Niko Paech
Befreiung vom
Überfluss
Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2011 oekom, München
Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße29, 80337 München
Gestaltung+ Satz: Ines Swoboda, oekom verlag
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-86581-331-2
Datenkonvertierung eBook:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
www.kreutzfeldt.de
7 Einleitung
Wohlstandsdämmerung – Aussicht auf mehr Glück?
13 Kapitel I
Über seine Verhältnisse leben –
ein vermeintliches Menschenrecht
25 Kapitel II
Fortschritt als Illusion – Wohlstand durch Plünderung
71 Kapitel III
Freiheit als Illusion – neue Abhängigkeiten
69 Kapitel IV
Mythos Entkopplung – die Mär
vom »grünen Wachstum«
103 Kapitel V
Genug ist nie genug – Wachstumszwänge
und Wachstumstreiber
113 Kapitel VI
Weniger ist mehr – Umrisse einer
Postwachstumsökonomie
143 Fazit
Wir haben (noch) die Wahl!
150 Die Postwachstumsökonomie im Überblick (Grafik)
152 Zitierte und weiterführende Literatur
155 Über den Autor
Einleitung
Wohlstandsdämmerung –
Aussicht auf mehr Glück?
Dieses Buch dient einem bescheidenen Zweck. Es soll den Abschied von einem Wohlstandsmodell erleichtern, das aufgrund seiner chronischen Wachstumsabhängigkeit unrettbar geworden ist. Darauf deuten verschiedene Entwicklungen hin, die lange verdrängt wurden. Aktuelle Verschuldungs- und Finanzkrisen, für die keine Lösungen in Sicht sind, stellen uns vor die Frage: Wie viel unseres Reichtums hätte je entstehen können, wenn sich moderne Staaten nicht permanent und mit steigender Tendenz verschuldet hätten? Noch prägnantere Grenzen setzt die Verknappung jener Ressourcen, aus deren schonungsloser Ausbeutung sich das Wirtschaftswachstum bislang speisen konnte, nämlich fossile Rohstoffe, Seltene Erden, Metalle und Flächen.
Mit dem immensen Konsum- und Mobilitätsniveau wuchs im Zuge der Globalisierung zugleich die Abhängigkeit von überregionalen Versorgungsketten und Marktdynamiken. Ohne deren komplexe, faktisch unbeherrschbare Verflechtung wäre die Wohlstandsexpansion nie zu haben gewesen, denn nur so lassen sich die Potenziale der industriellen Arbeitsteilung ausschöpfen. Andererseits liegt darin der Keim für viele Sollbruchstellen. Der zu schwindelerregender Höhe aufgetürmte Wohlstand ist ein Kartenhaus. Es beschwört eine fatale Unvereinbarkeit herauf: Zunehmende Fallhöhe trifft auf zunehmende Instabilität. Je höher das Stockwerk, desto tiefer der Fall, wenn alles zusammenstürzt. Und das Fundament bröckelt bereits.
Aber ist das überhaupt eine schlechte Nachricht? Schließlich bräuchte die geschundene Ökosphäre ohnehin dringend eine Verschnaufpause. Die bekommt sie nicht, solange die Wirtschaft weiter wächst. Wird innerhalb eines wachsenden ökonomischen Systems versucht, einen bestimmten ökologischen Schaden zu beheben, entstehen anderswo neue Probleme. Das grandiose Scheitern bisheriger Anstrengungen, ökologische Probleme anstatt durch einen Rückbau des ruinösen Industriemodells mit Hilfe technischer Innovationen zu lösen, ähnelt einer Hydra, der für einen abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen. Denn wenn die Schadensbehebung das Wachstum nicht gefährden soll, muss es sich um addierte Maßnahmen oder Objekte handeln, welche die in Geld gehandelte Wertschöpfung, das sogenannte »Bruttoinlandsprodukt« (BIP), hinreichend steigern.
Die seit Jahrzehnten ermüdend diskutierte Feststellung, dass das Bruttoinlandsprodukt kein geeigneter Maßstab für das Wohlergehen moderner Gesellschaften sein kann, ist schlicht eine Verharmlosung. Vielmehr müsste das Bruttoinlandsprodukt als Maß für ökologische Zerstörung betrachtet werden. Enthalten sind darin all jene Leistungen, die als Resultat geldbasierter Arbeitsteilung zustande kommen. Das sind grundsätzlich Dinge, die produziert werden, um sie dann als geldwerte Leistung an jemand anderen zu übertragen. Genau dieser Leistungstransfer kann nicht ökologisch neutral sein. Einen CO2-neutralen Euro, Dollar oder Yen kann es schon deshalb nicht geben, weil er den Anspruch auf materielle Werte verkörpert.
Worin könnte ein Zuwachs an Nutzen oder Glück letztlich bestehen, der stofflich und energetisch neutral ist, aber dennoch produziert, transportiert und erworben werden muss – und zwar in steigendem Maße, sonst entfiele ja das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts? Wie kann der Ursprung für die von einem Individuum empfundene Nutzensteigerung einerseits außerhalb seiner selbst liegen, aber andererseits jeglicher Materiebewegungen und Energieflüsse enthoben sein? Wenn ein Zuwachs an Glücksempfinden tatsächlich rein qualitativer Art wäre, könnte seine Quelle nur im Subjekt selbst liegen. Nicht arbeitsteilige Produktion nebst dazu notwendiger Raumüberwindung wäre der Ursprung, sondern die eigene Leistung und Imagination, mit der dem materiell Vorhandenen autonom zusätzliche Befriedigung abgerungen oder neuer Sinn eingehaucht wird. Aber dieser Vorgang kann weder als monetär zu beziffernde Wertsteigerung ausgedrückt werden, noch ist er kompatibel mit dem, was wir unter Wirtschaft verstehen. Vor allem: Seine Resultate können kaum über eine bestimmte Menge hinauswachsen. Wachsen im ökonomischen Sinn kann also nur das, was mittels Geld und Energie von außen zugeführt werden muss und deshalb nie ohne Zerstörung zu haben ist.
Anstatt die Beziehung zwischen Wachstum und Nachhaltigkeit mit Anspruch auf Vollständigkeit aufzuarbeiten, sind es im Wesentlichen drei Thesen, auf die sich das vorliegende Buch konzentriert.
Erstens: Unser ohne Wachstum nicht zu stabilisierender Wohlstand ist das Resultat einer umfassenden ökologischen Plünderung. Versuche, die vielen materiellen Errungenschaften einer Abfolge von Effizienzfortschritten oder anderweitiger menschlicher Schaffenskraft zuzuschreiben, beruhen auf einer Selbsttäuschung. Dies soll anhand dreier Entgrenzungsvorgänge dargestellt werden, die für das moderne Dasein prägend sind. Demnach leben die Menschen in modernen Konsumgesellschaften auf dreifache Weise über ihre Verhältnisse; sie eignen sich Dinge an, die in keinem Verhältnis zu ihrer eigenen Leistungsfähigkeit stehen. Sie entgrenzen ihren Bedarf erstens von den gegenwärtigen Möglichkeiten, zweitens von den eigenen körperlichen Fähigkeiten und drittens von den lokal oder regional vorhandenen Ressourcen. (Kapitel I–III).
Zweitens: Jegliche Anstrengungen, wirtschaftliches Wachstum durch technische Innovationen von ökologischen Schäden zu entkoppeln, sind bestenfalls zum Scheitern verurteilt. In allen anderen Fällen kommt es sogar zu einer Verschlimmbesserung der Umweltsituation (Kapitel IV).
Drittens: Das Alternativprogramm einer Postwachstumsökonomie würde zwar auf eine drastische Reduktion der industriellen Produktion hinauslaufen, aber erstens die ökonomische Stabilität der Versorgung (Resilienz) stärken und zweitens keine Verzichtsleistung darstellen, sondern sogar die Aussicht auf mehr Glück eröffnen (Kapitel VI).
Derzeit verzetteln wir uns in einer reizüberfluteten Konsumsphäre, die unsere knappste Ressource aufzehrt, nämlich Zeit. Durch den Abwurf von Wohlstandsballast hätten wir die Chance, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, statt im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung zusehends Schwindelanfälle zu erleiden. Wenige Dinge intensiver zu nutzen und zu diesem Zweck bestimmte Optionen einfach souverän zu ignorieren, bedeutet weniger Stress und damit mehr Glück. Und überhaupt: Das einzig noch verantwortbare Gestaltungsprinzip für Gesellschaften und Lebensstile im 21. Jahrhundert heißt Reduktion – und zwar verstanden als Befreiung von jenem Überfluss, der nicht nur unser Leben verstopft, sondern unsere Daseinsform so verletzlich macht.
Kapitel I
Über seine Verhältnisse
leben – ein vermeintliches
Menschenrecht
Um die These zu verstehen, derzufolge sich unser Wohlstand einer umfassenden ökologischen Plünderung verdankt, lohnt sich ein Blick auf die Schuldenkrise in der EU. Bemerkenswert ist die gedankliche Basis, auf welcher die zur Schicksalsfrage stilisierte Rettung Griechenlands und anderer ökonomisch maroder EU-Länder verhandelt wird. Ganz gleich ob im neoliberalen oder linken Lager, überall dringt dieselbe Logik durch: Die zu unfassbarer Monstrosität gediehenen »Rettungsschirme« seien zwar teuer und ihr Erfolg so ungewiss, dass damit bestenfalls Zeit zu gewinnen sei. Aber das andernfalls drohende Scheitern des Euro sei eben noch teurer und obendrein unsozialer, gerade für ein Land wie Deutschland. Käme es nämlich zur Wiedereinführung der D-Mark, müsste deren Wert wohl ungebremst steigen, währenddessen andere Währungen an Wert verlören. Folglich würden deutsche Exporte erschwert, was eingedenk aller ökonomischen Rückkoppelungen unweigerlich eine Senkung des Bruttoinlandsproduktes, also der Finanzierbarkeit des derzeitigen Wohlstandsniveaus bedeutete. In diesem Fall müssten sich deutsche Bürger mit jenem materiellen Wohlstand zufriedengeben, der kraft eines weniger übergreifenden und nicht so beschleunigten Leistungsaustauschs möglich wäre. Wie schrecklich! Gemessen am schwarzmalerischen Lamento amtlicher EU-Lobbyisten müsste Deutschland vor Einführung des Euro eine von allen Außenbeziehungen abgeschiedene, auf einem erbarmungswürdigen Versorgungsniveau dahinvegetierende Armutsökonomie gewesen sein.
Die große Mobilmachung
Verschwiegen wird inmitten der angstgetriebenen Euro-Rettungsdiskussion, wie gut es der Ökosphäre, insbesondere dem Klimaschutz täte, wenn der gnadenlos auf Expansion und Mobilität gebürstete europäische Wirtschaftsraum entschleunigt würde. Nichts drangsaliert die Umwelt Europas harscher als ein mit Engelszungen gepriesenes Integrationsprojekt, das einzig der ungehinderten und umso ruinöseren Raumdurchdringung dient. Die europäische Entwicklungslogik ist von bestechender Schlichtheit: Demnach ist alles einzuebnen, was der Ausdehnung von industrieller und landwirtschaftlicher Produktion, dem Gebäude- und Infrastrukturneubau, bis in die letzte Nische reichenden Schiffs- und LKW-Transporten sowie einem kerosintriefenden Bildungs-, Projekt- und Party-Nomadentum im Wege sein könnte. Dieser Entgrenzungsprozess mehrt Freiheitsgrade und Optionenvielfalt. Investoren können so jede institutionelle und räumliche Beengtheit überwinden: Eine grenzüberschreitende Abschöpfung betriebswirtschaftlicher Effizienzpotenziale, die in komparativen Kostenunterschieden bestehen, oder die Erschließung entfernt liegender Vermarktungsmöglichkeiten fällt umso leichter, wenn schlicht keine Grenzen, Währungsrisiken, Transportkosten, Planungsträgheiten, hinderlichen Genehmigungspraktiken oder gesetzlichen Disparitäten vorhanden sind. »Harmonisierung« nennt sich so etwas in Sonntagsreden.
Dieser reziproke Quasi-Imperialismus im Sinne einer gegenseitigen Raumdurchdringung greift auch auf individueller Ebene: Was mir vor Ort nicht zufällt, nicht gelingt, keine Anerkennung einbringt, dem Fortschritt meiner Selbstverwirklichungsansprüche nicht mehr genügt, mich langweilt oder mir mühsame Anpassungsleistungen abverlangt, ist vielleicht an einem anderen Punkt im europäischen (oder globalen) Koordinatensystem leichter zu haben. Genauso wie eine expansive Administration, der es zu eng geworden ist, weil die Ansprüche über das im eigenen Territorium Vorhandene hinausgewachsen sind, muss das mobile Subjekt ständig seinen Aktionsradius erweitern. Das Glück ist immer einen Ortswechsel oder eine Flugreise entfernt – zumindest für jene, die ständig auf der Flucht vor einem beengenden Hier und auf der Suche nach dem verheißungsvollen Dort sind. Obwohl: Vielleicht fliehen moderne Subjekte auch nur vor der inneren Enge ihrer selbst.
Analog zu modernen Unternehmen, die ihre Wertschöpfungsketten in immer spezialisiertere Subprozesse fragmentieren, um diese je nach Kostenvorteil geografisch optimal zu verschieben, werden Lebensstile zu einer Ereigniskette räumlich verteilter Austragungsorte der individuellen Steigerung. Dies betrifft längst nicht mehr nur den Urlaub, sondern auch die Bildung, die soziale Vernetzung, die Fernbeziehung, das politische Engagement, künstlerische Betätigungen, den beruflichen Alltag, das Shopping, sportliche Aktivitäten, jedwede Freizeitgestaltung bis hin zu einem innereuropäischen Party- und Club-Tourismus.
Räumlich entgrenzte Produktionsketten und Lebensstile sind kein Nebeneffekt des europäischen Eifers, sondern dessen intendierte »Harmonisierungs-« und »Integrationsleistung«. Es ist das Ziel eines maximalen Wachstums an Wertschöpfung und individuellen Selbstverwirklichungsoptionen, dem durch immer neue Verwüstungen der Weg zu bahnen ist. Ein Abbau aller Hemmnisse – etwa in Form kultureller oder institutioneller Vielfalt – sowie massive Subventionen für die nötigen Infrastrukturen forcieren nicht nur die wechselseitige, ökologisch verheerende Raumdurchdringung von Gütern und Personen. Sie erzeugen obendrein den unausweichlichen Druck, sich vorauseilend an die ungehinderte Fluidität anzupassen. Vormals Unerreichbares wird nun zwar möglich, aber nichts ist mehr sicher, denn im planierten Raum interagiert nicht nur alles miteinander, sondern auch gegeneinander. Jedes noch so kleine Unternehmen oder abgelegene Dorf sieht sich gezwungen, für den europäischen (und globalen) Wettbewerb aufzurüsten. Ganz gleich ob aus defensiven oder offensiven Erwägungen: Vorsorgliche Investitionen in zusätzliche Verkehrsanbindungen, Großprojekte und andere Mobilmachungen sind nun unabdingbar. Die hinlänglich bekannte Konsequenz ist ein materieller Rüstungswettlauf, den langfristig niemand gewinnen kann, weil jeder vorübergehende Vorsprung nur die infrastrukturelle Nachrüstung der Zurückgefallenen vorprogrammiert. Aber ein Verlierer steht auf jeden Fall fest: die Ökosphäre.
Haben jetzt – zahlen später
Das Verschuldungssyndrom liefert ein weiteres Indiz dafür, dass moderner Wohlstand nur durch einen schmalen Grat von institutionalisierter Verantwortungslosigkeit getrennt ist. Wenn sich Produzenten vorübergehend verschulden, um Inputfaktoren für die nächste Planungsperiode vorzufinanzieren, kann dies nur in der Erwartung geschehen, dem Schuldendienst systematisch nachkommen zu können. Andernfalls würde die resultierende Zahlungsunfähigkeit den Betrieb nicht fortbestehen lassen. Ein solches Regulativ scheint für Staaten nicht zu existieren. Schuldenfinanzierte Geschenke auszuschütten kennt prinzipiell keine Obergrenze, insbesondere dann nicht, wenn es gilt, die oben skizzierte Expansionsdynamik durch Subventionen vor Stillstand – einem der Todfeinde des sogenannten Fortschritts – zu bewahren.
Das Haben-jetzt-zahlen-später-Prinzip verkörpert eine Entgrenzung zeitlicher Art. Um sich nicht mit dem zufriedengeben zu müssen, was kraft eigener Leistungen gegenwärtig erreichbar ist, wird der Vorrat an zukünftigen Möglichkeiten geplündert. Es erfolgt ein Vorgriff auf Leistungen, die noch gar nicht erbracht wurden. Das gegenwärtige Verschuldungssyndrom ist nicht nur ein Gradmesser für Gier und Ungeduld, sondern für organisierte Verantwortungslosigkeit – und zwar im buchstäblichen Sinne: Jene, denen eine Antwort auf die Frage nach den Folgen eines gegenwärtigen Lebens über die Verhältnisse zu geben wäre, leben noch nicht. Werden Schulden hinreichend weit in die Zukunft verlagert, schränken sie umso eklatanter Optionen und Freiheitsgrade nachfolgender Generationen ein.
Wie schützen sich aufgeklärte Zeitgenossen vor Gewissensbissen, die ein moralisches Defizit solchen Ausmaßes heraufbeschwören könnte? Indem sie eine geradezu abenteuerliche Paradoxie instrumentalisieren: Der faktischen Zukunftsvergessenheit momentaner Exzesse wird ein quasi-religiöser Überbau aufgepfropft, nämlich ausgerechnet in Form einer rituellen Zukunftsbeschwörung. Im Zentrum des resultierenden Glaubenssystems stehen die Innovation und das Wachstum – beides im offiziellen Dienste des Wohlergehens zukünftiger Generationen versteht sich. Erstere soll die ökologischen Folgeschäden und Letzteres die spätere Schuldenlast eindämmen. So lässt sich die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen einfühlsam simulieren.
Auch wenn es gelingt, den Schuldendienst innerhalb eines vorgesehenen Planungshorizonts abzuleisten, anstatt ihn auf die Zukunft abzuwälzen, ist dies nur sinnhaft, wenn wirtschaftliches Wachstum erwartet werden kann. Wer verschuldet sich schon, nur um nach einer vereinbarungsgemäßen Rückzahlung wieder auf das Ausstattungsniveau vor Schuldenaufnahme zurückzufallen oder gar zwischenzeitlich angehäufte Vermögenswerte zu tilgen? Folglich dient Verschuldung – abgesehen von elementaren Notlagen, die aus eigener Kraft nicht zu meistern sind – dem Aufbau eines wie auch immer gearteten Kapitalbestandes, dessen spätere Verwertung einen hinreichenden Überschuss erwarten lässt, sodass über die Schuldentilgung hinaus ein höheres Niveau an materiellen Möglichkeiten erreicht wird. Das gilt nicht minder für die Entwicklung von Humankapital etwa im Falle eines durch Schulden finanzierten Studiums. Auch diese Investition dient nichts anderem als dem späteren Anspruch auf ein höheres Einkommen.
Kein Wunder also, dass Vater Staat selbst die schlimmsten Klimakiller nicht nur tunlichst vor jeder Besteuerung schützt, sondern nötigenfalls unrentable Flughäfen subventioniert. Im Übrigen würde jedes auch nur zärtliche Antasten handelsüblicher Freiheitsfetische wie Autofahren, Fliegen, Konsumieren, Telekommunizieren oder nach Belieben Einfamilienhäuser bauen mit drastischem Wählerstimmenentzug oder gar Aufständen quittiert. Die Nutznießer eines Lebens über die Verhältnisse sind längst in der Mehrheit. Genau daran scheitert auch die Besteuerung von Einkommen und Vermögen als naheliegende Möglichkeit, die Staatsschulden zu dämpfen.
Lebens