Kapitel 1
Isle of Skye
Schottland
1508
Sìleas’ ausgestreckte Hände tasteten sich an den rauen Erdwänden entlang, und das Fühlen ersetzte das Sehen. Kleine Tiere flitzten vor dem Mädchen davon, das da voller Angst durch die Dunkelheit hastete.
Zum Glück blieb das hallende Geräusch von Schritten hinter ihr aus. Nichts war zu hören. Noch nicht.
Ein Kreis grauen Lichts tauchte vor ihr auf und kündigte das Ende des Tunnels an. Sobald sie ihn erreichte, ließ Sìleas sich auf alle viere fallen und kroch durch die schmale Öffnung. Zweige zerkratzten ihr Gesicht und ihre Hände, und sie versank fast im Schlamm, denn der Boden war aufgeweicht.
Aber sie konnte wieder richtig durchatmen, denn die saubere Meeresluft blies den stickigen, muffigen Geruch des Tunnels, der sie an frisch ausgehobene Gräber erinnerte, weg. Doch sie hatte keine Zeit, sich lange auszuruhen.
Hastig setzte sie ihren Weg den Hügel hinauf fort. Vorbei an Schafen, die sie verwundert anstarrten oder erschrocken zur Seite sprangen. Sie betete, dass sie sich nicht verirrte. Als sie endlich den gesuchten Pfad erreichte, drückte sie sich hinter einen Felsen und wartete. Noch ehe sie wieder zu Atem gekommen war, hörte sie Hufschlag.
Sie musste sicher sein, dass es wirklich Ian war. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, dröhnte in ihren Ohren. Vorsichtig spähte sie um den Felsen herum.
Sobald der Reiter um die Kurve bog, rief sie seinen Namen und lief auf den schmalen Weg hinaus.
»Sìl«, rief Ian und zügelte abrupt sein Pferd. »Ich hätte dich beinahe über den Haufen geritten.«
In die Glut des Sonnenuntergangs getaucht, sah Ian mit seinen wehenden dunklen Haaren so attraktiv aus, dass Sìleas für eine Weile sogar die Gefahr vergaß, in der sie schwebte.
»Was machst du hier draußen? Und wie kommt es, dass du so dreckig bist?«
»Weil ich auf der Flucht vor meinem Stiefvater bin«, antwortete Sìleas, die langsam wieder zu sich fand. »Und nachdem ich beobachtet habe, wie sie dich am Tor abwiesen, bin ich durch den geheimen Tunnel entwischt.«
»Ich befinde mich auf dem Heimweg und wollte die Nacht in eurer Burg verbringen«, erzählte er, »aber angeblich grassiert bei euch irgendeine Krankheit. Deshalb wies man mich ab.«
»Sie haben dich angelogen«, sagte sie heftig und streckte ihre Hand zu ihm hoch. »Wir müssen uns beeilen, ehe jemand mein Verschwinden bemerkt.«
Ian zog sie vor sich in den Sattel. Sìleas schmiegte sich an ihn und seufzte. Endlich war sie in Sicherheit.
Lange genug musste sie Ian schließlich vermissen, denn er war einige Monate am schottischen Hof gewesen und hatte an der Grenze gekämpft. Jetzt würde alles wieder gut. So wie früher, als Ian ihr ständig aus der Patsche half.
Allerdings hatte sie nie zuvor in vergleichbaren Schwierigkeiten gesteckt wie derzeit. Falls sie daran noch Zweifel gehabt haben sollte, so wurden diese durch die grüne Dame ein für alle Mal beseitigt. Dieser Geist, der den Bewohnern von Knock Castle bisweilen einen Blick in die Zukunft gewährte, hatte eines Nachts weinend über ihrem Bett geschwebt. Keine Frage: Ihr war sie als Botin kommenden Unheils erschienen.
Deutlicher konnte eine Warnung nicht sein.
Als Ian sein Pferd zurück in Richtung Burg lenkte, schrak sie zusammen und wirbelte zu ihm herum. »Was machst du da?«
»Ich bringe dich zurück«, sagte Ian. »Schließlich kann ich nicht zulassen, dass man mich der Entführung beschuldigt.«
»Aber du musst mich von hier fortbringen! Der Bastard hat vor, mich mit dem Schlimmsten aus der MacKinnon-Sippe zu verheiraten.«
»Hüte deine Zunge«, sagte Ian. »Du solltest deinen Stiefvater nicht einen Bastard schimpfen.«
»Du hörst mir nicht zu. Der Mann will, dass ich seinen Sohn Angus heirate.«
Ian zügelte sein Pferd. »Du musst dich irren. Nicht einmal dein Stiefvater würde so etwas tun. Wie auch immer, ich verspreche, dass ich meinem Vater und meinem Onkel berichte, was du mir erzählt hast.«
»Das mache ich selbst, wenn du mich zu ihnen bringst.«
Ian schüttelte den Kopf. »Ich fange keinen Krieg der Clans an, indem ich dich mitnehme. Selbst wenn es stimmt, was du behauptest, wird es nicht so schnell zu einer Heirat kommen. Du bist immerhin noch ein Kind.«
»Nein, bin ich nicht«, protestierte Sìleas und verschränkte die Arme. »Ich bin dreizehn.«
»Na ja, du hast jedenfalls noch keinen Busen. Und kein Mann wird dich vorher heiraten wollen«, sagte er amüsiert und kassierte von ihr einen Stoß in die Rippen. »Aua! Du musst mich nicht mit deinem spitzen Ellenbogen malträtieren, bloß weil ich die Wahrheit ausspreche.«
Sìleas bekämpfte das Brennen in ihren Augen. Nach allem, was ihr heute bereits zugestoßen war, nun auch noch das. Und am schlimmsten fand sie es, dass ausgerechnet der Mann so etwas von sich gab, den sie einmal heiraten wollte.
»Wenn du mir nicht hilfst, Ian MacDonald, gehe ich eben zu Fuß weiter. Irgendwohin …«
Prompt versuchte sie, von seinem Pferd zu rutschen, doch Ian packte sie und hielt sie fest. Nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und rieb mit dem Daumen sanft über ihre Wange, was es ihr verteufelt schwer machte, nicht in Tränen auszubrechen.
»Ich will deine Gefühle nicht verletzen, Kleine. Du kannst nicht allein in der Gegend herumlaufen. Bis zum nächsten Haus ist es ein weiter Weg – ganz abgesehen davon, dass es bald dunkel wird.«
»Trotzdem gehe ich nicht zurück zur Burg«, sagte sie trotzig.
»Ich nehme an, wenn ich dich zurückbringe, wirst du dich erneut durch den Geheimgang davonmachen?«
»Worauf du dich verlassen kannst.«
Der junge Mann seufzte und wendete sein Pferd. »Dann sollten wir uns beeilen. Aber wenn ich wegen Entführung gehängt werde, geht das auf deine Kappe.«
Bevor die Dunkelheit endgültig hereinbrach und er nichts mehr sehen konnte, hielt Ian an, um ein Lager aufzuschlagen. Ohne Sìleas wäre er vermutlich der Versuchung erlegen weiterzureiten, doch mit ihr fand er es zu riskant. Das Haus seiner Familie lag noch ein gutes Stück entfernt.
Er reichte dem Mädchen die Hälfte von seinen Haferkeksen und seinem Käse, und schweigend verzehrten sie das kärgliche Mahl. Diese Geschichte würde ihn teuer zu stehen kommen, und das alles bloß, weil sie zum einen ihren Dickkopf durchsetzen wollte und sich zum anderen aberwitzige Sachen einbildete, die sie für bare Münze nahm.
Er betrachtete sie von der Seite. Arme Sìl! Ihr schöner Name, der weich ausgesprochen wie ein sanftes Flüstern klang, sprach ihrer Erscheinung Hohn. Denn sie war nichts als ein armseliges, dürres Ding mit viel zu großen Zähnen und widerspenstigem Haar, dessen grellrote Farbe in den Augen schmerzte. Selbst mit Busen, den sie hoffentlich irgendwann bekam, würde kein Mann sie wegen ihres Aussehens heiraten. Wenigstens hatte sie sich den Schmutz aus dem Gesicht gewaschen.
Ian breitete seine Decke aus und blickte sie warnend an. »Leg dich hin und halt den Mund.«
»Es ist nicht meine Schuld …«
»Ist es sehr wohl«, sagte er. »Aber du weißt leider genau, dass dir deswegen niemand einen Vorwurf machen wird.«
Sìleas rollte sich auf der einen Seite der Decke zusammen und zog die Füße unter ihren Umhang, während Ian ihr den Rücken zudrehte und sich in sein Plaid wickelte. Nach einem langen Tag war er rechtschaffen müde.
Er schlief bereits halbwegs, als Sìleas ihn an der Schulter rüttelte. »Ich habe was gehört.«
Ian ergriff sein Claymore, setzte sich auf und lauschte.
»Es könnte ein Keiler gewesen sein«, flüsterte sie. »Oder ein sehr großer Bär.«
Ian ließ sich stöhnend wieder auf den Rücken fallen. »Das war bloß der Wind, der durch die Bäume fährt. Hast du mich für einen Tag noch nicht genug gequält?«
Er seufzte. Wie sollte er einschlafen, wenn die Kleine neben ihm dermaßen zitterte? Sie hatte schließlich kein Fleisch auf den Rippen, das sie wärmte.
»Sìl, ist dir kalt?«, fragte er.
»Ich komme fast um vor Kälte«, sagte sie mit schwacher und leicht verzweifelter Stimme.
Angesichts dieses Elends blieb Ian nichts anderes übrig, als sie zu sich unter sein Plaid zu nehmen. Mit dem Erfolg, dass er nicht mehr einschlafen konnte.
Nachdem er eine ganze Weile in die Baumwipfel hinaufgeschaut hatte, die sich im Wind über ihm wiegten, flüsterte er: »Sìl, bist du noch wach?«
»Aye.«
»Ich werde bald heiraten«, sagte er mit einem Lächeln. »Weißt du, ich habe sie bei Hofe in Stirling kennengelernt und will es jetzt meinen Eltern mitteilen.«
Er spürte, wie Sìleas neben ihm erstarrte.
»Für mich kommt es genauso überraschend wie für dich«, fuhr er fort. »Ich wollte eigentlich erst in ein paar Jahren heiraten, aber wenn einem die richtige Frau begegnet … Ach Sìl, sie ist alles, was ich mir wünsche.«
Das Mädchen schwieg eine Weile, dann fragte es mit einer ganz kleinen, gepressten und heiseren Stimme: »Warum meinst du, dass sie die Richtige für dich ist?«
»Philippa ist eine ausgesprochene Schönheit, das kann ich dir verraten. Sie hat leuchtende Augen und seidiges, ganz helles Haar – und eine Figur, die einem Mann den Atem raubt.«
»Hm. Und außer ihrem Aussehen gibt es nichts über diese Philippa zu sagen?«
»Doch. Sie sieht so elegant aus wie eine Königin der Faeries. Und sie hat ein hinreißendes, glockenhelles Lachen.«
»Und deshalb willst du sie heiraten?«
Ian lachte wegen Sìleas’ mangelnder Begeisterung. »Ich sollte mit dir nicht über so etwas sprechen, Kleine. Weißt du, es gibt Frauen, die ein Mann haben kann, ohne sie zu heiraten, und andere, die er nur in der Ehe bekommt. Sie gehört zur zweiten Kategorie … Also muss ich, sofern ich sie wirklich will, vorher heiraten.«
Mit einem versonnenen Schmunzeln legte er Sìleas einen Arm um die Schultern und sank bald darauf in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als ihn das Schnauben von Pferden weckte, erinnerte er sich an nichts.
In Windeseile warf er jedoch sein Plaid von sich und zog sein Schwert, als er die drei Reiter entdeckte, die sich ihrem Lager näherten und es zu umkreisen begannen. Obwohl Ian sie als Mitglieder seines Clans erkannte, senkte er nicht das Schwert.
Er blickte sich über die Schulter nach Sìleas um, mit der alles in Ordnung zu sein schien. Sie hatte sich aufgesetzt, sein Plaid über den Kopf gezogen und beobachtete die Ankömmlinge durch eine Art Guckloch.
»Ist das etwa unser junger Ian, der vom Krieg an der Grenze zurückgekehrt ist?«, fragte einer der Reiter.
»Aber ja, das ist er! Wir haben gehört, du warst sehr erfolgreich im Kampf gegen die Engländer«, sagte ein zweiter. »Die Engländer müssen verdammt lange schlafen«, fügte er spöttisch hinzu.
»Angeblich sollen sie höflich darauf warten, Zeit und Ort eines Kampfes mitgeteilt zu bekommen«, sagte der dritte. »Wie sonst kann ein Mann so fest schlafen, dass er erst wach wird, wenn Pferde durch sein Lager reiten?«
Ian knirschte mit den Zähnen, während die drei Männer weiterhin ihre Späße auf seine Kosten trieben.
»Die Engländer kämpfen wie Weiber. Was kannst du also erwarten?«, sagte der erste und schaute hinüber zu drei weiteren Reitern, die soeben herankamen.
»Da wir gerade von Frauen sprechen: Wer ist die tapfere Maid, die keine Angst davor hat, das Lager mit unserem grimmigen Krieger zu teilen?«
»Deine Mutter wird dich dafür umbringen, dass du ihr eine Hure mit nach Hause bringst«, spottete der zweite und erntete stürmisches Gelächter.
»Ich wäre gern dabei, wenn sie es herausfindet«, sekundierte der erste wieder. »Komm schon, Ian, lass sie uns mal ansehen.«
»Das ist keine Frau«, verteidigte Ian sich unbeholfen und schlug die Decke zurück. »Bloß Sìleas.«
Das Mädchen zog die Decke rasch wieder um sich und schaute die Männer wütend an.
Die Reiter verstummten. Ian folgte ihren Blicken und entdeckte seinen Vater und das Oberhaupt ihres Clans, die mit ihren Pferden nah dem Lager Position bezogen hatten.
In dem lastenden Schweigen, das sich nun ausbreitete, war außer dem Schnauben der Pferde kein Ton mehr zu hören. Der grimmige Blick allerdings, mit dem Payton MacDonald seinen Sohn und Sìleas bedachte, sagte mehr als Worte.
»Kehrt nach Hause zurück, Männer«, befahl der Clanchef den anderen. »Wir kommen gleich nach.«
Sein Vater stieg ab, redete aber erst, sobald die Reiter außer Hörweite waren.
»Erklär dich, Ian MacDonald.« Sein Tonfall klang harsch und ungehalten und hatte in früheren Zeiten meist eine Tracht Prügel angekündigt.
»Ich weiß nicht, wie ich so fest schlafen konnte, dass ich eure Pferde nicht gehört habe, Pa. Ich …«
»Halt mich nicht zum Narren«, brüllte sein Vater zornig. »Du weißt nur zu gut, was ich meine. Ich verlange zu wissen, warum du allein mit Sìleas unterwegs bist – und warum wir dich dabei erwischen, wie du das Bett mit ihr teilst.«
»Das tue ich doch gar nicht … Und eigentlich wollte ich überhaupt nicht mit ihr unterwegs sein«, stammelte Ian. »Es hat sich so ergeben. Aber sonst ist nichts passiert – nicht das, was du denkst.«
Das ohnehin gerötete Gesicht seines Vaters nahm eine purpurne Färbung an. »Mach mir nichts weis und behandele mich nicht, als ob ich begriffsstutzig wäre. Glaubst du etwa, ich könnte nicht erkennen, was sich hier direkt vor meinen Augen abspielt? Dafür gibt es nur eine Erklärung. Am besten gestehst du gleich, dass ihr zwei ausgerissen seid und heimlich geheiratet habt.«
»Natürlich sind wir nicht verheiratet.«
Auf dem ganzen Weg nach Hause hatte sich Ian ausgemalt, wie die Augen seines Vaters vor Stolz leuchten würden, wenn er von den Erfolgen seines Sohnes im Kampf an der Grenze gegen die Engländer erfuhr. Stattdessen redete er jetzt mit ihm, als sei er ein kleiner Junge, den er bei einem gefährlichen Streich erwischt hatte.
»Wir haben nicht auf die Art das Bett geteilt, wie du es andeutest, Pa«, sagte Ian, dem es trotz allen Bemühens nicht gelang, ruhig zu bleiben. Zu sehr wühlte ihn die ungerechte und unberechtigte Unterstellung auf. »Das wäre ja abscheulich. Wie kannst du so etwas annehmen?«
»Warum ist das Mädchen dann bei dir?«
»Sìleas bildet sich ein, dass ihr Stiefvater sie mit Angus verheiraten will. Ich schwöre, sie wäre davongelaufen, falls ich mich nicht um sie gekümmert hätte.«
Sein Vater hockte sich neben Sìleas. »Ist mit dir alles in Ordnung, Lass?«
»Ja.« Sie sah erbärmlich aus mit ihrer blassen Haut unter ihrem zerzausten Haar, hockte da unter Ians Plaid wie ein verlassener kleiner Vogel.
Payton nahm sanft ihre Hand zwischen seine riesigen Pranken. »Kannst du mir sagen, was passiert ist, Lass?«
Das war ja wohl die Höhe! Ian geriet in Rage. Sein Vater redete mit Sìleas, als sei sie der reinste Unschuldsengel. Dabei hatte sie ihm die ganze Misere erst eingebrockt.
»Ian wollte mir wirklich erst nicht helfen, und deshalb habe ich ihn dazu gezwungen. Mein Stiefvater will mich nämlich mit seinem Sohn verheiraten, damit sie Ansprüche auf Knock Castle stellen können.« Sie senkte den Blick und fügte mit zitternder Stimme hinzu: »Und das war nicht alles, doch über den Rest möchte ich nicht sprechen.«
Sìleas übertrieb wie immer. Wenn Ians Vater vorher noch nicht auf ihrer Seite gewesen war, dann hatte sie es jetzt geschafft.
»Welch ein Glück, dass das Mädchen von ihren Plänen erfahren hat und fliehen konnte«, sagte der Onkel, den diese Sache als Clanoberhaupt insbesondere interessierte. »Wir können nicht zulassen, dass die MacKinnons uns Knock Castle unter dem Hintern wegklauen.«
Payton MacDonald richtete sich auf und legte die Hand auf die Schulter des Sohnes. »Ich weiß, dass es nicht in deiner Absicht lag – trotzdem hast du Sìleas kompromittiert.«
Ian glaubte, sein Herz würde zu schlagen aufhören. Er spürte großes Unheil auf sich zukommen, das seine gesamte Lebensplanung verändern würde.
»Aber Vater, das kann nicht sein. Ich kenne Sìleas seit ihrer Geburt. Und sie ist noch so jung. Niemand wird sich irgendwas dabei denken, dass ich die Nacht mit ihr im Wald verbracht habe.«
»Die Männer, die euch gefunden haben, denken bereits das Schlimmste. Ihr Verdacht wird sich unweigerlich herumsprechen.«
»Es ist doch nichts passiert. Nicht einmal gedacht habe ich an so etwas.«
»Das macht keinen Unterschied«, entschied sein Vater.
»Dir geht’s gar nicht um Sìleas’ Ruf, oder?« Ian beugte sich mit geballten Fäusten vor. »Sondern allein darum, ihre Ländereien vor dem Zugriff der MacKinnons zu schützen.«
»Das auch, zugegeben. Dennoch hast du Sìleas’ Ruf ruiniert, und es gibt nur einen Weg, das wiedergutzumachen. Ihr beide werdet heiraten, sobald wir zu Hause eintreffen.«
»Nein. Das werde ich nicht tun«, rief Ian voller Entsetzen aus.
»Du wirst deiner Mutter und mir keine Schande machen, das verlange ich von dir.« Die Augen seines Vaters waren hart wie Stahl. »Ich erwarte ehrenhaftes Verhalten von meinen Söhnen, selbst in schwierigen Situationen. Und dann erst recht.«
»Aber ich …«
»Du musst deine Pflicht erfüllen – gegenüber dem Mädchen und gegenüber deinem Clan«, entschied sein Vater. »Du bist ein MacDonald, und du wirst tun, was nötig ist.«
»Ich rufe die Männer zusammen«, ergänzte der Clanchef. »Schätzungsweise werden die MacKinnons nicht sonderlich begeistert sein … Wir müssen uns also auf Ärger gefasst machen.«
Sìleas weinte leise vor sich hin, drückte Ians Plaid an ihr Gesicht und wiegte sich vor und zurück.
»Pack deine Sachen zusammen, Mädchen.« Ians Vater tätschelte sie verlegen. »Du musst verheiratet sein, ehe die MacKinnons nach dir suchen.«