Nr. 1334
Der Zweck heiligt die Mittel
Verrat auf Asporc – Captain Ahab in Bedrängnis
von Clark Darlton
Auf Terra schreibt man den September des Jahres 446 NGZ, was dem Jahr 4033 alter Zeitrechnung entspricht. Somit sind seit den dramatischen Ereignissen, die zum Aufbruch der Vironauten und zum Erscheinen der beiden Sothos aus ESTARTU führten, mehr als 16 Jahre vergangen.
Seither haben die Lehre des Permanenten Konflikts und der Kriegerkult in der Galaxis ihren Einzug gehalten. Dennoch hat Sotho Tyg Ian den Widerstand der Galaktiker nicht brechen können. Geheimorganisationen, allen voran die von Julian Tifflor geleitete GOI, sorgen dafür, dass die Hoffnung auf Freiheit von fremder Unterdrückung erhalten bleibt.
Auch im Reich der 12 Galaxien, wo die Ewigen Krieger im Namen ESTARTUS seit Jahrtausenden regieren, regt sich in jüngster Zeit mehr Widerstand gegen ihre Herrschaft denn je zuvor, und anlässlich der Spiele des Lebens auf dem Mond Ijarkor erfolgt von Seiten der Netzgänger ein entscheidender Schlag gegen die Machthaber. Gucky, der Ilt, setzt sich anschließend per »Persönlichem Sprung« von ESTARTU in den Halo der Milchstraße ab, um auf dem Planeten Asporc aktuelle Informationen über die Situation in der Galaxis zu sammeln.
Was Gucky an seinem Treffpunkt erlebt, steht unter dem Motto: DER ZWECK HEILIGT DIE MITTEL ...
Gucky – Der Mausbiber sucht Kontakt.
Captain Ahab – Ein Schmuggler in Bedrängnis.
Guang-Da-G'ahd – Eine Beauftragte der Stimme von Ardustaar.
Targas und Conter – Besatzungsmitglieder der OSFAR I.
Windaji Kutisha – Der Schreckliche Jäger wird alarmiert.
Obwohl längst nicht so unbequem und schwerfällig wie ein SERUN, war der leichtere Netzanzug zumindest lästig – wenigstens empfand es Gucky so, als er in die kleine, frei im Raum schwebende Station teleportierte, die den Gängern des Netzes als Informationsknoten diente.
Bereits vorher, nach seinem Abschied von Reginald Bull auf der Welt Pinnafor, hatte er eine andere Station aufgesucht, um sich zu informieren; um jedoch ganz sicherzugehen, dass er keinen Irrtum beging, zog er deswegen die doppelte Kontrolle vor. Im ersten Knoten hatte er außerdem eine wichtige Nachricht hinterlassen, die jeden Netzgänger von seiner Absicht, die heimatliche Milchstraße aufzusuchen, unterrichtete.
Er öffnete den Schutzhelm und den oberen Teil seiner Kombination und projizierte erste Teilausschnitte des Psionischen Netzes auf den Bildschirm. Die Präferenzstränge waren deutlich zu erkennen, auch die spontanen Unterbrechungen, die einen solchen Strang praktisch unpassierbar machten, ähnlich wie fehlende Schienen eine Bahnstrecke.
Die einzelnen Projektionen waren mit der KARTE identisch, nach denen sich die Netzgänger im Allgemeinen richteten, es konnte also kein Irrtum entstehen.
Umso wenig Zeit wie möglich zu verlieren und somit auch schneller ans Ziel zu gelangen, tippte der Mausbiber die Gesamtübersicht ein. Dazu musste er den größeren Schirm aktivieren, denn selbst zweidimensional betrachtet, besaß das Psionische Netz einen Durchmesser bis zu fünfzig Millionen Lichtjahren.
Der Rand der Milchstraße war nur etwas mehr als vierzig Millionen Lichtjahre weit entfernt – auf dem Präferenzstrang kaum mehr als ein Katzensprung.
»Da haben wir ihn ja«, murmelte Gucky zufrieden, als er die Direktverbindung vom Informationsknoten zum Rattley-System am Nordrand der Heimatgalaxis deutlich vor sich sah. Es gab nicht die geringste Unterbrechung und damit weder Umwege noch sonstige Probleme.
»Teleportation ist dagegen, wie mit Krücken laufen.«
Er ließ das Bild noch stehen, während er sich aus der kleinen Vorratskammer der Station mit Lebensmittelkonzentraten versorgte, die er in den geräumigen Taschen seiner Netzkombination verstaute. Asporc, der vierte Planet der gelbroten Sonne Rattley, würde ihn nicht gerade mit Delikatessen empfangen.
Einen Würfel verzehrte er gleich an Ort und Stelle und rief sich dabei noch einmal Reginald Bulls Informationen ins Gedächtnis zurück, die dieser ihm bei ihrem gemeinsamen Einsatz auf dem Planeten Pinnafor in der hiesigen Galaxis Absantha-Gom übermittelt hatte.
Auf Asporc sollte es einen geheimen Treffpunkt der Vironauten und der Widerstandsorganisation GOI geben. Die Gruppe der Netzgänger, vor allem Perry Rhodan selbst, hatte größtes Interesse daran, aktuelle Neuigkeiten aus der Milchstraße zu erfahren. Aber wegen des Fluchs der Kosmokraten war es Rhodan unmöglich geworden, die Heimatgalaxis aufzusuchen. Auch Atlan und Salik war aus dem gleichen Grund der Zugang verwehrt.
»Wieder mal ich«, mampfte Gucky zwischen zwei Bissen. »Botschafter des Universums – welch eine Ehre! Da ist Bully richtig zu beneiden, der mit seiner EXPLORER zwischen den Galaxien herumstreifen kann, um den Planeten der Lao-Sinh zu suchen, die sagenhafte Welt Hubei.«
Den Rest des Konzentratwürfels spülte er mit einem undefinierbaren Saft hinunter und studierte noch einmal das Computerbild, ehe er die KARTE desaktivierte. Der Schirm erlosch.
»Na, dann wollen wir mal, alter Knabe«, sagte er zu sich selbst, wie er überhaupt gern Selbstgespräche führte, wenn er sich absolut allein und verlassen fühlte. Und das war er jetzt in der winzigen Station, die mitten im Nichts verankert schwebte. »Schön in den Strang einfädeln, ans Ziel denken – und ab geht's durch die Mitte ...«
Er vergaß nicht, die Netzkombination wieder zu schließen, ehe er den Informationsknoten verließ, in dem mehrere Präferenzstränge zusammenliefen. Es fiel ihm nicht schwer, den richtigen zu finden.
Dann konzentrierte er sich auf sein Ziel, auf den Planeten Asporc, dessen Sonne Rattley im Einzugsbereich »seines« psionischen Stranges lag, so dass ein »Umsteigen« überflüssig wurde. Er hoffte, dass der Strang bis hinab zur Oberfläche des Planeten reichte, aber sicher war das keineswegs. Es konnte durchaus sein, dass er den Rest des Weges durch eine Teleportation zurücklegen musste, was aber auch Vorteile besaß. Er würde sich besser orientieren können und nicht blind irgendwo im Gestrüpp oder sonst wo landen.
In erster Linie war es wichtig, dass vorerst niemand von seiner Anwesenheit auf Asporc erfuhr, auch nicht die dort beheimateten Asporcos, obwohl sie bei der beabsichtigten Aktion nur eine kleine, unwichtige Nebenrolle spielten.
Die Außenluke der winzigen Luftschleuse, die nur einen Mann aufnehmen konnte, schloss sich geräuschlos hinter dem Mausbiber. Vierzig Millionen Lichtjahre, dachte er, und dann intensiver: Nordrand Milchstraße, Stern Rattley, Planet Asporc!
Wie nicht anders zu erwarten, verschwand für ihn das Universum mit seinen vielen Millionen Galaxien.
*
Aber nur für den kaum messbaren Bruchteil einer Sekunde.
Mehr Zeit war nicht vergangen, und doch hatte er eine kaum fassbare Entfernung zurückgelegt, im wahrsten Sinne des Wortes in Gedankenschnelle.
Der Präferenzstrang führte nicht bis hinab zur Oberfläche Asporcs, oder aber sein heimlicher Wunsch, nicht direkt bis dorthin zu gelangen, hatte den Frühaustritt bewirkt. Jedenfalls befand er sich in einer Höhe von gut tausend Kilometern über dem Planeten und begann auf diesen zuzustürzen. Telekinetisch bremste er den Fall ab.
Asporc war eine angenehme und warme Sauerstoffwelt mit neun Kontinenten und flachen Meeren. Die Landmassen waren mit dichter, tropischer Vegetation bedeckt. Siedlungen und Städte der Asporcos lagen meist in den Küstenregionen.
Gucky besaß nicht den kleinsten Anhaltspunkt, wo sich der geheime Treffpunkt befand, und Asporc war immerhin um einiges größer als Terra. Aber Bully hatte zuversichtlich und voller Optimismus gemeint: »Du kannst ja espern.«
Der hatte gut reden! Einen ganzen Planeten abespern, das war selbst für den Mausbiber keine leichte Aufgabe, zumal es nicht geringste Hinweise gab.
»Ach was!«, murmelte er in seinen Helm hinein. »Da hast du schon ganz andere Dinger gedreht. Suchen wir uns erst mal ein hübsches und sicheres Versteck, dann sehen wir weiter.«
Er ließ sich weitere fünfhundert Kilometer fallen, während sich der Planet langsam unter ihm hinwegdrehte. Der größte der neun Kontinente erschien ihm besonders vielversprechend, ohne dass er den Grund dafür hätte nennen können. Intuition vielleicht. Möglich. Mit einer Spur von Logik.
Ein kurzer Sprung brachte ihn bis auf zehn Kilometer an den ausgewählten Kontinent heran. Die wie ein Oval geformte Landmasse schien ziemlich eben zu sein, nur in der Mitte erhoben sich einige bewaldete Berge. Hier entsprangen auch mehrere Flüsse, die in alle Richtungen zum Meer hinabströmten, wo die Städte lagen.
Gucky peilte die Berge an und teleportierte.
Er rematerialisierte punktscharf auf der kleinen Lichtung, die von drei Seiten durch Urwald und von einer durch Felsen eingeschlossen wurde. Hier konnte er vor einer Entdeckung vorerst sicher sein, zumal die steil aufragende Felswand besonderen Schutz bot. Ein schmaler Höhleneingang bot Deckung vor den hier nicht seltenen Regengüssen, eine Folge des fast ständigen Treibhausklimas.
Erleichtert entledigte sich der Mausbiber der Netzkombination und verbarg sie in der Höhle, um sich freier bewegen zu können. Es war heiß, und er war froh, gleich in der Nähe einen Bach mit kaltem Wasser zu finden. Nachdem er sich erfrischt hatte, hockte er sich im Schatten der riesigen Bäume nieder und dachte erst mal nach.
Die Informationen, die er von Bully erhalten hatte, stammten ursprünglich von dem Virenschiff GREY SQUIRREL, dessen Mentor sie wiederum angeblich von einem Springerkapitän namens Ahab bekommen hatte. Die Frage war nur, ob dieser Captain Ahab, wie er sich nannte, verabredungsgemäß auch die GOI unterrichtet hatte.
Die ganze Situation erschien dem Mausbiber reichlich verworren und ziemlich unsicher. Am liebsten wäre er, wenn er schon einmal hier war, gleich nach Terra gereist, wenn es dazu eine Gelegenheit gegeben hätte. Aber die gab es im Augenblick nicht. Außerdem gingen die Belange der Netzgänger jetzt vor. Zudem war die Organisation der GOI über die Vorgänge in der Milchstraße bestens unterrichtet, und das war es ja, was Rhodan interessierte, der sich selbst nicht darum kümmern konnte.
Selbst im Schatten wurde es nun zu warm. Erst gegen Abend würde es erträglicher werden. Gucky zog sich in die Höhle zurück. Er verspürte Müdigkeit. Ein paar Stunden Schlaf würden ihm jetzt guttun. Danach konnte er mit frischen Kräften erneut ans Werk gehen.
Zum globalen Espern benötigte er sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Energien.
So müde wie jetzt war er nur ein halber Gucky.
*
Von Asporc aus gesehen durchzog die Milchstraße den nächtlichen Himmel wie ein breites helles Band aus vielen Milliarden Sternen. Es war ein Anblick, der Gucky immer wieder faszinierte. Vor dem Höhleneingang lag er in dem noch warmen Gras auf dem Rücken und lauschte auf die Geräusche, die aus dem Wald zu ihm drangen. Es waren Geräusche, die keine Gefahr bedeuteten. Beruhigt schloss er die Augen, um sich besser konzentrieren zu können, und begann intensiv zu espern.
Wie erwartet, waren es zunächst nur die Gedankenmuster von Asporcos, die stark auf ihn eindrangen und für ihn von wenig Interesse sein konnten. Es gelang ihm bald, sie völlig auszufiltern und praktisch »verstummen« zu lassen. Was blieb, war mentales Schweigen.
Das war reichlich seltsam, denn es bedeutete, dass sich außer den Eingeborenen keine Fremden auf dieser Welt aufhielten, zumindest nicht in dem Bereich, den er abtasten konnte. Wenn er die Intensität seiner Empfangsmöglichkeit erhöhte, kamen die Muster der Asporcos wieder durch, und das wollte er vermeiden.
Ob er wollte oder nicht, er musste seine äußerst bequeme Stellung aufgeben, wenn er überhaupt Resultate erzielen wollte. Für ihn als Teleporter war das kein Problem, denn er konnte, wenn es schon sein musste, den ganzen Planeten ohne große Mühe in wenigen Stunden mental absuchen. Vorerst jedoch begnügte er sich damit, der größeren Stadt am Meer seine Hauptaufmerksamkeit zuzuwenden.
Es war kaum damit zu rechnen, dass die GOI ihren geheimen Treffpunkt ausgerechnet in der Stadt eingerichtet hatte, aber Gucky wollte nichts unversucht lassen, die Widerstandsgruppe aufzutreiben. Er erinnerte sich, was er über sie wusste.
Eine Organisation verschiedener Interessengruppen der Milchstraße, die es sich vorgenommen hatten, die Macht des Sothos Tyg Ian zu brechen, um dem Galaktikum wieder die Möglichkeit einer freien und unabhängigen Entwicklung zu verschaffen. Das Präsidium der GOI wurde von Julian Tifflor geleitet. Der Sitz der Organisation befand sich auf einem Planeten der Eastside der Galaxis. Der offizielle Name war mit CLARK FLIPPER angegeben.
Es gab eine Menge Völker, die die GOI heimlich unterstützten. Sogar die Hanse und damit auch Homer G. Adams gehörten zu den Sympathisanten. Der einzig ernst zu nehmende Gegner der GOI war der Sotho selbst, der – wo immer es möglich war – seine Jägerbrigade auf die ihm gefährlich erscheinende Organisation ansetzte.
Gucky ließ seine Ausrüstung in der Höhle zurück und pirschte sich mit Kurzteleportationen an den Rand der Stadt heran. Nachdem er ein geeignetes Versteck auf einem mit Büschen bewachsenen Hügel gefunden hatte, begann er abermals zu espern.
Es gab nun zwar ein paar wenige Fremdimpulse, aber sie stammten mit Sicherheit nicht von Mitgliedern der GOI. Harmlose Besucher oder auch Händler von anderen Welten, aber keine Widerstandskämpfer oder Leute, die etwas zu verbergen hatten.
Aber da war etwas anderes, das ihn plötzlich richtig wach werden ließ. Ganz schwache telepathische Impulse drangen an sein Bewusstsein, Gedankenmuster, die ihm nicht völlig fremd erschienen, wenn er sie auch nicht sofort zu identifizieren wusste. Eins aber wusste er mit absoluter Sicherheit: Mit der Spezies, die diese Muster abstrahlte, hatte er schon einmal zu tun gehabt. Aber wann und wo ...?
Er konzentrierte sich noch stärker als zuvor.
Die Impulse kamen nicht aus der Stadt, die weit unter ihm lag. In den meisten Häusern brannte noch Licht. Die Asporcos schienen nicht gerade mit den Hühnern schlafen zu gehen. Außerdem war es noch lange nicht Mitternacht Ortszeit.
Guckys volle Konzentration galt den seltsamen Gedankenmustern, die er nur undeutlich und bruchstückweise empfing. Einige Begriffe kamen klar durch, waren jedoch nicht zu identifizieren. Was konnte wohl »Ardustaar« bedeuten? Diese Bezeichnung kam mehrmals und scheinbar völlig zusammenhanglos durch und prägte sich ein, ohne eine Bedeutung zu erhalten.
Oder »Sayaaron« und dann noch »Meekorah«. Handelte es sich lediglich um Namen von Personen und Bezeichnungen für Planeten oder Systeme?
Der Versuch, Sinn in die Impulse zu bringen, scheiterte völlig, was den Mausbiber umso mehr ärgerte, als er genau wusste, dass er schon einmal ähnliche Muster geespert und auch verstanden hatte. Er änderte seine Taktik und verlegte sich auf die Ortung.
Die Person, die in größerer Entfernung so intensiv dachte, hielt sich nördlich von seinem eigenen Standort auf, mit Sicherheit noch jenseits der Berge, wo er sein Versteck hatte. Er rief sich den Anblick des Kontinents ins Gedächtnis zurück, wie er ihn aus großer Höhe gesehen hatte. Nördlich der Berge lag am Meer eine andere größere Stadt.
Der »Sender« musste sich dort befinden.
Und noch etwas anderes entnahm Gucky ganz bestimmten Charakteristika der Mentalimpulse: Sie wurden nicht wahllos abgestrahlt, sondern bewusst in eine ganz bestimmte Richtung, nämlich von Nord nach Süd. Der Empfänger musste sich also in seiner Nähe aufhalten, wahrscheinlich unten in der Stadt.
Den Empfänger zu orten, ohne dass dieser ebenfalls mental antwortete, war unmöglich. Zudem würde er, da er ebenfalls Telepath sein musste, die Fähigkeit besitzen, sich abzuschirmen, wenn er das für nötig hielt.
Blieb also nur noch der Versuch, zumindest den Absender der Mentalimpulse im Norden aufzuspüren.