Mein Dank gilt Gesine Schmidt für die produktive und schöne Zusammenarbeit von der ersten Minute an; den Bewohnern von Potzlow für ihr Vertrauen, insbesondere den Eltern Jutta und Jürgen Schönfeld, Matthias Muchow und den anderen Freunden von Marinus Schöberl; Marco und Marcel Schönfeld; Petra Freiberg sowie den Anwälten Matthias Schöneburg und Volkmar Schöneburg sowie Thomas Weichelt.
Ich danke Gabi Probst vom RBB für die Überlassung der Interviews mit Birgit Schöberl und Tamara Milosevic für die Bereitstellung der Gesprächsprotokolle mit Torsten Muchow.
Ich danke Generalstaatsanwalt Rautenberg für seine vielfältigen Anregungen; Herrn Voigt, dem Leiter der Jugendstrafanstalt Wriezen, und Frau Dr. Six, der Leiterin der forensischen Psychiatrie Eberswalde, sowie Frau Ruhtz von der Bildungseinrichtung Buckow e.V. für ihre Unterstützung.
Mein Dank gilt auch Karin Graf für die Anstiftung, dieses Buch zu schreiben, Barbara Wenner für die wunderbare Begleitung als Agentin, Stefan Meyer für die Unterstützung als Lektor bei den Geburtsstunden des Buches sowie Julia Hoffmann für das ausgefeilte Lektorat.
Den Korrekturlesern Kristina Brandner, Karin Dörre, Volker Heise, Ellen Kobe, Jürgen Lorenz, Ingeborg Pritsching, Anne Radloff, Lutz Reitemeier und Stephanie Stremler danke ich für ihre Vorschläge und Anregungen.
Andres Veiel, geboren 1959, Psychologiestudium und Regieausbildung u.a. bei Kryzsztof Kieslowski, ist Filmregisseur und Drehbuchautor. Seine Filme wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Für den Dokumentarfilm »Black Box BRD« erhielt Veiel den Europäischen Dokumentarfilmpreis sowie den Bayerischen Filmpreis für den »Besten Dokumentarfilm«.
Unmittelbar nach dem Fund des Leichnams von Marinus Schöberl stand Potzlow über Wochen im Mittelpunkt des Medieninteresses. Kaum ein Mordfall der letzten Jahre fand ein so breites Echo.
Der Schatten der Tat fiel auf das Dorf. Die Menschen in Potzlow, so der Tenor der Berichterstattung, schauten weg, als jemand zu Tode gequält wurde. Sie interessierten sich nicht dafür, als nach dem Vermissten gesucht wurde. Sie nahmen den Besitz des Toten an sich, ohne die Polizei einzuschalten. Vor Gericht seien sie alkoholisiert erschienen und hätten weder Bedauern noch Reue oder Mitgefühl gezeigt. Und anschließend sei es den Bewohnern nur darum gegangen, den guten Ruf des Dorfes wiederherzustellen. Aufarbeitung, Reflektion über das Geschehen – Fehlanzeige. Potzlow wurde in den Medien zu einem Dorf der »Mitwisser«, manche sprachen gar von einem »Faschodorf«.
Viele Bewohner fühlten sich von den groben Unterstellungen stigmatisiert. Sie reagierten gereizt, als Journalisten mit ihnen Interviews führen wollten. Unter den Dorfbewohnern machte es schnell die Runde, dass ein Fernsehsender den Jugendlichen, die die Leiche gefunden hatten, Geld geboten hatte: Sie sollten »noch mal so tun, als würden sie nach Marinus buddeln«. Der Hass schlug nun auch Medienvertretern ins Gesicht, die ein differenzierteres Bild von Potzlow und seinen Bewohnern zeichnen wollten.
Die Möglichkeit einer komplexen Recherche war deshalb den meisten Journalisten versperrt, was manche von diesen wiederum als Bestätigung für die mangelnde Bereitschaft des Dorfes nahmen, sich mit der Tat auseinanderzusetzen. Von einer Mauer des Schweigens war die Rede.
Auch diejenigen, die den Tätern nahe standen, schwiegen nun – etwa die Eltern von Marco und Marcel Schönfeld. Nach einem TV-Interview, in dem die Eltern der Täter sprachlos auf dem häuslichen Sofa gezeigt wurden, verweigerten sie jeden weiteren Kontakt zu Journalisten. Die biographische Vorgeschichte der Täter, insbesondere das Verhältnis der Brüder Marco und Marcel Schönfeld untereinander sowie der Einfluss der Eltern und des Umfeldes auf sie blieben deshalb in den Medien weitgehend unbeleuchtet. Dazu gehörte auch die alltägliche Erfahrung von Gewalt, der die beiden Brüder im Dorf ausgesetzt waren.
Die Schlagzeilen über die Tat und das Dorf verfehlten ihre Wirkung auch bei mir nicht. Zuvor oftmals an den Wochenenden in Potzlow und der Umgebung bei Ausflügen unterwegs, hatte ich nun das Gefühl, dort nicht mehr hinfahren zu wollen. Gleichwohl ahnte ich, dass hinter den in manchen Medien verwendeten Begriffen wie »Faschodorf« oder »Monstertäter« eine vielschichtigere und kompliziertere Wirklichkeit lag. Schon bald nach den ersten Schlagzeilen im Winter 2002 hatte ich deshalb die Idee, über die Hintergründe und Zusammenhänge des Mordes an Marinus Schöberl einen Dokumentarfilm zu drehen. Nach der Medienwelle, die über das Dorf hinweg gegangen war, war jedoch zu vermuten, dass Täter, Angehörige des Opfers und Freunde nicht bereit sein würden, vor einer Kamera zu sprechen. Die ersten Recherchen bestätigten dann auch, dass die Wut der Betroffenen auf alle Medien, besonders aber auf die visuellen, zu groß war.
Als das Berliner Maxim-Gorki-Theater in Zusammenarbeit mit dem Theater Basel mir eine Inszenierung anbot, schlug ich deshalb vor, das Projekt über den Mord an Marinus Schöberl als dokumentarisches Theaterstück umzusetzen. Grundlage des Stücks sollten Interviews mit den Tätern, den Angehörigen des Opfers und der Familie der Täter, dem Richter, Gutachtern, den Staatsanwälten und Verteidigern und den Dorfbewohnern sein.
Im August 2004, fast zwei Jahre nach der Tat, begann die Vorarbeit für die Gespräche und Interviews. Gesine Schmidt, Dramaturgin am Maxim-Gorki-Theater, und ich fragten uns, wie wir trotz der allgemeinen Abwehr einen Zugang zu den Menschen in Potzlow finden könnten.
Tageweise fuhren wir in die Uckermark. Wir hatten ein besonderes Privileg: Wir hatten Zeit für unsere Arbeit, mussten nichts unter Termindruck fertig stellen. Sonst wären wir angesichts des anfänglichen Widerstands der Beteiligten mit unserem Projekt schon im Ansatz gescheitert.
Bei den Angehörigen von Marinus war der Schmerz über den Verlust sehr gegenwärtig. Sie wollten sich mit uns nicht treffen. Andere Ansprechpartner wie der Dorfpfarrer signalisierten uns, dass sie keinen Gesprächsbedarf hätten – wir sollten doch bitte in Berlin bleiben, es sei genug Schaden durch die Medien angerichtet worden. Auch bei den Eltern der Täter war die Erfahrung medialer Ausbeutung noch zu präsent, um uns zu einem Gespräch zu empfangen.
Ich schickte dem Pfarrer zwei meiner früheren Filme, um ihn von unserem Anliegen zu überzeugen, und nach acht Wochen durften wir ihn treffen. Bedingung für das Gespräch: keine Mitschriften, kein Mitschnitt. Zu den Eltern der Täter hatten die Anwälte nach mehrwöchigen Versuchen einen Kontakt vermittelt. Die erste Begegnung verlief stockend, aber nach drei Stunden löste sich die Anspannung und die Eltern begannen sehr offen zu erzählen. Auch hier durften wir zunächst keinerlei Aufzeichnungen machen. Beim dritten Gespräch gestatteten sie uns Notizen, nach zwei weiteren, ein Band aufzustellen. Sie vertrauten uns Akten, Fotos und persönliche Schilderungen aus ihrem Leben und dem ihrer Kinder an. Kern der Begegnungen waren die Fragen der Eltern, wie es »so weit« kommen konnte. Sie machten sich Vorwürfe, wiesen dann aber jede Verantwortung von sich. Sie versuchten die Tat zu reflektieren – und begannen sich mit der eigenen Biographie auseinander zu setzen. Die Eltern entsprachen so gar nicht dem öffentlichen Bild, das von ihnen entworfen worden war.
Marco Schönfeld, den älteren der beiden Brüder, trafen wir im November 2004 in der Haftanstalt Wulkow. Im Gespräch mit uns wirkte er hilflos und zerbrechlich – trotz seines gut trainierten Oberkörpers. Er sprach leise und vermied den Blickkontakt. Ich merkte, wie ich mich vergeblich dagegen wehrte, für Marco Schönfeld ein Mitgefühl zu entwickeln. Doch das wurde auf eine schwere Probe gestellt, sobald das Gespräch auf die Tat zu sprechen kam.
Über den Anwalt gelang es, auch zu dem jüngeren Bruder Marcel einen Kontakt herzustellen. Am Anfang machte Marcel Schönfeld uns die Auflage, die Tat in den Gesprächen nicht zu thematisieren. Nach dem dritten Gespräch brach er von sich aus diese Abmachung. In einem mehrstündigen Monolog ging er noch einmal jedes Detail der Tat durch.
Anders als mit Marcel und – eingeschränkter – Marco Schönfeld haben wir mit Sebastian Fink nie persönlich sprechen können. Sein Anwalt hat mit dem Hinweis auf das offene Verfahren zunächst jeden Wunsch nach einem Kontakt von unserer Seite abgelehnt. Nachdem das Revisionsurteil Anfang 2005 rechtskräftig geworden war, haben wir noch einmal versucht, mit Sebastian Fink Kontakt aufzunehmen. Diesmal war der Anwalt bereit, einen Brief an seinen Mandanten weiterzuleiten. Doch Sebastian Fink hat darauf nie reagiert. Deshalb enthalten die biographischen Skizzen zu ihm manche Leerstelle. Auch die vielen Gesprächspartner, die Sebastian Fink vor der Tat kannten und die bereit waren, mit uns zu sprechen, konnten sie nicht füllen.
Wir haben mit einigen Freunden von Marinus Schöberl gesprochen – auch mit denen, die sich vorgenommen hatten, öffentlich nicht mehr über den Mord zu reden. Bei den jugendlichen Dorfbewohnern ergab sich insgesamt ein anderes Bild als das, was in den Medien von ihnen gezeichnet wurde. Wir trafen auf ein sehr differenziertes Reflektions- und Wahrnehmungsvermögen, sowohl was die Tat selbst, die Folgen für die eigene Person, die Familie, aber auch was die Zusammenhänge und Hintergründe des Mordes angeht.
Nach anfänglicher Ablehnung traf sich auch Petra Freiberg, die Sozialarbeiterin des Jugendclubs, mit uns. Petra Freiberg war eine der wenigen, die sich zu einer Verantwortung für die Aufarbeitung des Geschehenen bekannten.
Angela Becker, die Freundin von Marco Schönfeld, stand auch nach dem Mord zu ihm. Sie hatte sich bislang nicht öffentlich geäußert.
Insgesamt führten wir mit mehr als vierzig Menschen lange Gespräche. Darüber hinaus erhielten wir Zugang zu weiteren Dokumenten – den psychiatrischen Gutachten über Marco und Marcel Schönfeld, den Anklageschriften und den Urteilen.
Gabi Probst, eine Journalistin vom RBB, hatte mit Birgit Schöberl, der Mutter von Marinus, einen intensiven Kontakt aufgebaut und bis zu ihrem Tod im Oktober 2003 mit ihr mehrere Interviews für ein differenziert argumentierendes Fernsehfeature geführt.24 Sie gab uns die Erlaubnis, diese Texte zu verwenden.
Von der Filmemacherin Tamara Milosevic erhielten wir Protokolle der Gespräche mit Torsten Muchow, dem Vater von Matthias.25
Bei der Auswahl der Interviewpassagen leitete uns vor allem eine Frage: Wie kann man sich dieser monströsen Tat annähern, ohne die Täter im »Monsterkäfig« zu belassen? Um Marco und Marcel Schönfeld gerecht zu werden, ist es nötig, ihnen eine Biographie jenseits der Tat zu geben. Andererseits sollte die Grausamkeit der Tat weder ausgeblendet noch verharmlost werden. Wird die Tat durch die sozialen und psychologischen Fehlentwicklungen erklärt, entsteht der Eindruck, dass letztlich alle Opfer der Verhältnisse sind, die Täter genauso wie das Opfer Marinus Schöberl. Diese generelle »Viktimisierung« verleugnet die Tatsache, dass die Täter nach ihrer Haftentlassung eine Chance auf ein neues Leben haben, das Opfer dagegen nicht. Die Täter sollen und dürfen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Unser Ziel war es, die Hintergründe der Tat so weit es geht zu verstehen, ohne damit für den Mord Verständnis zu entwickeln.
Aus den Ergebnissen einer ersten Recherchephase entwickelten wir 2005 das Theaterstück »Der Kick« und einen gleichnamigen Film. Beide entstanden auf der Grundlage von 1500 Seiten Interviews. Von diesen 1500 Seiten sind nur etwa vierzig als Konzentrat in das Stück und den Film eingeflossen.
Nach der Premiere des Films begann eine weitere Recherchephase. Über die Debatten zum Film und dem Stück war deutlich geworden, dass eine vertiefende Analyse noch ausstand.
Der Mord an Marinus Schöberl ist in seiner Monstrosität singulär, gleichwohl weist er in seinem Bedingungsgefüge weit über sich hinaus. Wöchentlich passieren ähnliche gewalttätige Vorfälle in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz und anderswo. Mit den Taten unmittelbar konfrontiert, schaut man in einen tiefen Krater der Unfassbarkeit. Man begreift nicht, warum Jugendliche oder junge Erwachsene »so etwas« tun.
Das Buch verzichtet auf einfache Erklärungs- und damit auch Lösungsangebote. Wenn es sie gäbe, wäre die Entwicklung einer gezielten Präventionsstrategie gegen Jugendgewalt nicht so schwierig. Gleichwohl macht dieser Text in seiner Komplexität ein Angebot: die zunehmende Gewalt nicht als Phänomen zu begreifen, dem man blind ausgeliefert ist. Es lassen sich Gründe und Ursachen finden. In der Psychotherapie heißt es: Die genaue Diagnose ist die Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie. Ob man diesen Satz auf die Veränderung gesellschaftlicher Zustände übertragen kann, muss sich erst noch zeigen.