Die drei ???® Kids
Band 30
Im Geisterschiff
Mit Illustrationen von Kim Schmidt und Harald Juch
KOSMOS
Umschlag- und Innenillustrationen von Kim Schmidt, Dollerup;
Coverillustration von Harald Juch, Berlin
Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Grundlayout: Friedhelm Steinen-Broo, eStudio Calamar
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© 2013 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-13751-2
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Ein ungewöhnlich starker Wind wehte durch Rocky Beach. Es kam in der Gegend selten vor, dass am Himmel kleine Wolkenfetzen vorbeizogen und immer wieder die Sonne kurzzeitig verdunkelten.
Justus Jonas lehnte sein Fahrrad an den Brunnen am Marktplatz und biss in einen Apfel. Er hatte sich hier mit seinen beiden Freunden verabredet. Aber erst nach einer viertel Stunde kamen Peter und Bob angefahren.
»Wo bleibt ihr denn? Hätte ich keinen Proviant dabei, dann wäre ich glatt verhungert«, schimpfte Justus. Doch Bob grinste nur. »Bis du verhungerst, können Wochen vergehen.« Justus lachte nicht mit und wischte sich den Mund ab. »Sehr witzig! Erst muss ich stundenlang auf euch warten und dann bekomme ich noch dumme Sprüche zu hören. Los, lasst uns zu Porter fahren, sonst macht der noch seinen Laden zu!«
Das Kaufhaus von Mister Porter kannte jeder in der kleinen Stadt. Hier gab es alles, und was nicht auf Lager war, wurde umgehend besorgt. Als die drei ??? das Geschäft betraten, füllte Mister Porter gerade die Regale mit Dosengemüse auf.
»Hallo, Jungs! Was kann ich für euch tun? Hat euch mal wieder Mathilda Jonas zum Einkaufen geschickt?« Justus schüttelte den Kopf. »Nein, wir kommen wegen Ihres Angebotes.« Der Kaufmann musterte sie über seine Brille hinweg. »Ihr meint die Campingstühle. Vier Stück mit Tisch für sage und schreibe nur dreiunddreißig Dollar!« Jetzt mischte sich Bob ein. »Was sollen wir denn damit? Nein, wir meinen den Lenkdrachen für zwanzig Dollar! Wir haben gestern den ganzen Tag dafür bei Justus’ Onkel auf dem Schrottplatz gearbeitet. Haben Sie den Drachen noch in Weiß, Rot und Blau?«
»Tja, tut mir leid, Jungs. Das Angebot hat sich schnell herumgesprochen. Ich habe den Drachen weder in Weiß, Rot oder Blau noch in irgendwelchen anderen Farben. Alles ausverkauft. Na ja, kein Wunder, bei dem tollen Drachenwind.«
Enttäuscht drehten sich die drei ??? um und wollten das Geschäft verlassen.
»Wartet! Moment! So schnell lasse ich keine Kunden mit zwanzig Dollar in der Tasche davonlaufen. Kommt mal mit, ich habe da noch eine Speziallieferung!« Justus wurde hellhörig. »Sie reden aber nicht von Campingstühlen, oder?«
»Nein, keine Angst. Es handelt sich ebenfalls um einen Lenkdrachen. Besser gesagt, um ein Muster, das mir geschickt wurde. Wenn ihr wollt, könnt ihr den Drachen für mich testen. Ich prüfe alles genau, bevor ich es in größeren Mengen kaufe.«
Misstrauisch blickte Bob auf das lange Paket. »Und müssen wir dafür etwas bezahlen?« Porter sah ihn verschmitzt an. »Bezahlen ist nicht das richtige Wort. Es ist vielmehr eine Art Gebühr. Der Drachen wird später für über hundert Dollar verkauft. Es ist ein Hochleistungsdrachen. Wahnsinnige Zugkraft und schnell wie ein Pfeil.« Doch Bob ließ sich nicht ablenken. »Und wie hoch ist diese Gebühr, wenn ich fragen darf?«
»Ihr habt Glück, Jungs. Es sind gerade mal zwanzig Dollar. Nehmt ihn mit und sagt mir später, wie er fliegt. So, und jetzt muss ich mich wieder um meine Dosen kümmern. Vom Drachenverkaufen allein kann ich nicht leben. Passt auf, dass ihr nicht mit dem Drachen wegfliegt. Und wenn doch, schreibt mir mal eine Ansichtskarte.«
Noch auf der Straße hörten sie das Lachen des Kaufmanns. Bob betrachtete das lange Paket. »Der hat doch für das Muster bestimmt keinen Cent bezahlt. Hoffentlich funktioniert dieser Vogel auch.« Peter war ebenfalls misstrauisch. »Für die Größe fühlt sich der Drachen ganz schön leicht an. Und dass der einen wegziehen soll, glaube ich erst recht nicht.«
Bob pustete daraufhin die Backen auf. »Falls doch, binden wir einfach Just an die Leine. Den zieht kein Drachen der Welt in die Luft.« Justus reichte es allmählich. »Was sollen eigentlich die dummen Sprüche den ganzen Morgen? Ich wiege genauso viel wie Peter.«
»Stimmt«, grinste Bob. »Aber dafür ist Peter auch einen Kopf größer. – Okay, ich mache für heute keine Witze mehr. Lasst uns lieber an den Strand fahren und den Drachen testen. Sonst ist der Wind weg.«
Doch es schien nicht so, als würde sich das Wetter ändern und der Wind nachlassen. Im Gegenteil: Immer schneller rasten die Wolken am Himmel und kleine Staubwirbel tanzten durch die Straßen. Die Luft schmeckte salzig wie der nahe Pazifik.
Von der Stadt aus fuhren sie einige Kilometer die Küstenstraße entlang und bogen dann in einen schmalen Weg ein. Dieser führte direkt ans Meer. Der Pfad war steinig und mit Sträuchern bewachsen. Über eine steile Steintreppe gelangten die drei ??? ans Wasser. Hierher verirrten sich nur selten Badegäste und man war fast immer allein am Strand. Die Wellen tobten im Sturm und der Wind fegte weiße Schaumkronen vor sich her. Möwen kreischten über ihnen in der Luft. Justus versuchte den Drachen aus der Packung zu ziehen. »Mann! Der Sturm reißt mir das Ding fast aus den Händen. Helft mir mal!« Gemeinsam gelang es ihnen, den Drachen zusammenzubauen. Peter war sichtlich beeindruckt. »Ganz schön groß. Das ist ein Deltadrachen mit zwei Lenkschnüren«, wusste er. »Ich bin gespannt, ob wir den halten können.« Justus packte die zwei Rollen mit den Schnüren fest mit beiden Händen und Bob hielt den Drachen in die Luft. »Okay! Bei drei lasse ich los!«, brüllte er gegen den Wind an. »Eins, zwei und drei!«
Wie ein Pfeil schoss der Drachen in den Himmel. Justus hatte das Gefühl, als würden ihm die Arme ausgerissen. Doch schnell hatte er den Drachen im Griff. Mit Hilfe der beiden Lenkschnüre konnte Justus ihn im Zickzack durch die Luft jagen lassen. »Alles klar! Jetzt festhalten zum Looping!« Der Drachen wurde so schnell, dass es zu pfeifen begann. »Lange kann ich ihn nicht mehr halten«, stöhnte Justus. Plötzlich packte den Drachen eine Windbö und Justus wurde einige Meter nach vorn gerissen. »Nicht loslassen!«, schrie Bob. Der Drachen zerrte an der Schnur wie ein störrisches Pferd. Noch eine Bö erfasste den Lenkdrachen und Justus machte einen Hüpfer in die Luft. Peter konnte seinen Freund gerade noch festhalten. »Bob! Schnell, komm her! Sonst fliegt Justus mit dem Ding weg!«
In diesem Moment gab es einen mächtigen Ruck, der Lenkdrachen kippte zur Seite weg und Justus landete wieder auf dem Boden. »Mist! Eine der Schnüre ist gerissen. Hoffentlich ist der Drachen heil geblieben.« Peter half seinem Freund wieder auf die Beine. »Sei lieber froh, dass der dich nicht ins Meer gezogen hat.«
Es wurde immer stürmischer. Die drei ??? bauten den Deltadrachen, so gut es ging, wieder auseinander und suchten sich eine windgeschützte Stelle hinter den Felsen. Peter blickte nachdenklich auf die raue See. »Wenn ich mir vorstelle, dass die Menschen früher auf einfachen Segelschiffen dort draußen waren … Für mich wäre das nichts.« Bob konnte sich auch nicht mit dem Gedanken anfreunden. »Ich würde bei den Wellen sofort seekrank werden. Ich war mal mit meinen Eltern auf einer Fähre. Da habe ich nach fünf Minuten in die Suppe gespuckt. Voll eklig.«
Mit lautem Getöse brachen sich die großen Brecher am Strand. Es schien, als würde das Wasser versuchen, den Sand zu verschlucken.
Plötzlich stand Justus auf und kniff die Augen zusammen. »Seht mal, die Wellen haben eine Flasche an den Strand gespült.« Jetzt blickten auch seine beiden Freunde auf die Stelle. »Vielleicht ist es eine Flaschenpost mit einer Schatzkarte«, überlegte Bob. Aufgeregt rannten sie los und Peter hob die Flasche auf. »Fehlanzeige. Keine Post, aber dafür halb voll. Sieht aus wie eine Weinflasche. Die hat wahrscheinlich ein Ozeandampfer über Bord geworfen.« Justus untersuchte das Fundstück genauer. »Das glaube ich nicht, denn die Flasche scheint schon sehr lange im Wasser zu liegen. Außerdem ist der Wein ganz schön alt. Seht einmal auf den Korken! Da steht 1899 drauf. Wirklich seltsam.«
Doch die Flasche war nicht das Einzige, was bei dem Sturm an den Strand gespült wurde. Peter entdeckte noch einige Holzteile und die Reste eines Rettungsringes. »Ist ja irre. Vielleicht ist bei dem Orkan ein Schiff gesunken?« Bob hatte Zweifel. »Das glaube ich nicht. Auf welchem Schiff gibt es so alte Rettungsringe? Aber Moment, seht mal! Da hängt noch eine Leine dran.« Peter ließ vorsichtshalber den Rettungsring fallen. »Ich will eigentlich gar nicht wissen, was am Ende der Leine dranhängt. Nachher ist es noch ein …« Justus unterbrach ihn. »Nun hör schon auf, dir selbst Angst einzujagen, Peter! Der Ring lag anscheinend genauso lange im Wasser wie die Flasche. Los, Bob! Zieh vorsichtig. Die Leine sieht nicht mehr besonders stabil aus.«
Meter um Meter zog Bob die Leine aus dem Wasser. An ihr klebten Algen und kleine Seepocken. Plötzlich hielt er inne. »Weiter geht es nicht. Scheint irgendwo da draußen im Wasser festzuhängen.« Peter blickte beunruhigt aufs Meer. »Oder jemand hält die Schnur fest.«
»Blödsinn!«, lachte Justus und half Bob beim Ziehen. »Zugleich!« Doch mit einem Mal gab die Leine nach und die beiden fielen in den Sand. »Mist! Gerissen!« Neugierig holten sie den Rest der Leine aus dem Wasser. »Das sind bestimmt fünfzig Meter«, staunte Bob. »Das heißt, irgendwo da draußen muss die sich verhakt oder verknotet haben. Ich wüsste zu gern, was da unten auf dem Meeresgrund ist.«
Inzwischen hatte sich der Himmel verfinstert und dicke graue Wolken waren aufgezogen. Es regnete sehr selten in Kalifornien. Aber jetzt klatschten den drei ??? die ersten Regentropfen umso heftiger ins Gesicht. Justus packte den Drachen, den zerbrochenen Rettungsring und die Weinflasche ein. »Also mir wird das hier zu ungemütlich. Ich schlage vor, wir untersuchen das Ganze in Ruhe in der Kaffeekanne.«
Völlig durchnässt erreichten sie wieder ihre Räder und fuhren zurück auf die Küstenstraße. Nach zwei Kilometern bogen sie diesmal zur anderen Seite ab. Ein schmaler Pfad schlängelte sich neben einer stillgelegten Eisenbahnlinie entlang. Dann standen sie vor der Kaffeekanne.
Die Kaffeekanne war eigentlich ein runder Wasserspeicher für die alten Dampflokomotiven. Jetzt war er leer, verrostet und vor allen Dingen vergessen. Niemand außer den drei ??? wusste, dass es diesen alten Tank überhaupt noch gab. Es war ein ideales Geheimversteck für Detektive.