Ohne zwei ganz besondere Menschen wäre dieses Buch niemals entstanden – zwei Seelen, die mich unter ihre schützenden Schwingen genommen und geduldig ermutigt haben, loszulassen und zu fliegen. Ich bedanke mich bei Jeanette Grimme und Carri Garrison, daß sie mich auf dieser literarischen Reise begleitet haben, und zwar mit einer Intensität, die unbeschreibbar ist.
Ich bedanke mich bei dem Autor Stephen Mitchell für seine Anteilnahme und Ermutigung, indem er schrieb: »Wenn ich nicht immer ihre Worte übersetzt habe, so war es doch mein oberstes Gebot, das, was sie denken, herüberzubringen.«
Ich bedanke mich bei Og Mandino, Dr. Wayne Dyer und Dr. Elisabeth Kübler-Ross, die alle hervorragende Autoren, Dozenten und »Wahre Menschen« sind.
Ich danke Marshall Ball dafür, daß er seiner Berufung zum Lehrer sein ganzes Leben gewidmet hat.
Außerdem möchte ich mich noch bei folgenden Personen bedanken: Tante Nola, Dr. Edward J. Stegman, Georgia Lewis, Peg Smith, Dorothea Wolcott, Jenny Decker, Jana Hawkins, Sandford Dean, Nancy Hoflund, Hanley Thomas, Rev Marilyn Reiger, Rev Richard Reiger, Walt Bodine, Jack Small, Jeff Small und Wayne Baker bei Arrow Printing, Stephanie Gunning und Susan Moldow bei Harper Collins, Robyn Berm, Candice Fuhrmann und ganz besonders bei MM-Co.-Direktor Steve Morgan.
Marlo Morgan studierte Medizin und engagierte sich besonders im Bereich der Gesundheitsvorsorge. Heute lebt sie in Missouri, USA.
»Ich, Burnum Burnum, ein Ureinwohner Australiens aus dem Wurundjeri-Stamm, erkläre hiermit, daß ich jedes Wort des Buches Traumfänger gelesen habe.
Es ist in meinem Leben das erste Buch, das ich von der ersten bis zur letzten Seite in einem Zug verschlungen habe. Ich habe es mit großer Freude und Hochachtung gelesen. Es ist ein Klassiker, und an keiner Stelle wird das Vertrauen, das wir ›Wahren Menschen‹ der Autorin geschenkt haben, mißbraucht. Unsere Ansichten und esoterischen Erkenntnisse werden vielmehr in einer Art und Weise dargestellt, die mich sehr stolz auf meine Herkunft machen.
Indem Du der Welt von Deinen Erfahrungen erzählst, hast Du einen historischen Fehler richtiggestellt. Im sechzehnten Jahrhundert hat uns der holländische Forschungsreisende William Dampier als ›das primitivste, elendigste Volk auf dem Erdenboden‹ bezeichnet. Dein Buch erhebt uns wieder zu einem höheren Bewußtsein und läßt uns als das königliche und majestätische Volk erscheinen, das wir sind.«
Aus einem Brief von Burnum Burnum,
einem Ältesten der Wurundjeri
Seit seiner Erstveröffentlichung ist dieses Buch um die Welt gereist und in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt worden. Auch ich als seine Autorin bin mit meinem lieben Freund Burnum Burnum, einem Ältesten des Wurundjeri-Stamms, viel herumgekommen. Gemeinsam haben wir Lesungen und Signierstunden in Amerika und Europa gehalten.
Im Jahr 2001 bin ich dann schließlich nach Australien zurückgekehrt. Alice Kelly, die wichtigste und einflußreichste Aborigine-Führerin des Kontinents, hatte mich zu sich gerufen. Als Älteste hütet sie die Gesetze und das Wissen ihres Volkes der Mutthi Mutthi im Südosten von New South Wales, außerdem ist sie Aufseherin im Gebiet der Willandra Lakes. Alice lobte meine Arbeit und nahm mich mit zu ihrem Geburtsbaum. Sie bat mich, ihr dabei zu helfen, die Überreste des Skeletts einer alten Prinzessin, die »Lake Mungo Lady« genannt wurde, aus einem Museum zu befreien. Es war mir eine Freude und Ehre, neben dieser weisen Führerin zu sitzen, die mich als würdige und wahrhaftige Hüterin der Heiligen Bräuche bezeichnete, und den uralten Überlieferungen der Aboriginefrauen zu lauschen.
Noch immer sehe ich Alice vor mir, wie sie mich aus ihren schwarzen Augen durchdringend anblickt, während ich ihr eine Frage beantworte: »Welche Rolle spielt dieses Buch im Leben seiner Leser? Haben die Gedanken der Wüstenmenschen, die nur ihre eigene Sprache sprechen und ihre sichere Heimat nie verlassen, wirklich die Herzen und den Verstand von Menschen berührt, die in einer ganz anderen Welt leben?«
Ich erzählte Alice von einem Ehepaar in Kanada. Beide, Mann und Frau, saßen im Rollstuhl. Sie hatten das Buch gelesen und waren besonders von der Idee der wettbewerbsfreien Spiele beeindruckt – Spiele ohne Sieger und ohne Verlierer, bei denen jeder ein Erfolgserlebnis hatte. Sie erfanden, produzierten und vertrieben daraufhin Brettspiele für Kinder, die genau dieses Ziel verfolgten. Die Spiele wurden ein großer Erfolg und bescherten ihren Erfindern finanzielle Unabhängigkeit. Außerdem konnten Tausende junger Menschen die wertvolle Erfahrung von Erfolgserlebnissen ganz ohne Konkurrenzdenken machen.
Bei einem Festvortrag, den ich für ein Weiterbildungsprogramm in einem Gefängnis hielt, lernte ich Lyle W. kennen. Man feierte den erfolgreichen Abschluß eines Projekts, das den Häftlingen ein besseres Selbstwertgefühl vermitteln sollte. Gearbeitet wurde dabei mit Botschaften aus dem Buch. Ohne fremde Unterstützung hatte Lyle Hunderten von Männern geholfen, die unsere Gesellschaft längst aufgegeben hatte. Wieder einmal wurde ich Zeugin einer Veranstaltung, die sich gut mit dem Gedicht beschreiben lässt, das meinem Buch vorangestellt ist: »Mit leeren Händen geboren, / mit leeren Händen gestorben. / Ich habe das Leben / in seiner ganzen Fülle kennengelernt, / mit leeren Händen.«
Bei einer Signierstunde erzählte mir ein alleinerziehender Vater, daß er sich mit einer seiner beiden Töchter auseinandergelebt habe. Obwohl sie sich einer Familientherapie unterzogen hatten, blieb die Beziehung schwierig. Dann lasen die Mädchen mein Buch und erzählten ihrem Vater von der Vorstellung, daß jeder Mensch zwar einen Geburtsnamen bekomme, man diesem Namen jedoch mit der Zeit entwachse, weshalb jedem erlaubt werden müsse, sich einen passenderen Namen auszusuchen, der etwas von dem widerspiegelt, was man gerade zu sein glaubt. Obwohl es diesem gestandenen Mannsbild ein wenig albern vorkam, erklärte er sich bereit, sich auf den fremden Brauch einzulassen. Er war Sheriff, deshalb nannte er sich jetzt Sharp Shooter – »Scharfschütze«. Die Lieblingstochter, die auch mit ihm zusammen zum Schießstand ging, nannte sich On The Mark – »Ins Schwarze getroffen«. Das Kind, das er als distanziert und schwierig empfand, nannte sich Sunshine Dreaming – »Träumender Sonnenschein«. Er sagte, dies sei der spontane und unbezahlbare Schlüssel zum Verständnis gewesen. Plötzlich begriff er, wie verschieden sie waren, und konnte die Schwierigkeiten in ihrer Beziehung lösen. Nachdem er die Botschaft verstanden hatte, die seine Tochter nicht laut formulieren konnte, versöhnte er sich mit ihr.
Eine Frau erzählte mir davon, wie sie ihre sterbende Mutter im Arm hielt und mit ihr zusammen zum dritten Mal die Audiofassung des Buches hörte. Sie dankte mir, weil sie glaubte, daß ihre Mutter zum ersten Mal in ihrem Leben zu innerem Frieden gefunden habe. Ihre letzten Worte waren ein Zitat aus dem Buch. »Die Ewigkeit ist eine sehr, sehr lange Zeit. Ich bin die Ewigkeit«.
Ich erzählte Alice von vielen anderen kleinen Begegnungen und Vorfällen. Klein, aber sicher genauso wichtig. Etwa von den Paketen, die ich von Schülern erhalten hatte. In ihnen befanden sich Briefe und Zeichnungen, mit denen sie auszudrücken versuchten, was die Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur für sie bedeutete. Aus einer Schule für Behinderte bekam ich ein Sammelalbum, in dem jedes Kind seine eigene Reise ins Outback beschrieb. Manche Menschen haben ihren Beruf aufgegeben, weil dieses Buch sie dazu ermutigte, ihre Zeit nicht mehr mit einer Tätigkeit zu verschwenden, die ihnen nichts bedeutete. Stattdessen sahen sie sich nach Möglichkeiten um, wie sie mit ihrer Arbeit einen gesellschaftlichen Beitrag leisten und gleichzeitig etwas tun konnten, das sie wirklich erfüllte. Oft sprachen Leser davon, daß sie den Zuckerguß über ihrem Leben abgekratzt hatten und plötzlich herausfanden, was ihnen wirklich wichtig war.
In den Jahren zwischen 1994 und 2004 ist viel auf unserer Welt geschehen. Drei Menschen, die ich sehr liebte, sind von uns gegangen und in die Traumwelt, die Ewigkeit zurückgekehrt: Burnum Burnum, Alice Kelly und mein Sohn Steve. Aber 1996 erhielt ich aus der Traumwelt das Geschenk einer neuen Enkelin, Karlee.
Als Individuen und auch als Weltgemeinschaft werden wir immer wieder herausgefordert und eingeladen, uns spirituell weiterzubilden. Ich weiß nicht, ob wir jetzt, zehn Jahre später, eine friedlichere und verantwortungsvollere Menschheit sind, aber es gibt ein neu erwachtes Interesse an der Erhaltung unserer Umwelt. Wir bemühen uns, andere Kulturen besser zu verstehen und auf eine Welt ohne Kriege hinzuarbeiten. Ich bin nur eine unter vielen, die lernen, in einer westlichen Gesellschaft zu leben und trotzdem die spirituellen Ideale der alten Völker zu verinnerlichen. Es ist meine Hoffnung, daß Sie diese Geschichte lesen – entweder zum ersten oder wiederholten Mal – und sich von den »Wahren Menschen« neu inspirieren lassen.
Man sollte meinen, es hätte irgendeine Warnung geben müssen, aber ich habe nichts dergleichen verspürt. Die Ereignisse hatten bereits ihren Lauf genommen. Meilen von mir entfernt saß eine Gruppe Raubvögel und harrte ihres Opfers. Das Gepäck, das ich erst vor einer Stunde ausgepackt hatte, würde am nächsten Tag mit dem Aufkleber »nicht abgeholt« versehen und in Aufbewahrung gegeben werden – viele Monate lang.
Es war ein schwüler Oktobermorgen. Ich stand in der Auffahrt des australischen Fünfsternehotels und wartete auf einen mir unbekannten Kurier. Und statt eine unangenehme Vorahnung zu empfinden, jubelte mein Herz. Es ging mir einfach wunderbar: Ich war freudig erregt, fühlte mich erfolgreich und gut vorbereitet. Tief in meinem Inneren wußte ich es: »Heute ist mein Tag.«
Ein Jeep ohne Verdeck bog in die kreisförmige Auffahrt ein. Ich kann mich erinnern, daß die Räder auf dem glühendheißen Asphalt zischten. Feine Wassertropfen wehten wie ein Sprühregen über die strahlendroten Lampenputzerbäume auf das rostige Metall. Der Wagen hielt an, und der Fahrer, ein etwa dreißigjähriger Aborigine, blickte in meine Richtung.
»Kommen Sie«, bedeutete mir seine schwarze Hand. Er suchte nach einer blonden Amerikanerin. Und ich wartete auf jemanden, der mich zu einem Stammestreffen von Aborigines bringen sollte. Unter dem kritischen Blick und der mißbilligenden Gestik des uniformierten australischen Türstehers erkannten wir, daß wir uns gefunden hatten.
Noch bevor ich den lächerlichen Kampf mit meinen hochhackigen Schuhen aufnahm, um in den Geländewagen zu klettern, war mir klar, daß ich völlig unpassend gekleidet war. Der junge Fahrer an meiner Seite trug Shorts, ein schmuddeliges weißes T-Shirt und Tennisschuhe ohne Socken. Als wir den Transport zu dem Stammestreffen arrangierten, hatte ich vermutet, sie würden mir einen normalen Wagen schicken, vielleicht einen Holden, den Stolz der australischen Automobilindustrie. Niemals hätte ich mir erträumt, daß man mir ein völlig offenes Gefährt schicken würde. Nun denn, dachte ich, lieber zu gut als zu schlecht gekleidet, wenn es zu einem Empfang geht – noch dazu einem Bankett zu meinen Ehren.
Ich stellte mich vor. Er nickte nur und tat so, als sei ihm längst klar, wer ich war. Der Türsteher runzelte die Stirn, als wir an ihm vorbeischossen. Wir fuhren durch die Straßen der Küstenstadt, vorbei an Reihen von Häusern mit Veranden vor der Tür, an den für Australien typischen Milchbars und zubetonierten Parkplätzen ohne einen Tupfen Grün. Als wir in einen Kreisverkehr einfuhren, in den sechs Straßen mündeten, umklammerte ich krampfhaft den Türgriff. Als wir ihn wieder verließen, brannte mir die Sonne von hinten auf den Rücken. Schon jetzt wurde es mir in meinem neuerworbenen pfirsichfarbenen Seidenkostüm mit farblich abgestimmter Bluse unangenehm warm. Ich vermutete, daß wir zu einem Gebäude am anderen Ende der Stadt fuhren, aber da irrte ich. Wir bogen in die Hauptverkehrsstraße ein, die parallel zur Küste verlief. Offensichtlich spielte sich der Empfang außerhalb der Stadt ab, an einem Ort, der weiter vom Hotel entfernt lag, als ich erwartet hatte. Ich zog meine Jacke aus und machte mir Vorwürfe, daß ich so dumm gewesen war, nicht genauer nachzufragen. Wenigstens hatte ich eine Haarbürste in meine Handtasche gesteckt, und mein schulterlanges blondiertes Haar war – ganz der Mode entsprechend – zu einem Zopf geflochten und hochgesteckt.
Seit ich den ersten Anruf in dieser Sache erhalten hatte, war ich vor allem neugierig gewesen. Ich kann jedoch nicht sagen, daß er mich wirklich überraschte. Schließlich war es nicht das erste Mal, daß meine Arbeit öffentlich anerkannt wurde, und dieses Projekt war ein besonders erfolgreiches. Ich arbeitete mit städtischen Halbblut-Aborigines, die durch Selbstmordversuche auf sich aufmerksam gemacht hatten. Ich hatte ihnen zu ersten finanziellen Erfolgen und Selbstwertgefühl verholfen, und das mußte früher oder später bemerkt werden. Nur eines war merkwürdig: Der Stamm, der mich eingeladen hatte, lebte zweitausend Meilen weit entfernt an der anderen Küste des Kontinents. Allerdings wußte ich bis auf ein paar gelegentlich aufgeschnappte Bemerkungen auch nur wenig über die verschiedenen Aborigine-Völker. So war mir zum Beispiel nicht klar, ob es sich bei ihnen um eine ziemlich einheitliche Rasse handelte, oder ob es, wie bei den Ureinwohnern Amerikas, zwischen den einzelnen Stämmen große Unterschiede und verschiedene Sprachen gab.
Über eines aber machte ich mir wirklich Gedanken: Was würde man mir überreichen? Noch eine holzgeschnitzte Gedenktafel, die ich zur Aufbewahrung heim nach Kansas City schicken würde? Oder vielleicht einfach nur einen Blumenstrauß? Nein, bei Temperaturen um die 40 Grad sicher keine Blumen. Außerdem wären die für den Rückflug viel zu umständlich zu transportieren. Wie vereinbart war der Fahrer pünktlich um zwölf Uhr mittags gekommen. Also mußte es sich um einen Empfang mit Mittagessen handeln. Ich fragte mich, was ein Ureinwohnerrat wohl servieren würde? Hoffentlich kein traditionelles australisches Essen von irgendeinem Partyservice. Vielleicht war es ja ein improvisiertes Buffet, zu dem jeder etwas mitbrachte, so daß ich erstmals die Gelegenheit hätte, die verschiedensten Aborigine-Gerichte zu kosten. Ich hoffte auf einen mit vielen bunten Töpfen beladenen Tisch.
Dies versprach eine wunderbare und wirklich einzigartige Erfahrung zu werden, und ich freute mich auf einen Tag, den ich so schnell nicht wieder vergessen würde. In meiner Handtasche, die ich mir extra für diesen Anlaß gekauft hatte, befanden sich eine 35-mm-Kamera und ein kleines Tonband. Es war zwar nie von Mikrophonen und Scheinwerfern die Rede gewesen, auch hatte man nie erwähnt, daß ich eine Ansprache halten sollte, aber zumindest war ich auf alles vorbereitet. Es zählte zu meinen besten Eigenschaften, daß ich immer vorausdachte. Schließlich war ich mittlerweile fünfzig Jahre alt und hatte in meinem Leben genügend Enttäuschungen und peinliche Situationen erlebt, um für jede Lage einen Alternativplan dabeizuhaben. Meine Freunde lobten meine Flexibilität: »Immer einen Plan B im Armel«, pflegten sie zu sagen.
Ein Highway-Straßenzug (die australische Bezeichnung für einen LKW-Konvoi, in dem jeder Wagen mehrere riesige Anhänger hinter sich herzieht) fuhr auf der Gegenfahrbahn an uns vorbei. Die Wagen tauchten plötzlich aus den flirrenden Hitzewellen auf und donnerten mitten auf der Fahrbahn auf uns zu. Meine Gedanken wurden abrupt unterbrochen, als der Fahrer das Steuer herumriß und vom Highway in einen holprigen Weg abbog, auf dem wir eine meilenlange rote Staubwolke hinter uns ließen. Irgendwann verschwanden auch die beiden ausgefahrenen Spuren, und jetzt konnte ich gar keine Straße mehr erkennen. Wir fuhren im Zickzack um die Büsche und holperten über den ausgetrockneten, sandigen Wüstenboden. Mehrmals versuchte ich ein Gespräch anzufangen, aber der Motorlärm in dem offenen Fahrzeug und das Geräusch des Gestrüpps, das von unten gegen die Karosserie schlug, machten jede Unterhaltung unmöglich. Ich wurde ordentlich durchgeschüttelt und mußte meine Kiefer fest aufeinanderpressen, um mir nicht auf die Zunge zu beißen. Auch der Fahrer schien ganz offensichtlich wenig geneigt, ein Gespräch anzubahnen.
Mein Kopf wurde hin- und hergeworfen, und ich fühlte mich wie eine Lumpenpuppe mit schlenkernden Gliedern. Mir wurde immer heißer. Meine Seidenstrumpfhose schien an meinen Füßen zu schmelzen, doch ich traute mich nicht, die Schuhe auszuziehen, weil ich befürchtete, sie könnten aus dem Wagen hinaus in die unendlich weite, kupferfarbene Ebene geworfen werden, die uns umgab, so weit das Auge reichte. Ich hatte wenig Hoffnung, daß mein stummer Fahrer wegen so etwas anhalten würde. Ein feiner Staubfilm legte sich auf meine Sonnenbrille, und ich wischte ihn immer wieder mit dem Saum meines Unterrocks ab. Diese Armbewegungen öffneten die Schleusen für wahre Ströme von Schweiß. Ich spürte, wie mein Make-up sich auflöste, und stellte mir vor, wie der rosafarbene Hauch, den ich mir am Morgen auf die Wangen gepinselt hatte, jetzt in roten Streifen an meinem Hals hinunterlief. Sicherlich würde man mir zwanzig Minuten zugestehen, damit ich mich vor dem Empfang wieder etwas zurechtmachen konnte. Ich würde darauf bestehen!
Ich blickte auf meine Uhr; wir fuhren nun schon seit zwei Stunden durch die Wüste. Ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so verschwitzt und unbehaglich gefühlt zu haben. Mein Fahrer blieb stumm und summte nur gelegentlich ein paar Takte vor sich hin. Plötzlich dämmerte es mir: Er hatte sich überhaupt nicht vorgestellt. Vielleicht saß ich ja gar nicht im richtigen Auto! Aber das war dumm. Ich konnte im Moment nicht aussteigen, und er schien keine Bedenken zu haben, daß ich der richtige Passagier war.
Vier Stunden später fuhren wir auf eine verrostete Wellblechhütte zu. Draußen war ein kleines, schwelendes Feuer zu sehen. Als wir uns näherten, erhoben sich zwei Aborigine-Frauen. Sie waren beide mittelalt, klein und nur spärlich bekleidet. Als Zeichen des Willkommens lächelten sie mir warmherzig zu. Die eine trug ein Band im Haar, das die dicken Locken in eigenartigen Winkeln von ihrem Kopf abstehen ließ. Beide wirkten schlank und durchtrainiert, und aus ihren runden Gesichtern blickten mich strahlende braune Augen an. Als ich aus dem Jeep kletterte, sagte mein Fahrer: »Ich bin hier übrigens der einzige, der Englisch spricht. Ich werde dein Übersetzer und Freund sein.«
»Na, wunderbar!« dachte ich. »Um diese australischen Ureinwohner kennenzulernen, hast du siebenhundert Dollar für einen Flug, ein Hotelzimmer und neue Kleidung ausgegeben, und jetzt können sie noch nicht einmal Englisch, von Modebewußtsein ganz zu schweigen.«
Aber da ich nun schon einmal hier war, konnte ich auch genausogut versuchen, mich anzupassen, obwohl ich tief in meinem Herzen wußte, daß es mir nicht gelingen würde.
Die Frauen stießen rauhe, fremdartige Geräusche aus, die nicht wie Sätze klangen, sondern höchstens wie einzelne Wörter. Mein Übersetzer wandte sich mir zu und erklärte, daß ich erst gereinigt werden müsse, um an der Versammlung teilnehmen zu dürfen. Mir war nicht klar, was er damit meinte. Natürlich war ich mit mehreren Schichten Staub bedeckt und von der Fahrt verschwitzt, aber darauf schien er nicht anzuspielen. Er überreichte mir ein Stoffbündel. Als ich es öffnete, entpuppte es sich als eine Art Lumpen-Wikkelkleid. Sie wiesen mich an, meine Kleider abzulegen und es anzuziehen.
»Wie bitte?« fragte ich ungläubig. »Ist das Ihr Ernst?«
Unnachgiebig wiederholte er seine Anweisungen. Ich sah mich nach einem geeigneten Ort zum Umkleiden um, aber es gab keinen. Was sollte ich machen? Ich war von zu weit hergekommen und hatte bereits zu viele Unannehmlichkeiten über mich ergehen lassen, um mich zu weigern. Der junge Mann entfernte sich.
»Ach, was soll’s. Wenigstens wird mir darin kühler sein als in meinem Kostüm«, dachte ich. So diskret wie möglich legte ich meine verdreckten, gerade neu erworbenen Kleider ab, faltete sie ordentlich zusammen und zog dann das Ureinwohnergewand an. Ich stapelte meine Sachen auf einen großen Stein, der vorher den wartenden Frauen als Stuhl gedient hatte. In dem farblosen Fetzen kam ich mir recht dumm vor und bedauerte es, daß ich so viel Geld in ein Kostüm investiert hatte, um damit »Eindruck schinden« zu können.
Der junge Mann kam zurück. Auch er hatte sich umgezogen und stand jetzt fast nackt vor mir – er trug lediglich ein Stoffstück, das er wie eine Art Badehose um sich gewickelt hatte. Wie die beiden Frauen am Feuer ging er barfuß. Er instruierte mich, daß ich alles abzulegen hatte: Schuhe, Strumpfhose, Unterwäsche und sämtlichen Schmuck, sogar die Klämmerchen, mit denen ich mir das Haar hochgesteckt hatte. Langsam war es mit meiner Neugier vorbei, und ich fühlte mich immer unbehaglicher. Aber ich tat, was man mir sagte.
Ich erinnere mich, daß ich meinen Schmuck in die Spitze eines Schuhs stopfte. Und ich tat etwas, was jede Frau automatisch zu tun scheint, obwohl es uns sicher niemand so beigebracht hat: Ich nahm meine Unterwäsche und legte sie in die Mitte des Kleiderhaufens.
Eine dicke graue Rauchwolke stieg aus den schwelenden Kohlen auf, als sie jetzt frisches grünes Buschwerk auf die Feuerstelle warfen. Die Frau mit dem Stirnband nahm einen Gegenstand, der aussah wie der Flügel eines großen schwarzen Raubvogels, und breitete ihn wie einen Fächer aus. Sie stellte sich vor mich und fächelte mir vom Kopf bis zu den Füßen zu. Der Rauch wirbelte um mich herum und nahm mir fast die Luft. Als nächstes bewegte sie ihren Zeigefinger in einer kreisförmigen Geste, die wohl »bitte umdrehen« bedeuten sollte. Das Rauchritual wurde hinter meinem Rücken wiederholt. Dann wiesen sie mich an, über das Feuer und durch den Rauch zu steigen.
Schließlich sagte man mir, ich sei jetzt gereinigt und dürfe die Wellblechhütte betreten. Während der bronzefarbene Mann mich zum Eingang geleitete, sah ich, wie die Frau mit dem Band im Haar meinen Kleiderhaufen nahm und ihn über die Flammen hielt. Sie sah mich an, lächelte, und während sich unsere Blicke trafen, ließ sie die Schätze in ihren Händen los. Alles, was ich besaß, wurde ein Opfer der Flammen! Dann bedeutete sie mir, nochmals über das Feuer und durch den Rauch zu steigen.
Einen Moment lang war ich wie gelähmt; ich atmete tief durch. Ich weiß nicht, warum ich nicht laut protestierte und schnell zum Feuer lief, um meine Sachen zu retten. Ich blieb einfach stehen. Der Gesichtsausdruck der Frau verriet, daß sie nicht böswillig handelte. Es war eher so, als würde sie einem Fremden eine ganz besondere Geste der Gastfreundschaft erweisen. »Sie weiß einfach nicht, was sie tut«, dachte ich. »Sie hat sicher noch nie etwas von Kreditkarten gehört.« Ich war froh, daß ich mein Flugticket im Hotel gelassen hatte. Dort hatte ich auch noch etwas zum Anziehen, und wenn es soweit war, würde ich es schon irgendwie schaffen, in diesem Gewand durch die Hotellobby zu schreiten. »Hey, Marlo«, dachte ich, »du bist doch ein flexibler Mensch. Wegen so etwas braucht man sich doch kein Magengeschwür zuzulegen.« Aber immerhin nahm ich mir vor, später einen meiner Ringe aus der Asche zu retten. Bis wir mit dem Jeep in die Stadt zurückfahren würden, wäre das Feuer sicher ausgegangen und abgekühlt.
Doch es sollte anders kommen.
Nur im nachhinein kann ich verstehen, welchen Symbolgehalt es hatte, als ich mich von meinem wertvollen und, wie ich dachte, völlig unverzichtbaren Schmuck trennte. Ich sollte noch lernen, daß Zeit für diese Menschen wirklich überhaupt nichts mit den Stunden auf meiner gold-diamantenen Armbanduhr zu tun hatte, die jetzt für immer der Erde übergeben worden war.
Erst viel später würde ich verstehen, daß diese Loslösung von bestimmten Dingen und Überzeugungen mir vorbestimmt und bereits ein erster, unverzichtbarer Schritt in meiner menschlichen Entwicklung zum Sein war.