Bildnachweis:
BStU, MfS, HA XXII: 1 Akte 17489/64, Bl. 31; 2 Akte 19681; 3 Akte 83/16, Bl. 12; 4 Akte 3506/91, OV Bert, Bl. 241; 5 Akte 3506/91, OV Bert, Bl. 244; 7 Akte 18230; 8 Akte 18931; 9 18227; 10 Akte 1600/1; 12 Akte 815
BStU, MfS, HA XV: 6 ZVV, 1992/81, Bl. 42
BStU, MfS, AIM: 11 Akte 264/91
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Copyright © 2012 Regine Igel
© für die Originalausgabe und das eBook:
2012 F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten
ISBN 978-3-7766-8143-7
»Nicht Ruhe und Unterwürfigkeit gegenüber der Obrigkeit ist die erste Bürgerpflicht, sondern Kritik und ständige demokratische Wachsamkeit.«
(Otto Brenner, 1968)
Inhalt
Einleitung
Zum Inhalt des Buches
Die Schwierigkeiten, aufzuklären
1. Vorboten des deutschen Terrorismus
Ein dramatischer Kaufhausbrand in Brüssel
Die Schlacht am Tegeler Weg
Organisieren, Spalten, Neugründen: Horst Mahler und Dieter Kunzelmann
Dieter Kunzelmann
Horst Mahler
Das MfS genehmigt eine längere Reise in die ČSSR
Stasi-Interesse am Anwalt für Wirtschaftsrecht
Mahlers Rolle in der APO
Geheimdienstliche Einflussnahme über Peter Urbach
Die Geheimnisse um Ulrike Meinhof
Ulrike Meinhof und die SED
Die Baader-Befreiungsaktion
2. Das internationale Netz unter dem Dach von Stasi und KGB
Die große Tagung in Havanna 1966
Feltrinelli – Organisator des revolutionären Kampfes
Die Rolle Feltrinellis für die deutsche 68er-Militanz
Feltrinellis enge Bindung an Moskau
Die Roten Brigaden und die Rolle der Tschechoslowakei
Die Zusammenarbeit mit den Palästinensern
Verborgene frühe Kontakte zwischen Stasi-Offizieren, Palästinensern und Terroristen
Beginn der paramilitärischen Ausbildung
Woher die Waffen kamen
Internationaler Terrorismus
Die Treffen
Der Beginn der Anschläge
Die Legenden um Carlos und seine deutschen Mitarbeiter
Legende Nr. 1: Carlos war ein Terrorsöldner und vom Osten lediglich »geduldet«
Legende Nr. 2: Die Zusammenarbeit mit Deutschen war nur punktuell
Legende Nr. 3: Das Mitglied der Carlos-Gruppe Thomas Kram war nur ein kleines Rad im Getriebe
Fast unbekannt: Die Japanische Rote Armee
Die ersten Anschläge in den 1970er-Jahren
Spuren deutsch-japanischer Terrorismuskooperationen
Die Stasi-Akte »Operativer Vorgang Bert«
Die JRA-Führer in den operativen Finanzakten
Die Terrorismuszentren Paris und Zürich
Das Schweizer Netzwerk um Petra Krause
Paris – westeuropäisches Zentrum des internationalen Terrorismus
Die Hyperion-Schule
Die führenden Palästinenser und ihre Nähe zur Stasi
Ali Hassan Salameh – Feind der USA und Freund der CIA
Abu Daud – ständiger Ehrengast in Ostberlin
Abu Iyad – Geheimdienstchef der PLO
Abu Nidal – der Gefährlichste von allen
Der unbekannte Zaki Helou und Monika Haas
3. Die Terrorismus-»Aussteiger« und die sogenannte Dritte RAF-Generation
Die Legenden der Inge Viett
Der Erstkontakt mit der Stasi
Nebulöse Gründung der Bewegung 2. Juni
Entführungen und Gefängnisausbrüche
Neues zur Palmers-Entführung in Wien
Die Befreiung von Till Meyer
Die Legende vom Ausstieg aus dem Terrorismus
Operative Kassenbücher lügen nicht
Spuren zu Vietts Aufenthalten in der BRD
Zugriff der Stasi auf bundesdeutsche INPOL-Fahndungsdaten
Die Legenden um die anderen RAF-»Aussteiger«
Silke Maier-Witt, immer auf Achse
Susanne Albrecht
Henning Beer
Christine Dümlein und Werner Lotze
Sigrid Sternebeck und Ralf Baptist Friedrich
Monika Helbing und Ekkehard Frhr. von Seckendorff-Gudent
Die Nähe auch der Dritten RAF-Generation zur Stasi
Wolfgang Grams
Annelie Becker, Schwester der berühmteren Verena
Andere beachtenswerte Terroristen mit Legenden
Friederike Krabbe, Ehefrau von Abu Nidal
Ingeborg Barz, doch nicht umgekommen
Angela Luther, im Westen unauffindbar
Karin und Siegfried Mahn, Logistik im Hintergrund
Regina Nicolai, näher an der Stasi dran als angenommen
Till Meyer, mehr als ein Spitzel bei der TAZ
Susanne Mordhorst, eine unbekannte Größe
Gerhard Müller, Falschspieler
Ingrid (Ina) Siepmann, im Libanon tot, bei der Stasi lebendig
Hinter allem: Die AGM/S – Gladio auch im Osten
4. Rechtsterroristen an der Seite der Stasi
Die Legenden um Odfried Hepp
Terroristische Anschläge der Hepp-Kexel-Gruppe
Die neue Linie
In der DDR
Hepp und die Palästinenser
Hepp und der Anschlag auf das Oktoberfest 1980
Das Verhältnis Stasi–Hepp in den Finanzakten
Hepp, Kexel und die Kooperation mit der RAF
Hepp und die westdeutschen Geheimdienste
Rechtsextremist Peter Weinmann: als Dreifachagent in Südtirol
Die Südtirol-Frage
Die Verbindung Weinmanns zur Stasi und nach Südtirol
Weinmann und die Stasi-Finanzbücher
Nachtrag: Manipulation in den Akten
Udo Albrecht, Aribert Freder und Andreas Jost – Weitere Variationen der Zusammenarbeit
Einer der meistgesuchten Rechtsterroristen: Udo Albrecht
Aribert Freder gesteht Mord im Auftrag der Stasi
Journalist Andreas Jost – Unter Rechtsterroristen zu Hause
5. Warum Aufklärung nur bedingt erwünscht ist
Ein im Jahr 2010 deklassifiziertes Geheimdokument
Anhang
Ausgewählte Literatur
Bücher
Aufsätze, Artikel und Parlaments-/Justizakten
Lesetipp
Einleitung
Geheimdienstchef Markus Wolf sprach in der englischen Ausgabe seiner Biografie über die Kooperationen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, Stasi) in der DDR mit Terroristen sehr viel offener, als es heute vielen lieb zu sein scheint.[1] Er räumte dort unbekannt gebliebene Allianzen ein.
»Ende der 70er Jahre waren das Ministerium und meine Abteilung in eine Reihe von Allianzen mit Kräften verwickelt, die Terror als eine Taktik benutzten: die PLO, der frei tätige Venezolaner Ilich Ramirez Sanchez, (…), der als Carlos, der Schakal, bekannt war und die westdeutsche Terroristengruppe, die sich selbst Rote Armee Fraktion (RAF) nannte, aber auch als Baader-Meinhof-Bande bekannt war, nach ihren Führern Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Unser Enthusiasmus für solche Partnerschaften variierte von Fall zu Fall, weit mehr als ich je fähig gewesen wäre, dies damals zuzugeben.«[2]
Nicht, dass Wolf hier wirklich Klartext zur Rolle der Stasi im Terrorismus redet. Was er sagt, bleibt nebulös und gespickt mit Halbwahrheiten. Doch eine »Verwicklung« wird eingeräumt, allerdings erst ab »Ende der 70er Jahre«.
Die Rolle der Stasi im deutschen und internationalen Terrorismus ist bis heute nicht aufgeklärt. Das Wissen darum ist bruchstückhaft und es ist nicht damit zu rechnen, dass je vollkommene Klarheit hergestellt wird. Doch dokumentieren die hier vorliegenden Ergebnisse, insbesondere der erstmals gründlicheren Aktenrecherche zur Abteilung XXII (»Terrorabwehr«) des MfS,[3] dass es entgegen der Legende einer nur »gelegentlichen Hilfestellung« eine massive und dauerhafte Unterstützung und Steuerung des deutschen und internationalen Terrorismus und dies von Anfang an durch die Stasi gegeben haben muss.
Die Recherche hierzu ist nicht einfach. Schwierig ist sie vor allem, weil mit der Auflösung des MfS 1989/90 aus diesem Bereich viele und sicherlich die operativ entscheidenden Akten vernichtet wurden. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, das sich schon Mitte der 1960er-Jahre offenbarende Interesse am Terrorismus vonseiten des Ostblocks zu rekonstruieren. Trotz aller offiziellen propagandistischen Verurteilung des Terrorismus und trotz der von beiden Seiten Deutschlands ab Ende der 1960er-Jahre verfolgten »Entspannungspolitik« blieb es für den KGB und seine befreundeten Geheimdienste, vorneweg die Stasi, das Ziel, das Operationsgebiet BRD und den kapitalistischen Westen mithilfe des Terrorismus zu destabilisieren.
Das bestätigten schon die ersten, ungefilterten Aufdeckungen nach dem Ende der DDR: Die Stasi bildete Terroristen an Waffen aus, gab logistische Hilfestellungen und »duldete« vieles. Man entdeckte zehn Terroristen, die in der DDR für zehn bzw. acht Jahre untergebracht gewesen waren. Sie erklärten nach ihrer Verhaftung, mit ihrer Übersiedelung in die DDR dem Terrorismus abgeschworen zu haben und vor der Justiz »umfassend« als Kronzeugen aussagen zu wollen. Anreiz dafür war allerdings nicht, endlich reinen Tisch zu machen und aufzuklären. Anreiz bot allein die zugesagte Strafminderung.
Tatsache ist, die »umfassenden Geständnisse« haben zur Aufklärung so gut wie nichts beigetragen. Stutzig machte zudem, dass sich diese »Aussteiger« bei ihrer Entdeckung gegenüber ihren Führungsoffizieren äußerst beunruhigt über den Verbleib ihrer MfS-Akten zeigten. Erst als ihnen deren Vernichtung bestätigt und versichert worden war, dass mehr nicht getan werden könne, atmete man – so »Aussteigerin« Sigrid Sternebeck in einem Dokumentarfilm[4] – erleichtert auf. Nie hat jemand laut danach gefragt, was es denn eigentlich bei einem angeblich braven Leben in der DDR Beunruhigendes in den Akten hätte geben können. Dabei waren auch die verantwortlichen Stasi-Offiziere besorgt und fürchteten ihrerseits Inhaftierungen. Doch auch ihre Verurteilungen waren gering. Und alles verlief schließlich im Sande.
Politik, Justiz und Medien nehmen MfS-Akten aus der Abteilung XXII (Terrorabwehr) kaum zur Kenntnis. Erstaunlicherweise hat so gut wie keiner der Autoren, die umfangreiche Bücher zur Roten Armee Fraktion (RAF) veröffentlicht haben, MfS-Akten konsultiert, so als ob es sich nicht gezieme oder lohne, der ungeheuerlichen Involvierung von Geheimdiensten im Terrorismus nachzugehen.[5] Selbst die hierzu mit den wenigsten Vorbehalten belastete einschlägige Untersuchung, Das RAF-Phantom aus dem Jahr 1992, geht zwar von einem Mitmischen von Geheimdiensten aus, schaut aber selbst noch in seiner 2008 überarbeiteten Neuauflage lediglich in Richtung westlicher Geheimdienste.[6] Der Blick auf die andere Seite des Kalten Krieges bleibt hier unkritisch getrübt und der Glaube an SED-Propaganda ungebrochen. Dazu besteht unter der Mehrheit der orthodoxen Linken stillschweigende Einigkeit. Hinzu kommt, dass es in Deutschland an einem Politikverständnis mangelt, das offene und verdeckte Politik (»deep politics«) voneinander unterscheidet.
Vonseiten der Bundesregierung konnte man Mitte der 1990er-Jahre hören, dass es in den unaufgeklärten Anschlägen seit 1977 keinerlei Hinweise für andere Täter neben der RAF gäbe. Und die Leitung der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) gab die Linie aus: »Große Funde sind nicht mehr zu erwarten«. Es bleibt ein Rätsel, wie man sich dessen so sicher sein kann, ungeachtet der noch über 15 000 Säcke mit unbekannten, zerrissenen oder sogar geschredderten und deshalb sicher brisanten Akten, die seit 20 Jahren im Archiv auf ihr Zusammensetzen warten.[7] Die Botschaft ist klar: Weitere Aufklärung unerwünscht!
Das vorliegende Buch sucht dementgegen Aufklärung und hat sehr wohl »große Funde« aus den Akten zu bieten. Es versucht eine erste zusammenfassende Bilanz der seit den frühen 1990er-Jahren erfolgten punktuellen Aufdeckungen zur unheilvollen Allianz zwischen Stasi, KGB und Terroristen.[8] Dabei ordnet es die Geschehnisse vor allem in Deutschland in die Spannungswelt der Zeit des Kalten Krieges ein. Nicht zu vergessen ist, dass der Kalte Krieg aus zwei Seiten bestand: Allianzen mit Terroristen pflegten auch die CIA und ihre verbündeten Geheimdienste. Dem ist die Autorin ausführlich in ihrem Buch Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien nachgegangen. Da ist nichts überholt, aber die massive Rolle des Ostens im Terrorismus hinzuzufügen.
Zum Inhalt des Buches
Teil 1: Vorboten des deutschen Terrorismus
Ein neuer Blick auf einige frühe Ereignisse und die vier Großen der beginnenden Militanz des deutschen Terrorismus, Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Horst Mahler und Dieter Kunzelmann, legt Merkwürdigkeiten und Geheimnisse offen. Bei dem intensiven Interesse, das die Stasi an der Studentenbewegung und ihrer Militanz hatte, ist die Tatsache, dass kaum Akten zu ihnen herausgegeben werden, ein Indiz für ihre Bedeutung bei der Stasi bzw. den Geheimdiensten beider Seiten.
Teil 2: Das internationale Netz unter dem Dach von Stasi und KGB
Untersuchungen zu den Anfängen der Militanz und der Herausbildung des Terrorismus stellten bisher eher das nationale, kaum das internationale Geschehen dar, obwohl die Bomben ab 1969 in vielen Ländern der Welt hochgingen.
West und Ost reagierten auf Veränderungen in der internationalen Lage des Kalten Krieges bereits Mitte der 1960er-Jahre. KGB-Chef Andropov rüstete sich angesichts der neu ausgebrochenen Unruhen in der Welt für eine antikapitalistische Offensive und kurbelte paramilitärische Guerilla-Ausbildungen für geheime Kampfeinsätze an. Die ČSSR wurde das Hinterland für den italienischen Terrorismus, die DDR für den deutschen und internationalen.
Zentren der Militanz formierten sich mit dem Segen des KGB und der aktiven Förderung durch die Stasi und ihrer führenden Aktivisten: Giangiacomo Feltrinelli, Wadi Haddad, Carlos, Abu Daud, Abu Nidal und die Japaner Masao Adachi und Fusako Shigenobu.
Hier stößt man in Akten des MfS und anderer östlicher Geheimdienste auf erstaunlich viele Neuigkeiten. Zürich, Paris, Prag, Ostberlin und Mailand wurden in Europa zu den entscheidenden logistischen Orten.
Teil 3: Die Terrorismus-»Aussteiger« und die sogenannte Dritte RAF-Generation
Bei genauem Studium von Stasi-Akten finden sich gegen bestehende Legenden klare Spuren zu Destabilisierungstouren der zehn »Aussteiger« und Stasi-Verbindungen der Kämpfer der sogenannten Dritten RAF-Generation mit ihren strafrechtlich unaufgeklärten Anschlägen. Die einschlägig stets gut informierte CDU-nahe Welt wusste schon 1986: Inge Viett hält sich zu 95 Prozent im Ausland auf. MfS-Akten bestätigen ihr lebendiges Reiseleben.
Mag die Moral der Terroristen Ende der 1970er-Jahre durchaus, wie es heißt, darnieder gelegen haben, der Stasi gelang es, ihren Kampfgeist wieder neu zu beleben. Die vermeintlichen Sehnsüchte der zehn Terrorismus-»Aussteiger« nach einem ruhigen Kleinbürgerleben entlarven sich als zweckgerichtete Legenden. Der verdeckte Kalte Krieg vor allem gegen die feindliche Bundesrepublik und die USA trat Anfang der 1980er-Jahre mit regenerierten Kräften in eine neue Phase. Operative Finanzakten sprechen hier eine klare Sprache.
Teil 4: Rechtsterroristen an der Seite der Stasi
Der bekannteste rechtsterroristische Stasi-Agent Odfried Hepp war wie zahlreiche andere seiner Mitstreiter weder nur ein abzuschöpfender Informant oder kleiner Spitzel, der seine Leute aushorchte, noch brachte ihn die Stasi – wie es die Legende will – auf den guten Weg. Vielmehr reihte auch er sich nachweislich als Stasi-Agent aktiv in die operative Destabilisierungsfront ein.
Diese seinerzeit hochgeheime Nutzung von Rechtsterroristen durch die Stasi zeigt das doppelte Agieren des Ostens besonders deutlich: das offene, von der internationalen Diplomatie bestimmte, und das verdeckte, das aus dem Bedürfnis nach Macht und Stärke die Schwächung des Gegners trotz »Wandel durch Annäherung« im Visier behielt.
Die Schwierigkeiten, aufzuklären
Erstmals zeigte der 2010 begonnene Prozess gegen Verena Becker zur Feststellung ihrer Täterschaft beim Anschlag auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback, dass neben Italien auch in Deutschland Geheimdienste im Terrorismus eine massive Rolle gespielt hatten. Doch Aufklärung und Wahrheitsfindung sehen sich in diesem Bereich besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt. Wir haben es bei dem Thema mit geheimen Aktionen im Staatsauftrag zu tun und es gehört zu deren Natur, sie nicht oder nur sehr lückenhaft aufdecken zu können. Aktionen von Geheimdiensten sind geheim und sollen geheim bleiben. Warum der West-Staat allerdings auch die Aufdeckung der Geheimnisse des nicht mehr existierenden Ost-Staates abblockt, dürfte eine Herausforderung für weitere aufklärende Recherchen sein. Der Frage kann hier nur am Rande nachgegangen werden.
Geheimdienstlich gedeckte Terroristen, oft agierten sie als Doppelagenten, schweigen. Sie folgen der Geheimhaltungslinie und stehen als Quelle nicht zur Verfügung. Auch Staatsanwaltschaften haben in Deutschland zur Wahrheitsfindung nur punktuell beigetragen. Sie sind gegenüber ihren Vorgesetzten bis hin zum Justizminister weisungsgebunden und gehalten, nicht aufzuklären, wo es der Politik nicht gefällt.
Die umfangreichen Aufdeckungen von Justiz und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in Italien bieten für den, der auch bei uns mehr Aufklärung sucht, hilfreiche Impulse. Für den, der an Aufklärung nicht interessiert ist, sind sie eher bedrohlich. In Italien sind Ermittlungen von Staatsanwaltschaften und Parlamentsausschüssen nicht weisungsgebunden und können mithin eine stärkere Kontrollfunktion gegenüber der Politik wahrnehmen und deren Schattenseiten beleuchten.[9]
Die Antwort auf die Frage, warum gerade Italien und die Bundesrepublik besonders heftig von terroristischen Anschlägen heimgesucht waren, ist in ihrer Rolle als Frontstaaten innerhalb der beiden Blöcke im Kalten Krieg zu suchen. Der eine hatte den Feind, die DDR, geostrategisch gleich nebenan, der andere mit der in der westlichen Hemisphäre einmalig starken kommunistischen Partei mitten im Land selbst.
Vor dem Mailänder Gericht bestätigte der Vize-Chef des italienischen militärischen Geheimdienstes SISMI, Gianadelio Maletti, im Jahr 2001 auf Befragen des Staatsanwaltes, dass die Geheimdienste in der »Strategie der Spannung« sich des Mittels der Agents provocateurs bedienten, um über sie Terrorakte verüben zu lassen. Er räumte sogar ein, dass Deutschland – speziell für die amerikanische Sicherheitspolitik – noch bedeutender gewesen war als Italien.
Wer die historisch seltene Möglichkeit nutzt, Akten eines Geheimdienstes als Primärquelle zur Verfügung zu haben, muss sich einiger Besonderheiten dieses Materials bewusst sein. Das Archiv weist zweierlei Grundarten von Akten auf: Zum einen ist es das »Aufklärung« genannte Beschaffen von Informationen über die außen-, innen- und sicherheitspolitische Lage. Ein Geheimdienst will genau Bescheid wissen, bevor er bzw. die Politik handelt, weshalb in der Regel von einer korrekten, unverblendeten Informationssammlung auszugehen ist. Die ausgegebenen Akten zur Stasi-Abteilung Terrorismus stammen vorrangig aus diesem Bereich.
Seltener finden sich in dem, was vorgelegt wird, Akten zu operativen Einsätzen und direkter, geheimpolizeilicher Einflussnahme, im Stasijargon »aktive Maßnahmen«. Handlungsziel ist es, dem Gegner zu schaden, zum Beispiel auf dem Gebiet von Wirtschaft und Politik. Finden wir heute wenig bis nichts, darf nicht geschlossen werden, vermutete operative Einsätze hätten nicht stattgefunden, »die Stasi« hätte davon nichts gewusst oder wäre nicht aktiv dabei gewesen. Bekanntermaßen wurden 1989/90 sehr viele Akten vernichtet. Schon deshalb können einige Fragen mit den Akten nicht beantwortet werden.
Doch die Stasi-Offiziere haben die Aktenflut nur begrenzt vernichten können. Die heutige reduzierte Aktenlage sehen kundige, speziell amerikanische Stasi-Forscher auch darin begründet, dass vieles in »Giftschränken« dauerhaft unter Verschluss gestellt wurde, darunter zehn Prozent des HVA-Bestandes.[10] Im Fachjargon heißt das »Geheimschutzunterlagen in gesonderter Verwahrung«. Der Amerikaner John C. Schmeidel spricht von rund 450 Metern solcher Akten.[11]
Der Aufklärung suchende Forscher – und die Öffentlichkeit – weiß in der Regel nichts von diesen verschlossenen Aktenmengen. Darüber hinaus werden aber auch die von der Behörde durchnummerierten Akten zum Terrorismus im Lesesaal reduziert herausgegeben. Wohl müssen Opfer der Stasi, im Fachjargon »Betroffene«, durch das Persönlichkeitsrecht geschützt und Daten über sie durch Schwärzung anonymisiert werden. Doch ohne dass uns das mitgeteilt wird, schützen Seitenlücken und unkenntlich gemachte Textteile auch die geheimen Dinge des Westens.
Die Stasi hatte natürlich auf ihren Spionagewegen Aktenberge zu Geheimnissen der BRD und zu ihren Geheimdiensten gesammelt. Der Politik heute kann es kaum recht sein, wenn diese auf dem Umweg der MfS-Akten publik würden. Das konnten wir schon vor Jahren im Fall von Altbundeskanzler Helmut Kohl begreifen.
Aufklärung Suchende erfahren schließlich noch weitere Schwierigkeiten: Wo Geheimdienste wirken, wirkt Konspiration und Desinformation. Dafür wird die Stasi allerorts gerühmt. Nicht nur die Öffentlichkeit wurde irregeführt, auch vor eingeschleusten, unerkannten Spionen des Gegners musste man auf der Hut sein und Klartext gegebenenfalls vermeiden.
In den gesichteten Akten stößt man jedoch deutlich auch auf nach 1989 eingearbeitete Desinformationen und Manipulationen. Ihr Ziel war ganz offensichtlich, in Gerichtsprozessen der 1990er-Jahre die Rolle der angeklagten Agenten für die Stasi zu minimieren und damit Strafminderung zu erwirken. Schon 2007 wurde in dem »Gutachten über die Beschäftigung ehemaliger MfS-Angehöriger bei der BStU« über derartige Akteneingriffe gemutmaßt.[12] Wenn die Behörde mit Manipulationen oder einem Zurückhalten von Akten über Schuld und Unschuld von Stasitätern vorentscheidet, so werden damit sicherlich nicht gerade rechtsstaatliche Prinzipien verfolgt.[13]
All diese Beschränkungen bewirken, dass Schlussfolgerungen oft relativ bleiben müssen. Zum Beispiel ist Inge Viett nachweislich nur für die 1980er-Jahre Stasi-Agentin gewesen. Für die Zeit davor ist es wahrscheinlich, aber mit den (gesäuberten) Akten nicht zu belegen.
Doch wer wittert, kann fündig werden. Wie es ein Ermittler der Justiz mit seinen Indizien zu aufzuklärenden Delikten und in Verdacht geratenen Delinquenten zu tun pflegt, so muss auch der Forscher, der sich mit illegalen Begebenheiten in der Zeitgeschichte beschäftigt, Thesen zu möglichen Bedeutungszusammenhängen seiner Indizien aufstellen. Es gilt, diejenigen Möglichkeiten für die Lösung eines ungeklärten Falles zu sondieren, die wahrscheinlicher sind als andere, um sich darüber der Wahrheit zu nähern. Doch was Juristen als eine seriöse und wissenschaftliche Methode der logischen Ableitung praktizieren, wird bei Journalisten in diesem Bereich gesellschaftlicher Grauzonen gerne diskreditiert. Wer Aufklärung verhindern will, versucht Mutmaßungen, Thesenbildungen und Wahrscheinlichkeitsaufstellungen gerne als »unseriös«, »spekulativ« oder »verschwörungstheoretisch« herabzusetzen.
Die vorliegenden Recherchen stützen sich vor allem auf Akten aus der Stasi-Unterlagen-Behörde, aber auch auf Prozessakten von Staatsarchiven, auf Ergebnisse nationaler und internationaler Forschung zum Thema Geheimdienste, Kalter Krieg und Terrorismus, auf Ermittlungen von Untersuchungsrichtern und Staatsanwälten und ergiebige italienische parlamentarische Untersuchungsausschüsse wie auf schriftliche oder mündliche Zeugnisse von Zeitzeugen. Selbst die Autobiografien der vormals terroristischen Täter mit ihren weniger aufklärenden als verklärenden und zweckgerichteten Legendenbildungen sind eine nicht unergiebige Quelle, wenn man auf das achtet, worüber geschwiegen wird.
Rund 60 000 Aktenblätter zur Arbeit der MfS-Abteilung XXII (zur »Terrorabwehr«) wurden für die vorliegende Arbeit durchgesehen. Das ist ein Anfang. Es gibt noch viel zu tun.
Anmerkung aus rechtlichen Gründen
Es ist vorgekommen, dass beim MfS als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) geführte Personen vor Gericht erfolgreich – z. B. mit einer eidesstattlichen Erklärung – darlegen konnten, von einer derartigen Vereinnahmung nichts gewusst zu haben. Fortan durften sie öffentlich nicht mehr als IM bezeichnet werden. Aus diesem Grunde wird ausdrücklich betont, dass in diesem Buch genannte IM-Registrierungen nur mit Bezug auf die Aktenlage festgehalten werden. Es kann also juristisch gesehen ohne eine auffindbare, unterschriebene Verpflichtungserklärung offensichtlich nichts darüber gesagt werden, ob diese Personen tatsächlich IM waren. Bei Personen, zu denen nur sehr eingeschränkt Akten herausgegeben werden, stützen Indizien eine vermutete Nähe zum Geheimdienst der DDR. Daraus darf nicht eindeutig gefolgert werden, dass sie IM waren. Eine Mitarbeit mit dem Geheimdienst der DDR war – auch dies konnten Verdächtigte vor Gericht darlegen – auf vielfältige Weise möglich.
Danksagung
Für wertvolle Ratschläge und Hilfe danke ich den Wissenschaftlern Michael Ploetz, Jochen Staadt und Roberto Bartali, den Zeitgenossen des Terror-Geschehens Bommi Baumann und Bernd Rabehl, den Freunden Ulrike Besel, Uwe Kulgemeyer, Wilhelm Girardet und meinem Sohn Tommy. Der Redaktion der 3Sat-Kulturzeit danke ich dafür, die gründliche Akteneinsicht bei der Behörde für Stasiunterlagen unterstützt zu haben. Auch möchte ich meinem Sachbearbeiter in der Stasi-Unterlagen-Behörde danken, ist er meiner tendenziellen Überforderung bei der Aktenfülle doch überwiegend mit Nachsicht begegnet.
Anmerkungen
Alle bei der Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) gelagerten Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aus der Hauptabteilung XXII (Terrorabwehr) sind in den Anmerkungen immer nur als »Akte« gekennzeichnet.
[1] S. Regine Igel, Von heimlichen und unheimlichen Kooperationen, Telepolis 01.02.2010. Auf die Unterschiede der Versionen stieß die Autorin über die italienische Ausgabe der Wolf-Autobiografie. Im Verlag der dt. Ausgabe vermag man das Warum der unterschiedlichen Versionen nicht mehr zu rekonstruieren.
[2] Markus Wolf, Man without a face, New York 1997, S. 268 (wie bei anderen hier zitierten italienisch- oder englischsprachigen Texten: eigene Übersetzung)
[3] Noch gründlicher war sicher der BStU-Haushistoriker T. Wunschik, dessen Ergebnisse allerdings nur selektiv veröffentlicht werden. Auch der Auslandsgeheimdienst HVA beschäftigte sich mit dem Terrorismus. Da wurde 1989/90 offensichtlich noch mehr vernichtet als bei der XXII.
[4] Deutschland und die RAF 4/5 – Fluchtpunkt DDR 3/3, s. youtube
[5] Aust, Koenen, Peters, Winkler, Wunschik u. a. Auch die zwei Bände mit über 1400 Seiten: »Die RAF und der linke Terrorismus« (Hrsg. W. Kraushaar) nutzten kaum MfS-Akten. Anders Wolfgang Kraushaar seit 2007
[6] G. Wisnewski, W. Landgraeber, E. Sieker, Das RAF-Phantom, München 1992, überarbeitet 2008. Dies war lange das wichtigste Buch, das die Ungereimtheiten der offiziellen Darstellungen des Terrorismus herausstellte. Doch es bleibt in seiner Sicht zu einseitig auf den Westen fixiert.
[7] Der Meinung waren auch die beiden ehemaligen Mitarbeiter des DDR-Auslandsgeheimdienstes HVA Peter Richter und Klaus Rösler, Wolfs West-Spione. Ein Insider-Report, Berlin 1992, S. 155.
[8] Ein guter Anfang, aber ohne Bezug auf die Akten war: Andreas Kanonenberg/Michael Müller, Die RAF-Stasi-Connection, Berlin 1991
[9] Regine Igel, Kein Maulkorb für den Staatsanwalt. Vom Nutzen italienischer Verhältnisse in der Justiz, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2003
[10] S. Christian Booß/BStU, Akten zur MfS-Westarbeit; Überblick über die Bestände zur Westarbeit des MfS in den Archiven der BStU, 20. Mai 2010
[11] John C. Schmeidel, Stasi. Shield and Sword of the Party, Abingdon 2008, S. 152
[12] Die Professoren Dr. Hans H. Klein und Dr. Klaus Schroeder warfen der BStU »mehr als nur nachlässigen Umgang mit der Wahrheit« vor. S. dazu auch Toralf Staudt, Selbstherrlich und autoritär, in: ZEIT 21.06.2007
[13] Joachim Lampe, Die strafrechtliche Aufarbeitung der MfS-Westarbeit, in: G. Herbstritt, H. Müller-Enbergs (Hrsg.), Das Gesicht dem Westen zu. DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland, Bremen 2003