preise und die Kaufkraft seien in beiden Welten gleich, für welche der beiden Welten würden Sie sich entscheiden?
Diese Frage wurde Studierenden und Mitarbeitern der medizinischen Abteilung der Harvard-Universität im Rahmen einer berühmten Studie gestellt.2› Hinweis
Interessanterweise entschied sich fast die Hälfte der Befragten für die erste Variante. Es ist ihnen offensichtlich wichtiger, mehr als der Bevölkerungsdurchschnitt zu verdienen, auch wenn sie in der zweiten Welt ein viel höheres absolutes Einkommen zur Verfügung hätten.
Dies ist zugegebenermaßen zunächst einmal nur eine hypothetische Frage. Niemand kann genau vorhersagen, wie die Befragten sich verhalten würden, wenn ihre Entscheidung wirkliche Konsequenzen auf ihr Einkommen hätte. Dennoch eröffnet dieses Beispiel eine Perspektive, welche von der üblichen ökonomischen Betrachtung gar nicht wahrgenommen werden kann: Viele Menschen streben nicht einfach nach immer mehr Einkommen oder einem höheren Konsumniveau, sondern sie vergleichen sich in ihren wirtschaftlichen Erwägungen und Entscheidungen stets auch mit anderen. Zudem wird offenbar, dass es einen Wettlauf um eine bessere Position gibt, aber auch die Angst davor, den höheren Status zu verlieren. Beides sind wichtige Antriebsfedern, die neben dem Streben nach höherem Einkommen bei unseren Entscheidungen eine wichtige Rolle spielen.
Diese Einsicht ist uns gewissermaßen schon aus dem Alltag in vielerlei Hinsicht bekannt und wird durch eine Reihe von Untersuchungen bestätigt. Viele vergleichen ihr eigenes Einkommen mit dem der Geschwister, Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten. Die Explosion der Gehaltszuwächse von Führungskräften in deutschen DAX-Unternehmen in den letzten Jahren wird damit begründet, dass man die Entlohnung an die gängige Vergütung der Wettbewerber anpassen müsse. Und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten werden Lohnkürzungen tendenziell umso eher akzeptiert, je weniger auch die anderen bekommen.
All das zeigt, dass das Einkommen nicht absolut, sondern ganz wesentlich im Hinblick auf die relative Einkommensposition bewertet wird. Folgt man dem erwähnten Gedankenexperiment, so sind viele Menschen sogar bereit, dafür teilweise beträchtliche Einbußen in ihrem absoluten Einkommen hinzunehmen. Das legt den Verdacht nahe, dass die traditionelle, sehr wirkmächtige Geschichte über den Zusammenhang von Einkommen und Wohlergehen schlichtweg zu simpel ist. Menschen bevorzugen nicht per se ein höheres absolutes Einkommen, weil ihnen dies mehr Konsummöglichkeiten bietet und damit auch angeblich das Wohlergehen steigt. Auch akzeptieren sie nicht die bereits erwähnte Verteilungsregel. Denn würden sie dieser tatsächlich zustimmen, dürfte z. B. niemand etwas gegen eine Steuerreform haben, die lediglich eine Kürzung des Spitzensteuersatzes vorsieht; das würde einigen Mitbürgern Vorteile verschaffen, ohne dass dadurch viele andere absolute Einbußen hinnehmen müssten. Diese Sicht aber vernachlässigt die Tatsache, dass diejenigen mit unveränderter Steuerlast wohl Einwände erheben würden, weil sich dann ihre relative Position verschlechtert.
Doch zurück zur Studie: Die Wissenschaftler, die die genannte Untersuchung durchgeführt haben, interessierten sich zudem dafür, ob der relative Vergleich auch in anderen Hinsichten von Bedeutung ist. Dazu haben sie die Versuchspersonen unabhängig von der ersten Frage u. a. auch vor folgende Alternative gestellt:
In welcher Welt würden Sie nun lieber leben?
Die Versuchspersonen haben sich nun sehr eindeutig für die zweite Option entschieden. Mehr als 80 Prozent der Befragten bevorzugten mehr Freizeit, auch wenn sie im Vergleich zum Rest der Gesellschaft deutlich weniger Urlaub hätten. Anscheinend spielt hier die Konkurrenz um die je bessere relative Stellung anders als beim Einkommen keine große Rolle. Darüber hinaus liefert dieses Wahlverhalten einen Hinweis darauf, dass die Menschen in ihrem Bemühen nach einer relativ besseren Einkommensposition nicht bereit sind, alle möglichen Mittel einzusetzen. Denn sie könnten ja z. B. mehr arbeiten und auf Freizeit verzichten, um ihre Einkommensposition zu verbessern. Doch dies ist offenbar nicht unbedingt der Fall.
Schon diese wenigen Überlegungen deuten klar darauf hin: Menschen urteilen im Hinblick auf ihr persönliches Wohlergehen differenzierter, als dies das übliche wirtschaftliche Weltbild nahelegt. Sie streben nicht einfach nach immer höherem Einkommen, um so ihr Wohlergehen zu steigern. In mancher Hinsicht, wie z. B. beim Einkommen, spielt vielmehr der Vergleich mit anderen Personen eine große Rolle. Der Studie zufolge beeinflusst der soziale Vergleich auch die Beurteilung von Mitarbeitern durch Vorgesetzte. Andere Aspekte dagegen, wie z. B. der Wunsch nach Freizeit, werden eher absolut bewertet, hier ist der relative Vergleich mit anderen weniger wichtig.
Angesichts dieser Tatsachen scheint Zweifel an der Richtigkeit der gängigen Formel »Mehr Einkommen ist gleich höheres Wohlergehen« mehr als angebracht. Offensichtlich brauchen wir einen schärferen Blick, um angemessene Aussagen über das persönliche Wohlergehen und damit auch über den gesellschaftlichen Wohlstand machen zu können. Dazu ist zu überlegen, welche Faktoren das Wohlergehen beeinflussen und wie wir diese absolut und relativ im Vergleich mit anderen bewerten. Außerdem sollten wir uns darüber Gedanken machen, auf welche Weise wir bestimmte Ziele auch in wirtschaftlichen Zusammenhängen anstreben. Auch wenn wir uns diese Fragen im Alltag oft unbewusst stellen oder sie bisweilen auch kurz im Gespräch anschneiden – es ist an der Zeit, sie nun systematisch anzugehen und öffentlich zu verhandeln.
Sie sind schon allein deshalb drängend, weil weltweit eine immer größere Zahl von Menschen danach strebt, ihr Einkommen und ihr Konsumniveau zu steigern. In China hat sich beispielsweise der Fleischkonsum seit 1980 mehr als verfünffacht3› Hinweis
. Und nirgendwo werden derzeit so viele Premium-Automobile gekauft wie in der Volksrepublik China. Allen Prognosen zufolge wird der Konsumrausch nicht nur dort, sondern auch in anderen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wie Indien oder Brasilien mit atemberaubenden Zuwachsraten ansteigen. Die wachsende Mittelschicht in diesen Ländern folgt dabei meist wie selbstverständlich dem verbreiteten Weltbild, wonach höhere Kaufkraft und mehr Konsum ein erfüllteres Leben versprechen. Dieser Anspruch lässt sich kaum mit guten Gründen zurückweisen, solange die Wohlstandsländer an ihren ressourcenintensiven Produktions- und Konsummustern festhalten – und selbst von diesem Kaufrausch profitieren, weil sie dort neue Absatzmärkte erschließen. Eine rasche, nachholende Entwicklung in allen Schwellen- und Entwicklungsländern nach dem bisherigen Muster würde jedoch weltweit den Verbrauch an Rohstoffen weiter erhöhen und den Klimawandel und die Belastung der Umwelt noch verschärfen. Damit würden aber die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen aufs Spiel gesetzt.
Die »alte Geschichte« von Einkommen, Konsum und Glück geht also nicht nur an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei, sondern gefährdet letztlich auch unsere menschliche Zivilisation. Notwendig ist daher eine »neue Geschichte«, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird und allen Menschen jetzt und in Zukunft die Chance eröffnet, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Dazu müssen wir uns darüber verständigen, was überhaupt das Ziel des Wirtschaftens ist und was den Menschen wichtig ist, wenn sie wirtschaftlich tätig sind, konsumieren oder ihr Geld anlegen. Die Beschäftigung mit Glück und Zufriedenheit kann hierfür einen wichtigen Mehrwert erbringen. Denn nur dann können wir z. B. verstehen, was menschliches Wohlergehen und gesellschaftlichen Wohlstand wirklich ausmacht. Die gängige, alte Mär zu revidieren, ist zugegebenermaßen kein leichtes Unterfangen. Auch dies hat John Maynard Keynes schon vor gut 80 Jahren treffend auf den Punkt gebracht: »Die Schwierigkeit ist nicht, neue Ideen zu finden, sondern den alten zu entkommen.«4› Hinweis
Philosophen gehen den Dingen gerne auf den Grund, da sie nach dem Grundsätzlichen fragen. Dafür werden sie zuweilen belächelt. Sie seien fern der Wirklichkeit, so heißt es dann. Sie bewegten sich im Elfenbeinturm oder zögen sich in eine Tonne zurück, was manchmal der Fall sein mag, aber deshalb noch lange nicht auf alle zutreffen muss. Der eigentliche Grund für die allgemeine Skepsis liegt jedoch woanders – in der Befürchtung, dass die Fragen der Philosophen unbequem sein könnten. Sie könnten ja scheinbar Selbstverständliches in Zweifel ziehen und damit den gewohnten Gang der Dinge stören. Da aber Furcht niemals ein guter Ratgeber ist, sollte man den Mut fassen, sich den Fragen der Philosophen zu stellen. Denn vielleicht erwachsen aus ihren Überlegungen ja weiterführende und gewinnbringende Erkenntnisse.
Im Bereich der Wirtschaft sind solche prinzipiellen Reflexionen nicht einfach anzustellen. Der ökonomische Alltag lässt in der Regel wenig Platz für Grundsatzfragen, vor allem für solche, die abseits der Agenda von Kosten-Nutzen-Erwägungen und kurzfristiger Gewinnmaximierung anzusiedeln sind. Denn das System läuft zügig getaktet und hält kaum Spielräume dafür bereit, innezuhalten und grundlegend zu reflektieren. Unmittelbar nach der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise war zwar eine gewisse Nachdenklichkeit zu spüren, der Ruf nach einer Umorientierung lautstark zu vernehmen: Man müsse die notwendigen Lehren aus der Krise ziehen und die Gelegenheit nutzen, unser wirtschaftliches Handeln besonders auf den Finanzmärkten grundlegend zu überdenken. Die Krise als Chance! Davon spricht heute fast keiner mehr. Kaum springt die Konjunktur wieder an, kehrt man möglichst schnell wieder zur gewohnt nüchternen Tagesordnung zurück. Orte und Zeiten zum Nachdenken sind weiter Mangelware. Wer hat jetzt schon Mut und Muße zu fragen, was uns glücklich macht? Wieso überhaupt nach Gründen für Zufriedenheit fragen? Vielleicht ist es gar nicht sinnvoll, dies zu erwägen. Oder einfach nicht der Sachlage angemessen. Geht das überhaupt, einen Bezug zwischen Wirtschaft und Ethik herzustellen und diesen dann gleichzeitig noch im Verbund mit Glück und Zufriedenheit zu betrachten?
Das Misstrauen, das in diesen Fragen mitschwingt, entspricht einer geläufigen Vorstellung: Philosophie und Ethik auf der einen Seite und Ökonomie auf der anderen sind zwei miteinander unversöhnbare Welten. Hier das Bild von Philosophen, die ihre Forderungen an die Wirtschaft gerne mit moralischen Appellen versehen vortragen, dort das von Ökonomen, die an jene, die Grundsatzfragen stellen, nicht selten den Vorwurf richten, die ökonomische Wirklichkeit nicht zu kennen oder zu verstehen. Diese »Zwei-Welten-Sicht« greift jedoch zu kurz, der Blick ist auf beiden Seiten verengt. Denn das gängige ökonomische Prinzip ist nicht unantastbar und auch nicht wertfrei. Inwiefern es der Lebenswirklichkeit entspricht, wird zu untersuchen sein. Umgekehrt würde die Wirtschaftsethik ihre Aufgabe verfehlen, wenn sie sich lediglich darin erschöpfte, Ökonomen moralisch zu ermahnen. Ihr Anliegen sollte vielmehr sein, wirtschaftliche Zusammenhänge angemessen zu erfassen, zu verstehen und zu reflektieren. Von daher sucht die Wirtschaftsethik, verallgemeinerbare Maßstäbe für die Ziele und die Ausrichtung des Wirtschaftens zu begründen, die den Menschen und ihren Bedürfnissen gerecht werden. Dazu ist es notwendig zu fragen und teilweise auch zu hinterfragen. Und dabei kann man sehr viel lernen, gerade auch über das Wesen der Wirtschaft und des Wirtschaftens. Es lohnt sich auch, die historisch enge Verbindung von Ethik und Ökonomie kurz in Erinnerung zu rufen. Stellvertretend dafür stehen zwei Größen der Geistesgeschichte: Aristoteles und Adam Smith. Beide gehören sowohl zu den Klassikern der Ethik als auch der Ökonomie.5› Hinweis
Der Namensgeber der Ökonomie ist Aristoteles. Er war der Erste, der systematische Überlegungen zur Wirtschaft anstellte, und zwar als Philosoph. Oikos bedeutet im Griechischen »Haus« und dementsprechend bezeichnete die oikonomia nichts anderes als das Führen eines Haushaltes und der dazu zugehörigen Landwirtschaft. Im Idealfall war man autark, das heißt wirtschaftlich unabhängig. Möglichst viel wurde im eigenen Haushalt erwirtschaftet. Überschüsse wurden verkauft und dafür erwarb man von anderen Güter, die im eigenen Haus nicht vorhanden waren oder hergestellt werden konnten. Strikt abgelehnt hat Aristoteles den Erwerb, der nur um des bloßen Erwerbs willen angestrebt wird. Er fürchtete, dass dadurch eine Dynamik entstehen könnte, die sich verselbstständigen und zum »Störenfried der Ökonomie«6› Hinweis
werden könnte – angesichts der Entwicklung moderner Finanzmärkte und der Erfahrungen aus der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise durchaus vorausschauende und bemerkenswerte Gedanken.
Wirtschaften stellt bei Aristoteles nie einen Wert an sich dar, sondern steht immer im Dienst eines höheren Ziels. Und dieses besteht darin, die materiellen Grundlagen für ein gelungenes Leben der griechischen Bürger zu schaffen. Hier wird die enge Verbindung zur Ethik deutlich. Denn die Frage nach dem gelungenen Leben ist der Dreh- und Angelpunkt der aristotelischen Ethik. Aristoteles nennt es eudaimonia, was oft mit »Glück« oder »Glückseligkeit« übersetzt wird. Das gesamte Dasein des Menschen und all sein Handeln zielen darauf ab.
Dieses »Glück« darf allerdings nicht missverstanden werden. Es geht nicht um irgendein Glücksgefühl und auch nicht um ein egozentrisches Streben nach individuellem Glück. Da Menschen als soziale Wesen immer auf andere bezogen und daher auf soziale Beziehungen angewiesen sind, kann das je eigene Leben nie ohne Rücksicht auf die Mitmenschen gelingen. Aus diesem Grund ist das Gemeinwohl immer auch ein Bestandteil des gelungenen Lebens des Einzelnen. Dementsprechend müssen sich die Bürger auf gemeinsame Vorstellungen über eine gute Ordnung der Gesellschaft und auch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verständigen. Diese Ordnung ist so zu gestalten, dass alle Menschen aktuell und auch zukünftig möglichst gute Voraussetzungen dafür haben, dass ihr Leben gelingen kann. In der Welt des Aristoteles sind nicht zuletzt deshalb Ethik und Politik so eng miteinander verknüpft. Der Marktplatz, die agora, war in der griechischen polis nicht vorrangig der Ort, an dem nur Waren gehandelt wurden. Dort traf man sich vor allem, um Gemeinschaft zu pflegen und Gedanken über Gott und die Welt auszutauschen. Die griechischen Bürger konnten sich diesen Luxus zugegebenermaßen leisten. Die Haushaltsführung, sprich die ökonomischen Notwendigkeiten, hatten sie weitgehend an Sklaven delegiert.
Manche Gedanken von Aristoteles bieten auch heute noch wichtige Orientierungshilfen für die Lebensgestaltung. Selbstverständlich können sie nicht eins zu eins auf unsere Welt übertragen werden, sondern müssen an gegenwärtige Gegebenheiten und Herausforderungen angepasst werden. Manches von dem, was wir vom Leben in der polis wissen, ist uns inzwischen höchst fremd. Wie kann man die Gleichheit der Bürger betonen, Frauen und Sklaven aber ausdrücklich davon ausnehmen? Außerdem sind unsere sozialen Interaktionen kaum mehr nur auf persönliche Beziehungen und eine überschaubare »Kleingruppe« beschränkt, wie das in der polis der Fall war. Die heutige Lebenswelt ist weit vielschichtiger und komplexer. Längst haben wir die Grenzen lokaler Tausch- und Interaktionsgemeinschaften überschritten und im Zuge fortschreitender Arbeitsteilung höchst komplizierte Produktions- und Versorgungsketten aufgebaut.
Die zentrale Bedeutung der Arbeitsteilung für die moderne Ökonomie hat Adam Smith (1723–1790) herausgearbeitet. Er gilt zu Recht als Vater der modernen Ökonomie, obwohl er eigentlich Moralphilosoph war. Als solcher legte er mit seiner Theorie der ethischen Gefühle 1759 zunächst ein umfassendes Werk über die moralische Veranlagung des Menschen vor, in der Smith eine Moraltheorie entwickelte, die sich am Anspruch einer universalen Unparteilichkeit orientiert, gleichzeitig aber rückgebunden ist an die moralischen Gefühle und den sozialen Kontext der jeweiligen Menschen. Smith zufolge hat der Mensch auch in moralischen Fragen ein ureigenes Interesse nach Verständigung mit anderen.7› Hinweis
Smiths anthropologischer Ansatz bildete später die Grundlage für seine erstmals 1776 erschienene Abhandlung Wohlstand der Nationen, mit der er einen zentralen Beitrag zur Entwicklung der modernen Ökonomie leistete. Die Quelle des Wohlstands der Nationen sieht Smith in der Arbeitsteilung. Die Aufteilung der Produktion in getrennte Arbeitsgänge ist seines Erachtens die Grundlage der Spezialisierung und auch die Voraussetzung für technologischen Fortschritt. Erst die Beschränkung auf wenige Arbeitstätigkeiten ermögliche den Einsatz geeigneter Maschinen und gebe zugleich entsprechende Anreize zur Erfindung solcher Maschinen. Da jedoch der Umfang der Arbeitsteilung und Spezialisierung von der Marktgröße abhängig ist, schafft, so Smith, nur ein breiter Absatzmarkt die Nachfrage, die notwendig ist, um Kostenvorteile aus einer ausreichend großen Produktionsmenge erzielen zu können – weshalb er dringend empfahl, die Arbeitsteilung durch internationalen Freihandel auch über die Landesgrenzen hinaus auszuweiten.
Mit seiner Theorie sah Smith damals scharfsinnig einige wichtige zukünftige Entwicklungen voraus. Die wirtschaftlichen Austauschbeziehungen sind heute hochgradig arbeitsteilig und äußerst vielschichtig. Schon bei einfachen Produkten wie z. B. Trockenfrüchten ist die Kette der Wertschöpfung mehrstufig und meist auf verschiedene Länder aufgeteilt. Landwirte in Chile, der Türkei oder dem Senegal bauen Trauben, Datteln oder Mangos an, die dann von Herstellern in einem anderen Land weiterverarbeitet und bei uns vom Handel vertrieben werden. Die Zahl, Art und Tiefe der Kooperationen ist kaum mehr nachzuvollziehen. Es bedarf schon großer Anstrengungen, um herauszufinden, wo und auf welche Weise die Trockenfrüchte hergestellt wurden, die wir beim Frühstück in unserem Müsli essen. Erst recht gilt dies für komplexe Produkte wie Mobiltelefone oder Computer, für deren Herstellung allein eine Vielzahl unterschiedlicher Rohstoffe benötigt wird. Überhaupt sind wir bei den allermeisten Gütern, die wir zum Leben brauchen, auf viele andere wirtschaftende Menschen angewiesen. Kein Land und schon gar kein einzelner Haushalt kann es sich mehr leisten, heute noch nach Autarkie zu streben.
Der Ort des Tausches ist der Markt, auf dem Angebot und Nachfrage aufeinandertreffen. Die Koordination erfolgt nicht über zentrale Entscheidungen oder langwierige persönliche Abstimmungsprozesse, sondern über anonyme Steuerungssignale, nämlich Preise und Einkommen. Dieser Marktmechanismus hat sich im Vergleich zu anderen Steuerungsformen wie der Planwirtschaft als sehr leistungsfähig erwiesen. Er hat breiten Bevölkerungsschichten in Industrieländern und inzwischen auch einer wachsenden Zahl von Menschen in Schwellenländern zu einem Wohlstand verholfen, der früher nur einer ausgewählten Elite vorbehalten war.
Diese Entwicklung wäre rückblickend ohne den fundamentalen geistigen Umbruch der Aufklärung nicht möglich gewesen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts löste sich der einzelne Mensch zunehmend von feudalen und kirchlichen Obrigkeiten einschließlich der dadurch vorgegebenen Wertesysteme. Als freies und autonomes Wesen, das eigenständig seine Ziele verfolgt, rückte er auch ins Zentrum der wissenschaftlichen Betrachtung. Mit der wirtschaftsliberalen Theorie begann das Pendel dann seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in das andere Extrem des Individualismus auszuschlagen: Sie erfasst die gesamte Gesellschaft und auch das komplexe Wirtschaftsgeschehen nur noch als Resultat der Entscheidungen vieler Individuen, die, so die Vorstellung, einzig darauf bedacht sind, ihren eigenen Nutzen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu steigern.
Wirtschaft und Glück zusammendenken, wie einst Aristoteles es tat? Für aufgeklärte und arbeitsteilige Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften war das seit Beginn des 20. Jahrhunderts kaum mehr vorstellbar. Zwar war nach der Zeit der Aufklärung der Nutzen noch eng mit einer bestimmten Vorstellung von Glück als Lustgewinn verknüpft – dies war in der frühen Wohlfahrtsökonomie des 19. Jahrhunderts der Fall, dem Zweig der Wirtschaftswissenschaften, der Empfehlungen bei gesellschaftlichen Verteilungsfragen und für eine Wirtschaftspolitik auf Basis des Wohlergehens von Menschen gibt; aber im weiteren geschichtlichen Verlauf rückte die Ökonomie gänzlich davon ab, inhaltliche Aussagen über Glück zu machen. Die moderne Ökonomie mied buchstäblich das Glück und stellte stattdessen allein den Begriff des »Nutzens« in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. So wurde sie zur »freudlosen Ökonomie«8› Hinweis
, die das Glück bewusst aus der Analyse ökonomischer Zusammenhänge ausklammerte.
Damit folgte sie einer bis heute gängigen Interpretation des Aufklärers Immanuel Kant. Nach Kant dürfe Glück in einer modernen Ethik nur noch eine sehr untergeordnete Rolle spielen, da es in aufgeklärten Gesellschaften nicht mehr möglich sei, verallgemeinerbare Aussagen über das Glück des Einzelnen zu treffen. Schließlich habe jeder von uns eine ganz individuelle Vorstellung davon, was sein Glück ausmacht. Was dem einen als sinnstiftend und lebensdienlich erscheint, ist mit dem Glücksbegriff des anderen nur sehr selten auf einen gemeinsamen inhaltlichen Nenner zu bringen. Daraus hat die Neoklassik als die bis heute dominante Strömung der modernen Ökonomie seit den 1930er-Jahren den Schluss gezogen, dass es weder möglich noch sinnvoll sei, persönliche Vorstellungen über Glück und Nutzen miteinander zu vergleichen.
Diese Entscheidung war sehr weitreichend. Denn seitdem wird suggeriert, dass Menschen einzeln und wie auf einer einsamen Insel streng voneinander isoliert ihre je eigenen Glücksvorstellungen formulieren. Diese singulären Vorstellungen werden dann in eine Art black box gepackt, was zur Folge hat, dass wir nichts über den Inhalt des persönlichen Glücks aussagen, geschweige denn unsere Ansichten miteinander vergleichen können. Das Einzige, was wir als Gesellschaft tun können, ist, uns darauf zu verständigen, dass wir uns gegenseitig die Freiräume zusichern und die Voraussetzungen schaffen, die für das je eigene Glück notwendig sind.
In diesem Sinne wurden im 20. Jahrhundert Freiheit und Demokratie als positive Errungenschaften der Aufklärung die entscheidenden ethischen Maßstäbe liberaler Gesellschaften. Zweifellos war diese Entwicklung ein Fortschritt, allerdings übersah man dabei, dass eine Gesellschaft auf Dauer darauf angewiesen ist, diese Werte der Aufklärung mit gemeinsam geteilten Vorstellungen des guten Lebens zu verknüpfen. Zu groß war wohl die Furcht vor jedweder Form von »Glückspaternalismus«, d. h. vor verbindlichen Vorgaben, welches Glücks- oder Lebensideal der mündige Bürger zu verwirklichen habe. Solche Vorschriften wären nicht mit den Grundüberzeugungen moderner liberaler Gesellschaften vereinbar gewesen. Zu deren Selbstverständnis gehört es, dass jedes Mitglied nach seiner eigenen Façon glücklich werden soll. Das ist grundsätzlich richtig. Allerdings schließt auch ein Glücksbegriff, der der Tatsache Rechnung trägt, dass allein das Subjekt nach seinen je eigenen Maßstäben sein Glück verfolgt, eine sinnvolle Verständigung über gemeinsam geteilte Vorstellungen von gutem Leben nicht aus.
Das aber haben viele Glücksskeptiker lange bestritten. Sie haben umgekehrt im wirtschaftsliberalen Denken des 20. Jahrhunderts noch einen weiteren Aspekt stark gemacht: Es ist nicht nur Sache jedes Einzelnen, seine je eigene Glücksvorstellung zu formulieren, sondern jeder ist auch selbst dafür verantwortlich, dieses Glück zu erreichen: »Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied!« Ob die Einzelnen überhaupt eine Schmiede besitzen, sprich über die Voraussetzungen verfügen, um dieses je eigene Glück schmieden zu können, wird dabei meist weniger diskutiert.
Auf jeden Fall wurde das Glück dadurch vollständig in den Bereich der Privatsphäre verbannt und die Ökonomie, die den Begriff des Glücks gegen den des Nutzens ausgetauscht hatte, beschränkte sich darauf, über den Nutzen nur noch formale Aussagen zu machen. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Logik der Maximierung. Der wirtschaftende Mensch, so die zentrale Annahme der Modellfigur des homo oeconomicus, setzt seine vorhandenen Mittel stets so ein, dass er maximalen Nutzen daraus zieht. Oder er will seinen Aufwand bzw. seine Kosten minimieren, um ein gegebenes Ziel zu erreichen. Diese Denkweise prägt mittlerweile auch unseren realen Wirtschaftsalltag, obwohl die Wirtschaftswissenschaftler diese Annahme zunächst nur zu rein theoretisch-methodischen Zwecken einführten. So geht man wie selbstverständlich davon aus, dass derjenige, der sein Geld anlegen will, sich für die Anlageform entscheidet, die ihm möglichst hohe Rendite verspricht. Darüber hinaus lässt sich wenig Verallgemeinerbares aussagen. Was mit diesem Geld später finanziert werden soll oder ganz allgemein die Frage nach dem Sinn der Wirtschaft – das zählt allenfalls zu den »weichen« Themen, die man aus der öffentlichen Debatte heraushält. Darüber bildet sich jeder Einzelne am besten sein eigenes Urteil.
Diese Vorstellung hat aber schon fast schizophren anmutende Konsequenzen: Tagsüber, immer häufiger auch abends und am Wochenende, arbeitet man hart und möglichst erfolgreich – in der Regel auf der Basis eines Geschäftsmodells, das vorwiegend von Kosten-Nutzen-Kalkülen geprägt ist und auf schnelle Rendite abzielt. Es verhilft dem Einzelnen dazu, eine möglichst gute materielle Basis zu schaffen, um damit dann zu Hause seine individuellen Vorstellungen von Glück und gelungenem Leben zu verwirklichen. Oder anders gesagt: Nachdem der Geschäftsmann die Türschwelle zu seiner Privatwohnung überschritten hat, tauscht er nicht nur sein business dress gegen den casual look, sondern auch das Geschäftsmodell »Gewinnmaximierung« gegen die Herzensangelegenheit »persönliches Glücksstreben«. Diese Trennung ist künstlich und mit der einen Lebenswirklichkeit nicht zusammenzubringen. Die Erfahrung zeigt, dass beides, ökonomische Überlegungen und das je eigene Streben nach Glück oder dem gelungenem Leben, in unserem Lebensalltag zusammen und gleichzeitig eine Rolle spielen, und zwar sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privaten. Dies ist wohl eine der Ursachen dafür, dass das Thema Glück in den letzten Jahren ganz allgemein und auch unter Wirtschaftswissenschaftlern und Philosophen eine Renaissance erlebt.
Wer bei einem Online-Buchhändler »Glück« als Suchbegriff eingibt, wird erschlagen von einem unüberschaubar großen Angebot. Über 60 000 Treffer. Eine Fülle an Ratgebern steht bereit, um den Wissensdurst der Glückssuchenden zu stillen. Das Glücks-Tagebuch hilft, Buchhaltung bezüglich persönlicher Glückserlebnisse zu betreiben. Dazu trinken Sie am besten Glückstee. Fotokalender versehen romantische Bilder mit Glücks-Sinnsprüchen. Die Bandbreite der Selbsthilfebücher reicht von Glück durch Sport über Glück durch mehr Zeit oder »Wellness« bis hin zu Glück durch eine ausgewogenere Work-Life-Balance. Wir erfahren: Glück kommt selten allein …, man kann sich in die 10 Geheimnisse des Glücks einweihen lassen oder dem fiktiven Psychiater auf Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück folgen, der die Ergebnisse der Glücksforschung sauber recherchiert in Romanform präsentiert. Der Titel Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist entspannt einen da geradezu. Schließen wir mit Der Glücksfaktor. Warum Optimisten länger leben. Es ist nicht zu übersehen: Das Thema ist allgegenwärtig und hat Hochkonjunktur. Selbst in die Schulen kommt das Glück, und damit es keiner verpasst, wird ein Schulfach danach benannt.
Die Renaissance von Glück hat auch die moderne Ethik erreicht. Seit Kant geht sie davon aus, dass man in einer Welt mit unterschiedlichen Wertvorstellungen nicht ohne Weiteres annehmen darf, dass die Menschen Teil einer guten Ordnung der Natur sind, die mithilfe der Vernunft zu erkennen ist. Auch ist es kaum mehr möglich, sich auf die Werte einer gemeinsamen Religion zu berufen, da diese nur noch von einem schwindenden Teil der Bevölkerung geteilt werden. Die Folge: Die Ethik hat ihre Fragestellung und ihr Selbstverständnis grundlegend modifiziert. Bedeutete für Aristoteles noch über Ethik zu reden, nach dem gelingenden Leben zu fragen, stand für Kant die Notwendigkeit fest, dass die Ethik moralische Fragen möglichst unabhängig von empirischen Gegebenheiten zu behandeln habe. Da für Kant aber »Glück« nicht nur ein genuin empirischer, sondern auch ein viel zu relativer Begriff ist – jeder habe schließlich seine eigene Glücksvorstellung –, kann Glück seiner Meinung nach keine verlässliche Basis für irgendein moralisches Gesetz bilden. Daher setzte sich Kant das Ziel, ein allgemeines ethisches Gesetz rein aus Vernunftgründen zu formulieren. In dem sinngemäßen Satz »Die Menschen anerkennen sich wechselseitig als Personen mit gleicher Würde« hat er ein solches Vernunftgesetz gefunden, das den Kern vernunftbasierter Ethiktheorien darstellt. Es besagt, dass sich Menschen aufgrund ihrer Menschenwürde gegenseitig bestimmte Ansprüche zugestehen – diese wurden dann viele Jahre später in den vielschichtigen Generationen der Menschenrechtsvereinbarungen ausbuchstabiert. Untrennbar mit den Rechten verbunden sind die Pflichten jedes Einzelnen, die entsprechenden Ansprüche aller anderen zu respektieren. Der Zugang zur Ethik erfolgt bei Kant also über die Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten. Die einst enge Verbindung von Glücksstreben und moralischer Rücksicht wurde damit, so zumindest eine gängige Deutung, aufgelöst.
Eine zweite wichtige Strömung der modernen Ethik, die aufgrund ihrer Nähe zur Ökonomie große Resonanz bei einigen Denkern der Aufklärung gefunden hat, ist der Utilitarismus. Im Zentrum steht, wie der Name schon sagt, der Begriff des Nutzens (lat. utilitas). Der Utilitarismus, die Basis der schon erwähnten Wohlfahrtsökonomie des ausgehenden 19. Jahrhunderts, bemisst moralisches Handeln nach dem Prinzip des größtmöglichen Glücks für die größtmögliche Zahl von Menschen – ein Grundsatz, der jedoch in den späteren Ausprägungen des Utilitarismus insofern hinfällig wird, als dass das Glück auch in dieser Strömung aus dem Blickfeld verschwindet.
Seit Kant trennte man also zwischen dem moralisch Richtigen und dem gelungenen oder glücklichen Leben, was allgemein den Verdacht nahelegte, dass das moralisch Richtige zu Lasten des gelungenen Lebens gehe oder umgekehrt: Das Glücksstreben missachte das moralisch Gebotene. Dass diese Behauptung zu kurz greift, ja unhaltbar ist, betonen mittlerweile verschiedene Richtungen der zeitgenössischen Ethik, welche die Verbindungen zwischen Moral und Glück stark hervorheben.9› Hinweis
Zahlreiche Experten weisen vehement darauf hin, dass die Anknüpfungspunkte zwischen Aristoteles und Kant doch viel größer sind als lange Zeit gedacht: Das moralisch Richtige stehe nicht im Widerspruch zum glücklichen, gelungenen Leben, sondern sei im Gegenteil ein wesentlicher Bestandteil davon.
Diese Erkenntnis könnte der Ethik helfen, ein stärkeres Gegengewicht gegen einen verkürzten Individualismus zu bilden, der allein vom Streben nach Eigennutz bestimmt wird. Moralische Argumente, so hört man meist, mögen einem ja rational einleuchten, aber gleichzeitig klingen sie furchtbar uninspiriert und wenig motivierend. Wenn es nun aber gelingt, die latenten Querverbindungen zwischen der Vorstellung eines gelungenen Lebens und dem moralisch Richtigen deutlich herauszuarbeiten und zu schärfen, wäre dies auch ein Gewinn auf der motivationspsychologischen Ebene.