Nr. 1337
Krieg der Esper
Hetzjagd durch M 33 – der Clan der Wissenden schlägt zurück
von Ernst Vlcek
Auf Terra schreibt man den Oktober des Jahres 446 NGZ, was dem Jahr 4033 alter Zeitrechnung entspricht. Somit sind seit den dramatischen Ereignissen, die zum Aufbruch der Vironauten und zum Erscheinen der beiden Sothos aus ESTARTU führten, mehr als 16 Jahre vergangen.
Seither haben die Lehre des Permanenten Konflikts und der Kriegerkult in der Galaxis ihren Einzug gehalten. Dennoch hat Sotho Tyg Ian den Widerstand der Galaktiker nicht brechen können.
Geheimorganisationen, allen voran die GOI, sorgen dafür, dass die Hoffnung auf Freiheit von fremder Unterdrückung erhalten bleibt.
Auch im Reich der 12 Galaxien, wo die Ewigen Krieger im Namen ESTARTUS seit Jahrtausenden regieren, regt sich in jüngster Zeit mehr Widerstand gegen ihre Herrschaft denn je zuvor, und anlässlich der Spiele des Lebens auf dem Mond Ijarkor erfolgt von Seiten der Netzgänger sogar ein entscheidender Schlag gegen die Machthaber.
In der Milchstraße scheinen jedoch trotz Pelyfors Tod und der Neutralisierung der Flotte des Ewigen Kriegers die Pläne des Sothos aufzugehen. Denn die Geschenke der Hesperiden treiben unter den Blues ihr Unwesen.
Auch in M 33, dem Herrschaftsbereich der Kartanin, geht es unruhig zu. Nikki Frickel wird seit dem Tag, da sie Dao-Lin-H'ay gefangen nahm, erbarmungslos gejagt. Der Clan der Wissenden hat den Kampf gegen sie aufgenommen – den KRIEG DER ESPER ...
Nikki Frickel – Die Chefin der PIG auf der Flucht.
Dao-Lin-H'ay – Die Kartanin löst den Krieg der Esper aus.
Poerl Alcoun – Eine Paratensorin.
Rob-Ert-K'uzelj – Ein paratauber Kartanin.
Narktor – Nikki Frickels Stellvertreter.
Träume können manchmal wirklich blöd sein, aber dieser hier übertrifft alles Dagewesene.
Er beginnt schon so verwirrend, dass ich mich in eine Situation versetzt sehe, in der ich mich überhaupt nicht zurechtfinde.
Du weißt ja, wie das ist: Da wird dir irgendein Nonsens vorgesetzt, und es heißt, kapier's endlich oder schnappe über.
Ich muss an die zweihundert Jahre oder so alt sein. Denn man schreibt das Jahr 100 von H'ay. Und wenn man sich nun ausrechnet, dass die Kartanin noch an die dreißig Jahre brauchen, um die Lokale Galaxiengruppe, die Mächtigkeitsballung ES, zu beherrschen, und wenn man dann mein augenblickliches Alter von 72 dazurechnet, dann kommt man in etwa hin. Also sagen wir, ich bin 202, und ich sitze in illustrer Runde in einer Kneipe irgendwo in Pinwheel.
Muss wohl ein Glas über den Durst getrunken haben, denn ich beginne zu plaudern, und dann muss da irgendein Blödkater mein Glas mit einer Säuglingsflasche vertauscht haben, weil er denkt, ich habe bereits zu viel intus, denn als ich wieder einen zur Brust nehmen will, hänge ich am Sauger. Da kommt nicht mal genug durch, um die Geschmacksnerven zu kitzeln.
Aber ich nehme das hin, weil ich schon mächtig in Fahrt bin, und nichts kann mich stoppen. Nicht der Pterus, der damit prahlt, einem Ewigen Krieger mal die Hand geküsst zu haben. Und auch nicht Narktor, der längst keine Haare mehr und keinen Rotbart hat, denn er besitzt eine Howalgonium-Schädelplatte und ein Kinn aus gehärtetem Paratau. Hat man so einen Unsinn schon mal gehört? Gehärteter Paratau! In dieser Konsistenz gibt's das Psichogon nicht einmal im Hyperraum.
Solange ich träume, störe ich mich aber nicht an solchen Kleinigkeiten. Im Traum geht mir nur der überhebliche Kartanin auf die Nerven, der wie ein Denkmal des ewigen Feliden hinter mir steht; er sträubt seine langen Barthaare zu einem Fächer, was mich an das Gehabe eines Pfaues erinnert.
Wie heißt der Kerl nur?
Ist mir eigentlich egal.
An den Namen der Kneipe erinnere ich mich. Er lautet LAO'S INN. Kein übles Wortspiel meines Unterbewusstseins, nicht? Oder begreifst du nicht? Nein? LAO'S INN – LAO-SINH! Aber jetzt klingelt's bei dir, oder?
Narktor, der Cyborg, drängt mich zu gehen – Wido Helfrich ist leider nicht mit von der Partie, der hat längst das Zeitliche gesegnet –, aber ich will meine Geschichte noch loswerden.
»Was wisst ihr Drückeberger denn schon über den Esperkrieg!«, sage ich und nehme mir nicht die Mühe zu erklären, wie ich das mit den »Drückebergern« meine, weiß es selbst aber sehr wohl, behalte es jedoch für mich: Ich schimpfe sie Drückeberger, weil sie alle Jahrgänge über Null sind und weil sie den Tag ihrer Geburt so lange aufgeschoben haben, bis der Große Esperkrieg vorbei war.
»Wisst ihr denn, wie alles begonnen hat?« Ich blicke angriffslustig in die Runde. Narktor zupft mich mit seinem Zangengreifer, der Ersatz für die Linke, am Ärmel, ich reiße mich los. »Das steht in keiner Chronik, der Anlass für den Esperkrieg wurde aus allen Speichern gelöscht. Aber da drin steht die Wahrheit geschrieben.« Ich tippe mir an die Stirn, und der präpotente Kartanin mit dem Schnurrbartfächer macht die Geste nach, wenn auch mit anderer Interpretation, und der Pterus äfft ihn nach, hat aber eine so niedrige und glatte Stirn, dass er mit dem Finger ausgleitet und ihn mit vollem Schwung seinem Hintermann ins Auge stößt – der Hintermann ist wirklich ein Einäugiger.
Irgendwer fordert mich zum Weitererzählen auf, obwohl Narktor, diese falsche Prothese, seine Neugier verzweifelt zu dämpfen versucht.
»Ich war der Grund für den Großen Esperkrieg«, platze ich heraus, und Narktor fügt sich ins Unvermeidliche. »Es war damals, im Jahre 446 alter galaktischer Zeitrechnung, als wir noch nicht nach der Herrschaft der Familie H'ay zählten, sondern nach der Kosmischen Hanse. Damals war ich Kommandantin der Karracke WAGEIO, und ich hatte eine Wissende als Gefangene an Bord. Sie hieß Dao-Lin-H'ay ...«
Bewunderndes Gemurmel erfüllt den Schankraum, nur Narktor seufzt gelangweilt, so als habe er die Geschichte schon tausendmal gehört oder öfter.
»Ihr könnt euch vorstellen, dass die anderen siebzehn Wissenden alles, aber wirklich auch alles daransetzten, um mir Dao-Lin abzujagen. Sie setzten alle Macht der Esper ein, um uns zur Schnecke zu machen. Aber ich war schlauer. Um es kurz zu machen, sie bekamen Dao-Lin nicht. Dao-Lin und ich wurden Freundinnen, und ich ernannte sie zu meiner Stellvertreterin in der Pinwheel Information Group. Das brachte die Wissenden derart in Rage, dass sie den Galaktikern den Fehdehandschuh hinwarfen, und das war der Beginn des Großen Esperkrieges, der erst dreißig Jahre später mit dem Friedensvertrag von Fornax beendet wurde. Und nun, meine Freunde, wollt ihr sicher wissen, wie ich mich all der vielen Angriffe der Wissenden erwehren und Dao-Lin für meine Ziele gewinnen konnte ...«
Ich blicke mit gelassener Erwartung in die Runde und sehe nur greise Kartaningesichter um mich. Siebzehn wie mumifizierte felide Greisinnen umstehen mich und strafen mich lodernden Blicks mit Verachtung.
Ich stammele, dass alles doch nicht so ernst gemeint war und ich mich alles andere als lustig über den herrschenden Clan der Wissenden machen wollte. Aber sie bleiben unerbittlich.
»Wir strafen dich mit Psiphrenie!«, sagen sie im Chor. Das bedeutet, der spontanen Deflagration von einer großen Menge Paratau ausgesetzt zu werden.
Während ich stolz erhobenen Hauptes, aber wankenden Schrittes – denn ich habe so viel Vurguzz intus, dass mein Rausch sich nicht einmal im Traum verflüchtigen kann – den Weg ins Unvermeidliche antrete, rufe ich alle freiheitsliebenden Galaktiker auf, die GOI im Widerstandskampf gegen die Kartaninherrschaft zu unterstützen.
Dann kommt ein Szenenwechsel. Ich stehe vor meinem Henker. Es ist der Kartanin mit dem Fächerbart, der schon in der Kneipe unter dem Publikum war.
»Ich bin Rob-Ert-K'uzelj«, stellt er sich vor, und ich mache mich darüber lustig, dass ich von einer Kartaninfamilie K'uzelj noch nie was gehört habe, er aber meint, dass er einer Familie angehört, die nicht unter einem Namen zusammengefasst ist, sondern die Zusammenhalt durch gemeinsame Interessen findet, und dass diese Gruppe Gleichgesinnter immer größer wird durch den Glauben an ein und dieselbe Sache. Das verstehe ich nicht ganz, auch nicht nach dem Erwachen.
Und Rob-Ert sagt: »Ich bin ausgeschickt worden, das Urteil über dich zu fällen. Du hast dich schwerer Vergehen gegen die Interessen des Volkes der Kartanin schuldig gemacht. Dafür gibt es nur eine Strafe ...«
Psiphrenie!
Rob-Ert aus der unbekannten Familie der K'uzeljs wirkt unglaublich realistisch auf mich. Ich denke, dass ich ihn berühren könnte, wenn ich nur die Hand nach ihm ausstreckte. Andererseits wirkt er aber so unnahbar wie alle Traumfiguren. Ich fasse ihn also erst gar nicht an.
»Ich bin stets in deiner Nähe, Nikki Frickel«, sagt er. »Du siehst mich nicht, und wenn du mich suchst, wirst du mich nicht finden. Aber ich bin da. Und irgendwann werde ich das Urteil vollstrecken.«
Psiphrenie!
Irgendwie macht mir der Vollstrecker Angst. Ich will ihn auslachen, ihm an den Kopf werfen, dass er als Kartanin-Mann mit Paratau gar nicht umgehen kann, und überhaupt, wie will er an Paratau herankommen? Wir würden es an Bord der WAGEIO sofort registrieren, wenn ein Kartanin auch nur mit einer Handvoll dieses Psichogons an Bord spaziert käme.
»Du hast nur eine Chance, Nikki Frickel, der verdienten Strafe zu entgehen«, sagt er, und seine Stimme bekommt auf einmal einen Halleffekt, und das schrille Echo seiner Worte begleitet mich aus dem Traum heraus, und ich höre es noch lange, nachdem ich schweißgebadet aus diesem unsinnigen Albtraum aufgewacht bin.
»Du kannst dich und die Deinen nur retten, wenn du Dao-Lin-H'ay freilässt!«
Und plötzlich ist der Traum aus, und weg ist Rob-Ert.
Ich bleibe wie belämmert zurück, und mich ärgert an dem ganzen Wirrwarr-Traum nichts so sehr wie die Tatsache, dass er eine Kapriole schlug, als er am interessantesten wurde, nämlich zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Zuhörern erzählen wollte, wie ich den Nachstellungen der Wissenden entgehen und Dao-Lin-H'ay als Freundin gewinnen konnte.
Das hätte mich interessiert! Denn in Wirklichkeit habe ich keinen blassen Schimmer, wie ich das bewerkstelligen könnte. Es müsste mal einen Traum geben, der konsequent zu Ende führt, was er so vielversprechend begonnen hat.
Ich sitze da und werde allmählich wach. Von dem Kneipenbesuch im Jahre 100 von H'ay ist kein Geschmack nach Vurguzz zurückgeblieben, nur ein mächtiger Kater. Apropos ...
Wie passt dieser männliche Kartanin in den Traum, der mir Psiphrenie bescheren soll? Ich kann diese Passage mit keiner Begebenheit, keinem Erlebnis aus der Vergangenheit assoziieren.
War das am Ende gar nicht geträumt?
Ich durchsuche meine Kabine wie eine Verrückte, wie unter beginnender Psiphrenie, und ich möchte nicht hören, wie Narktor es kommentieren würde, könnte er mich so sehen.
Dieser Gedanke ernüchtert mich, und ich will die sinnlose Suche schon aufgeben, als ich etwas auf dem Boden neben der Kabinentür liegen sehe. Es ist haarfein und glitzert silbrig. Es ist ein Haar, borstig und dicker als ein Menschenhaar.
Das Barthaar eines Kartanin!
Also gibt es dich doch, Rob-Ert!
Ich schlage sofort Alarm und ordne die Durchsuchung der WAGEIO an. Nach vierundzwanzig Stunden lasse ich die Suche abbrechen, weil die Leute immer lustloser an die Sache herangehen, je deutlicher sich der Misserfolg abzeichnet und weil ich mein Beweisstück verloren habe.
Entweder hat sich das Barthaar von selbst entzündet, oder es hat sich in Luft aufgelöst, oder es hat überhaupt nicht existiert. Jedenfalls besaß ich es nicht mehr, als ich ins Labor kam, um es einer mikroskopischen Untersuchung zu unterziehen.
Beginnende Psiphrenie?
»Du machst dich nur selbst verrückt«, behauptet Narktor, der in natura weder ein Paratau-Kinn noch einen Howalgonium-Schädel hat, sondern an diesen Stellen eine üppige rote Haarpracht.
Ich kann dem nicht widersprechen.
Es ist auch wirklich eine vertrackte Situation. Die Irrfahrt der WAGEIO durch Pinwheel dauert nun schon drei Monate, so lange werden wir von den Kartanin bereits gejagt.
Man muss sich das einmal vorstellen! Da haben wir ein Keilraumschiff aus dem Fundus der Orbiter mit einer Länge von 1500 Metern und einer ebensolchen Heckbreite, das mit schier undurchdringlichen Feldschirmen ausgerüstet und mit Irregulator-Strahlern und Anti-Materiestrahlern bestückt ist. Dem haben die Kartanin nichts Gleichwertiges auf waffentechnischem Gebiet entgegenzusetzen. Technisch sind wir den Feliden um gut tausend Jahre voraus.
Die PIG hat mit Kabarei eine bestens ausgerüstete Basiswelt und noch weitere dreißig Stützpunkte in M 33. Und doch war es uns nicht möglich, uns der Verfolgung durch die Kartanin zu entziehen und die Gefangene Dao-Lin-H'ay auf eine der Basen zu überstellen.
Das geht nun schon drei Monate so, und in dieser Zeit hatten wir kaum eine Minute Ruhe vor den Nachstellungen der Kartanin. Es ist also gar kein Wunder, dass ich Albträume bekomme.
Ich bereue es längst, dass ich Wido Helfrichs Rat nicht befolgt habe und die WAGEIO gleich nach Dao-Lins Gefangennahme nicht auf Milchstraßenkurs gebracht habe. Jetzt ist es dazu zu spät. Aber ich denke nicht daran zu kapitulieren, und keiner an Bord macht mir das zum Vorwurf. Sie stehen alle hinter mir, nur ist hie und da die Frage zu hören, was wir denn eigentlich falsch gemacht hätten – mal abgesehen davon, dass wir die Gefahr unterschätzt haben und nicht Kurs auf die Milchstraße nahmen, solange das noch möglich war. Natürlich spielte eine Portion Überheblichkeit mit, wir haben die Kartanin unterschätzt. Was sollten wir von diesem unterentwickelten Katzenvolk auch schon zu befürchten haben!
Dao-Lin-H'ay hatte mich gewarnt. Ich erinnere mich noch wortwörtlich daran, was sie mir nach ihrer Gefangennahme prophezeite. Sie sagte:
»Die Kartanin werden eine Treibjagd auf euch veranstalten. Ihr werdet nirgendwo mehr sicher sein, solange ihr mich an Bord habt. Ihr werdet nirgendwo mehr landen können. Man wird euch in die Enge treiben und mich befreien. Es wäre klüger von euch, mich gleich freizulassen.«
Das hat mich einen Lacher gekostet. Man schrieb den 30. Juni. Heute, fast drei Monate später, lache ich nicht mehr über Dao-Lin. Ich habe große Hochachtung vor ihr, und auch sie zollt mir Respekt.
»Wärst du eine Kartanin, würde ich stolz auf deine Leistung sein, Nikki«, sagte sie mal ohne Spott während einem unserer Gespräche in ihrem Gefängnis, das damals noch nicht durch einen starken Paratronschirm gesichert war.
Vor drei Monaten wäre mir darauf eine passende Bemerkung eingefallen. Inzwischen bin ich froh, dass meine Albträume nicht schlimmer ausfallen.
Aber Hand aufs Herz, welcher Raumschiffskommandant in gleicher vorteilhafter Lage wie ich hätte auch nur ahnen können, dass alles so kommen würde, wie es dann kam ...?
Die Geschehnisse auf Nyrello, dem dritten Planeten einer Sonne gleichen Namens, die Dao-Lin-H'ays Gefangennahme vorangegangen waren, lösten bei der ganzen Mannschaft Betroffenheit aus.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Wissenden für uns ein Clan von Uralt-Kartanin gewesen, die Hüterinnen eines Geheimnisses, die aus dem Hintergrund auch Einfluss auf die Geschicke ihres Volkes nahmen. Nun war uns offenbart worden, mit welcher Grausamkeit sie für die Wahrung dieses Geheimnisses sorgten.
Mittels einer Überdosis von Paratau hatten sie achtzehn Greisinnen den Irrglauben einsuggeriert, dass sie die Wissenden seien. Gleichzeitig hatten sie sie in ein Dilemma manövriert, aus dem diese arglosen Opfer keinen anderen Ausweg als den kollektiven Selbstmord sahen. Und dies alles nur, um uns von ihrer Fährte wegzulocken, um uns glauben zu machen, dass die Wissenden nicht mehr existierten.
Dank Poerl Alcoun, der jungen tefrodischen Paratensorin, fanden wir Dao-Lin-H'ays Spur und konnten das Täuschungsmanöver durchschauen. Damit war der Mord an den achtzehn alten Kartanin zudem noch umsonst.
Poerl war durch diesen Akt der Grausamkeit arg gezeichnet worden, denn auf eine gewisse Art war sie mit den bedauernswerten kartanischen Greisinnen mitgestorben.
Mich persönlich traf es wiederum besonders, dass Dao-Lin-H'ay sich für ein solches abscheuliches Verbrechen hergab, denn bis zu diesem Vorfall hatte ich von der ehemaligen Protektorin und Neo-Wissenden eine sehr hohe Meinung gehabt.
Ich verstand ganz einfach nicht, wie sie sich für so einen gemeinen Mord hatte hergeben können.
Damals empfand ich nur noch Verachtung für Dao-Lin-H'ay.
»Du tust ihr unrecht, Nikki«, verteidigte Poerl die Kartanin. »Sie leidet viel mehr unter dieser Schuld, als du dir vorstellen kannst.«
»Ich stelle mir nur achtzehn alte Kartanin vor, die an die Sache ihres Volkes glaubten und dafür in den Tod getrieben wurden«, sagte ich verbittert. »Was wiegen dagegen Dao-Lins Schuldgefühle! Wir fliegen nach Kabarei.«
Und damit begann unsere monatelange Irrfahrt.
*
Die WAGEIO kehrte 45 Lichtminuten vor Kabarei in den Normalraum zurück. Ich leitete ein verzögertes Bremsmanöver ein, so dass wir in einem Notfall sehr rasch die nötigen Beschleunigungswerte erreicht hätten, um wieder in den Hyperraum verschwinden zu können. Wir hatten den Hamiller-Punkt stets im Visier, waren bereit, die WAGEIO augenblicklich auf das Schwerkraftzentrum zu beschleunigen und es zu einem Pseudo-Black-Hole zu verdichten.
Aber die Fernortung ergab beruhigende Werte, so dass wir bis auf ein Drittel Lichtgeschwindigkeit heruntergehen konnten. Inzwischen waren wir unserer Basiswelt bis auf etwa 600.000.000 Kilometer nahe gekommen, ohne ein Raumschiff der Kartanin geortet zu haben.
»Poerl?«, fragte ich bereits zum dritten Mal während der kurzen Einstein-Phase unseres Fluges.