Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Epilog
Kommentar
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung Weltenschiff
Impressum
PERRY RHODAN - Die Serie
Nr. 2691
Der Howanetzmann
Eine Begegnung wurde sein Schicksal – mit dem Weltenschiff vor der Entscheidung
Hubert Haensel
Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf bislang ungeklärte Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.
Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen, die sich alles andere als freundlich verhalten. Nach zahlreichen Verwicklungen kann jedoch Reginald Bull einen Waffenstillstand erreichen.
Perry Rhodan kämpft gegen QIN SHI, die negative Superintelligenz. Sie attackiert das Reich der Harmonie, es droht unter QIN SHIS Angriff zu zerbrechen.
Psi-begabte Peaner ermöglichen es Perry Rhodan und seinen Freunden, der positiven Superintelligenz TANEDRAR beizustehen. Doch nacheinander werden Rhodan, Gucky und Alaska Saedelaere ausgeschaltet – und auch Nemo Partijan, seines Zeichens Quintadim-Topologe und DER HOWANETZMANN ...
Perry Rhodan – Der Unsterbliche erzwingt die Lüftung eines Geheimnisses.
Gucky – Der Mausbiber muss auf seine Kräfte verzichten.
Mondra Diamond – Perry Rhodans Partnerin sieht sich hilflos dem Untergang einer Welt gegenüber.
Nemo Partijan – Der Quintadim-Topologe gesteht seine Besonderheiten ein.
Der Kommandant – Er bezieht Position.
»Gleich ...!«, behauptete der Bewusstseinszwilling ungeduldig. »Gleich wird es so weit sein. Ich weiß es genau, ich spüre es ...«
Der Kommandant schwieg. Er konzentrierte sich auf sein Ebenbild, das er aus einer Laune heraus erschaffen hatte. Das Ergebnis war anders, als würde er nur in ein Spiegelfeld blicken und sich selbst darin erkennen. Der Zwilling war ungewohnt, im Vergleich zum Spiegelbild seitenverdreht – in der Tat sein zweites, anderes Ich.
»Das Schiff verlässt den Überraum!«, meldete der Bordrechner.
Ortungsdaten füllten die bis eben leeren Holokuben. In einer Bildstaffel verfeinerten sich Tausende relevanter Messwerte. In einer anderen standen die Sterne der Zielgalaxis in verheißungsvoller Pracht, als brauchte man nur die Hand nach ihnen auszustrecken, um sie einzufangen.
Verheißungsvoll?
Bald würde sich herausstellen, ob wirklich verheißungsvoll oder eher bedrohlich. Der Kommandant legte die Ohren an, sein mentaler Zwilling tat es ihm gleich. Sie waren einander also doch ähnlicher als Ungeduld bei dem einen und gelassenes Abwarten beim anderen.
Schon körperliche Zwillinge müssen nicht identisch sein, überlegte der Kommandant. Mentale Zwillinge sind es offenbar sehr viel weniger.
Hatte er nicht genau das erwartet? Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. Sein Ebenbild, das andere Ich, hob herausfordernd den Blick: »Willst du dich nicht um mein Schiff kümmern? Wir haben das Ziel beinahe erreicht.«
Mein Schiff? Eine Unverfrorenheit, das zu behaupten.
Ich bin der Kommandant, nicht du! Aber das sagte er nicht laut, sondern: »Unser Schiff, wennschon.«
Mit einer ungeduldigen Handbewegung veranlasste der Zwilling den Bordrechner, alle Arbeitsholos zu überlappen. Die Ortungsdaten flossen mit den optischen Erfassungen zusammen und verwoben sich zu einer belebten Animation: Die geräumige Raumschiffszentrale schien mit einem Mal nicht mehr zu existieren. Für den Kommandanten entstand der Eindruck, dass er schutzlos im All schwebte.
Sein Unterbewusstsein rebellierte und schrie nach einem Raumanzug.
Sich selbst musste er nicht beweisen, dass ihm keine Gefahr drohte. Trotzdem atmete er tief ein. Er ließ sich nur verunsichern, weil einige Schritte vor ihm sein Zwilling schon auf die kleine gelbe Sonne zuging.
Als fühlte er sich beobachtet, wandte sich der mentale Doppelgänger um, hob einen Arm und winkte.
»Komm schon!«, rief er ungeduldig. »Die Zeit bleibt für uns nicht stehen, wir müssen weiter. Dort hinüber!«
Der Zwilling zeigte nicht auf die Sonne, sondern an ihr vorbei.
Als schmale Sichel war der Planet zu sehen. Das System hatte nur diesen einen, und dieser war nicht einmal sonderlich groß.
Neue Ortungsdaten blendeten auf. Eine kahle Welt, keine nennenswerte Atmosphäre. Viele Krater; ausgedehnte Gebirgszüge; Ebenen, die vielleicht vor einer Ewigkeit Meeresboden gewesen waren. Vereinzelt helle Bereiche, die aus der graubeigefarbenen Melange der Eintönigkeit hervorstachen.
Kristallwälder!, verriet die Ortung.
Der Kommandant riss die Augen auf. Zu wenig Interessantes, fand er, obwohl Kristallwälder stets eine gewisse Faszination verbreiteten.
Linien entstanden vor ihm in der Schwärze. Sie zeichneten ein Dreieck, das er aus einer sehr flachen Perspektive sah. Zugleich blendeten sich Erläuterungen in seine Gedanken ein.
Ein gleichseitiges Dreieck. Seitenlänge 1,8 Lichtjahre.
Einer der Eckpunkte dieses Dreiecks war das Ein-Planeten-System.
Der Kommandant ließ seinen Blick an den Linien entlanghuschen und erreichte den zweiten Punkt.
Der Bewusstseinszwilling war schon da. Staunend blickte das andere Ich auf die wirbelnden Schleier aus Schwärze und Energie – im Zentrum das vermeintliche Nichts, lichtlose Schwärze.
»Hörst du, mein Kommandant?« Der Zwilling hielt den Kopf schief. Er lauschte. Ein verzücktes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Es singt. Das Schwarze Loch singt berauschend schön.«
Die Hyperkristalle des Planeten emittieren eine ungewöhnliche mehrdimensionale Strahlung, entsann sich der Kommandant weitaus sachlicher. Die Strahlung breitet sich über einen mehrere Lichtjahre durchmessenden Sektor aus und lässt das Schwarze Loch in Hyperresonanz mitschwingen. So gesehen ist der Kosmos voll von Tönen – eine einzige Kakofonie.
Ein irritierter Blick des Zwillings traf ihn. Der Kommandant lachte leise; spöttisch, so empfand er es selbst.
Er wandte sich dem dritten Eckpunkt zu. Der Aufriss im normalen Raum-Zeit-Kontinuum, eine hyperphysikalisch in sich gekrümmte Anomalie, war an dem lichtlosen Schwerkraftgiganten verankert.
Wie eine abgekapselte Made im Muskelgewebe eines biologischen Lebewesens. So jedenfalls wirkte das Ortungsbild auf den Kommandanten. Etwas Krankhaftes haftete dem Anblick an. Krankhaft, bezogen auf den Standardraum. Manche Organismen kapselten eingedrungene Erreger ab und isolierten sie auf diese Weise, andere bekämpften das Fremde mit einem Heer von Abwehrzellen.
»Die Ultradimperforation des Raumes wirkt unheimlicher als das Schwarze Loch«, sagte der Zwilling.
Der Kommandant hatte sich bereits abgewendet und konzentrierte sich auf den Mittelpunkt des Dreiecks. In jenem Bereich ...
»Diese künstliche Konstellation hat der Konstrukteur Sholoubwa erschaffen?«, fragte der Bewusstseinszwilling.
Der Kommandant ließ sich von den abdriftenden Fragmenten im Zentrumsbereich des Dreiecks ablenken. Er nickte stumm.
»Respekt!«, sagte der Zwilling ergriffen. »Großen Respekt.«
Der Kommandant sah das ähnlich. Es war eine Meisterleistung gewesen, dieses gewissermaßen symbiotische Dreieck zu erschaffen.
»Und der Planet Tolmar besteht wirklich fast ausschließlich aus Hyperkristallen?«, drängte das abgesonderte Teil-Ich.
Im Holo wuchs der Planet an. Seine Oberflächenstruktur wurde deutlicher, blieb aber unwirtlich. Die Daten wiesen aus, dass Tolmars Masse zum überwiegenden Teil aus Hyperkristallen bestand – fünfdimensionale Schwingquarze in einer Reinheit, wie sie nur in wenigen Bereichen dieses Universums zu finden sein durften.
»Wir haben die vorgesehene Beobachtungsposition erreicht!«, meldete der Bordrechner.
Der Kommandant nickte zufrieden. »Wie lange noch?«
»Zwei bis vier Tage, kaum mehr.«
Er hörte nicht hin, als sein mentaler Zwilling über den unnötigen Zeitverlust schimpfte, sondern gab sich mit der Auskunft zufrieden. Kosmische Ereignisse ließen sich zwangsläufig nur mithilfe von Wahrscheinlichkeiten berechnen. Was bedeuteten da schon Tage? Eine lächerlich kurze Spanne, nicht einmal ein Augenzwinkern der Schöpfung.
Die einzige Konstante im Universum ist der Zufall,, erkannte der Kommandant in einem Anflug von Sarkasmus.
Seit seinem letzten Besuch schien alles unverändert zu sein. Dem Bordrechner wäre es sofort aufgefallen, vergriffe sich jemand an den Hyperkristallen des Planeten, zapfte an dem Schwarzen Loch Energie ab oder missbrauchte das rotierende Nichts auf andere Weise.
»Wie stabil ist der Schutzschirm über der Stadt?«, fragte der Zwilling unerwartet.
Der Kommandant rief die Analyse ab. Die einzige Siedlung auf dem Planeten lag unter einer Schirmfeldkuppel, die rund dreißig Kilometer durchmaß.
»Kein Problem für uns.« Er lachte. »Die Stadt wurde künstlich erschaffen. Alles, was künstlich ist, ist anfällig.«
»Welch tolle Erkenntnis«, spottete das mentale Abbild. »Dieser Turm im Zentrum wirkt plump und zerbrechlich zugleich, und er sieht aus wie ein verdrehtes Horn. Warum diese Form?«
Der Kommandant hatte »Frag Sholoubwa!« auf den Lippen, sprach es aber nicht aus. Er reagierte bereits unwillig auf die Art und Weise, wie seine Kopie sich gab. Der Zwilling hatte wenig Ähnlichkeit mit ihm. Ein Missgriff.
»Die Trümmer stören«, murmelte das seitenverkehrte Spiegelbild seines Selbst.
»Wäre dir die intakte Bühne lieber?«, fragte der Kommandant. Die Bruchstücke der Bühne zeugten davon, dass am See der Tränen über lange Zeit hinweg ein ungeheuerliches Schauspiel aufgeführt worden war.
»Die Zuschauer bezeichneten das Schauspiel als unterhaltsam.«
»Es war mahnend.«
»Das auch. Aber zum Großteil unterhaltsam.«
»Fragt sich nur, für wen.«
»Für Wesen wie mich ... und dich.«
Der Kommandant hatte seinen mentalen Zwilling schon vor geraumer Zeit zum Zweck der Widerrede erschaffen, um sich selbst und seine eigenen Reaktionen besser kennenzulernen. Mittlerweile behagte ihm diese Idee leider immer weniger.
»Alles ist vergänglich«, sinnierte er. »Und Vergangenem nachzutrauern ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.«
Er setzte einen Gedankenbefehl hinzu, um die von dem Planeten ausgehende Hyperstrahlung sichtbar zu machen. Deutlich war zu sehen, wie sie gegen das Schwarze Loch anbrandete und das Nichts in Schwingung versetzte. Die Energie oszillierte.
»Es singt!«, sagte der Zwilling.
Täuschte sich der Kommandant, oder schwang tatsächlich Bewunderung in der Stimme seines kopierten Ichs mit?
Er schaltete die Akustikfelder zu. Ein an- und abschwellender Ton erfüllte die Zentrale. So ähnlich klangen die Nebelfelder seiner Heimat, sobald der Dunst sich am Meer der Vernunft rieb. Ein Hauch von Vertrautheit, ein wohliger Schauder ...
»Bald wird das Schwarze Loch schreien!«, sagte der Zwilling hart.
Perry Rhodan floh durch das Höhlenlabyrinth der Peaner. In der Tiefe, hatte er gehofft, würde er vor dem Verfolger sicher sein. Mittlerweile sah es eher so aus, als würde er endgültig zum Gefangenen werden.
QIN SHI war nahe, seine unheimliche Präsenz deutlich zu spüren.
An einer Abzweigung hielt Rhodan inne. Alaska Saedelaere war vor ihm in der Düsternis des Labyrinths verschwunden. Doch in welche Richtung hatte sich der Maskenträger gewendet? Er hatte keine Markierung hinterlassen.
»Alaska!«, wollte Rhodan rufen, nur ein Ächzen wurde daraus. Er lief weiter, wählte die rechte Abzweigung, weil er glaubte – und hoffte –, dass Saedelaere genau diesen Weg genommen hatte. Diese Richtung versprach jedenfalls ein schnelleres Vorankommen; der Stollen war breiter und führte leicht abwärts.
Einige hundert Meter mehr oder weniger, konnte das in der Auseinandersetzung mit QIN SHI ausschlaggebend sein?
»Perry ...!«
Ein dünner Ruf folgte ihm. Vielleicht eine Falle. Nicht umwenden, nicht zurückblicken, um nicht wie einst Lots Weib zu erstarr...
Perry Rhodan blieb erst stehen, als ihm bewusst wurde, dass er Guckys Stimme gehört hatte.
Er drehte sich um.
Ein Schemen in der Düsternis, deutlicher sah er den Mausbiber nicht. Dabei trennten sie keine zwanzig Meter. Gucky lehnte an der von üppigen Kristalladern durchzogenen Felswand, beinahe zeitlupenhaft langsam rutschte er zu Boden.
Dem Freund helfen? Sich selbst in Sicherheit bringen? Rhodan war sich klar darüber, dass der Ilt in dieser Umgebung nicht teleportieren konnte. Aber Gucky hätte ohnehin nicht die Kraft dafür aufgebracht. Wie ein Häufchen Elend kauerte er auf dem Boden.
»Hau ab, Perry!«, drängte der Mausbiber. »Verschwinde!«
Rhodan ignorierte die unwirsche Aufforderung. »Ohne dich gehe ich nirgendwohin. Also, reiß dich zusammen!«
»Ich weiß, wann es vorbei ist.« Gucky winkte ab. »Für mich ist hier Schluss. Ende. Finito. Du verstehst? Vielleicht ... kann ich ... QIN SHI aufhalten.«
»Das wirst du nicht tun!«, widersprach Rhodan. »Ich lasse dich nicht zurück.«
Saedelaere war plötzlich wieder da. »Kommt schon!«, drängte der Maskenträger. »Wir müssen weiter!«
Ein dumpfer Wutschrei hallte durch das Labyrinth. Aus dem Gewirr der Stollen hallte er in vielfachem Echo zurück.
»Bringt euch endlich in Sicherheit, ihr zwei!«, keifte der Mausbiber. »Ich halte QIN SHI auf. Das kann ich besser als ihr, glaubt mir.«
Tränen rannen über sein Wangenfell. »Grüßt mir die Erde«, sagte er stockend und verstummte, weil Rhodan ihn sanft an sich zog.
»Alter Freund«, flüsterte der Terraner. »Danke!«
Saedelaere ließ sich vor dem Ilt in die Hocke nieder. Wortlos sahen sie einander an, dann nickte der Maskenträger stumm. Gucky erwiderte das Nicken. Er versuchte sogar ein Grinsen, aber es misslang ihm.
Saedelaere ging wortlos weiter. Nach einigen zögernden Schritten lief er schneller.
Perry Rhodan schaute dem Maskenträger hinterher.
»Bist du immer noch da?« Gucky seufzte. »Lass wenigstens den Dicken nicht warten. Sag ihm von mir ... Ach was, sag nichts, Bully braucht keine großen Worte.«
Eine unsichtbare Kraft schob Rhodan zur Seite. Es war wie ein telekinetischer Tritt, den der Ilt ihm verpasste. Der Terraner schluckte seine Beklemmung hinunter.
Es tut mir leid, Gucky. So weit hätte es niemals kommen dürfen, dachte er und folgte Saedelaere. In Gedanken brüllte er seinen Schmerz hinaus.
»QIN SHI, du Großmaul! Stell dich, wenn du dich traust, es mit dem Retter des Universums aufzunehmen!« Guckys Stimme hallte durchs Labyrinth. Der Mausbiber ließ eine Schimpftirade los, die Reginald Bull alle Ehre gemacht hätte. Aber schnell wurde die Stimme hinter Rhodan leiser, und schließlich verklang sie wie in weiter Ferne.
Perry Rhodan folgte dem Maskenträger. Sie hasteten einfach weiter und hofften, irgendwie den Ausgang und damit die SCHRAUBE-B zu finden. Sie mussten es schaffen, andernfalls wären Escalian und das Solsystem verloren.
Nach einiger Zeit blieb Rhodan stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Nach Luft ringend, sank er zu Boden. Kristallsplitter bohrten sich ihm in die rechte Hand, mit der er sich abstützte, aber er merkte es kaum. Ein ungeheurer mentaler Druck lag auf seinem Bewusstsein.
Saedelaere und er waren im Kreis gelaufen.
Wenige Meter vor ihnen kauerte der Ilt am Boden. Konnte es einen besseren Beweis geben?
Mit allen Anzeichen des Entsetzens starrte Gucky auf sein ausgezehrtes übergroßes Ebenbild, das aus der entgegengesetzten Richtung auf ihn zukam. Der Nagezahn dieser Kopie war abgebrochen, ihr Fell wirkte stumpf und räudig. Wo der Kreatur die Haare büschelweise ausfielen, wurde ihre blutige Haut sichtbar.
»Komm, du Großmaul!« Gucky hob die Fäuste und reckte sie dem Angreifer entgegen.
Eine unsichtbare Kraft schleuderte den Ilt zurück. Rhodan sah, wie der Kleine sich zusammenkrümmte, und wollte eingreifen, aber er steckte jäh in eisiger Kälte fest, als gefriere die Luft ringsum zu einem Eisblock.
»Das ...« Gucky spuckte Blut. »Das macht mir ... gar nichts.«
Der Ilt wurde hochgewirbelt und prallte gegen einen kristallinen Stalaktiten. Rhodan fühlte den Aufprall, als wäre er selbst derjenige, der mit dem Rücken gegen die herabhängenden Hyperkristalle krachte. Taubheit erfasste seine Arme und Beine.
Gucky gab keinen Laut von sich. Er versuchte aber auch nicht, vor dem Gegner zurückzuweichen.
»Mir kannst du nicht widerstehen!« QIN SHIS verzerrte Mausbiberkarikatur veränderte sich zum dürren, hochgewachsenen Hünen, den ein Dutzend und mehr gierige Schnappmäuler umschwirrten. Für einen Augenblick hielten sie inne, dann stürzten sich die Fressmaschinen auf den Ilt.
Guckys Todesschrei schien nicht enden zu wollen ...
*
»Gucky!«
Perry Rhodan schreckte hoch. Trotz seiner Fähigkeit als Sofortumschalter benötigte er einige Sekunden, um sich in der neuen Situation zurechtzufinden.
Er befand sich nicht irgendwo in dem Labyrinth der Hyperkristalle, sondern nach wie vor in der Andachtsgrotte. So hatte der Peaner jedenfalls die subplanetare Höhle genannt. Hier war Rhodan zu seiner geistigen Reise aufgebrochen, um die Superintelligenz TANEDRAR im Kampf gegen QIN SHI zu unterstützen. Leider hatte er versagt.
Rhodan drehte sich auf die Seite und sah sich nach den Gefährten um.
Alaska Saedelaere lehnte mit dem Rücken an der Kristallwand. Er wirkte so steif, als habe er einen Terkonitstab verschluckt. Unter seiner Maske tobte das Cappinfragment. Saedelaere stöhnte verhalten, und sogar diesem Stöhnen haftete etwas Starres an.
Gucky lag bäuchlings auf dem Boden, den Kopf von Rhodan abgewandt. In einer gleichmäßigen, sich jeweils nach wenigen Sekunden wiederholenden Bewegung tastete der Ilt mit einer Hand über die Kristallschicht.
Rhodan konnte das Gesicht des Freundes nicht sehen und nicht erkennen, ob Gucky womöglich in unruhigem Halbschlaf gefangen war.
Nemo Partijan lag verkrümmt an einem größeren Felsblock. Während seiner Erlebnisse als Berater von Gommrich Dranat musste er sich bewegt haben.
Erleichtert ließ Rhodan sich auf den Rücken zurücksinken und blickte zur Decke hoch. Nachdem QIN SHI ihn »verschluckt« hatte, musste er geträumt haben. Sein Unterbewusstsein reagierte überreizt auf das Geschehen.
Wieder war es ihm, als hörte er den gellenden Todesschrei des Mausbibers. Rhodan lauschte angespannt, aber nichts regte sich mehr.
Ein kurzer Druck im Nacken ließ ihn aufmerken.
»Ich habe dir ein leichtes Beruhigungsmittel injiziert«, meldete sich die Mikropositronik seines SERUNS. »Außerdem wurde die letzte Dosis eines stabilisierenden Proteins verabreicht, um die wachsende Bedrohung durch Organschäden zu minimieren. Die permanente Hyperstrahlung ist Gift für den menschlichen Organismus.«
Mein Aktivatorchip wird damit schon fertig, ging es Rhodan durch den Sinn.
»Der Erfolg des Proteins wird sich in Grenzen halten«, fuhr die Positronik fort, als könne sie seine Gedanken lesen oder diese zumindest erraten. »Zudem verfügte das Anzugreservoir nur über eine geringe Dosis. Du solltest rasch eine Medostation aufsuchen.«
Nemo Partijan hätte das Mittel benötigt. Zweifellos hatte sein SERUN ebenfalls das Machbare veranlasst – aber das allein würde Partijan nicht helfen. Rhodans Sorge war wieder da. Der Wissenschaftler hatte auf dem Weg durch das Kristalllabyrinth extrem viel Hyperstrahlung abbekommen.
Rhodan stemmte sich auf den Unterarmen hoch und verharrte in kniender Haltung. »Nemo?«, rief er zu dem Stardust-Terraner hinüber.
Partijan reagierte nicht. Er war kurz nach dem Eintreffen in der Höhle zusammengebrochen, und die Medoeinheit seines SERUNS hatte die lebensbedrohende Strahlungsaufnahme diagnostiziert.
Aus dem Augenwinkel sah Rhodan eine Bewegung. Er ließ sich zur Seite fallen und rollte einmal herum. Neben ihm erklang ein helles Krachen und Splittern. Kristalline Bruchstücke spritzten nach allen Seiten davon, verletzten aber keinen.
Rhodan schaute zur Höhlendecke. Abzuschätzen, ob noch größere Kristallsplitter herausbrechen würden, war unmöglich.
Schwankend richtete er sich vollends auf. Es kostete ihn einige Anstrengung, zu den Gefährten zu gehen.
Saedelaere griff sich an die Stirn. Es sah aus, als wolle er sich die Maske vom Gesicht reißen.
»Kopfschmerzen?«, fragte Rhodan.
Saedelaere nickte stumm.
»Willkommen im Verein.« Mit einer Reihe merkwürdiger Verrenkungen versuchte Gucky, auf die Beine zu kommen, aber ihm war der Biberschwanz dabei im Weg. Endlich stand er, wenn auch leicht wankend, auf beiden Beinen.
Rhodan entging keineswegs, dass sich der Ilt telekinetisch abstützte. Also war Gucky keineswegs schon wieder in Ordnung.
»Mann, dieser Noser Netbura war vielleicht ein sturer Hund.« Gucky sah sich um. »Haben die Wände eigentlich schon bei unserer Ankunft derart dunkelrot gestrahlt?« Er rümpfte die Nase. »Und warum riecht es nach Zimt?«
Rhodan stutzte. Er roch es ebenfalls. Erinnerungen an Teller voller Zimtschnecken brachen in ihm auf. Seine Tante hatte ihm diese Leckereien gelegentlich zum Frühstück vorgesetzt, wenn er sie in den Ferien besucht hatte. Eine Ewigkeit war das her. Und irgendwie erschien es ihm, als sei das in einer anderen Welt gewesen, unendlich fern vom Heute.
Die Nase hochgereckt, als müsse er Witterung aufnehmen, tappte der Mausbiber an Rhodan vorbei. Ungefähr zwanzig Meter entfernt blieb er zwischen Felsbrocken stehen und hielt sich fest.
»Mist!«, rief Gucky schrill. »Seht euch das an!«
Saedelaere stieß sich von der Wand ab und folgte dem Ilt – weiterhin stocksteif, als habe er nur die Beine unter Kontrolle.
Rhodan fühlte sich mittlerweile besser. Er ging ebenfalls auf Gucky zu. Der Zimtgeruch verstärkte sich. Augenblicke später sah er, was der Ilt entdeckt hatte. Drei baumlange Peaner lagen hinter den Felsen. Ihre Haut war schwarz und rissig und erweckte den Anschein, als würde sie vom Körper abplatzen.
»Was ist das hier? Ein Friedhof?« Gucky zwängte sich zwischen den Felsblöcken hindurch auf die andere Seite und sah sich um. Die Höhle setzte sich ein Stück weit in dieser Richtung fort. Kristalladern brachen und reflektierten das Licht der Handlampe.