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Die Hauptpersonen des Romans
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Kommentar
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2736
Der greise Hetran
Auf der Reise des letzten Geheißes – ein Todgeweihter begegnet dem Zerstörer von allem
Hubert Haensel
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen.
Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Im Jahr 1516 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Milchstraße seit nunmehr zwei Jahren unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals, einer noch immer weitgehend rätselhaften Organisation, die vorgibt, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen.
Die Atopische Ordo gilt bereits seit Längerem in der Galaxis Larhatoon – der Heimat eines Volkes, das in früheren Zeiten großes Unheil über die Menschheit brachte.
Die Rede ist von den Laren, die als Mitglieder des Konzils der Sieben Galaxien für mehr als hundert Jahre in der Milchstraße herrschten. Perry Rhodan und Bostich suchen dort Antworten auf ihre Fragen hinsichtlich des Tribunals. Eine Hoffnung ist DER GREISE HETRAN ...
Perry Rhodan – Der Terraner hängt seine Hoffnung an ein Detail der kontrafaktischen Überlieferung.
Gaumarol da Bostich – Der Arkonide hat nur ein Ziel vor Augen.
Gesspyr Hocctosser und Voruder-Paac – Der Onryone und der Lare suchen nach der Urheimat der Laren.
Kokkov – Ein Leibwächter wird engagiert.
Baudencerc – Der Greiko ist mehr, als es den Anschein hat.
Neacue – Rhodans Begleiter hat endlich wieder Spaß.
Unvorhersehbares würde geschehen! Und wenn nicht, schien dieser Tag dennoch anders zu werden als seine meisten Tage auf Axxallia-Annor. Kokkov hatte keinen Beleg für seine Befürchtung, nichts Greifbares – er roch es einfach.
Etwas Fremdes hing in der Luft, ein Hauch von Gefahr.
Nur mühsam unterdrückte er seine wachsende Aufregung. Tief atmete er die vielfältigen Aromen ein, die dem aufsteigenden Wasserdampf anhafteten. Das heiße Bad würde ihm guttun; schon seit dem frühen Morgen freute er sich darauf und sehnte diese Stunde der Erholung herbei.
Am Beckenrand war das Wasser eine Nuance kühler als weiter in der Mitte, der Wärmler zwischen seinen Augen verriet ihm eine Differenz von zwei hundertstel Grad. In den Ecken des Bassins fiel die Temperatur noch einmal um einen Hauch ab – dort würde er die Gruacc-Schnecken finden, die der leichten Strömung folgten.
Sechs oder sieben Schnecken mochten momentan aktiv sein. Kokkov atmete nicht nur ihre Nähe, er witterte sogar ihre individuelle Ausdünstung. Jede Gruacc verströmte ein unverwechselbares Aroma.
Schon diese Überlegungen ließen seine Speicheldrüsen überquellen. Ebenso spürte Kokkov die anlaufende Peristaltik der Speiseröhre, sie kitzelte durch seinen vorderen Körperbereich.
Kokkov schloss die Augen, das erhöhte seine Vorfreude. Die Größe des Beckens roch er, ohne den Kopf bewegen zu müssen. Nach links verlief die leicht über dem Wasserspiegel liegende Abschlusskante gut fünf Körperlängen weit, ehe sie im rechten Winkel abbog; zu seiner Rechten waren es etwa vier Längen.
Immer wieder fragte er sich, warum Wasserbecken in Qhy exakt rechteckig sein mussten. Daran war nichts natürlich, alles wirkte so ... künstlich, geradezu angestrengt gewollt. Um wie viel schöner wäre eine unregelmäßig geschwungene Form gewesen, ein weicher Rand, an den sich der Körper anschmiegen konnte. In der Hinsicht hatte Kokkov allerdings längst die Hoffnung aufgegeben. Kein Lare würde sich jemals von dieser starren angeblichen Funktionalität abbringen lassen. Bestimmt nicht seinetwegen.
Und die Onryonen ...?
Er schob alle lästigen Überlegungen von sich. Trotzdem fiel es ihm nicht leicht, die nötige Konzentration aufzubringen, zumal die Aftersporne schon unruhig über den versiegelten Sandboden schabten.
Warum lassen die Laren den Sand am Beckenrand nicht locker aufgeschüttet? Es gibt nichts Schöneres, als mit dem Kopf durch eine feuchte Sandschicht zu wühlen und die haften bleibende Körperwärme zu riechen.
Stattdessen hatten sie eine transparente Schicht über den Sand gesprüht, die wie Glas verhärtet war. Die Aftersporne rutschten daran ab; Kokkov hatte dabei das Gefühl, er müsse sich vor Enttäuschung und Zorn zusammenrollen.
Erneut grübelte er über Dinge, die er nicht ändern konnte. Wann würde er aufhören, die unerheblichen Details dieser Welt verändern zu wollen? Unerheblich für Laren und Onryonen, nicht für ihn.
Genieß das Angenehme, du musst dich nicht dafür rechtfertigen!, redete er sich ein. Die guten Stunden sind stets zu kurz, und die schlechten kommen ungefragt.
Er öffnete die Verschlüsse seiner Arm- und Beinprothesen und ließ sie achtlos fallen. Er war allein, niemand konnte sich daran verletzen oder die vermeintliche Unordnung beklagen.
Die letzte halbe Körperlänge bis zum Becken überwand Kokkov mit einem schnellen Satz. Er sprang über die Fliesenkante hinaus und lockerte die Muskulatur. Wasserdampf hüllte ihn ein, und ein wohliger Schauder durchlief ihn, als er in das heiße Nass eintauchte, sich streckte und bis auf den Boden absank.
Auch dort stieß er nur auf undurchdringlich festes Material. Für einen Moment hatte Kokkov sich dem Wachtraum hingegeben, wenigstens eine dünne Sedimentschicht nach Gruacc-Schnecken durchwühlen zu dürfen. Es blieb bei der sehnsüchtigen Vorstellung, dass er eines Tages nach Gemnid zurückkehren würde.
So lange, wie er schon auf Axxallia-Annor weilte, hatte er niemals bleiben wollen. Er verdiente jedoch gutes Geld, und die Laren behandelten ihn keineswegs herablassend oder gar mit Misstrauen. Und Geld, das hatte er in ihrer Domäne schnell gelernt, war eine Ausrede für so vieles ...
Das Wasser war angenehm heiß. Kokkov drehte sich schnell um die eigene Achse, bis ein Meer winziger Luftbläschen aufstieg.
Schließlich hielt er inne und versteifte sich. In diesem Zustand glich er einem unter Wasser treibenden, von Algenschleim überwucherten Stück Holz. Solange er wild herumtobte, zwang er die Gruacc auf Distanz in die ruhigeren Bereiche. Ohnehin fühlten sich die Schnecken nur im Sinterschlamm der Heißen Wasser von Gemnid richtig wohl.
Ihr Aroma verriet dem Kenner, in welchem geografischen Bereich sie herangewachsen waren.
Die hier ...? Prüfend nahm Kokkov den Geruch auf. Er hatte eine Vermutung, doch sicher war er sich dessen keineswegs. Überhaupt: Dass er in Qhy einen Händler aufgetan hatte, der die geflügelten Schnecken feilbot, grenzte an ein kleines Wunder. Das machte den horrenden Preis für wenige Handvoll Gruacc einigermaßen erträglich.
Kokkov ließ sich treiben.
Er roch zwei der Schnecken, beide eineinhalb Körperlängen von ihm entfernt. Sie schwammen versetzt übereinander und schienen unschlüssig zu sein, ob sie ihn beachten sollten. Sie waren nur Tiere, reagierten aber instinktiv auf Vertrautes. In der Vitrine des Händlers hatten sie einen unerträglichen Gestank abgesondert – zum Glück, denn ohne diese Ausdünstung hätte Kokkov das unscheinbare Geschäft kaum beachtet. Dabei kam er seit zweieinhalb planetaren Jahren oft nahe daran vorbei.
Wie ein Blitz war ihm der heimische Geruch unter die Haut gefahren und hatte ihn züngeln lassen.
Nun wieder! Beide Schnecken kamen zögernd näher. Sie hielten sich dabei am Rand der vom Boden aufsteigenden heißen Strömung. Das Becken war durchsetzt von verwirbelnden Temperaturunterschieden. Das Grubenorgan zwischen seinen Augen zeigte Kokkov deutlich die faustgroßen Quellen, aus denen die Hitze emporstieg und sich fächerförmig ausbreitete.
Die Gruacc verharrten. Gleich darauf legten sie die abgespreizten Hautflügel an und ließen sich absinken.
Kokkov schnellte durchs Wasser. Nicht zur Ruhe kommen lassen ... Jagen! Das beste Aroma verlor sich, sobald eine Gruacc untätig war. Er warf sich herum, schwamm zwischen den Schnecken hindurch und roch ihren plötzlichen Aufruhr. Die Strömung, die er hervorrief, trieb beide Tiere auseinander. Kokkov konzentrierte sich auf die größere Schnecke. Ihr Aroma veränderte sich zu einem leicht metallischen Hauch – das waren die pikantesten Exemplare.
Er trieb sie vor sich her. Ließ nicht zu, dass sie an den Beckenrand auswich, geschweige denn auf den Boden. Mit heftigen Flügelschlägen strebte sie nun durchs Becken und scheuchte dabei andere Schnecken auf. Mit einem Mal waren die unterschiedlichsten Gerüche da. Aber Kokkov konzentrierte sich auf dieses eine Exemplar; sein Heißhunger war geweckt.
Noch hatte die Gruacc ihren Ruderschwanz nicht vollständig aufgefächert. Er drängte sie in eine der heißen Strömungen und hinderte sie zugleich daran, seitlich auszubrechen. Sie faltete ihren Schwanz auf – ein grellbunter Fächer, der den empfindlichen Leib vor der Hitze schützte. Der entstehende Auftrieb ließ die Gruacc an die Oberfläche steigen.
Kokkov durchbrach neben der Schnecke die Oberfläche und balancierte im sprudelnden Nass. Den Temperaturunterschied zwischen der Luft in der Badehalle und der heißen Strömung spürte er kaum, weil der Virenschaum für den Ausgleich sorgte und jede abrupte Veränderung dämpfte.
Die Gruacc versteifte sich. Das war ein natürlicher Reflex, der diese Tiere sogar dann überleben ließ, wenn ihr heißes Wasser auf Gemnid vorübergehend austrocknete.
Kokkov ließ sich wieder leicht absinken. Den Kopf nach vorn geneigt, saugte er die Gruacc auf.
Es war ein unbeschreiblich angenehmes Gefühl, die in wellenförmige Bewegung übergehenden Hautflügel am Gaumen zu spüren. Sie massierten die Speicheldrüsen und lösten einen starken Schluckreflex aus ...
Kokkov hielt an sich, um im Überschwang der Gefühle die Gruacc nicht hinunterzuwürgen. So etwas durfte er keiner Schnecke antun, er hätte es sich niemals verziehen.
Er stieß mit der gespaltenen Zunge gegen das klebrige Fleisch und drehte die Gruacc hin und her, bis er sie im vorderen Mundbereich hatte. Ebenso langsam und vorsichtig – ein prickelndes Glücksgefühl durchlief ihn dabei – ließ er das Tier zwischen den Lippen hindurchgleiten.
Es gehörte Übung dazu, die Schnecke ins Wasser zurückzuspucken und mit den Zähnen so zuzupacken, dass der feine Fächerschwanz abriss und zurückblieb. Kokkov hatte das früher perfekt beherrscht, aber seit dem letzten Mal waren Jahre vergangen. Nun hatte er das Gefühl, seine Kiefer würden ausgehebelt.
Mit beiden vorderen Armstummeln fing er die Gruacc auf und ließ sie behutsam ins Wasser gleiten. Er fühlte sich verantwortlich für die Schnecke, als wäre sie sein Sorgling. Weder durfte er sie verletzen noch zulassen, dass ihr ein Leid geschah.
Der Schwanzfächer würde nachwachsen, größer und farbenprächtiger als zuvor. Auf Gemnid gab es Gruacc, deren Fächer nach der zwanzigsten oder fünfundzwanzigsten Wuchsperiode nicht nur weit genug waren, dass die Schnecke sich darin einhüllen konnte, diese Exemplare widerstanden sogar offenem Feuer oder lange anhaltender Trockenheit.
Mit beiden Zungenspitzen drückte Kokkov den abgerupften Schwanzfächer. Er genoss das austretende Sekret. Sein Wohlbefinden wuchs. Er züngelte ...
... und stockte.
Urplötzlich war da ein Geruch, den er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Das Wasser und die Aromen der Gruacc verfälschten den Eindruck, trotzdem erkannte Kokkov einen Hauch von Bedrohung.
Er spuckte den erst halb ausgesaugten Fächer aus, bedauernd, dass er mit der Zunge nicht schnell genug gewesen war. Der fremde Geruch wurde rasch intensiver, aber die dampfende Wasseroberfläche hing wie eine Sperrschicht über ihm und machte es unmöglich, mit dem Wärmler in die Halle zu blicken.
Und der Geruch? Ein Hauch metallischer Legierungen. Außerdem ... Kokkov züngelte erregt. Er roch die offene Projektion von Energie, keineswegs eine einfache Quelle, sondern angereichert und manipuliert.
Ein Roboter mit aktiviertem, hochwertigem Schutzschirm?
Ein verrückter Gedanke. Langsam, dicht über dem Beckenboden, wandte er sich in jene Richtung, aus der das eigenartige Aroma zu kommen schien. Selbst wenn die Strömung den Geruch verwirbelte, völlig falsch vermutete er bestimmt nicht: Der Roboter stand im Vorraum der Badehalle.
Zwei!
Es waren zwei Roboter. Wobei der zweite auf der gegenüberliegenden Seite des Beckens erschienen war, nur wenige Meter vom Wasser entfernt.
Kokkov, bereits im Begriff, an die Oberfläche zu steigen, hielt inne. Die Halle war für zufällige Besucher gesperrt. Er hatte für die ausschließliche Nutzung bezahlt und die Verriegelung selbst aktiviert.
Wenn außer ihm noch jemand hier war, hatte derjenige sich gewaltsam über die Sperre hinweggesetzt.
Da war wieder der Hauch von Gefahr, intensiver und nicht mehr zu ignorieren. Ein scharfer, beißender Geruch. Kein Reinigungsmittel, sondern ein Aroma wie eine Mischung von Blut und halb verwestem Fleisch. Kokkov fand keine Erklärung dafür.
Er schwamm nah am Beckenrand und dicht unter der Oberfläche.
Was wollten die Eindringlinge? Seine Prothesen? Eigentlich ein lächerlicher Gedanke, denn die biomechanischen Konstrukte waren ihm auf den Leib geschneidert. Wenn jemand etwas damit anfangen konnte, dann nur ein anderer Praccic. Aber Kokkov hatte bislang nicht gehört, dass sich viele seines Volkes auf Axxallia-Annor aufhielten.
Auf alles gefasst, zog er seinen Körper zusammen und schnellte aus dem Wasser.
*
Eine Fülle unerwarteter Eindrücke schlug über ihm zusammen. Kokkov machte nicht den Fehler, sie sofort einordnen zu wollen – er ignorierte alle Wahrnehmungen und konzentrierte sich auf das Wichtigste, seine Prothesen. Sie lagen unverändert nahe am Beckenrand, wo er sie abgestreift hatte.
Kokkov hatte seine Sprungkraft ein wenig unterschätzt. Jedenfalls berührte er den glatten Boden nicht vor den Prothesen, sondern eine Körperlänge seitlich versetzt. Er kam mit dem Hinterleib auf, stauchte sich zwei Beinstummel bei dem Versuch, sich abzufangen, glitt aber sofort herum und schob sich sehr schnell auf die Prothesen zu.
Die beiden Armstummel hinter dem Kopf rasteten ein, ebenso drei der vorderen rudimentären Beine. Das vierte Bein stieß schräg gegen den Verschlussmechanismus und ließ die Prothese wegrutschen. Wahrscheinlich war das metallische Klirren weithin zu vernehmen, für Kokkov klang es eher wie ein kurzes, dumpfes Poltern.
Er hörte sehr schlecht, jedenfalls behaupteten das alle Laren, mit denen er zu tun hatte. Ihm selbst fiel es schwer, das zu beurteilen, in der Hinsicht konnte er sich nur mit ein wenig Vorstellungskraft helfen. Im Übrigen vermisste er diesen akustischen Sinn nicht, schon deshalb nicht, weil er es nie anders kennengelernt hatte.
Indem er den Körper krümmte, versuchte er mit den vier Greiffingern am Schwanzende die weggerutschte Prothese zu packen. Doch sogar das misslang, weil er sich von der Wolke üblen Gestanks ablenken ließ, die ihm entgegenwehte.
Selten hatte er die witternde Zunge schneller zurückgezogen als in dem Moment. Kokkov starrte hinüber zum breiten Durchgang in den Vorraum. Von dort quoll der Gestank heran, den er schon im Wasser wahrgenommen hatte. Von dort kam auch ein Teil des Metallgeruchs, der nun jedoch nahezu völlig überlagert wurde.
Eine pendelnde Kopfbewegung zurück und der Blick über das Wasserbecken hinweg verrieten ihm, dass auf der anderen Seite tatsächlich ein zweiter Roboter stand. Eine klobige Kampfmaschine. Und nein, sie hatte keinen Schutzschirm aktiviert. Ein soda-Roboter, verriet ihm der Wärmler.
Mehr hatte Kokkov gar nicht wissen wollen. Zumindest vorerst konnte er seine Aufmerksamkeit der aus dem Vorraum kommenden näheren Bedrohung widmen.
Der Angriff galt ihm, kein Zweifel.
Warum?
Im Augenblick war das unwichtig. Allein die Tatsache zählte.
Und diese Tatsache war imposant. Kokkov stemmte sich auf den vorderen Beinstummeln leicht in die Höhe, den Kopf hob er ein Stück weit an und legte ihn in den Nacken, um den Armprothesen freies Spiel zu geben. Eher beiläufig registrierte er die zustande kommende vollständige Verbindung der biomechanischen Elemente mit seinen Nervenenden.
Die Gefahr, bislang nur ein vager Hauch, war plötzlich da. Er verstand nicht, weshalb. Kokkov hatte keine Feinde. Und die Räumlichkeiten gehörten zu einem angesehenen Mietbad, einem Refugium der eher wohlhabenden Bevölkerungsschicht, nicht zu einem der banalen Kuriositätenkabinette, in denen Robotdesigner und Virtualkompositeure für angeblichen Nervenkitzel sorgten. Die Masse der Laren bevorzugte jedoch solchen Zeitvertreib.
Das Biest, das witternd aus dem Vorraum kam, war echt. Schon der Gestank verriet Kokkov die Wildheit des Raubtiers. Und was sich für ihn wie ein verhaltenes Grollen anhörte, mochte unerträglich lautes Gebrüll sein. Ohrenbetäubend, hätte ein Lare wohl dazu gesagt.
Das Tier duckte sich zum Sprung. Es war katzenartig und groß, die beiden Köpfe erreichten fast die Schulterhöhe eines Laren. Kokkov sah das Muskelspiel an den Hinterläufen und bemerkte, dass sich das Nackenfell des Angreifers sträubte, aber mehr noch roch er die plötzlich verstärkte Hormonausschüttung, und der Wärmler verriet ihm die intensiver werdende Durchblutung.
Das Raubtier sprang.
Kokkov wich ebenso blitzschnell zur Seite. Geschmeidig kam der Angreifer neben ihm auf und fuhr sofort herum. Eines der Mäuler schnappte gierig – eine Drohgebärde, mehr nicht. Das Tier reagierte irritiert, weil ihm die sicher geglaubte Beute entgangen war.
Die beiden Roboter wirkten weiterhin wie erstarrt, sie standen einfach nur da. Das Aroma eines höherwertigen Energiefelds – der Geruch konnte nur von darin vergehenden Luftmolekülen stammen – kam daher zweifelsfrei nicht von ihnen.
Wer oder was wartete im Vorraum? Vergeblich zermarterte sich Kokkov den Kopf, ob einer seiner bisherigen Auftraggeber Anlass haben konnte, ihm zu schaden. Schon dieser Gedanke war ein Unding, er hatte stets sauber gearbeitet.
Die Raubkatze duckte sich erneut, lauerte. Ihren vier Augen entging keine Bewegung. Sie lernte schnell und war ein ernst zu nehmender Gegner. Kokkov merkte es an der aggressiven Reaktion, als er den Vorderkörper nur ein wenig zur Seite neigte.
War das Tier gefährlicher als die Roboter?
Die Raubkatze würde ihn zerreißen, sobald sie ihn zwischen die Pranken bekam. Aber dafür war sie nicht verantwortlich zu machen, sondern derjenige, der die Katze in die Halle gebracht hatte.
Sie griff wieder an.
Beinahe hätte Kokkov zu langsam reagiert. Unterstützt durch die Gravoneutralisatoren in zwei Beinprothesen, schnellte er in die Höhe. Trotzdem streifte ihn ein Prankenhieb und wischte ihn zur Seite. Heftig schnitten die Krallen durch den Virenschaum, der sich aber sofort wieder schloss. Einige Schaumfetzen wirbelten davon, der Verlust war unbedeutend. Eines der flockigen Gebilde landete sogar auf dem aggressiveren der beiden Katzenschädel und löste wilde Verrenkungen aus, mit denen das Tier die klebrige Masse loszuwerden versuchte.
Kokkov machte dem ein Ende. Ein schwacher Nervenimpuls genügte, den Narkosestrahler in der linken vorderen Armprothese auszulösen.
Zwei Schüsse, unmittelbar nacheinander, ließen die Katze zuckend zusammenbrechen. Über den Versuch, noch einmal nach Kokkov zu schnappen, kam sie nicht hinaus. Der Raubtiergestank wurde plötzlich erträglicher, und die Lichter starrten ihn an, als wartete das Tier auf den eigenen Tod.
Ich vernichte kein Leben!, dachte Kokkov intensiv. Das ist es, was uns unterscheidet. Jede Art hat ihren Platz ...
Der Metallgeruch wurde deutlicher. Die Wärmekonstellation in der Halle veränderte sich ebenfalls. Ruckartig sah Kokkov auf, und eigentlich hatte er genau das erwartet: Als sei das Versagen der Raubkatze ein Signal gewesen, setzten sich beide Roboter in Bewegung.
Sie griffen an.
*
Flüchtig dachte er an die großen Liveserien, in denen ahnungslosen Passanten teils übel mitgespielt wurde. Laren wohlgemerkt, auch schon mal einem Greiko, aber niemals einem Onryonen. An die Onryonen traute sich kein Aufnahmeteam heran, die Besatzer in Larhatoon waren tabu. Kokkov sah die Onryonen als Besatzer, aber das war seine eigene Ansicht, und er behielt sie für sich. Er redete nie über Politik ...
... deshalb konnte dieser Angriff auf ihn auch nicht mit seiner Überzeugung zusammenhängen. Eher mit seinem geschäftlichen Erfolg. Neider gab es überall.
Der Roboter von der anderen Seite des Badebeckens schwebte bereits über dem Wasser. Er war einem Laren nachempfunden, wirkte nur größer, massiger, eben ein Mordinstrument, das Furcht einflößen sollte. Die Kampfmaschine aus dem Vorraum blockierte den Ausgang.
Kokkov saß in der Falle. Allerdings würden ihn die Maschinen nicht töten, das hätten sie einfacher und effizienter haben können. Jemand legte es darauf an, ihn zu erschrecken. Womöglich war die Raubkatze ferngesteuert gewesen, und ein implantierter Chip hätte sie, ihre Fangzähne schon in sein Fleisch geschlagen, im allerletzten Moment gestoppt.
Also doch der große Auftritt im Trivideo? Über einen Praccic ließ sich weit mehr Häme und Schadenfreude ausgießen als über einen Laren.
Kokkov entschied sich, nicht mitzuspielen. In der Sekunde, er schwebte dicht unter der Lichtkuppel, entspannte er sich und ließ die Stummelglieder hängen. Tief atmete er ein, streckte die Zunge ein wenig zwischen den Lippen hervor ...
... und wurde von dem Feuerwerk überrascht, das jäh in seinen Sinnen losbrach. Die aufflammenden Abstrahlfelder der Waffenarme beider Roboter roch er den Bruchteil eines Augenblicks, bevor er die pulsierende Hitze und die aktiv werdenden Kühlspiralen mit dem Wärmler erfasste.
Als die Thermostrahlen aus den Waffenarmen zuckten, wäre es für eine Reaktion schon zu spät gewesen. Kokkov schwebte da aber bereits nicht mehr unter der Hallendecke, sondern fiel wie ein Stein zu Boden.
Über ihm vereinte sich die Glut zu einem brodelnden Ball, aus dem zähflüssiges Verkleidungsmaterial abregnete. Er schlug auf, spannte die Muskulatur des Hinterleibs an und schnellte sich zur Seite. Auch ohne zu sehen, was hinter ihm geschah, verrieten ihm Hitze und Ausdünstungen, dass die Thermoschüsse den Boden aufrissen. Genau da, wo er eben noch gewesen war, aber eine Nuance zu spät.
Das war keine perfekte Abstimmung mehr, wie sie ein Aufnahmeteam bestenfalls zuwege brachte, sondern tödlicher Ernst. Die Roboter wollten ihn umbringen.
»Warum?« Kokkovs Aufschrei verhallte.
Die Roboter versuchten, ihn in die Zange zu nehmen und seine Beweglichkeit einzuschränken. Er warf sich gerade rechtzeitig herum. Mit schnellen Sprüngen wollte er auf die andere Seite und in den Vorraum gelangen, und für einen Moment sah es sogar aus, als könnte er es schaffen, doch jäh wurde er zurückgeworfen.
Ein grässlicher Schmerz stauchte seinen Leib. Kokkov überschlug sich, landete rücklings auf dem Boden, krümmte sich aber sofort zusammen und wand sich blitzschnell seitlich davon. Thermo- und Desintegratorschüsse verfehlten ihn jeweils um Stummelbreite.