Originalausgabe. Copyright © 2012-2013 by Werner Kristkeitz Verlag, Heidelberg. Alle Rechte für sämtliche Medien und jede Art der Verbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder sonstigen, auch auszugsweisen, Verwertung bleiben vorbehalten.
ISBN 978-3-932337-93-2
ISBN gebundenes Buch: 978-3-932337-53-6
www.kristkeitz.de
Danksagung
Vorwort
Die neue Lehre
Die Reise durch die Zeit
Zurück ins Land der Frauen
Verfall der Geistessäulen
Yi Hon und Yi Wen
Asamoto trifft die Frauen
Auf der Suche nach Chao Chou
Der ewige Tempel
Die letzte große Reise
Die Pest-Gefahr
Der Pest entkommen
Zurück zum Frauenland
Die Geschichte der Zeit
Fit fürs hohe Alter
Bong Dois letzte Jahre
Die Reise eines neuen Linienhalters beginnt
Beim Astrologen Xuntsi
Der Weg nach Tibet
Zufall in der Zeit
Asamoto plant seine Zukunft
Meditieren am Kailash
Sa-Dong
Asamoto erlangt den Gipfel
Sa-Dong wieder
Ewige Spuren
Pracht des Dschungels
Ein anderer Weg
Wie erkennt man einen Linienhalter?
Anweisungen eines Astrologen
Der innere Halt
Asamoto kehrt zurück
Chao Chous Überprüfung
Bao ist auch zurück
Treffen mit dem Kaiser
Auf dem Weg zum Emeishan
Der Gute Shen von Emeishan
Der zerstörte Tempel
Asamoto ist allein
Bei Chao Chou
Felsentempel am Yangtse
Letzte Meditation von Asamoto
Über den Autor
Das vorliegende Buch ist der zweite Teil einer Reihe über die 1.200-jährige Geschichte der Individuellen Meditation.
Zum Schreiben dieser Geschichte wurde ich von meinem Meister Dhaly Charma angespornt und ich habe mich ihm gegenüber verpflichtet sie zu verfassen und aufzuschreiben. Deshalb gehört mein großer Dank zuallererst meinem Meister Dhaly Charma.
Für die Vorbereitung und selbstlose Hilfe beim Schreiben dieses Werkes bin ich tief dankbar meinem Freund Erwin Schütz.
Zu Dank fühle ich mich auch dem Verleger gegenüber verpflichtet, der sich bereit erklärt hat die Manuskripte zu überarbeiten und durch dieses Buch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Für die konstruktive Rückmeldungen und der Beteiligung an den Korrekturen bin ich meiner Freundin Doris Bever und meinem Schüler Kai Mielke dankbar.
Die tiefste Dankbarkeit empfinde ich für meine Meditationsschüler, die mich auf meinem Weg seit 20 Jahren unterstützen und mit großer Hoffnung erwartet haben, dass eines Tages die Geschichte der Lehre niedergeschrieben und veröffentlicht wird. Ohne ihre Unterstützung wäre es mir nicht gelungen, diese lange Geschichte niederzuschreiben.
Juen Xian
Stuttgart, im Sommer 2012
Der Buchtitel Der Glänzende Geist ist von Lili Yuan, einer Meisterin der Kalligraphie geschrieben worden. Lili Yuan wurde in Shanghai geboren und hatte mehrere Ausstellungen ihrer Kunst in China und in Deutschland.
Der Titel Der Glänzende Geist beschreibt den Zustand des Geistes, den der Schüler auf dem Weg seiner meditativen Entwicklung erreichen kann. Zunächst wird der Übende sich der verschiedenen Geisteszustände bewusst und lernt die Stufen der Entwicklung kennen, und er meistert sie. Wenn sich dann mit dem Voranschreiten der Klare Geist auf dem Weg einstellt, erkennt man die gestiegene Leistungsmöglichkeit seines Geistes, die Schnelligkeit und Klarheit, mit der man zu denken vermag. Weiteres Üben bringt den Schüler auf den Weg zum reinen Geist und irgendwann wird sich der Reine Geist öffnen. Wenn man sich befähigt das Nichts wahrzunehmen und nicht mehr dem Drang des Geistes nachgibt, sich immer mit etwas zu beschäftigen, beginnt man eine neue Phase des Lebens. Es ist allerdings eher unnatürlich, denn der Geist will immer etwas konsumieren, die Sinne reagieren auf das Vorhandensein der Dinge und nicht auf das Nichtvorhandensein. Die Stille überrascht uns. Erst wenn der Geist aufhört nach Objekten und Nichtobjekten zu suchen, erst dann befindet er sich auf dem Weg zum Glänzenden Geist. Wenn wir Etwas und Nichts als das Gleiche betrachten, dann ist das der Glänzende Geist, erst dann ist die ganze Realität im Geist enthalten, und er glänzt.
Wie sich der Geist stufenweise dem Schüler öffnet, so ist auch dieses Buch in mehreren Stufen entstanden. Schon im Jahr 2007 hielt Juen Xian einen ausführlichen Vortrag über das Leben von Asamoto im Rahmen eines Retreats. Der Schüler von Wu Jia beginnt schon als Kind mit seiner Ausbildung, und im vorliegenden Buch wird man seine Meisterschaft und sein Bardo mit ihm erleben.
Die Übersetzung der Schriftzeichen (cong xuesheng dao shifu de huacheng) verdeutlicht die Entwicklung von Asamoto und die Bedeutung des Textes ist: ‹Der Wandel vom Schüler zum Meister›. Der Untertitel wurde so zur nebenstehenden Kalligrafie für den Umschlag des Buches.
Der historische Hintergrund, in dem diese Ereignisse stattfinden, wird an verschiedenen Eckdaten zu überprüfen sein. Geschichtlich relevante Fakten werden an manchen Vorfällen oder geschilderten Situationen deutlich, lediglich die Jahreszahlen können nur bis auf etwa zehn Jahre genau aus der Tradition der Linie und der Überlieferung der Geschichte verglichen werden.
Was auch immer einen dazu bewegt, dieses Buch zu lesen, man wird irgendwann erkennen, dass man nur sein eigenes Leben lebt, und man bringt immer nur zum Ausdruck, wie weit das eigene Bewusstsein entwickelt ist. Es gibt gute Gründe, warum sich jemand mit seiner geistigen Entwicklung beschäftigt: Jemand möchte noch besser leben, etwas noch besser verstehen als bisher, oder man hat erkannt, dass man nicht frei ist und möchte frei werden. Der wichtigste Grund ist, wie man von diesem Ufer über den Fluss auf die andere Seite des Stromes kommen kann, um die Frage zu beantworten, ob es diese torlose Schranke gibt, die Suche nach der Wahrheit, der anderen Wirklichkeit, oder der anderen Realität. Als vierter Punkt ist zu erwähnen, dass diejenigen, die den Weg schon zurückgelegt haben und anderen zeigen wollen, wie es möglich ist die Stufen zu durchlaufen – selbst lernen wollen, das Erlebte zu vermitteln und Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, aber das sind die wenigsten.
In diesem Buch werden alle Stufen erwähnt und die praktischen Umsetzungen anhand der Erlebnisse des dritten Meisters in der Linie der Individuellen Meditationstradition erläutert. Das Buch liest sich wie ein Sutra im Buddhismus, allerdings viel konkreter, viel alltagstauglicher, auch wenn es sich schon vor über tausend Jahren ereignet hat. Man kann tiefe Einsichten über den eigenen Weg zum ‹Glänzenden Geist› bekommen. Deshalb sei allen Lesern eine offene, achtsame Einstellung beim Lesen mit auf den Weg gegeben.
Erlangen, im Sommer 2012
Erwin Schütz
Einführung und kurze Zusammenfassung des ersten Buches zum zweiten Teil der Reihe Der Glänzende Geist
Im Jahr 810 hat ein Mönch in Tibet seine kritischen Überlegungen und Anmerkungen bezüglich des Buddhismus geäußert. Daraufhin wurde er aus dem Kloster ausgeschlossen. Seit dieser Zeit fing er an, seinen Namen nach dieser Begebenheit zu tragen, nämlich Ohne Heim, oder mit gleicher Bedeutung, aber bekannter, als Wu Jia. Er begann eine lange Wanderung zu verschiedenen Pilgerstätten, bis er schließlich im Shaolinkloster angekommen war. Dort verbrachte er eine Zeit mit dem Ausreifen des Geistes und mit der Suche nach Lösungen für die Aufgaben, die der dortige Abt ihm stellte.
In seinem sechsten Jahr des Aufenthaltes im Shaolinkloster wurde ihm ein Junge übergeben mit der Mitteilung, dass entweder er in dem Jungen etwas Inspirierendes findet und dieser sein Begleiter wird, oder dass er für immer allein sein wird.
Aus dieser Begegnung und dem eher eigenartig anmutenden Dialog mit dem Jungen wurde der erste Schüler eines neuen Meisters Wu Jia, und daraus entstand eine neue Meditationslinie, die bis heute fortbesteht.
Der Junge mit dem Namen Asamoto lernte zusammen mit seinem Meister und von seinem Meister. Gemeinsam begaben sie sich auf eine Wanderung nach Tibet. Dort verbrachte der Meister eine für ihn und seine Geistesreife entscheidende Zeit am Berg Kailash. Auf dem Rückweg nach China unterbrachen sie ihre Reise in einem Kloster in Lhasa. Der dortige Hauptmönch, Bong Doi, fand tiefe Inspiration durch den Meister. Daraufhin verließ Bong Doi das Kloster, für das er mitverantwortlich war, um den Meister Wu Jia auf den weiteren Reisen zu begleiten.
Jetzt waren sie zu dritt und verbrachten lange Zeit auf gemeinsamen Reisen. Dabei entwickelte sich Bong Doi zu einem zweiten Meister neben Wu Jia, in manchen Dingen fing er sogar an, diesen komplett nachzuahmen, wobei das nicht als eine versuchte Kopie zu bewerten war, sondern eher als ein echtes Abbild von Wu Jia. Somit hatte Asamoto zwei Meister und konnte von beiden unterrichtet werden.
Wu Jia und Bong Doi lernten auf ihren Wanderungen auch Chao Chou kennen. Dieser wollte zunächst von ihnen nur die Kunst des Heilens erlernen, auf seinen Wunsch hin begannen sie, ihm den Hintergrund der neuen Lehre zu vermitteln.
Als sich die Meister auf einer erneuten Reise nach Lhasa begaben, wurden sie von einer Gruppe Mönche begleitet. Unterwegs bemerkte Wu Jia eine körperliche Schwäche bei sich und er blieb am Rand der Wüste Gobi mit Asamoto zurück und praktizierte sein Bardo.
Asamoto ging nach dem Tod Wu Jias allein weiter, bis er die Gruppe der Reisenden einholte. Gemeinsam gingen sie weiter nach Lhasa und zum Kailash. Auch Bong Doi verbrachte einige Zeit allein am Berg. In Lhasa trafen sich alle wieder und machten sich in der Gruppe wieder auf den Rückweg nach China.
In China trennte sich die Gruppe von Bong Doi und Asamoto. Diese gingen weiter und besuchten ein Kloster am Emeishan. Von dort aus wanderten sie nach einiger Zeit weiter nach Luoyang und trafen sich mit dem Astrologen des Kaiserhofes. Dieser Astrologe hatte die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, und konnte auf Bitten der beiden Meister den Fortbestand der Lehre erforschen.
Bei diesem Besuch entdeckte auch Asamoto seine Fähigkeit, die Zeit zu beherrschen.
Bong Doi und Asamoto hielten sich für zwei Wochen in einem Kloster auf. Wann immer Meditationen stattfanden, nahmen sie daran teil, und Bong Doi unterhielt sich ab und an mit dem Meister des Klosters. Asamoto verbrachte viel Zeit in der riesigen Küche und half gelegentlich dort mit, meist beobachtete er jedoch nur die Mönche.
Kurz vor ihrer Abreise ging Asamoto zu der Kreuzung mit neun Wegen, von welchen er nur sechs gefunden hatte, und Bong Doi behauptete, es gäbe neun. Offensichtlich beschäftigte ihn dieses Rätsel. Er verbrachte den ganzen Tag an einer Kreuzung und erkannte, dass es dort tatsächlich von Menschen wimmelte. Sie kamen immer in großen Gruppen, und er begriff, dass er sich auf einer Karawanenstraße befand. Am Spätnachmittag kehrte er ins Kloster zurück, sagte kein einziges Wort und sah noch nachdenklicher aus als zuvor.
Zwei Tage später verließen sie das Kloster. Bong Doi fühlte sich trotz seines Alters gut erholt und so kamen sie in wenigen Tagen in Luoyang an, um dort Shu-Gyan, einen Astrologen des kaiserlichen Hofes, aufzusuchen.
Während eines Gesprächs befähigte der Astrologe Asamoto, eine spezielle Fähigkeit zu aktivieren, die er bei ihm erkannt hatte. Diese Fähigkeit ermöglichte es Asamoto, in die unmittelbar bevorstehende Zukunft zu sehen und somit Ausflüge in die unvermeidliche Zukunft zu unternehmen. Dabei erkannte Asamoto, dass bereits dieses Tun und das Wissen um die Ereignisse der Zukunft Auswirkungen auf die Selbige hatten, selbst wenn diese Ereignisse ihn gar nicht persönlich betrafen.
Er fühlte sich als jemand, der die Zukunft bestimmen könne, und hatte das Bedürfnis, anderen zu helfen, wenn er etwas Nachteiliges gesehen hatte. Er konnte das Vorhergesehene aber nicht verändern, zumindest nicht für sich selbst, da er sich noch immer als jemand betrachtete, der als Einzelperson existierte.
Er hatte noch nicht gänzlich verstanden, dass er für alle Zeiten als Einzelperson existieren würde, solange er sich der eigenen Existenz bewusst war. Das ist einer der Unterschiede zwischen dem Buddhismus und der Neuen Lehre.
Als seine Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, aktiviert wurde und er diesen Weg endgültig für sich erkannt hatte, begriff er, was er an der Kreuzung verpasst hatte. Das Wort «Weg» hatte ihn allein auf die materiellen Straßen hingewiesen, nicht jedoch darauf, dass es auch noch andere Wege gab. Einen Weg nach innen, einen Weg nach außen und einen Weg, den er gemeinsam mit Bong Doi zurücklegte. Plötzlich erkannte Asamoto, dass es auch noch einen Weg gab, der gerade entstand, den Weg der Individuellen Meditation, den nicht nur er, sondern viele zusammen gehen und bauen konnten. So kam er zu dem Schluss, dass er doch nicht alle Wege verstanden hatte, da er plötzlich mehr als neun sah. Insgesamt waren es sechs materielle und vier geistige Wege.
Bei den Gesprächen mit Shu-Gyan erfuhr Asamoto nicht nur, dass Chao Chou der nächste Linienhalter sein würde, von dem wiederum Schneegipfel die Lehre übernehmen sollte, sondern auch, welcher Astrologe bei der Suche nach den nächsten Linienhaltern behilflich sein könnte. Asamoto könnte den fünften und sechsten Linienhalter zwar selbst erkennen, sofern diese bereits existierten, aber wenn nicht, könnten sich Chao Chou und Schneegipfel an den von Shu-Gyan vorgeschlagenen Astrologen wenden. Die bisherige Linie ging von Wu Jia als Begründer über Bong Doi, Asamoto und Chao Chou bis zu Schneegipfel.
Bong Doi bemerkte im Gespräch: «Die Reihenfolge der Meister ist kein Zufall. Der erste Meister Wu Jia war der Frühling für die Lehre, ich bin der Sommer, du, Asamoto, erntest die Früchte, Chao Chou speichert sie und Schneegipfel ermöglicht der Lehre, eine düstere Zeit zu überstehen, damit schließlich wieder einer kommt, der sie dann zum Aufblühen bringt. Die ersten fünf Meister sind der erste Kreis, wann der nächste kommen wird, können wir noch nicht wissen, es liegt viel zu weit in der Zukunft.»
Der Astrologe bestätigte diese Aussage und Asamoto beschloss, darüber zu meditieren, um zu erfahren, ob er den zukünftigen Weg der Lehre erkennen könne. Er zog sich in der folgenden Nacht zurück, und anstatt zu schlafen, versenkte er sich, um seine Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, zu aktivieren. Seine vom Astrologen vorgegebene Vorgehensweise bestand darin, sich vorzustellen, eine Fackel zu sein, eine Fackel auf Beinen, die von selbst durch die Zeit getragen wird. Asamoto wusste jedoch nicht automatisch, was er beleuchtete, die Gegenwart, die Zukunft oder die Vergangenheit, weil alles so wie in einem Raum verteilt aussah. Er wusste nicht, was gerade geschah und in welchem Zusammenhang das Geschehene zu dem, was noch geschehen wird, stand. Er sah Ereignisse verteilt im Universum wie Sterne. Wenn er sich einem Ereignis näherte, war es zunächst ganz trüb, bis die Abläufe immer deutlicher wurden. Es waren Inseln im Universum seines persönlichen Raums, zusammenhanglose Ereignisse ohne Anfang und ohne Ende. Er empfand es als eine interessante Aufgabe, die Ereignisse in seinem persönlichen Raum zu besuchen und eine Zeitordnung zwischen den Ereignissen herzustellen.
Während der ersten Nacht suchte er erfolglos nach etwas, was er in einen Zusammenhang mit seinen Erinnerungen bringen konnte. Daher traute er sich auch nicht, die erfahrenen Ereignisse zeitlich in die Vergangenheit oder die Zukunft einzuordnen. Was er mit seiner Fähigkeit anfangen sollte, wusste er zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht.
Nach einer weiteren Übernachtung beim Astrologen setzte Asamoto seine Forschungen am nächsten Tag fort. Er meditierte wieder eine Weile, besuchte sowohl neue Ereignisse als auch Ereignisse der letzten Nacht und erkannte erneut keinen Zusammenhang. Auf diese Art verging eine Woche, während der sich Bong Doi mit dem Astrologen austauschte und wie seit Jahrzehnten auch seine körperlichen Übungen praktizierte.
Nach einer Woche gelang es Asamoto, drei Ereignisse miteinander zu verknüpfen, um festzustellen, dass zwei davon bereits geschehen waren und sich das dritte Ereignis aus einer Reihe von Geschehnissen unvermeidlich ergeben würde. Er sah Bong Doi auf seinem letzten Weg, der ihn zu den Mönchen führen würde, die sich verzweifelt in dem Versuch übten, ein Bauwerk zu errichten und dabei mit ihren Gedanken ständig bei Bong Doi waren. Asamoto war sich bewusst, dass Bong Doi eine innere Zerrissenheit verspürte, da er zwischen den Möglichkeiten, den Weg mit Asamoto zu beenden oder zu den Mönchen zurückzukehren, schwankte.
In den nächsten Tagen hatte Asamoto seine Fähigkeit, über die Zukunft und die Vergangenheit etwas zu erfahren, weiter vervollständigt. Im Lauf der Woche seines Meditierens hatte er doch erkannt, dass man die Ereignisse, die in der Vergangenheit passiert sind und die in der Zukunft passieren werden, unterscheiden kann.
Man kann sie unterscheiden, weil die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse in der Vergangenheit schon festgelegt ist und die in der Zukunft zum Teil noch nicht, da sie teilweise durch den Zufall, teilweise durch andere Wirkungsfaktoren und zum Teil durch vorausbestimmte Naturereignisse bestimmt sind; deshalb war es für ihn viel schwieriger, die Ereignisse in der Zukunft zu sehen.
Eine Sache erkannte er: Er hatte gesehen, dass Bong Doi noch lange leben würde, er hatte das Ende des Lebens von Bong Doi gesehen, er wusste, dass das nicht etwas sein konnte, was schon passiert war, da Bong Doi noch lebte. Mit seinen damaligen Annahmen hat er sich aber getäuscht, die Ereignisse die danach gekommen sind, haben seine Vorstellung von der Zukunft und von der Vergangenheit verändert.
Bong Doi hatte Asamoto gesagt, dass er eine Unruhe verspürte, wenn er an die Mönche dachte, die bei den Frauen waren, und dass er wusste, dass, wenn sie sich dort niedergelassen hätten, sie dann jemanden gebraucht hätten, der ein Meditationszentrum bauen könnte. Sie brauchten auch jemanden, der das Leben dort so gut organisieren könnte, dass sie anfangen könnten, die Lehre den Frauen zur Verfügung zu stellen und sich mit der Lehre in das Leben der Frauen zu integrieren.
Er hatte mit Asamoto ausgemacht, dass sie sich dort treffen würden, wo sich die Texte von Wu Jia und Bong Doi befanden: in der Bibliothek in der Nähe von Wei Sheng.
Sie wollten sich in einem Jahr dort treffen.
Ein Jahr, hatte Bong Doi gedacht, sei genug für ihn, um von Luoyang aus dem Südwesten Chinas zurückzukehren und den Mönchen zu helfen, das Zentrum zu bauen und das Leben dort zu organisieren.
So machte er sich auf den Weg und ging zügig von Luoyang in den Landesteil, in dem die Frauen lebten. Er brauchte insgesamt nur drei Monate, um dorthin zu kommen, weil er schnell die Straße zwischen dem Diamantenberg und dem Frauenstaat gefunden hatte.
Als er angekommen war, stellten die Mönche fest, dass er sich kaum verändert hatte, wahrscheinlich weil sich alte Leute nicht mehr so stark verändern. Bong Doi war schon über 80 Jahre alt. Trotzdem konnte er sich schnell fortbewegen, und so machte er sich zu allererst einen Eindruck von den Mönchen. Was er vorfand, gefiel ihm nicht.
Die Männer würden dieses Leben für kein anderes eingetauscht haben. Sie hatten keine Rechte, aber auch keine Pflichten. Sie mussten sich über die Zukunft keine Gedanken machen. So hatte Bong Doi gesehen, dass die Mönche in den Häusern der Frauen gelebt hatten und sich nur einmal am Tag zum Meditieren trafen. Sie hatten sich dabei über die Meditation unterhalten, aber in der Zwischenzeit hatten sie sich auch ihre eigenen Gedanken über die Lehre gemacht. Das hatte zur Folge, dass sie nicht mehr die Lehre in ihrem ursprünglichen Sinn gelebt hatten, sondern dass jeder von ihnen auf eigene Faust versuchte, die Lehre fortzuentwickeln und so zu deuten, wie sie sie verstanden hatten; daraus hatte sich eine Vielzahl von Interpretationen ergeben.
Bong Doi hatte begriffen, dass er zuerst für die Mönche einen guten Unterricht organisieren sollte, um sie auf die richtige Fährte zu bringen. Er hielt diesen Unterricht immer im Freien ab. Insgesamt gab es 24 Mönche, Bong Doi war der fünfundzwanzigste. Während eines halben Tages meditierten sie gemeinsam und machten gemeinsam körperliche Übungen, sodass er sie wieder in eine gute Form brachte. Der Unterricht bestand zuerst aus kurzen Erklärungen, dann aus den Fragen und unterschiedlichen Meinungen der Mönche. Dann berichtigte und harmonisierte er die Meinungen. Durch diese intensive Auseinandersetzung mit der Lehre der Individuellen Meditation vervollständigte er die Lehre sogar noch.
Mit den Frauen hatte er sich so organisiert, dass sie für alle Mönche kochten und als Gegenleistung das Wissen von ihm bekamen.
Es wurde ihm immer klarer, auf welche Hürden jemand stieß, der sich ohne Betreuung allein auf den Weg seiner Entwicklung begab. Dann kam er zu einem entscheidenden Schluss: Wer sich im Dunkeln befindet und trotzdem weiterkommen möchte, aber nicht mehr weiß, wie er weiter vorgehen sollte, sollte zurück zu den Grundlagen gehen, sich auf die grundlegenden Dinge der Lehre konzentrieren und sie so praktizieren, bis er darüber Klarheit bekommt.
Diese Grundlagen galten schon damals und gelten heute noch, vor allem die 3 Geistessäulen – die Geistesschärfe, die Geisteskraft und die Konzentration – die Meditationen und die Art, mit der Realität umzugehen, die diese drei Säulen fördern und sie gleichzeitig in Anspruch nehmen. Bong Doi dachte, wenn jemand mit Unklarheiten konfrontiert wird und nicht mehr weiterweiß, sei es der beste Weg, sich direkt damit auseinanderzusetzen. Dies diene dazu, das Geschick zu erwerben, mit den drei Säulen richtig umzugehen. [→ 1]
Das Geschick lässt sich nur dann erwerben, wenn gewisse Aufgaben vorhanden sind. Dazu, diese Aufgaben richtig und angemessen zu definieren, ist nur ein Meister in der Lage. Sollte der Schüler selbst wählen, würde er sich wahrscheinlich für die falschen Dinge entscheiden. Bong Doi hatte festgestellt, dass die übereifrigen Schüler, wenn sie fest entschlossen sind sich weiterzuentwickeln, dazu neigen, sich entweder viel zu komplexe oder viel zu einfache Aufgaben vorzunehmen, die deren Entwicklungsstufe nicht angepasst sind.
Bong Doi ging davon aus, dass ein Mönch, der bereits über mehrere Jahre meditiert, schon so trainiert ist, dass er über eine minimale Konzentration verfügt. Dabei hat er nicht berücksichtigt, dass manche Laien über gar keine Konzentration verfügen und dass sie dann so schnell wie möglich abschweifen würden. Das heißt, eine minimale Konzentration ist eine notwendige Voraussetzung, und nur wer über diese minimale Konzentration verfügt, dem fällt es leicht, relativ komplexe Aufgaben zu definieren. Aber die Komplexität sollte nicht über die Grenzen der Möglichkeiten des Übenden hinausgehen, weil ansonsten das Gleiche passieren wird wie bei einer einfachen Aufgabe, die nur eine der drei Geistessäulen in Anspruch nimmt.
Im Sinn der Individuellen Meditation hat Bong Doi das als eine Yin-Yang-Störung definiert; nicht als eine Störung der fünf Elemente, sondern ausschließlich als eine Yin-Yang-Störung.
Aufgrund der Yin-Yang-Lehre hat er angefangen, diese Störung so zu betrachten, zu behandeln und sie dann zu beseitigen.
Als er in der Stadt der Frauen angekommen war, stellte er fest, dass die Mönche geistig ziemlich zügellos gelebt hatten, sie hatten einmal am Tag meditiert, die restliche Zeit sich entweder mit den Frauen unterhalten oder einfach vor sich hingelebt und die Freizeit, die sie bekommen hatten, genossen.
Die Frauen hatten versucht, die Mönche zu verführen, aber sie waren widerstandsfähig und wollten keine näheren körperlichen Beziehungen zu den Frauen. Diese Versuchungen, denen sie ständig ausgesetzt waren, waren so groß, dass sie versuchten, die Frauen zu meiden, und sie eine geistige und körperliche Trägheit entwickelten. Körperlich hatten sie dadurch auch an Gewicht zugenommen. Die Muskelmasse hatte sich zurückgebildet und sie sahen 10 Jahre älter aus als damals, als Bong Doi sie verlassen hatte. Das war ein Alarmsignal für Bong Doi. Um etwas dagegen zu unternehmen, musste er sie wieder neu organisieren. Dazu entwickelte er ein strenges Programm. Nun war ihm aber auch klar, dass er länger als ein Jahr brauchen würde, um alles wieder in Ordnung zu bringen, denn er hatte bereits drei Monate für die Anreise verloren, und es blieben ihm nur noch neun Monate, um sich zum ausgemachten Zeitpunkt mit Asamoto zu treffen. Er wusste, dass er innerhalb der restlichen sechs Monate bei den Mönchen nicht alles in Ordnung bringen konnte, deshalb wusste er zu Anfang nicht, was er tun sollte. Zusätzlich hatte er allmählich gewisse Alterserscheinungen bei sich entdeckt und er wusste, dass er nicht mehr so belastbar war wie früher. Er wurde schnell müde und musste häufig kurze Pausen einlegen, um wieder körperlich und geistig fit zu sein und seine Arbeit genau so fortzusetzen wie vorher. Im Lauf der Zeit erkannte er zudem, dass er, wenn er nicht arbeitete, sondern träge war, noch mehr Trägheit spürte, und dass er, wenn er arbeitete, dabei nicht ganz erfüllt war; dass bei ihm ein Schatten des Alters vorhanden war, den er nicht beseitigen konnte. Sein Geist musste sich anstrengen, er selbst musste sich anstrengen, wenn er gewisse Vorlesungen oder Vorträge vorbereitete und wenn er etwas erklären wollte. Obwohl äußerlich nichts an ihm wahrzunehmen war, hatte er bemerkt, dass er nicht immer die Klarheit hatte, an die er gewöhnt war, und er dachte, dies sei das Alter. Er wusste nicht, ob er eine Krankheit in sich hatte, die er nicht feststellen konnte; er führte regelmäßig eine Pulsdiagnose und Selbstbeobachtung durch, aber er konnte außer den Alterserscheinungen nichts feststellen.
Er widmete sich vollständig diesen 24 Menschen, die damals im Schildkrötengebirge so verzweifelt waren, dass sie sterben wollten, und die jetzt einen neuen Sinn bekommen hatten.
Er hatte allmählich erkannt, dass sie am Leben wieder Freude spürten, weil sie sich an jemandem orientieren konnten.
Bong Doi wusste, wenn er wegginge, würde die Gruppe wieder zerfallen, da es ihm nicht möglich war, die Mönche über eine Vorbildfigur zu integrieren und so festzuhalten, dass sie wie ein Wesen die Lehre verbreiteten. Er wusste, er konnte in ihnen im besten Fall die Lehrer haben, welche die Lehre als Philosophie ausleben und sie auch als Vorbilder weitergeben würden, aber er wusste auch, dass sie nicht in der Lage waren, die Lehre zu vervollständigen und sie auf die gleiche Art weiter am Leben zu halten, wie er das zusammen mit Wu Jia gemacht hatte. Er verspürte zum ersten Mal eine große Verantwortung für die Lehre und begriff, dass er tatsächlich der Linienhalter war, der tatsächlich ohne Wu Jia das Beste aus der Lehre machen sollte. Er wusste auch, dass in der Vervollständigung der Lehre nichts mehr zu tun war und dass er sie eigentlich nur so festigen sollte, dass sie in sich schlüssig blieb und nur so ankam, wie sie war.
Wenn die Lehre der Realität des Empfängers nicht so entspricht, dass der Empfänger sich der Lehre gleich anpasst, indem er begreift, dass die Lehre die beste Realität darstellt und ihm ermöglicht, in diese Realität einzutauchen, dann stimmt etwas mit der Lehre nicht.
Bong Doi hatte begriffen, dass die Lehre in sich so konsistent, so schlüssig, so realitätsbezogen war und sogar die Kraft der Wahrheit hatte, dass nur noch die Vermittlung der Lehre nicht immer hundertprozentig stimmte. Ungefähr einmal in der Woche stellte er den Mönchen Fragen über die Zukunft. Ob sie zurück an die Küste gehen wollten, nach Süden ins Kloster, oder ob sie hier bleiben wollten, oder ob sie mit ihm zusammen zu Asamoto und zum Höhlenkloster gehen wollten, wo Chao Chou war. Er fragte auch ziemlich schüchtern, ob sie eine vierte Lösung hätten, ob sie sich in die eine oder andere Frau verliebt hätten und ob jemand aus diesen Gründen bleiben wollte. Die Mönche, die am Anfang diese Frage wahrscheinlich mit Ja beantwortet hätten, hatten nach einigen mit Bong Doi verbrachten Wochen nicht mehr die Idee, eine Familie zu gründen oder das Leben mit einer Frau fortzusetzen. Das, was sie wieder von ihm erfahren hatten, war die Art, wie er die Lehre vermittelte und wie er sie selber lebte.
Ihn als Vorbild zu sehen, das war für sie so eindrucksvoll, dass sie kein anderes Leben leben wollten. 24 Mönche, die verzweifelt waren, die in das Parinirvana eingehen wollten, hatten durch die Vorbilder von Wu Jia und Bong Doi einen ganz neuen Lebenssinn bekommen. Das, was sie hier erlebt hatten, war ein hochaufregendes Leben. Sie wollten sich nicht mehr von Bong Doi trennen, sondern jetzt mit ihm zusammenbleiben, obwohl sie den Frauen versprochen hatten, hier zu bleiben.
Bong Doi hatte plötzlich das Problem, zu entscheiden, ob er hier bleiben oder sich Asamoto anschließen sollte. Er hatte mit Asamoto ausgemacht, sich mit ihm zu einem bestimmten Zeitpunkt zu treffen; er wusste, dass Asamoto eine gewisse Zeit auf ihn warten würde, vielleicht drei Monate, aber dann wusste er, dass Asamoto sich mit den Texten beschäftigen würde, um selbst die richtige Entscheidung darüber zu treffen, was er weiter machen sollte, denn er musste dann annehmen, dass er als nächster Linienhalter seine Aufgabe vollbringen müsste, weil Bong Doi gestorben sei. Asamoto würde sich dann auf den langen Weg zu den Mönchen machen, um von ihnen zu erfahren, was mit Bong Doi passiert ist, und er würde dann mit den Mönchen genau das fortsetzen, was Bong Doi angefangen hat. Bong Doi hatte auch die Idee, die Mönche hier zu lassen, um sich mit Asamoto zu treffen, dann die Runde weiter zu Chao Chou und zurück zu machen, um dann wieder zu den Mönchen zurückzukehren. Er wusste, dass der geplante Weg äußerst lang sein würde, so als würde man durch ein unermesslich großes Land mit unendlich vielen Hindernissen gehen.
Die Wege waren ihm bekannt und er wusste, wie man die Entfernungen zurücklegen konnte. Er wusste auch, dass er sich nicht mehr so schnell wie in jungen Jahren fortbewegen konnte. Deshalb hatte er sich sogar überlegt, ein Pferd oder eine Kutsche zu nehmen. Aber die eigentliche Lösung kam von den Frauen. Als die Mönche mit den Frauen darüber gesprochen hatten, dass sie gerne weggehen möchten, kamen die Frauen auf die Idee, dass zwei Frauen auf einem großen Elefanten Bong Doi begleiten könnten. Sie hatten einen jungen Elefanten, den sie so trainiert hatten, dass er gut gehorchte, es war ein Bulle, und er gehörte wahrscheinlich zu den intelligentesten Elefanten, den die Frauen je gesehen und trainiert hatten.
So wurde ein Plan gemacht, sich mit Nahrungsvorräten auszustatten und mit dem Elefanten nur über die Hauptstraßen zu bewegen, weil ein Elefant sich nicht so gut durch den Dschungel fortbewegen konnte.
Die Frauen wussten auch, dass, wenn sie das Territorium ihres Landes verließen und sich von der Diamantenbergstraße entfernten, sie einer Gefahr ausgesetzt sein würden. Wenn sie als Frauen erkannt werden könnten, wären sie ein Ziel für Räuber, Kriminelle, Vergewaltiger und andere Außenseiter. Deshalb verkleideten sie sich als Mönche, rasierten ihre Köpfe und sahen dadurch wie Kinder und nicht mehr wie Frauen aus. Zusätzlich übten sie Bong Doi gegenüber ein Verhalten ein, das von außen den Eindruck hinterließ, Bong Doi sei ein buddhistischer alter Meister mit zwei jungen Mönchen oder Novizen, deren Aufgabe es war, sich um ihn zu kümmern. Dass er sich auf einem Elefanten fortbewegte, würden alle als etwas Normales betrachten, besonders wenn man Bong Dois Alter erkannte. So war es legitim für ihn, sich auf diese Art fortzubewegen.
Eines Morgens brach Bong Doi mit den beiden Frauen auf; es war Ende Juli oder Anfang August, als sie sich auf den Weg machten. Er hatte mit einer dreimonatigen Reise gerechnet, weil er sich Ende Oktober oder Anfang November mit Asamoto treffen wollte. Da Bong Doi und Asamoto wussten, dass es schwierig war, die Reisedauer genau zu planen, wollten sie aufeinander warten. Sie hatten eine Toleranz von zwei Monaten ausgemacht.
Die Frauen sahen jung aus und waren sehr hübsch. Beide waren 36 Jahre alt, eine hieß Yi Hon und die andere Yi Wen. Das waren typische Namen für Frauen, die in diesem Staat eine Verantwortung für die Gemeinschaft trugen. Da sie als Lehrerinnen tätig waren, mussten sie gebildeter sein als die anderen. Sie konnten lesen und schreiben. Die chinesische Schrift war damals noch komplizierter als heute im 21. Jahrhundert. Jedes Wort wurde durch ein Zeichen dargestellt, und es gab mehr als zehntausend Zeichen. Yi Hon und Yi Wen hatten die meisten Zeichen gemeistert. Außerdem hatten sie angefangen, mit Bong Doi an ihrer eigenen Entwicklung zu arbeiten.
Die Reise dauerte vier Monate, und die Erfahrung, die sie mit Bong Doi während dieser Zeit gemacht hatten, war für sie unvergesslich. Sie haben nachher behauptet, dass das die aufregendste Zeit ihres Lebens war.
Zuerst wusste Bong Doi nicht, dass sie bereits nach einer Woche große Probleme hinsichtlich ihrer körperlichen Ausdauer bekommen würden. Er musste einen Tag Pause machen, weil sie sich vor Muskelkater nicht mehr bewegen konnten. Er kannte sich mit Frauen nur wenig aus, hatte sie einfach als den Männern gleich betrachtet und wusste nicht, dass Frauen von einer anderen Art sind und dass sie nicht so lange Anstrengungen aushalten können. Weil er schon in einem gewissen Alter war und erkannt hatte, dass seine Kräfte nachgelassen hatten, dachte er, dass die Frauen mit seinem Tempo mithalten könnten.
Dann sagte er ihnen: «Wir haben drei Möglichkeiten. Die erste ist, dass ihr zurückkehrt und ich allein die Reise fortsetze; ich werde mich zurechtfinden. Die zweite Möglichkeit ist, dass ich mich euch anpasse, was die Reise unüberschaubar in die Länge ziehen würde, und die dritte Alternative ist, eure Kräfte so aufzubauen, dass ihr mindestens mit meinem Tempo die Reise fortsetzen könntet. Wir sollten uns nach der Kraft des Elefanten richten und nicht er nach unserer Kraft.»
Sie entschieden sich für die dritte Möglichkeit, die ein schmerzhafter Weg sein würde. Dann erzählte Bong Doi ihnen zuerst, wie er und Wu Jia Chao Chou abgehärtet hatten. Er sagte Ihnen, dass, wenn sie die gleiche Kraft tatsächlich erlangen wollten, sie seine Schläge über sich ergehen lassen müssten, denn das sei der schnellste Weg, den Körper zu ertüchtigen und aufzubauen. Sie könnten nicht so viel und so schnell üben, um alle Muskeln in einen guten Zustand zu bringen, wie er sie mit den Schlägen ganz präzise zum Aufbau der Muskulatur zwingen könne. Dann stehe ihnen noch bevor, weiterzugehen und seinen Anweisungen zu folgen, und sie würden merken, dass sie bereits nach einem Monat alles mit Leichtigkeit mitmachen könnten. Dass Frauen ein anderes Muskelgewebe haben und dass dieses Muskelgewebe sich nicht so leicht antrainieren lässt, wusste er nicht. So hat es statt eines Monats sechs Wochen gedauert, aber das Training war so gut, dass die Frauen ihm folgen konnten, ohne sich dabei zu quälen. Das war der Neubeginn der Reise, denn sie hatten sich in den sechs Wochen nur sehr langsam fortbewegt, weil sie ständig Schmerzen in den Sehnen, Muskeln und Gelenken hatten. Sie hatten brav alles ausgehalten und nach sechs Wochen waren sie ihm zum ersten Mal dankbar, dass er sie immer wieder motiviert hatte, als sie ihre Krisen hatten. Dann versprach er ihnen sogar, dass sie nur noch diesmal so eine Qual aushalten müssten, beim nächsten Mal sähe es nur so aus, als wäre die Qual größer als vorher, aber es gehe immer um das Gleiche, und mit der Zeit würden sie erkennen, dass sie alles leichter und leichter aushalten könnten. Zwar würden seine Angriffe kräftiger, weil er die Muskeln, den ganzen Körper und den Geist anreizen müsse, um ihn über die Grenzen hinauszutreiben, damit er mit immer größeren Herausforderungen umzugehen lerne, aber sie würden sich daran gewöhnen. Allein die Gewissheit, über die Grenzen hinausgehen zu können, wenn es sein muss, werde ihre Lage erleichtern.
So setzten sie nach sechs Wochen die Reise in einem schnelleren Tempo fort, allerdings hatten sie schon einen Monat verloren und konnten die Zeit jetzt nicht mehr aufholen.
Obwohl sie zügig gingen, erreichten sie erst beim Wintereinbruch Ende November den Wei Shan. Diesmal kamen sie aus südlicher Richtung ins Gebirge.
Unter diesen regionalen Umständen tat sich der Elefant im Gelände immer schwerer.
In der Zwischenzeit hatte Bong Doi den Lehrerinnen die Geschichte von Wu Jia erzählt. Durch die Art, wie er mit den Worten umging, wurde ihre Begeisterung immer größer, sodass sie sich vornahmen, sich auf die gleiche Art auszudrücken. Von diesem Augenblick an versuchten sie so zu sprechen, wie Bong Doi sprach. Zuerst nur unter sich; aber Bong Doi hatte ein so scharfes Wahrnehmungsvermögen, dass er schnell erkannte, was die zwei taten. Er wollte das überprüfen und sagte zu ihnen, dass sie offenbar ihre Ausdrucksweise und ihre Sprachpräzision verbessern wollten. Er sagte ihnen, dass er diese Fähigkeit früher auch nicht hatte und sie bei Wu Jia bewundert habe, aber dass sie sich irgendwann einstellte. Soweit er wisse – obwohl das sehr eingebildet klingen mochte –, sei die einzige Chance, so zu werden wie er, Zeit mit ihm zu verbringen. Sie sollten ihn beobachten, mit ihm sprechen und sich von sich selbst befreien, damit sie den Raum schafften, sein Wesen in ihr eigenes hineinfließen zu lassen. Dann würde das zum Vorschein kommen, was sie bei ihm als wünschenswert betrachteten. Sie würden ihr eigenes Wesen durch seines ersetzen; im verbalen Bereich, in der Kommunikation und im Umgang mit den Worten.
Die Bereitschaft, Bong Doi auf Dauer zu begleiten und zu betreuen, hatten Yi Hon und Yi Wen in diesem Moment noch nicht.
Als Bong Doi mit Yi Hon und Yi Wen ankam, war Asamoto schon in der Bibliothek und beschäftigte sich mit den Schriften. Sie taten sich zusammen und verbrachten den Winter im Kloster. Nach einem Monat kamen sie zu dem Schluss, dass sie am liebsten mit Bong Doi zusammenleben und ihn auf seinem Weg bis zu seinem Lebensende begleiten würden. Obwohl sie dieses Land der Frauen über alles liebten und es als ihre Heimat betrachteten, hatte die Tatsache, dass sie mit Bong Doi eine solche Reise gemacht hatten, ihr Bewusstsein erweitert, und sie begriffen, dass nicht der Rahmen, in dem man sich befindet, den Menschen prägt, sondern die Art, wie jemand mit der Realität umgeht.
Sie begriffen, dass sie, um richtig mit der Realität umzugehen, die Säulen weiter fördern und vor allem am Geistesgeschick arbeiten mussten. Würden sie das Geistesgeschick nicht meistern, könnten sie ihr ganzes Leben erfolglos an den Geistessäulen arbeiten und das Hindernis – die Realität an sich und das Geschick, mit der Realität richtig umzugehen – nicht überwinden. [→ 2]
Sie begriffen im Lauf der Zeit, dass die Lehre der Individuellen Meditation die Philosophie der Aktion ist, nicht die Philosophie der Passivität und auch nicht eine Philosophie, die in sich einen Widerspruch enthielt. [→ 3]
Während sie im Kloster lebten, unterhielten sie sich auch mit den Mönchen. Besonders die zwei Frauen hatten Gelegenheit, den Buddhismus näher zu erleben, das Gute am Buddhismus zu verinnerlichen, das, was sie kritisch betrachtet hatten, zu verstehen und einen Abstand zu der Passivität der buddhistischen Philosophie und die richtige Einstellung zu entwickeln. Einmal, an einem Abend in der Meditationshalle, als sie sich zum gemeinsamen Meditieren versammelt hatten, erzähle Bong Doi eine Geschichte über etwas, was er einmal mit Wu Jia erlebt hatte.