Nr. 1591
Opfer des Hyperraums
Sie verlassen die 4. Dimension – und empfangen die Impulse de Wahnsinns
Peter Griese
Spätestens seit dem Tag, da ES von Perry Rhodan und seinen Gefährten die Zellaktivatoren zurückforderte und 14 der unsterblich machenden Geräte an die prominentesten linguidischen Friedensstifter übergeben ließ, musste den ehemaligen ZA-Trägern klar sein, dass mit der Superintelligenz etwas ganz und gar nicht stimmte.
Nun ist allen Betroffenen und selbst Teilen der galaktischen Öffentlichkeit das volle Ausmaß des Gestörtseins von ES bewusst, denn die Superintelligenz hat mit der Auswahl der Linguiden als neue Ordnungshüter in der lokalen Mächtigkeitsballung einen eklatanten Fehler begangen.
Den Friedensstiftern ist die Unsterblichkeit schlecht bekommen. Ihr kima wurde durch die Aktivatorimpulse so ungünstig beeinflusst, dass sich ehrenwerte Friedensstifter in machtgierige Verbrecher verwandelten, die selbst vor Massenmord nicht zurückschreckten. Im Dezember 1173 NGZ ist der Spuk von Aramus Shaenor und Konsorten vorbei. Die kranken Friedensstifter sind entweder tot oder in medizinischer Behandlung, ihre Zellaktivatoren sind ausnahmslos in Rhodans Besitz.
Damit kann sich der große Terraner endlich dem Problem der Nakken widmen. Die Gastropoiden erhalten ein Raumschiff für ihre Expedition, die sich als verhängnisvoll erweisen soll. Denn es gibt OPFER DES HYPERRAUMS ...
Toornshalg und Verdonia – Zwei Hyperraum-Scouts.
Perry Rhodan – Der Terraner hält die zurückgewonnenen Zellaktivatoren unter Verschluss.
Sato Ambush – Der Pararealist begleitet die Nakken auf ihrer Expedition.
Paunaro – Ein Nakk bei den Galaktikern.
Gucky – Der Ilt wird ein Opfer seiner Neugier.
Er empfing den Hilfeschrei. Die empfangenen Mentalimpulse schienen ihm vertraut zu sein, dennoch wusste er, dass er sie nie zuvor wahrgenommen hatte.
Jemand war in großer Not. Das Bewusstsein des unbekannten Wesens, das sich – wie er – in der fremden Sphäre aufhielt, drohte zu vergehen. Strömungen aus Energie oder einer anderen Substanz hatten nach ihm gegriffen. Sie rissen den Wanderer in der fremden Dimension in einen endlosen Strudel. Irgendwo ganz unten würde der Schlund das Bewusstsein mit dem Körper vereinigen und als tote Masse danach ins 4-D-Kontinuum entlassen.
Es war etwas Warmes und Vertrautes in den Mentalimpulsen. Der Beobachter fand dafür keinen geeigneten Namen, denn »Vertrautheit mit dem Fremden« war ein Widerspruch in sich selbst. Und doch gab es keinen besser passenden Begriff für die Empfindungen, die ihn erreichten.
Er verglich das wahrnehmbare Echo, das sich ihm als schwacher Blitz von blassgrüner Farbe darstellte, mit den Mustern, die er erlernt hatte. Nein, das Echo hatte keine Ähnlichkeit mit einem der Footprints in seinem Mentalspeicher. Das hier vor dem Ende stehende Leben hatte nichts zu tun mit der Suche nach den Spuren und Echos des Innersten.
Die Vertrautheit beunruhigte ihn. Das war eine Empfindung, die er hier in der anderen Dimension in Richtung des Inneren noch nie wahrgenommen hatte. Allein der Gedanke, sich damit zu befassen, lenkte ihn von seinem Auftrag ab. Um nichts anderes hatte er sich hier zu kümmern. So lautete das strenge Gebot.
Und doch! Das Mentalsignal, der Hilfeschrei, hatte sich mit seinem Bewusstsein gekreuzt. Und etwas Unbegreifliches war von dort auf ihn übergesprungen.
Er wusste, dass er gegen den Auftrag verstieß, wenn er sich um etwas kümmerte, das nichts damit zu tun hatte.
Das andere Signal wurde schwächer, je tiefer es in den Strudel geriet. Der Hilferuf war aber noch immer zu empfangen.
Er wusste, dass kritische Situationen bei der Reise durch die innere Dimension entstehen konnten. Seine Lehrer hatten ihn davor gewarnt. In einem solchen Fall war die Mission sofort abzubrechen. Allein die unverzügliche Rückkehr in das angestammte 4-D-Kontinuum konnte einen Scout vor dem Tod bewahren. Gelegentlich war er an Bord der SIRNAM mit anderen Hyperraum-Scouts zusammengetroffen. Chukdar hatte das nicht gern gesehen und sie meistens schnell wieder isoliert. Aber zum Austausch von ein paar Informationen war es doch ab und zu gekommen. Er wusste daher, dass schon so mancher Späher der 5. Dimension nicht zurückgekehrt war.
Seine Aufgabe war nicht ungefährlich, aber ein Widerspruch war nicht möglich. Es existierte in ihm kein Gedankenmuster für eine Auflehnung. Dafür hatten die Lehrer gesorgt.
Seine Überlegungen kehrten zu dem Wesen zurück, dessen Hilferuf ihn noch immer erreichte. Der Strudel, in den das Geschöpf gerissen worden war, bedeutete sein Ende. Und doch – er sah den Strudel nicht wirklich. Was er jetzt wahrnehmen konnte, das waren nur Reflexionen einer fünfdimensionalen Welt, Echos eines fremden Kontinuums.
Entfernungen spielten hier für ihn keine Rolle. Er war nicht körperlich anwesend. Er besaß keine Sinne für diesen Raum. Abbilder, die er erkennen konnte, das war alles, was ihn erreichte. Eindrücke, Ersatzfunktionen, Farben, Geräusche und Formen, aber alles Dinge, die mit der Wirklichkeit des unbegreiflichen Hyperraums wohl nichts gemeinsam hatten.
Der Hilferuf war Wirklichkeit. Er hatte ihn verstanden. Und auch die Wärme, die Verbundenheit, das Gemeinsame, das darin enthalten war, hatte er begierig akzeptiert. Auch wenn es in kein erlerntes Muster passte.
Er vernachlässigte seinen Auftrag!
Würde Chukdar es merken? Und ihn dafür bestrafen?
Die Situation war neu. Er hatte noch nie einen Hilferuf im Raum des Innersten empfangen. Er hatte auch noch nie solche Gedanken entwickelt. Getreu dem Auftrag hatte er stets gesucht und dann berichtet, wenn er gefragt worden war. Der Gedanke, dass noch etwas anderes für ihn existierte, war ihm nie gekommen. Seine Erziehung und Ausbildung zum Hyperraum-Scout war nahezu perfekt verlaufen. Ein Versagen war nicht programmiert worden.
Der Schrei!
Er war nah und weit weg. Entfernungen spielten hier keine Rolle. Und die Eindrücke dessen, was er »Umgebung« nannte, waren natürlich falsch. Er erkannte das jetzt. Er wusste, dass er keine wirklichen Sinne für den 5-D-Raum besaß. Sein eingeschränktes Wahrnehmungsvermögen bezog sich nur auf ganz bestimmte Muster oder Footprints, eben auf die Spuren und Echos des Innersten. So hatte er es gelernt. Und damit stand auch fest, dass dieses Wahrnehmungsvermögen mehr oder weniger künstlich in ihm erzeugt worden war.
Was sie in ihm geschult und geschärft hatten, war eine Abnormität. Sein Körper war irgendwo. Er wusste nicht wo. Sicher nicht auf der SIRNAM. Vielleicht irgendwo zwischen der realen Dimension und dieser, dem Inneren zugewandten Seite des unbegreiflichen Kosmos. Er würde den Körper finden, wenn er es wollte. Die Frist, die ihm der Nakk gesetzt hatte, war noch nicht abgelaufen.
Er hatte Zeit.
Das Wesen, das in dem bunten Strudel verging, hatte diese Zeit nicht. Es würde sterben. Das war sicher. Und er erkannte es, obwohl diese Überlegung zu den unerlaubten Gedanken gehörte.
Er sollte suchen. Nach bestimmten Eindrücken, Footprints, Echos. Des Wesens aus dem Inneren. Oder der Geräte des Wesens aus dem Inneren.
Er verstand seinen Auftrag. Er war auch willig, ihn auszuführen. Es erfüllte ihn mit Glück, wenn er aktiv war – hier in der fremden Dimension, die dem Inneren so nah war.
Den Rest seines Lebens würde er mit dieser Suche verbringen. Dazwischen gab es Zeiten der Rast und Ruhe auf der SIRNAM, Gespräche mit dem Meister, Essen und Trinken – und etwas Körperhygiene. Nicht viel. Chukdar legte darauf keinen großen Wert. Der Auftrag, die Suche nach dem Herrn des Inneren, die Suche nach dem Innersten, das die anderen ES nannten, nur das zählte für ihn. Den Weg verfolgte der Nakk. Und damit auch er.
Er wunderte sich plötzlich über sich selbst. Solche freien Gedanken hatte er früher nicht entwickeln können. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, über Hintergründe irgendwelcher Art nachzudenken. Oder über die eigene Vergangenheit. Er erkannte, dass er geistig gut konditioniert war. Aber nicht gut genug, denn sonst wären seine jetzigen Überlegungen gar nicht möglich. Hinter der Sache musste mehr stecken!
Eine andere Frage drängte sich in sein Bewusstsein. In ein Bewusstsein, das körperlos in der 5. Dimension auf der Suche war.
Warum erkannte er gerade jetzt die Zusammenhänge?
Weitere Fragen hämmerten auf ihn ein. Sie kamen aus ihm selbst heraus, und sie suchten nach Antworten in ihm selbst. Es gab aber keine Antworten.
Die Fragen überstürzten sich.
Warum war er ein Sucher im Hyperraum?
Wie sah er in der angestammten Welt aus?
Und tausend ähnliche und andere Fragen.
Auch die:
Wer rief da um Hilfe?
Wer war das, der sich so nah an seine Emotionen tasten konnte?
Er fand eine Antwort auf die vielen Fragen.
Mit dem Erwachen einer geistigen und gefühlsmäßigen Eigenständigkeit ging etwas einher, das den Prozess untermauerte. Es waren die mentalen Impulse des Wesens, das in dem Schlund seinen Untergang entgegenstürzte, die ihn aus dem stumpfen Dasein eines Hyperraum-Scouts gerissen hatten.
Das Wesen, das dort verging, hatte ihm kurz vor dem Ende die Augen geöffnet und ihn ein wenig von seinem traurigen Dasein erkennen lassen. Sicher hatte das sterbende Ding das nicht mit Absicht getan. Es musste einfach eine mentale Affinität gewesen sein, die es bewirkt hatte – das sagte er sich.
Und doch ...
Entfernungen spielten hier keine Rolle. Richtungen kannte er hier nicht. Nur Abdrücke, Bilder, Footprints, Echos ...
Der fremde Geist taumelte in sein Ende. Die Reflexionen, die von ihm ausgingen, waren bunt und laut. Schön und wild. Der geistige Schrei darin riss eine letzte Mauer in seinem Bewusstsein ein. Eine Flut von Gefühlen überschwemmte ihn.
Er brach den Vertrag mit Chukdar.
Nur für die Zeit ein paar mentaler Atemzüge. Nur für verschwindend geringe Spuren des Zeitechos der fremden Dimension. Er musste es tun. Der Antrieb aus seinem Innern, angefacht durch die Schwingungen des Hilferufs, war stärker als die Gebote der nakkischen Lehrer und Herren.
Er dachte sich in den bunten Schlund.
Und er war dort.
Er dachte sich in die Nähe des körperlosen Mentalsenders.
Und er war dort.
Die Ausstrahlung drohte ihn zu überwältigen. Das sterbende Wesen hatte ihn nicht bemerkt, aber es freute sich über seine Gegenwart. Der Widerspruch in der Erkenntnis irritierte ihn nicht. Zu fremd war dieses Kontinuum.
Das andere Wesen stammte nicht von hier. Auch das war deutlich.
Seinen Körper mit dem einen Arm hatte er nicht mit. Dem materiellen Leib war diese Dimension für immer verschlossen. Er konnte nicht nach dem Sterbenden fassen. Hier existierte nichts Körperliches.
Sein Bewusstsein war aber stark. Das Feuer darin war entfacht, auf unbegreifliche Weise. Durch die Mentalechos des anderen Wesens. Er handelte rein nach seinen Gefühlen, die hier in der Dimension des Inneren eigentlich gar nicht existieren durften.
Es bereitete ihm wenig Mühe, das taumelnde Bewusstsein in sich aufzunehmen. Die Nähe berauschte ihn. Sie machte ihn in der unvorhergesehenen Situation noch stärker. Er spürte keine Gegenwehr, keine Reaktion. Aber die Mentalimpulse, die so schrecklich um Hilfe gerufen hatten, erstarben.
Der Strudel war nicht für ihn erschaffen worden. Er wirkte nicht auf ihn, wohl aber auf das Wesen, das er geborgen hatte. Er nahm den Strudel als ein paar Echos wahr, aber selbst diese Bilder beeinflussten ihn nicht.
Es war nicht schwierig, ihm mit dem anderen, dem einverleibten Bewusstsein, zu entkommen.
Doch kaum war er draußen, da erfolgte die mentale Explosion.
Er wurde von dem Wesen, das er gerettet hatte, fortgeschleudert. Das andere Wesen hatte das getan.
Von Dankbarkeit keine Spur!
In ihm wuchs aber auch keine Enttäuschung, denn er wusste, dass die Urgesetze seines Daseins nichts mit der Dimension gemeinsam hatten, in der er sich befand. Für das Wesen, das er aus dem Strudel gerettet hatte, galten die unbegreiflichen Gesetze auch.
Die Frist, die ihm Chukdar gesetzt hatte, war noch nicht abgelaufen. Aber das war ihm jetzt egal.
Er dachte sich an Bord der SIRNAM.
*
Er erreichte ohne spürbaren Zeitverlust sein Ziel. Sekundenbruchteile später vereinigten sich Körper und Bewusstsein in seiner Kammer, und Toornshalg, der Hyperraum-Scout, begann nachzudenken.
Da war ein völlig neues Gefühl in ihm.
Ein tolles Gefühl, das stark machte.
Und Sehnsüchte weckte.
Wer mochte das fremde Bewusstsein gewesen sein, dem er aus der tödlichen Gefahr geholfen hatte?
Toornshalg legte seinen Arm um den Kopf und schloss die Augen. Es existierten zwei Welten, in denen er lebte. Die eine war die Welt auf der SIRNAM, dem Dreizackschiff des Herrn, als Sklave des Nakken Chukdar.
Die andere Welt bestand aus den Wanderungen seines Bewusstseins im Hyperraum im Auftrag des Nakken.
Zu diesen beiden Welten gesellte sich nun eine dritte voller Gedanken und Gefühle – die Welt seiner neuen Träume.
In seiner Traumwelt existierten nur zwei Wesen.
Er und ...
... da brach der Traum schon ab.
Er hatte weder eine Vorstellung vom realen Bild des Wesens, das er aus dem Schlund in der 5. Dimension geholt hatte, noch kannte er einen Namen. Allein das Gefühl von Wärme und Verbundenheit dominierte.
Dass Toornshalg nach seiner Tat von dem anderen Wesen abgestoßen worden war, bedrückte ihn nicht. Hier im Normalraum konnte er wieder besser denken. Und nach der seltsamen Begegnung auch freier und logischer.
Es musste sich um eine Panikreaktion gehandelt haben. Kaum der Gefahr entronnen, hatte sich das Wesen bestimmt zur Gänze in Sicherheit bringen wollen. Wahrscheinlich hatte es die Dimension des Inneren auch spontan verlassen. Eine Kommunikation wäre sowieso kaum möglich gewesen.
Chukdar meldete sich. Der Nakk erschien nicht persönlich. Er sprach über eins der für Toornshalg unbegreiflichen technischen Geräte, die in seiner Kammer in den Wänden untergebracht waren.
»Du bist früh zurück!« Das klang wie ein Vorwurf.
»Ich musste die Region des Inneren verlassen«, antwortete der 5-D-Scout untergeben. »Ich habe keine Abdrücke des Innersten finden können, aber ich geriet in die Nähe eines gefährlichen Gebildes, das mich hätte verschlingen können. Daher brach ich die Mission vorzeitig ab.«
Toornshalg hatte sich bemüht, mit seinen Worten von der Wahrheit so wenig wie möglich abzuweichen. Alles hatte er nicht gesagt. Vielleicht merkte der Nakk das nicht. Aber wenn er ihm ein Märchen aufgetischt hätte, wäre er schnell entlarvt worden.
Er wäre zur Nachschulung gebracht worden, und dann wäre das bisschen an freiem Willen, das nun wieder in ihm lebte, verloren gewesen. Der Scout wusste, wie gründlich die Nakken arbeiteten. Und wie gnadenlos sie sein konnten, wenn es um die Erfüllung ihrer Ziele ging.
Irgendwann würde er erkennen, warum er das plötzlich wusste. Es lag wohl an der Fähigkeit der Pentaskopie – der Fähigkeit in einen Raum zu schauen, der dem Inneren näher war. In einen Raum, in den er sich sogar willentlich – oder nach dem Befehl des Nakken – begeben konnte, ohne Körper, ohne persönliche Substanz.
Das Innere, so nannten die Nakken die höherdimensionalen Räume. Und das Innerste, das war ihr Name für das Wesen, das er suchen musste, das anderswo als Superintelligenz ES bezeichnet wurde.
Der 5-D-Scout atmete auf.
Da Chukdar nichts erwiderte und auch in den folgenden Minuten nichts mehr von ihm zu hören war, ging Toornshalg davon aus, dass er bis zu seinem nächsten Einsatz Ruhe haben würde.