Walter-Jörg Langbein
Die Magie der Weisen
Kulte und Riten
Überarbeitete und ergänzte Fassung des 1997 in der Reihe
„Geheimnisvolle Welten“ erschienenen Bandes
„Das Reich der Magie – Kulte und Riten“
Ancient Booklet – eBook
Ancient Mail Verlag Werner Betz
Europaring 57, D-64521 Groß-Gerau
Tel.: 0 61 52/5 43 75, Fax: 0 61 52/94 91 82
www.ancientmail.de
Email: ancientmail@t-online.de
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-944198-52-1
Ich widme dieses Buch Sylvia B., Ursula Prem und g.c.roth
„Denn wer den Schatz, das Schöne, heben will, bedarf der höchsten Kunst: Magie der Weisen."
Johann Wolfgang von Goethe, Faust II/Mephisto
Inhalt
Vorwort: 2012 und Magie
1.) Die Magie der Azteken
Smog, Wissenschaft und Magie
Die Azteken, die Straße der Toten und unser Sonnensystem
Magische Ursprünge
Magie und Priestertum
2.) Das Geheimnis der Tiermenschen
Aztekische Magier und afrikanische Zauberer
Magie und Verbrechen
Werwölfe in Europa
Unsichtbare Angreifer
3.) Voodoo – Magie mit der Kraft der Toten
Tempel, Trommeln, Totengeister, Trancezustände
Voodoo-Ketzer und Todeszauber
Voodoo auf der Osterinsel
4.) Magie im Reich der Pharaonen
Voodoo bei den Hyksos
Visionen von der Zukunft
Magische Medizin
Magische Reisen ins Jenseits
5.) Magisches Indien
Falscher Zauber
Soma, das magische Manna Indiens
Magische Kraft und Indiens Götter
Geist siegt über Materie
Houngan-Man und die indische Magie des Prana-Atems
6.) Die magische Welt der Kabbala
Ursprünge
Die zehn magischen Sphären
Ein Kabbala-Ritual im 20. Jahrhundert
7.) Magier des Mittelalters
Paracelsus – Mediziner und Magier
Athanasius Kircher – Planeten und Amulette
Astrologische Vorschriften en Détail
Agrippa von Nettesheim – Anwalt der Hexen
8.) Magie der Neuzeit: Swedenborgs Jenseitskontakte
Außerkörperliche Erfahrungen
Himmel und Hölle
Nachwort: Vom Zauber der Magie
Anhang
„Alles, was die Wissenschaftler …
mit Hilfe einer unbekannten Kunst
vollbringen,
wird Magie genannt …
Denn Technologie wird immer
als Magie bezeichnet,
bevor sie verstanden wird,
und nach einer gewissen Zeit
entwickelt sie sich zu einer
normalen Wissenschaft.“
Tommaso Campanella, Dominikaner,
eigentlich Giovanni Domenico,
1568-1639
Wir leben im dritten Jahrtausend nach Christus. Der angeblich von den Mayas für den 21.12.2012 prophezeite Weltuntergang ist ausgeblieben. Unsere Erde wurde nicht durch einen mysteriösen Planeten zerstört. Auch kippte die Erdachse nicht. Und die Sonne sandte keine Monsterstrahlen... Die Apokalypse, vor sich viele fürchteten... sie blieb aus.
Dabei haben die Mayas für den ominösen 21.12.2012 gar keinen Weltuntergang vorhergesehen... aber glauben wollten das viele Zeitgenossen. Morbide Horrorvorstellungen aus einem Gemisch von Aberglauben und vermeintlicher Wissenschaft faszinieren heute nach wie vor... wie schon seit Ewigkeiten.
Auch Martin Luther prognostizierte mehrfach den angeblich unmittelbar bevorstehenden „Weltuntergang“, schob immer neue Termine nach... Sein Weggefährte Melanchton war von Astrologie begeistert... Wissenschaft oder Aberglauben?
Wir sind im dritten Jahrtausend nach Christus angekommen. Aber haben wir uns vom „Aberglauben“ verabschiedet? Nicht alles, was als „Aberglaube“ belächelt wird, ist Humbug! Und nicht alles, was als „Wissenschaft“ daher kommt... ist kein Aberglaube.
In früheren Jahrhunderten glaubten die Menschen an „Hexen“ und führten einen blutigen Krieg gegen angeblich vom Teufel Besessene. Gläubige Christen zahlten bereitwillig in die Kassen der Kirchen, um liebe Verwandte aus dem „Fegefeuer“ zu befreien, oder um selbst erst gar nicht in diese heiße Hölle zu gelangen. Heidnische Talismane werden verabscheut, aber der Heilige Christophorus baumelt am Rückspiegel im Auto und soll vor Unfällen schützen...
Zeitschriften mit Millionenauflage drucken Horoskope, die von fast allen gelesen werden. Dabei glaubt doch angeblich niemand an diesen „Hokuspopus“.
Manche Anhänger magischer Praktiken gehen auch heute noch oft leichtsinnig unkalkulierbare Risiken ein. Wie schon vor unzähligen Jahrhunderten etwa bei den Mayas und Azteken werden Drogen konsumiert, die angeblich das Bewusstsein erweitern. Was Jahrzehnte im Verborgenen genossen wurde, wird heute – im Jahr des ausgebliebenen Weltuntergangs – öffentlich konsumiert.
Der „Spitzkegelige Kahlkopf“ ist in unterschiedlichsten Variationen zu kaufen: frisch oder getrocknet, eingelegt in Tequila oder als Pulver für Suppen. Roh genossen löst der Fruchtkörper des Pilzes, so berichtet „Der Spiegel“ (Nr.44/ 1996, S. 222), „Wahnvorstellungen wie in einem LSD-Rausch hervor, grotesk verzerrte Formen und ein Gefühl der Bewusstseinserweiterung“.
Vom Genuss des Pilzes ist abzuraten Er ist alles andere als ungefährlich, warnt „Der Spiegel“: „Die Wirkungen der magischen Pilze sind unkalkulierbar. Manche von ihnen können zehnmal mehr Psilocybin enthalten als andere und den Benutzer durch Überdosis vergiften. Und selbst bei einer Normalration können psychisch labile Menschen auf einen Horrortrip geraten und dabei die Schwelle zum bleibenden Wahn, zur Psychose, überschreiten.“
Magie hat schon – im 20. wie im 21. Jahrhundert – wahrhaft monströse Formen angenommen. So stießen Polizeibeamte in Amsterdam im Spätherbst 1996 bei der Untersuchung eines Vergewaltigungsfalls auf eine geheime Gruppe, die blutige Magie-Rituale praktizierte. In der Wohnung eines 45-Jährigen fanden sie vier wie Mumien einbalsamierte Babyleichen, die bei geheimen Ritualen benützt worden sein sollen. Mehrere Verdächtige wurden festgenommen.
In einer Welt, die sich verstärkt wieder der Magie zuwendet, wird in zunehmendem Maße auch der Glaube an okkulte Kräfte von Betrügern genutzt. So ergaunerte anno 1996 ein Team von drei Betrügern in Johannesburg große Geldbeträge. Sie verkauften, wie Fortean Times (Ausgabe Dezember 1996, S. 8) berichtet, geschwärztes Papier für teures Geld. Angeblich würde es sich, so man ein magisches Ritual zelebriere, in echte US-Dollarnoten verwandeln.
Erleben wir heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends, eine Renaissance der Magie? Die französischen Autoren Louis Pauwels und Jacques Bergier veröffentlichten zu Beginn der 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts ein umfangreiches Werk, das sofort weltweit zum Bestseller wurde: „Aufbruch ins dritte Jahrtausend“. Worum es den beiden Autoren ging, verdeutlicht der französische Originaltitel ihres Werkes: „Le Matin des Magiciens“, zu Deutsch „Der Morgen der Magier“. Pauwels und Bergier waren der Ansicht, dass die moderne Wissenschaft am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt sei. Jacques Bergier sagte 1975 in Zürich zum Verfasser: „Am Wendepunkt zum dritten Jahrtausend wird das Interesse an alten magischen Praktiken wieder erwachen!“
Kehrt die Magie in unseren Alltag zurück? Ist unsere Welt zu technologisch, zu unpersönlich, zu berechenbar geworden? Fehlt uns das Geheimnisvolle, das Mystische, für das es im Zeitalter der Gentechnologie und der Raumfahrt keinen Platz mehr zu geben schien? Magie mag aus der aufgeklärten Welt Europas weitestgehend verdrängt worden sein. In anderen Regionen wird sie nach wie vor praktiziert: In Südafrika sagen Priesterinnen wie Uyitshigitshi in Trance zukünftige Ereignisse voraus. Zulu-Magier deuten anhand von Orakelhilfsmitteln die Zukunft. Magier aus Simbabwe nutzen zu diesem Zweck Zauberknochen. Auf Haiti tanzen sich – vermutlich just in diesem Augenblick – Anhänger des Voodoo-Kults in Trance. Womöglich werden gerade jetzt in Brasilien Frauen nach altem Xango-Ritus in die Reihen der Magiekundigen aufgenommen. Sie werden als „Töchter der Heiligen“ bezeichnet. Dabei werden Opferhandlungen vollzogen.
Der Begriff des Magischen ist schon Jahrtausende alt. Bereits Giovanni della Porta (1535-1615), Philosoph und Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen, hat seine Ursprünge zurückverfolgt. Schon im Alten Persien bezeichnete man Zauberer als Magos. Sie galten als Wissende, waren in die Lehre des Ahura Mazda eingeweiht. Als erster Magier wird Zarathustra angesehen. Wann genau der große Weise lebte, ist umstritten. Unterschiedlichen Gelehrten zufolge lebte er bereits um 1.000 v. Chr. oder erst vierhundert Jahre später. Im Zentrum seiner Lehre stand der Kampf zweier Mächte. Ahura Mazda, das absolut Gute, und Angra Mainyu, das vollkommen Böse, kämpften ständig gegeneinander. Der Mensch muss sich entscheiden, ob er sich der guten oder der bösen Macht zuwenden möchte.
Die persischen Magier waren hoch angesehene Persönlichkeiten. Man war davon überzeugt, dass sie ausschließlich zum Wohle der Menschen arbeiteten. Nach den heiligen Schriften des Awestas durchwachten sie die Nächte, suchten nach der „Weisheit, die den Menschen furchtlos und freudigen Herzens an der Todesbrücke stehen lässt“.
Wie haben wir uns die Magos der Perser vorzustellen? Es scheint sich bei ihnen, das lassen einige Äußerungen Herodots vermuten, um Priester gehandelt zu haben. Sie vollzogen heilige Rituale, in deren Zentrum das magische Feuer stand. Als Magier wurden auch die babylonischen Priester und Astrologen von den Griechen bezeichnet.
Vermutlich handelte es sich bei jenen „Weisen aus dem Morgenland“, die nach Matthäus (Kapitel 2, Vers 1) nach Jerusalem kamen, um dem „neugeborenen König der Juden“ ihre Aufwartung zu machen, um Sterndeuter aus Babylon. Tatsächlich war Babylon, von Jerusalem aus gesehen, das „Morgenland“. Es war das Heimatland der wissenschaftlichen Astronomie. So nimmt es nicht Wunder, dass die Herren einem Stern folgten. Die Bibel weiß nicht, wie die Besucher aus dem Morgenland hießen. Kein Hinweis findet sich auch im Buch der Bücher auf die Zahl der Männer, die den Messias suchten. Der Volksglaube freilich kennt ihre Namen: Caspar, Melchior und Balthasar. In frommen, naiven Darstellungen werden sie als Könige mit goldenen Kronen dargestellt. Caspar soll ein Neger gewesen sein.
Jedes Neujahr werden ihre Initialen über Türschwellen geschrieben: C + M + B. Freilich hat man inzwischen den alten Brauch umgedeutet. C + M + B stehe für „Christus Mansionem Beneficat“ – „Christus segne dieses Haus“.
Die Vorstellung von den drei „Magiern“ oder „Königen“ aus dem Morgenland ist schon sehr alt. Anno 330 n. Chr. wurde auf Befehl von Kaiser Konstantin an der Außenwand der „Geburtskirche“ in Bethlehem eine bildliche Darstellung der drei Männer angebracht. Perserkönig Chosroes fiel 614 n. Chr. in Jerusalem ein. Er sah in der Darstellung der drei Männer Perser, verschonte deshalb die Kirche.
Rund 500 Jahre später wurden die drei Magier im Kölner Dom verehrt. Seit 1164 bewahrt man in einem kostbaren Schrein Reliquien auf: angeblich ihre Gebeine. Als 1980 man den reich verzierten Sarkophag öffnete, stellte man fest, dass da tatsächlich drei Menschen in kostbaren Gewändern zur letzten Ruhe gebettet worden waren. Der Stoff war im Orient gewebt worden – vor mindestens 1800 Jahren.
Magie wurde einst weltweit betrieben, vermutlich seit der Mensch denken kann. Die Arbeitskollegen der babylonischen Magier waren in Rom als Sapientes, in Ägypten als Sacerdoten, in Griechenland als Philosophes, in Indien als Brachmanen oder Gymnosophistas bekannt. Bei den Assyrern wurden sie als Chaldeos, bei den Kelten als Drydas und Semnothen bezeichnet. Magie wurde allem Anschein schon vor ungezählten Jahrtausenden weltweit praktiziert.
Der Volkskundler Eduard Spranger setzte sich intensiv mit den überlieferten Vorstellungen von Magie, wie sie bei zahlreichen Naturvölkern weit verbreitet sind, auseinander. Er kam zur Überzeugung, dass magische Praktiken bereits weltweit ausgeübt wurden, noch bevor es Religionen als festgeprägte Vorstellungen gab. Er stellte fest (Die Magie der Seele, Tübingen 1947, S. 67): „Der primitive Mensch will sich gegenüber der Welt erhalten; er glaubt Mittel zu besitzen, durch die er sich die verborgenen Mächte, die sein Dasein unheimlich umgeben, gefügig machen kann.“
Die vielleicht ältesten magisch-religiösen Texte entstanden im Raum Babylon. Demnach gab es am Anbeginn der Zeiten, lange bevor die ersten Menschen erschaffen worden waren, nur Abzu und Tiamat. Aus ihnen gingen die Götter Lahmu und Lahamu hervor, die die Götterkinder An und Enki zeugten. Abzu ärgerte sich über ihren munteren Kinderlärm, wollte wütend die Kleinen vernichten. Sie hätten wohl beide ein trauriges Ende genommen, hätte Enki nicht die Kunst der Magie beherrscht: Er verzauberte ihn. Abzu wurde in einen Zauberschlaf versetzt und getötet.
Tiamat, Abzus Partnerin, sann auf Rache und kreierte zwölf Ungeheuer. Als scheinbar unbesiegbare „Kampfmaschinen“ sollten sie Enki vernichten. Tiamat stattete Sohn Kingu mit den magischen Tafeln aus, wollte ihn zum Götterchef machen. An und Enki nahmen die Herausforderung an, es gelang ihnen aber nicht, einen Sieg für die Götter zu erringen.
Marduk, ein Sohn Enkis, erklärte sich schließlich bereit, für die Götter in den Kampf zu ziehen. Er stellte aber eine Bedingung: Die Himmlischen mussten ihn als Obergott anerkennen. Das wurde akzeptiert. Mit Hilfe seines magischen Pfeils gelang es Marduk, Tiamat zu zerfetzen. Die zwölf Ungeheuer wurden von Marduk gefesselt und unschädlich gemacht.
Erst nachdem wieder Ordnung herrschte, erhielt die Muttergöttin den Auftrag, Menschen aus Lehm zu gestalten. Sie waren letztlich nur als Sklaven gedacht, die die oft willkürlichen Befehle der Götter auszuführen hatten. Was aber die Himmlischen genau wollten, das war oft nur schwer auszumachen. So entstand die Priesterkaste, deren Vertreter die Aufgabe hatten, zwischen Himmel und Erde zu vermitteln. Magische Mittel und Methoden standen ihnen recht bald zur Verfügung: Sie beschworen Geister, blickten in die Zukunft, interpretierten Träume und befragten Planeten und Sterne.
Ihre Macht wurde dank der Angst der Menschen immer größer: Kein Laie wusste so recht, ob denn eine Handlung gottgefällig war oder ob sie den Grimm der Himmlischen herausfordern würde. Die Priester standen gern hilfreich zur Seite. Zu faktisch jedem noch so privaten Lebensbereich gab es magische Praktiken, die jede Einzelheit so regelten, dass die Götter mit dem Tun der Menschen einfach einverstanden sein mussten. Die Magie hatte also eine zentrale, vordergründige Bedeutung: Sie diente dem Menschen dazu, sein Leben nach den oft willkürlichen Wunschvorstellungen der Himmlischen auszurichten. Schließlich wollte niemand plötzlich dem Zorn der Götter ausgeliefert sein. Die Menschen erhofften sich keine Zaubertricks, mit denen ihnen geholfen werden könnte. Sie hätten es nicht gewagt, mit Hilfe von Magie Wirklichkeit zu verändern. Sie nutzten priesterliche Magie zunächst nur aus einem einzigen Grund: Man wollte sicher sein können, mit seinem Tun und Lassen die Götter nicht zu verärgern.
Die Chinesen gingen schon einen kleinen Schritt weiter: Sie wollten sich nicht mehr damit begnügen, durch magische Praktiken herauszufinden, wie eine Verärgerung der Götter zu vermeiden sei. Sie trachteten danach mit Hilfe von Magie, Himmel und Erde miteinander in harmonischen Einklang zu bringen.
Derlei Praktiken hält Völkerkundler Eduard Spranger für sinnlos (Die Magie der Seele, Tübingen 1947, S 72): „dass durch die Zauberhandlungen der Zweck erreicht werden kann, erscheint uns als ausgeschlossen. Auch der Primitive muss dies schließlich bemerkt haben.“ Warum wurde dann aber trotzdem Magie über Jahrtausende hinweg weiter betrieben, wenn „die Primitiven“ doch erkennen mussten, dass all ihr oft mühseliges Treiben zu keinerlei nennenswertem Erfolg führte? Nach Spranger wollte der Magier vor Jahrtausenden gar nicht wirklich äußerliche Wirkung erzielen. Er habe vielmehr auf die eigene Seele beeinflussen wollen.
Schon Francis Baron Verulam Bacon (1561-1626) warnte vor der Haltung, die nur das offensichtlich Sichtbare als wirklich akzeptiert und Übersinnliches, Magisches als unmöglich leugnet: „Man muss in diesen Dingen vorsichtig sein, denn es geschieht dem Menschen leicht, dass er sich irrt, und wir befinden uns hier vor zwei Arten von Irrtümern: die einen leugnen alles, was außerordentlich ist, und die anderen lassen die Vernunft beiseite und verfallen der Magie.“ Vieles, was als Magie deklariert werde, sei zwar Humbug, es könne aber keinen Zweifel geben, dass echte Magie existiere. Mit abergläubischem Zauber habe das dann aber nichts zu tun, es gehe dann vielmehr um uralte „Geheimnisse der Weisen“.
Ganz ähnlich dachte Ad. E. Jensen (1899-1965) rund 400 Jahre später. Der Professor für Ethnologie, Direktor des Frobenius-Instituts und des Völkerkunde-Museums in Frankfurt am Main ging davon aus, dass es tatsächlich so etwas wie „echte Magie“ gab und gibt. Magier seien durchaus zu konkreter Veränderung von Realität in der Lage, betonte Ad. E. Jensen. Er bekundete (Mythos und Kult bei Naturvölkern, München 1992, S. 321), dass Magier „nach dem Glauben der Eingeborenen Krankheit und Tod verursachen“ können – durch Beeinflussung der geistigen Aspekte der Wirklichkeit. Jensen weiter: „Mit denselben Mitteln können sie Krankheiten heilen oder das im Geistigen schon vorgezeichnete zukünftige Geschehen oder die der Erfahrung nicht zugängliche Wahrheit ergründen. Es besteht kein Zweifel, dass der Mensch tatsächlich solche Fähigkeiten besitzt.“
Die Menschheitsgeschichte ist in weit stärkerem Maße von Magie geprägt als das die Lektüre wissenschaftlicher Werke über die Historie unseres Planeten ahnen lässt. Das vorliegende Werk soll wesentliche magische Strömungen vorstellen. Wer es liest, nimmt an einer magischen Reise durch Raum und Zeit teil, stets auf den Spuren des Okkulten. Wir begegnen den Azteken und ihren Magiern, lernen den Sinn ihrer Menschenopfer kennen. Uns begegnen die geheimnisvollen Tiermenschen Afrikas und ihren Verwandten in Europa, den Werwölfen. Wir erfahren wichtige Details über den mörderischen Voodoo-Zauber Haitis. Schon die alten Ägypter praktizierten ganz ähnliche Riten, um Feinde mit Hilfe von Magie zu vernichten. Magisch waren auch die Jenseitsvorstellung der alten Ägypter. Nur mit Hilfe von geheimnisvollen Zauberformeln konnte der Pharao eine Höllenwelt, die ihn nach seinem Tode vom himmlischen Jenseits trennte, überwinden. In Indien begegnen wir den Yogi-Magiern. Sie scheinen Naturgesetze aufheben zu können. Europa erweist sich als Land mit großer magischer Vergangenheit. Hier entstand die Lehre der Kabbala mit ihren präzisen Vorschriften für Jenseitskontakte zur magischen Erfüllung von Wünschen. Hier wirkten die großen Magier Paracelsus, Agrippa von Nettesheim, Athanasius Kircher und Emmanuel von Swedenborg.
Das vorliegende Werk basiert auf langjährigen Studien des Autors. Es ist aber auch das Ergebnis von Forschungsreisen des Autors zu den geheimnisvollsten Orten unserer Welt: von Indien bis zur Osterinsel. Es enthält Beschreibungen magischer Zeremonien, an denen der Autor selbst teilnahm.
Zu Beginn des dritten Jahrtausends erlebt die Magie eine Renaissance. Die Grenzen zwischen Wissenschaft, Aberglaube und Magie verschwimmen. Moderne Physik ist manchmal von Esoterik nicht mehr zu unterscheiden.
Das ominöse Jahr 2012 ist vergangen, der Weltuntergang blieb aus. Wir wenden uns anderen faszinierenden Themen zu... In den nächsten Jahren wird wohl mehr denn je über okkulte Praktiken diskutiert werden. Wer mitreden können will, benötigt konkrete Fakten. Die will das vorliegende Werk wertneutral vermitteln. Es soll die Ablehnung der Ahnungslosen allem Magischen gegenüber infrage stellen.
Als vermeintlich moderne, aufgeklärte Menschen begegnen wir dem Magischen schnell widerwillig. Warum? Gabrielle Roth begründet: „Wir wollen keine Magie. Wir wollen alles sicher, voraussagbar, sogar langweilig haben, und das ist der Grund, warum wir uns mechanisch auf der Stufe des Oberflächlichen bewegen.“ (Roth, Gabrielle: Totem – Gelebter Schamanismus, München 2000, S. 127)
„Wanderer, du bist in der durchsichtigsten Region der Lüfte angekommen!“ fabulierte der mexikanische Nationaldichter Alfonso Reyes voller Stolz über die einst so klare Luft von Mexico City. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden die hymnischen Worte des Dichters ankommenden Touristen entgegengehalten. Heute verzichtet man auf diesen poetischen Gruß. Heute sind es auch nur noch in den seltensten Fällen Wanderer, die nach Mexikocity kommen.
Smog, Wissenschaft und Magie
Mexico Stadt... Man wird nicht mehr von klarer Luft, sondern stickigem Smog begrüßt. In einer Höhe von 2480 Metern leben im Hochtal von Anahuac anno 1997 nach Christus rund 25 Millionen Menschen. Zur Jahrtausendwende werden es nach vorsichtigen Schätzungen der UNO 40 Millionen sein. Die meisten werden dann in gigantischen Elendsvierteln hausen. Schon heute sterben jährlich etwa 100.000 Menschen an der giftigen Luft. Es ist nur noch eine Frage der Zeit: Irgendwann werden Automaten aufgestellt, an denen – gegen Bezahlung – saubere Atemluft „getankt“ werden kann.
Für Jacques Bergier stellt die von Umweltgiften verseuchte Riesenmetropole dem wissenschaftlichen Denken, so wie es etwa von den Universitäten am Übergang zum dritten Jahrtausend gelehrt wird, ein Armutszeugnis aus. Der Wissenschaftspublizist im Gespräch mit dem Autor: „Auch heutige Wissenschaftler streben nach Erweiterung von Wissen. Sie begehen dabei zwei massive Fehler. Erstens glauben sie nur, dass Erkenntnisse nur auf den bekannten, von der reinen Vernunft geprägten Wegen erlangt werden können. Zweitens können sie sich nicht vorstellen, dass beispielsweise Vertreter früher Kulturen auch andere Wege zum Wissen kannten.“ Damit meinte Jacques Bergier, wie er auf Anfrage erklärte, die Möglichkeit der Magie.
Gibt es nun Hinweise in der Geschichte Mexikos, die auf magische Erkenntnisgewinnung hindeutet?
Umstritten ist, wann die Geschichte Mexikos begann. Sie könnte älter sein als das den meisten Wissenschaftlern unserer Tage lieb ist. So entdeckte der amerikanische Archäologe Byron Cummings 1922 im heutigen Stadtgebiet von Mexico City bei Cuilcuilco eine Pyramide. Das unscheinbare Bauwerk müsste eigentlich die Welt der Wissenschaft dazu zwingen, ihr Lehrgebäude grundlegend zu renovieren. Sie ist nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weit älter als gewöhnlich angenommen wird. Archäologen weisen noch heute daraufhin, dass besagte Pyramide dem Baustil nach von den Olmeken beeinflusst worden sei. Sie kann aber kaum erst im vierten vorchristlichen Jahrhundert entstanden sein.
Je mehr archäologische Literatur man zurate zieht, desto älter wird Cuilcuilco: „Sie wurde 900 vor Christus begonnen, 350 v. Chr. aufgegeben!“ meint der Archäologe C. A. Burland. Ähnlich denkt Leo Deuel: „Baubeginn – 600 v. Chr.!“ Zu ganz anderen Ergebnissen kam der Geologe George E. Hyde. Der kümmerte sich freilich nicht um echte oder vermeintliche Ähnlichkeiten zwischen der geheimnisvollen Pyramide und anderen Bauwerken. Der Geologe stellte klipp und klar fest: „Teile der Pyramide sind von Lavamassen überdeckt worden, die etwa 7.000 Jahre alt sind.“
Die Datierung des Geologen Hyde stellt die Geschichtsschreibung der Archäologie auf den Kopf. Demnach wurde im heutigen Gebiet von Mexico City eine Pyramide viele Jahrtausende früher gebaut als es nennenswerte Volksgruppen in Zentralamerika gab. Fachautor und Archäologe Ron Willis: „Obwohl die Pyramide etwas Aufsehen erregte, wurde der Fund bald von vielen Archäologen ignoriert, einfach weil die Pyramide eine komplexe Zivilisation in Mexiko voraussetzen würde, die mehrere Jahrtausende vor Ägypten und Sumer bestand.“
Welches Volk mag damals in Mexico gelebt haben? Die Azteken können es nach anerkannter Lehrmeinung nicht gewesen sein, denn die wanderten erst etwa zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends in Mexiko ein. In Nordamerika trug der Indianerstamm freilich zunächst einen anderen Namen: Nahua. Sie gehörten einer Gruppe von Völkern an, deren Nachfahren bis zum heutigen Tage in Nordamerika leben: die Comanchen, Schoschonen und Ute. Es gelang den Nahua durch eine friedliche Handelspolitik, aber auch durch strategisch geschickte Kriegführung innerhalb von weniger als einhundert Jahren zu dem beherrschenden Kulturvolk im Hochtal von Mexiko zu werden.
Die alten magischen Kulte ihrer Vorfahren waren den Azteken heilig. Professor Dr. Hanns Prem vom Seminar für Völkerkunde der Universität Bonn bezeichnete die Azteken im Spätherbst 1996 als „erste Archäologen“. Sie führten Grabungen durch, bargen Kultgegenstände und Statuen, die bereits fast 1.000 Jahre vom Erdreich bedeckt gewesen waren. Uralte Götterfiguren stellten sie in ihren Tempeln auf und bezogen sie in ihre magischen Praktiken ein.
Als Azteken gingen sie in die Welthistorie ein, entwickelten eine der erstaunlichsten Zivilisationen unseres Globus. Erst 1370 n. Chr. gründeten sie ihre Hauptstadt Tenochtitlan. Hernando Cortes fiel am 8. November 1519 im Hochtal von Mexikocity ein. Staunend stand er mit seinen Mannen vor einer kultivierten Riesenmetropole. Im Vergleich dazu erschienen die Hauptstädte des Alten Europa wie ärmliche Dörfer.