Aus irgendeinem Grund hatte ich schon immer Interesse am Deutschland der Nazi-Zeit. Vielleicht liegt es an meiner Herkunft: Ich stamme sowohl von deutschen Nazis als auch von deutschen Juden ab. Ich hatte mal eine Freundin, die es für romantisch hielt, dass der Stammbaum meiner Mutter mitverantwortlich für die Ausrottung eines so großen Teils des Stammbaums meines Vaters war. Natürlich glaube ich nicht, dass es sich so abgespielt hat. Eigentlich weiß ich nicht viel über diesen Teil meiner Familiengeschichte. Sehr viel von dieser Geschichte wurde nicht für die Nachwelt festgehalten, das meiste davon absichtlich nicht.
Mein Großvater, der als Carlton von Opperman geboren wurde, hat sich während des Holocausts zum Glück nicht in Deutschland aufgehalten, weil ihn die Familie Mellick in Amerika schon vor dem Zweiten Weltkrieg adoptierte. Wir nehmen an, dass mein Urgroßvater und dessen Familie nicht so viel Glück hatten, weil man nie wieder etwas von ihnen hörte.
Meine Mutter, Elke Beetz-Wittenborn, wurde in Deutschland geboren und ist Anfang der 50er-Jahre als Kind in dieses Land gezogen. Weil Deutsche in den Vereinigten Staaten zu dieser Zeit immer noch sehr unbeliebt gewesen sind, begegnete man ihnen mit sehr vielen Vorurteilen, vor allem meiner Mutter, die von ihren Lehrern ständig gepiesackt wurde (was ihre Klassenkameraden dazu ermunterte, dasselbe zu tun). Ihre Familie trug ein unglaubliches Schuldgefühl wegen ihrer deutschen Herkunft mit sich herum und verleugnete ihre Abstammung größtenteils, sodass ich tatsächlich nicht viel über meine deutschen Vorfahren weiß. Es gibt Gerüchte, die Wittenborner Seite habe eine jüdische Familie gerettet, indem sie diese in ihrer Dachkammer versteckt hielt. Andere Gerüchte besagen, es habe einen Gestapo-Mann auf der Beetz-Seite meiner Familie ebenso gegeben wie mehrere Nazi-Anhänger. Die Wahrheit werde ich wohl nie erfahren.
Mein Interesse am Deutschland der Nazi-Zeit hat in mir das Verlangen geweckt, ein Buch über die Nazi-Utopie zu schreiben. Doch anstatt das Buch in dieser Nazi-Utopie anzusiedeln, habe ich mich dazu entschieden, Nazis aus diesem Umfeld herauszulösen und in eine surreale Welt wie das Wunderland zu schicken. Das Wunderland steht für Chaos, Zufälligkeit, Unordnung, das Unkontrollierte, das Unvollkommene. Die Nazi-Utopie steht für das exakte Gegenteil. Für Effizienz, Reinheit, Ordnung, Kontrolle, Vollkommenheit. Das sind zwei Welten, die gar nicht anders können, als miteinander zu kollidieren, und genau das ist es, was passiert, wenn Adolf seine Reise ins Wunderland antritt.
Ich habe acht Jahre gebraucht, um Young Adolf Hitler – so der ursprüngliche Titel dieses Buches – zu vollenden. Abgesehen von den elf Romanen, die ich vor Der Baby-Jesus-Anal-Plug verworfen habe, ist Young Adolf Hitler das vierte Buch, das ich begonnen, und das 20., das ich beendet habe (Buch Nummer drei wartet immer noch auf seine Vollendung).
Das Streben nach Vollkommenheit hat den Entstehungsprozess dieses Buches verzögert, was ziemlich ironisch klingt, wenn man das Thema der Geschichte berücksichtigt.
– Carlton Mellick III, 2008
Er hätte sich einfach zum Wal/Mann legen und schlafen sollen, entschied sich jedoch dagegen. Sein Kopf kam ihm immer noch zerhackstückt vor, schwindlig von all dem Chaos, das er durchgemacht hatte. Auf keinen Fall wollte er in dieses schreckliche, von Krankheit befallene Bett zurückkehren. Also begab er sich auf die Suche nach einem freien Schlafzimmer.
Er probierte jeden Türknauf auf der Suche nach einem, der sich öffnen ließ. Ohne Erfolg. Er ging weiter die Treppe hinunter und probierte es auf jeder Etage. Alle Türen waren abgeschlossen. Er stellte sich vor, dass andere Gäste in diesen Spukräumen schliefen, so wie der Wal/Mann oben.
Aber hat der Wirt nicht erzählt, dass niemand in diesem Gasthof absteigt? Vermutlich sind diese Räume nur mit noch mehr Leichen gefüllt. Mit Leichen und Geistern und fettleibigen Männern ...
Adolf fand sich im Zimmer von Herrn Rad wieder. Der ältliche Mann war noch wach und saß ohne Hemd in einem verrußten Sessel mit orangefarbenem Fellbezug. Der Offizier erschauderte beim Anblick des nackten Oberkörpers. Die runzlige alte Haut ließ ihn zusammenzucken, aber die Nacktheit von Herrn Rad brachte etwas noch weitaus Schlimmeres mit sich, das Hitler vor Grauen beinahe aufschreien ließ.
In der Brust des alten Mannes gab es dort, wo normalerweise seine Nippel gewesen wären, eine Holztür, und diese Tür stand offen und gab den Blick auf sein Inneres frei. Sein Inneres wirkte grausam unwirklich. Es gab keine Organe, nur Klumpen klebrigen Fleisches zwischen verrosteten Metallgestängen. Es sah aus wie ein Uhrwerk. Der alte Mann reparierte sein klappriges Herz mit Schraubendreher und Zange, indem er Schrauben nachzog und den Sitz einzelner Bauteile korrigierte.
»So ist es also, ein alter Mann zu sein«, schrie ihm Adolf ins Gesicht und verspritzte dabei seinen Speichel auf ein erdiges Landschaftsgemälde an der Wand. »Sie sind gezwungen, sich wie einen Automotor zu reparieren.«
Herr Rad errötete und schlug die Tür zu seiner Brust zu, als wäre sein Inneres für ihn eine intime Angelegenheit.
»Ich habe Sie nicht hereinkommen hören.« Seine Stimme klang wieselig und verstaubt.
»Sie sind ein ekelhafter alter Mann.«
Herr Rad lächelte bei seiner Antwort. »Ja, ich kann wohl verstörend wirken. Es ist sehr leicht, ekelhaft zu werden, wenn einem das Alter erst zusetzt.«
Grillen zirpten in den Ecken wie kleine Ferkel, als Adolf näher trat.
»Warum sind Sie nicht beleidigt? Sind Sie so schwach, dass Sie Abscheu wie ein Geschenk annehmen?«
»Nein, nein«, sagte der alte Mann. »Ich bin nur verständnisvoll. Aufgeschlossen.«
»Aufgeschlossen?«, schnaubte Adolf. Dann schüttelte er den Kopf und fragte: »Haben Sie noch ein anderes Zimmer? Meines ist inakzeptabel.«
Der alte Mann tippte auf sein Handgelenk. »Nein, es tut mir leid, aber Sie haben das einzige Zimmer, das nicht belegt ist.«
»Wollen Sie mich verspotten? Dieser Raum ist vom Geist Ihrer toten Tochter und dem fettesten Mann im ganzen Universum belegt.«
»Oh.« Herr Rad schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Ich habe völlig vergessen, dass die zwei dort schlafen. Es tut mir schrecklich leid. Möchten Sie Platz nehmen und mit mir Schach spielen, während Sie darauf warten, dass das Bett frei wird?«
»Ich muss schlafen, Herr Rad. Ich bin in einer sehr wichtigen Mission hier und habe keine Zeit für Schach. Ich suche den unvollkommenen Mann.«
»Unvollkommen?«, fragte Herr Rad. »In welcher Hinsicht?«
»Ich weiß es nicht genau«, sagte der Offizier. »Ich kann mich nicht an sein Gesicht erinnern, aber er ist unvollkommen. Er ist eine Seuche, und ich bin hier, um die Gesellschaft von ihm zu erlösen.«
»Ja, jetzt erinnere ich mich. Also, setzen Sie sich, dann spielen wir Schach.«
»Aber ich muss schlafen. Sie werden das Bett sofort von dem fettleibigen Mann befreien.«
»Ach, er müsste ohnehin demnächst aufstehen. Er ist hier der Arzt.«
»Der Arzt?«
Wie kann so ein ungesunder Mann ein Arzt sein?
»Ja, er hat mir aufgetragen, ihn zu wecken, falls es einen medizinischen Notfall gibt.«
»Gab es einen?«
»Nein, ganz und gar nicht. Alle schlafen. Normalerweise gibt es keine medizinischen Notfälle, wenn alle schlafen. Am Morgen wird er aufwachen.«
»Aber wann wird es Morgen?«
»Irgendwann, bald, glaube ich. Es ist schon seit Jahren nicht mehr Morgen gewesen, aber das kann sich jeden Moment ändern. In der Zwischenzeit spielen wir Schach. Setzen Sie sich.«
Adolf tat Herrn Rad den Gefallen, aber nur, weil seine Beine zu müde waren, um ihn noch zu tragen. Er setzte sich auf einen Stuhl, der aus alten Enzyklopädien bestand. Sehr zum Bedauern des jungen Adolf hielt Herr Rad den Akt des Platznehmens für die Einwilligung, mit ihm Schach zu spielen.
Der alte Mann holte ein Schachbrett aus einem Felletui und legte es zwischen ihnen auf einen roten Hocker. Dann holte er die Figuren heraus, bei denen es sich weniger um Schachfiguren als vielmehr um morbide Kunstwerke handelte. Sie gaben quietschende Geräusche von sich, als er sie auf dem Spielbrett aufstellte.
»Was ist das?«, fragte Adolf.
»Ein Strategiespiel!«, krähte Herr Rad.
Die Figuren entpuppten sich als einzelne Klumpen aus gummiartigem Fleisch und Sehnen. Alle Bauern endeten in nassen Schafsaugen. Der König war ein großer Batzen aus fettigem Steakfleisch, die Dame eine mit Rosendornen bedeckte Katzenpfote. Der Läufer sah aus wie ein abgetrennter Penis, erigiert und blutend, während der Springer an eine Vagina in Pferdegestalt erinnerte. Doch der Turm war die seltsamste Figur von allen. Vier Finger, die von aus deren Spitzen wachsenden Zähnen zusammengehalten wurden. Und am Fuße der Figur schien es einen schwitzenden Mund zu geben, der atmete und sich selbst leckte.
»Fertig?«, fragte Herr Rad. »Sie fangen an.«
Hitler fing nicht an.
Die Figuren knisterten, pulsierten und machten Knackgeräusche. Einige sonderten sogar eine Art Schaum auf das Schachbrett ab. Das Gesicht des Offiziers wurde blass, als ihm der fettige Geruch in die Nase stieg.
»Nun?«, fragte der ungeduldige Herr Rad, während er voller Vorfreude die Fäuste ballte.
Hitler quetschte die Finger in einen der Mittelbauern, der glitschig in seinen Händen lag. Er bewegte ihn zwei Felder vorwärts und ließ ihn aus den Fingern auf das Feld gleiten. Die Figur schwitzte eine Pfütze auf ihren neuen Standort.
Sogar Schach, das symmetrischste und vollkommenste Spiel, das man je erfunden hat, wird an diesem schrecklichen Ort ruiniert.
Herr Rad zog seinen Bauern vor Hitlers. Er leckte den Schaum, der seine Finger bedeckte, mit rauer weißer Zunge ab.
»Warum werde ich so gequält?«, fragte der junge Hitler Herrn Rad mit harter Miene, als er eine kurze Pause machte.
Herr Rad überlegte sich seine Strategie und achtete gar nicht auf ihn.
Adolf sagte: »Ich habe es nicht verdient, in so einer Misere zu stecken. Ich bin hier in der Hölle.«
»Sie sind am Zug«, sagte Herr Rad.
»Ich gehe zurück nach oben.«
»Aber wir müssen noch zu Ende spielen«, rief Herr Rad. »Bitte, Adolf ...«
»Ich heiße nicht Adolf.«
»Wie heißen Sie dann?«
»Ich weiß es nicht, aber wahrscheinlich nicht Adolf Hitler.«
»Aber steht nicht Adolf Hitler auf Ihrer Uniform?«
»Ja, aber auf meiner Uniform steht auch Gott, und ich bin ganz sicher nicht Gott.«
»Aber vielleicht sind Sie ja Gott?«
»Ich bezweifle, dass Gott so wie ich sein Gedächtnis verliert.«
»Dann sind Sie womöglich Futter für die Dakarspinne?«
»Was soll das jetzt wieder bedeuten?«
»Oh ja, Dakarspinnen besitzen die Fähigkeit, potenzieller Beute die Erinnerungen zu rauben. Das tun sie, um einen zu desorientieren, damit man leichter zu jagen und zu töten ist.«
»Was ist das hier nur für ein Ort, an dem die Insekten an der Spitze der Nahrungskette stehen? Es sind doch nur winzige Schädlinge, und der Mensch hat das Recht, sie zu zertreten.«
Herr Rad gackerte. »Ich würde nicht versuchen, auf eine Dakarspinne zu treten, wenn ich Sie wäre.«
»Das ist doch der nackte Wahnsinn! Ich kann nicht glauben, dass Sie mich davon überzeugen wollen, dass es da draußen eine winzige Spinne gibt, die vorhat, mich zu fressen.«
»Sobald sie hungrig genug ist, ja.«
»Sie, mein Herr, sind wider die Natur!«
»Können wir jetzt weiterspielen?«, fragte Herr Rad. »Oder haben Sie Angst, von einem alten Mann besiegt zu werden?«
»Ich gehe nach oben und schlafe.«
»Aber was ist mit dem Arzt?«
»Ich werfe ihn aus dem Bett, wenn ich muss.«
In der Tür schickte ihm Herr Rad noch eine Abschlussbemerkung hinterher: »Passen Sie auf die Dakarspinnen auf. Sie lieben es, Menschen im Schlaf anzugreifen.«
Und aus dem Treppenhaus rief der junge Hitler zurück: »Lächerlich! Reinster Aberwitz!«
Der junge Adolf Hitler hörte zirpende Uhrwerksgeräusche, als er die Treppe erklomm, wahrscheinlich von Herrn Rads Händen, die wieder in seiner Brust steckten, um sein fehlerhaftes Inneres zu reparieren.
»Ich bin in meinem Sarg«, sagte er zu dem Staub, der von der schmalen Treppe aufstieg.
Dann stutzte er. Er blickte nach unten auf ein Stück Spiegel vor seinen Füßen und sah, wie er selbst zu sich hochschaute.
»Gibst du auf?«, fragte er sich.
Er packte seine Uniform am Kragen. »Hast du das etwa vor? Aufgeben? Soll sich ein Mann der Vollkommenheit vom Chaotischen überwinden und besiegen lassen?«
Adolfs Arm ruckte aufwärts und nach vorn und beglückte das Ende der Treppe mit einem »Sieg Heil«, als salutiere er Gott, dem vollkommensten Wesen im ganzen Universum.
Und dabei dachte er:
Ich bin fehlerlos.
Ich werde nicht zulassen, dass mich das Schwache überwindet.
Ich werde den unreinen Mann finden, und dann wird die Nation auf ewig von seinen Unvollkommenheiten gesäubert sein!
Dann hörte er Weinen aus dem Raum oben. Das Schniefen und Jammern einer Frau.
Er konnte Regen riechen.
Bei seinem Aufstieg zum Zimmer fühlten sich die Knochen in seinen Beinen aufgrund des Schlafmangels an, als bestünden sie aus Holz. Im Bett lag eine seltsame Frau. Nicht Elsie, sondern jemand anders. Elsie war ebenso wenig da wie der Wal/Mann.
Ist das überhaupt noch das Zimmer, in dem ich eben gewesen bin?
Die Frau im Bett hatte das Gesicht zwischen den Knien vergraben und war unter den Laken nackt. Sie trug lange blonde Locken, die wie goldene Wasserfälle von ihrer Kopfhaut herabfielen. Das blonde Haar empfand der junge Adolf als tröstlichen Anblick.
Seine Stimme wurde weich. »Warum weinen Sie?«
Sie hob das Gesicht. Meerblaue Augen, eine Haut wie Mondlicht.
Das Gesicht eines Engels ...
Sie ist wie ich. Sie ist Vollkommenheit.
Dann klickte es in seinem Verstand.
Sie hatte etwas Vertrautes an sich. Sie musste jemand sein, den er kannte, jemand aus seiner Vergangenheit. Doch seine Erinnerungen wurden von Flaum bedeckt.
»Ich weine, weil ich dich vermisst habe«, sagte die Frau mit nasser Zunge.
Adolfs Gedanken überschlugen sich: Wer ist sie? Ist sie meine Freundin? Ex-Freundin? Ehefrau? Woher kennt sie mich? Was tut sie hier an diesem Ort?
»Komm zu mir«, sagte die Frau.
Ihre Arme öffneten sich und entblößten dabei ihre vollkommenen Brüste. Der junge Adolf ging zu ihr.
»Ich habe keine Erinnerung«, sagte er.
»Rede nicht«, brachte sie ihn zum Verstummen. »Du redest immer ...«
Sie drückte ihn an ihre warme Haut, drängte ihren vollkommenen Körper gegen seine schmutzige Uniform. Ihre Hände krochen seinen Rücken entlang und tasteten die Rippen ab, und dann wickelten sie sie beide in ein großes Laken voll Staub und dem Geruch nach fettem Mann und toten Insekten ein, doch Hitler schien es nicht zu stören.
Er befand sich in einem Traum. Er hatte nach Hause gefunden, obwohl er es in diesem Moment nicht erkannte.
Ihre Arme umschlangen ihn, und er zitterte unter ihrer Wärme. Ihre Beine aus heißem Stahl drückten ihn in sie hinein.
Seine Augenbrauen schmiegten sich an ihr Gesicht.
Er wollte ihren Körper enger um sich wickeln, doch sobald sie seine Brust berührte, wurde ihr Körper dünn, als verflüssige er sich. Ihr Gesicht schrumpelte, und sie glitt ihm durch die Arme und wurde in die schmutzigen Matratzen gesogen. Sie schrumpfte.
Ein Schrei quoll wie Lava aus Hitlers Kehle, als ihm aufging, was geschah. Er suchte das Bett nach ihr ab ...
Mittlerweile muss sie so klein wie ein Insekt sein, eine Stecknadel in einem Heuhaufen aus Bettlaken.
Und als er das Bettzeug durchwühlte, spürte er, wie sich die Laken über seinen Kopf erhoben und zu einer Masse aus Bärenfellen heranwuchsen. Dann bekam er plötzlich keine Luft mehr, weil er unter Millionen Kilogramm von Stoff begraben lag.
Die Lakenwelt wirkte trübe und schmutzig. Und Hitler war nicht allein ...
Etwas sank durch die Laken auf ihn herab. Sein Hirn brach zusammen, als es in sein Blickfeld geriet: ein Wald aus stacheliger Schwärze.
Eine elefantengroße Spinne mit großen Hummerscheren, Schneckenaugen und dicken Gummischläuchen zwischen Kopf und Hinterleib.
Als Hitler davonlief, musste er sich die Laken über den Kopf ziehen, um durchzukommen. Er wühlte sich unter das feuchte Bettzeug und wälzte und schob sich erstickt japsend weiter, während die Spinne begleitet von Zischlauten auf ihn losging.
Er kam nur langsam voran, doch die Spinne schaffte es nicht, ihn zu fangen. Das Auf und Ab der Laken verursachte Vibrationen rings um die Spinne, die sie so sehr verwirrten, dass sie nicht genau ausmachen konnte, wo im Bett sich der geschrumpfte Mann befand.
Dann verschwand der Boden unter Hitlers Füßen, und er glitt an der Innenseite des Lakens entlang nach unten, fast wie im freien Fall. Er traf auf etwas, das sich wie ein hölzernes Vogelnest anfühlte. Der Aufprall raubte ihm den Atem, und aus seiner Unterlippe tropfte Blut. Es handelte sich aber doch nicht um Holz, sondern um eine Decke, einen flauschigen Haufen Decke.
Als er auf die Beine kam, befand sich Adolf unter dem Bett, 100 Stockwerke darunter. Der Geruch von Wein drang heran, als er in den riesigen Hohlraum unter dem Bett starrte und nur darauf wartete, dass die Dakarspinne heruntergehüpft kam und ihm weiter folgte.
Sie kam nicht.
Seine Augen waren rot und tränten. Er zitterte am ganzen Leib und gab unfreiwillige leise Jammerlaute von sich.
Adolf taumelte vom Laken weg und durch das höhlenartige Dunkel unter der Matratze. Seine Gedanken waren ein verschwommenes Gewirr. Er wusste nicht, was er von dem, was gerade passierte, halten sollte. Aus irgendeinem Grund glichen seine Gedanken Visionen von ausgehöhlten Engeln.
Eine ganze Weile später, nachdem er sich ein wenig gesammelt hatte, wanderte Adolf unter dem Bett heraus ins Freie. Das Zimmer kam ihm wie ein gänzlich neues Universum vor. Eine eigene Welt voller gebirgiger, braun glänzender Möbel und Tapetenmuster wie aus dem Bilderbuch.
Hier gab es keine Wandschrankgefühle mehr. Jetzt fühlte er sich wie in einem Ozean. So riesig, dass ihm das Atmen schwerfiel. Nicht so schön wie der Ozean, aber ebenso gewaltig. Eine enorme Sumpfwelt aus Staub und Splittern.
In der Ferne ließ sich die Dakarspinne an einem langen, silbrigen Faden am Bettpfosten herab.
»Ich bin kein Insekt«, sagte der junge Adolf zu der Dakarspinne. »Ich bin ein reiner und makelloser Mensch, nur 100-mal kleiner.«
Er schlenderte davon, das Kinn in die Höhe gereckt, und schnippte einer flauschigen Wintersocke den Finger entgegen. »Wie heiße ich?«, fragte er die Socke. »Ich muss mein Gedächtnis zurückbekommen oder meine Mission endet in einem Fehlschlag.«
Wärme legte sich von hinten um ihn. Ihm war klar, dass es seine Geliebte sein musste, die vollkommene Frau aus seiner vergessenen Vergangenheit.
Er drehte sich zu ihr um und fragte: »Wer bin ich?«
Sie lächelte und streichelte seine Wange.
»Adolf Hitler«, erwiderte sie.