Mely Kiyak
Istanbul Notizen
Reisejournal
Mit einem Artwork von Şener Özmen
shelff
Inhalt
Ankunft. Tumult.
Tut’s noch weh?
Alles picobello. Alles ziemlich deutschlandmäßig.
Nicht mitmachen. Nicht hinhören. Es ist mir alles egal.
Überfälliger Vulkanausbruch
Dieser verrückte Park
Soldaten Adenauers
Und die Mücke?
Was passiert da gerade?
Die ganze bourgeoise Soße
Na dann, viel Glück, Fräulein Seltsam!
Ich stehe aber wirklich nur einfach da
Schieß doch Bulle, schieß!
Auf Dicke stehen
Ein alter Mann kommt und fragt, ob er eine Sure lesen soll
Paul on Shoulders. Von Şener Özmen
Ich muss schnell nach Hause
Flüchtiger Zitrusduft. Leicht und heiß zugleich.
Leg auf, alte Bockwurst!
Dieser widerliche Wind, der von oben reinweht und alles versaut
Nescafé
Klappt nicht
Man kennt dieses lächelnde Nicken von Queen Elizabeth
Ach was, Botox. Beton!
Wie ein verdammter Flößer
Schiffe spüren
V!
Nanu, lauter Ichs!
Tattoo
Boah Flash. Muezzin!
Cash und Capital
Ausländer
Nicht wahr
Zuviel Liebe
Mely lernt lesen
Zungenkuss mit Islamisten
Sülo, der Prächtige
Abschied
Bonus
Paul auf meinen Schultern/Von Şener Özmen
Wir reiten alle auf Eseln und suchen das Glück. Über Şener Özmens Artwork
Benim adım Mely Kıyak.
Istanbulu beğeniyor musun?
Hayır.
Ich heiße Mely Kiyak.
Gefällt dir Istanbul?
Nein.
Ich heiße Mely Kiyak und wohne für ein paar Monate in Istanbul. Es hat keinen besonderen Grund, dass ich hier bin. Es hat sich einfach so ergeben. Man fragte mich, ob ich Lust hätte, in Ruhe und Abgeschiedenheit zu schreiben. In Ruhe und Abgeschiedenheit. In Istanbul!
Ich sagte natürlich:
Um Himmels Willen, nein!
Ich bin froh, wenn ich ein paar Monate in Berlin bleiben und arbeiten kann. Mehr Ruhe und Abgeschiedenheit als in dieser winzigen Millionenmetropole, in der sich ab acht Uhr abends der Sargdeckel auf die Stadt legt, bloß weil das Kaufhaus am Alex schließt, ist wirklich nicht nötig. Außerdem bin ich ständig unterwegs, weshalb nicht unterwegs zu sein der erstrebenswertere Zustand für mich ist.
Ich ließ mich darauf ein.
Mürrisch und mit griesgrämiger Fresse stand ich am Flughafen und bereitete mich auf das vor, was mich am Reisen immer noch am meisten erledigt: Das Fliegen. Ich checkte am Schalter von Türk Hava Yolları ein und dachte, wenn ich mit diesem Flugzeug abstürze, ist es nicht soo schlimm, weil Istanbul: Danke, teşekkür ederim, ich will lieber nicht. Fliegen heißt für mich nicht Vorfreude auf die Ankunft, sondern Vorbereitung auf den Absturz, das sichere Ende. Istanbul, ich sterbe, bevor ich da bin – bereitet mir ein anständiges Begräbnis vor!
Die meisten Menschen, die über Istanbul schreiben, lieben diese Stadt. Oh, und wie sie Istanbul lieben! Ich liebe Istanbul nicht. Ich liebe überhaupt keine Stadt. Ich wohne in Wohnungen, in Städten, an Orten. Mehr ist es wirklich nicht.
Wann immer ich am Bosporus war und die alten rostigen Containerschiffe vorbeifahren sah, dachte ich:
Komm schon, krieg dich ein. Gibt es auch alles in Hamburg.
Ich landete auf dem Atatürk-Flughafen. Lief eine Ewigkeit zum Rollband, wo die Passagiere ihre Koffer abholen können, und wartete gemeinsam mit den anderen Reisenden eineinhalb Stunden darauf, dass sich etwas tat.
Das Rollband lief los, und darauf lag ein verbeulter Pappkarton, der vom Flug aus Saudi-Arabien übrig geblieben war. Wie bei arabischem Reisegepäck üblich, war das Gepäckstück mit mehreren Metern Paketklebeband umwickelt.
Niemand beschwerte sich. Alle kramten ihre Handys raus und sprachen Sätze hinein, die sich ähnelten.
Bin gut gelandet. Keine Sorge. Warte auf das Gepäck.
Nur eine Frau lief unruhig hin und her. In ihrem Gepäck lagen wichtige Medikamente, die sie nun dringend benötige. Sie legte auf Türkisch los:
He du, Bursche, komm mal her. Arbeitest du hier? Was lümmelst du so untätig herum, hä? Was ist hier los? Hä? Ist das ein Affenhaus oder ein Flughafen? Wo ist mein Koffer? Soll ich hier sterben, oder was? Hä? Ist das hier eine Leichenhalle? Hä? Wartet ihr hier ab, bis man gestorben ist, oder was? Hä?
Der Bedienstete schaute betreten zu Boden und jammerte:
Ich weiß doch auch nicht.
Daraufhin mischte sich ein zweiter Reisender ein:
Schau der Dame ins Gesicht, wenn sie mit dir spricht.
Ein Dritter:
Wie – du weißt nicht? Ist dir ein Flugzeug in die Birne geflogen oder was ist los?
Genau! Was ist das hier eigentlich für ein Land? Lauter Vollidioten.
Wirklich wahr. Ihr werdet es nie lernen. Seit Stunden warten wir hier wie Opferlämmer. Kein Wasser, kein Internetanschluss. Ist das hier Ostanatolien?
Was soll das heißen, mein Herr? Ostanatolien? Ich komme aus Ostanatolien.
Na und?
Wie, na und? Sie sind wohl ein militanter Spaltpilz?
Ja, ich bin ein militanter Spaltpilz. Na und?
Meine Tabletten, ich brauche meine Tabletten …
Tumult!
Istanbul.
.
In dieser Stadt bin ich eine Touristin. Das betone ich deshalb, weil Deutsche, die ich in Istanbul treffe, jedes Mal meinen, ich wisse alles. Sie denken, dass ich über jede Buslinie Bescheid weiß, wie man von Maltepe nach Karaköy kommt, wo man besonders gut Armani-Jeans kaufen kann, wie genau die erste Bosporusbrücke heißt und wie die zweite und welche welche ist, wie die Moscheen in den einzelnen Stadtteilen heißen, und jedes Mal sind sie enttäuscht, wenn ich die Moscheen nicht an ihren Minarett- Silhouetten in der untergehenden Sonne erkenne und solche Sachen. Ich weiß gar nichts. Das heißt, ich weiß ein paar Dinge, so wie ich ein paar Dinge über München weiß oder über Hamburg oder Leipzig. Im Grunde genommen also nicht viel.
Wie oft war ich in Istanbul?
Zehn Mal? Zwanzig Mal? Dreißig Mal?
Ich weiß es nicht.
Man kommt in Istanbul an und ist geschockt über die Hässlichkeit. Istanbul ist ja nicht schön im eigentlichen Sinne. Man kommt an und fährt, egal ob man auf der europäischen oder asiatischen Seite schlafen will, mindestens eineinhalb Stunden herum, um in einer Gegend anzukommen, die man als Istanbul zu kennen glaubt.
Man fährt über Straßen, die rechts und links mit zehntausenden kleinen Blümeleien bepflanzt sind. Man fragt sich, wer gießt das alles? Was kostet es? Soll hier darüber hinweggetäuscht werden, dass es drinnen, in der Stadt nicht ganz so bunt geblümt zugeht?
Siebzehn Millionen Menschen leben in dieser Stadt.
Viele sind bitterarm.
Die wenigstens sind stinkreich.
Die meisten kommen irgendwie über die Runden.
In einem der neununddreißig Viertel.
Die überwältigende Mehrzahl der Bewohner wohnt in Wohnungen. Es ist nicht unüblich, dass in Küche, Bad und Toilette keine Fenster sind. Manchmal schaut man durch ein Zimmerfenster ins Dunkel hinein.
Wohnst du schlecht, ist Istanbul die Hölle. Wenn du zu wenig Tageslicht abbekommst. Und Depressionen kriegst. Auch deshalb leben die Menschen draußen, auf der Straße. Es gibt keinen besonderen Grund, sich in der Wohnung aufzuhalten. Die Wohnungen sind nicht schick. Nicht hell. Nicht geräumig. Nicht, wenn man nicht Geld bis zum Abwinken hat. Und wer hat schon Geld bis zum Abwinken in Istanbul?
Wenn du das Draußen nicht siehst, so hörst du dieses Istanbul doch Tag und Nacht. Die Stadt hat einen nicht enden wollenden Klang, eine Kulisse aus Geräuschen - selbst der Maiskolbenverkäufer klappert aus lauter Langeweile über ausbleibende Kundschaft rhythmisch mit seiner Edelstahlzange gegen seinen Kochtopf und der Eisverkäufer schlägt gegen die Messingglocken an seinem Eisstand, die Menschen sprechen laut, sie streiten laut, sie lachen laut, sie telefonieren laut, der Ton der Fernsehgeräte ist bis zum Anschlag aufgedreht, ebenso die Autoradios, eine akustische Dauerschleife.
Ich bin hier. Ich weiß nichts. Ich höre bloß hin.
Istanbul, ich bin in dir Stadt. Laufe ganz leise. Spreche in kein Telefon. Stehe am Straßenrand und traue mich nicht, mich breit zu machen. Selbst die Straßenseite wechseln gelingt nur, wenn man sich eingelebt hat.
Istanbul ist selbstbewusst.
Mely ist noch schüchtern.
Mensch, Mely, alte Berliner Provinznelke, passt doch gar nicht zu dir!
Leg los!
Kann nicht, muss mich damit anfreunden, dass ich nicht in vierzehn Tagen schon wieder abreise. Ich muss erstmal kapieren, was das hier ist.
Was für ein Quatsch! Eine Stadt wie Istanbul verstehen zu wollen. Wie alt ist das alles hier? Wie viele Menschen haben hier gelebt? Wie viele sind gekommen und wieder gegangen? Wie viele geflohen, rausgeworfen, vertrieben?
Welche Sprachen wurden hier gesprochen?
So viel wird den ganzen Tag geredet. Über manches nicht. Über manches wird beharrlich geschwiegen.
Nein, nein. Das kannst du nicht verstehen. Das solltest du auch gar nicht versuchen.
Einfach Augen aufhalten und versuchen, den nächsten Bus noch zu erwischen.
Die Haltestelle nicht verpassen.
Und nicht zuviel Brot auf einmal kaufen. Zwei Mal am Tag wird hier wird gebacken. Am Morgen für das Frühstück und am Nachmittag für den Abend.
In jeder Küche hängt ein Stoffbeutel mit viel zuviel altem Brot.
Das erste, was ich in Istanbul mache: Ausschau halten nach dem nächsten Schreibwarenhändler. Ich kaufe Notizbücher. Ganz viele. Die flachen, dünnen türkischen und nicht die Moleskines, die es hier natürlich auch gibt. Ich kaufe sie im Dreierpack, liniert, kariert, blanko. Ich kenne Schriftsteller, die nur in Moleskines schreiben, weil sie das so schön finden, wenn im Regal Dutzende schwarzer Rücken nebeneinander stehen. Meine Hefte sind schon zerknittert, bevor ich sie beschriftet habe. Ich benutze meinen Kaweco-Füllfederhalter. Türkische Hefte, deutsche Feder. Und sehe, dass es meine geliebten Kawecos auch nach Istanbul geschafft haben.
Oh Mann! Gibt es irgendetwas, was es hier nicht gibt?
Das Früchtemüsli ist Schweizer Art, Jacob‘s Krönung heißt Jacob‘s Monarch, und im Makrocenter in Yeniköy gibt es Schweinefleisch und holländische Tomaten, in Plastikschalen abgepackt.
Frauen lesen die SM-Schnulzentrilogie Fifty Shades of Grey und sind heiß darauf, dass Özgür sie am Abend geil vermöbelt und träumen davon, dass er sie anschließend zärtlich in den Arm nimmt, seine Liebe bekundet, Ayşegül, seni seviyorum
Tut’s noch weh?
Ich bin eine Touristin. Ja, ich spreche die Sprache der Istanbuler. Aber verstehe ich sie? Verstehe ich sie? Nein, das tue ich nicht. Ich bin zu Hause in der Fremde. Ich bin eine Fremde in diesem Haus namens Istanbul.
Ich bin immer die Fremde. Das hat nichts mit Istanbul zu tun. Das bin ich. Fremd sein ist meine Dienstkleidung. Wie anders sonst soll ich mir das Gucken schmackhaft machen?
Manchmal fragt mich jemand, was ich schreibe, wer ich bin.
Dann antworte ich:
Ich schreibe deine Stadt.
Benim adım Mely Kıyak.
Istanbulu beğeniyor musun?
Hayır.
Ich heiße Mely Kiyak.
Gefällt dir Istanbul?
Nein.
Peng!
Das muss man einmal ausprobieren. Einem Istanbuler zu sagen, deine Stadt gefällt mir nicht.
Das ist ungefähr so, als würde man eine scharfe Messerspitze in die aufgeregt pulsierende Halsschlagader des Gegenübers stecken.
Das ist ein Witz oder?
Vielleicht.
Ha, ha. Der war wirklich gut. Bin fast auf dich reingefallen.
Wenn du meinst.
Du bist echt komisch. Ihr seid echt komisch, ihr Deutschen. Aber gut, wir mögen euch.
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