Kokosflockerl
Das braucht man:
6 Eiweiß
500 g Zucker
1 Zitrone
100 g Mehl
250 g Kokosraspeln
1 Packung kleine runde Backoblaten
Puderzucker
So macht man’s:
1. Die Eier trennen und das Eiweiß zu steifem Schnee schlagen, der so fest sein muss, dass ein Schnitt mit einem Messer sichtbar bleibt.
2. Den Zucker esslöffelweise nach und nach unter den Eischnee schlagen.
3. Den Saft hineintropfen lassen und die abgeriebene Schale der Zitrone dazugeben.
4. Das Mehl sieben, mit den Kokosraspeln mischen und locker unter den Eischnee heben.
5. Ein Backblech mit Butter ausfetten. Darauf die Backoblaten in genügendem Abstand voneinander auslegen. Die Kokosmasse mit einem Kaffeelöffel in gleich großen Häufchen auf den Oblaten verteilen.
6. Die Flockerl vor dem Backen mit Puderzucker bestreuen, damit sie eine schöne glänzende Oberfläche bekommen und auf der mittleren Schiene des auf 160 Grad vorgeheizten Backrohrs ungefähr 30 Minuten backen.
Mein persönlicher Tipp:
Ganz frische Eier lassen sich nicht zu Eischnee schlagen. Die Eier sollten mindestens 24 Stunden alt sein. Zu lange gelagerte Eier ergeben weniger Eischnee. Der Eischnee ist erst dann wirklich perfekt, wenn man die Schüssel, in der er geschlagen wurde, über dem Kopf stürzen kann, ohne dass Ihnen der Eischnee auf selbigen fällt.
Max Inzinger
1. Auflage 2008
© 2008 by hansanord Verlag
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ISBN: 978-3-940873-18-7
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Es ist der Juli 2010. Südafrika, das Land am Kap der guten Hoffnung, ist Fußballweltmeister im eigenen Lande geworden. Ein großes Land versinkt im kollektiven Freudentaumel und setzt mehr Emotionen frei als 1994 mit dem großen Nelson Mandela, der es schaffte, durch Besonnenheit und menschliche Größe und über eine friedliche Revolution, die verhasste Apartheid abzuschaffen und die bis heute stabilste Demokratie auf dem afrikanischen Kontinent zu etablieren.
Es war ein langer Weg zum Frieden, und dieser Weg hat seit 1914, seit der Gründung des damals verbotenen ANC, des Afrikanischen Nationalkongresses, der seit 1994 amtierenden Regierungspartei, immerhin 80 Jahre gedauert.
Dass Bafana Bafana, so der Spitzname der südafrikanischen Fußballnationalmannschaft, als Gastgeber des FIFA World Cup 2010 auch Fußballweltmeister werden könnte, ist Vision und Illusion zugleich, denn die Gastgeber des weltgrößten Sportereignisses sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt weit davon entfernt, auch nur die Vorrunde des Turniers zu überstehen. Nicht dass man schlechte Fußballer hätte. Nein, hier tummeln sich mehr „Rohdiamanten“ auf den Fußballplätzen als „Hochkaräter“ in Europa und in der übrigen Welt. Das Problem ist, dass der nationale Fußballverband (SAFA) nie wirklich Interesse für die Nationalmannschaft des Landes hatte, sondern die Vorstandsetage mit schwarzen Millionären besetzte, die sich sozusagen als Statussymbol ihren eigenen Club in der PSL (Premiership League), also der südafrikanischen Profiliga hielten, die mehr an den Transferwerten der eigenen Spieler und weniger am durchaus möglichen Erfolg der Nationalmannschaft interessiert sind. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht weitere 80 Jahre dauert, bis die Südafrikaner das erste Mal den Weltpokal in ihr schönes Land holen.
Dennoch hat kein Ereignis das Land Südafrika so geprägt und positiv so verändert wie der Tag, an dem FIFA-Präsident Sepp Blatter in Zürich der staunenden Welt verkündete, dass Südafrika die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 ausrichten wird. Hat man schon 2006 in Deutschland gesehen, wie eine hoch entwickelte Nation von der kollektiven „Miesepeterei“ sich zum Freudentaumel steigerte, kann man sich als Außenstehender kaum vorstellen, welche Erwartungshaltung und vor allem, wie viel Hoffnung die Vergabe der Fußball-WM 2010 bei der überwiegend schwarzen Bevölkerung hierzulande ausgelöst haben. Fußball ist der Sport der Schwarzen. Fußball ist der Sport der Armen. Aber auch die sonst mehr an Rugby oder Kricket interessierte weiße und elitäre Bevölkerung spielt plötzlich mit. Es ist das erste Mal überhaupt in der Geschichte der FIFA, dass eine Fußball-Weltmeisterschaft auf dem so leidgeprüften afrikanischen Kontinent stattfindet.
Auch ich, Max Inzinger der ehemalige deutsche Fernsehkoch, spiele bei der Fußball-WM 2010 mit. Ich war schon bei vielen Fußball-Weltmeisterschaften dabei, aber keine hatte für mich den Stellenwert wie die WM 2010 in Südafrika. Einmal, weil Südafrika meine zweite Heimat geworden ist, weil ich Land und Leute liebe. Und zum anderen, weil ich sehe, mit welcher Hingabe und Leidenschaft die Menschen diesem Ereignis entgegenfiebern, wie sie es mit ihren Träumen und Hoffnungen, mit ihrem Glauben an eine Zukunft in einer besseren Welt verbinden. Es ist die schwarze Bevölkerung Südafrikas, die sich in Ehre und Würde bestätigt fühlt. Es sind die Armen und die Ärmsten, die Aufwertung empfinden. Die WM 2010 ist der Lichtblick, der hilft, das Elend und Leid für eine bestimmte Zeit zu verdrängen. Sie macht mindestens 40 Millionen Menschen glücklich.
Es ist und war das Bestreben des Welt-Fußballverbandes FIFA bei allen Fußballweltmeisterschaften, dem Gastgeberland nicht nur ein sportliches Großereignis zu bescheren, sondern wesentliche Elemente, wie die Verbesserung der Infrastruktur, die wirtschaftliche Weiterentwicklung, die Schaffung neuer Arbeitsplätze oder den humanitären Zusammenschluss aller soziologischen Schichten und aller Altersgruppen, unabhängig von Rasse und Hautfarbe mit dem runden Ball zu bewirken. Und meistens hatten Gastgeber einer Fußballweltmeisterschaft auch größere Chancen, zu einem späteren Zeitpunkt Olympische Spiele auszurichten, weil die geschaffenen Einrichtungen und Organisationsstrukturen damit das hohe Investment noch mehr rechtfertigen würden.
Allerdings stehe ich bei der Fußball-WM nicht in irgendeiner Küche und bekoche die Fußballtouristen oder eine der teilnehmenden Nationalmannschaften. Zwar habe ich bei früheren Fußball Weltmeisterschaften, wie zum Beispiel 1986 in Mexiko oder 1990 in Rom, oder bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona, wie auch für die UEFA
bei den Europameisterschaften 1988 in Deutschland oder 1992 in Schweden, den verantwortlichen Gastgeber und Chef der VIP Lounges gespielt, habe 1974 zusammen mit den Fußballern der deutschen Fußballnationalmannschaft deren Lieblingsgerichte gekocht, mit Sepp Maier, Gerd Müller und den anderen, doch jetzt habe ich mich in Übereinstimmung mit der FIFA entschlossen, bei der WM 2010 in Südafrika den einfachen Menschen zu helfen, bei der Organisation mitzuwirken und somit für den Erfolg zu arbeiten.
Ich wurde zum Koordinator des sogenannten Human Legacy Programms ernannt. Mit diesem anspruchsvollen Programm soll etwas geschaffen werden, das dem Land Südafrika über die Fußball-WM 2010 hinaus erhalten bleibt. Es geht um die Ausbildung und das Training all der „guten Geister“, die eine Fußball-WM erst zu dem machen, was sie neben den hoffentlich tollen Fußballspielen ist: zu einem perfekten Gastgeberland! Ein solches Schulungsprogramm durchlaufen circa 25000 junge Schwarzafrikaner, die bisher zu denen gehörten, die ohne Chance auf Arbeit und damit ohne Chance auf eine gute Zukunft waren.
Verteilt auf alle Spielstädte, mit einem großen Schulungszentrum in Johannesburg, werden Hostessen, Bedienungspersonal, Barmänner, Caterer, Platzanweiser, Fahrer, Reiseleiter, Portiers, Ordner, Sanitäter ausgebildet, trainiert und für ihren WM-Einsatz fit gemacht. Wesentlicher Bestandteil dieses Konzepts ist, dass alle, die diese Schulungen absolviert haben, über die staatlichen Arbeitsagenturen vor der WM 2010 einen festen Job garantiert bekommen, in den sie nach der WM 2010 auch wieder zurückkehren können.
Nach der Fußball WM 2010 werden diese Ausbildungsstätten weiterbestehen und ihre Schulungsangebote vor allem in Richtung Sport erweitern. Um Südafrika im Weltsport dorthin zu bringen, wo es sein könnte und sein sollte, nämlich an die Spitze, muss man an der Basis anfangen. Es fehlt an allem. Es werden Sportfunktionäre, Vereinsmanager, Übungsleiter, Physiotherapeuten genauso gebraucht wie Leute, die den kleineren Vereinen in den Bereichen Sportmarketing oder Sportsponsoring helfen können, mit ein bisschen mehr Kleingeld über die Runden zu kommen.
Meine grundlegenden Kenntnisse aus früheren Fußball-Weltmeisterschaften sind hier Gold wert. Natürlich bleibe ich im angestammten Fachbereich und kümmere mich vornehmlich um die gastronomischen, touristischen und hoteltechnischen Bereiche sowie um das Niveau eines professionellen VIP Services, der heute vor allem für die großen FIFA-Sponsoren, die das Spektakel im Wesentlichen finanzieren, eine der wichtigsten Einrichtungen ist.
Bei der Fußball-WM 1986 durfte sich jeder für die VIP Lounges im Servicebereich bewerben, der nett und adrett aussah und das strahlende, mexikanische Lächeln im Gesicht trug, auch wenn er nicht wusste, wie man eine Flasche Wein fachgerecht öffnet oder eine Champagnerflasche entkorkt
Bei der Fußball-WM 1990 wurden für den FIFA-Fuhrpark mit den circa 600 offiziellen Autos Fahrer eingesetzt, die beim italienischen Militär ihren Dienst taten. Man zog sie zwar auch in einem Trainingscamp zusammen, aber man setzte Fahrer, die sich in Palermo oder Catania gut auskannten, in Rom ein, wo sie noch nie gewesen sind und die keine Ortskenntnis hatten oder mit dem dort herrschenden Verkehrschaos vertraut waren.
Aber es geht nicht nur um die fachlichen Qualifikation, sondern auch um das Verständnis für andere Kulturen, andere Mentalitäten und andere Menschen, die aus aller Welt nach Südafrika kommen werden. Ich bin stolz auf meinen Job und mache ihn mit allem Einsatz, den ich zu bringen vermag. Ich freue mich mit jedem jungen Schwarzen, dem wir sein Diplom in die Hand drücken, denn ich weiß dann, dass er eine Zukunft in einem Lande haben wird, wo nur wenige eine solche Zukunft haben können.
Ich glaube fest daran, dass Südafrika keine Probleme hat, die WM-Stadien pünktlich fertigzustellen, die nötigen Hotelkapazitäten für die Millionen von WM-Touristen zu schaffen und auch die Sicherheit seiner WM-Besucher zu gewährleisten. Was ich nicht glaube, ist, dass die südafrikanische Fußball-Nationalmannschaft im Quartett der Großen eine Rolle spielen wird. Und nichts ist für ein Gastgeberland schlimmer, als wenn die eigene Mannschaft schon in der Vorrunde ausscheidet.
Der Fußball hat schon in meiner Kindheit eine große Rolle gespielt. In meiner Jugend dann weniger, denn da hatte ich mich voll und ganz dem Eishockey verschrieben. Sepp Blatter, der heutige FIFA Präsident und mein langjähriger Freund, brachte mich wieder zum Fußball, zur FIFA und damit gleich in den Weltfußball zurück.
Ich möchte mit meinem Engagement im Gastgeberland Südafrika dem Fußball etwas von dem zurückgeben, was er mir in meinem Leben bescherte, nämlich dass ich die halbe Welt sehen, herausragende Persönlichkeiten des Fußballs, aber auch der Kultur und der Politik und großartige Menschen aus vielen Ländern und Kulturkreisen in enger Zusammenarbeit erleben konnte.
Sie lernen jetzt den Max Inzinger kennen, der nicht nur schon mal was vorbereitet, sondern der auch so manches angerichtet hat. Dass ich einmal Ihr Fernsehkoch sein durfte, darauf bin ich stolz.
Und ich hoffe, dass ich trotz allem Mensch geblieben bin. Und dass ich meinen Lebensabend in Südafrika, dem Land der Fußball WM 2010, verbringen darf, das macht mich zufrieden und innerlich reich. Es war mein langer Weg zu meinem ganz persönlichen Frieden.
Ein Wirtshaus in Bayern ist anders als ein Wirtshaus anderswo. Man geht nicht nur hin, um zu essen oder zu trinken. Man geht auch hin, um zu feiern, zu trauern und vor allem, um zu diskutieren. Politiker wie etwa Franz Josef Strauß wurden hauptsächlich am Stammtisch „gemacht“, und schon mancher verstorbene, notorische Nörgler wurde dort, nach seiner Beerdigung, beim traditionellen Leichenschmaus von der Trauergemeinde zur „schönen Leich‘“ geredet.
Und in ein solches bayerisches Wirtshaus wurde ich buchstäblich hineingeboren. Meine Mutter hat mich nicht im Krankenhaus entbunden, sondern im Schlafzimmer, das direkt über der Schänke lag. So hätte sich mein Vater eigentlich direkt einen einschenken und auf die Geburt seines Sohnes anstoßen können, wenn er damals nicht in Kriegsgefangenschaft gewesen wäre. Mein Geburtsjahr 1945 war geprägt von zwei wichtigen Ereignissen: Der Zweite Weltkrieg ging zu Ende, und der Jahrgang 1945 wurde ein Jahrhundertwein!
Aber wie es halt so ist in einem kleinen gastronomischen Betrieb: Die Kinder mussten schon früh mit anpacken, und so spielten meine ältere Schwester und ich in der Personalplanung meiner Eltern eine nicht unbedeutende Rolle. Wenn meine Schulkollegen zum Fußballspielen gingen, durchwanderte ich die Niederungen des Geschäftes. Ich musste eimerweise Besteck waschen, Kartoffeln und Zwiebeln schälen oder Servietten falten. Nicht, dass ich es umsonst tun musste. Nein, ich wurde dafür bezahlt und habe somit sehr früh gelernt, dass man Geld verdienen muss, um es ausgeben zu können. Deswegen war mein kindlicher „Lifestyle“ dem meiner Kameraden immer eine Länge voraus. Ich konnte mir aus eigener Tasche das neue Fahrrad, die neuen Fußballschuhe und sogar die erste Armbanduhr leisten, ohne auf meine Firmung warten zu müssen.
Schon als kleiner Junge war ich so etwas Ähnliches wie ein „Macher“. Wegen meiner guten Schulnoten war ich meistens auch Klassensprecher und wurde bald der Oberministrant in der Ruhpoldinger St.-Georgs-Kirche. Die Ministrantenzeit war meine schönste Zeit. Nicht nur, dass ich dem Herrgott wegen des Dienstes am Altar jeden Tag sehr nah war. Es war mehr das erlebte Leben im Engelsgewande, das einem die Höhen und Tiefen des irdischen Daseins verdeutlichte. Wie an der Börse haben wir den Kurs der Weltlichkeit gehandelt. Je größer die Hochzeit, desto zahlreicher die Münzen, die in den aufgehaltenen Ministrantenkittel fielen, wenn wir am Kirchenausgang dem Brautpaar und den Hochzeitsgästen mit dem gespannten Strick den Zugang ins eheliche Leben verwehrten.
Je wichtiger der Verstorbene im Ansehen der Dorfgemeinschaft, desto höher die Anzahl an Sterbebildern, die wir an die Trauernden verteilen durften. Versteht sich von selbst, dass Pfarrer und Ministranten immer dabei waren. Egal ob beim Hochzeitsessen, bei der dem Eheglück folgenden Taufe eines Kindes oder beim Abschied eines lieben Angehörigen von der Erde, der beim sogenannten „Leichenschmaus“ gefeiert wurde. Als Ministrant hat man früh gelernt, dass essen und trinken immer die Nähe zu Leben und Tod haben. Und das nicht nur im biologischen Sinne.
Als Oberministrant habe ich auch den ersten Ministrantenstreik in der Pfarrgemeinde Ruhpolding organisiert, um unser „Ministrantengehalt“ für Messen und Hochämter um ein paar Pfennige zu erhöhen und uns für die stressigen Festtage wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten einen Bonus von 1 Mark zu zahlen. Und das ausgerechnet an einem Karfreitag, wo die Stimmung liturgisch gesehen ohnehin schon trübselig war. Als Schlichter musste der Pfarrer, Monsignore Roman Friesinger, meine Mutter einsetzen und die Tarifabschlussgespräche wurden natürlich am Stammtisch des elterlichen Wirtshauses geführt.
Besonders beliebt waren bei uns Ministranten die Prozessionen zu den schönsten Wallfahrsorten der Heiligen Maria, der Mutter Gottes. Während wir im rot-weißen Talar, die ewige Litanei betend, hinter unserem Pfarrer marschierten, spielte sich hinter uns, zwischen dem „Vaterunser“ und dem „Gegrüßet seist Du, Maria“ der aktive Viehhandel der wallfahrenden Bauern ab, und wir wussten, wann man sich, je nach Wegstrecke, einig war. Spätestens dann, wenn die Wallfahrer nach einem kilometerlangen Fußmarsch und nach vielen Gebeten mit uns in das meistens zur Wallfahrtskirche gehörende Wirtshaus einkehrten. Das war der Höhepunkt jedes dieser Bittgänge.
Die schönste Zeit des Jahres war für mich immer die Advents- und Weihnachtszeit. Nicht wegen der vielen leuchtenden Kerzen oder der zu erwartenden Geschenke. Nein. Ich wurde der Pfarrersköchin zum Plätzchenbacken zur Seite gestellt, denn das geistliche Oberhaupt des Dorfes liebte Weihnachtsplätzchen über alles und die daraus erwachsenen Pfunde konnte auch die üppigste Hochamt–Soutane nicht verbergen. Die Pfarrersköchin Petronilla Daburger war eine strenge Frau, um nicht zu sagen, der Teufel in Person. Während des Teigrührens musste ich immer den Rosenkranz beten, damit ich ja nicht vom Teig schlecken konnte. Und beim Verpacken der Plätzchen in dekorative Dosen wurde abgezählt und die verpackte Menge, ähnlich einer Inventarliste, registriert. Da war es mit dem Pfarrer schon anders, wenn er mich bat, ihm an den kälteren Tagen neben dem Plätzchenbacken einen zünftigen Jagertee zu kredenzen. Die Rezeptur war sein – und mein – Geheimnis: Der Anteil an echtem Obstler wurde drastisch erhöht, und er selbst wurde damit immer lustiger. Kein Wunder, dass ihm danach sein tägliches Gebetsbrevier so locker über die Lippen kam.
Und ganz nebenbei stand ich im elterlichen Wirtshaus meinen Mann. Am Herd neben der Mutter, denn nichts tat sie lieber, als mich in die bayerische Kochkunst einzuführen. Damals habe ich das gehasst. Heute bin ich ihr dankbar dafür. Denn ich denke, ich kann von mir behaupten, dass ich noch immer den besten Kartoffelsalat, die besten Fleischpflanzerl, die schönsten Knödel und den saftigsten Schweinebraten mache, auch wenn sich in meinem späteren Leben meine Küche mehr globalisieren sollte.
Und als Kind hat man noch Träume. Man träumt vor allem davon, was man später einmal werden will. Während in meiner Schulklasse der Lokomotivführer, der Bergführer, der Holzknecht oder der Baggerführer die Hitparade der Berufswünsche anführten, wollte ich alles werden, nur nicht Koch. Nächtelang habe ich darüber nachgedacht, das Für und Wider abgewogen, mich rhetorisch darauf vorbereitet, wie ich diese Entscheidung meinen Eltern beibringen würde. Ich habe meinen diesbezüglichen Auftritt sogar vor dem Spiegel geprobt. Der Erfolg war, dass ich nach dem Schulabschluss dann doch eine Kochlehre angetreten habe. Gegen meinen Willen. Gegen meine innere Überzeugung. Und vor allem gegen meine Gefühle. Gegen meinen Stolz. Doch diese innere Opposition gegen den Kochberuf war nicht von langer Dauer, denn ich hatte in Hans Jochims als Küchenchef im damals sehr bekannten Kurhaus von Bad Kohlgrub den besten Lehrmeister, den man sich vorstellen kann, der vor dem Zweiten Weltkrieg das Uhlenhorster Fährhaus in Hamburg zur gastronomischen Nummer Eins gemacht hatte.
Er war es, der mir vermittelte, dass Kochen eine Kunst ist. Ähnlich wie das Malen eines Bildes oder das Komponieren einer Melodie. Und das habe ich verstanden, obwohl man zu meiner Lehrzeit noch im selben Betrieb schlachten, das Federvieh rupfen, die Fische ausnehmen und im angegliederten Agrarbetrieb bei der Gemüseernte helfen musste.
Jetzt machte mir das Kochen Spaß, und jetzt liebte ich meinen Beruf. Während meiner Ausbildung zum Koch zwischen 1960 und 1963 hatten wir außerdem die Möglichkeit, in den saisonfreien Zeiten unserer Ausbildungsbetriebe Förderkurse an der Hotelfachschule in München zu besuchen. Vorausgesetzt, man hatte einen Notendurchschnitt von 1,5. Diese Kurse dauerten immer zwischen zwei und drei Monaten. Dort lernte ich ein junges Mädchen kennen, Heidi Schwarz aus Passau, die eine Ausbildung zur Hotelkauffrau machte. Ich verliebte mich in sie, sie wurde meine Jugendliebe. Wir hielten zwar Kontakt, telefonierten und schrieben uns Briefe während unserer Ausbildung. Doch ich stieß zunächst nicht auf Gegenliebe von ihr.
Bei meiner Gesellenprüfung, ich war damals achtzehn Jahre alt, wurde ich dann für meine Kochkünste mit dem Bayerischen Staatspreis ausgezeichnet. Den bekam man dafür, dass man die beste Ausbildungsabschlussprüfung des jeweiligen Jahrganges hingelegt hatte. Über diese Auszeichnung habe ich mich eigentlich am meisten gewundert, denn ausgerechnet ich, der es nicht so sehr mit Süß-und Mehlspeisen hatte, bekam durch Losentscheid Dampfnudeln, Salzburger Nockerl und Schokoladenmoussé als wesentlichen Teil meines praktischen Prüfungsprogramms.
Aber entweder hatte ich Glück im Pech oder einen selten guten Tag:
Die Dampfnudeln gingen auf, die Salzburger Nockerl waren luftig, und das Schokoladenmoussé war locker, wie es nie zuvor in meinem Leben war, auch wenn ich mich hunderte Male daran versucht hatte. Schon wegen dieser Widrigkeiten war ich stolz auf die Auszeichnung. Und nicht nur ich!
Und ausgerechnet jetzt, wo mich meine Eltern, sozusagen als Aushängeschild, wieder an den heimischen Wirtshausherd holen wollten, nahm ich meine Prämie für den Bayerischen Staatspreis von damals 1500 Mark und verschwand in Richtung Finnland. Nicht, weil dort im Sommer fast vierundzwanzig Stunden die Sonne scheint und es im langen Winter fast achtzehn Stunden dunkel ist. Nein, der eine Grund war weiblich, bildhübsch, ganze siebzehn Jahre alt und hieß Pääviriita Kähkönnen, lebte in Kiuruvesi, also fast am Polarkreis und war seit meinem achten Lebensjahr meine liebste Brieffreundin. Und noch einen Grund gab es: Heidi hatte mich noch immer nicht „erhört“, und so war es auch eine Portion Trotz, die mich nach Finnland trieb, um meine langjährige Brieffreundin zu treffen.
Kennengelernt hatten wir uns über das Mickey Mouse-Heft. Zu meiner Zeit damals gab es in den Micky Mouse-Heften immer eine Rubrik Brieffreunde gesucht. Und da ich Finnland immer als das Land meiner Träume sah, hatte ich auf Pääviriitas Anfrage geantwortet. Wir schrieben uns jede Woche. Mein Briefpapier war zärtlich hellblau. Ihres war betörend pinkfarben. Sie lernte in der Schule Deutsch, und so fand sie mich. In den ersten Jahren tauschten wir uns über Land und Leute aus. In den folgenden Jahren dann über Bravo, Filmstars und die ersten Rockmusiker. Und dann schrieben wir uns plötzlich Liebesbriefe. Zuerst schüchtern und zaghaft. Dann aber innig und leidenschaftlich.
Und an dem Tag, als ich den Bayerischen Staatspreis im Rahmen einer Feierstunde im Hotel Bayerischer Hof in München in Empfang nehmen durfte, schrieb ich ihr, natürlich auf dem repräsentativen Hotelpapier, dass ich sie heiraten will und deshalb nach Finnland komme. Um es vorwegzunehmen: Ich bin zwar nach Finnland gekommen, aber wir haben uns nie gesehen und schon gar nicht geheiratet.
Auf meiner Reise nach Helsinki machte ich Zwischenstation in Hamburg, und ein Besuch auf der legendären Reeperbahn brachte mich um die Hälfte meines Barvermögens. Die nächste Zwischenstation hieß Kopenhagen, wo ich im Vergnügungspark Tivoli das erste Livekonzert der unvergesslichen Beatles erlebte und dabei war, als kreischende Teenager aus Leidenschaft und Hingabe fast alles zertrümmerten, was nicht niet- und nagelfest war. Als ich dann in Stockholm ankam, hatte ich kein Geld mehr, um nach Helsinki weiterzufahren.
Der Job, der mir in vierzehn harten Arbeitstagen die Kosten für das Fährschiffticket von Stockholm nach Helsinki einbrachte, fand im Fischmarkt statt, wo ich täglich Hunderte von Fischen schuppen und ausnehmen musste. Im bereits kalten skandinavischen Oktober 1963 ein hartes Brot. Das Schlimmste aber war, dass man nach getaner Arbeit so nach Fisch stank, dass Flirts mit hübschen Schwedinnen einfach nicht mehr erfolgreich sein konnten.
Und dann kam ich endlich in Finnland an. Schon als die gute alte MS Allotar in den malerischen Hafen von Helsinki einlief, wusste ich, dass Finnland meine zweite Heimat werden würde.
Um aber zu meiner Brieffreundin in den Norden fahren zu können, musste ich wieder Geld verdienen. Ich kam bei Lasse Liemola unter, der in einem Vorort von Helsinki die größte Plantage für Treibhaustomaten betrieb und der gleichzeitig ein bekannter finnischer Schlagersänger war.
Ich stieg sofort zum Chef einer Truppe von finnischen Zigeunern auf, welche die heruntergefallenen Tomaten vom Boden aufhoben oder die reifen ernteten und polierten, während ich die Tomaten den vier verschiedenen in Finnland gängigen Handelsklassen zuordnete. Mit diesem Job habe ich die finnische Sprache gelernt, denn das war die einzige Sprache, die dort gesprochen wurde.
Dann hatte ich das Glück des Tüchtigen. In der größten finnischen Zeitung, dem Helsinging Sansomat, entdeckte ich unter der Rubrik Verschiedenes eine Anzeige mit dem folgenden Text: „Deutsche suchen weitere Deutsche zwecks Gründung eines deutschen Stammtisches und zur Pflege deutschen Kulturgutes.“
Mit dem Bus fuhr ich ins Zentrum von Helsinki und betrat das luxuriöse Hotel Palace, in dem sonst nur die reichen Leute abstiegen. Vor dem Konferenzraum Lahti, in dem das Treffen stattfand, wollte ich aber wieder umdrehen, denn im Aushang der Bar hatte ich gesehen, dass ein Bier umgerechnet 15 Mark kosten sollte. Doch dann fasste ich mir ein Herz, und schon indem ich den Konferenzraum betrat, drückte ich das Durchschnittsalter der Anwesenden von 79 Jahren auf vielleicht 73 Jahre. Alte Kapitäne, die ihr Glück in Finnland fanden. Auch einige Überbleibsel des Dritten Reiches waren dabei. Aber besonders wichtig wurde für mich der Wirtschaftsattaché der Deutschen Botschaft, ein gewisser Konsul Rudolf Hergtt, dem ich gestand, dass ich mir die Preisklasse eines solchen Stammtisches einfach nicht leisten konnte, zumal die Finnmark damals im Wechselkurs höher war als die Deutsche Mark.
Auf seine Frage, was denn mein Beruf sei, erwiderte ich wahrheitsgetreu: „Koch.“ Er drückte mir 200 Finnmark in die Hand und bat mich, am nächsten Tag in der Deutschen Botschaft in Helsinki vorzusprechen.
Diesen Tag vergesse ich nie. Es schneite und es war bitterkalt. Vom Busbahnhof bis zur Deutschen Botschaft waren es fast drei Kilometer, und Taxifahren war einfach zu teuer. Also ging ich die drei Kilometer zu Fuß, bei minus 29 Grad. Ich wurde von der Frau des damaligen Botschafters Heinrich Böx empfangen, und auf Ihre Frage, was ich denn alles kochen könne, antwortete ich im Brustton der Überzeugung: „Alles!“
Diese simple Antwort, die sicherlich mehr Hochstapelei war als Wahrheit, hat mein Leben vollkommen verändert. Ich wollte weg von den Garnitur- und Zubereitungsvorschriften der Gerichte in den guten Restaurants, weg vom Chateaubriand, weg von den Tournedos Rossini, weg von der Seezunge Walewska, die nur mit Hummersoße, Hummerscheren und einem Klacks Kaviar serviert werden durfte. Ich entwickelte eigene Kreationen, eigene Rezepte und hatte damit Erfolg. Großen Erfolg. Denn bald kochte ich nicht mehr nur für die Deutsche Botschaft. Bald kochte ich in der Schweizer, der Österreichischen, der Französischen, der Italienischen – oder in der Botschaft der USA, wo ich die Sauce Hollandaise mit Bourbongeschmack präsentierte, weil ich wusste, dass der Botschafter aus Virginia stammte.
Ich war der Diplomatenkoch. Plötzlich tauchte ich in den Klatschspalten der finnischen Presse auf. Ich war das, was man einen Star der Schickimicki-Gesellschaft nennt. Die Botschaftskarossen holten mich mit dem Stander der Landesflagge im schlichten Arbeiterviertel Helsinkis ab, weiß behandschuhte Chauffeure in dunkler Livree öffneten mir die Türen, und ich durfte auf den Märkten und in den Feinkostgeschäften nur das Beste und Teuerste einkaufen, weil in diesen Kreisen Geld keine Rolle spielte.
Ich war wie berauscht vom Erfolg. Meine Chancen bei den schönen finnischen Frauen stiegen ständig, und ich verdiente Geld. Mehr, als ich mir jemals erträumt hatte. Und ich war immer noch nicht in Kiuruvesi nahe dem Polarkreis gewesen, wo meine Brieffreundin Pääviriita immer noch auf mich wartete.
Als mich eine blonde Schönheit eines schönen Tages in Helsinki sitzen ließ, machte ich mich auf den Weg nach Kiuruvesi. Fest entschlossen, Pääviriita den versprochenen Heiratsantrag zu machen. Mit Herzklopfen stand ich vor ihrem Elternhaus. Ihre Mutter empfing mich und erkannte mich sofort, denn ihre Tochter hatte ihr Fotos von mir gezeigt, die wir öfter austauschten. Sie verhielt sich irgendwie seltsam, so als hätte sie ein Problem mit mir. Dennoch bat sie mich zu einem Kaffee in das gemütliche Wohnzimmer. Nach dem Austausch der üblichen Höflichkeiten wollte ich endlich Pääviriita sehen. Jetzt kam es knüppeldick. Ihre Mutter erklärte mir, dass Pääviriita immer auf mich gewartet habe und sehr traurig darüber gewesen sei, dass ich mich nicht mehr gemeldet hatte. Sie dachte, ich hätte sie vergessen. Abgeschrieben.
Aus Enttäuschung hatte sie genau zwei Wochen vorher geheiratet. Einen Jugendfreund. Und mit dem war sie genau an dem Tag, als ich leicht geschockt ihrer mich bemitleidenden Mutter gegenübersaß, auf Hochzeitsreise gegangen. So ist das Leben!
Dass ich dann nach Deutschland zurückging und wieder im Wirtshaus meiner Eltern in Ruhpolding landete, hat zwei Gründe. Der eine war, dass meine Eltern immer älter wurden und ihren gastronomischen Betrieb immer noch für den „verlorenen Sohn“ bereithielten. Aber der viel wichtigere Grund war meine zauberhafte Jugendfreundin Heidi von der Hotelfachschule in München, in die ich mich seinerzeit hoffnungslos verliebt hatte, der ich zu Füßen lag. Doch sie hatte meine Gefühle ja nicht im gleichen Maße erwidert. Und diese Ablehnung war auch einer der Gründe gewesen, warum ich dem Ruf der Brieffreundin nach Finnland folgte. Als sie mir dann auf einmal schrieb, dass sie mich eigentlich doch lieben und sehr vermissen würde, da musste ich ganz einfach alles stehen und liegen lassen.
Ich wohnte also wieder im Haus meiner Eltern in Ruhpolding. Ich ließ sie in dem Glauben, ich hätte es nur getan, um mich ernsthaft um die Fortführung des elterlichen Betriebes zu kümmern. Dabei kamen mir jetzt mir meine Erfahrungen im diplomatischen Dienst und meine dort entwickelte Kreativität zugute. Ich hatte von all den Honoratioren gelernt und setzte es im elterlichen Betrieb um. Ich wurde nicht nur ein guter Gastwirt, der seinen Gästen eine gute Küche bot. Ich wurde vielmehr ein guter Gastgeber, der schon in damaligen Zeiten die „Ganzheitsgastronomie“ erfand. Ich überzeugte meine Eltern davon, zu investieren. So wurde schon bald aus einem einstmals rustikalen Dorfwirtshaus, dem „Sonnenbichel“, ein Feinschmeckertreffpunkt, dessen Tische immer vollbesetzt waren mit Gästen, die von überall her kamen, um das Erlebnis meiner Küche zu genießen.
Ich war nicht mehr nur Koch oder Gastronom. Ich war auch Charmeur, der alle Register seines Könnens zog. Sah ich zum Beispiel unter meinen vielen Stammgästen ein Ehepaar am Tisch sitzen, das sich nichts mehr zu sagen hatte, dann kam mein Auftritt. Ich überreichte der Dame eine Rose, machte ihr Komplimente über ihr Aussehen und ihre Kleidung. Vor allem machte ich die männliche Seite etwas eifersüchtig, was dazu führte, dass der Abend für beide Partner ein voller Erfolg wurde, dass sie plötzlich wieder ins Gespräch kamen. Und das nicht nur wegen Essen und Trinken, sondern auch und vor allem wegen des Genießens, was immer man individuell darunter verstehen mag. Und mein Umsatz stimmte!
An jedem Ruhetag fuhr ich nach Passau. Und innere Anspannung und freudige Erregung fuhren mit mir in die schöne Drei-Flüsse-Stadt. Dem Ort, wo Heidi lebte. Ich war fest entschlossen, ihr Herz diesmal für immer zu erobern. Sie war nicht nur hübsch und zärtlich, sondern auch äußerst romantisch. Lauter Elemente einer Beziehung, die ich bei meinen Eltern immer vermisst hatte.
Ich wollte alles anders machen. Aber sie machte es mir schwer. Sie wollte es mir nicht einfach machen. Sie träumte davon, wie in kitschigen Liebesfilmen erobert zu werden, was mich dazu veranlasste, die darstellerischen Leistungen eines Gary Grant, Burt Lancaster oder James Stewart genauer zu studieren. Jede Woche fuhr ich mit meinem alten Opel Rekord die 160 Kilometer von Ruhpolding nach Passau. Wir hielten Händchen, küssten uns zaghaft und dennoch innig, berührten uns erst vorsichtig und dann drängender, gingen ins Kino oder zum Tanzen. Kurz: Wir taten alles, was damals das Verliebtsein ausgemacht hat. Aber das große Feuer der Liebe war bei ihr noch nicht entflammt.
Liebt sie dich? Liebt sie dich nicht? Meine innere Unsicherheit in dieser Frage fraß mich fast auf. Sie zehrte an meinem Optimismus. Sie zehrte an meinem männlichen Selbstvertrauen, und dieser Schwebezustand ließ mich wieder zweifeln. Ich gebe zu, dass man mit gerade einmal zwanzig Jahren auch in der Liebe oft zu stürmisch und zu sprunghaft ist. Und Konkurrenz belebt das „Geschäft“, auch auf dem Gebiet der Gefühle. So traf ich in einem Ruhpoldinger Nachtclub Helga Schmidt, die zwei Jahre älter war als ich und deren feminine Ausstrahlung faszinierte. Ich will nicht sagen, dass es Liebe war. In jedem Fall konnte man stolz darauf sein, sie als schöne Frau an der Seite zu haben. Und so kam es, wie es kommen musste. Ich begann auf zwei Hochzeiten zu tanzen.
Der jährliche Hausball im Kurhaus Ruhpolding war das absolute gesellschaftliche Ereignis des Jahres im Ort. Lange vor dem Balltermin lud ich meine Jugendliebe ein, bei diesem Anlass die Dame meines Herzens zu sein. Die Enttäuschung darüber, dass auf meine Einladung keine spontane Reaktion, kam war der Auslöser dafür, dass ich Helga bat, mich zu begleiten.
Der Veranstaltungstag fing gut an. Es war ein kalter, aber sonniger Tag im Februar 1965, und ich hatte im Hotel Österreichischer Hof in Salzburg mit der Neuerwählten ein kleines Sektfrühstück, um sie dann zum Friseur auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu begleiten, denn sie wollte sich für das große Ereignis schick machen. Während sie unter der Trockenhaube davon träumte, am Abend mit mir zu tanzen, rief mich meine Schwester, die bei so komplizierten Beziehungskisten meine Vertraute war, bei dem Friseur in Salzburg an, zu dem auch sie immer ging.
Mir wurde heiß und kalt zugleich, denn sie teilte mir mit, dass Heidi am selben Abend zum Hausball ins Kurhaus nach Ruhpolding kommen würde. Die liebe Helga jetzt auszuladen, als sie unter der Trockenhaube hervorkam, war schmerzlich. Nicht nur weil es Tränen gab, sondern weil ich mir schäbig vorkam. Aber ich folgte dem Ruf des Herzens und entschied mich für die Frau, die ich dann am 30. September 1967 auch geheiratet habe und die dann Heidi Inzinger geworden ist.
Heidi liebte Pferde über alles und brachte mich nicht aus Überzeugung, wohl aber aus Liebe, zum Reitsport. Pferde waren ihr Glück auf dieser Erde und manchmal machte mich die übertriebene Zuneigung zu diesen Tieren fast eifersüchtig. Was muss passiert sein, dass man aus Liebe reiten lernt, auch wenn man zuvor für diesen Sport nichts übrig hatte?
Es wurde eine Traumhochzeit. Hoch zu Ross natürlich. Die Hochzeitsgäste mussten sich in Pferdekutschen zwängen, anstatt in ihren Autos hinterherzufahren. Durch das Spalier der rot berockten Reiter aus unserem Reitsportclub betraten wir die romantische Wallfahrtskirche Maria Schnee in Urschlau, tief versteckt in der Ruhpoldinger Bergwelt. Mein alter, fast väterlicher Freund, Monsignore Roman Friesinger, traute uns für alle Zeiten, und als ich meine Frau in ihrem weißen Hochzeitskleid so ansah, war ich nicht nur ein total verliebter und stolzer Ehemann, sondern ich war auch überzeugt davon, dass nur der Tod uns scheiden könnte.
Unsere Hochzeitsreise führte uns natürlich nach Finnland, denn ich wollte meinem Glück all das zeigen, was mich vorher glücklich einmal gemacht hatte. Das Land, meine Freunde und meine Wirkungsstätten, natürlich nur die beruflichen. Auch ein Abstecher nach Leningrad war Programm. Wir hatten eine wunderschöne Zeit und kehrten voller Optimismus in die mittlerweile gemeinsame Heimat Ruhpolding zurück. Wir krempelten beide die Ärmel hoch. Wir hatten viel vor und dachten nicht eine Minute daran, dass wir es gemeinsam nicht schaffen könnten.
Eigentlich wollte ich nie Koch werden. Und ich hätte nie gedacht, dass ich einmal der deutsche Fernsehkoch sein würde. Nie habe ich aktiv etwas unternommen, um dieses Ziel zu erreichen. Aber manchmal spielen Zufälle und glückliche Umstände eine große Rolle. Natürlich war mein Weg zum Fernsehkoch bestimmt vom Kochen. Kochrezepte waren für mich Meilensteine des Lebens. Egal, ob ich in Finnland meine Außenpolitik mit dem Kochlöffel betrieb oder im heimischen „Sonnenbichel“ in Ruhpolding meine Gäste verwöhnte: Ich entwickelte meine eigenen Rezepte, die später dann ein Stück deutscher TV-Geschichte werden sollten.
Wie und warum ich dann Fernsehkoch wurde, das fing im Wellenhallenbad von Ruhpolding an. Zu dieser Zeit, es war das Jahr 1969, war ich für das Ruhpoldinger Tourismusbüro nebenberuflich als Kommunikationsdirektor tätig. Ich inszenierte die feierliche Eröffnung des Wellenhallenbades mit einem handfesten Skandal, indem ich hübsche Mädchen aus München engagierte, die sich ihre kleinen Bikinioberteile ganz gezielt von der ersten Welle wegspülen ließen. Die Schlagzeile der Bild am Sonntag am Tag darauf: „Oben-ohne-Skandal im ersten Wellenhallenbad der Alpen!“
Die Presseresonanz war sagenhaft, auch wenn man von der Kirchenkanzel bis hin zu den Stammtischen an mir als ehemaligem Oberministranten kein gutes Haar ließ. Der Zweck heiligt die Mittel. Die Besucherzahlen schlugen in der Folgezeit alle Rekorde, und gar mancher Badegast in der Warteschlange von der Kasse erinnerte auch noch Jahre danach die vor ihm und hinter ihm Wartenden, dass sich „hier doch bei der Eröffnung die Weiber ausgezogen haben“. Es war für die damalige Zeit halt eine kleine Sensation.
Und weil es so schön und erfolgreich war, setzte ich 1970, wiederum im Wellenhallenbad in Ruhpolding, noch einen drauf. Schließlich brauchte so eine touristische Einrichtung eine permanente Medienpräsenz. Ich gründete zusammen mit ernsthaften, seriösen und humorvollen Menschen, den Weltverband der Strapsfreunde. Es ging dabei um „Romantik in der Liebe“, die „gesunde Erotik“ und den „Kampf gegen die Pornografie“. Vom Kurdirektor über den Bürgermeister, vom beflissenen Fernsehredakteur bis hin zum Leiter des Aktuellen Sportstudios im ZDF: Alle waren sie mit Begeisterung dabei. Es war halt zu dieser Zeit das, was man in Bayern eine „ Mordsgaudi „ nennt. Höhepunkt meiner Planungen war der 1. Weltkongress, dessen Termin wir zur Vorsicht auf den Rosenmontag legten, um nicht als Moralschänder und geile Säcke abgetan zu werden. Wir engagierten über den Studentenschnelldienst in München insgesamt siebzig Studenten aus wiederum siebzig verschiedenen Ländern und karrten sie mit Bussen in das winterliche Ruhpolding. Ähnlich einer Schulung, wurden sie einen ganzen langen Tag mit den Inhalten und den Schwerpunkten der „Strapsologie“ vertraut gemacht.
Wir stellten ein Präsidium zusammen, und ich stellte mich für die Position des Generalsekretärs zur Verfügung. Für die Veranstaltung fehlte uns eigentlich nur noch ein „Weltpräsident“ mit Format, der auch einen weltmännischen Eindruck machen, Glaubwürdigkeit und Kompetenz darstellen sollte.
Mein Freund Uly Wolters, damals Regisseur des ZDF bei der gleichzeitig im Nachbardorf Inzell stattfindenden Eisschnelllauf-WM, hatte die ideale Lösung parat.
„Da ist ein Schweizer für die Sportzeitmessung zuständig, der Humor hat, mehrere Sprachen kann, internationales Flair verbreitet und bestimmt auch etwas für Strapse übrig haben muss“, meinte er und brachte mich mit diesem Schweizer zusammen, mit Joseph S. Blatter, der heute als Präsident des Weltfußballverbandes FIFA einer der mächtigsten Sportfunktionäre der Welt ist.Wir verstanden uns auf Anhieb, waren uns sympathisch, und ich hoffte sehr, dass er mitmachen würde.
Ich brauchte nicht lange, um ihn davon zu überzeugen, dass er die Position des Präsidenten im Weltverband der Stapsfreunde einnehmen sollte, und so geschah es dann auch, dass er am Rosenmontag des Jahres 1970 von den 70 internationalen Delegierten einstimmig gewählt wurde. Das Publikum erhob sich von den Sitzen, beklatschte ihn, als er verkündete, dass er die Wahl annehme.
Dabei fanden sich im Wellenhallenbad in Ruhpolding mehr nationale und internationale Journalisten, Presseagenturen und TVTeams ein, als Delegierte und Funktionäre der jungen Organisation vertreten waren. Niemals zuvor und niemals mehr danach hat die oberbayerische „Urlaubshauptstadt“ Ruhpolding ein größeres Medienecho bekommen. Sogar auf der Titelseite der New York Times wurde über dieses Ereignis berichtet. Die Gründung des Weltverbandes der Strapsfreunde war den prüden Amerikanern fast eine halbe Seite wert, und es gab kein deutsches Boulevardblatt und keinen Titel der Regenbogenpresse, die nicht ausführlich, süffisant und genüsslich darüber berichteten. Ein Riesenthema, weil viele Journalisten nicht wussten, ob es Spaß oder ernst gewesen war. Wie denn auch, wenn der gewählte Weltpräsident seine Antrittsrede, so wie heute die Auslosungen einer Fußball-WM, gleich in fünf verschiedenen Sprachen hielt? Wie denn auch, wenn der damals bekannte TV-Journalist Dr. Dieter Netzsch als Chefideologe das Konzept sinnlich formte? Wie denn auch, wenn der Delegierte der Elfenbeinküste ernsthaft erklärte, dass man in seinem Lande zwar noch knapp an BH’s sei, er aber dafür sorgen wolle, dass vor deren weiteren Verbreitung erst die Strapse kommen müssen. Wie denn auch, wenn der Delegierte Englands den Antrag stellte, dass der nächste Weltkongress der Strapsfreunde im Folgejahr in London abgehalten und Queen Elizabeth II. die Eröffnungsrede halten müsse, weil man sie zweifelsohne zu den prominentesten Strapsträgerinnen zählen dürfe.
In den Folgejahren haben wir dann die Strapsloge erfunden und prominente Persönlichkeiten, denen man es nicht zugetraut hätte, weil sie sich alles im Leben leisten konnten, buhlten darum, mit von der Partie sein zu dürfen.
Bis zum heutigen Tage bin ich mit Sepp Blatter befreundet. Er war es, der mich wegen meines PR-Verständnisses in die Kommunikationsabteilung der Schweizer Uhrenfirma Longines holte, auch um den Zielen einer alteingesessenen, konservativen Uhrenfirma neuen Schwung zu geben. Als großes Ziel hatten wir den Auftrag, gemeinsam die Sportzeitmessung bei den Olympischen Spielen in München 1972 zu organisieren.
Und genau dieser Job war mein „Sprungbrett“ zum Fernsehkoch. Technisches Unverständnis vieler Sportjournalisten war der Auslöser zu meinem Glück.
Für die Sportzeitmessung bei großen internationalen Sportveranstaltungen liefert liefert eine dafür kompetente Firma die hochkarätige Technik. Mit Longines waren wir die Marktführer. In den meisten Sportarten wird diese Supertechnik auch von darauf spezialisierten Technikern der Firma bedient. Es gibt aber Sportfachverbände, die die Technik nur gestellt bekommen und deren Funktionäre sie dann selbst bedienen.
Bei meinem ersten internationalen Einsatz vor den Olympischen Spielen in München, bei der Leichtathletik Europameisterschaft 1971 in Helsinki, passierten dann auch solche „Bedienungsfehler“, die unserer Firma angelastet wurden. Und die Medien
haben uns verrissen. Das war ganz schlecht für die Abteilung Kommunikation. Und das war vor allem ganz schlecht für mich.
Deswegen haben Sepp Blatter und ich in einer Krisensitzung beschlossen, dass wir vor den Olympischen Spielen 1972 in München eine große Pressekonferenz einberufen werden, um den Sportjournalisten den Unterschied der Zeitmessung klar zu machen, was passieren kann, wenn Funktionäre auf der Basis Ihrer Satzung die Technik bedienen
und wer dann die Verantwortung für Missgeschicke und Pannen übernehmen muss. Es war an mir, zu überlegen, wie man ein so schwieriges und trockenes Thema optimal rüberbringen kann. Und ich hatte schnell eine Lösung. Eine Lösung, die allen schmecken würde. Eine kulinarische Lösung! Ich veranstaltete ein Hummeressen. Ein Hummeressen, das ich niemals vergessen werde.
Der Schauplatz war das Drehrestaurant im Olympiaturm, von dem aus man einen herrlichen Blick auf das Olympiagelände und ins Olympiastadion hinein hatte. Mit dem Hummeressen wollte ich den Journalisten die drei wesentlichen Elemente der Sportzeitmessung demonstrieren, nämlich Geschwindigkeit, Präzision und Anzeigetechnik. Und das sollte mit einem Hummer prima gelingen. Es sollte aber auch die kritischen Journalisten mit dem eigentlichen Thema vertraut machen.
Die Techniker von Longines bauten Lichtschranken, Verfolgungskameras und elektronische Anzeigentafeln, denn für das Hummeressen entwickelte ich Wettkampfregeln, wie sie bei den Olympischen Spielen tatsächlich angewendet wurden. So bildete ich eine Jury mit bekannten Gesichtern der Münchner Schicki-Micki-Gesellschaft und aus der Münchner Gastronomie, die bewerten sollte, wer seinen Hummer fachgerecht und perfekt zerlegt. Wie beim Kunstturnen sollten dann die Wertungen vergeben und angezeigt werden. Die Verfolgungskameras sollten in Momentaufnahmen von Hundertstelsekunden zeigen, wer sich wann und wie nicht absolut regelkonform verhielt. Und nach Vollendung der Tat sollte eine Hummerschere durch die Lichtschranke flutschen und die für die Hummerzerlegung benötigte Zeit in Tausendstelsekunden anzeigen. Auf jeden Teilnehmer warteten eigens dafür hergestellte Kochschürzen, natürlich mit einem riesigen Hummer drauf und unserem Firmenlogo, um nicht zu vergessen, dass wir ja eigentlich für Sportzeitmessung und nicht für das Schaukochen zuständig waren.
Wohl kaum eine der vielen vorolympischen Pressekonferenzen fand so großen Zuspruch wie unser Hummeressen. Wir hatten ein volles Haus. Die Stimmung war gut und wurde mit jeder Flasche der guten Schweizer Weine besser, die wir als Schweizer Uhrenhersteller patriotisch servieren ließen. Man konnte die Spannung förmlich spüren. Mein Lampenfieber auch. Und dann kam mein Auftritt.
Ich musste die Show moderieren. Im gleißenden Scheinwerferlicht warf ich meinen ganzen Charme in die Waagschale, um die skeptischen Schreiber für die Sache zu gewinnen. Zufrieden registrierte ich, dass mein kulinarisch geprägter Humor ankam. Dann demonstrierte ich professionell das sach-und fachgerechte Zerlegen eines riesigen Hummers und gab eine Zeit vor, die es zu schlagen galt. Insgesamt acht Sportjournalisten wurden von mir auf die Bühne gebeten, um sich dem genüsslichen Kräftemessen zu stellen. Sepp Blatter öffnete eine Flasche Champagner und gab mit dem Knallen eines Champagnerkorkens den Startschuss für die wohl lustigste Pressekonferenz ihrer Zeit.
Gerd Mehl, der damals wohl bekannteste Rundfunk-und Fernsehreporter kommentierte sachlich und doch leidenschaftlich das sich abzeichnende Gemetzel. Die Stimmung wäre eines olympischen Finales im Zehnkampf würdig gewesen. Spannend. Lustig. Verrückt!