Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Epilog
Kommentar
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN - Die Serie
Nr. 2692
Winters Ende
Das Licht der Sonne kehrt zurück – und auf Saypor entscheiden sich Schicksale
Leo Lukas
Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf bislang ungeklärte Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.
Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen, die sich alles andere als freundlich verhalten.
Nach zahlreichen Verwicklungen kann jedoch Reginald Bull einen Waffenstillstand erreichen.
Nun müssen die Menschen allerdings mit einem Eindringen QIN SHIS rechnen, jener negativen Superintelligenz, die sich dieses Taschenuniversum geschaffen hat. Allerdings konnte der Feind nicht damit rechnen, dass sich seine ehemaligen Verbündeten nun neu orientiert haben und an der Seite Terras stehen.
Als erstes Zeichen des neuen Bündnisses zwischen Terranern, Sayporanern, Spenta, Fagesy und Dosanthi kommt es zu WINTERS ENDE ...
Reginald Bull – Der Terranische Resident hat Grund zum Feiern, aber nicht lange.
Yugen Estmon-Winter – Der Informatiker schaut ins Paradies und erlebt die private Hölle.
Rabienne Estmon-Winter – Yugens Ehefrau muss sich für eine ihrer Töchter entscheiden.
Delorian Rhodan – Perry Rhodans Sohn schafft einen Durchbruch, zumindest für sich.
»Ich bin kein religiöser Mensch, aber ich glaube.
Ich glaube an das Gute im Menschen, trotz der Jahrtausende, in denen ich bereits miterlebt habe, zu welchen Taten wir Menschen fähig sind.
Ich glaube an höhere Wesen, nein, ich weiß, dass es sie gibt. Ich habe zu vielen von ihnen bereits gegenübergestanden [...]
Ich glaube an die Unendlichkeit und die Wunder des Universums und bin dankbar dafür, dass ich sie im Laufe meines Lebens in einem Maß habe kosten dürfen wie kaum ein anderer Mensch.
Und ich glaube, dass wir Menschen dazu bestimmt sind, gut zu sein, Gutes zu tun, wo immer es uns möglich ist, was immer der Preis sein mag, und dazu, die Unendlichkeit und die Wunder des Universums zu erfahren.«
Perry Rhodan, Januar 1463 NGZ
Prolog
Verletzt
8. Januar 1470 NGZ
»Heute ist Elvis Presleys 3123. Geburtstag.«
»Aha«, sagte Rabienne.
»Elvis wer?«, fragte Aria, ohne aufzusehen. Konzentriert drehte sie die holografische Kugelbahn in ihren Händen.
»Elvis Aaron Presley. Der King.« Obwohl Yugen Estmon-Winter wusste, dass er auf zwei Paar taube Ohren stieß, fuhr er fort: »Der König des klassischen Rock 'n' Roll. Als Interpret unerreicht bis zum heutigen Tag.«
Seine Ehefrau Rabienne warf ihm einen strafenden Blick zu. Verschon uns mit deiner Marotte, hieß das.
»Musikhistorisch gesehen ist Elvis mindestens so wichtig wie Mozart, Singh Boncard, Lasky Baty und Chasdya Andour zusammen«, brummte Yugen trotzig. »Soll ich dir etwas vorsingen, Aria?«
»Nö. Ich komme grad zur vierten Schlüsselstelle.«
»Es sind schöne Lieder.«
»Vielleicht später, Paps.«
»Nun lass das Kind schon in Frieden!«, sagte Rabienne leise, doch mit Schärfe.
Yugen fügte sich, nicht zum ersten Mal frustriert, dass niemand in der Familie seine Leidenschaft für die Frühgeschichte der menschlichen Raumfahrt teilte. Er war Terra-Nostalgiker, spezialisiert auf jene Epoche, in der Perry Rhodan und Reginald Bull aufgewachsen waren.
»Verflixt!«, schimpfte Aria und schüttelte ärgerlich die Holosphäre. »Wieder nicht geschafft. Darf ich noch einen Versuch, Mama?«
»Einen allerletzten. Und dann ab ins Bett.«
»Aber du hast gesagt, dass ich morgen nicht zur Schule muss.«
»Trotzdem. Keine Widerrede, kleines Fräulein. Wir haben am morgigen Tag sehr viel zu erledigen.«
Soso, dachte Yugen bitter. Aus Rabiennes Sicht war die Entscheidung offenbar bereits gefallen. Sie betrachtete die für diesen Abend vereinbarte elterliche Unterredung wohl nur noch als Formsache.
Wer interessierte sich schon für seine Argumente?
*
Nachdem ihre achtjährige Tochter fertig gespielt, die Zähne geputzt und sich ins Kinderzimmer verzogen hatte, sagte Yugen: »Und?«
Rabienne ging zur Küchenzeile. Sie schenkte sich ein Glas Rotwein ein. »Magst du auch?«
»Danke, ich bleibe beim Bier.«
Sie setzte sich zu ihm an den Esstisch. »Prost!«
Yugen schwieg. Dass der Ausdruck prosit aus dem Lateinischen stammte und über die studentischen Kneipen des achtzehnten Jahrhunderts alter Zeitrechnung Eingang in viele Sprachen und später auch ins Interkosmo gefunden hatte, hätte seine Frau nicht hören wollen.
Als erriete sie Yugens Gedanken, sagte Rabienne: »Warum nur klebst du immerzu an der Vergangenheit? Fürchtest du dich so sehr vor der Zukunft?«
»Ich bin nicht ängstlich. Bloß ... skeptisch. Die Menschheit ist schon zu oft auf falsche Propheten hereingefallen.«
»Du traust Delorian nicht.«
»Er verspricht sehr, sehr viel.«
»Delorian Rhodan.« Sie betonte den Nachnamen in fast schon spöttischer Weise.
»Er ist Perrys Sohn. Na und? Das war Thomas Cardif auch. Wir wissen, wie er geendet ist.«
»Die zwei kannst du nun wirklich nicht vergleichen.«
»Auch Michael Rhodan alias Roi Danton hatte lange Zeit ein, ähem, distanziertes Verhältnis zu seinem Vater. Und Kantiran Rhodan hat immerhin seine eigene Mutter getötet.«
»Wieso soll es bei Unsterblichen keine Familientragödien geben?« Rabienne lachte. »Vielleicht liegt's ja auch am übermächtigen Ego deines vergötterten Perry, dass praktisch all seine Sprösslinge gegen ihn aufbegehren.«
»Das ist nicht witzig.«
»Komm, Yugen. Ich wollte dich nicht kränken.«
»Okay. – Du hast ja recht. Genau deswegen mache ich mir Sorgen. Dass Delorian seinem Vater etwas beweisen will und sich dabei übernimmt. Und dass er alle, die ihm gutgläubig folgen, mit in einen Abgrund ohne Wiederkehr reißt.«
Rabienne seufzte. »Du bist immer so negativ.«
»Ich?« Er wollte auf den Tisch schlagen, stoppte aber gerade noch rechtzeitig ab. »Was soll das überhaupt heißen, negativ? Delorian intrigiert mit negativen Superintelligenzen herum! Etliche seiner Verbündeten erscheinen mir ganz und gar nicht koscher.«
»Toufec finde ich gut.«
Das hasste Yugen so an den Diskussionen mit seiner Angetrauten: Ständig glitt sie vom Thema ab und verzettelte sich vom Hundertsten ins Tausendste.
Er musste sich zurückhalten, damit das Gespräch nicht zum Streit ausartete. Dieser Abend, diese Entscheidung war zu wichtig, als dass Yugen seinen Emotionen freien Lauf lassen durfte.
Falls sie einander wie üblich anbrüllten und danach in eisiger Stimmung schlafen gingen, war die letzte Chance auf eine gütliche Einigung vertan. Deshalb beherrschte er sich, so schwer es ihm auch fiel.
Das Gemeine und Unfaire daran war: Natürlich trug er die Verantwortung. Sie plapperte einfach fröhlich drauflos, wie es ihr in den Sinn kam.
»Dieser Toufec mag ja ein cooler Typ sein«, lenkte Yugen ein. »Trotzdem stellt er nur eine Randfigur im großen Puppenspiel dar. Primär geht es um Delorian und dessen undurchschaubare Motive.«
»Was ist daran undurchschaubar? Er will im Grunde dasselbe wie sein Vater: das Wohl der Menschheit. Dank seiner Funktion als Chronist der positiven Superintelligenz ES, die er eine halbe Ewigkeit lang ausgeübt hat, verfügt er allerdings über die Möglichkeiten, es besser zu machen.«
»Behauptet er jedenfalls.«
»Delorian hat mehr als einmal den Beweis geliefert. Den Sextadim-Schirm zum Beispiel.«
»Hmpf.« Insgeheim musste Yugen zugeben, dieses Argument nicht schlüssig entkräften zu können.
»Wir erleben eine Art Generationswechsel. Lang überfällig, wenn du mich fragst. Ich für mein Teil glaube Delorian, dass er es gut mit uns meint.«
Yugen zuckte die Achseln, hilflos. Er schätzte es nicht, in die Defensive zu geraten. Ihm wollten jedoch partout keine vernünftigen Widerworte einfallen; zumal er ahnte, welches Geschütz seine Frau als nächstes auffahren würde.
Prompt fragte sie eindringlich: »Hattest du denn keine Vision?«
»Schon. Aber ... sie war zu schön, um wahr zu sein.«
*
Als Delorian zu den Terranern sprach ...
Es lag einige Tage zurück; mehr als zwei Wochen. Gleichwohl war Yugen Estmon-Winters Erinnerung noch frisch.
Delorian hatte einen eleganten, zeitlos geschnittenen Anzug getragen und darin bemerkenswert smart ausgesehen. Keineswegs verbraucht und gebeugt von der Jahrmillionenlast, ganz im Gegenteil – sein Alter schien sich in pure Erfahrung verklärt zu haben, wenn nicht in unendliche Weisheit.
»Reden wir über Terra. Reden wir über das Solsystem«, hatte er gesagt. »Reden wir darüber, wie oft die Urheimat der Menschheit schon das Interesse übelwollender Machtgefüge oder einzelner, negativer Entitäten erregt hat – in den meisten Fällen zum Nachteil der Bewohner.«
An Milliarden Orten des in die Anomalie entführten Sonnensystems war Delorian zu sehen und zu hören gewesen; sein Abbild natürlich, jedoch intensiver, präsenter als bei gewöhnlichen Holoprojektionen.
Aufrecht stehend, fast lässig, das Gesagte mit sparsamen Gesten unterstreichend, hatte er viele der Invasionen und Verheerungen aufgezählt, die im Laufe der letzten drei Jahrtausende über die Menschenwelten gekommen waren. Delorian hatte auch nicht vergessen, die Vorzeit zu erwähnen, den Aufstieg und Untergang des Lemurischen Reiches.
»Immer wieder hat die Bevölkerung des Solsystems, egal ob Lemurer, Menschen oder Terraner, teuer bezahlt; oft mit ihrem Leben oder dem Leben ihrer Angehörigen.«
Wer hätte ihm diesbezüglich nicht zugestimmt?
Es sei dringend nötig, einen Schlussstrich zu ziehen, so lautete Delorians Botschaft an die Terraner. »Es ist genug. Hoch an der Zeit, Frieden zu finden. Einen Ort, an dem wir sicher sind. Nicht nur für jetzt und im Schutz technischer Anlagen, sondern für immer. Einen Ort, an dem wir unangreifbar sind.«
Mit der hochstehenden Technologie seines Schiffes, der TOLBA, hatte er einen Eindruck davon vermittelt, wie dieser Ort beschaffen wäre. Ausdrücklich hatte der alterslos erscheinende Mann beteuert, dass sein Angebot auf Freiwilligkeit beruhe: Nur wer sich den Visionen öffnete und bewusst darauf einließe, würde darin eingebunden werden.
Eine suggestive Beeinflussung fände nicht statt. Der Bildwerfer nähme keinerlei Manipulation des Willens vor. Im Übrigen würde der gesamte Vorgang von Mitarbeitern des Terranischen Residenten Reginald Bull überwacht.
Yugen traute dem vorgeblichen Heilsbringer nur bedingt. Aber daran, dass auf Bully Verlass war, glaubte er felsenfest.
Letztlich hatte seine Neugier den Argwohn besiegt. Yugen hatte einen Blick riskiert.
Und das Paradies geschaut ...
*
Das Paradies ist ein heller, lang gestreckter Raum mit himmelblauen Vorhängen. Wände, Decke, Boden und Möbel sind überwiegend elfenbeinweiß.
Gegenüber einem offenen Kamin steht ein riesiges, fast fünf Meter breites Sofa. Eine junge, blonde, vollbusige Frau in weißem Abendkleid sitzt zwischen zwei auf sehr unterschiedliche Weise attraktiven Männern.
Der eine lächelt, dass die makellosen Zähne blitzen. Er strahlt Macht und Souveränität aus.
Der andere verfügt ebenfalls über reichlich Charisma, wirkt jedoch zurückhaltender, dafür sportlicher. Dass beide die wunderschöne Frau lieben und sie ihrerseits in beide verliebt ist, lässt sich nicht übersehen.
»Ein wenig kitschig«, befand Yugen Estmon-Winter, »und ziemlich unrealistisch. Dieses Zusammentreffen, meine ich. Marilyn zwischen Joe DiMaggio und JFK? Wann soll das gewesen sein?«
»Wir sind in keiner Zeit«, sagte Delorian, dessen Anzug sich perfekt in die geschmackvolle, weil stilsichere Art-déco-Einrichtung einfügte. Verschwörerisch zwinkernd spottete er: »Zeitreisen sind verboten. Wie war das noch? Eins, zwei, drei – kommt die Zeitpolizei!«
»Verstehe. Alles spielt sich nur in meinem Kopf ab.«
»Natürlich!« Delorian lachte dröhnend. »Aber spielt sich nicht überhaupt alles nur in deinem Kopf ab? Ist nicht die ganze Realität letztlich deine Realität?«
»Ich weiß nicht. Diese Szene habe ich mir jedenfalls nie bewusst vorgestellt. Obwohl ... Vielleicht wünsche ich mir ja tatsächlich etwas in der Art ...« Yugen fühlte sich irgendwie ertappt.
»Jeder sieht, was er am meisten begehrt.«
»Alle gleichzeitig, dein gesamtes Publikum? Respekt vor der Maschinerie deines Schiffes.«
Delorian machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Im Ernst: Was ist das für ein magisches Gerät?« Als Positronik-Informatiker musste Yugen einfach nachbohren.
»Ja, wie heißt es gleich?« Delorian tat, als überlege er. Einige Atemzüge verstrichen.
Dann tippte er Yugen leicht mit Zeige- und Mittelfinger gegen die Schläfe. »Ich denke, man nennt es Gehirn. Oder Gedächtnis. Ich würde andere Bezeichnungen vorziehen. Ich bin da ein bisschen altmodisch, weißt du. Ich würde sagen: der Geist. Der Geist, der wir sind und der begehrt, glücklich zu sein.«
»Alle gleichzeitig«, wiederholte Yugen, unfähig, sich der Faszination zu entziehen. »Und jeder und jede Einzelne sieht dabei dich als Begleiter?«
»Ich habe gelernt, vielfältig zu sein.«
*
Links vom Eingang zum Paradies befindet sich das Esszimmer. Es ist voller Persönlichkeiten aus derselben Epoche, deren Höhepunkt die erste Mondlandung bilden sollte.
Aber nur Juri Gagarin sitzt am überreich gedeckten Tisch, keiner der US-amerikanischen Astronauten. Der russische Raumfahrtpionier scherzt mit Groucho Marx und Ella Fitzgerald.
Am gegenüberliegenden Ende des Foyers liegt das Musikzimmer. Dort stehen ein klobiger, altertümlicher Bildschirm und ein Konzertflügel, an dem rauchend ein dürrer Mann mit dunkler Sonnenbrille lehnt.
Die Musik und der unverkennbare Gesang dringen jedoch aus einem anderen Raum, dessen Tür, zwischen der großen Treppe und dem Kamin, halb offen steht.
»Nur zu«, sagte Delorian. »Geh ruhig hinein. Du bist willkommen. Du bist hier zu Hause.«
»In Graceland?« Yugen schüttelte den Kopf. Das kam ihm anmaßend vor.
»Es ist dein Paradies. Komm schon!«
Mit Mühe überwand Yugen seine Befangenheit, ging zur Tür, die Delorian ihm aufhielt, und trat ein. Scheu, ehrfürchtig sah er sich um.
Der »Jungle Room« ist mit Tropenhölzern ausgekleidet. Polynesische Schnitzereien verzieren das Mobiliar; Sessel, Couchs und Barhocker sind mit Kunstfellen tapeziert.
Die Band ... rockt, man kann es nicht anders ausdrücken. Dabei fläzen sich alle Musiker entspannt auf den diversen Sitzgelegenheiten. David Briggs greift in die Tasten, Ronnie Tutt rührt mit lockerem Handgelenk die Trommeln, Jerry Scheffs Bass legt ein verlässliches Fundament.
Gleich drei Leute spielen Gitarre: James Burton, John Wilkinson ... und der Mann im Zentrum, der, um den sich alles dreht.
Elvis singt: »I'm so hurt / to things that you lied to me. / I'm hurt / way down deep inside me. / You said your love was true and we'd never, ever part. / Now wants someone new, and it breaks, it breaks my heart ...«
*
»Unsinn«, zischte Yugen aus dem Mundwinkel Delorian zu. »Das Lied wurde in diesem Raum aufgenommen, ja, aber erst 1976, nach dem Umbau in ein Tonstudio! Da war Marilyn Monroe bereits, äh, dreizehn Jahre tot. Und John F. Kennedy, grob gerechnet, ebenfalls.«
»Für die Details kann ich nichts. Da musst du schon deine eigene Phantasie kritisieren. Jedenfalls bedeutet dir all das viel, sonst wären wir nicht hier.«
Aufgewühlt gab Yugen zu: »Freilich ist ›Hurt‹ eines meiner Lieblingslieder, und ich habe immer davon geträumt, es einmal vom King persönlich hören zu können. Live, meine ich. Aber ...«
»Was?«
Yugen antwortete nicht. Er mochte das Lied so gern, weil es in einfachen Worten seine eigene Verzweiflung zum Ausdruck brachte.
Sie hatte von wahrer Liebe gesprochen und dass sie sich nie trennen würden. Aber dann wollte sie doch etwas anderes, und das brach ihm das Herz ... »Wo ist eigentlich meine Familie?«
»Frag nicht mich, sondern dich selbst.«
Vielleicht draußen im Garten? Hinten in der Garage, bei der Autosammlung oder den Flugzeugen oder ... am Grab, vor dem Pool mit den Springbrunnen?
»Mir wird das zu viel«, sagte Yugen. »Dieses verlogene Idyll. Sowohl Elvis als auch Marilyn sind an einer Medikamenten-Überdosis gestorben, verstehst du? Und sie waren beileibe nicht die Einzigen, die ihrer Sucht zum Opfer fielen. Außerdem, wo stecken Reginald Bull und Perry Rhodan, dein Vater?«
Delorian zuckte die Achseln. »Nochmals: Du bist es, der diese Vision ausgestaltet, nicht ich. – Aber willst du die Gelegenheit denn wirklich nicht ergreifen und dich mit deinen Idolen bekannt machen?« Einladend deutete er auf den Sänger, der eben fulminant die zweite Strophe beendete.
»Er ist tot«, sagte Yugen. »Elvis hat dieses Gebäude verlassen. In Wahrheit lebt er nicht mehr.«
»Ja und nein.«
»Was soll das heißen?«
»Wollen wir nicht alle in der Wahrheit leben, auf immer und ewig? Stell ihm eine Frage! Dein Elvis wird sie beantworten, nach bestem Wissen und Gewissen.«
Yugen schauderte. Antworten auf seine Fragen. Oh ja, wie sehr er sich danach sehnte!
Gleichwohl ...
»Wenn alles nur in meinem Kopf ist«, sagte er, sich an die Gesetze der Logik klammernd, »kann ich keine neuen Erkenntnisse gewinnen. Das Paradies, das ich mir offenbar wie ein mythisches Graceland ausmale, ist ein Trugbild, eine Schimäre. Genuss ohne Reue, davon träumt jeder. Leider gibt es so etwas nicht.«