Im Bann des Flamenco
Kosmos
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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 978-3-440-13676-8
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Geisterbilder
Es war dunkel, es war kalt. Das Wispern zahlloser Stimmen hallte von den Wänden wider. Franzi zog ihre Fleecejacke enger um sich. Sie stützte die Hände auf der Sitzbank auf. Das Holz fühlte sich trocken und rau an. Sie reckte den Hals und kniff die Augen zusammen. Aber in der undurchdringlichen Finsternis war nichts zu erkennen. Plötzlich spürte Franzi eine Berührung am Arm. Sekunden später umschlossen eiskalte Finger ihre Hand. Erschrocken quiekte sie: »Ihhh!«
Der Griff lockerte sich sofort. »Sorry«, flüsterte Kim. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber ich bin so nervös.«
Franzi nickte. Dann fiel ihr ein, dass ihre Freundin sie gar nicht sehen konnte. Sie drückte Kims Hand fest. »Ja, ich bin auch total aufgeregt.«
»Jetzt bleibt mal ganz ruhig«, sagte Marie. »Alles wird gut!«
Franzi hörte ein Rascheln und nahm an, dass Marie näher an Holger heranrückte, der neben ihr auf der Bank saß. Sie seufzte. »Du hast leicht reden. Es ist ja nicht dein Freund, der gerade …«
Ein ohrenbetäubender Knall schnitt ihre Worte ab. Es folgte ein Prasseln und aus der Dunkelheit vor ihnen wuchs eine riesige Goldfontäne empor. Gleichzeitig dröhnten die Bässe des Intros von Emotions von den Boyzzzz los.
»Sie haben es wirklich gemacht«, rief Kim begeistert. »Die Show läuft zu meinem Lieblingssong!«
Mit jedem Beat erhob sich eine weitere Feuersäule aus dem Boden. Als der Text einsetzte, begannen sich fünf Sonnenräder auf einen Schlag zu drehen. Kim sang leise mit: »Hearts on the run, spinning round the sun«Trockeneisnebel waberte über dem Boden. Magisches Licht durchflutete den Raum und verwandelte den Nebel in ein goldenes Meer. Das Publikum klatschte begeistert. Scheinbar direkt aus der Feuerwerksfontäne sprangen zwei Gestalten in Jeans und weißen Tank-Shirts heraus. Franzi hielt den Atem an. Felipe und Michi! Die Jungen hielten große bengalische Lichter in den Händen und begannen damit zu jonglieren. Immer schneller ließen sie die glühenden Fackeln kreiseln und drehen. Applaus brandete auf. Jetzt wusste Franzi, wofür die beiden Jungen seit Monaten experimentiert und trainiert hatten: Sie hatten eine perfekte Feuerwerks- und Jongliernummer einstudiert! Heute, zur Einweihungsparty der neuen Indoor-Minigolfanlage in der ehemaligen Lagerhalle auf dem Gelände des Freizeitparks Sugarland, zeigten sie ihre Kunst zum ersten Mal vor Publikum. Die Leute waren begeistert. Mit lauten Zurufen feuerten sie Felipe und Michi an, die sich nun gegenseitig geschickt die Fackeln zuwarfen. Kim sah dem Schauspiel mit großen Augen zu. Franzi stupste sie an. »Ich hätte nicht gedacht, dass sie so gut sind!«
»Was machen sie denn jetzt?«, rief Marie plötzlich.
Die Jungen hatten aufgehört zu jonglieren und standen aufrecht da, den Blick zur Halledecke erhoben. Der Refrain setzte ein: My heart is on the run, emotions spinning round the sun … Mit einer geschmeidigen Bewegung führten Felipe und Michi die bengalischen Lichter an ihren Gesichtern vorbei. Zu den Worten Fly, fly higher – my heart is on fire, fire, fire … stiegen zwei große Feuerbälle aus ihren Mündern auf. Das Publikum tobte. Marie klatschte wie verrückt und stupste Franzi in die Seite. »Ihr habt mir gar nicht erzählt, dass sie auch Feuerspucken in ihrem Programm haben.«
»Nein«, murmelte Franzi.
Kim schüttelte lächelnd den Kopf. »Das wussten wir ja auch nicht. Das war also die Überraschung, die Michi mir versprochen hat!«
Marie sah ihre Freundinnen erstaunt an. »Dass ihr das nicht mitbekommen habt. Ihr wart doch öfter bei den Proben dabei.« Sie zwinkerte. »Ihr seid mir vielleicht schöne Detektivinnen!«
Franzi zuckte mit den Schultern. »Irgendwann muss man auch mal lockerlassen«, sagte sie. »Wir haben schließlich schon weit über vierzig Fälle gelöst. Ich will nicht auch noch in meiner Freizeit ständig wachsam sein.«
»Genau«, pflichtete ihr Kim bei. »Die drei !!! können nicht ständig im Einsatz sein.«
Franzi grinste. »Aber jetzt wird mir klar, warum die Jungs immer so lange ›zum Aufräumen‹ gebraucht haben, während wir im Yucatán auf sie gewartet haben.«
Noch ein letztes Mal stießen Felipe und Michi zwei Feuerwolken aus, die sich zu einem großen feurigen Ball vereinigten. Erst knapp unter der Decke der hohen Halle verpuffte er. Michi und Felipe verbeugten sich und löschten ihre Fackeln in einer Kiste mit Sand. Es wurde wieder komplett dunkel. Das Publikum klatschte. Ein Trommelwirbel erklang. Nach und nach flammten blaue Neonlichter an den Wänden und an der Decke auf. Felipe und Michi waren jetzt verschwunden. Dafür wurden mit einem letzten Paukenschlag die Minigolfbahnen sichtbar: Sie leuchteten in feurigem Rot, geisterhaftem Grün und magischem Blau. An den Wänden erschienen fantastische Bilder. Mit offenem Mund betrachtete Franzi einen Sonnenuntergang mit einem tanzenden Teufel davor. Daneben schwammen zwei Haie in einem Riff. Gegenüber prangte ein großes Gespensterschloss und ein leuchtend grüner Geist zog sich bis an die Decke
»Komisch. Als wir vorhin kamen und es noch hell war, habe ich nichts an den Wänden gesehen. Wo kommen diese Geisterbilder plötzlich her?«
»Schwarzlicht und UV-Farbe!«, rief Kim begeistert.
»Bitte was?«, fragte Franzi.
»Es gibt eine spezielle Farbe, die bei normalem Licht unsichtbar ist«, sagte Kim. »Erst, wenn sie mit bestimmten Lampen angestrahlt wird, leuchtet sie bunt. Es ist irgendein chemisch-physikalischer Effekt. Das kann Michi bestimmt genauer erklären.« Kim sah bewundernd auf die leuchtenden Gemälde. »Außerdem muss hier jemand ein echter Rocky-Beach-Fan sein. Die Bilder stammen alle von Büchern der drei ???. Sehr cool!«
Der Geschäftsführer des Freizeitparks war in der Zwischenzeit nach vorne gegangen. Er wurde von einem Spot beleuchtet und richtete einige Worte an das Publikum. Die anwesenden Journalisten schrieben eifrig mit. Anschließend lud Herr Mattis das Publikum auf eine Proberunde Minigolf ein. Dichtes Gedrängel entstand, als alle zu dem kleinen Kassenhäuschen strömten, aus dem eine junge Frau Minigolfschläger und Bälle herausreichte. Die Bälle glühten im Schwarzlicht violett und schienen schwerelos durch den Raum zu gleiten, weil die Spieler, die sie zu den Bahnen, trugen, unsichtbar blieben. Es sah aus, als tanzten dutzende von Glühwürmchen ein geheimnisvolles Luftballett.
Franzi riss sich von dem schönen Anblick los. »Kommt, lasst uns verschwinden«, sagte sie. Sie zog ihre Freundinnen und Holger in Richtung des Ausgangs. »Felipes Mutter hat uns zum Essen in ihr Restaurant eingeladen. Die Jungs warten schon«, erklärte sie. »Wir können später eine Runde spielen. Bei dem Menschenauflauf macht es sowieso keinen Spaß.«
Juana hatte einen Tisch in der künstlichen Grotte ihres mexikanischen Restaurants festlich gedeckt. Überall leuchteten Teelichter, und Felipes Oma war gerade dabei, Rosenblätter auf der weißen Tischdecke zu verteilen.
»Wie wunderschön!«, rief Franzi.
»¡Hola chicas!«, sagte die alte Dame und zwinkerte den Mädchen zu.
Während sie Rosita begrüßten, kamen Felipe und Michi zusammen mit Onkel Mago aus der Küche. Sie trugen große Tabletts, die mit mexikanischen Leckereien beladen waren. Felipe pustete sich eine dunkle Locke aus der Stirn und strahlte Franzi an. Er stellte das Tablett auf dem Tisch ab. Franzi fiel ihm um den Hals. »Ihr wart super!«, rief sie.
»Ja, eure Show ist wirklich toll!«, stimmte Kim zu. Sie nahm Michi das Servierbrett ab und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Holger klatschte Felipe und Michi ab. »Perfekt, Glückwunsch! Und danke noch mal, dass ihr mich auch eingeladen habt.«
»Na klar, gerne!«, sagte Felipe sofort. »Toll, dass du gekommen bist!«
Holger sah ziemlich angespannt aus, fand Franzi. Das war auch kein Wunder. Seine Eltern lebten gerade in Scheidung. Marie hatte ihr erzählt, dass seine Mutter mit ihm und seinen kleinen Geschwistern in Kürze von Billershausen in die Stadt ziehen würde. Sie hatte eine Stelle als Hauswirtschafterin im Villenviertel gefunden, in dem auch Marie wohnte. Diese ganzen Veränderungen mussten verdammt hart für Holger sein. Franzi sah, wie Marie ihm locker ihren Arm um die Schulter legte. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr und er musste lachen. Einmal mehr hoffte Franzi, dass die beiden ihr ›Wir sind allerbeste Freunde, mehr nicht!‹-Spiel endlich beendeten und wieder ein richtiges Liebespaar wurden. Vielleicht half es ja, dass Holger bald in der Nähe wohnen würde und sie sich so oft sehen konnte, wie sie wollten …
Juana stieß mit einem Tablett voller Gläser zu ihnen. Lächelnd begrüßte sie die Mädchen und Holger: »Ich freue mich sehr, euch alle hier zu haben. Es ist schade, dass ich bei der Eröffnungsshow nicht dabei sein konnte. Aber es war einfach zu viel los im Restaurant. Umso schöner, dass ihr jetzt hier seid!«
Sie setzten sich und stießen mit den alkoholfreien Mojitos an. Die eiskalte Limettenlimonade mit den frischen Minzeblättern schmeckte köstlich. Während sie sich über die fantastischen Fajitas hermachten, erzählten Felipe, Michi und die drei !!! Juana und Rosita von der Show.
Plötzlich entschuldigte sich Juana und eilte auf ein Paar zu, das im Eingangsbereich stand. Der hochgewachsene Mann und die schlanke, zierliche Frau neben ihm sahen sich suchend um.
»Rubén, Nayeli!«, rief Juana ihnen fröhlich zu. »Hier sind wir – ¡Estamos aquí! «
»Das sind mein Cousin und seine Frau«, erklärte Felipe. »Sie sind seit Kurzem in Deutschland und betreiben die Minigolfanlage.«
Heftig gestikulierend und redend erreichte Juana mit den beiden den Tisch. Felipe stellte seinen Cousin und dessen Frau den drei Mädchen und Holger vor. Juana sorgte für Fajita-Nachschub und innerhalb von Sekunden war Felipes Verwandtschaft in ein lautes und fröhliches Gespräch vertieft – auf Spanisch. Die drei !!! verstanden kein Wort. Felipe übersetzte, so gut er konnte, die wichtigsten Teile des Gesprächs: »Rubén sagt, dass er echt froh ist, dass Mago ihn von Spanien hierhergeholt hat. Die Wirtschaftskrise dort spitzt sich immer weiter zu …«
»Spanien?«, hakte Franzi erstaunt nach. »Ich dachte, sie kommen aus Mexiko, wie du, deine Mutter und dein Onkel?«
Felipe reichte die Schüssel mit gebratenen Rindfleischstreifen an Rubén weiter, dann sagte er: »Richtig, die beiden waren früher zusammen mit uns in Mexiko und haben Fahrgeschäfte im Freizeitpark in El Carmen betrieben. Als der Park pleiteging, mussten sich alle nach neuer Arbeit umsehen.« Felipe zögerte einen Moment, dann fuhr er fort: »Mein Vater hatte uns da schon lange im Stich gelassen und war einfach abgehauen. Juana und Mago sind dann mit mir nach Deutschland ausgewandert, weil sie eine Anfrage von Sugarland bekamen. Rubén und Nayeli fanden neue Jobs in Spanien – leider nicht für lange Zeit.« Felipe zuckte mit den Schultern. »Aber jetzt sind ja alle hier. Sugarland ist ein echter Glücksfall für meine Familie.«
Franzi nickte. »Allerdings!« Sie pikte ein Stück Paprika vom Teller auf und steckte es sich in den Mund. Nachdenklich kaute sie darauf herum. Felipe hatte soeben zum ersten Mal seit langer Zeit seinen Vater Andreas erwähnt. Das Thema war ansonsten tabu. Andreas hatte die Familie verlassen, als Felipe noch sehr klein war. Obendrein war er in kriminelle Machenschaften verstrickt gewesen. Vor einiger Zeit war er dann in Mexiko gestorben. Felipe hatte seinen Vater damit scheinbar endgültig für sich abgehakt. Er sagte immer, dass Onkel Miguel für ihn der beste Vaterersatz sei, den er sich wünschen konnte. Fertig.
Franzi sah Felipe prüfend an. War für ihn wirklich alles in Ordnung? Felipe schien von Franzis Gedanken nichts zu ahnen. Er strahlte sie an. »Du hast die schönsten Augen der Welt!«, flüsterte er ihr ins Ohr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »¡Mi tesoro!«
Nayeli lächelte die beiden an. Sie sagte etwas sehr schnell auf Spanisch zu Felipe. Der antwortete im gleichen rasanten Tempo. Dann schalteten sich Rubén, Juana und Rosita ein. Binnen Kurzem flutete wieder eine Welle von spanischen Worten über Franzi hinweg. Sie seufzte. Kim und Michi hatten die Köpfe über einem Blatt Papier zusammengesteckt. Es störte sie offensichtlich überhaupt nicht, dass um sie herum ein Fremdsprachenorkan tobte. Auf dem Blatt erkannte Franzi chemische Formeln und Zeichnungen. Sie grinste. Kim ließ sich tatsächlich die Wirkungsweise von Schwarzlicht und UV-Farbe erklären. Sie machte dabei ein verzücktes Gesicht, als würde Michi ihr Liebesgedichte vorlesen. Marie war ebenfalls in ein angeregtes Gespräch mit Holger vertieft. Franzi seufzte erneut. Jetzt reagierte Felipe sofort: »Entschuldige bitte, aber ich komme einfach mit dem Übersetzen nicht nach. Rubén und Nayeli sind übrigens riesengroße Drei-???-Fans und ich habe ihnen gerade von eurem Detektivclub erzählt. Sie sind total beeindruckt! Wie war das übrigens noch mal mit diesem Spion, den ihr im Januar verfolgt habt? Ihr habt ihn erwischt und gleichzeitig ein weiteres Verbrechen aufgeklärt, richtig?«
»Richtig.« Franzi nickte. »Ich würde den beiden ja gerne selbst davon erzählen. Leider kann ich kein Spanisch …«
Nayeli sah Franzi erstaunt an. »Das war mir in dem Trubel hier gar nicht aufgefallen«, sagte sie mit ziemlich starkem Akzent. »Entschuldige bitte, wie unhöflich von uns, dass wir uns hier in einer Sprache unterhalten, die du nicht verstehst!«
»Das ist doch kein Problem!«, sagte Franzi sofort. »Aber du kannst Deutsch! Es ist echt peinlich: Ihr alle scheint unsere Sprache zu können, aber wir nicht eure.«
Nayeli winkte ab. »No, no. Ich lerne schon lange. Dafür ist mein Deutsch nicht gut. Aber ich verstehe viel. Und jetzt, wo ich hier bin, muss es ja besser werden.«
»Ich will schon die ganze Zeit Spanisch lernen«, sagte Franzi, »damit ich mich mit Felipe in seiner Muttersprache unterhalten kann. Aber ich bin einfach nicht so begabt im Lernen.«
»Das stimmt gar nicht.« Felipe legte den Arm um Franzi. »Es ist meine Schuld, ich bin immer so ungeduldig. Und Grammatik kann ich einfach nicht erklären.«
Rubén schüttelte den Kopf. »Du bist ja auch kein Lehrer. Franzi muss in eine Sprachschule gehen, wenn sie ordentlich lernen will.«
Franzi nickte nachdenklich. »Da hast du wahrscheinlich recht.«
»Nayeli und ich haben Deutschkurse in der Schule von einem Freund in der Nähe von Madrid belegt«, erzählte Rubén. »Die ist sehr gut. Leute aus der ganzen Welt kommen nach Cuenca, um Deutsch, Englisch, Französisch oder Spanisch zu lernen. Der Schulleiter, José Amado, ist sehr engagiert. Er wird sogar von einer internationalen Kulturstiftung unterstützt. Daher sind die Kurse alle sehr günstig. Sie finden fast das ganze Jahr über statt.«
Felipe nickte heftig. »Cuenca kenne ich! Mago und ich waren letztes Jahr im Herbst dort. Er ist auf dem Mittelaltermarkt mit seiner Zaubershow aufgetreten und ich habe die Bühnentechnik gemacht. Es war super.« Er winkte seinem Onkel zu, der gegenüber saß. »Miguel! Rubén und Nayeli waren auch in Cuenca!«
Magos Augen blitzten sofort begeistert auf. »Ja, ich weiß. José hat mir davon erzählt. Wir müssen auch bald mal wieder dorthin. Ich will endlich die alte Kathedrale besichtigen und in eines der Häuser gehen, die so spektakulär halb in den Fels gebaut sind – diese Casas Colgadas, die hängenden Häuser … « Mago war nicht mehr zu bremsen. Er schwärmte von den schmalen, verwinkelten Gassen der Altstadt, der einmaligen Lage hoch auf einem Felsplateau mitten in einer fantastischen Natur, den vielen kleinen Tapas-Bars, der mittelalterlichen Burganlage und dem alten Kloster. Sogar Kim und Marie hatten ihre Gespräche unterbrochen und lauschten. Mago seufzte. »Das kann man mit Worten einfach nicht beschreiben. Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben!« Er zog sein Smartphone aus der Hosentasche und startete die Internetverbindung. Nachdem er kurz getippt hatte, reichte er das Gerät Franzi. »Hier, das ist die Homepage der Stadt. Sieh selbst!«
Kim und Marie sahen ihrer Freundin neugierig über die Schulter. »Es gibt sogar eine Live-Webcam, die überträgt, was auf dem Hauptplatz und der Umgebung los ist«, rief Franzi. Sie scrollte weiter. »Und diese hängenden Häuser sehen spannend aus!«
Marie stieß einen spitzen Schrei aus. »Die Sprachschule ist in einem uralten Kloster untergebracht. Das sieht ja aus wie ein Märchenschloss! Und es gibt neben den Sprachkursen auch ein tolles Sportprogramm: Bogenschießen, Kanufahren, Reiten, Klettern. Wahnsinn!«
Rubén lachte. »Richtig. Man kann dort wunderbar lernen und einen entspannten Urlaub verbringen.«
Franzi legte das Smartphone auf dem Tisch ab. »Ich will nach Cuenca«, sagte sie. »Am liebsten sofort!«
»Ich komme mit«, murmelte Marie, die sich das Handy in der Zwischenzeit geschnappt hatte. »Hier steht, dass das spanische Prinzenpaar, Letizia und Felipe, seine erste Hochzeitsnacht in einem Luxushotel in Cuenca verbracht hat!« Verträumt sah sie in die Runde.
Kim lachte. »Das spanische Königshaus interessiert mich weniger. Aber der Rest klingt superspannend. Ich würde da auch sofort hinfahren.«
»Dann ist doch alles klar.« Marie warf ihre langen blonden Haare zurück. »In zwei Wochen beginnen die Osterferien. Lasst uns nach Cuenca fahren!«, verkündete sie.
Franzi stieß einen Freudenschrei aus. »Ja, das machen wir! Meine Eltern werden es nicht glauben, dass ich mal etwas freiwillig lernen will.«
»Ich kann José gerne anrufen und euch anmelden«, bot Rubén an. »Und ich könnte ihn fragen, ob es einen extra Schülerrabatt gibt.« Er zögerte, dann sagte er: »Allerdings müsst ihr vorher eure Eltern fragen, ob sie euch erlauben, alleine nach Spanien zu fliegen.«
Marie winkte ab. »Das ist doch kein Problem. Wir sind schließlich zu dritt. Und Spanien liegt doch nicht am anderen Ende der Welt.«
»Ich fürchte, dass das schon ein Problem ist«, sagte Kim plötzlich leise. Auf ihrer Stirn hatten sich zwei steile Falten gebildet. »Jedenfalls für meine Mutter. Sie wird mir das niemals erlauben.«
Im Bann der Eifersucht
»Mann, ist das peinlich«, murmelte Kim. Sie zerrte den Riemen der kleinen gelben Umhängetasche über ihren Kopf und ließ sich in den Sitz neben Marie fallen. Mit hochrotem Kopf schloss sie den Sicherheitsgurt. Die Tasche rutschte zu Boden. Kim ließ sie einfach liegen. Marie lächelte ihr aufmunternd zu. »Die sieht doch gar nicht schlecht aus. Gelb ist die Trendfarbe des Jahres.« Sie kramte in ihrem Matchbeutel. »Etwas uncool ist vielleicht das Riesenschild mit deinem Namen und der Adresse drauf.« Marie zog eine kleine Tube heraus und begann sich die Hände einzucremen. »Aber das kannst du ja später einfach abreißen.«
Kim verdrehte die Augen. »Was sollte ich denn machen? Meine Mutter hat dem Flug nach Spanien erst zugestimmt, nachdem sie rausgefunden hatte, dass es einen Begleitservice für ›minderjährige Fluggäste‹ gibt.« Sie starrte die Tasche zu ihren Füßen feindselig an. »Dass man von der Airline so einen Kindergartenbeutel für den Ausweis und die Tickets umgehängt bekommt, konnte ich wirklich nicht ahnen.« Kim fuhr sich durch die kurzen braunen Haare. »Oh Gott, ist das peinlich!«, wiederholte sie.
Franzi beugte sich vor. »Reg dich nicht auf. Deine Mutter hat es doch nur gut gemeint. Hauptsache, sie hat dich überhaupt fahren lassen.« Sie streckte die Beine aus und erwiderte das Lächeln der Stewardess, die gerade die Gepäckbox seitlich über ihren Köpfen schloss. »Außerdem hätten wir ohne dich und deinen Status als ›begleitete Person‹ niemals diese tollen Plätze in der ersten Reihe bekommen. Ist doch alles perfekt.«
»Finde ich auch«, sagte Felipe. Er nickte Kim anerkennend zu. Franzi kuschelte sich an ihn. »Ich finde es vor allen Dingen toll, dass du mit uns nach Madrid fliegst!«, stellte sie fest. Sie lächelte glücklich. Ein unglaublicher Zufall hatte es gewollt, dass Felipe heute mit den drei !!! zusammen im Flieger saß: Kurz nachdem Rubén für Kim, Franzi und Marie mit der Erlaubnis ihrer Eltern den Sprachurlaub in Cuenca gebucht hatte, war Felipe von einer ehemaligen Klassenkameradin seiner Grundschule in Mexiko angemailt worden. Das Mädchen hatte ihn nach Madrid eingeladen, wo sie seit einiger Zeit mit ihrer Mutter lebte. Auch ein paar andere ihrer ehemaligen Mitschüler waren in den letzten Jahren mit ihren Eltern nach Spanien ausgewandert. Sie alle planten nun ein Treffen in Madrid.