Philipp Mattheis
Banana Pancake Trail
Unterwegs auf dem vollsten Trampelpfad der Welt
Rowohlt Digitalbuch
Philipp Mattheis, geboren 1979 im Münchner Speckgürtel, hat Philosophie studiert und arbeitete von 2008 bis 2011 als Redakteur beim Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, jetzt.de. Er schreibt für die Süddeutsche Zeitung, das SZ-Magazin, Playboy, NEON und Geo Epoche. Er lebt in München und Shanghai.
«Ich fuhr Richtung Süden. Von nun änderte sich alles. Luft und Klima wurden warm, die Hotelzimmer billig, und vor allem: Ich traf Menschen. Sie alle waren zwischen 18 und 30. Sie trugen einen Rucksack. Sie reisten mit einem Buch. Sie gaben wenig Geld aus und trugen T-Shirts, die schon sehr lange keine Waschmaschine mehr gesehen hatten. Diese Menschen wollten alle das Gleiche: Pyramiden fotografieren, Vulkane besteigen, Bier trinken und am Strand herumliegen, Sex haben und weiterfahren. Ich war auf dem ‹Banana Pancake Trail› angekommen. Das folgende Jahr über verließ ich den Pfad nicht mehr. Nun lernte ich jeden Tag junge Engländer, Schweizer, Schweden und Israelis kennen: in billigen, aber sehr gemütlichen und auf unsere Bedürfnisse zugeschnittenen Hotels, in klapprigen Reisebussen, auf den Stufen alter Tempel und am Strand. Wir staunten, feierten, liebten uns. Wir tauschten E-Mail-Adressen aus und vergaßen uns dann genauso schnell wieder, wie wir uns kennengelernt hatten. Wir schwammen zusammen im Mekong, schliefen in mexikanischen Hängematten und besuchten Haschischbauern in den Bergen Marokkos. Diese Leute waren überall, es gab kein Entkommen, ich war nie wieder allein.»
Manche Menschen wandern auf dem Jakobsweg, um zu sich zu finden. Der moderne Traveller entscheidet sich jedoch für den Banana Pancake Trail – einen Wanderweg durch Südostasien, der nach den süßen Pfannkuchen benannt wurde, die die kleinen Herbergen entlang des Weges anbieten. Tausende von jungen Backpackern rennen auf dieser «Komfortstrecke» dem Mythos der Individualität hinterher. Philipp Mattheis war einer von ihnen. Er traf Menschen aus aller Welt, Hängengebliebene, Wohlstandskinder und echte Aussteiger – und erzählt mit Humor und einem Hauch Sarkasmus von seinen Begegnungen.
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2012
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ISBN Buchausgabe 978-3-499-62771-2 (1. Auflage 2012)
ISBN Digitalbuch 978-3-644-46571-8
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ISBN 978-3-644-46571-8
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«Bloß keine Pornos» – Interview in «Der Freitag» vom 16. 9. 2010
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Kommentar auf www.adventurouskate.com/sihanoukville-the-ultimate-backpacker-party-paradise/ (abgerufen am 10. 1. 2012)
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Helge Timmerberg: «Der Auszug aus der Medina», in: NZZ am Sonntag, 5. April 2009
«I just feel like everyone tries to do something different, but you always wind up doing the same damn thing.»
The Beach
Im November vor einigen Jahren flog ich auf die Kanarischen Inseln, um auf einem Segelschiff anzuheuern. Ich hatte unter Strapazen die drei großen Must-Dos einer männlichen deutschen Mittelstandsjugend hinter mich gebracht: Führerschein, Abitur, Zivildienst. Ich war frei. Ich war auch jung, naiv und manchmal richtig doof. Ich flog also auf die Kanarischen Inseln, weil mir irgendjemand erzählt hatte, dass von dort aus jedes Jahr im Herbst Segelschiffe in Richtung Karibik in See stechen.
Ich lief durch den Hafen von Las Palmas und fragte die Segler: «Nehmt ihr mich mit?»
Die Segler fragten: «Hast du Segelerfahrung?»
Ich verneinte.
Die Segler fragten weiter: «Bist du überhaupt schon einmal gesegelt?»
Ich schüttelte den Kopf.
Die Segler fragten: «Du willst drei Wochen über den Atlantik?»
Ich nickte.
Dann lachten sie und gaben mir den Rat, doch erst einmal zwei Stunden auf dem Starnberger See zu segeln.
Ich aber gab nicht auf. Wie gesagt, ich war jung, naiv, gutgläubig und doof – und solchen Menschen passieren oft eigenartige Dinge. Am fünften Tag traf ich in Puerto de Mogan auf ein französisches Ehepaar. Der Franzose, ein dickbäuchiger und stark behaarter Mann, herrschte mich an, Französisch – «auf keinen Fall Englisch!» – mit ihm zu sprechen. Mit den kläglichen Resten aus drei Jahren Schulfranzösisch, die von einer Vier minus gekrönt worden waren, schilderte ich ihm mein Anliegen. Am Ende willigte er ein, mich mitzunehmen. Wir kauften Proviant für drei Wochen und fuhren los.
Ich sollte die Nachtwache übernehmen. Meine einzige Aufgabe war es, zwischen zwei und sechs Uhr nachts, während die anderen schliefen, darauf zu achten, dass unser etwa zehn Meter langes Boot nicht versehentlich auf einen Tanker zusteuerte. Das geschah zum Glück nicht. Stattdessen saß ich Nacht für Nacht allein an Deck und übergab mich.
Der Franzose wachte spät auf, hörte dann Édith Piaf und trank Pernod. Er befahl mir, mehr Französisch zu sprechen. Ich konnte nicht, ich musste kotzen. Er wollte, dass ich meine Kajüte aufräume. Ich konnte nicht, mir war schwindlig. Er verlangte von mir, das Essen seiner Frau zu essen. Ich konnte nicht, ich hatte Sodbrennen. Der Franzose und ich verstanden uns immer schlechter. Er erzählte mir von seinem Sohn, der in meinem Alter war und zu dem er keinen Kontakt mehr hatte, weil er ein Faulpelz war. Ich begann, tiefe Sympathie für den Sohn zu empfinden. Ich war übermüdet, mir war schlecht, ich hatte Hunger, ich wollte weg. Ich hasste den Franzosen.
Nach einer Woche machte das Boot einen Zwischenstopp auf den Kapverdischen Inseln, von denen ich noch nie gehört hatte. Sie liegen zwischen dem Senegal und Brasilien mitten im Atlantik. Die meisten Leute kennen sie nicht, und noch weniger Menschen verschlägt es dorthin. Ich stieg aus, küsste den Boden und verstand nun, was all die Leute meinten, die mich gefragt hatten, ob ich denn Segelerfahrung hätte. Ich beschloss, nicht noch zwei weitere Wochen über den Atlantik zu segeln. Ich beschloss, auf eigene Faust weiterzureisen. (Ich beschloss außerdem, nie wieder ein Segelschiff zu besteigen.)
Auf den Kapverden war es ganz okay. In meinem Hotel lernte ich einen Portugiesen kennen, dem es nach zwei Tagen zu langweilig wurde und der mit dem Schiff nach Senegal fuhr. Dann war da noch ein 40-jähriger Belgier, der sich sehr für die weiblichen Bewohner der Inselgruppe zu begeistern wusste. Sonst war dort niemand, und erst recht niemand mit einem Rucksack. Ich fragte mich: Sollte diese Reise so weitergehen? Würde ich tatsächlich die nächsten zwölf Monate, abgesehen von pädophilen Belgiern und depressiven Portugiesen, allein verbringen? Gab es keine anderen Menschen, die irgendwie dasselbe suchten wie ich, also eine Mischung aus Spaß, Sex, Strand und Selbstfindung?
Ich flog nach New York, nicht weil ich dorthin wollte, sondern weil es auf den Kapverden nur Flüge nach New York oder Lissabon gab. Es war nun bereits Anfang Dezember, also kalt, grau und stressig. Das wärmste Kleidungsstück in meinem Rucksack aber war eine Windjacke. Ich setzte mich in einen Bus und fuhr 36 Stunden Richtung Süden, nach New Orleans. Das klingt glamourös, war es aber nicht. Ich schlief auf einem wackeligen Stockbett in einer Jugendherberge, trank Free-refill-Cola und ließ mich von Einheimischen dunkler Hautfarbe grimmig anstarren. Ich verbrachte einige Tage mit einem Japaner, der etwa 15 englische Wörter beherrschte, aß bei McDonald’s und las Schuld und Sühne von Dostojewski. Mir wurde sehr, sehr langweilig, und wieder fragte ich mich, wie diese Reise wohl weitergehen sollte.
Dann kaufte ich für 19,95 Dollar ein Buch, auf dem Lonely Planet Mexico stand, und fuhr Richtung Süden. Von nun änderte sich alles. Luft und Klima wurden warm, die Hotelzimmer billig, und vor allem: Ich traf Menschen. Sie alle waren zwischen 18 und 30. Sie trugen einen Rucksack. Sie reisten mit einem Buch. Sie gaben wenig Geld aus und trugen T-Shirts, die schon sehr lange keine Waschmaschine mehr gesehen hatten. Diese Menschen kamen aus England, Dänemark und Israel, aus Deutschland, Australien und der Schweiz, aus Kanada, Italien und den Niederlanden. Sie alle wollten das Gleiche: Pyramiden fotografieren, Vulkane besteigen, Bier trinken und am Strand herumliegen, Sex haben und weiterfahren. Ich war auf dem Pfad angekommen, den der Kulturwissenschafter John Hutnyk «Banana Pancake Trail» getauft hat, weil diejenigen, die auf ihm wandeln, zum Frühstück etwas Süßes wollen. Ihre Gastgeber passen sich oft – ganz gegen die Gepflogenheiten ihres eigenen Landes, Salziges zu frühstücken – den Gästen an und servieren ihnen Bananenpfannkuchen. Der Banana Pancake ist kulinarisch der kleinste gemeinsame Nenner einer sonst sehr heterogenen Gruppe.
Das folgende Jahr über verließ ich den Pfad nicht mehr. Nun lernte ich jeden Tag junge Engländer, Schweizer, Schweden und Israelis kennen: in billigen, aber sehr gemütlichen und auf unsere Bedürfnisse zugeschnittenen Hotels, in klapprigen Reisebussen, auf den Stufen alter Tempel und am Strand. Wir staunten, feierten, liebten uns. Wir tauschten E-Mail-Adressen aus und vergaßen uns dann genauso schnell wieder, wie wir uns kennengelernt hatten. Wir schwammen zusammen im Mekong, schliefen in mexikanischen Hängematten und besuchten Haschischbauern in den Bergen Marokkos. Diese Leute waren überall, es gab kein Entkommen, ich war nie wieder allein.
So fremd und abenteuerlich es mir anfangs erschienen war, mit einem Rucksack zu reisen, so verrückt und abwegig kam es mir jetzt vor, einen Rollkoffer durch die Gegend zu zerren. Rollkoffer verhält sich zu Rucksack wie Sportwagen zu Offroadjeep. In einer überoptimierten Umgebung, also zum Beispiel einer Autobahn, ist der Sportwagen dem Jeep natürlich haushoch überlegen. Untergrund und Transportmittel sind hier aufeinander abgestimmt. Sobald er aber seine eigens für ihn gemachte Welt verlässt, versagt er. Ein Rollkoffer mag bequem und schnell sein auf Flughafen- und Cityhotel-Böden; doch einmal aus seiner zivilisierten Umgebung herausgerissen, ist der Rollkoffer hilflos wie ein Porsche 911 auf einem Acker. Ein Rucksack dagegen mag in einer stylischen Hotellobby etwas grobschlächtig daherkommen, doch dafür versagt er weder im Sumpf noch in der Wüste, noch auf einer staubigen Buckelpiste in Kambodscha. Der Rollkoffer ist fein und manieriert, der Rucksack ein vierschrötiger, aber ehrlicher Geselle.
Menschen, die ihr Gepäck also bevorzugt auf einer sauberen, reibungsarmen Unterfläche mit möglichst wenig Kraftaufwand hinter sich herziehen möchten, begeben sich besser nicht auf den Banana-Pancake-Pfad. Sie fliegen stattdessen nach Dubai, Zürich oder Düsseldorf. Sie nehmen viel Geld mit, übernachten in Designhotels und essen Gerichte wie «in Rotwein pochierte Entenleberterrine mit Apfelpüree und Périgord-Trüffel» anstelle eines Bananenpfannkuchens. Sie vermuten das Glück dort, wo es ihnen nicht viele streitig machen können, denn nicht jeder hat so viel Geld wie sie. Sie lassen sich ruhig auch mal «saturierter Schnösel» schimpfen und quittieren diese Beschimpfung mit einem arrogant-gönnerhaften Lächeln. Sie gehören ins Trolleyland. Dort, im Reich der Rollkoffer, haben die Reisenden feste Ziele und kaum Fragen.
Menschen dagegen, die mit einem Rucksack voller ungewaschener T-Shirts, Akku-Ladegeräte und Bücher reisen, haben kein Ziel, dafür aber sehr viele Fragen. Zum Beispiel:
Was ist der Sinn des Lebens?
Was brauche ich wirklich?
Muss ich unbedingt studieren, arbeiten und Geld verdienen?
Kann ich nicht auch einfach nur rumhängen?
Wie arm sind Leute in der Dritten Welt?
Sind die am Ende glücklicher als wir?
Warum sind Belgier ein bisschen komisch?
Kann ich vor meinen Freunden angeben, wenn es mir gelingt, mit einer Asiatin zu schlafen?
Leben in China nur reisbetriebene Roboter?
Wer bin ich?
Wenn ich nicht der bin, der ich sein will, kann ich dann vor mir selbst wegrennen?
Finde ich die Erleuchtung in einem indischen Ashram oder auf einer Maya-Pyramide?
Sind israelische Frauen die schönsten der Welt?
Oder doch Schwedinnen?
Reichen fünf Unterhosen für ein halbes Jahr?
Wie viele Tage am Stück gelingt es mir, nichts, absolut nichts zu tun, außer laotisches Bier zu trinken und Gras zu rauchen?
Was ist eigentlich wirklich wichtig?
Kann ich mein Leben lang reisen?
Diese Menschen fahren in Länder, in denen es warm und vor allem billig ist, sie fahren dorthin, wo schon viele von ihrer Sorte sind: nach Asien, Mittel- oder Südamerika. Sie tragen Flipflops, lassen Bart und Haare wachsen und versuchen, so wenig Geld wie möglich auszugeben.
Sie werden mehr und mehr. Die Zahl der verkauften Round-the-world-Tickets hat sich vervielfacht. In Bangkok lebt ein ganzes Stadtviertel von Billigurlaubern. In Australien geht mittlerweile jede vierte Übernachtung auf das Konto eines Backpackers. Aus ehemals verschlafenen Bauerndörfern wie Vang Vieng in Laos sind Backpackerknotenpunkte geworden. Die Infrastruktur – billige Unterkünfte, ein bisschen Party, kostengünstige Beförderung in die nächste Stadt – hat sich verbessert. Es gibt heute kein Land mehr, das im Lonely Planet nicht zumindest erwähnt wird. An manchen Stellen ist aus dem Trampelpfad eine Autobahn geworden. Davon erzählt dieses Buch.
Alles, was du brauchst, steckt in einem Rucksack im Bauch einer Boeing 747. Alles, was du wirklich brauchst, steckt in einem Beutel um deinen Bauch: eine Kreditkarte und ein Reisepass. Nie zuvor in deinem Leben warst du so frei, und wahrscheinlich wirst du nie wieder so frei sein. Nach dieser Reise wirst du ein anderer sein, und ja, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, auch ein besserer – weil du mehr von der Welt und den Menschen, die in ihr leben, verstehen wirst. «Chicken or pasta?», fragt dich eine sanfte Stimme. Für einen kurzen Moment wird dir etwas mulmig. Etwas hast du vergessen, etwas, das dir fehlen wird und um dessentwillen du Monate später doch froh sein wirst, zurückkehren zu können. Dann wird es dunkel, und das Einzige, was deine Gedanken noch im Zaum hält, ist der Hollywoodspielfilm auf dem Bildschirm in deinem Sitz.
Ein Netz aus Trampelpfaden und Hotels umspannt den Planeten. Man nennt dieses Netz den «Banana-Pancake-Pfad», weil all die Leute, die auf ihm unterwegs sind, etwas gemeinsam haben: Australier, Deutsche, Israelis, Spanier, Franzosen, Kanadier, Polen und Brasilianer wollen ein süßes Frühstück, und ihnen schmeckt Bananenpfannkuchen. Deshalb findet sich dieses Gericht auf den Speisekarten kleiner Herbergen in Thailand, Chile, China wie Neuseeland. Was diese Leute außerdem gemeinsam haben, ist das Alter, das wenige Geld und die Tatsache, dass sie viel Zeit haben.
Du bist allein. Zum ersten Mal in deinem Leben machst du keine Kompromisse. Du wirst Momente der Einsamkeit erfahren und über den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit nachdenken. Am Ende wirst du beides kennen und vor keinem mehr Angst haben.
Dir steckt der Schlaf noch in den Knochen, als sich dir die Türen des Flughafens von Bangkok, Delhi oder Mexico City öffnen. Du läufst gegen eine Wand aus schwüler, stickiger Luft. Zwei Tage später wirst du Flipflops tragen, obwohl du diese Schuhe immer so lächerlich fandest. Du blätterst in deinem Reiseführer, der dir zur Bibel werden wird und den du später genau deswegen hassen wirst. Schüchtern blickst du zur Seite und erkennst zwei Menschen, die ebenfalls in einem Buch blättern. Für einen Moment überlegst du, ob du sie ansprechen sollst.
Dann steigst du in ein klimatisiertes Taxi und versuchst dem Fahrer klarzumachen, in welches Hotel du willst. «Yes, yes, mister», sagt der kleine Mann grinsend, fährt los und bringt dich zu einem Hostel, dessen Besitzer der Bruder der Frau seines Cousins ist. Zwei Stunden später sitzt du geduscht in einem Café, das man zu Hause «Hippieladen» nennen würde. Um dich herum: Menschen in sackartigen Hosen, mit Tüchern in den Haaren und Flipflops an den Füßen. Sie tragen T-Shirts mit dem Logo einer Biermarke aus dem Nachbarland. Alles hängt, lungert und lächelt. Mit diesen Menschen wirst du die nächsten Monate verbringen. Easy, von nun an wird alles so easy, dass du in ein paar Monaten nicht mehr verstehen wirst, warum es daheim so kompliziert sein muss. Du bist auf dem Banana Pancake Trail angekommen. Der Kontakt zu den Einheimischen beschränkt sich auf Kellner, Taxifahrer und bettelnde Kinder. («You have five rupees, mister?»)
Es gibt einen Unterschied zwischen Auslandsaufenthalten und Reisen. Ein Erasmus-Jahr macht sich gut im Lebenslauf und nebenbei Spaß. Praktika im Ausland sind nützliche Trophäen für eine Bewerbung. Ein Jahr Arbeit im Ausland kann zu einem Karrieresprung führen. Reisen aber ist Selbstzweck, und im Fortgehen steckt ein Rest Verweigerungshaltung, der ganz untypisch für die Nullergeneration und ihre frühe Eichung auf Karriere ist. Wer auf eine lange Reise geht, hat keine Lust auf Konkurrenz und Karriere. Er sucht Hedonismus und sich selbst. Es funktioniert, weil das Preisgefälle zwischen der Ersten und der Dritten Welt noch immer enorm ist. Eine Nudelsuppe in Vietnam kostet 50 Cent, und um ein Jahr durch Indien reisen zu können, genügen 5000 Euro. Neben dem Besuch von Ruinen, stickigen Metropolen und Stränden bleibt genug Zeit, über sich selbst, die Welt und deren Sinn zu grübeln. Backpacker sind die Glückskinder des Westens auf ihrer Stippvisite in die Armut. Die wenigsten von ihnen verlassen den komfortablen Pfannkuchen-Pfad. Sie führen das Leben eines Stars und lösen endlich das Versprechen der weltweit ausgestrahlten Superstar-Shows ein: «Du stehst im Rampenlicht, du kannst es, du hast es verdient.»
Im Nachtzug lernst du John kennen: «Where are you from? How long are you travelling? Where have you been?» Smalltalk auf Reisen bleibt Smalltalk, aber anders als daheim interessieren dich die Antworten wirklich. Eine Mischung aus Einsamkeit und Offenheit treibt dich dazu, jeden Menschen anzusprechen, der deine Aufmerksamkeit erregt. Nie triffst du auf Ablehnung. John kommt aus Australien, ist seit drei Jahren unterwegs und schwärmt für den Mondkalender der Mayas. Kaum eine Seite seines Passes, auf der nicht der Stempel eines Landes prangt. Er erzählt dir von den Ruinen von Tikal, den Wellen von Bali und den Frauen in Kolumbien.
Zwei Wochen reist ihr zusammen, teilt euch Hotelzimmer und Bambushütte, schlaft im selben Bett, um Geld zu sparen. Dass seine Dreads genauso riechen wie die trüben Kanäle Bangkoks, findest du nicht eklig. Du fragst ihn, wovon er lebt. Er sagt: Einmal im Jahr fliege er nach Australien, um dort für zwei Monate Mangos zu pflücken. Auf Reisen bastelt er aus Muscheln und Metall Schmuck, der dich an den Inhalt von Kaugummiautomaten erinnert. Aber John verkauft ihn an andere Reisende. Das Geld genügt, um das restliche Jahr unterwegs zu sein. Am Ende eurer Zeit tauscht ihr E-Mail-Adressen aus und addet euch auf Facebook. Zwei-, dreimal schreibt ihr euch noch, dann habt ihr euch nichts mehr zu sagen. Du hast ohnehin schon so viele E-Mail-Adressen: von Ari aus Israel, die mit ihrem Entlassungsgeld aus der Armee durch Indien reist, von Hans aus Hamburg, der gerade sein Studium beendet hat und noch nicht arbeiten will, oder von Miguel, dem Spanier, der den ganzen Tag bekifft ist. Wahrscheinlich wirst du sie alle nie wiedersehen. Doch sie haben sich wie Kindheitserinnerungen in dein Gehirn gebrannt. Sie erinnern dich an ein Leben, von dem daheim keiner glaubt, dass es möglich ist.
Seit fünf Monaten bist du jetzt unterwegs. Deine Haare sind lang und von der Sonne gebleicht, an deinem Handgelenk baumeln kleine Bänder und Kettchen, und du trägst eine Hose, die eher einem Sack ähnelt, dafür aber auch bei 40 Grad im Schatten nicht an der Haut klebt. Wenn du dich langweilst, packst du deine Sachen und fährst an den nächsten Ort. Nichts und niemand hindert dich daran, dich wohl zu fühlen. Du hast dich an die Aufmerksamkeit gewöhnt, die man dir schenkt: Junge Asiatinnen sind der Meinung, du würdest Brad Pitt unglaublich ähnlich sehen. Die indischen Taxifahrer und Hotelbesitzer behandeln dich wie einen Kolonialherrn. Die übrigen Rucksacktouristen halten dich für eine faszinierende Person – weil du der Einzige bist, mit dem sie auf Englisch eine Konversation führen können, die über den Dialog «You want Motorbike?» – «No, thanks» hinausgeht. Du lebst das Leben eines Stars, für 20 Euro am Tag. Du würdest nicht zurückwollen, würdest du nicht deine Freunde vermissen.
Es kann zur Sucht werden. Es gibt sie, die Leute, die nicht mehr zurückkehren. Fast alle tranken sie zu viel, waren zwar freundlich, aber irgendwie unfähig, längere Bindungen aufzubauen. Und obwohl sie witzige Geschichten aus Bali, Pakistan und Kolumbien erzählen konnten, schimmerten ihre Augen trübe.
Das Geld ist aufgebraucht. Dir dämmert, dass die Scheine nicht nur aus dem Automaten herauskommen. Auf dem Landeanflug fallen dir die geometrisch exakten Linien der deutschen Felder auf. Du ahnst etwas von den Strukturen und dem Rhythmus, der dich daheim erwartet. Nach einem halben Jahr glaubst du, alles müsse sich daheim verändert haben, so wie sich alles in dir verändert hat. Dein bester Freund fragt: «Wie war’s? Du musst mir alles erzählen.» Doch nach zehn Minuten erzählt er dir von seinem «krassen Absturz» am Samstag. Deine Schwester gähnt, als sie das 57. Strandfoto sieht. Die Mädchen schauen dich nicht einmal mehr an. Als du einen Fremden in einem Café auf das interessante Buch ansprichst, das er gerade liest, murmelt er nur «Mhmm». Du bist wieder daheim.
Du kannst nicht mehr weg, und das Wetter ist auch beschissen. Du willst wieder weg.
«Backpacker sehen alle gleich aus, je nach Aufenthaltsland gehüllt in einen Sarong, einen Lungi, eine Kurta oder in die bunte Posthippieuniform, die man an Tankstellen der Backpackerautobahn wie etwa Goa oder Chiang Mai billig erwerben kann.»
Ilija Trojanow[1]
Es ist dunkel geworden. Kleine Lichter funkeln, Rauch steigt aus fahrbaren Garküchen empor. Vlad zeigt auf zwei hochgewachsene Thailänderinnen mit exotisch-markanten Gesichtszügen, die mit einem angetrunkenen Backpacker reden. Die Frauen tragen beide ein knappes Kleid und ein tiefes Dekolleté. Ihre Lippen sind voll, ihre Augen unergründlich und schwarz.
«Das sind die Transen. Nachts kommen sie raus und machen sich einen Spaß daraus, Backpacker zu verführen, die zu betrunken sind, um auf die Größe ihrer Hände und Adamsäpfel zu achten.»
Der Mann – er ist jung, nicht älter als 25, groß, gut aussehend – lacht, und die zwei Frauen, die Männer sind, lachen zurück. Eine fährt mit ihrer Hand über seine Brust.
«Er ist gerade angekommen», sagt Vlad. «Er fühlt sich geschmeichelt, er denkt, das sind echte Frauen, und sie stehen auf ihn, weil er etwas Besonderes ist.»
Vlad ist Russe und 65 Jahre alt. Er sieht aus wie eine Mischung aus Mickey Rourke und Mahatma Gandhi. Er trägt ein nicht mehr ganz so weißes Muskelshirt, das seine weiß behaarten, sehnigen Arme nicht verdeckt. Vlad erzählt, dass er vor Jahren eine Bar in Odessa in der Ukraine hatte, eine Thailänderin kennenlernte, mit ihr nach Bangkok zog, sich wieder trennte, nach China fuhr, dort ein Import-Export-Geschäft für Louis-quatorze-Möbel eröffnete und später wieder alles verkaufte. Jetzt reist er nur noch.
Vor ihm steht ein angebissenes Sandwich aus weißem Toastbrot, Schinken und Ketchup. Er raucht und trinkt ein Singha-Bier. Er sagt, auf Reisen erlaube er sich, am Mittag das erste Bier aufzumachen. Vlad reist schon seit Jahren.
Wir sitzen auf roten Plastikhockern an einem Plastiktisch, in dessen Mitte ein Plastikbehälter steht. In dem Plastikbehälter sind Servietten aus sehr dünnem Zellstoff, die sich anfühlen wie Plastik, wenn man sie zwischen den Fingern reibt. Vor uns dröhnt «Porcelain» von Moby aus einer sehr großen Box. Die Musik ist übersteuert, die Bässe kratzen. Davor hat ein Thailänder einen Tisch mit schwarzgebrannten CDs belegt. Ab und zu schreit er einen Passanten an: «Mister, you buy music!»
Die meisten gehen vorbei, aber immer wieder wühlt jemand die unzähligen Tonträger durch, und dann beginnt eine Feilscherei in Pidginenglisch:
«300 baht.»
«Give me discount!»
«Okay, for you 280 baht!»
«Too expensive, I give you 150 baht.»
«Nooo, you crazy? 260 baht.»
«260 baht? No way! I give you 180.»
Das geht noch eine Weile so, bis sich beide auf 230 Baht einigen. Der Thai kramt aus einem Beutel, den er um den Bauch trägt, 20 Baht heraus, und stopft 250 hinein. Er steckt die CDs in eine dünne Plastiktüte, und der Schwede, Engländer oder Deutsche packt sie zu den dreieckigen Sitzkissen, dem Aschenbecher und dem Schachspiel, die er auf ähnliche Art und Weise erstanden hat, und geht weiter.
Ich bin vor fünf Stunden in Bangkok gelandet. Zwei Stunden lang saß ich in einem Taxi, das mich vom Flughafen zur Khaosan Road brachte, zwei weitere habe ich versucht, in einem fensterlosen Zimmer unter einem Ventilator zu schlafen. Es klappte nicht. Ich ging auf die Khaosan, setzte mich auf einen Plastikhocker und schaute mir Leute an. Die Dichte von Dreadlockträgern ist hier wahrscheinlich höher als sonst irgendwo auf der Welt. Jeder Zweite hat etwas Verfilztes auf dem Kopf. Bei manchen handelt es sich um drei Würste, jede dick wie ein Unterarm, deren Gewicht zum Verlust der vorderen Stirnhaare führte. Andere haben Hunderte kleiner Strähnen auf dem Kopf.
Dort, wo die Straße beginnt, sitzen kleine Thais auf Plastikhockern und flechten großen Schwedinnen und Schweizern, die ebenfalls auf kleinen Plastikhockern sitzen, Zöpfe ins Haar – eine Haartracht, die in den Top Ten der «dümmsten Frisuren der Welt» weit oben rangiert. Manche der Dreadlockflechter sehen ausgemergelt aus wie Fakire. Ihre Haut ist tiefbraun, gegerbt von Sonne, Meer und Wind. Ihre Augen leuchten charismatisch und gefährlich zugleich, als hätten sie Hölle und Himmel gesehen. Wahrscheinlich aber haben sie einfach schon lange keinen Sport mehr gemacht und etwas anderes als Reis mit Gemüse gegessen. Viele tragen bunte, sackartige Gewänder, die sie auf Einheimischenmärkten in Nordthailand oder Indien gekauft haben. Die Kleider sagen: «Seht her, mein Träger kennt mehr als diese eine Straße Bangkoks, er kennt die große weite Welt!» Manche haben nicht mal Sandalen an den Füßen, sondern latschen barfuß über den Asphalt, auf dem immer wieder Glasscherben, Reste von thailändischen Nudelgerichten und Plastiktüten liegen. Es sind Strandmenschen, die für den Strand gemacht, aber in der Stadt gestrandet sind. Sie reisen bald weiter, zurück ans Meer, um tagelang nichts zu tun und ihre Jonglierkünste zu perfektionieren. Dort brauchen sie nichts weiter als ein paar Euro täglich für eine Matratze, Reis und Bier.
Gruppen von Jungs tragen Cargo-Hosen und T-Shirts, auf die Labels lokaler Biermarken aufgedruckt sind. Ihre Haut glänzt von der schwülen Luft. Sie haben Glatzen oder lustige Locken, sie lachen und trinken viel. Sie sind ebenso nett wie offen. Sie scheinen zu denken: Alle Menschen, und seien sie noch so verschieden, mögen Bier. Die Verschiedenheit der Welt ist eingedampft auf die Verschiedenheit der Biermarken. Das T-Shirt sagt: «Wir verstehen uns mit jedem, egal aus welchem Land er kommt. Mit jedem, der auf dieselbe Art Spaß haben will wie wir.» Sie schwärmen von Laos, wo sie sich in einem Lkw-Reifen, eine Flasche Bier in der Hand, im Mekong treiben ließen, und von Vietnam, wo sie durch die Tunnel des Vietcong gerobbt sind.
Selten, aber doch hin und wieder, laufen Menschen an mir vorbei, die wie Indiana Jones gekleidet sind. Ihre Gesichter sind ernst, als erforschten sie gerade ein von der Zivilisation vergessenes Land, in dem zahlreiche Gefahren in Form von wilden Tieren und gerissenen Eingeborenen auf sie lauern. Um sich dagegen zu rüsten, tragen sie beigefarbene Tarnkleidung mit 157 Taschen und Geheimfächern. Um ihre Hüfte baumelt eine Wasserflasche, ihren Rucksack tragen sie nicht auf dem Rücken, sondern vor der Brust, um sicherzugehen, dass niemand heimlich ein Geheimfach öffnet und etwas klaut.
Drei winzige japanische Mädchen ziehen mit Hartschalenkoffern und Gucci-Sonnenbrillen vorüber. Einer ihrer Landsleute wird von einem Schweden gefragt, warum er ein T-Shirt trägt, auf dem ein Hakenkreuz prangt. Der Japaner lächelt nur und geht weiter.
«Die Japaner sind die Verrücktesten», sagt Vlad. «Die grinsen immer nur und können kein Wort Englisch. Dann kommen die Israelis. Die sind alle traumatisiert von ihrem Militärdienst und haben nur Feiern im Kopf. Außerdem treten sie nur in Gruppen auf. Die Skandinavier sehen am besten aus. Die Engländer saufen am meisten. Die Deutschen wollen immer alles richtig machen, damit sie niemand als Nazis beschimpft.»
Er beißt tatsächlich noch einmal in das Sandwich, das seit einer Stunde angeknabbert vor ihm liegt, und erzählt eine Geschichte aus einem japanischen Bordell. Er redet von früher, vom Anfang der neunziger Jahre, als er zum ersten Mal hierherkam. Veteranengeschichten, die immer klingen, als sei das «Früher» ein eigenes Land, das heute hermetisch von der Gegenwart abgeriegelt und unbereisbar ist. Als hätte der Erzähler das Privileg, an einem Ort gewesen zu sein, an den ihm niemand mehr nachfolgen kann.
1982 gab es nur zwei Hostels auf der Khaosan Road, Bretterbuden, in denen die Übernachtung nicht mehr als zwei Dollar kostete. Dreimal täglich Pad Thai, ein Nudelgericht, für denselben Betrag in einer der Garküchen gegenüber. Dann – Bangkok feiert seinen 200. Geburtstag – erscheint der erste Lonely Planet Thailand. Die 400 Meter lange Straße im Bangkoker Viertel Banglamphu, nicht allzu weit vom Königspalast entfernt, wird auf dem Reiseweg der Rucksacktouristen verzeichnet. Fünfzehn Jahre später ist sie bereits zum Inbegriff des Südostasienurlaubs überhaupt geworden.
Heute gibt es auf der Khaosan Fastfoodrestaurants und Hotels mit Swimmingpools auf dem Dach. Und Tausende Menschen – Thais, Inder, Bergvölker, die etwas verkaufen wollen, und Engländer, Israelis, Schweden, Australier und Japaner, die etwas kaufen wollen. Und auf dieser Straße gibt es alles zu kaufen, was man irgendwie brauchen könnte, wenn man mit dem Rucksack unterwegs ist: schwarz gebrannte CDs, Regenjacken, Frühlingsrollen, Bahncards, Taschenmesser, iPod-Boxen, Presseausweise, dreieckige Sitzkissen, Computer-Betriebssysteme und -Programme, Opiumpfeifen, Taschenlampen, Dildos, Aschenbecher, Armreifen, T-Shirts, Sackhosen, Rucksäcke, aus Holz geschnitzte Elefanten, Batiktücher, Moskitonetze, Klopapier, Regenjacken, Maiskolben, Schachspiele, Murakami-Romane und Wanderschuhe.
Kleine Reisebüros verkaufen Zug- und Flugtickets nach Chiang Mai, nach Poipet an der kambodschanischen Grenze, auf die Abhänginseln Koh Phangan und Koh Tao im Golf von Thailand und nach Rangun, Schanghai und Hanoi. Tagsüber flimmern in den Cafés die neuesten Hollywoodfilme über die Mattscheibe, und nachts trinken Billigreisende aus der ganzen Welt Red Bull mit Mekong-Whiskey aus Eimern. Alles ist billig. So billig, dass es selbst ein Tagesbudget von 15 Euro zulässt, sich neu einzukleiden. Die Welt des Backpacking wurde auf die Größe dieser Straße zusammengepresst und auf kleinsten Raum übereinandergestapelt.