Deutsche Erstausgabe
© 2011 by ONKEL & ONKEL, Berlin
Titel der norwegischen Originalausgabe:
Den sjenerte pornografen
© 1999 by Gyldendal Norsk Forlag AS
This translation has been published
with the financial support of NORLA.
Alle Rechte vorbehalten
All rights reserved
Herausgeber: Volker Oppmann
Übersetzung: Gabriele Haefs
Lektorat: Malte Vogt und Jana Kühn
Korrektorat: Christel Dobenecker
Gestaltung: Alexander Rübsam
Gesetzt aus der Custodia
ISBN 978-3-940029-88-1
eISBN 978-3-943945-04-1
www.onkelundonkel.com
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Im Kopf des Jungen gab es eine Karte der Welt.
Diese Karte im Kopf war aus Licht.
Es gab Städte. Bildschirme. Körper. Licht. Eine ganze Welt.
Er lief umher und schaute.
Die Welt sei in sich zusammengeschmolzen, fand er.
Es gab eine Zeit und viele Zeiten.
Der Junge lief umher und schaute.
Die Sonne schien in seinen Schädel.
Die Wärme breitete sich aus.
Die Bildschirme leuchteten so stark wie die Sonne.
Sie strahlten in den Kopf des Jungen und schufen Bilder
von Städten und Bildschirmen und Körpern.
Zuerst wollte er das nicht sehen.
Aber dann entdeckte er dort oben ein Bild seiner selbst,
im Gewimmel aus perfekten Körpern.
Er hatte eine Scheibe aus Licht im Bauch. Die Sonne ging auf und näherte sich seiner Brust, es glühte und brannte. Er saß auf der Bank und starrte die Tasche an. Das Kleid war strohgelb mit dünnen blauen Streifen, und vorne auf dem Kleid, gleich unter Saras Kinn, war eine Tasche. Was befand sich in der Tasche? Saras Finger streiften über das Kleid, während sie zu Hausdächern und Himmel hochschaute. Saras Augen waren groß. Der Birnbaum über der Bank war tot. Der Himmel wechselte die Farbe. Bald kam der Herbst. Ihre Pupillen blinkten. Sie war morgens immer so geheimnisvoll. Was steckte in der Tasche? Er hustete einmal und sagte:
Was hast du heute mitgebracht?
Die Sonne glitt über den Rand des Brustbeins und schien auf die dunkle Ebene des Herzens. Es glühte in der Brust, bald würde er voller Licht sein.
Sara schloss die Augen und rieb sich den Bauch, die Tasche. Offenbar dachte sie an etwas, das so schön war, dass man unmöglich darüber sprechen konnte. Simon starrte die Tasche an. Was war in der Tasche? Wenn er Geld gehabt hätte, hätte er ihr Geld gegeben, und dann hätte er sehen können, was unten in der Tasche war. Eine Möwe flog lautlos über die Hausdächer. Der Himmel war ein Traum für eine Möwe. Er dachte an das Leben in der Nacht, an das Geräusch der Möwenflügel über den Dächern. Saras Lächeln funkelte.
Er wurde krank vor Licht, wenn Sara auf diese Weise funkelte. Hör auf! Er würde platzen, wenn sie nicht aufhörte zu funkeln. Was steckte in der Tasche? Sein Kopf kochte vor Licht. Er wünschte, die Sonne verschwände. Er versuchte, an etwas Dunkles und Trauriges zu denken.
Es war Sonntagmorgen, und es war halb acht. Alle Erwachsenen im Haus schliefen, kein Geräusch war zu hören. Simon und Sara saßen im Hinterhof unter dem toten Birnbaum und dem Himmel, der eigentlich nur ein kleiner Zipfel des Universums war. Bald würde der Sommer zu Ende sein. Sie hatte etwas in der Tasche, das er sehen wollte. Und wollte und wollte. So war es an jedem einzelnen Morgen. Sie wurden früh wach, zogen sich an und schlüpften aus dem Haus, ehe die ersten Erwachsenen aufwachten. Ab und zu stand sie früher auf als er. Dann wurde er von einem Pfiff vor dem Fenster geweckt. Das Bett war schwer von längst vergessenen Träumen. Jeden Morgen saßen sie auf der Bank und redeten, und am Ende zeigte sie ihm ein Geheimnis. Simon betrachtete ihre Finger, die blasse Haut des Halses und die tiefroten Haare, die den Hals berührten. Er schaute in ihre Augen. Ihre Lippen sahen aus wie Schnecken. Sie saßen auf der Bank unter dem toten Birnbaum, neben dem Fahrradständer, auf dem Hinterhof, im Schatten der Markusstraße 24. Sie kannten jeden Riss in der Fassade und die Muster aller Küchengardinen. Der Geruch der Kräuter aus der Wohnung im Erdgeschoss war immer derselbe. Sie kannten den Klang der Wohnzimmeruhr von Viktor im zweiten Stock und die Farben aller Schuhe von Simons Tante. Sie wussten, dass ein Mann aus P. einmal ein Foto von der Bank und vom Birnbaum und von einem nackten Mädchen gemacht hatte, aber das war lange, ehe der Birnbaum seine Blätter verlor. Sie wussten alles über dieses Mietshaus, und es war unmöglich für sie, sich vorzustellen, dass das Haus nicht immer so aussehen würde.
Sieben Tage später war alles anders. Und sieben Tage später machten sie sich nicht mehr die Mühe, irgendetwas wiederzuerkennen. Aber an diesem Morgen wussten sie nichts von dem, was geschehen würde, und wenn jemand ihnen von der Veränderung erzählt hätte, hätten sie gelacht und auf den Boden gespuckt.
Sara steckte die Hand in die Tasche. Simon sah die blassen Finger, die unter den Kleiderstoff glitten, die Hand, die verschwand, und plötzlich verspürte er eine kalte Sehnsucht nach dieser Hand. Die Sonne schien aus Saras Augen.
Es war eine Postkarte. Sie hielt sie sich dicht an die Brust und wollte sie ihm erst zeigen, wenn er please sagte. Please war die enge Tür zu den Geheimnissen. Er legte den Kopf schräg und lächelte und dachte, dass er nicht please sagen würde. An diesem Tag würde sie es nicht schaffen, ihn zu überreden. An diesem Tag war er stärker als sie, auch wenn sie lächelte und überall funkelte. Er würde nicht nachgeben. Jedes Mal musste er please sagen, um Saras Geheimnisse sehen zu dürfen, aber an diesem Tag würde er es nicht sagen. Ihr Gesicht war erbarmungslos. Bleich und wunderschön und erbarmungslos. Er würde nicht please sagen. Er musterte sie mit seinem SuperDude-Blick. Er würde kein Wort sagen, nicht ein Wort, niemals würde er es sagen. Please. Ihr Mund formte dieses widerliche Wort. Sie lächelte. Er schaute auf die Karte. Und in Saras Gesicht.
Rasch drehte sie die Vorderseite zu ihm hin. Und blitzschnell drehte sie sie zurück. Für einen Moment sah er das Bild, ein rundes Gesicht, helle Haare.
Dann steckte sie die Postkarte wieder in die Tasche in ihrem Kleid. Sein Blick folgte ihren Fingern, als sie die Karte unter den Kleiderstoff gleiten ließ.
Alles war verloren.
Sara lächelte listig. Ihre großen Augen schlossen sich, und ihr Gesicht verdüsterte sich. Er räusperte sich und sagte:
Please.
Er wusste, dass sie ihm die Postkarte zeigen würde. Ohne die Augen zu öffnen, hielt sie die Karte vor ihn hin. Er zog sie aus ihren Fingern und drehte das Bild nach oben.
Simon wusste nicht so recht, warum sie sich so sehr für die Bilder interessierte. Aber jeden Morgen brachte sie eine neue Karte aus der Sammlung von Postkarten und Fotografien ihres Onkels mit. Der hatte tausend Bilder derselben Frau. Und es war wegen dieser Sammlung, dass sie Onkel Sebastians Zimmer nicht angezündet hatten, damals, als er Sara eine Ohrfeige verpasst und sie durch das ganze Zimmer geschleudert hatte. Er besaß Bilder von dieser Frau, die noch aus dem Jahr 1945 stammten, und sie waren ziemlich wertvoll. Simon dachte: Sara stiehlt gern von Onkel Sebastian. Die Bilder aber sind das Einzige, was sie wirklich stehlen will, denn sie sind das Einzige, was Sebastian liebt. Er sah sich die Postkarte genauer an.
Das Bild stammte aus dem Jahr 1953, von den Dreharbeiten zu How to Marry a Millionaire. Marilyn trug eine kreideweiße Bluse, die vor der Brust offen war. Ihr ganzes Gesicht öffnete sich zu einem Lächeln. Das war, ehe sie so dunkle Augen bekommen hatte. Simon starrte auf ihr Muttermal, auf die Stirn und die Locken. Irgendwer schrieb, sie sei gar nicht tot, die Leiche sei ein Betrug gewesen, sie sei nicht tot, sie lebe in einem anderen Land, und jetzt sei sie eine alte Frau, Marilyn sei traurig und taub und verrückt.
Schön?
Saras Blick glitt wie eine warme Hand über Simons Gesicht. Er nickte. Sara setzte die Brille auf, die an einer Schnur um ihren Hals hing. Mit der Brille auf der Nase betrachtete sie wieder die Karte, über Simons Schulter hinweg. Er roch den Apfelduft aus ihrem Mund. Hinter den Brillengläsern waren ihre Augen blank wie Murmeln. Sie schien nach etwas zu suchen. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. Yes. Sie standen gern so und sahen sich Marilyn Monroe und ihr Muttermal und die cremeweiße Haut und die Locken und die Haare an, die sie wie ein Ring aus Licht umgaben.
Die Augen leuchten, sagte Sara. Saras Mund küsste die Luft. Simon wollte sich vorbeugen und ihren feinen Mund streicheln, die Lippen, aber natürlich wagte er das nicht, wusste, dass er es niemals wagen würde. Stattdessen lächelte er sie an, so gut er konnte, aber sie sah nicht, dass er lächelte, denn sie war damit beschäftigt, die Karte wieder in der Tasche im Kleid verschwinden zu lassen.
Zusammen gingen sie durch den Torweg, der nach Tau und bitterem Schlaf roch. Als sie die Straße betraten, war der Bürgersteig weiß vom Sonnenlicht. Sie blieben stehen und legten die Köpfe in den Nacken. Simon spürte, dass das Licht zu einer hauchdünnen Maske über seinem Gesicht wurde. Mit dieser Maske kann ich jeder sein, dachte Simon, ein Verbrecher oder ein Held oder ein Junge, der zum reichsten Mann der Welt wird. Als ihre Augenlider ganz warm waren, gingen sie weiter.
Die Markusstraße war lang und verwinkelt. Sie kamen vorbei an Bäckerei, Obsthändler, Postamt und Eisbude, aber die Eisbude war jetzt geschlossen, denn es war Sonntagmorgen, und es war erst Viertel vor acht, und alle Erwachsenen in der Markusstraße schliefen in tiefer Stille.
Sie gingen den Bürgersteig entlang, und dann schwammen sie über den Fluss aus Asphalt bis zum Ufer, wo sie sich vor Barbaras Stoffladen an Land zogen. Im Schaufenster stand Julia mit den roten Haaren, die ihr bis zum Hintern reichten. Sara sagte, alle Männer in Oder hätten ein Haar von Julias Kopf in der Brieftasche, und sie bezahlten dafür einen Meterpreis. Julia zog und zerrte an einer Stoffrolle, und sie standen da und sahen die Stoffrolle und die roten Haare, die langsam von einer Seite zur anderen schwangen. Dann drehte Julia sich plötzlich um und richtete den Blick auf sie, zuckte zusammen und hob eine Hand zum Kinn. Sie lachten, und da lächelte Julia mit ihren schönen Zähnen zurück. Sie sagte nichts, denn Julia sagte fast nie etwas, und wenn sie etwas sagte, dann mit ganz leiser Stimme. Simons Tante meinte, wenn sie sich nicht bald zusammenrisse, würde Julia aus Barbaras Laden entlassen werden, und vielleicht musste sie deshalb selbst am Sonntag arbeiten.
Der Kiesweg führte von der Rückseite des Fußballstadions durch eine Siedlung aus alten Holzhäusern bis zu dem Moor unter dem Felsrücken. Hinter einer Reihe von Kiefern lagen die Ruinen der alten Stadtmauer. Links von den Ruinen stand das Haus von Simon und Sara. Abgesehen von den Resten einer Scheune weiter draußen im Moor war ihr Haus das einzige hier, und sie konnten machen, was sie wollten, und ganz allein sein. Das Haus war immer noch nicht vollständig in Ordnung. Im Dach, zum Beispiel, waren ziemlich große Löcher, und man konnte nicht dort sein, wenn es regnete. Sie waren ziemlich arm. Deshalb mussten sie Dinge stehlen, die sie dann ins Haus stellen konnten. Mittlerweile hatten sie zwei Stühle, einen roten Hocker, ein Sieb, das an einem Nagel hing, vier einzelne Schubladen mit verbogenen Gabeln und Messern mit prachtvollen Griffen. Sie hatten eine zerbrochene Kaffeetasse und eine unversehrte Thermoskanne und ein Plakat von einer nackten Frau in einem Dschungel. Auf einem Regal stand eine alte Stechuhr. In einer Ecke des Wohnzimmers gab es einen Fernseher, aber der funktionierte nicht.
Simon und Sara gingen zu ihrem Haus und blieben vor dem Briefkasten stehen, der auf einem Pfosten befestigt war. Simon zog ein kleines Hängeschloss und zwei Schlüssel aus der Hosentasche.
Wo hast du den her?
Von zu Hause.
Was sollen wir damit?
Alle Menschen brauchen einen Briefkasten.
Er gab Sara einen der beiden Schlüssel.
Danke, sagte sie und steckte den Schlüssel in ihre Tasche.
Simon beugte sich zu dem Briefkasten vor und brachte das Schloss an. Mit weißen Buchstaben war ein Name auf den Kasten geschrieben. Bivur stand dort. Das war der Mann, der einmal im Haus gewohnt hatte. Aber jetzt war er weit weg, in einer Wüste, und bald würde Simon seinen eigenen und Saras Namen auf den Briefkasten schreiben.
Sie standen da und schauten das Haus an, und dann fingen sie an zu lachen, ohne zu wissen, warum.
Sara betrat das Haus. Heute war sie an der Reihe mit Kochen. Simon nahm die Büchse und ging hinaus in das Moor, um ein Stück Wild zu erlegen. Er freute sich darauf, Saras Stimme zu hören:
Ein Wildschwein!
Er stellte sich vor, was sie denken würde. Du bist der mutigste Jäger auf der ganzen Welt.
Simons Urgroßvater war noch mutiger gewesen. Er war Soldat und kämpfte gegen die Deutschen. Er bekam einen geheimen Auftrag. Er sollte einen deutschen General umbringen. Die Bauern schmuggelten ihn in einem Karren mit Lebensmitteln zum Stützpunkt der Deutschen. Er versteckte sich in einem Lagerhaus und wollte den General erschießen, wenn dieser morgens die Soldaten inspizierte. Die Mutter hatte die Geschichte mehrmals erzählt, und Simon sah die angespannte Gestalt deutlich vor sich, wie sie zwischen den Getreidesäcken saß und auf das Morgenlicht wartete. Da wusste der Urgroßvater noch nicht, dass er bald von einem Schuss in den Nacken getötet werden würde.
Simon blieb stehen und hob den Blick zum Himmel und zum blaugrauen Schatten des Felsrückens. Der Urgroßvater hatte auch Simon geheißen, und die Mutter sagte, er sei der einzige Held in der Familie. Die anderen seien eine Ansammlung von Waschlappen und Stadtratten, lachte sie.
Einmal erzählte Sara ihm ein Geheimnis. Das war draußen im Moor begraben. Das Geheimnis war ein Stein, in den sie mit einem Nagel ihre Namen eingeritzt hatten. Simon kam an der Stelle vorbei, wo der Stein begraben war. Er blieb stehen und dachte an den Stein mit ihren Namen, und dann ging er weiter. Der Stein mit ihren Namen. Das Moor, das Moorwasser, das Moor, das das Geheimnis für sich behält. Es war mehrere Monate her, es war im Winter gewesen. Er war davon erwacht, dass jemand an seiner Schulter rüttelte. Es war mitten in der Nacht. Sara saß auf der Bettkante, ihr Blick glitt wie Nachtstein über sein Gesicht. Kann ich ein bisschen hier liegen, fragte sie und schlüpfte unter die Decke. Sie drückte ihr Gesicht ins Kissen. Wie bist du reingekommen? Sie gab keine Antwort. Simon versuchte, ruhig neben ihrem kalten Arm zu liegen. Im Hinterhof hörte er eine Möwe schreien. Er sagte: Was ist los? Es war lange still, dann erzählte sie ihm, was Sebastian getan hatte. Sie sprach mit kleiner, heiserer Stimme, und Simon dachte, dass das nicht ihre Stimme sei. Er wollte nicht zuhören, er wollte schlafen und aufwachen und entdecken, dass sie neben ihm lag und dass sie warm war und lächelte und mit ruhiger Stimme erzählte. Sebastian zwang sie, im eiskalten Badewasser zu sitzen, bis sie um Entschuldigung bat. Sie wollte kein Wort sagen. Er öffnete die Tür und blies den Rauch seiner Zigarre in ihr Gesicht und fragte, ob sie etwas zu sagen habe. Sie schüttelte den Kopf. Er warf Eiswürfel ins Wasser und blies Sara mit Zigarrenrauch an und fragte, ob sie etwas zu sagen habe. Sie rief um Hilfe, aber niemand hörte. Am Ende bat sie um Entschuldigung. Simon wollte sich wegdrehen und in einen Traum von etwas ganz anderem sinken, aber Sara wollte, dass er versprach. Er versprach, es niemals irgendwem zu erzählen. Am Tag darauf ritzten sie ihre Namen in einen Stein und versprachen einander, ihre Geheimnisse heilig zu halten. Sara sagte das mit feierlicher Stimme. Als sie den Stein in das Moorloch fallen ließen, legte sie den Kopf an seine Schulter, und dann umarmten sie sich.
Simon versteckte sich hinter einer Kiefer. Sein Jägerblick folgte jedem Windstoß, der über den Boden fuhr. Er spürte es: Bald würde ein Wildschwein auftauchen.
Er brauchte nur zu warten.
Die Wohnung in der Markusstraße hatte überall kleine Runzeln. Simon betrachtete die Rosette unter der Decke und die Tapete an der Wand. Die Tapete war älter als Simon und die Mutter und Tante Elena zusammen. 12 + 33 + 37. Sie waren insgesamt 82 Jahre alt, und die Wohnung war 109. Bevor Tante Elena und die Mutter eingezogen waren, hatte hier ein alter Mann gehaust. Der alte Mann hatte schlimme Augen gehabt und war am Ende blind geworden. Dann hatte er die große Wohnung nicht mehr sehen können. Er sah nur noch Dunkelrot. Das war natürlich traurig für den alten Mann, aber schön für Simon und die Mutter und Tante Elena. Es ist, wie es ist, sagte Tante Elena mit ruhiger Miene, und dann gab es nichts mehr zu sagen. Die Wohnung war gemütlich, obwohl es dunkel im Wohnzimmer war. Tante Elena hatte Ausschlag am Hals. Sie schmierte sich mit einer Creme aus Gurken ein. Sie stand im Badezimmer und schaute in den Spiegel und rief zu Simon, ich glaube, es ist eine Allergie. Alle Möbel gehörten Tante Elena. Das Ledersofa, die Perserteppiche, die Lampen, die aussahen wie Blütenzweige, und die Gipsköpfe, die Bücherregale und die Schränke aus dunklem Holz. Veronika interessierte sich nicht für Möbel. Sie interessierte sich vor allem für Theater. Sie kam ins Wohnzimmer und sagte, mach’s gut, mein Junge. Er sagte: Was spielst du denn? Ein Stück von Strindberg. Ist das witzig?, fragte er und lächelte sie an. Es ist sehr traurig, sagte sie und lachte. Sie küsste ihn auf die Stirn und verließ das Zimmer. Sie roch nach einem Parfüm der Marke Chloé. Tante Elena hatte lichtempfindliche Augen. Deshalb war es dunkel im Wohnzimmer. Nur eine Lampe. Tante Elena sagte, sie müsste eine Sonnenbrille tragen, wenn sie weitere Lampen anschafften. In der Decke gab es einen langen schmalen Riss. Der war nicht gefährlich. Simon hob ein Buch vom Boden auf und las weiter über Marilyn. Sie fühlte sich ebenfalls hinter heruntergelassenen Jalousien am wohlsten. Ab und zu war sie betrunken. Es kam vor, dass Veronika einen Wodka-Soda trank, ehe sie ins Theater ging, aber betrunken war sie nicht. Um betrunken zu sein, musste man torkeln. Er sah vor sich, wie Marilyn in einem wunderschönen Zimmer hinter heruntergelassenen Jalousien hin und her torkelte. Am liebsten wäre er Millionär gewesen. Millionaire. Bald würde er herausfinden, wie er das schaffen könnte. Elena hatte immer irgendeinen Ausschlag. Einmal hatte sie Ausschlag in den Kniekehlen. Kleine lila Flecken. Seine Mutter war eine gute Schauspielerin. Das war noch schwieriger, als Millionär zu werden. Millionäre konnten sagen, was immer sie wollten. Es wurde ganz still, wenn ein Millionär sich erhob, um etwas zu sagen. Selbst wenn der Millionär eine Piepsstimme hatte, wagte niemand zu lachen. Am Vortag hatte er in einem Buch einen seltsamen Jungen gesehen. Der Junge hatte keinen Mund. Da war nur Haut, wo der Mund hätte sein müssen, und im Buch war nichts von einer Zunge zu sehen oder zu lesen. Marilyn war mit einem Schriftsteller verheiratet, der Arthur hieß. Sie waren ziemlich glücklich, und Arthur schrieb einen Film für Marilyn, The Misfits. Manche hielten Marilyn für einen Engel, und andere glaubten, sie sei ermordet worden, weil sie zu viel über jemanden gewusst hatte, den sie nicht so gut kannte. Die Wohnung in der Markusstraße war gemütlich. Es gefiel ihm, dass es dunkel war, und es machte ihm nichts aus, dass es im Wohnzimmer nur eine Lampe gab. Er legte das Buch weg, als Tante Elena rief. Sie saßen in der Küche und aßen Sauerteigbrot mit Marmelade. Vom Küchenfenster aus blickte er in die Wohnung der Leute, die auf der anderen Seite des Hinterhofes wohnten. Simon legte den Kopf schräg und schaute in das gegenüberliegende Wohnzimmer. Ein Mann und eine Frau tanzten langsam hin und her. Jetzt blieben sie stehen, und der Mann lachte, aber sein Gesicht sah nicht glücklich aus. Die Frau ging zum Fenster und riss es auf. Sie schloss die Augen und öffnete den Mund. Sie war jung. Simon konnte ihre Nase, die Haare und die geschlossenen Augen sehen. Er wusste, dass sie weinte. Da sagte Tante Elena: Ist es jetzt weg? Simon drehte sich um und schaute auf ihren Hals. Er reckte sich. Sie streckte ihm den Hals entgegen. Er sah keine Flecken. Trotzdem schüttelte er den Kopf und schaute wieder aus dem Fenster.
Wirst du jetzt wieder schweigsam, Simon?, fragte Tante Elena resigniert.
Als Simon und Sara morgens aus dem Haus kamen, lag dichter Nebel über Hinterhof und Bank und Birnbaum. Simon dachte: Am Tag, nachdem ich gelogen habe, gibt es immer schlechtes Wetter. Tante Elena sagte oft: Lüge und Gedicht geben trübe Sicht. Simon und Sara standen auf gegenüberliegenden Seiten des Hinterhofes und riefen einander zu. Sie waren blind und hatten die Arme ausgestreckt. Sie stolperten über den Fahrradständer und fielen auf dem Rasen übereinander. Sie lachten und waren ziemlich glücklich, obwohl sie blind waren.
Es waren Sommerferien, und die Schule schlief in einem Traum aus Sorgen um die gemeinen Streiche der Schüler. Aber die dachten nicht an die Schule. Die Ferien würden noch eine Woche dauern. Es war Sonntag, und die Erwachsenen mussten zur Arbeit, da konnten sie im Haus sein und machen, was sie wollten; sie schauten in verbotene Schubladen und schlossen verbotene Schränke auf. Jetzt saßen sie auf der Bank und warteten darauf, dass die Erwachsenen verschwanden. Erst kam Simons Tante Elena. Sie trug Schuhe mit einem Blumenmuster und sang, während sie Simon und Sara anlächelte. Tante Elena arbeitete von acht bis eins in einem Konfektionsgeschäft. Nach einer Weile entdeckten sie auf der Treppe Saras Onkel. Er kläffte sie an, es war so etwas wie eine Ermahnung, und sie murmelten, ja, sicher. Zigarrenrauch trieb über die Bank. Blitzschnell setzten sie die Gasmasken auf. Saras Mutter guckte sie seltsam an, erwähnte aber weder die Gasmasken noch den giftigen Rauch. Sie zog ihr Rad aus dem Fahrradständer und musterte Sara streng. Das machte sie immer. Dann fuhr sie davon.
Sara wohnte mit ihrer Mutter und Onkel Sebastian in der Kellerwohnung. Saras Mutter putzte im Rathaus. Alle wussten, was der Onkel machte, aber niemand redete laut darüber. Als Simon sie zum ersten Mal gefragt hatte, sagte Sara, er verkaufe Zeitschriften und Spielwaren. Aber nicht für Kinder, sagte sie. Was denn für Zeitschriften und Spielwaren?, fragte Simon, aber Sara gab keine Antwort.
Simon fand Sebastian ohnehin blöd.
Später erfuhr er mehr über die Firma, die Zeitschriften und die Spielwaren. Sara erzählte ihm so einiges über den Blödmann. Und ab und zu zeigte sie ihm Dinge, die Simon eigentlich gar nicht sehen wollte, von denen sein Magen schwer wurde und sein Kopf wirr. Es waren Bilder von lüsternen Menschen und ihren Wörtern. Simon nannte es Wörter, weil er die vielen fiesen Wörter nicht aussprechen wollte. Hin und wieder sagte Veronika das f-Wort und das v-Wort mit offenem und lachendem Mund. Simon weigerte sich, es zu sagen. Es war widerlich. F und V brannten in seinem Mund. Schaum stand auf seinen Lippen. Die Augen des Jungen funkelten. F… leuchtete wie Blitz am Himmel auf. Er versank in V… Es war ein Brunnen ohne Boden. Es blitzte vom Himmel und brannte im Mund, und der Kopf versank im Brunnen. Die Leute verstanden gar nichts. Die Leute glaubten, die Wörter besäßen keine Kräfte. Die Wörter sangen in der Brust und brannten im Mund. Die Wörter machten Wörter aus dem Gehirn. Die Zunge war Wörter, und die Welt war nur noch die Wörter, die man darauf spuckte. Als Simon die Mutter nackt auf der Bühne sah, fand er das nicht seltsam. Die Leute fragten, ob er das seltsam finde. Nein, sie war schön auf der Bühne. Ihre Haare und ihr Hals und ihr Körper waren schön. Simon fand es gar nicht seltsam. Aber als sie f… sagte, wandte er sich ab und schloss die Augen und stellte sich taub. Sie sagte es immer wieder. Danach wollte er nicht mehr ins Theater gehen. Er stellte sich vor, dass das Wort in ihrem Mund aufquoll und dass ihr Körper zu dem wurde, was sie sagte. Er war krank. Er hatte Fieber und lag im Schlafzimmer der Mutter und trank Saft und fantasierte. Die Wörter veränderten sie. Sie wurde zu einem rotglühenden Sch… Bäche aus Schleim strömten aus ihren Ohren.
Einmal sah er zusammen mit Sara eine Fernsehsendung. Es war eine Reportage aus dem Land P., aus der Hauptstadt. Sie sahen eine Aufnahme aus einer Bildschirmstraße. Die Verbraucher liefen zwischen Wänden mit Bildern von roten Geschlechtsteilen umher. In den Einkaufsstraßen gab es Bilder von Apfelsinen und Lippen, Computern und Pobacken, Brüsten und Parfüm. Ein Bildschöpfer saß in seinem Büro und redete. Die Produkte, darüber redete er, über die Verbraucher, die Waren, die Bildschirme, aber die Wörter erwähnte er nicht. Da waren Bilder von Sch… und F… auf den Bildschirmen, aber der Bildschöpfer lächelte und redete über Verbraucher und Prognosen. Sara grinste und zeigte und errötete und stupste Simon in die Seite. Simon hatte die Augen abgeschaltet. Er starrte auf den Bildschirm, sah aber nur Buchstaben, die den Schirm füllten.
Saras Vater war tot. Er lag auf einem Friedhof in einer anderen Stadt, Sara war auf diesem Friedhof gewesen. Sie sagte, der sei voller verfaulter Blumen. Sara war erst fünf, als ihr Vater starb. Er starb an einer Leberkrankheit. Sie wohnten in dieser anderen Stadt. Der Vater bekam lila Flecken im Gesicht. Sie sahen aus wie kleine Münzen, die zu lange im Wasser gelegen hatten. Sein Gesicht war rund und fröhlich. Er ging gern mit Sara und ihrem Hund spazieren, es war ein Collie, er hieß Kandinsky. Saras Vater ging es immer schlechter. Am Ende konnte er nicht mehr spazieren gehen. Er erzählte Sara Geschichten über Marie Curie und Alexander Fleming. Penizillin ist ein Schimmelpilz. Saras Vater war Forscher. Er war Biologe. Jeden Morgen ging er in der anderen Stadt zur Universität. Er sang gern, und oft sang er beim Autofahren Opernarien. Sara sagte, er habe ein wenig zu gern gegessen. Nicht, dass er dick gewesen wäre, aber eben doch ziemlich rundlich. Oft brachte er ein kleines Spielzeug für Sara mit, wenn er von der Arbeit kam. Er küsste Sara auf die Stirn und drückte Saras Mutter, bis sie kreischte. Dann starb er. Über Simons Vater wussten sie nichts, deshalb sprachen sie nie über ihn. Er war der Mann aus dem Lande Nichts.
Sara las alles über das Universum, was sie finden konnte. Sie hatte eine ganze Schublade voller Bücher über Asteroiden, Planeten, Galaxien, Supernovas und schwarze Löcher. Simon dachte, sie habe das gesamte Universum im Kopf. Er hörte gern zu, wie sie davon erzählte. Ihre Stimme wurde dunkel und ernst und klang wie die Stimme einer Lehrerin. Simon hätte gern die Augen geschlossen und den Kopf in ihren Schoß gelegt. Vielleicht hätte sie das glücklich gemacht. Nein, nicht glücklich – wütend. Sicher. Die Stimme war dunkel und sang ein wenig. Er wusste nicht, ob er sie ansehen oder durch das Fenster ins Universum schauen sollte.
Am Ende wird die Sonne zu einem roten Riesenstern, und der wird mindestens hundert Mal stärker leuchten als heute, und dann werden die Erde und die anderen Planeten, die sich um die Sonne drehen, vernichtet. Sie werden verbrennen und verschwinden.
Sie saßen auf dem Bett in Saras Zimmer. Endlich waren die Erwachsenen verschwunden, fort aus dem Haus, zur Arbeit. Sara sprach. Simon spürte, dass sich sein Blick geweitet hatte. Er fuchtelte mit sommersprossigen Händen in der Luft herum. Ab und zu hielt sie inne und sah ihm in die Augen, um sich zu vergewissern, dass er verstanden hatte, was sie sagte. Sie runzelte die Stirn. Und wenn sie das tat, sah sie aus wie eine alte Frau, fand Simon.
Und dann, danach, wird die Sonne ihren Flammenmantel verlieren, und sie wird ein winzig kleiner Stern werden. Weißt du, wie die heißen?
Simon überlegte lange, obwohl er es wusste. Es wäre irgendwie nicht richtig gewesen, sofort zu antworten.
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. Drückte.
Das heißt weißer Zwerg. Nach einer Weile werden Licht und Wärme aus der Sonne verschwinden, und dann wird sie zum weißen Zwerg, einem toten und kalten Planeten.
Sara lächelte traurig und Simon nickte.
Kannst du nicht von schwarzen Löchern erzählen?
Keinen Bock.
Er legte den Kopf schräg. Er wusste, dass ihr das gefiel.
Jetzt komm schon.
Sie schüttelte den Kopf. Er wusste, dass es ihr nicht gefiel, wenn er das tat.
Jetzt mach schon. Sie sprang aus dem Bett. Sie pustete den rosa Lampion an, der an einer Schnur von der Decke baumelte. Der Lampion drehte sich um sich selbst wie ein zerfetzter Schmetterling und schien jeden Moment zu Boden fallen zu können.
Ich habe Durst. Hast du Geld für eine Tüte Saft?
Simon wühlte in seiner Hosentasche. Er zog eine Münze hervor.
Sie liefen die Treppen hinunter, durch den Torweg. Mit raschen Schritten folgten sie der Markusstraße zum Marktplatz und gingen zum Kiosk des alten Kerls mit der NBA-Mütze und der Sonnenbrille, der ein Glas fehlte.
Wenn die Mutter nach Hause kam, musste Sara in der Wohnung bleiben. Immer musste sie der Mutter bei irgendetwas helfen, aber er wusste nicht, wobei. Immer musste sie im Haus sein, wenn die Mutter nach Hause kam. Simon ging hoch in seine Wohnung. Veronika schlief. Er ging vorbei an ihrer Tür und hörte, dass sie leise wimmerte. Es war ein gutes Wimmern, ein Wimmern, das man wimmert, wenn man von einem hoch oben in der Luft schwebenden Ballon träumt. Simon ging in sein Zimmer. Er ließ den Blick über die Bücher im Regal schweifen und betrachtete den Band über Marilyn, der zusammen mit den SuperDudeHeften auf dem Schreibtisch lag. Marilyn lächelte. Ihre Haare umgaben ihren Kopf wie ein Ring aus Licht. Ein glitzernder Ring aus Licht. Simon setzte sich in den alten Großvaterlehnstuhl, den er von Tante Elena bekommen hatte. Er fühlte sich erwachsen, wenn er in dem tiefen Sessel saß.
Er schloss die Augen und stellte sich vor, wie er die Finanzzeitung las. Als er die Augen öffnete, schaute er aus dem Fenster. In der Markusstraße waren Sara und ihre Mutter unterwegs zum Hafen. Sebastian hatte unten im Hafen sein Büro, und Sara meinte, von seinem Fenster aus könne sie weit aufs Meer hinausblicken.
Simon erhob sich und ging zum Fenster. Sara und die Mutter trugen in jeder Hand eine Plastiktüte. Das sah schwer aus. Sara ging einige Meter hinter der Mutter. Die Mutter drehte sich um und sagte etwas zu ihr. Ihr Mund war sauer. Die Haut in ihrem Gesicht war grau. Sie rauchte zu viel. Ihre Haare waren lang und schwarz. Veronika sagte, sie färbe es, und es sei doch recht seltsam, dass sie mit ihrem eigenen Bruder zusammenwohnte. Aber du wohnst doch auch mit deiner eigenen Schwester zusammen, sagte Simon. Das ist etwas anderes, entgegnete Veronika und verließ das Zimmer.
Sara schleppte die Tüten. Die Mutter drehte sich wieder um. Sie nahm Sara die eine Tüte aus der Hand und gab ihr eine von ihren eigenen. Sara lächelte gequält. Simon öffnete das Fenster. Er wollte Sara etwas zurufen und winken. Aber er hielt den Atem an und wartete. Schloss das Fenster. Er wagte nie zu winken. Winken war wahnsinnig peinlich. Nie im Leben würde er winken. Das war eine Unsitte. Wenn er das nächste Mal jemanden winken sah, würde er diese Person bitten, das zu lassen. Es sei eine Unsitte.
Die Tüten in Saras Händen schienen mit alten Zeitungen gefüllt zu sein. Was wollten sie mit diesen Zeitungen? Vielleicht wollten sie ein Feuer machen und Onkel Sebastians Firma anzünden. Vielleicht hatten sie den giftigen Rauch seiner Zigarren satt. Langsam verschwanden die beiden Gestalten durch die Markusstraße zum Hafen.
Später, am selben Nachmittag, stand Simon vor der Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter. Er versuchte, sich zu erinnern, welche Rolle sie spielen würde. Es war Generalprobe, und sie hatte eine große Rolle in einem Stück von … Sie hatte ihm erzählt, wie das Stück hieß und wer es geschrieben hatte, hatte gesagt, wie ihre Rolle hieß. Er schloss die Augen und versuchte, sich zu erinnern, denn er wollte gerne zu ihr hineingehen und grinsen und Hals und Beinbruch sagen, denn das sagten sie im Theater, und er wollte den Namen ihrer Rolle nennen. Es war irgendetwas mit E… Verflixt, es war etwas mit E… E… Simon war schon als kleiner Junge mit Veronika im Theater gewesen, aber seit er zur Schule ging, war er fast nie mehr dort. Hin und wieder lud sie Simon und Tante Elena zu einer Premiere ein, aber das kam nicht mehr so häufig vor. E… E… Er öffnete die Augen und starrte die Tür an. Seine Mutter hörte Chet Baker. Er stand vor der Tür und lauschte. Let’s get lost. Er klopfte und trat ein. Sie saß an ihrem Toilettentisch, der dünne Rauchfaden einer Zigarette kräuselte sich vom Aschenbecher zur hohen Decke. Er blickte sich im Zimmer um, registrierte gebannt die Dinge, die auf dem Toilettentisch lagen, Wimperntusche, Lippenstift, Büstenhalter, Korsetts, ein schwarzes Kleid und falsche Wimpern. Let’s get lost. Sie schaute auf. Er lächelte sie im Spiegel an und versuchte, die Brüste unter dem durchsichtigen BH zu ignorieren. Dann ging er zum Stuhl und legte die Hände auf ihre Schultern, die Haut war feucht von Lavendelöl. Sie schloss die Augen, die falschen Wimpern zeichneten einen schwachen Streifen ganz oben auf die Wange. Als sie zwinkerte, sah er Spuren von Lidschatten. Let’s get lost in each others’ arms. Vorsichtig schob er die BH-Träger zur Seite und fing an, ihre Schultern zu massieren. Sie ließ den Kopf nach vorne sinken, ihr Kinn ruhte auf ihrem Brustbein. Ihre Haare waren zu einem Knoten hochgesteckt. Am Haaransatz sah er einige graue Strähnen. Er musterte den Knoten, And though they think us rather rude. In ihren Haaren gab es nur zwei dünne graue Streifen. Seine Finger bohrten sich in die Haut, und er spürte, dass ihre Sehnen hart waren. Let’s tell the world we’re in that crazy mood. Ihr Kopf glitt nach links, sie sagte, es sei wunderbar. Er nickte, gab aber keine Antwort. Nicht so hart, sagte sie. Er fixierte die Parfümflasche auf dem Tisch. Chloé. So?, fragte er. Es ist wunderbar, sagte sie noch einmal. Ist das wunderbar?, fragte er. Ja, sagte sie. Sie betrachtete seine Hände im Spiegel, Let’s defrost in romantic mist, während er sie massierte. Seine Hände waren nicht so groß. Aber sie sind geschmeidig, fand er. Dachte sie an seine Hände, dachte sie, dass seine Hände nicht so groß waren, spürte sie, dass ihnen die richtige Kraft fehlte, dass sie nicht groß genug waren, dass sie ganz einfach nicht groß genug waren, oder dachte sie, dass er nicht so große Hände habe, aber geschickt sei? Nicht so hart, sagte sie noch einmal. Entschuldige. Besser?, fragte er. Wunderbar, das war wunderbar, ja, da, sagte sie. Er wollte nicht auf seine Hände sehen. Er beobachtete ihr Gesicht im Spiegel, sie hätte fast schlafen können. Sie wirkte schlaff. Let’s get crossed off everybody’s list. Er sah sein eigenes Gesicht im Spiegel. Versuchte zu denken, es sei ein fremder Junge. Er massierte ihre Oberarme, seine Hände glitten über die Haut und malten Os darauf. Er wusste, dass sie das mochte. Mm. Wunderbar?, fragte er. Ja, sagte sie. Das ist so wunderbar, wiederholte sie noch einmal. Ja. Sie hätte auch schlafen oder bewusstlos sein können, ihr Kopf lag in einer seltsamen Haltung schräg über der Brust. Ich muss mich schminken, sagte sie. Aus und vorbei, meinte er, und sie sah ihn im Spiegel an und lächelte. Er schaute zur Zigarette im Aschenbecher hinüber. Mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand griff er nach den Überresten der Zigarette und führte den Filter an den Mund. Mm, let’s get lost.
Als er seine Zimmertür öffnete, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, ihr alles Gute zu wünschen. Er wollte zurückgehen und es nachholen. Aber er konnte jetzt nicht umkehren. Das hätte einen komischen Eindruck gemacht. Er konnte nicht zurückgehen und anklopfen und die Tür öffnen und den Kopf hineinstecken und »Hals und Beinbruch« sagen. Er war doch eben erst dort gewesen. Er konnte einfach nicht nur deshalb zurückgehen.
Er drehte sich um.
Tante Elena stand dicht vor ihm in der Türöffnung.
Möchtest du ein wenig Suppe?
Er nickte ihrem runden Gesicht zu.
Als Veronika gegangen war, beschloss er, sich ins Bett zu legen und die Augen zu schließen und zu überlegen, was er sagen wollte. Es war sieben Uhr, und es gab keinen Grund, warum er sich nicht hinlegen sollte. Er ging ins Badezimmer und putzte sich die Zähne, ging in sein Zimmer, warf die Kleidung ab, legte sich ins Bett und zog die Decke bis zum Kinn. Nach einer Weile kam Tante Elena in sein Zimmer. Er schloss die Augen und stellte sich schlafend. Er hörte sie lachen.
Was machst du denn da?
Er hielt die Augen geschlossen.
Sie setzte sich auf die Bettkante und beugte sich über ihn, und er nahm ihren Geruch wie von Karamellbonbons und Gurkencreme wahr.
Simon.
Er öffnete die Augen.
Ich schlafe.
Sie schüttelte den Kopf und lachte.
Es ist doch erst sieben.
Ich möchte schlafen.
Warum denn?
Ich bin müde.
Du siehst nicht gerade müde aus.
Er überlegte.
Ich möchte nur hier liegen und in Ruhe nachdenken.
Sie streichelte seinen Kopf.
Kannst du nicht ins Wohnzimmer kommen und eine Runde Karten mit mir spielen?
Er zuckte mit den Schultern.
Bitte, Simon.
Am Ende stieg er aus dem Bett und zog ganz schnell seine Hose an. Im Wohnzimmer hatte sie schon Karten gegeben.
Rommé?
Von mir aus, sagte er.
Während sie spielten, beobachtete er Tante Elenas eifrige Finger. Er bemerkte, wie ihr Blick über die Karten eilte, und er dachte an Sara und ihr feines Kinn, und er dachte, dass er ihr am nächsten Morgen etwas Schönes sagen wollte, etwas Schönes, dachte er, aber es sollte nicht so schön sein, dass sie meinte, er sei verliebt in sie, denn das wäre peinlich.
Er gewann ohne Mühe, 560 zu 320. Tante Elena lächelte, aber es wirkte, als ob sie lieber geweint hätte. Veronika sagte, Tante Elena sei eine elende Verliererin, und das stimmte. Simon begriff nicht, warum sie überhaupt Karten spielen wollte, sie verlor doch dauernd.
Endlich lag er unter der Bettdecke. Jetzt konnte er sich überlegen, was er sagen wollte. Er stellte sich unterschiedliche Situationen vor. Auf der Bank. Im Haus. Auf dem Marktplatz. Er könnte ihr zum Beispiel sagen, sie sei großartig in Astronomie. Aber das wusste sie schon. Er musste sich etwas anderes ausdenken. Vielleicht könnte er ihr erzählen, sie habe ein feines Kinn, aber das würde sie sicher für eine total idiotische Bemerkung halten. Vielleicht könnte er etwas Schönes über ihr Kleid sagen, oder ihre Haare oder die blassen Finger und Arme und den Hals und wie sie ging und über den Klang ihrer Stimme und den blauen Schatten, der manchmal über ihr Gesicht fiel und sie unglücklich machte. Er wusste es nicht, und nach einer Weile schlief er ein und träumte von Steckdosen. Die saßen überall in der Wand, und als er sich vorbeugte und genauer hinsah, entdeckte er Augen in den kleinen Löchern. Die starrten zu ihm heraus.
Er ging die Treppe hinunter und hinaus auf den Hinterhof. Da war niemand. Er schaute Bank und Fahrradständer an. Wie spät war es? Er hatte vergessen, auf die Uhr zu sehen. Es war sicher schon nach acht. Deshalb hatte er sich angezogen und war aus dem Haus gegangen. Er schaute zum Himmel hoch. Der war superhell, und man hätte meinen können, es sei mitten am Tag. Aber das war es ja nicht. Es war ganz früh am Morgen. Trotzdem war der Himmel hell. Er setzte sich auf die Kante der Bank. Der Morgentau drang durch den Stoff seiner Hose. Seine Haut prickelte kalt. Er sah die Fassade, die Fenster. Alle Fenster waren dunkel. Die dunklen Fenster interessierten ihn. Ein Fenster blinkte. Er drehte den Kopf und schaute zu Vilnias Wohnung im ersten Stock hoch. In der Küche stand jemand und presste das Gesicht gegen die Fensterscheibe. Nein. Dort war niemand. Nur ein Blumentopf auf der Fensterbank. Eine Kohlpflanze. Es war kalt auf der Bank. Jetzt erhob er sich und ging zurück. Er war schon auf der Treppe, auf dem Weg zurück ins Bett, als er aus dem Kellergeschoss ein Geräusch hörte. Er blieb stehen und machte kehrt. Beugte sich auf dem Absatz vor und schaute zur Kellerwohnung hinab. Mit vorsichtigen Schritten ging er die Treppe zu Saras Wohnung hinunter. Als er die Tür erreicht hatte, hörte er das Geräusch wieder. Zuerst glaubte er, es sei eine quietschende Tür. Aber es war eine Stimme. Ein Wimmern. Ein seltsames Wimmern. Simon drückte auf die Türklinke und betrat die Wohnung. Er stand in dem dunklen chaotischen Gang, traute sich nicht weiter. Er hatte die Tür geöffnet, ohne nachzudenken, aber jetzt hatte er Angst. Du kannst hier nicht stehen. Er ging einen Schritt weiter und schaute ins Wohnzimmer. Trübe Dunkelheit. Niemand da. Jetzt hörte er wieder das Wimmern. Kam das aus Saras Zimmer? Nein, nicht aus Saras Zimmer. Es kam aus Sebastians Zimmer. Er ging auf Zehenspitzen weiter. Die Tür war geschlossen. Er sank auf die Knie und schaute durch das Schlüsselloch. Wie in alten Filmen. Durch das Schlüsselloch konnte er Sebastians Gesicht sehen. Sebastian schlief. Nein. Er schlief nicht. Er schwitzte. Wimmerte. Jemand stand über ihm. Jemand stand über ihm und flüsterte. Sebastian wimmerte. Jemand flüsterte. Es war die Stimme einer Frau. Simon versuchte zu verstehen. Was sagte sie denn? Sie sagte: Ich liebe dich, ich liebe dich. Sebastian wimmerte. Wimmerte, als werde er geschlagen. Sie sagte es wieder. Ich liebe dich. Es war Saras Mutter. Er wimmerte. Simon wich vom Schlüsselloch zurück und richtete sich langsam auf, lautlos.
Er ging auf Zehenspitzen. Der Moorboden gurgelte, und seine Stiefel versanken in der Feuchtigkeit. Es war Herbst geworden, es hatte geregnet. Der Himmel war nass. Das Moor war voller Löcher. Er blieb stehen und schaute zur Sonnenscheibe zwischen den blanken Wolken hoch. Die Sonnenscheibe war am Rand rostig geworden. Der Himmel war nass, und das Moor war noch nasser. Jetzt ging er vorsichtiger, damit die Wildschweine ihn nicht hörten. Als er einen Stiefel zurückzog, entstand ein Loch. Er machte kehrt und betrachtete alle Löcher, die er hinterlassen hatte. Er war ein Jäger. Vielleicht hatte ein Wildschwein die Schnauze in seine Spuren gesteckt und seine Witterung aufgenommen. Er sah die Kiefern und die Hügel, die die Häuser umgaben, aber er sah kein Wildschwein. Sie waren gerissener, als viele Menschen glaubten, die Wildschweine. Ab und zu überfielen sie Menschen, die gerade schliefen, und es kam vor, dass sie sich an Jäger anschlichen und sie angriffen. Simon kniff die Augen zusammen und schaute sich misstrauisch um. Er hatte sein Gewehr mitgenommen und die Wohnung verlassen, ehe die anderen erwacht waren. Veronikas Gesicht: nachtstill. Obwohl es Morgen war. Das Gesicht der Tante. Sie öffnete die Augen, sah ihn an und sagte: Morgen tun wir es, Viktor. Er wollte sagen, dass er nicht so hieß. Aber sie war nicht wach. Tante Elena träumte. Was machen die Köpfe, wenn sie träumen? Er sah die Ruinen und das Haus und die Spuren, die wie ein Schwanz aussahen, der sich hinter ihm gebildet hatte. Wer träumt, hat andere Augen, dachte er. Tante Elenas Traumblick hielt ihn für jemanden namens Viktor. Er sah keine Tiere, und deshalb ging er weiter. Die Wolken blinkten am Himmel. Hinter einem Hügel stand ein Wildschwein und kaute auf einem Moosbüschel herum. Seine Pfoten versanken im Moor. Vorsichtig nahm er das Gewehr von der Schulter. Es witterte Jägerblut. Der Jäger zielte. Das Wildschwein wandte sich dem erbarmungslosen Jäger zu. Es hatte winzige Augen, sie leuchteten vor Angst. Der Jäger spannte den Hahn an seinem Gewehr. Das Wildschwein bekam Flügel. Es öffnete die Flügel und versuchte zu fliegen. Der Jäger zielte auf das Herz. Das Wildschwein hob mit triumphierendem Grunzen vom Boden ab. Der Jäger feuerte. Das Wildschwein fiel in ein Schlammloch, und die Flügel rollten sich zusammen und wurden schwarz wie Asche und verschwanden. Langsam ging der Jäger auf das Tier zu. Er hatte das Wildschwein mitten ins Herz getroffen. Es lag da und starrte ihn aus toten Augen an, als er sich darüberbeugte. Er band die Pfoten mit einem Stück Schnur aneinander und lud sich das riesige Tier über die Schultern. Als er heimwärts wanderte, pfiff er ein uraltes Jägerlied.
Den ganzen Tag wartete er darauf, dass sie von ihrer Spioninnenarbeit nach Hause käme. Zuerst hängte er das Wildschwein vor dem Haus auf, damit es austrocknen konnte. Dann räumte er ein wenig auf. Und dann ging er hinaus und suchte sich einige Bretter, die er über das Loch im Dach legte. Als das Wildschwein getrocknet war, schnitt er es in kleine Stücke und legte das Fleisch zusammen mit Wacholderbeeren und Sahne in einen Topf. Jetzt brauchte das Gericht nur noch einige Stunden zu köcheln und gar zu werden. Er setzte sich vor den Topf und wartete darauf, dass sie zurückkäme. Er schaute aus dem Fenster auf den Kiesweg und die Kiefern. Zwei Autos fuhren auf der Straße vorbei, aber sie saß in keinem davon. Er schloss die Augen und döste ein wenig vor sich hin. Er war ein Jäger und nichts kann einen Jäger aufhalten, aber sogar Jäger werden ab und zu müde.
Als sie zur Tür hereinkam, stand der Wildschweinbraten bereits auf dem Tisch. Er erwartete, dass sie etwas über den Jäger sagen würde, über die Jagd, über das Wildschwein. Aber als er ins Gesicht der Spionin blickte, wusste er, dass sie einen schlechten Tag hinter sich hatte. Er streichelte ihren Rücken.
Bist du müde?
Ein bisschen.
Sie setzten sich zum Essen hin. Beim Essen fragte der Jäger die Spionin nach ihrem Arbeitstag. Sie saßen steif da wie Erwachsene, als sie redeten und aßen.
War der Chef heute wieder sauer?
Er ist immer sauer.
Ein Chef dürfte niemals sauer sein.
Das macht es mir arg schwer, weißt du.
Du weißt ja nicht, was du machen sollst.
Nein. Er schimpft nur. Er lief hin und her und rauchte Zigarren und schimpfte und trat gegen die Türschwelle.
Was für ein Mist.
Ja.
Weißt du jetzt, wo er hinwollte?
Er wollte sich mit einem Polizisten treffen.
Mit was für einem Polizisten?
In der Stadt ist ein ausländischer Polizist.
Ein Polizist, der mit dem Chef Geschäfte macht?
Er ist kein normaler Polizist.
Nicht?
Er fotografiert gern. Und heute Abend wollen sie im Studio des Chefs Bilder machen. Als das Telefon klingelte, habe ich am Nebenanschluss gelauscht, ohne dass er das gemerkt hätte. Ich habe alles gehört, was sie gesagt haben.
Sara lächelte und ihre Augen leuchteten wie schwarze Steine.
Simon hätte gern gesagt:
Du hast so ein schönes Lächeln.
Aber stattdessen sagte er:
Wollen wir sie heimlich beobachten?
Als er das sagte, brannte es in seinem Bauch, und die Sonne stieg in seiner Brust auf.
Sie lagen auf dem Bauch. Durch den Spalt zwischen den Gipsplatten und den Stahlträgern, auf denen das Dach ruhte, konnten sie in Sebastians Fotostudio hinunterblicken. Gleich unter Simon beugte sich der Polizist über die Kamera. Seine Haare glänzten. Der Polizist war groß und schlank und hatte eine weiße Mähne. Simon sah die Augen des Polizisten. Tante Elena hatte gesagt, in einem Auge liege eine ganze Welt. Im Auge des Polizisten, unter der Haut der Iris, schwamm eine Welt aus Licht. Simon sah, dass es darin blitzte. Er dachte, in den Augen des Polizisten gäbe es einen Magnet aus Licht, der Magnet würde ihn an sich ziehen und ihn verbrennen. Sie waren grau, die Augen. Der Polizist verschob das Stativ, er arbeitete mit vorsichtigen Bewegungen und berührte die Kamera wie ein zerbrechliches Insekt. Simon konnte den Mund des Polizisten von der Seite sehen, der Mund sah aus wie ein gekrümmter Finger. Die Haut im Gesicht war trocken und glich einer Maske, die auf die eigentliche Haut geklebt war. Sebastian trat am anderen Ende des Raumes von einem Fuß auf den anderen. Er hatte die Tweedjacke ausgezogen und über einen Stuhl gelegt. Auf dem Betonboden lag Julia. Sie war in Barbaras Textilladen gefeuert worden. Sie trug keine Kleider. Jetzt arbeitete sie als Modell für Sebastian. Der sagte, es mache nichts, wenn sie nur flüstere. Sie sei trotzdem großartig. Sie lag ganz still auf dem Betonboden Der Polizist sprach mit leiser Stimme. Simon hörte zu. Der Polizist sang mit leiser Stimme.
Sebastian schwitzte im Licht der Studioscheinwerfer. Er schien nicht zu wissen, wohin er schauen sollte, auf Julias Körper oder den Polizisten. Er wischte sich mit seinen kurzen Fingern den Schweiß aus den Augen. Sein Blick glitt hin und her. Der Polizist trug schwarze Schuhe. Die Schnürsenkel waren zu lang. Auf dem Boden lag eine Münze neben dem Kamerastativ des Polizisten. Der Polizist trat mit einem Fuß den Takt des Gesangs. Er berührte die Kamera mit den Fingerspitzen, eine vorsichtige Bewegung, er drehte die Linse und folgte der langsamen Rotation mit dem Blick.