Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2013
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Lektorat Bernd Gottwald
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ISBN Printausgabe 978-3-499-62795-8 (1. Auflage 2013)
ISBN E-Book 978-3-644-49951-5
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Gregory Bateson war von 1965 bis 1972 außerordentlicher Forschungsleiter am Oceanic Institute auf Hawaii. Die Delphinexperimente flossen in seine Theorie des Lernens ein. Vgl. dazu: Gregory Bateson: Geist und Natur: eine notwendige Einheit. Frankfurt a.M., 1997, S. 155. Der Forschungsbericht zu diesem Experiment findet sich in: K. Prior, R. Haag und J. O’Reilly, ‹Deutero-Learning in a Roughtooth Porpoise (Steno bredanensis)›, U. S. Naval Ordinance Test Station, China Lake, NOTS TP 4270.
Ähnliche Versuche waren am Oceanic Institute schon vorher mit anderen Delphinen gemacht worden. Die Ergebnisse waren immer ähnlich, doch erst dieser Versuch wurde wissenschaftlich dokumentiert.
Insgesamt wurden in dieser Trainingseinheit acht neue Verhaltensweisen beobachtet, von denen vier von den Trainern noch nie zuvor bei dieser Tiergattung beobachtet worden waren.
Harald Welzer: Aus Fremdzwang wird Selbstzwang. Wie das Wachstum in die Köpfe kam. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/2011, S. 49.
Ebd., S. 54.
Diesen Gedanken führte bereits der Soziologe Richard Sennett in seinem Buch ‹Der flexible Mensch› aus. Richard Sennett: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Übers. von Michael Bischoff. München, 2000.
Ebd., S. 54.
Die Studie wurde im Auftrag der Zeitschrift ‹Eltern› vom Marktforschungsinstitut iconkids & youth durchgeführt.
Heidemarie Bennent-Vahle: Glück kommt von Denken – Die Kunst, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Freiburg, 2011.
Die Parabel stammt aus dem daoistischen Klassiker ‹Huainanzi›, der im 2. Jh. v. Chr. unter der Leitung des Prinzen von Huainan von verschiedenen chinesischen Autoren gemeinsam verfasst wurde. Die Anekdote findet sich in Kapitel 18 des Werkes.
Frei erzählt nach: Charles Le Blanc, Mathieu Rémi: Philosophes taoïstes. Volume 2: Huainan Zi. Paris, 2003, S. 494.
William Shakespeare: Hamlet, 2. Szene, 2. Aufzug, übersetzt von Wilhelm August Schlegel.
Heinz von Förster, Monika Bröcker: Teil der Welt, Fraktale einer Ethik – Ein Drama in drei Akten, Heidelberg, 2002, S. 162ff.
Mary Catherine Bateson: Mit den Augen einer Tochter. Meine Erinnerung an Margaret Mead und Gregory Bateson. Übers. von Rosemarie Lester. Hamburg, 1986, S. 216.
Gregory Bateson: Geist und Natur: eine notwendige Einheit. Übers. von Hans Günther Holl. Frankfurt a.M., 1997, S. 31.
Wer sich einen Überblick in die verschiedenen Bedeutungen von Komplexität in den unterschiedlichen Forschungsgebieten verschaffen möchte, findet bei Klaus Mainzer eine gutstrukturierte Zusammenfassung. In: Klaus Mainzer: Komplexität, Stuttgart, 2008.
Yuri Boshyk, Robert Dilworth (Hg.): Action learning: history and evolution, Palgrave, 2010, S. 62.
Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Effekt bereits im Kindergarten einsetzt. Schon Vierjährige sind bereit, ihre eigene klare Wahrnehmung zugunsten einer Mehrheitsmeinung zu verdrängen.
Geplant waren 700 Millionen Euro, die Endkosten betrugen 1 Milliarde Euro für die Bahngebäude und die Untertunnelung der Spree sowie zusätzliche 200 Millionen Euro für Bürogebäude.
Der Einfluss der Politik auf die Höhe der Rundfunkbeiträge ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gering, und die Rolle der gesellschaftlichen Vertreter in den Aufsichtsgremien ist vorbildlich. In den meisten europäischen Ländern kann die Politik die Leitungsgremien deutlicher beeinflussen.
Vgl. Global Employment Trends 2012, International Labour Office – Geneva: ILO 2012, 1v., S. 47.
Christian Marazzi: Verbranntes Geld. Übers. von Thomas Atzert. Zürich, 2011, S. 106.
Ebd., S. 105ff.
Andrew J. King und Guy Cowlishaw: Biology Letters (2007) 3, 137–139. Doi:101098/rsbl.20070017. Published online 6 February 2007.
Eine gut lesbare Darstellung und Auswertung der Experimente finden Sie in: Dietrich Dörner: Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Erw. Neuausg., Reinbek, 2003.
Wie will ich mit anderen Menschen umgehen? Wie will ich mit der Umwelt umgehen? Wie will ich arbeiten? Wie will ich leben? Was bedeutet Glück für mich? Auf welche Weise will ich ein Teil der Gesellschaft sein? Wenn Sie diese Fragen auf Ihre ganz persönliche Weise unvollständig und vorläufig beantworten können und Ihre eigenen Antworten in unregelmäßigen Abständen überprüfen, genügt das schon.
Siehe Lior Noy, Erez Dekel, Uri Alon: The mirror game as a paradigm for studying the dynamics of two people improvising motion together. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), www.pnas.org/cgi/doi/101073/ pnas.1108155108. Mit dem Vorbildcharakter der künstlerischen Improvisation werden wir uns noch in einem eigenen Kapitel auseinandersetzen.
Wenn Sie noch eine kleine Brücke brauchen und zunächst einmal herausfinden wollen, warum es auch aus wissenschaftlicher Sicht überaus nützlich ist, Nutzloses zu tun, finden Sie alle wesentlichen Argumente dafür bei Ulrich Schnabel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns. München, 2010.
Siehe dazu auch: Natalie Knapp: Der Quantensprung des Denkens, Was wir von der neuen Physik lernen können. Reinbek, 2011.
Harald Welzer: Eine «richtige» Firma. Unter der Rubrik «Zukunftsarchiv», Stichwort: «Brennstoff», www.futurzwei.org.
Gregory Bateson: Geist und Natur: eine notwendige Einheit. Übersetzt von Hans Günther Holl. Frankfurt a.M., 1997, S. 72ff.
Gregory Bateson starb 1980 im Alter von 76 Jahren in San Francisco. Er forschte in den Bereichen Kommunikations- und Lerntheorie, Ökologie, Anthropologie und Linguistik. Aber auch Erkenntnistheorie und Naturphilosophie gehörten zu seinen Arbeitsbereichen. Aus seinen Erkenntnissen über die Natur komplexer Systeme folgte für ihn die Notwendigkeit, fächerübergreifend zu forschen.
Ich wäre froh, wenn Sie dieses Buch nicht als Aufruf zur Selbstoptimierung betrachteten, sondern lediglich als Denkanregung und gedrucktes ‹Gegenüber› für ein inneres Gespräch über eine immer komplexer werdende Welt.
Gregory Bateson in: An ecology of mind, Dokumentarfilm von Nora Bateson, mindjazz pictures 2011.
Mary Catherine Bateson: Mit den Augen einer Tochter, a.a.O., S. 142.
Julius H. Comroe: Retrospectoscope: Insights into Medical Discovery. 1977, S. 182.
Die Methode selbst wurde bereits im 19. Jahrhundert entwickelt, doch erst im 20. Jahrhundert von Martin Heidegger entfaltet.
2004 gab es in Atlanta eine Konferenz zur Vergebensforschung, bei der gleich 46 wissenschaftliche Studien zum Thema «Verzeihen» vorgestellt wurden. Einige der aktuellen Forschungsergebnisse zum Thema finden Sie hier: www.psy.miami.edu/faculty/mmccullough/Forgiveness_Page.htm.
Der eindrückliche Prozess fand 1996 vor dem Amtsgericht Freiburg i.Br. statt.
Gregory Bateson: Geist und Natur, a.a.O., S. 111.
Mary Catherine Bateson: Mit den Augen einer Tochter, a.a.O., S. 203.
Der erste experimentelle Laser wurde 1960 von Theodore Maiman gebaut. Hermann Haken legte 1962 eine abgeschlossene Lasertheorie vor. Sein Forschungsinstitut an der Universität Stuttgart wurde zu einem internationalen Zentrum der Lasertheorie.
Hermann Haken: Synergetik. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. In: Mainzer: Komplexe Systeme und nichtlineare Dynamik in Natur und Gesellschaft, Berlin, 1999, S. 32.
Die Pestodealerin ist eine brillante Köchin, die mit selbst zubereiteten Pasten aus frischen Kräutern, Ölen, Nüssen und Gewürzen handelt. Sie heißt ‹Dealerin›, weil ihre Pasten süchtig machen. www.pestodealerberlin.de.
Die Frage, ob die neue Eigenschaft tatsächlich nicht aus der Summe der Einzelteile abgeleitet werden kann oder ob das Beziehungssystem der Einzelteile lediglich zu komplex ist, um in einzelne Ursache-Wirkungs-Beziehungen zerlegt werden zu können, kann nicht abschließend geklärt werden.
Klaus Mainzer: Komplexität, Paderborn, 2008, S. 65.
Kinder kommen bereits mit einem Überschuss an neuronalen Verbindungen zur Welt. Verbindungen, die nicht gebraucht werden, werden abgebaut. Mit der Zeit bilden sich weitere neuronale Verschaltungsmöglichkeiten aus, doch auch hier gilt: Nur was benutzt wird, bleibt erhalten. Stabile und tragfähige Verbindungen entstehen immer dann, wenn wir an einem Lernprozess oder einer Erfahrung emotional beteiligt sind, wenn wir uns freuen, begeistern oder emotional zutiefst angesprochen fühlen. Dann bildet der Zellkern neue Eiweiße, die bestehende Verbindungen stabilisieren und neue Kontakte möglich machen. Emotionale Empfänglichkeit ist also eine Voraussetzung für die Entwicklungsfähigkeit des Gehirns, und der Hirnforscher Gerald Hüther geht davon aus, dass sich das Gehirn auch in hohem Alter noch entwickeln kann, wenn wir uns für etwas wirklich begeistern können. Nur was uns am Herzen liegt, bewegt das Gehirn, Pflichterfüllung scheint nicht genug zu sein.
Hans Peter Bull: Regulierung des Internets mit den Instrumenten des Datenschutzes?, in: spw – Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, 2011, Vol. 1, S. 21.
Linus Reichlin: Die Sehnsucht der Atome. Frankfurt, 2009, S. 114ff.
Andreas Weber: Alles fühlt, Berlin, 2008, S. 34.
Stuart Kauffman: Der Öltropfen im Wasser, München, 1998, S. 25ff.
Ebd.
Über die Entstehung des Universums und seine Beschaffenheit wissen wir immer noch sehr wenig. Die Entstehung der Erde und unseres Sonnensystems ist auf jeden Fall Teil einer universellen physikalischen Evolution, die der chemischen und biologischen Evolution vorausging. So wie das Leben auf der Erde vermutlich als lebendiges Netzwerk von Arten entstand, entwickelte sich das Universum nach derzeitigem Stand der Wissenschaft als Gemeinschaft der Sterne und Planeten. Der Planet Erde wäre dann Teil einer kosmischen Form der Koevolution. Doch die Frage, wie das Universum und das Leben auf der Erde entstanden, ist nicht endgültig geklärt. Damit sich auf einem Planeten überhaupt Leben bilden kann, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Der Planet braucht eine ausreichende Masse und Lebensdauer, die das Entstehen einer Ökosphäre mit geeigneten Oberflächentemperaturen ermöglicht, man braucht Wasser und verschiedene chemische Elemente. Einige Forscher gehen davon aus, dass sich Leben aufgrund des Bindungsdrangs der Elemente notwendigerweise entwickeln muss, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Angesichts der großen Anzahl von Planeten und Galaxien ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich auch auf anderen Planeten Formen von Leben entwickelt haben.
Stuart Kauffman, Der Öltropfen im Wasser, S. 44.
Ich verstehe den Begriff der Liebe hier in einem sehr weiten Sinne: als Form des empfindsamen Austauschs, der die Entwicklung des Lebens begünstigt, als wohlmeinende Wechselwirkung.
Nicholas Goldenfeld in: John Brockmann (Hg.), Jürgen Schröder (Übers.): Wie hat das Internet Ihr Denken verändert? Die führenden Köpfe unserer Zeit über das digitale Dasein. Frankfurt a.M., 2011, S. 252.
Den Begriff habe ich von der Schweizer Philosophin Karen Gloy übernommen.
Stuart Kauffman: Der Öltropfen im Wasser, S. 130.
Ebd., S. 134.
Heidemarie Bennent-Vahle: Glück kommt von Denken, Freiburg, 2011, S. 266ff.
Stuart Kauffman, a.a.O., S. 322ff.
Lone Frank: Mein wundervolles Genom. Übers. von Ursel Schäfer. München, 2011, S. 308.
Klaus Mainzer erläutert die unterschiedlichen Zeitrhythmen ineinandergreifender komplexer Systeme in: Komplexe Systeme und nichtlineare Dynamik in Natur und Gesellschaft. Komplexitätsforschung in Deutschland auf dem Weg ins nächste Jahrhundert. Berlin, Heidelberg, 1999, S. 21ff.
Gregory Bateson: Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Übers. von Hans Günther Holl. Frankfurt a.M., 1997, S. 17ff. In diesem Werk hat Gregory Bateson den Begriff der Beziehung als Grundstruktur alles Lebendigen herausgearbeitet.
Worin die elementaren Grundlagen bestehen, aus deren Beziehung eine neue Fähigkeit hervorgehen kann, ist natürlich von Fach zu Fach unterschiedlich und lässt sich nicht im Einzelnen festlegen. Bedeutend ist allerdings immer die jeweils fachspezifische Fähigkeit, Ähnlichkeiten, Unterschiede und Muster erkennen zu können. Ob es sich dabei um Gerüche, Farben, Formen, Töne, Bewegungen, Materialien, Worte oder Gefühle, Kombinationsmöglichkeiten, Bearbeitungstechniken, Rechenarten, Bauweisen, Interpretations- oder Ausdrucksmöglichkeiten handelt, spielt keine Rolle. Aber ohne Ausgangsmaterial ist keine Neuordnung möglich. Beim Kochen, Malen, Musizieren, Programmieren, Schreiben oder Schreinern wird das Wahrnehmungs- und Ausdrucksvermögen zwar auf verschiedene Weise geformt, durch Reflexion der jeweils vollzogenen Handlungen entsteht aber immer Differenzierungsfähigkeit. Da mehrere Personen ihre elementaren Fähigkeiten kombinieren können, ist es am sinnvollsten, besonderes Differenzierungsvermögen in einem Bereich auszubilden, der unsere Leidenschaft entfacht. Denn nur dann sind wir bereit und in der Lage, mit Rückschlägen umzugehen. Für jede Arbeit im Team braucht man zusätzlich elementare Grundkenntnisse in Kommunikation und Beziehungsbildung, weil diese Fähigkeiten Selbstorganisation in sozialen Organismen erst ermöglichen.
In den philosophischen Diskursen der Moderne spielt das Thema Anerkennung eine ganz zentrale Rolle. Besondere Bedeutung wird der Fähigkeit zugemessen, den anderen in seiner Andersartigkeit anzuerkennen. Es gilt also nicht nur, das anzuerkennen, was wir als bereichernde Qualität wahrnehmen, sondern gerade das, was uns immer fremd bleiben wird, weil wir es nicht erfassen können. Vgl. Heidi Salaverria: Anerkennbarkeit. Butler Lévinas, Rancière. In: Alterität und Anerkennung, Diskurse des Politischen Bd. 2, Baden-Baden, 2011, S. 37–53.
Heinz von Foerster/Monila Bröcker: Teil der Welt. Fraktale einer Ethik – Ein Drama in drei Akten. Heidelberg, 2002, S. 234.
Vor allem Frauen geraten dabei zunehmend in Konflikt, bilanziert eine wissenschaftliche Studie der Technischen Universität Berlin. Während ihnen zu Beginn ihrer Karriere soziale Kompetenzen zum Vorteil gereichen, werden sie genau dann zum Hindernis, wenn es darum geht, auf der Karriereleiter nach oben zu steigen. Denn Sozialkompetenz und harter Konkurrenzkampf sind sehr schwer in Einklang zu bringen. «Im neuen Geist des Kapitalismus verliert die Sozialkompetenz zweifelsohne ihre ‹Unschuld›. (…) Wer hier erfolgreich sein will, kommt – entgegen aller Anpreisung von Sozialkompetenz – ohne eine Portion Abgebrühtheit vermutlich nicht sehr weit.» Christiane Funken, Alexander Stoll, Sinje Hörlin: Die Projektdarsteller: Karriere als Inszenierung. Paradoxien und Geschlechterfallen in der Wissensökonomie. Wiesbaden, 2011, S. 190.
Matthias zur Bonsen: Leading with life. Lebendigkeit im Unternehmen freisetzen und nutzen, Wiesbaden, 2010, S. 10ff.
Die Vorlage dafür lieferte der polnische Regisseur Krysztof Kieslowski mit seinem Film ‹Der Zufall möglicherweise›. Er erzählt die Lebensgeschichte eines polnischen Medizinstudenten in drei verschiedenen Varianten. In der ersten Version erreicht der Mann einen bestimmten Zug, fährt nach Warschau und wird ein kommunistischer Funktionär, in der zweiten Version streitet er sich mit einem Bahnpolizisten und engagiert sich daraufhin als Oppositioneller, in der dritten Version verpasst er den Zug, begegnet einer Studienkollegin, in die er sich verliebt, und widmet sich dem privaten Glück.
Klaus Mainzer: Der Kreative Zufall: Wie das Neue in die Welt kommt. München, 2007, S. 25ff.
Der christliche Philosoph Augustinus (354–430) hielt den Begriff ‹Zufall› für einen Ausdruck geistiger Blindheit. Der jüdische Philosoph Baruch Spinoza (1632–1677) nennt ihn ein ‹Asyl der Unwissenheit›.
Klaus Mainzer: Der kreative Zufall, a.a.O., S. 18. Mainzer gibt einen umfassenden Einblick in Wirkungsweisen des Zufalls in den verschiedenen Fachbereichen.
Hermann Haken: Synergetik: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. In: Mainzer, Komplexe Systeme, Berlin, 1999, S. 33.
Der psychotherapeutischen Methode, also der spezifischen Technik, mit der ein Therapeut arbeitet, wird nach heutigen Erkenntnissen nur sehr wenig Bedeutung zugemessen. Der Technik allein werden lediglich etwa 2% des Ergebnisses zugeschrieben. Die Auswertung zahlreicher Studien hat ergeben, dass es sich um einen sehr komplexen Prozess handelt, der kaum durch Technik erklärbar ist. Das Zusammenspiel von therapeutischer Beziehung, Aufnahmebereitschaft des Klienten, kleinen Ergebnissen und therapeutischen Interventionen scheinen den Selbstorganisationsprozess zu unterstützen. Nach: Günther Schiepek: Selbstorganisation in psychischen und sozialen Prozessen. Neue Perspektiven der Psychotherapie. In: Mainzer: Komplexe Systeme und nichtlineare Dynamik in Natur und Gesellschaft, Berlin, 1999, S. 288.
Haken, a.a.O., S. 33.
Haken, H., Haken-Krell, M.: Gehirn und Verhalten. Stuttgart, 1997, S. 121.
Karl-Heinz Leist: Synergetische Lehr-Lernprozesse des Bewegungssystems. In: Mainzer, Komplexe Systeme, 1999, S. 209.
Klaus Mainzer: Komplexität, Paderborn, 2008, S. 58.
Es ist selbstverständlich nicht in jedem Fall möglich, dass sich die körperinterne Ausgleichsdynamik regeneriert. Ob dies im Einzelfall möglich ist, hängt von vielen Faktoren ab.
Die Pulsdiagnose der traditionellen chinesischen Medizin ist ein Diagnoseverfahren, bei dem Geschwindigkeit, Tiefe, Volumen oder Länge einer Pulswelle an verschiedenen Körperstellen und mit unterschiedlicher Druckstärke ertastet werden. Dabei soll nicht nur der Zustand einzelner Organe überprüft, sondern das Zusammenspiel von Organsystemen erfasst werden. Die Diagnosemethode fordert eine hohe Sensibilität für die verschiedenen Pulszustände, die nur durch viel Übung und langjährige Erfahrung erreicht werden kann. Genau wie die Diagnostik der westlichen Medizin kann sie nicht an einigen Wochenenden erlernt werden. Mit einer kurzen Zusatzausbildung in chinesischer Medizin wäre daher nur wenig gewonnen. Die traditionelle Ausbildungszeit eines chinesischen Arztes steht einer westlichen medizinischen Ausbildung in nichts nach. Zwei westliche Studien zur Treffsicherheit der Pulsdiagnose gelangten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Während verschiedene Studenten der Pulsdiagnostik bei der Untersuchung von Patienten nicht zu übereinstimmenden Ergebnissen kamen, erreichten zwei erfahrene Diagnostiker sowohl bei der Erstuntersuchung von 66 Patienten als auch in der Folgeuntersuchung nach zwei Monaten eine Übereinstimmung von 80 Prozent der Ergebnisse. Die Wissenschaftler der medizinischen Abteilung der technischen Universität Sydney werteten dieses Ergebnis als entscheidenden ersten Hinweis auf die Tragfähigkeit der Diagnosemethode. Durch die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Studien gilt die Treffsicherheit der Pulsdiagnostik für die westliche Medizin derzeit jedoch als nicht erwiesen. Neben der chinesischen Pulsdiagnose gibt es auch zahlreiche andere Methoden, um den komplexen Gesamtzustand des Körpers zu erfassen und seine Dynamik zu unterstützen. Zu den meisten Methoden existieren jedoch keine aussagekräftigen klinischen Studien. Es gibt also derzeit noch keine geeignete Möglichkeit, um westliche und alternative Diagnosemethoden auf wissenschaftlicher Ebene miteinander zu vergleichen. (King, Cobbin, Walsh, Ryan: The reliable measurement of radial pulse characteristics. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12512788?dopt=Abstract. Ernst Edzard: Deutsches Ärzteblatt, 2005; 102[44]: A-3034/B-2560/ C-2410.)
Ein hervorragender westlicher Arzt hat nicht notwendigerweise die Fähigkeit für Diagnose und Unterstützung des nichtlinearen Nichtgleichgewichtssystems des Körpers ausgebildet.
David Foster Wallace: Das hier ist Wasser. Köln, 2012, S. 16.
Das ‹Ich› ist eines der komplexen Muster, die sich im Netz des Lebens gebildet haben, es erfährt sich zwar als Einzelwesen, ist aber zugleich Teil eines größeren Ganzen, mit dem es stets in Verbindung steht. Durch diese Verbindung wird es immer wieder verwandelt. Eine übergeordnete Außenperspektive gibt es in einem dynamischen Netzwerk von Beziehungen nicht. Wir sind stets mit allen Ebenen des Lebens rückgekoppelt. Das ‹Ich› verschafft sich zwar als scheinbar abgegrenztes Individuum den Überblick über das Geschehen, ist aber gleichzeitig nur ein Teil von verschiedenen komplexen Wirkungszusammenhängen und keineswegs autonom. Wir sind also aus einer Perspektive verantwortliche Individuen, aus einer anderen Perspektive Exemplare einer Gattung und stehen, aus einer dritten Perspektive betrachtet, in einem noch viel größeren Bedeutungszusammenhang. Wenn wir diesen dynamischen Dreiklang nicht beachten, geraten wir leicht in Verwirrung.
Damasios Forschungsergebnisse zeigten, dass das Ichgefühl lediglich bei wenigen Krankheitsbildern, wie beispielsweise akuten epileptischen Anfällen, kurzzeitig verloren ging. In diesen Augenblicken konnten die Patienten ihre Wahrnehmungen nicht mehr als ihre eigenen Erfahrungen identifizieren.
Als Grundlage für Damasios Theorie des Kern-Selbst und des autobiographischen Selbst diente die Untersuchung und Analyse von mehr als 4000 Patienten, bei denen bestimmte Areale des Gehirns aufgrund von Schlaganfällen oder anderen Krankheiten nicht mehr funktionstüchtig waren. Bei vielen seiner Patienten war das Erinnerungsvermögen beeinträchtigt, und manche konnten sich noch nicht einmal mehr selbst im Spiegel erkennen. Aber das Gefühl, ‹Ich› zu sein, war oft trotzdem noch da, kontinuierlich begleitete es jede Erfahrung. So entdeckte Damasio, welche Region im Gehirn uns das kontinuierliche ‹Ich-Gefühl› ermöglicht und welche Region für die Rekonstruktion unserer Lebensgeschichte zuständig ist. Wir können physisch betrachtet ‹wach› sein, aber erst wenn das Kernbewusstsein ins Spiel kommt, erfahren wir uns als ‹Ich›.
Erinnerungen werden nicht wie eine Datei neutral auf einer ‹Festplatte› abgespeichert, sondern mit Gefühlen verknüpft in unseren Organismus integriert. Auf diese Weise prägen die Ereignisse der Vergangenheit natürlich das, was wir in der Gegenwart erleben, denn unser Organismus bildet ja die Ausgangsbasis für unsere Wahrnehmungen. Aber jede gegenwärtige Erfahrung verändert eben aufs Neue unseren Organismus und wirkt sich damit zugleich auch auf unsere Erinnerungen aus. Die Vergangenheit verändert sich durch die Gegenwart. Wir haben es also auch hier mit einer Rückkopplungskette zu tun, bei der Vergangenheit und Gegenwart zusammenwirken, um ein konkretes Erinnerungsbild zu erzeugen. Auch die Geschichte der Umgestaltung von deutschen Biographien nach dem Nationalsozialismus hat gezeigt, wie leicht wir unangenehme Erinnerungen verdrängen und in angenehmere verwandeln können, indem wir uns einfach eine neue Rolle zuschreiben. Aus vielen Nazis wurden im Rückblick Unwissende, brave Bürger oder gar Widerstandskämpfer. Manche Ereignisse wurden umgedeutet, andere verdrängt. Von den beiden Großvätern eines Freundes behauptete einer, er habe als Soldat lediglich einmal auf einen Hasen geschossen, und der andere, er habe als Pilot der Wehrmacht nur Testflugzeuge geflogen. Wer eine wissenschaftlich aufbereitete Erinnerungsgeschichte exemplarisch nachvollziehen will, kann das bei Moritz Pfeiffer: Mein Großvater im Krieg 1939–1945: Erinnerung und Fakten im Vergleich. Bremen, 2012. Eine umfassendere Untersuchung der deutschen Erinnerungsgeschichte finden Sie in: Harald Welzer, Sabine Moller, Karoline Tschuggnall: Opa war kein Nazi: Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt a.M., 2010. Eine gelungene Aufarbeitung und Einschätzung der Forschungsergebnisse zum Thema Erinnerung finden Sie bei Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis: Eine Theorie der Erinnerung. München, 2011.
Unter normalen Umständen verwandeln wir unsere Geschichte natürlich nicht grundlegend. Wir fügen nur hier und da etwas hinzu, etwa ein anderes Gefühl, eine neue Sichtweise, stellen etwas in einen größeren Zusammenhang, vergessen dafür ein Detail, das nicht mehr wichtig erscheint, oder interpretieren ein wenig neu. Das autobiographische Selbst erscheint uns nur deshalb als Kontinuität, weil wir es kontinuierlich erzeugen und auf die Gegenwart abstimmen.
Interview mit der Tageszeitung TAZ vom 14. 4. 2012.
Zahlreiche Studien bestätigen, dass Ehrenamtliche und Freiwillige besonders glücklich sind und Materialisten zum Unglücklichsein neigen (World Happiness Report, Earth Institute, April 2010).
Nancy Kline: Time to think. Listening to ignite the human mind. Cassell Octopus, 1998. Falls Sie die Methode des Zuhörens vertiefen, beruflich nutzen oder auch in Konferenzen einsetzen wollen, bekommen Sie hier alle wichtigen Informationen und zahlreiche Fallbeispiele. Praktisch, leicht lesbar und sehr anschaulich.
Welzer/Wessels, Wie gut, dass auch Nonkonformisten konform sind. In: Merkur 09/10, Stuttgart, 2011.
Ebd.
Weitere Versuche sind noch in Vorbereitung, weil die technischen Voraussetzungen für die Kombination von komplexen sozialpsychologischen und neurologischen Untersuchungen erst geschaffen werden müssen.
Welzer/Wessels, a.a.O., S. 979.
Der Historiker und Holocaust-Forscher David M. Crowe stellt ihn in seiner umfassenden und akribisch recherchierten Biographie als charmanten Schlawiner dar, als Spieler, Trinker, Frauenheld und weltläufigen Lebemann, der unter chronischem Geldmangel litt. David M. Crowe: Oskar Schindler – die Biographie, übers. von Klaus Binder und Bernd Leineweber, Berlin, 2005.
Marten Düring: Versteckte soziale Netzwerke im Nationalsozialismus. Die Entstehung und Arbeitsweise von Berliner Hilfsnetzwerken für verfolgte Juden. Dissertation, Johannes Gutenberg Universität Mainz, 2012. Noch unveröffentlicht, S. 14.
Ebd.
Inspirierende Geschichten finden Sie beispielsweise bei www.futurzwei.de oder bei www.globalonenessproject.org.
Zitiert nach Düring, a.a.O., S. 232.
Ebd., S. 228.
Ebd., S. 246ff.
Bei manchen Fragen geht das sehr schnell, bei komplexen Problemfeldern kann es auch mehrere Tage dauern, aber der Prozess kann auch mit einem vorläufigen Zwischenergebnis beendet und später fortgeführt werden.
Die Firma Swisscom-IT Services arbeitet regelmäßig mit der Methode Jim Roughs.
Es handelte sich um die Methode Planungszelle/Bürgergutachten, die in den 1970er Jahren von Peter C. Dienel an der Bergischen Universität Wuppertal entwickelt wurde.
Eigenverantwortung, Zivilcourage und Engagement standen im Mittelpunkt der Überlegungen, aber auch der innere Wert der Genügsamkeit, also nicht immer mehr zu fordern, sondern das bereits Erreichte mehr zu schätzen.
Das Projekt wurde 2006 in der Kategorie ‹Partizipation› mit dem Umweltpreis der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT-Umweltpreis) ausgezeichnet.
Das Forschungsprojekt wurde vom österreichischen Lebensministerium und dem Büro für Zukunftsfragen in Auftrag gegeben. Das European Institute for Public Participation (EIPP, Bremen) hat die Studie in Zusammenarbeit mit dem Bregenzer Kairos Institut für Wirkungsforschung & Entwicklung durchgeführt. Der Ergebnisbericht wurde 2012 veröffentlicht.
Siehe Abschlussbericht, Forschungsprojekt BürgerInnen-Räte, S. 21.
Ebd., S. 29.
Ebd., S. 23.
Ebd., S. 29.
Patrizia Nanz/Miriam Fritsche: Handbuch Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 1200, Bonn, 2012. Einen guten Überblick bietet auch das Vorarlberger Büro für Zukunftsfragen (www.vorarlberg.at). Dort finden Sie unter dem Stichwort ‹Büro für Zukunftsfragen› auch Angebote zur Weiterbildung.
Das ausführliche englische Handbuch zu ‹Dynamic Facilitation› von Rosa Zubizarreta (Manual für Jim Rough’s Dynamic Facilitation Method) finden Sie unter: www.co-intelligence.org/P-dynamicfacilitation.html. Eine ausführliche Beschreibung der Anwendungsmöglichkeiten von ‹Dynamic Facilitation› in Organisationen und Unternehmen liefert Matthias zur Bonsen in seinem Artikel ‹Werkzeugkiste – Dynamic Facilitation› (www.partizipation.at/?id=974) Unter dem Titel ‹Elf Fremde› hat die Journalistin Eva Wolfnagel für die Wochenzeitung ‹Kontext› eine lebendige Reportage zum ersten landesweiten BürgerInnen-Rat Vorarlbergs verfasst. Dort erfahren Sie auf unterhaltsame Weise auch Einzelheiten über die Teilnehmer, den Ablauf und die besprochenen Themen.
Franz Mechsner: Was ist der Mensch? In: Geo 01, 2012, S. 126–148.
Michael Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Übers. von Jürgen Schröder. Berlin, 2011, S. 13.
Ebd., S. 143.
Hannah Arendt: Vita activa oder vom tätigen Leben. Stuttgart, 2007, S. 180ff.
Ein Standardwerk der Improvisationskunst ist Keith Johnstone: Improvisation und Theater, die Kunst spontan und kreativ zu agieren, Berlin, 2010. Darin gibt es eine Menge Hinweise, die man sofort ausprobieren kann, und zahlreiche Beispiele vermitteln die Freude am Unvorhersehbaren.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung.
Martin Buber
Fühlen Sie sich den Anforderungen unserer Welt noch gewachsen? Wissen Sie, woran Sie sich orientieren können, wie Sie kluge Entscheidungen treffen und was Ihnen im Strudel von politischen, 0und persönlichen Veränderungen Stabilität und Sicherheit vermittelt? Kurzum: wie Sie das Chaos des Alltags zu einem glückenden Leben verwandeln?
Falls nicht, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Denn das Gefühl der Überforderung ist inzwischen zu einem Grundton des modernen Lebens geworden.
Und das betrifft nicht nur uns als einzelne Bürger, sondern – wie etwa die Finanzkrise zeigt – auch jene Institutionen, auf die wir uns in der Vergangenheit verlassen haben. Auch politische Parteien und Wirtschaftsexperten zeigen sich heute ein ums andere Mal von der Komplexität der Geschehnisse überfordert.
Ganz offenbar funktioniert in einer hochgradig dynamischen und vernetzten Welt die bisherige Art der Zukunftsplanung nicht mehr: Statt wie bisher gegenwärtige Entwicklungen linear in die Zukunft fortschreiben zu können, müssen wir uns darauf einstellen, dass stets und immer wieder unerwartete Ereignisse alle Pläne und Strategien über den Haufen werfen – die Zitterpartie um den Euro ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Umwälzungen im arabischen Raum, von denen selbst Experten überrascht wurden.
Angesichts solch unvorhersehbarer Ereignisse fragen sich viele Menschen: Wie soll ich planen, wenn alles immer unübersichtlicher wird? Kann ich die rasanten Entwicklungen in der Welt überhaupt beeinflussen? Oder bin ich den Veränderungen hilflos ausgeliefert? Gibt es überhaupt noch jemanden, der weiß, wo es langgeht?
Die Antwort ist: Jein. Niemand weiß im Voraus, wie sich die Dinge entwickeln werden, aber Sie können durchaus lernen, sich auf unbekanntem Terrain zurechtzufinden. Mit etwas Pfadfinderinnengeist werden Sie daran sogar Freude haben. Dieses Buch will Sie dabei unterstützen, einen Orientierungssinn für unsere unübersichtliche Welt auszubilden, einen persönlichen inneren Kompass, der Sie auf allen Wegen begleiten wird.
Im Frühjahr 1966 fand am ‹Oceanic Institute› auf Hawaii ein wegweisendes Experiment statt: Der Biologe und Anthropologe Gregory Bateson wollte herausfinden, ob man Delphinen lediglich einzelne Kunststücke beibringen konnte oder ob sie auch in der Lage waren, abstrakte Ziele zu erfassen – wie zum Beispiel das Ziel, in jeder Dressurstunde ‹etwas Neues› zu zeigen.[1] Das Versuchstier – ein junger weiblicher Delphin – sollte also in dem Experiment kreativ tätig werden: Wann immer der Delphin eine neue, vorher nicht gezeigte Bewegung ausführte, wurde er mit Fisch belohnt.[2]
Der Delphin stand damit vor derselben Aufgabe wie wir Bewohner der Moderne: angesichts unübersichtlicher Situationen kreative Lösungen zu finden, die nicht von vornherein vorgegeben sind. Und offensichtlich tat sich das Tier damit ebenso schwer wie wir. Nachdem der Delphin in den ersten Sitzungen zufällige Erfolge erzielt hatte, produzierte er im Folgenden immer wieder jene Bewegungen, für die er bereits belohnt worden war – nur erhielt er dafür keinen Fisch mehr. Da er das System der Belohnungen nicht durchschaute, wurde der Delphin mit der Zeit immer frustrierter. Manchmal wurde seine Verzweiflung so groß, dass ihm seine Lehrerin einen Fisch gab, obwohl er gar nichts Neues zum Besten gegeben hatte.
Doch vor der 15. Sitzung geschah etwas Ungewöhnliches: Als der Delphin im Becken auf seine Trainerin wartete, wurde er plötzlich ganz aufgeregt, er schwamm umher, zappelte und schlug mit dem Schwanz. Als die Trainerin kam, zeigte er in einer explosionsartigen Abfolge mehrere neue Kunststücke nacheinander. Mit einem Mal schienen alle bislang unverständlichen Übungssequenzen einen zusammenhängenden Sinn zu ergeben: Er hatte offensichtlich begriffen, was es bedeutete, ‹etwas Neues› zu zeigen.[3]
Wie genau der Delphin zu seiner Einsicht gelangte, ist allerdings nicht nachvollziehbar – man kann die Tiere leider (noch) nicht nach ihren Gedanken fragen. Doch gerade deshalb gibt uns dieses verhaltensbiologische Experiment wertvolle Hinweise. Denn auch die meisten menschlichen Lernprozesse können nicht linear nachvollzogen werden. In den allermeisten Fällen wissen wir nicht, an welchem Tag und zu welcher Zeit sich die vielen kleinen Übungssequenzen zu einem Ganzen fügen und jemand plötzlich schwimmen oder Rad fahren kann, ein diplomatisches Gespräch führen oder einen Streit schlichten. Es ist nicht vorhersehbar, wann sich viele konkrete Erfahrungen zu einer abstrakten Erkenntnis zusammensetzen, die es Menschen ermöglicht, neue Probleme vom selben Typus zu bewältigen.
Das Delphinexperiment kann daher als Metapher und Leitfaden dienen für die Art des Lernens, die in diesem Buch angestrebt wird. An ihm lassen sich viele der einzelnen Lernschritte erklären, die sich am Ende zu einer abstrakten Einsicht zusammensetzen und uns jenen Orientierungssinn ermöglichen, den wir in einer komplexen Welt brauchen. Stellen Sie sich also für die Dauer des Lesens dieses Buches vor, Sie seien ein Delphin. Ein Delphin, der eine völlig neuartige Fähigkeit erlernen soll, von der er noch keine Idee hat.
So wie die Trainerin keine Vorstellung davon hatte, welche Bewegung der Delphin als Nächstes ausführen soll, weiß ich als Autorin nicht, welche konkreten Bewegungen in Ihrem Leben erforderlich sein werden. Ich werde Ihnen deshalb keine Patentrezepte oder pauschale Lösungen anbieten, sondern einen gedanklichen Rahmen, in dem Sie Ihr Talent, mit ungewohnten Situationen umzugehen, entfalten können. Um Ihnen dennoch Beispiele für den Umgang mit unserer unübersichtlich gewordenen Welt geben zu können, werde ich meine eigenen Erfahrungen zur Verfügung stellen. Doch meine Lösungen müssen nicht die Ihren sein. Wenn Sie entdecken, dass Sie in dieser oder jener Situation ganz anders gehandelt hätten, ist das eine ebenso wertvolle Einsicht. Deshalb finden Sie in jedem Kapitel Übungen, die Ihnen dabei helfen können, Ihre eigenen Denkbewegungen zu erkunden, Ihre persönlichen Werte oder auch Ihre individuellen Entscheidungskriterien. Jede Leserin und jeder Leser wird dabei andere Einsichten haben, andere Fähigkeiten entdecken und ein eigenes Orientierungssystem entwickeln.
Genau das ist übrigens ein Teil der Lösung. Denn all diese Fähigkeiten und Orientierungssysteme ergeben gemeinsam ein Netz, das Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Austauschs beinhaltet, die für uns alle von unschätzbarem Wert sind. Gerade die Beziehungen zwischen Menschen, die ihre eigenen Antworten suchen und finden können, geben in unübersichtlichen Lebenslagen wesentliche Impulse und bringen neue Bewegungen hervor. Das ist die Kernthese dieses Buches, die in einem Satz zusammengefasst lautet: Wenn wir alle unsere Fähigkeiten zur Verfügung stellen und mehr Gewicht auf die Gestaltung unserer Beziehungen legen, finden wir uns in einer unübersichtlichen Welt besser zurecht.
Ich möchte Sie dazu einladen, diese These mit Hilfe dieses Buches und anhand Ihrer eigenen Lebenserfahrungen zu überprüfen. Selbstverständlich gebe ich Ihnen dazu eine Menge Anregungen und Geschichten mit auf den Weg.
Ich will Sie nicht einfach von der Gültigkeit meiner Prämisse überzeugen, sondern möchte Sie anregen, sich selbst ein Bild zu machen. Denken Sie an den Delphin: Es geht darum, Ihre eigenen Denkfähigkeiten wachzurütteln. Nur so kann sich paradoxerweise meine These als gültig erweisen. Sollten Sie beim Nachdenken oder beim Experimentieren mit meinen Übungen zu anderen Erkenntnissen gelangen, hätten Sie Ihr Ziel, eine bessere Orientierung zu finden, ebenfalls erreicht. Solange Sie Ihre eigenen Gedanken beim Lesen ernst nehmen, kann also gar nichts schiefgehen.
Ich will Ihnen nicht das ewige Glück, die große Liebe oder das unerschöpfliche Bankkonto versprechen, denn das sind Dinge, von denen Sie ja bereits eine Vorstellung haben.
Ich will Sie aber einladen, eine neue Brille aufzusetzen, die Ihnen andere Sichtweisen ermöglicht. Eine Brille, welche die unordentlichen und vielleicht noch unverständlichen Bewegungen des Lebens als kreatives Potenzial sichtbar werden lässt; denn wenn das Chaos nicht mehr an einer vermeintlich feststehenden Norm gemessen, sondern als fruchtbare Dynamik erkannt wird, eröffnen sich viele neue Perspektiven.
Allerdings muss ich Sie warnen: Bevor Sie die neuen Gläser nicht ausprobiert haben, werden Sie auch nichts Neues sehen können. Ich kann Ihnen also vorab keine Garantie geben, weil es den Versuch, den ich just mit Ihnen ganz persönlich unternehmen möchte, so noch nicht gegeben hat.
Was ich Ihnen allerdings anbiete, ist: ein Becken, Trainingszeiten, Anleitungen, Übungsbeispiele und etwas Fisch. Um während des Lesens genügend Zeit zu haben, eigene Gedanken zu entfalten, werden viele wesentliche Themen gleich zu Beginn kurz angesprochen und dann später in verschiedenen Kapiteln wieder aufgenommen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Sie können den Text linear von Anfang bis zum Ende lesen, Sie können aber beispielsweise auch mit dem Kapitel beginnen, in dem Methoden und Praxisbeispiele zur Intelligenz von Gruppen dargestellt werden (Kapitel 10), und sich dann vor- und zurückarbeiten, um den gedanklichen Rahmen zu vervollständigen.
Da kontemplative Leser andere Formen des Lernens und Lesens bevorzugen als Pragmatiker, bietet das Buch drei Arten der Übung an:
Erstens den fließenden Text mit vielen Beispielen, Erklärungen, Thesen und Erläuterungen. Wer zunächst Erkenntnisse sammeln und sich einen Überblick verschaffen möchte, sollte hier anfangen.
Zweitens sind in diesen Text sogenannte Kompassübungen eingewoben, durch die Sie Ihren inneren Kompass ausbilden und Ihre Erkenntnisse in die Praxis umsetzen können.
Drittens gibt es am Ende jedes Kapitels kurze Abschnitte In Kürze mit den Kernthesen des jeweiligen Kapitels.
Ihre erste Aufgabe wäre also herauszufinden, wie Sie am liebsten Erkenntnisse sammeln. Beginnen Sie einfach dort, wo es Ihnen am leichtesten fällt, weil Ihr Interesse geweckt wird. Das wäre eine erste wichtige Kompassregel, die nicht nur fürs Lesen gilt: Gehen Sie immer so vor, dass Sie sich möglichst lebendig fühlen!
Während ein Navigationsgerät in gut erforschten Gegenden exakte Wegbeschreibungen liefert, zeigt der Kompass lediglich die Richtung an. Im Unterschied zum Navigationsgerät ist er jedoch das richtige Werkzeug, um unbekanntes Gelände zu erschließen. Sie müssen allerdings ein Gespür dafür entwickeln, wo Norden ist. Darum geht es in diesem Buch. Betrachten Sie es also als Übungsbuch, legen Sie sich am besten gleich zusätzlich ein leeres Heft zur Seite, in dem Sie sich Ihre eigenen Gedanken, Erkenntnisse und Assoziationen notieren können, und markieren Sie sich im Buch die Fragen, mit denen Sie sich erst später beschäftigen wollen. Praktikern empfehle ich, auch im Fließtext die wichtigsten Informationen und Kernthesen zu unterstreichen. Fangen Sie einfach an!
Alles Schöpferische ist unvoraussehbar.
Karl Jaspers
Das ist Schnee von morgen.
Jens Jeremies, Fußballspieler
In diesem Kapitel wird der fundamentale Unterschied zwischen komplizierten Zusammenhängen und komplexen Organismen erklärt. Denn vieles, was uns im Alltag kompliziert erscheint, ist in Wirklichkeit komplex. Es ist dieser Unterschied zwischen kompliziert und komplex, der für das Denken des 21. Jahrhunderts kennzeichnend ist. Es lohnt sich also, dass wir uns dafür etwas Zeit nehmen.