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Elinor Ostrom

Was mehr wird, wenn wir teilen

Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter

Herausgegeben, überarbeitet und übersetzt von Silke Helfrich

ClimatePartnero

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag.

Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 by Paul Dragos Aligicia and Peter J. Boettke, reproduced by permission of Taylor & Francis Books UK. Published in: Challenging Institutional Analysis and Development, Paul Dragos Aligicia and Peter J. Boettke (Ed.)

© 2008 by Elinor Ostrom, The Challenge of Common Pool Resources Published in: Environment. Science and Policy for Sustainable Development, July/August 2008.

© der deutschsprachigen Ausgabe, 2011 oekom verlag, München

Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Waltherstr. 29, 80337 München

Umschlaggestaltung + Umschlagillustration: Torge Stoffers, Leipzig

Korrektorat: Gotlind Blechschmidt

Gestaltung: Heike Tiller, München

Der Innenteil dieses Buches wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel.

Alle Rechte vorbehalten.

eISBN: 978-3-86581-377-0

Inhalt

Vorwort

Wie Kastanien, die vom Himmel fallen

Einführung

Gemeingüter sind nicht, sie werden gemacht

Gemeingüter fordern uns heraus

Gemeingüter pflegen – lokal und global

Wenn’s funktionieren soll: Gestaltungsprinzipien für Gemeingüter

Glossar

Literatur

Über die Autorin und die Herausgeberin

Vorwort

Wie Kastanien, die vom Himmel fallen

Es ist die Jahreszeit, in der im Pfälzer Wald Gefahr von oben droht. Im Oktober 2009 prasseln die Esskastanien auf uns herab, sie pflastern die Waldwege und wandern von dort – die größten voran – in die pfälzische Käschdesupp, in Braten mit Rotkraut. Die Köstlichkeit gibt der Region ihre besondere kulinarische Note. Im Pfälzer Herbstwald zeigt sich die Allmende von ihrer großzügigen und unkomplizierten Seite.

Wir sind auf dem Weg in einen Kurzurlaub. Sobald die Pfalz in Sichtweite ist, soll das Handy verstummen. Das ist ein sehr fester Vorsatz. Doch schon schrillt es. Eine Pressereferentin fragt: »Kennst du jemanden, der mir etwas über die frisch gebackene Wirtschaftsnobelpreisträgerin sagen kann? Ein Sender fragt an …«

»Ich?«, frage ich überrascht ins Telefon. Woher kommt der Gedanke, ich sei für dieses Anliegen eine geeignete Adresse? Bevor ich abwehre – die Pfalz rückt näher –, schiebe ich hinterher:

»Wie heißt sie denn?« »Elinor Ostrom«, höre ich die Antwort, und ich bin ebenso verblüfft wie begeistert. Manche Nachrichten fallen vom Himmel wie Kastanien von den Bäumen. »Ja«, wendet sich das Telefonat, »zumindest kann ich dir sagen, dass das eine grandiose Nachricht ist und dass nun eine Nobelpreisträgerin zu den Autorinnen des Sammelbandes gehört, den wir jüngst über Gemeingüter veröffentlicht haben.« Die Rede ist von Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter (oekom, 2009).

Auch sehr feste Vorsätze schmelzen. Statt in die Pfalz zu fahren, bestellen wir uns im Darmstädter Guantaname ra einen Teller Pinchos (argentinische Fleischspieße), setzen eine Glückwunschmail ab und entwerfen eine Pressemitteilung. Eine knappe Stunde später gebe ich erste Radiointerviews. Natürlich gibt es auf der gesamten Reise neben dem Pfälzer Saumagen und den Kastanien nur ein Thema: Elinor Ostrom.

Monate später entsteht die Idee zu diesem kleinen Buch. Es soll die Welt der Gemeingüter und die Ideenwelt von Elinor Ostrom auch außerhalb der Universitätsbibliotheken zugänglich machen. Doch mit Nobelpreisen ist es wie mit guten Vorsätzen zu Neujahr. Es gibt ein Davor und ein Danach. Ostrom kann keinen neuen Text für ein deutsches Publikum herausbringen – ihr Terminkalender ist für zwei Jahre völlig ausgebucht. Aber sie stimmt der Kooperation in der denkbar großzügigsten und unkompliziertesten Weise zu, die man sich vorstellen kann.

»Eine wunderbare Idee, die beiden Texte in einem Band zusammenzubringen«, kommt prompt die Ermutigung aus Bloomington, »klären Sie die Rechtsfragen und legen Sie los. Cheers Lin.«

Schon während der Entstehung von Wem gehört die Welt? tauschte ich mit »Lin« E-Mails aus, in denen wir wichtige konzeptionelle Fragen zur Übertragung ihres Textes diskutierten. Schließlich wird die führende Gemeingutforscherin der Welt nicht müde darauf hinzuweisen, dass es ein Unterschied ist, ob man von Ressourcen spricht oder von Eigentumsverhältnissen. Oder ob man sich gar auf die komplexen sozialen Systeme bezieht, die Regelwerke, die Normen und Institutionen, die es braucht, um kollektiv genutzte Ressourcen zu verwalten, die Dinge also, die kein Einzelner gemacht hat, die niemandem allein gehören und auf die wir alle in der ein oder anderen Weise angewiesen sind – die Gaben der Natur, wie Wasser, Landschaft und biologische Vielfalt. Die kollektiv geschaffenen kulturellen Ressourcen, die wir gemeinsam nutzen, wie die Sprache, der digitale und genetische Code oder die Wissensbestände, auf denen unsere Forschung basiert.

Wie also soll man sie nennen, die Common-Pool-Resources im Unterschied zu den Commons?

Am Ende entschieden wir uns für Gemeinressourcen (oder Allmendressourcen) einerseits und für Gemeingüter (oder Allmende) andererseits. Commons, Gemeingüter und Allmende werden demnach in diesem Band synonym verwendet.

Dem Text liegen zwei Schriften Elinor Ostroms zugrunde. The Challenge of Common-Pool-Resources (Die Herausforderung der Gemeinressourcen), veröffentlicht in Environment. Science and Policy for Sustainable Development in der Juli/August-Ausgabe 2008 sowie Rethinking Institutional Analysis (Institutionenanalyse neu denken), ein von Vernon Smith und Gordon Tullock geführtes Interview, welches bereits im November 2003 erschien und in einem Sammelband von Paul Dragos Aligicia und Peter J. Boettke (Challenging Institutional Analysis and Development) veröffentlicht wurde.

Aus dem Interview entstand ein Fließtext. Danach wurden beide Texte für die vorliegende deutschsprachige Fassung bearbeitet, aktualisiert und zusammengeführt. Dies sowie die neue Gliederung verantworte ich gern. Auf die zahlreichen Verweise zu weiterführender Fachliteratur in den Fußnoten der Originaltexte haben wir zugunsten der Lesbarkeit verzichtet. Falls in den Fußnoten jedoch Gedanken ausgeführt wurden, so sind sie in den Text eingeflossen.

Ein detailliertes Glossar ergänzt den Band. Begriffe, die dort erläutert werden, sind im laufenden Text markiert (*). Es soll Fachbegriffe veranschaulichen sowie Hintergrundinformationen zu Problemen und Phänomenen liefern, auf die sich die Nobelpreisträgerin bezieht. Auch zur Einordnung einiger Aussagen Ostroms findet sich dort Lesenswertes.

Wetten, dass Sie beim Anblick von Kastanien fortan an die Allmende denken? Es würde mich freuen.

Wetten, dass Sie beim Anblick von Kastanien fortan an die Allmende denken? Es würde mich freuen.

Jena, im Januar 2011

Silke Helfrich

Einführung

Gemeingüter sind nicht, sie werden gemacht

Ressourcen sind frei. Sie kennen kein Eigentum und keine Staatsgrenze. Ressourcen wissen nicht, ob wir sie zum Leben brauchen oder nicht. Wir hingegen sind in der einen oder anderen Weise an diese Dinge gebunden: an Grenzen, an Eigentum und – vor allem – an die Ressourcen selbst.

Das alte Wort für Gemeingüter, »Allmende«, hat diese Bindung für uns bewahrt, denn »Allmende« setzt sich zusammen aus all(e) + gemeinde, so glauben die Sprachhistori ker. Der Begriff erfasst damit den Kern der Auseinanderset zung mit den Gemeingütern: Alle, die zu einer bestimmten Gemeinschaft gehören und Ressourcen gemeinsam nutzen, müssen sich darüber verständigen, wie sie das tun. Regeln der Ressourcennutzung zu vereinbaren und deren Einhaltung zu kontrollieren, ist alles andere als ein Kinderspiel. Wie komplex es ist, funktionierende Institutionen für Gemeingüter aufzubauen, beschreibt Elinor Ostrom im vorliegenden Band sehr konkret. Komplexität, so erkärt sie immer wieder, ist aber etwas anderes als Chaos. Ostrom hat in den vergangenen 40 Jahren die Welt durchkämmt und unzählige Beispiele ken nen gelernt, wie es Menschen gelingt, kollektive Ressourcen miteinander zu nutzen und sie dabei zu erhalten. Und wie es misslingt. In den für diese Veröffentlichung ausgewählten Texten geht es vor allem um globale Gemein ressourcen – die Fischbestände in unseren Ozeanen einerseits und die Wälder andererseits.

Wenn Schleppnetze, Motorsägen, Exportgelüste und Kurzfristinteressen den Ressourcen begegnen, ist es wahrscheinlich, dass diese gefangen, gefällt oder geplündert werden. Dies geschieht natürlich selten im Sinne derer, die seit jeher von ihnen leben. Mitunter aber, auch wenn das widersprüchlich scheint, tragen auch die Nutzer selbst zur Ressourcenzerstörung bei.

»So sind die Menschen eben«, schallt uns sofort der Widerspruch entgegen. Doch der knappe Verweis auf das »So-Sein« des Menschen überzeugt schon lange niemanden mehr. Der Mensch ist mehr als nur ein individueller Nutzenmaximierer. Der Mensch ist ein auf Kooperation angelegtes soziales Wesen. Wem die Belege des Alltags dafür nicht reichen, der informiere sich unter anderem über die Ergebnisse der aktuellen Hirnforschung. Es gibt Wissenschaftler, welche die Entwicklung der Sprache für den entscheidenden Schritt der Menschwerdung halten. Die Sprache aber ist das Mittel der Kooperation. Konkurrenz und Egoismus hingegen existieren selbst bei Insekten. Und im Übrigen gilt: »Die Frage ist nicht, ob Menschen kooperieren wollen, sondern wie ihnen geholfen werden kann, das zu tun«, so Elinor Ostrom während eines öffentlichen Auftritts Mitte 2010 in Berlin. Es geht demnach in Ostroms Werk darum, die Bedingungen für Kooperation auszuloten.

Wie also gestalten wir ein Leben, in dem Gemeingüter gedeihen? Und wie tun wir das inmitten einer Welt, in der es viel Ansporn gibt zu konkurrieren, statt zu kooperieren? Denn allem Anschein nach wissen wir sehr viel darüber, wie der Wettbewerb funktioniert und wie Ressourcen zur Ware werden, aber zu wenig darüber, wie unser gemeinsames Erbe für die Allgemeinheit zu erhalten ist.

Wie ein Mantra geht die Rede von der Tragik der Allmende. Die wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Lehrbücher beten seit Jahrzehnten diese grobschlächtige These Garrett Hardins nach, nach der der Mensch als geborener Nutzenoptimierer jede gemeinschaftlich genutzte Ressource zugrunde richtet, es sei denn, sie wird durch Privatbesitz oder staatliche Maßnahmen davor bewahrt. Hier scheint eine Weltsicht durch, die zu unsensibel ist, um jenseits von Markt und Staat noch anderes wahrzunehmen. Es dominiert die Idee, dass Menschen immer externe Autoritäten brauchen.

Doch weit gefehlt: Gemeingutforschung kann be legen, dass es diesen »Dritten Weg« gibt und dass Hardin in zentralen Punkten – salopp gesagt – danebenliegt. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt sind in der Lage, so miteinander umzugehen, dass ihre Lebensgrundlagen respektiert werden. Nicht unbedingt der Ressourcen wegen, sondern um ihrer selbst willen. Dafür brauchen diese Menschen Ermutigung, Unterstützung und Räume zum Experimentieren. Sie brauchen Institutionen, die es ihnen leicht (er) machen, vor Ort zu kooperieren, statt im weltweiten Wettbewerb zu verlieren. Sie brauchen Aufmerksamkeit für ihre Bedürfnisse und Ideen. So vielgesichtig Ressourcenmanagement auch aussehen kann, die Forschungsergebnisse bestätigen das Offensichtliche: Ohne die Nutzer selbst, nur mit Staat und Markt allein, gibt es keine Entfaltung der Potenziale der Allmende und auch keine Lösung ihrer Probleme. Nutzergruppen in aller Welt haben vielschichtige Eigentums- und Bewirtschaftungsformen entwickelt, um das, was sie zum Leben brauchen, weitgehend selbst zu kontrollieren. In den Ländern des Südens und hier bei uns.

Die unzähligen Feldforschungen der »Ostrom-Schule« belegen, dass das Vorschreiben detallierter Regeln oft weniger erfolgreich ist als das gemeinsame Erarbeiten.

Die Gemeingüter machen Karriere. So würde man in der Sprache des Wettbewerbs vermutlich sagen. Tatsächlich ist die Wiederentdeckung der Gemeingüter in vollem Gange. Kennen Sie das Mietshäusersyndikat oder die Mundraubinitiative? Wissen Sie vom Boom der urbanen Gärten, in Hamburg und Leipzig oder in den Großstädten Chinas? Freut auch Sie die Vielzahl freier Lizenzen, deren mil lionenfache Anwendung die Wissensallmende täglich be reichert? Haben Sie sich schon inspirieren lassen von der Transition-Town-Bewegung, den Beteiligungsmodellen im Energiebereich (hin zu mehr Energieautonomie) oder von Open-Hardware- und Open-Design-Projekten? Sie alle entsprechen dem Grundgedanken moderner Gemeingüter: das Leben in die eigenen Hände nehmen, im Bewusstsein darüber, dass der eigene Vorteil auch auf dem Vorteil der anderen beruht.

Gemeingüter ganz praktisch herzustellen und zu pflegen, kostet viel Kraft, Energie und Kommunikation. Viel Arbeit wird erforderlich sein, um ihnen zum gesellschaftlichen Durchbruch zu verhelfen.

Auch der Begriff »Gemeingüter« bedarf noch gründlicher Reflexion. Heute wird er auf vielfältige Phänomene bezogen, und in dieser Ausdehnung zugleich geschärft. In der aktuellen politischen Diskussion meinen »Commons«, »Gemeingüter« oder »(Wissens-)Allmende« oft, dass das, was wir »bewirtschaften«, auch Gemeingut bleiben, und das, was wir herstellen, Gemeingut werden soll. Wie Wikipedia oder freie Software, wie erneuerbare Energien in Bürgerhand oder städtischer Wohnraum, der nicht mehr verspekuliert werden kann. Hier und in den Arbeiten Ostroms zeigt sich deutlich, dass Gemeingüter pflegen weit mehr bedeutet als nur Ressourcenschutz.

Zugespitzt formuliert: Es geht nicht um die Ressourcen per se. Es geht um uns, darum, wie wir die gesellschaftlichen Verhältnisse regeln und welche Institutionen wir dafür brauchen. Institutionen beeinflussen unsere Art zu handeln und zu denken. Institutionen machen den Menschen, aber Institutionen werden umgekehrt auch vom Menschen gemacht. Darin liegt eine große Chance.

Elinor Ostrom erklärt im folgenden Text, dass selbst zeitgenössische Unternehmen Eigenschaften mit Commons-Institutionen teilen. Die beschriebenen Gemeinsamkeiten sind unübersehbar, aber die Unterschiede sind es auch. Die Prinzipien, die den Markt dominieren, sind darauf ausgelegt, Ressourcen so optimal wie möglich in Waren zu verwandeln – und dabei in immer tiefere Schichten vorzudringen. Gen für Gen. Nanopartikel für Nanopartikel. Bit für Bit. Patent für Patent. Hier steht nicht die Frage im Mittelpunkt, wie Gemeingüter als solche erhalten bleiben oder vermehrt werden können – und das ist ein Fehler im System.

Gemeingüter hingegen machen Mut. Sie zeigen, dass Menschen in ihren verschiedenen sozialen Netzen über ein schier unerschöpfliches Reservoir an Wissen, Erfahrungen, formellen und informellen Regeln verfügen, an dem wir alle teilhaben können – wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten. Der Aufmerksamkeit folgt Energie. Wohl deshalb ist für mich das Nachdenken über Gemeingüter ein Energiespender geworden. Wer immer in der Öffentlichkeit über Gemeingüter spricht, und ich tue das häufig, erfährt den intuitiven Zugang, den fast jeder Mensch zur Welt der Gemeingüter hat. Der Grund ist einfach. Es gibt keine »Commons ohne Commoning«, hat der Historiker Peter Linebaugh einmal gesagt. Es gibt keine Gemeingüter ohne gemeinsames Tun. Jeder weiß das, weil es Teil unseres Lebens ist. Im Kern dieser Debatte stehen die Dinge, die Sozialbeziehungen robuster und das Leben lebenswert machen. Wem würden nicht Begriffe wie Kommunikation, Vertrauen, Kooperation und Vielfalt in den Sinn kommen, wenn die Frage nach den Grundlagen einer guten Lebensqualität gestellt wird? Um diese Themen dreht sich die Allmende, die so alt ist wie die Menschheit und so modern wie das Internet.