NECROSCOPE – DIE VERLORENEN JAHRE

Was bisher geschah

Harry Keogh ist ein junger Mann im Körper eines anderen Mannes. Sein Bewusstsein hat den hirntoten Körper Alec Kyles wiederbelebt. An diesen Gedanken – an sein neues Aussehen und das Gefühl dabei – muss er sich allerdings erst noch gewöhnen. Dies ist an sich bereits schwierig genug, hinzu kommen jedoch die Probleme, die es mit sich bringt, Harry Keogh zu sein. Denn Harry ist der Necroscope, der Mann, der mit den Toten in ihren Gräbern zu reden vermag! Mehr noch: Mithilfe der Formeln des seit Langem verstorbenen Astronomen und Mathematikers August Ferdinand Möbius hat er das Geheimnis der Teleportation gelüftet. Innerhalb eines Augenblicks vermag er sich an die entferntesten Orte und in andere Zeiten zu begeben.

Doch seit seinem »Tod« und der darauf folgenden Seelenwanderung wuchsen die Probleme des Necroscopen ins Unermessliche an. Seine Frau Brenda, nahm, traumatisiert von vergangenen Ereignissen und nun mit der Aussicht konfrontiert, ihr Leben mit einem »völlig Fremden« zu verbringen, ihr gemeinsames Kind, noch ein Säugling, und ist seither wie vom Erdboden verschluckt. Die Agenten des E-Dezernats – des britischen ESPionage-Dienstes mit Sitz in London, für den Harry arbeitete – können sie nirgends ausfindig machen, und all seinen Fähigkeiten zum Trotz hat auch Harry nicht die geringste Ahnung, wo Brenda zu finden sein könnte ... oder vielleicht doch? Ihm ist klar, dass sein Sohn über mindestens ebenso große Kräfte verfügt wie er selbst. Ist es möglich, dass der Säugling seine Mutter mitgenommen und sich mit ihr versteckt hat? Doch wo?

Um sich voll und ganz seiner Suche widmen zu können, hat Harry seinen Abschied vom E-Dezernat genommen und ist in sein Haus bei Bonnyrigg in der Nähe von Edinburgh, Schottland, zurückgekehrt. Ohne sein Wissen jedoch hat Darcy Clarke, Chef des E-Dezernats, gewisse Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass nicht eine fremde Macht sich der einzigartigen Fähigkeiten des Necroscopen bedienen kann. Denn das britische E-Dezernat ist nicht mehr der einzige parapsychologische Nachrichtendienst auf der Welt: Schon seit Langem forschen Rotchina und die Sowjetunion in derselben Richtung und betreiben vergleichbare Dienste. Clarke durfte Harry nicht einfach ziehen lassen. Er konnte nicht das Risiko eingehen und darauf vertrauen, dass ihn schon keine fremde Macht oder kriminelle Organisation rekrutieren oder in ihre Dienste zwingen würde. Ja, hinter dem Verschwinden von Ehefrau und Sohn des Necroscopen könnte durchaus auch ein fremder Geheimdienst stecken!

Aus diesem Grund ließ Clarke Harry, ehe dieser das E-Dezernat verließ, unter Drogen setzen und hypnotisieren. Dabei wurden ihm mehrere posthypnotische Befehle eingepflanzt, die es ihm untersagten, seine Fähigkeiten zu enthüllen oder irgendjemandem preiszugeben.

Das ist jetzt dreieinhalb Jahre her. In gewisser Weise entwickelte sich Clarkes Komplott zu Harrys Gunsten, andererseits jedoch hinderte es ihn daran, sein normales Leben wieder aufzunehmen und sich in seiner eigenartigen Situation zurechtzufinden ...

In Schottland entwickelt Harry, einsam und von Albträumen geplagt – ein letzter Überrest von Alec Kyles hellseherischem Talent, das ihm unerklärliche, flüchtige Blicke in die Zukunft gewährt –, eine romantische Beziehung zu Bonnie Jean Mirlu, einer »dickköpfigen« jungen Frau, die ihm in London einmal aus der Patsche half. Gemeinsam mit einer Gruppe attraktiver Mädchen betreibt sie in einem zwielichtigen Viertel Edinburghs ein Weinlokal. Doch das Lokal ist lediglich Fassade. Hinter B. J. verbirgt sich weit mehr, als sie vorgibt.

In Wirklichkeit ist sie zweihundert Jahre alt und eine Vampirin, die schon ihr Leben lang ein uraltes, aus einer entsetzlichen, fremden Welt stammendes Grauen hütet. Ihr Gebieter ist Radu Lykan, seine Stätte ein unzugänglicher Höhlenkomplex hoch oben in den Bergen Cairngorms. In einer Art Winterschlaf wartet er seit sechshundert Jahren nur darauf, endlich wiederaufzuerstehen – denn Radu ist ein Wamphyri! Vor nahezu zweitausend Jahren wurden die ersten Wamphyri in unsere Welt verbannt, vier an der Zahl: Nonari Grobhand Ferenczy, die Gebrüder Drakul und der Hunde-Lord Radu Lykan, ein Werwolf. Und mit sich brachten sie ihre bereits seit Jahrhunderten schwärende Blutfehde.

Doch in unserer Welt war alles ganz anders. Es gab zahllose Stämme und Krieger, die ihre eigenen Blutkriege austrugen. Nur zu leicht konnten die Wamphyri hineingezogen und darin zermalmt werden. Es war weit entfernt von allem, was sie aus ihrer Heimat kannten, in der sie nur einen wirklichen Gegner hatten – ihre eigene Gattung! Anfangs fiel es ihnen schwer, sich zurechtzufinden; oftmals wären sie um ein Haar ausgerottet worden, bis sie schließlich die goldene Regel fürs Überleben entdeckten, nämlich dass Langlebigkeit gleichbedeutend mit Anonymität ist.

Nach und nach gelang es ihnen, sich anzupassen. Mit ihren metamorphen Fähigkeiten war es nicht weiter schwierig, in die Rolle ganz gewöhnlicher Menschen zu schlüpfen; immerhin waren sie, in ihrer eigenen Welt, ja selbst einmal Menschen gewesen, ehe sie zu Wamphyri wurden! Nun mussten sie eben wieder Menschen werden, eine Stellung erringen, die ihren Fähigkeiten entsprach, und diese dazu nutzen, ihre Macht in dieser neuen Welt auszubauen. Dazu schlugen die verbannten Vampir-Lords unterschiedliche Wege ein.

Sie hüteten sich, ihr Übel zu weit zu verbreiten, wählten sorgsam ihre durch Ei-Übertragung fortgepflanzten Söhne aus und zeugten nur wenige Blutsöhne. Meist ließen sie sich in entlegenen Gegenden nieder und hielten sich aus den Angelegenheiten der Menschen heraus. Die Drakuls errichteten ihre Burgen (oder vielmehr Stätten) in den Bergen Transsilvaniens und stiegen innerhalb von neunhundert Jahren zu mächtigen Bojaren auf. Nonari Ferenczy floh vor dem Hunde-Lord Radu Lykan in den Osten; er änderte seinen Namen, wurde römischer Bürger und schließlich Statthalter einer kleinen Provinz am Schwarzen Meer. Mit hübschen Sklavinnen zeugte er Vampirsöhne, die sich wiederum in den trostlosen, nach Osten hin gelegenen Bergen niederließen, um die asiatische Invasoren stets einen großen Bogen schlugen.

Im Großen und Ganzen hielten die Drakuls und Ferenczys sich, jeder auf seine Weise, im Verborgenen; sie hofften, dass die Menschen nach all den blutigen Kriegen, die über diese Gegenden hinweggefegt waren, die noch aus ihrer Frühzeit an der Donau und den bewaldeten Hängen Dakiens stammenden Legenden – Sagen über furchtbare, blutsaugende Bestien und Werwölfe – vergessen würden. Und im Prinzip wurden sie auch vergessen.

Was jedoch Radu betraf: Da in seinen Adern nun einmal Wolfsblut floss, war er der Wildeste unter ihnen. Anfangs ignorierte Radu die Grundsätze der gegnerischen Lords – er hatte nicht vor, sich zu verstecken. Ihn trieb es hinaus in die Welt, er wurde ein Söldner und stürzte sich mit heller Freude in die Kriegswirren ringsumher. Während die übrigen Vampir-Lords sich in ihren diversen Stätten festsetzten, verschrieben Radu und sein Rudel sich dem Krieg und scherten sich weder um Abgeschiedenheit noch Anonymität. Stattdessen gierten sie danach, Städte zu plündern und Beute zu machen. Sie waren Söldner und kämpften aus reiner Gewinnsucht – und natürlich auch Lust – unter menschlichen Kriegsherren, die in der Kunst der Kriegsführung weitaus bewanderter waren als die Vampir-Lords der Welt, aus der Radu stammte. Und so wurde auch er zu einem listigen, mit allen Wassern gewaschenen Krieger.

Doch schließlich erkannte auch Radu, nachdem die Menschen Verrat an ihm übten, dass es an der Zeit war unterzutauchen. Also kehrte der Hunde-Lord nach Rumänien zurück und beschloss, sich in einem »Bau« im Gebirge zu verkriechen. Allerdings musste er auch dort von irgendetwas leben, und das einzige ihm bekannte Mittel dazu war das Blut, welches das Leben ist. Darum erbaute er sich eine Feste, um sich zum Wojwoden – zum Beschützer und Kriegsherrn – der in den Bergen lebenden Landbevölkerung der Ostkarpaten aufzuschwingen.

Doch die Drakuls, die sich bereits seit Langem in der westlichen Zunge des die Karpaten bildenden Hufeisens etabliert hatten, hörten von seinem Vorhaben. Sie überfielen ihn in der Absicht, ihn zu ermorden, und zerstörten seine Stätte. Radu war jedoch unterwegs; als er zurückkehrte und sah, was geschehen war ... war ihm klar, wer dahintersteckte.

Aber er konnte nichts unternehmen, denn erneut war sein Rudel geschwächt worden und Radu hatte nicht mehr genügend Männer für einen Gegenangriff. Aber wenigstens hatten die Drakuls nun ihr wahres Gesicht offenbart. Von da an wusste Radu, was er von ihnen zu erwarten hatte. Im Grunde hatte er es ja schon immer gewusst, aber dies war die erste wirkliche Kriegserklärung. Der Blutkrieg hatte begonnen, aye!

In den folgenden Jahrhunderten bekämpften die rivalisierenden Splittergruppen der Wamphyri einander schonungslos. Gnade wurde weder gewährt noch erwartet. Die Drakuls und Ferenczys mitsamt ihren Abkömmlingen und Knechten sowie Radu und sein Rudel bildeten ein weitläufiges Dreieck aus Feindseligkeiten, Abscheu und gegenseitigem Hass, der die Leidenschaften rein menschlicher Widersacher weit überstieg. Von Zeit zu Zeit gerieten sie aneinander, obwohl sie es normalerweise für klüger hielten, einander aus dem Weg zu gehen – aber zur rechten Zeit und am rechten Ort ...

... brach ihre Natur eben durch. Und dann floss Blut!

Radu umgab sich mit nur einem kleinen Rudel, verdingte sich weiterhin als Söldner und kämpfte in fast allen großen Schlachten der Antike und des Mittelalters. Wenn die Lage es zuließ, kehrte er zurück nach Rumänien, das er gewissermaßen als Heimat betrachtete. Doch er wusste, dass die Drakuls sich in den Bergen immer noch als die Herren aufspielten und dass seine ärgsten Feinde, die Ferenczys, immer noch irgendwo auf der Welt ihr Unwesen trieben. Er betete zu seiner Herrin, der Mondgöttin, sie möge ihn doch irgendwann auf sie treffen lassen, damit er sich für das Unrecht, das sie ihm angetan hatten, rächen könne. Und in gewisser Weise – wenn auch nicht ganz so, wie er es sich vorgestellt hatte – wurden seine Gebete schließlich erhört ...

Die Zeit strich dahin, und die Welt veränderte sich. Im Osten entstand ein neuer Schrecken, der unter den Menschen wütete. Keine unbezwingbaren Mongolenhorden diesmal, sondern Scharen von Ratten! Der Schwarze Tod hatte Europa erreicht – und Mensch wie Vampir erlagen der Pest.

Die Vampirwelt hatte nur eine einzige Krankheit gekannt, vor der die Wamphyri Furcht hatten: die Lepra. Sie infizierte ihr metamorphes Fleisch schneller, als ihre Egel es heilen oder ersetzen konnten. In dieser Welt gab es nun also noch eine weitere Plage. Es schien eine fürchterliche Ironie: Es gab keine größeren Parasiten als die Wamphyri, und die Pest wurde ausgerechnet von den kleinsten Schmarotzern übertragen, die man sich denken konnte – von Flöhen nämlich, die die Ratten aus dem fernen Osten befielen.

Der letzte Drakul (Egon, er stammte noch von der Sternseite) lebte während der Schreckensjahre in Polen, wo die Pest so gut wie keine Opfer forderte. Und was die noch verbliebenen Ferenczys betraf: Mindestens einer überstand die Pest wahrscheinlich auf einer leicht zu verteidigenden Insel, denn zur damaligen Zeit lag ihre Machtbasis im Mittelmeer. Radu Lykan hingegen war stets nur ein Söldner gewesen, ein unsteter Abenteurer, den es nie lange an einem Ort hielt. Und es erwischte ihn auf freiem Feld.

Während er quer durch das vom Schwarzen Tod heimgesuchte, in Panik geratene Europa Richtung Westen floh, wurde er überfallen und verwundet und dabei mit der Pest infiziert. Radu führte einen ausschweifenden Lebenswandel und stand ständig unter Hochspannung, noch dazu die Seuche in seinem Blut – es war zu viel für seinen Parasiten. Geschwächt wie er war, ließ er Radu im Stich. Als Radu mit den Überlebenden seines Rudels schließlich in Schottland anlangte, war er so erschöpft, dass ihm nur noch ein einziger Ausweg blieb.

Schon seit Langem machte sich der Hunde-Lord Gedanken über die ganz normalem Harz innewohnenden bewahrenden, womöglich sogar heilenden Kräfte. Nun beschloss er, in einem »Grab« aus Harz Zuflucht zu suchen, in einen großen, mit Harz gefüllten Bottich einzutauchen und sein Vertrauen in die Beharrlichkeit seines Egels zu setzen. Wenn er seinem Parasiten einen Teil der Last abnahm, hatte dieser vielleicht die Möglichkeit, zunächst sich selbst und dann ihn zu heilen. Zeit genug dafür würde ihm zur Verfügung stehen.

Radu war nicht nur ein begabter Mentalist und Hypnotiseur, sondern verfügte noch über eine weitere Fähigkeit. In hellseherischen Träumen erhaschte er flüchtige Blicke auf zukünftige Ereignisse. In die Zukunft zu blicken ist allerdings eine recht zweifelhafte Angelegenheit. Was man sieht, muss nicht unbedingt so eintreten, wie vorhergesehen. Eines jedoch »sah« Radu klar und deutlich – nämlich dass sein Schlaf über sechshundert Jahre währen sollte! Zunächst traf es ihn wie ein Schlag; doch als der Hunde-Lord immer schwächer wurde, fand er sich allmählich mit diesem Gedanken ab. Hoch oben in den Cairngorms Schottlands ließ er sich einen Bau bereiten und setzte Wächter darüber ein. Nachdem alles erledigt war, begab er sich in das Harz ...

Das war damals.

Die Jahrhunderte sind vergangen, und nun ist es so weit: Radu wird wiederkehren. Erst jedoch erwartet er noch die Ankunft eines gewissen »Geheimnisvollen« – eines »Mannes-mit-zwei-Gesichtern« –, den er aus seinen Träumen kennt und von dem er weiß, dass er in der Stunde seiner Auferstehung zugegen sein wird. Auf eben einen solchen Mann lenkte B. J. Mirlu die Aufmerksamkeit ihres Gebieters: auf den Necroscopen Harry Keogh.

Von dem Bottich voller Harz aus, in seiner Zuflucht hoch oben in den Cairngorms, steht Radu in telepathischer Verbindung mit B. J. Wenn sie ihn aufsucht, unterhalten sie sich miteinander, als sei er bereits auferstanden. Er hat ihr den Befehl gegeben, ihm Harry bei der nächstmöglichen Gelegenheit zu präsentieren. Er will die Gedanken des Necroscopen lesen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich der Mann aus seinen Zukunftsvisionen ist. Dabei handelt es sich um mehr als bloße Neugier. Während des langen Zeitraumes, in dem er scheintot war, hat Radus Geist sich von seinem physischen Körper »gelöst«. Er vermag nicht, mit Sicherheit zu sagen, ob sein Egel die Krankheit nun besiegt hat oder ob sie noch in seinem Körper schlummert. Doch selbst für den schlimmsten Fall geht Radu davon aus, dass er nach seiner Auferstehung noch eine Chance hat weiterzuleben, und zwar mittels Metempsychose, Seelenwanderung – der Übertragung seines Geistes in den Körper von ... Harry Keogh. Sollte es so weit kommen, würde Keoghs Identität vollständig unterdrückt. Harry wäre Radu!

Bonnie Jean kennt Radus Plan und ist hin- und hergerissen. Bald wird sie selbst eine Wamphyri sein – sofern sie nicht bereits »aufgestiegen« ist –, und sie beansprucht Harry für sich. Vorerst jedoch steht sie noch unter Radus Bann, nicht minder als der Necroscope unter dem ihren. Sie muss ihrem Gebieter Folge leisten, auch wenn jede Faser ihres Daseins sich dagegen wehrt.

Wüsste sie Bescheid über Harrys Vergangenheit und seine esoterischen Fähigkeiten, würde sie sich vielleicht anders entscheiden. Doch sie kann es nun einmal nicht wissen, denn B. J. mag zwar eine mächtige Betörerin sein, der einzig Radu noch überlegen ist, doch das E-Dezernat bekam den Necroscopen vor ihr in die Finger. Selbst unter doppelter Hypnose ist es ihm versagt, seine Talente zu enthüllen. Radus hypnotische Fähigkeiten sind allerdings auch gänzlich anders geartet. Es ist sogar möglich, dass er mit ihrer Hilfe in Harrys Geist einzudringen vermag. Ja, um die Seelenwanderung zu bewerkstelligen, muss er ebendies tun! Und derart kommen Harrys Geheimnisse vielleicht doch noch ans Licht ...

Radu ist nicht der einzige Große Vampir, der die stürmischen Jahrhunderte überlebte. Der einzige, der noch von der Sternseite stammt, gewiss, aber keineswegs der letzte. Auf dem Tingri-Plateau in Tibet herrscht Daham Drakesh, ein Drakul, als selbst ernannter Hohepriester über ein Kloster, in dem er eine Armee von Vampirknechten züchtet. Zum Schein arbeitet er mit einer in Chungking stationierten parapsychologischen Abteilung der rotchinesischen Armee zusammen. Doch in einer so menschenleeren und unzugänglichen Region wie dem Dach der Welt kann Drakesh weitgehend tun und lassen, was er will. Er weiß, dass Radu noch am »Leben« ist und bald wieder zurückkehren und an Einfluss gewinnen wird. Drakeshs Abgesandte, seine Vampirjünger, sind bereits auf der Suche nach Radus Bau, um ihn zu töten, ehe er sich wieder zu seiner alten Macht aufschwingen kann.

Gleichermaßen haben die Gebrüder Ferenczy, ein Zwillingspaar, auf Sizilien den Status von Dons erreicht. Sie gehören nicht eigentlich der Mafia an, sondern sind vielmehr »Berater« der jeweiligen Familienoberhäupter, und zwar weltweit. Darüber hinaus »beraten« sie auch den KGB, die CIA und weitere Nachrichtendienste. Das »Orakel«, von dem sie ihre Informationen beziehen, ist der ins Unaussprechliche mutierte Angelo Ferenczy, Urenkel von Nonari Grobhand! Vor etwa dreihundert Jahren brach der Stoffwechsel von Angelos Parasit völlig zusammen. Sein Metamorphismus spielte verrückt und ließ ihn als missgestaltetes, wahnwitziges Wesen zurück, das nun in eine Grube unter der Manse Madonie gesperrt ist, einer »Villa« in dem gleichnamigen Gebirge auf Sizilien. Seine Blutsöhne, Antonio und Francesco, versorgen ihn mit Nahrung und pressen so die Informationen aus ihm heraus, mit denen sie ihre Geschäfte machen. Denn paradoxerweise hat der Wahnsinn Angelos Vampirtalente um ein Vielfaches verstärkt; seine hellseherischen Kräfte sind außergewöhnlich.

Da Angelo jedoch ein Wamphyri und zudem auch noch wahnsinnig ist, bietet er nur selten direkte Lösungen an. Seine Antworten sind unklar, er spielt Wortspiele, um seine Blutsöhne im Ungewissen zu halten. Aber er hat sie vor Radu Lykans unmittelbar bevorstehender Rückkehr gewarnt und ihnen gesagt, was der Hunde-Lord tun wird, nachdem er auferstanden ist – nämlich sie ausfindig machen und vernichten!

In jüngster Zeit haben also sowohl Daham Drakesh als auch die Ferenczys ihre Anstrengungen verstärkt, Radu zu finden, um ihn noch vor dem Zeitpunkt seiner Auferstehung in seinem Bau zu töten. Sie spürten seine Hüterin, B. J. Mirlu, auf und wissen, dass Harry Keogh ihr beisteht. Allerdings halten sie ihn für Alec Kyle. Allem Anschein nach ist es diesem gelungen, in die Schatzkammer der »uneinnehmbaren« Feste der Ferenczys einzubrechen und sich mit einer Millionensumme in Bargeld aller möglichen Währungen aus dem Staub zu machen.

Daham Drakesh – von dessen Existenz selbst die Ferenczys nichts ahnen – versucht, seine Gegner aus der Reserve zu locken; er hat seine Jünger nach Schottland entsandt, um Bonnie Jean Mirlu außer Gefecht zu setzen und zwischen Radu und den Ferenczys weitere Unruhe zu stiften. Doch Drakeshs Plan schlägt fehl; da der Necroscope B. J. beschützt, kommt sie davon und Drakeshs Blutsohn sowie ein Knecht bezahlen den Versuch mit dem Leben.

In der Manse Madonie sind die Ferenczys außer sich vor Wut wegen ihrer Verluste; sie gehen davon aus, dass es sich bei dem Einbruch um einen Präventivschlag von Radus Gefolgsleuten handelte, um noch vor der Rückkehr des Hunde-Lords ihre Schwächen auszukundschaften. Letztlich der Beginn eines offenen Krieges. Darüber hinaus gibt es nun noch jemanden, auf den sie ein Auge haben müssen, denn einer ihrer Knechte, ein Schläfer in Schottland, wurde zumindest teilweise Zeuge, wie Drakeshs Jünger durch Harry Keoghs Hand den Tod fanden.

Aber obwohl Drakesh beträchtliche Verluste hinnehmen musste (und aus Unachtsamkeit auch herauskam, dass er seine Finger im Spiel hatte), will er seine Gegner dennoch weiter provozieren. Immerhin ist der letzte Drakul im Besitz eines Mittels, mit dem er nicht nur Vampire, sondern ganze Nationen aufeinanderzuhetzen vermag. Er braucht nur noch abzuwarten, während das Komplott gegen seine eigenen Artgenossen, die ganze Menschheit ... und insbesondere gegen B. J. Mirlu und »Alec Kyle« seinem Höhepunkt entgegenstrebt.

Harry und Bonnie Jean befinden sich in extremer Gefahr – nicht zuletzt weil sie den Geist des Necroscopen noch immer unter Kontrolle hält. Vieles von dem, was ihm widerfuhr, ist bereits zu einem leeren Blatt in seinem Gedächtnis geworden, einfach aus seinem Leben gestrichen, so als habe jemand die Seiten aus einem Buch herausgerissen.

Damit werden sie zu einem Teil der verlorenen Jahre ...