Jörg Juretzka
ALLES TOTAL GROOVY HIER
Kriminalroman
Von Jörg Juretzka liegen bei Rotbuch außerdem vor:
Freakshow (1. Aufl. 2011)
Fallera (2. Aufl. 2011)
Rotzig & Rotzig (2. Aufl. 2010)
Prickel (4. Aufl. 2011)
Der Willy ist weg (4. Aufl. 2009)
ISBN 978-3-86789-553-8
© 2009 by BEBUG mbH/Rotbuch Verlag, Berlin
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Umschlagabbildung: Sven Hoppe (fotolia)
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10178 Berlin
Tel. 01805/30 99 99
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FÜR CORA UND VERENA
Speziellen Dank an The Defectors für ›Creepy Crawl‹
Sämtliche Figuren und auch sämtliche Orte dieses
Romans sind frei erfunden.
Als Erstes sah ich den brennenden Hund.
Nein, das ist nicht ganz richtig. Als erstes Wesen nach dem Abbiegen von der Nationalstraße, nach dem Verlassen der endlosen Agrar-Wüste aus weißen Plastikplanen, sah ich diese zahnlos grienende Zwölfjährige, die ihr T-Shirt hob, um mir ihre unterentwickelten Brüste zu zeigen, und dann den Rock, mit dem sie die vielleicht dünnsten und dreckigsten Beine entblößte, die mir je unter die Augen gekommen sind.
Dann sah ich den brennenden Hund, verfolgt von einer Meute Steine schmeißender Kinder und Jugendlicher.
Das kreischende Tier querte unseren Weg, ich riss am Steuer, und Scuzzi schreckte aus dem Schlummer, als das rechte Vorderrad dem Leiden des Hundes ein rumpelndes, knirschendes Ende bereitete. Ich stoppte in einer Staubfahne, stieg aus, geriet voll in den Steinhagel der verwahrlosten Horde, bekam deftig einen gegen den Schädel und musste mich zurück in den Wagen flüchten. Wurfgeschosse knallten auf die Karosse, und ein Stern erschien in der Heckscheibe, doch der Hund war tot, wie ich mich mit einem kurzen Blick hatte überzeugen können. Ich gab Gas, und die Straße senkte sich. In der Ferne wurde mit viel gutem Willen ein blauer Streifen ahnbar. »Jessas!«, keuchte Scuzzi, noch reichlich benebelt wie meist nach dem Aufwachen. »Wo sind wir hier gelandet?« »Willkommen an der Küste des Lichts«, antwortete ich, fasste mir an die Stirn, nahm die Hand runter und sah mein Blut.
Die Straße ließ sich Zeit, wand sich in Schlangenlinien durch ein schroffes, felsiges Terrain und häutete sich dabei. Will sagen, das Asphaltband erodierte allmählich zu einem Stückwerk, dessen Einzelteile weiter und weiter auseinanderklafften, je länger wir ihm folgten.
Dorniges Gestrüpp und Baumleichen säumten die Straßenränder, skelettdürre Pferde vegetierten auf sonnenverbrannten, staubigen Weiden. Hier und da, wo der Straßenverlauf zum Verzögern zwang, fanden sich dunkle, ausgemergelte, zahnlückige Gestalten beiderlei Geschlechts und jeden Alters, ihre Mienen eine Mischung aus trotziger Resignation und unkaschierbarer Verschlagenheit. Sie hoben Tiere ans Wagenfenster, Hunde, Welpen zumeist, doch auch der eine oder andere Leguan war darunter, von Katzen ganz zu schweigen.
»Zigeuner«, sagte Scuzzi und spuckte aus. »Halt bloß nicht noch mal an, oder von uns und dem Auto sind binnen Minuten nur noch die Gerippe übrig.«
Wir rumpelten weiter durch die Schlaglöcher, und Scuzzi sprach aus, was uns beide beschäftigte. »Irgendwie hab ich mir nach Schissers Beschreibung die Gegend hier ein bisschen anders vorgestellt.«
Das grelle, nahezu senkrecht vom Himmel herabschwärende Licht nahm allem die Konturen, eine knisternde Hitze ließ jede Bewegung erstarren, vom trägen, mühelosen Flug der Geier einmal abgesehen. Und uns, natürlich, in unserem stickigen Wohnmobil, alle Fenster so weit es ging aufgerissen, wodurch das Innere unaufhaltsam zustaubte, bis es Teil der Landschaft zu werden begann. Etwas wie eine Vorahnung kroch mir durch die Eingeweide, eine Beklemmung, eine erste Stufe von Angst, ohne dass es dafür tatsächliche Gründe gab. Es war die Lebensfeindlichkeit der Landschaft, die gnadenlose Härte der himmlischen Strahlung, die schockierende Armut der Leute.
Wir passierten ein Dorf, oder was davon übrig war. Ein paar streunende Hunde lagen oder schlichen herum, doch andere Bewohner waren nicht auszumachen, die instinktiv erhoffte Bar erst recht nicht. Nur eingesunkene Dächer, zugemauerte Türen, vernagelte Fenster oder aber gähnende Höhlen, die Räume dahinter voll Müll und Sand, wüst und trocken wie alles hier. Und, wie gesagt, keine Bar. Ich begann, den Landstrich zu hassen und Schisser zu verfluchen, und Scuzzi erst recht.
Die beiden hatten das erbrütet, hatten sich gegenseitig hineingesteigert in dieses Kiffer-Klischee, hier im ach so sonnigen Süden die Stormfuckers Ranch zu gründen, eine Dope-Plantage als Erholungs- und Rückzugsort für alternde Biker, wenn man so will. Und dann hatten sie nach und nach die halbe Gang damit angesteckt.
Ich war von Anfang an dagegen, hatte nicht einen Cent beigesteuert, jede Menge Ärger mit den örtlichen Behörden vorausgesehen und allein schon deshalb verkündet, niemals mitfahren zu wollen. Und trotzdem war ich jetzt hier, auf der Suche nach dem verschollenen Schisser und den ebenfalls abgängigen hundertachtzigtausend Euro, nicht zu vergessen.
Fetter, widerwärtig stinkender, schwarzer Rauch schlug uns entgegen, gerade als ich dachte, wir hätten es bis ans Wasser geschafft. Eine als wilde Müllkippe genutzte Kluft zum Meer hinab schwelte vor sich hin, allem Anschein nach für immer. Zahllose Reifenspuren deuteten jedenfalls an, dass sie weiterhin munter mit Nachschub versorgt wurde.
Irgendwie war ich mit der Gegend fertig, noch bevor ich auch nur den Gang rausgenommen hatte.
»Du bist Detektiv, Kristof«, hatte Charly, Präsident der Stormfuckers und damit auch meiner, festgestellt. »Also fahr runter und finde heraus, was da los ist. Und nimm Scuzzi mit. Der kann Spanisch.«
Scuzzi. Pierfrancesco Scuzzi. Spricht in Verhöhnung des eigenen Namens kein über das Vokabular eines türkischen Pizzaboten hinausgehendes Wort Italienisch, hatte aber angeblich letztes Jahr von zwei Barschlampen auf Gomera Spanisch gelernt.
Pierfrancesco also, mein Scuzzi, mein bester Freund. Er mit dem polytoximanen Drogenproblem, er mit dem geleckten Äußeren und dem billigen Charme eines sizilianischen Erbschleichers, er ohne Führerschein und sonstige Ambitionen außer denen, sich die Birne dichtzuziehen und träges Abhängen in den Stand einer Kunstform zu erheben.
Das Problem ist, unsere Freundschaft funktioniert nicht auf Reisen. Ja, im Grunde funktioniert sie nur zu Hause, wo ich mich verziehen kann, sobald er mir auf die Eier zu gehen beginnt.
Nun, nach mittlerweile drei gemeinsamen Tagen und Nächten unterwegs, waren wir über das Beginn-Stadium schon lange hinaus.
Ein paar schlaglochvernarbte Serpentinen noch, und endlich kamen wir ans Meer hinunter, so kühl, so blau, so angenehm für das vom Asphalt geschundene Auge, so besänftigend für die Seele wie Salbe auf gereizter Haut. Scuzzi und ich trennen uns, entschied ich. Wir suchen in verschiedenen Richtungen, wir finden Schisser, wir finden das Geld, wir fackeln das verdammte Wohnmobil ab und ich fliege mit der nächsten Maschine zurück.
»Hey, kuck mal, da drüben! Was ist das denn?« Scuzzi deutete mit allen Anzeichen einsetzender Euphorie.
›Paradise Lodge‹ stand, grob in ein raues Brett geschnitzt, quer über der Einfahrt eines eingezäunten Geländes.
»Ein Campingplatz«, stellte ich mit sorgfältig akzentuierter Sachlichkeit fest. Schwer zu sagen, was mich mehr zu entzücken vermag: der Anblick eines Campingplatzes oder der eines Dixi-Klos.
Trotzdem ließ ich den Wagen ausrollen. Denn das hier, das Ende dieser Straße, war, was wir über Google und die Telefonauskunft als wahrscheinlichen Ort von Schissers letztem Anruf eingekreist hatten.
»Wow, das sieht ja völlig abgefahren aus.«
»Abgefuckt, wolltest du sagen.« Bunt, das war der erste Eindruck. Chaotisch und versifft, der zweite und dritte. Doch immerhin, wir waren da. Am Ziel, vorläufig.
Ich klopfte den Starterknopf zurück ins Armaturenbrett, und der Diesel gab Ruhe.
Dafür erklang Musik. Leise zwar, doch trotzdem un-überhörbar, penetrant. Scott McKenzie, aus einer Vielzahl über das Gelände verteilter Lautsprecher. Mit seinem einen, seinem einzigen, hunderttausendmal gehörten Hit. »Hey, coole Mucke«, fand Scuzzi, und ich senkte meine Stirn auf das Lenkrad.
Eine Bar, dachte ich. Bitte, lass sie eine Bar haben.
Verschattet von einer improvisierten Markise bestand die Rezeption aus einem ausgedienten militärischen Wachhäuschen und war unbesetzt. Bitte klingeln stand in sechs verschiedenen Sprachen neben einem Haken, dem jegliche Form von Klingeling-erzeugendem Instrument tragisch abging.
»Hallo, ist hier jemand?«, rief Scuzzi, wie man das so macht. Wenn man keine Augen im Kopf hat. Oder sachte einen an der Waffel.
Ich trat in den Schatten, rang mit meinem kolossalen Unwillen, hier zu sein, und sondierte das Gelände.
Nur an den Rändern der Anlage wirkten die Dinge halbwegs mobil, standen ein paar fahrbar wirkende Autos, die weißen Schuhschachteln moderner Wohnmobile, dazwischen Kuppelzelte.
Der Rest war Shanty-Town. Favela. Slum.
Wellblech, Sperrmüll, Plastikplanen.
Halb nackte Kinder, räudige Hunde, Hühner.
Girlanden, Glaskugeln, Windspiele, Petroleumfunzeln baumelten, Graffiti und Murals verherrlichten kubanische Revolutionäre und den Freiheitskampf aller Unterdrückten, vorwiegend in Rot, Gelb, Grün und Schwarz. Das Ganze war umgeben von einem Maschendrahtzaun, der nicht so recht zu wissen schien, ob er Eindringlinge draußen oder aber die Bewohner drinnen halten sollte. Eine leichte Brise wehte vom Meer herein und nahm unterwegs die Aromen der in Strandnähe positionierten Toilettenanlage auf.
So was wie den Mittelpunkt dieser Idylle bildete ein der Räder beraubter und auf Betonklötzen aufgebockter amerikanischer Ex-Schulbus, in psychedelischen Mustern bemalt, und auch ohne näher hinzusehen, wusste ich sofort, dass ›Magic Bus‹ über seiner Windschutzscheibe stand.
Ihn umgab, wie die Altstadt die Kirche, eine Ansammlung von Barackenheimen und mit wackeligen Anbauten versehener Wohnanhänger und Bauwagen, die allesamt einen gestrandeten, an Ort und Stelle resignierten Eindruck machten.
Im Schatten einer alten Eiche fungierte ein aus Tischen, Stühlen und Bänken zusammengewürfeltes Oval als eine Art Freiluft-Mensa.
Die Atmosphäre war friedlich, schläfrig, brüderlich-solidarisch, drogenlastig und schwer alternativ. Also eigentlich perfekt zum Relaxen, perfekt, mal das Haar herunter und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen, sollte man meinen.
Warum ich trotzdem steif vor Widerwillen dastand, kann daran liegen, dass mir jegliche Zusammenballung von Aussteigern seit jeher suspekt ist. Noch dazu bei räumlicher Enge in fremder Umgebung, und vor allem, wenn der Faktor Zeit dazukommt, Zeit als Gärfaktor für alle Arten von Neurosen und Psychosen. Dann noch eine Menge mit Sex und Drogen bekämpfte Langeweile mit in den Topf gerührt, und die Brühe fängt an zu stinken, zumindest für mich.
Solange nicht klar war, wo sich Schisser aufhielt und wie es ihm ging, war mir hier alles und jeder suspekt, und wenn sie noch so friedensbemüht auftraten.
Schisser, dachte ich, wieso hast du mich hergelotst? Wieso gerade hierhin? Zu den ganzen dir so verhassten Gutmenschen? Sprich mit mir.
Doch Schisser schwieg. Nur Bob Marley leierte etwas, das in meinen Ohren immer wie ›feiern, eiern, reihern‹ klingt.
Das brachte den Gedanken an geistige Getränke zurück. Ich brauchte ein Bier. Dringend.
Es bimmelte, und da war jemand im Wachhäuschen der Rezeption.
»Hi, ihr Freaks«, rief sie, hängte das Glöckchen an den Haken, ließ ihre blauen Augen und ihre weißen Zähne blitzen und saugte Scuzzi und mich damit ruckartig vor ihre Theke.
Sie war etwa Anfang zwanzig und von den nur lässig gebändigten Löckchen mit den eingeflochtenen Blümchen bis zu den von Kettchen umschmeichelten bloßen Füßen komplett auf Hippie-Queen kostümiert. Bezaubernd.
Vielleicht ließ es sich hier ja doch aushalten. Vielleicht waren meine Beklemmungen unbegründet.
Scuzzi hob seine Ray-Ban in die Stirn, dann zwei gespreizte Finger in die Höhe und raunte: »Peace.«
›Fremdscham‹ nennt man das Gefühl, wenn sich ein Freund neben einem gerade komplett zum Affen macht. »Love«, antwortete das Mädchen, und die beiden teilten einen Anfall ungemeiner Heiterkeit.
›Missgunst‹ ist so ein anderes Gefühl, das einen schon mal packen kann.
Sie hieß Vishna und ihr farbenfrohes, ärmelloses Kleid war an allen Rändern mit weißen Rüschen verziert. Vor allem an denen des großzügig bemessenen Ausschnitts vorne.
»Vishna?«, fragte Scuzzi. »So wie ein weiblicher Gott Vishnu?«
Augen nieder, zartes Lächeln. »Wenn du so magst …«
Hoppla, war das eine Andeutung von Unterwürfigkeit? ›Hey, Perle, was ist, kommst du mit rüber in den Hymer, Crack rauchen, Schnaps saufen und rammeln, bis wir beide nicht mehr können?‹ – ›Wenn du so magst …‹
»Ihr müsst leider diese Anmeldebögen ausfüllen«, fuhr sie ernsthaft fort und reichte Scuzzi zwei Pappkarten. »Die Einwanderungsbehörde sitzt uns deswegen dauernd im Nacken.«
Zarter hellblonder Flaum, da, wo ihr die Einwanderungsbehörde dauernd saß. Flaum, wie man ihn gern in der Nase kitzeln spüren möchte.
Scuzzi drückte mir meine Karte und einen Kuli in die Hand.
»Woher hast ’n du die Blumen im Haar?«, fragte er Vishna.
»Aus unserem Garten.«
»Welcher Garten? Ich hab hier noch gar keinen gesehen.«
»Der ist auch gut versteckt. Aber vielleicht zeig ich ihn dir ja mal …«
»Seit wann interessierst du dich für Grünzeugs?«, fragte ich dazwischen.
»Botanik«, belehrte er mich, »und Pharmazeutik liegen erstaunlich eng beieinander.«
»Da hast du wohl recht«, meinte Vishna mit einem verschwörerischen Lächeln.
Sie war wirklich bezaubernd, wie sie so abwechselnd mit ihren Wimpern wedelte und ihre Wangen aufleuchten ließ. Doch war sie in erster Linie bezaubernd zu Scuzzi, was mir ein bisschen die Flamme unter die Galle hielt.
»Ihr seid das erste Mal hier?«
Nicken, synchron.
»Nun, ihr werdet sicher bald merken, dass dies ein ganz besonderer Ort ist.«
»Oh, du, das spürt man sofort«, behauptete Scuzzi. »Alles scheint hier in einem guten, runden Beat zu schwingen.«
Ich schob ihm den Kuli und Vishna meine ausgefüllte Pappkarte zu.
»Ja, wirklich total groovy«, bestätigte ich mit der mir eigenen, feinen Ironie.
Vishna lächelte ihr bezauberndes Lächeln. Doch immer noch nur für Scuzzi. Mir war danach, ihn auszuknocken, von den Beinen zu kicken und dann möglichst nonchalant seinen Platz einzunehmen.
»Und um dieses Feeling zu bewahren, ja, um es zu schützen, muss ich euch bitten, eure Handys bei mir abzugeben. Wir empfinden Handys als belastend, als zehrend.« Mir wanderte eine Braue die Stirn hoch.
»Für die Spiritualität des Ortes«, fügte sie hinzu, bevor ich fragen konnte.
»Genau das habe ich auch immer schon gesagt, oder?«, tönte ich, stieß Scuzzi den Ellenbogen in die Rippen, und sein Handy wechselte von seiner in meine Hosentasche. »Deshalb besitze ich erst gar keins.« Wer mir den Kontakt zur Außenwelt beschneiden will, muss sich was Überzeugenderes einfallen lassen als die verkackte Spiritualität des Ortes.
»Und du?«, fragte sie Scuzzi, der über der Sparte ›Beruf‹ in seiner Anmeldung brütete. Ohne auch nur einen Ansatz von Widerspruch griff er in seine Hosentasche, stutzte, klopfte dann alle anderen ab.
»Hm«, meinte er verwundert. »Muss ich wohl im Auto gelassen haben.«
»Warum gehst du es nicht suchen?«, fragte ich in einem Tonfall, der nur haarscharf an ›zuckrig‹ vorbeischrammte. Doch Scuzzi wollte das Handy lieber später abgeben, wenn das okay sei, und natürlich war das okay.
Vishna beugte ihr mittelblond sonnengebleichtes Haupt über meinen Bogen und begann, die Angaben in einen PC zu tippen. Ein leicht verschwitztes Strähnchen fiel dabei nach vorn, wurde zurückgestrichen und fiel erneut.
»Krü-ss-zinski? Oder wie genau spricht man das aus?«, fragte sie – Scuzzi.
»Wie man’s schreibt«, warf ich ein. Auf die andere Frage, nämlich wie man Kryszinski buchstabiert, antworte ich dann immer: ›Wie man’s spricht.‹ Ja, ich weiß: Ich gehöre ins Fernsehen. In mir schlummert ein zweiter Thomas Gottschalk, wenn nicht gar Achim Mentzel.
Dann wollte sie unsere Ausweise als Pfand, doch ich zahlte lieber für eine Woche im Voraus und bestand auf einer Quittung.
»Und nun«, sagte Vishna, Anmeldung abgeschlossen, »möchte ich euch im Namen der Gemeinschaft willkommen heißen.«
Sie kam raus aus dem Wachhäuschen, in Händen zwei … Blumengirlanden.
Das konnte jetzt unmöglich ihr Ernst sein. Ich meine, es gibt für alles Grenzen.
Scuzzi senkte bereitwillig den Kopf, trat einen Schritt vor und ließ sich dekorieren wie eine indische Kuh.
Ich nicht. Ich machte einen deutlichen Schritt zurück.
»Aber das ist hier Brauch.«
Brauch, schäumte es in mir auf. Ich hasse Bräuche. Sie sind nichts als Vorwand und Begründung für eine Million hirnverbrannter Verhaltensweisen und überflüssiger Rituale, von Osterfeuern über die kirchliche Rekrutierung Neugeborener bis hin zu Klitoris-Beschneidungen. Das gesamte Brauchtum rings um den Globus findet sich immer und unweigerlich fest in den schwieligen Händen rückständiger, halsstarriger Ignoranten.
Nicht so hier.
Feingliedrig, geradezu zart, diese Hände. Die sich hoben, und den Blumenkranz mit ihnen. Und damit den Blick freigaben auf blasse, glatte, weiche Achselhöhlen und hinein in den Ausschnitt des Rüschenkleides. Wie von allein und eigentlich gegen meinen erklärten Willen senkte sich mein Haupt. Kein BH, kein Bikini-Top, nichts.
Umschmeichelt von einem Parfüm, das eindeutig in die Kategorie ›Narkotica‹ sortiert gehörte, hängte Vishna mir die verdammte Girlande um, und ich fand mich außerstande, weiter zu protestieren.
»Wer die Blumenkette als Zeichen der Ankunft trägt, bekommt normalerweise von jedem aus der Gemeinschaft ein kleines Geschenk überreicht.«
»Hey, und was krieg ich von dir?«, fragte Scuzzi, ölig wie eine Sardine frisch aus der Dose.
Vishna flüsterte Scuzzi etwas ins Ohr, das ihm das Haar zu einem Kamm aufrichtete.
»Und ich?«, fragte ich, irgendwie unbeholfen, geradezu klumpfüßig in meiner nicht zu kaschierenden Geilheit.
»Dir schenke ich einen Pilz«, sagte sie gleichgültig.
»Einen Pilz«, echote ich, als ob es sich um einen dermatologischen Befund gehandelt hätte, und bekam einen schrumpeligen, getrockneten Psylo in die Hand gedrückt.
»Und wenn ihr sonst was braucht, wendet ihr euch am besten an Leroy. Gleich gegenüber.«
Scuzzi machte auf der Hacke kehrt.
»Moment«, bremste sie ihn, und reichte jedem von uns einen Wisch. »Hier habt ihr noch eine kleine Liste mit unseren Regeln.«
Ich glaube, ich machte: »Hä?«
»Kristof«, wandte sie sich direkt an mich, und das Blau ihrer Augen hatte deutlich an Gefunkel eingebüßt. »›Auch die freieste Gemeinschaft braucht Regeln.‹ Wer hat das gesagt?«
»Weiß nicht«, murrte ich. »Josef Stalin? Pol Pot?«
»Osho«, antwortete sie zärtlich.
»Toller Einstand, den du uns hier bescherst«, fand Scuzzi, sobald wir einigermaßen außer Hörweite waren, nahm mir den Pilz ab und schob ihn sich zwischen die Zähne.
»Musstest du wirklich diesen Guru als zertifizierbaren Schwachsinnigen bezeichnen und seine Anhänger in eine Reihe stellen mit den Taliban und den Fans von DJ Ötzi?«
Ich grunzte. Über dem ganzen Gebalze der beiden und dem Umstand, so kalt ignoriert worden zu sein, hatte ich glatt vergessen, nach der nächsten Bar zu fragen. Jetzt wusste ich nicht, wen ich dafür lieber in den Arsch treten wollte, mich oder Scuzzi.
Wir fanden Leroy hinter einer sorgfältig vergitterten und lässig mit ›Headshop‹ überschriebenen Baracke. Die Augen geschlossen, hing er weit zurückgelehnt in einem alten Sessel, den Kopf über der Lehne baumelnd, Mund offen, was gelbliche Zähne entblößte nebst einem Zungenbelag, der an die erfolgreiche Besiedlung einer Petrischale denken ließ.
Vor ihm auf einer umgedrehten Bierkiste stand eine Hookah immer noch leicht unter Dampf. Scuzzi schmachtete sie an wie ein Pilger eine Marienstatue.
Ich machte einen leisen Schritt ins Halbdunkel des Ladens. Besah mir das Warenangebot. Da war zuerst mal der übliche Klimbim an Rauchgeräten und anderer Hardware. Alles, was einem dabei helfen konnte, sich möglichst flott zugunsten eines temporären Wohlbefindens den IQ bis auf einen Level nahe der Debilität abzusenken. Dazu bebilderte Anleitungen zum Selberzüchten der entsprechenden Pflanzen oder aber zum Mixen förderlicher Chemikalien. Schließlich gab’s noch eine reiche Auswahl fertig vorbereiteter Substanzen. Alle unter Glas, mit Herkunftsbezeichnungen. Schön und gut, doch was idiotischerweise fehlte, war ein Kühlschrank mit Getränken, dammich.
Ich trat wieder raus und geriet mit dem Kopf an ein Windspiel.
Ruckartig kam Leroy bei.
»Hey, zwei neue Ärsche«, grinste er schmal. »Zwei neue, bleiche Ärsche.« Er trug einen Kaftan in Jamaika-Farben und eine satte, ungeheuer selbstzufriedene Behäbigkeit zur Schau, bräsig wie ein sonnenbadendes Walross und ungefähr genauso feist. Ein kurzer, wenig dichter und dadurch stacheliger Bart umrahmte mit einigem Abstand ein paar fettiger, wie zum Schmatzen gemachter Lippen. Listige Augen musterten uns blutunterlaufen unter schweren Lidern hervor.
»Seid ihr zum Surfen hier?«, fragte er und sog ein paarmal sabbernd am Schlauch seiner Pfeife, bevor er sich die Frage selbst beantwortete, begleitet von einer Menge Rauch. »Neeiin, ihr seid keine Surfer, keine Wasserwesen. Ihr seid Suchende, erdgebunden. Ich spüre das.« Worte, wie an mich gerichtet. Genau wie der Blick.
»Das ist richtig«, fand Scuzzi. »Wir suchen …«
»Einfach einen Ort zum Abhängen«, unterbrach ich ihn. Ich hatte ihm mehrmals eingeschärft, Schissers Namen vorerst niemandem gegenüber zu erwähnen, doch war nicht sicher, wie viel von meinen Worten hängen geblieben war in dem dopegesättigten Schwamm oben auf Scuzzis Schultern.
»Genau. Irgendwas, wo man mal cool ein paar Wochen chillen kann.«
Cool chillen, dachte ich. Manchmal juckt es mich, Scuzzi allein für seine Wortwahl eine ins Genick zu hauen.
Oh, da hätten wir es nicht besser treffen können, hieß es. Fantastische Vibes, an diesem Ort. Ideal, um Kraft zu tanken.
Kraft, aha. Sehr überzeugend von einem, der reglos wie eine vollgestopfte Wollsocke in seinem Sessel hing.
»Habt ihr uns zufällig gefunden?« Wieder sah er mich dabei an, er konnte wohl nicht anders. Und ich, musste ich mir eingestehen, war auf diese freundlich, beinahe beiläufig gehaltene Befragung schlecht vorbereitet.
»Sagen wir’s so …« Scuzzi schnupperte demonstrativ, »wir sind einfach dem Rauch gefolgt«.
Leroy nickte gewichtig, als ob Scuzzi damit eine Weisheit von sich gegeben hätte. Und nicht einen Wink mit dem Zaunpfahl.
»Ja, das ist irgendwie fast schon magisch. Aber jeder, der raucht, jeder, der irgendwie drauf ist, kommt irgendwann hier vorbei …«
Irgendwie angezogen von den Vibes, dachte ich gallig, mitten rein ins Netz des fetten Spinners. Erst das Blumenkind, jetzt er hier, der salbadernde Drogen-Guru. So langsam kam ich mir vor wie der zahlende Besucher in einem Museumsdorf.
»Woher hast du denn die Beule?«, wandte Leroy sich wieder an mich. Unwillkürlich fasste ich mir an die Stirn.
»Kleines Willkommenspräsent eurer Nachbarn im Osten. Dabei hatten wir noch gar keine Girlanden um.«
»Ah, die verdammten Zigeuner! Die werden ständig aggressiver, entwickeln sich zu einer regelrechten Bedrohung für uns. Und was machen die Behörden? Nichts!« Hockte da vor seinem Tante-Emma-Laden voll illegaler Rauschmittel und beschwerte sich über die Nachlässigkeit der Staatsorgane.
»Doch darf ich euch zum Trost für den Ärger und als mein Geschenk zur Feier eurer Ankunft eine ordentliche Dröhnung unseres selbst gezogenen und selbst gepressten Haschischs anbieten?«
Der Satz war noch nicht beendet, das Fragezeichen noch nicht artikuliert, da hatte Scuzzi schon den vollgesabberten Schlauch zwischen den Zähnen, sog rhythmisch Rauch ein und stieß ihn durch mehr oder weniger sämtliche seiner Schädelöffnungen wieder aus. Leroy beobachtete ihn mit nahezu väterlichem Wohlwollen.
»Mir wäre ja ein Bier lieber«, öffnete ich meine Seele sperr-angelweit.
»Oh, mit Bier ist schlecht, im Moment.«
Meine Laune sackte in den Bereich, den der Wohnungsmakler gern als ›Souterrain‹ anpreist.
»Aber versuch’s doch mal …«
Eine Frau trat heran und unterbrach ihn. Ein Typus Frau, wie ich ihn instinktiv schon immer gefürchtet habe. Ein ausgesprochen haariges Muttertier, das ›Eifer‹ als den perfekten Ersatz für Charme oder ein sonst wie gewinnendes Wesen ansieht. Eine von den Rotblonden, obendrein, die alle die Hitze nicht vertragen, hektische Flecken davon kriegen und geschwollene Beine und Zustände, die aber trotzdem Sommer für Sommer die heißesten Ecken der Welt mit ihren Schweißausbrüchen überziehen, immer auf der Suche nach möglichst exotischen Vätern für ihre möglichst bunte Sammlung alleinerzogener Kinder.
»Versuch’s mal … wo?«, fragte ich, doch die Frau hatte sich neben Leroy gekniet und sprach leise und eindringlich auf sein rechtes Ohr ein.
Sie trug die unvermeidliche Latzhose und davon abgesehen nicht viel mehr als jede Menge ungebändigt sprießendes Haar. Ich fragte mich, was ich von ihr wohl gern als Begrüßungsgeschenk annähme, und dann wünschte ich, der Gedanke wäre mir nicht gekommen. Hastig riss ich mir die verdammte Blumenkette vom Hals.
»Oh, Alma, könnt ihr das nicht alleine regeln?«, maulte Leroy.
»Versuch’s mal … wo?«, fragte ich dazwischen, doch Alma kaute schon wieder an Leroys Ohr herum.
Die kontinuierliche Musikberieselung stockte für einen Moment, und ich hörte: »… sie krampft wieder. Und du weißt, du hast von uns allen den größten Einfluss auf sie …«
»Ja, okay, da muss ich wohl mit«, entschied Leroy schließlich griesgrämig und stemmte sich aus dem Sessel. Er wandte sich zum Gehen, überlegte es sich dann aber noch mal anders und schloss erst die Tür seines Headshops dreimal ab.
»Das geht jetzt nicht gegen euch«, meinte er zu uns. »Aber es gibt immer mal wieder Leute hier …« Er schüttelte den Kopf über die immer mal wieder Leute hier, seufzte und schloss sich der Frau an. Seine Gangart war die eines kräftigen, erst mit den Jahren fett gewordenen Mannes, Füße unsichtbar unter dem bis auf den Boden hängenden Kaftan. Alles in allem erinnerte sein Habitus nicht wenig an den eines Bischofs. Auf dem Weg zu einem Exorzismus oder einer ähnlich lästigen Pflicht.
»Versuch’s mal … wo?«, rief ich ihm nach, doch er reagierte nicht. »Du dickwanstiger Schnarchsack von einem Scheiß-Späthippie«, fügte ich noch hinzu, wenn auch mehr zwischen den Zähnen hindurch, eigentlich unhörbar. Alma fuhr trotzdem zu mir herum, musterte mich scharf von oben bis unten, sah dann abrupt weg.
Wahrscheinlich war ich ihr einfach nicht exotisch genug.
Schwach interessiert beobachtete ich die beiden, bis sie an einem der neueren Wohnmobile klopften. Jemand öffnete von innen und ein Schrei drang heraus. Ein Schrei, wie ihn Gebärende von sich geben. Schauerlich. Dann fiel die Tür ins Schloss, die Musikbeschallung setzte wieder ein und John Paul Young füllte die Luft mit Liebe.
»Als Erstes lösen wir hier mal einen Haufen Steckverbindungen«, entschied ich und rupfte die Kabel aus der direkt über unseren Köpfen hängenden Box.
Aah.
»Kristof, jetzt entspann dich doch mal ein bisschen.«
»Nein.«
»Hier, nimm mal ’nen Zug. Dasste wieder besser draufkommst.«
»Ey, Scuzzi, stell dir vor: Ich will gar nicht gut draufkommen. Wir sind hier nicht im Urlaub. Wir haben hier was zu erledigen. Schon vergessen? Wir sind auf der Suche nach unserem gemeinsamen Freund und deinem Geschäftspartner. Und nach einem Haufen Geld, falls ich dich erinnern darf.«
»Ach, Geld. Und Schisser, da bin ich mir sicher, der taucht schon wieder auf. Du kennst ihn.«
»›Ach, Geld‹? Und ›Schisser taucht schon wieder auf‹? Wenn das alles nicht so wichtig ist, kannst du mir dann bitte mal verraten, wofür wir uns auf eine Fünftausend-Kilometer-Rundreise in dieser lahmen, stinkigen Scheißkarre begeben haben?«
»Dafür«, sagte Scuzzi und wies mit großzügiger Geste auf den nahen Strand, die Brandung, die wogende blaue Fläche und schließlich auf den sich unter sinkender Sonne langsam orangerot verfärbenden Horizont. »Unter anderem«, fügte er dann besänftigend hinzu. »Und nun zieh mal, eh es alle ist.« Doch ich wollte nicht. Genervt schloss ich für einen Moment die Augen. Streckte meine Antennen aus und ließ mein transzendentes Wesen mit den Vibes des Ortes verschmelzen, haha, bis ich ein Signal empfing. Entschlossen setzte ich mich in Bewegung, nach kurzem Zögern und einigem an hastigem Geblubber, gefolgt von einem – wenn das möglich ist – zufrieden vor sich hin hustenden Scuzzi.
Ich hatte mich geirrt. Der aufgebockte Schulbus hieß gar nicht ›Magic Bus‹. Das ist doch eher was für die östliche Route. Kathmandu, du verstehst. Hier, am südwestlichen Ende Europas, stand natürlich ›Marrakesh Express‹ über der Windschutzscheibe. Ergänzt von drei Buchstaben schierer Verheißung: BAR.
Endlich, dachte ich und erklomm die Stufen mit dem leichten Schritt eines Preisträgers auf dem Weg zum Rednerpult.
Lang und schmal, wie so ein Bus nun mal ist, blieb nicht viel Spielraum bei seiner Einrichtung. Eine Theke zog sich die eine Längsseite entlang, und ihr gegenüber hatte man die Original-Schulbus-Sitze paarweise um Campingtische gruppiert. Der Barkeeper erwies sich als unterernährter Unterhemdträger mit einem schorfigen Skalp unter strähnigem Haar. Er hieß Rolf, und was er mir auf meine Bestellung antwortete, ließ meine Laune in eine Tiefe sinken, wie sie normalerweise nur südafrikanische Minenarbeiter jemals kennenlernen.
»Du, mit Bier ist schlecht, im Moment.«
Ich verwies auf die gnadenlosen Temperaturen und die Notwendigkeit, den Körper mit Flüssigem zu versorgen, ich verwies auf zurückgelegte zweieinhalbtausend Kilometer und das Bedürfnis, meine Nerven davon zu überzeugen, angekommen zu sein, ich verwies darauf, dass, wer immer sein Etablissement ›Bar‹ nennt, gefälligst einen Grundstock gängiger Getränke anzubieten hat, mit Bier an vorderster Stelle. Und ich verwies darauf, dass er dann sicherlich auch mehr Gäste bewirten könne als gerade mal zwei, namentlich Scuzzi und mich.
Doch der ganze Vortrag brachte mich einem Bier nicht näher, ja war, in Anbetracht meines trockenen Halses, regelrecht kontraproduktiv.
Was er dann anzubieten habe, fragte ich, meine Geduld an einem Faden, zart wie Vishnas Nackenhaar.
Tee.
Eistee.
Kräutertee.
Buttermilch.
»Au ja, gib mir mal ’ne Buttermilch«, freute sich Scuzzi. Ich begann mich zu fragen, wie wir beide, bei aller Unvereinbarkeit der Geschmäcker, es jemals zu einem Gefühl von Freundschaft zwischen uns gebracht hatten.
Er bekam sein Getränk und begann an dem schlierigen Zeugs herumzuschlabbern, bis ich sagte: »Ich kotz gleich.«
»Du«, erklärte mir Rolf, »du musst verstehen, anders als du haben wir’s hier irgendwie nicht so mit Alk, weißt du?«
Wie viele ›Dus‹ kann man in einen Satz packen? Ich rieb mir die Nasenwurzel. Kopfschmerz, nicht besser gemacht von der pochenden Schwellung, wo mich der Stein getroffen hatte.
»Doch wenn du unbedingt willst, kann ich mal hinten nachsehen, da müssten irgendwo, glaub ich, noch ein paar Flaschen vom Roten liegen, den wir letztes Jahr selbst gekeltert haben.«
Ein Satz, der selbst bei wohlwollendster Analyse eher als schrille Warnung denn warme Empfehlung verstanden werden musste, doch ich war verzweifelt genug, alles zu probieren, was meiner Stimmung auf die Sprünge helfen könnte, also nickte ich matt.
Okay, machen wir’s kurz: Die Miege war eher blau als rot und schmeckte wie etwas, in das man Tierhäute einlegt, um die Borsten zu lockern.
»Gut?«, fragte Rolf.
Ich sah auf, und er hakte nicht nach.
Scuzzi blieb noch ein bisschen, teilte sich mit Rolf einen Dreiblatt und überließ mir vertrauensvoll die Wahl eines Platzes für unser rollendes Heim.
Weiter hinten, in der Nähe zum Wasser, parkten die Surfer ihre Transporter, wie üblich alle von VW, spartanisch ausgebaut und sorgfältig patiniert.
Mich mit dem feisten Wohnmobil danebenzustellen hätte bedeutet, automatisch als verweichlicht und generell uncool benaserümpft zu werden.
Der Hymer, also: Noch so eine Scuzzi-Idee. Billig geschossen von einem seiner Drogen-Kunden. Mir aufgezwungen mit der Begründung, er könnte uns Transportmittel, Behausung und Tarnung zugleich sein. Nahezu drei Tonnen schwer, diarrhö-gelb, ausgestattet mit einem Mercedes-Diesel, der ebenso großartig im Rußausstoß wie erbärmlich in der Leistungsentfaltung war. Sein Lieblingsgelände war flach, am besten topfeben, seine Lieblingsgeschwindigkeit achtzig. Kilometer. Pro Stunde. Und das mit einem halben Kontinent zu kreuzen und unter einem Fahrer, der bis heute nicht die Zeit gefunden hat, mal im Duden nachzuschlagen, was ›Geduld‹ eigentlich genau bedeutet. Selbstredend hab ich es vom ersten Moment an mit Vollgas versucht. Doch alles über achtzig resultierte in einem Dröhnen, das sich erst auf die gesamte Karosse übertrug, von da auf die Köpfe der Insassen und dann dort festsetzte.
Allein schon deshalb hielt ich also Ausschau nach einem freien Plätzchen zwischen den ganzen stillgelegten, aufgebockten, für immer vor Anker gegangenen Immobilheimen, denn ich würde das Ding unter keinen Umständen wieder nach Hause steuern. Aber es bot sich keine Lücke. Einmal mach ich dich noch an, dachte ich, zerrte am Startknopf, orgelte den Anlasser und spürte die ganze Fuhre schaukeln, als der gusseiserne Klotz von Motor endlich ansprang. Dann klopfte ich den Gang rein und rollte die Karre neben all die Surfmobile. Ging mir doch am Arsch vorbei, wofür mich die Wasserratten hielten.
Der Abend kam. Die Sonne schwand. Die Hitze blieb. Zikaden begannen zu zirpen, bis man zum DDT greifen wollte.
Scuzzi erschien, heiter, gelöst, enorm gesprächig. Wenn auch auf eine verschleppte Art, die an interplanetare Telefongespräche denken ließ. Jeder zweite Satz begann mit ›Was ich nicht kapiere‹, und ich fand es von Mal zu Mal schwieriger, ihn nicht dafür anzuschreien.
»Was ich überhaupt nicht kapiere, ist …« Pause, lang genug, um sich die Nägel an Fingern und Zehen zu schneiden, das abendliche Fernsehprogramm bis in die Nischensender zu sondieren, oder um rauszugehen, ein Loch zu graben, zurückzukommen und Scuzzi kopfüber hineinzustopfen, »… warum wir nicht einfach rumfragen, ob Schisser hier irgendwo ist.«
»Weil, wenn Schisser hier irgendwo wäre, er sich wie verabredet regelmäßig bei dir oder Charly melden würde.« Je länger, je öfter ich darüber nachdachte, desto näher tastete ich mich an den Gedanken heran, dass Schisser etwas zugestoßen sein musste.
»Hast du schon mal daran gedacht …?«
Ich zählte bis zehn. »Ja?«, fragte ich dann, etwas lauter als sonst.
»… dass er eventuell durchgebrannt sein könnte, mit der Knete?«
Hundertachtzigtausend, immerhin. Trotzdem schüttelte ich den Kopf. Schisser war Biker, wie man dunkelhaarig ist, oder hellhäutig, Links- oder Rechtshänder. Mitglied einer Rockergang zu sein war für ihn ebenso natürlich wie zwangsläufig, es war wie angeboren. Der Betrag, für den er seine Identität als Stormfucker aufgeben würde, war nicht in Zahlen auszudrücken.
»Ich fürchte vielmehr«, sagte ich langsam, »dass er tot ist. Ermordet.« Da, jetzt war es ausgesprochen.
»Ach was«, sagte Scuzzi dann. Pause. »Nicht Schisser.«
Es war, musste ich zugeben, nur schwer vorstellbar. Wenn ich irgendjemanden kannte, auf den das Attribut ›nicht umzubringen‹ passte, dann auf diesen zweibeinigen Aggressionsstau.
»Aber vielleicht hatte er …« Erneute Pause.
Ich blickte ihn an. Dachte an eine zusammengerollte Zeitung und daran, sie ihm bei jeder weiteren Verschleppung eines Satzes über den Schädel zu dreschen.
»… einen Unfall. Du weißt, wie er fährt.«
Ja, ich wusste es. Schisser fährt eine Buell